Bilder des Textilen

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Agnes Sawer

Bilder des Textilen

Mode und Stoffe in der Malerei

Pierre-Auguste Renoirs

Zgl.: Leuphana Universität Lüneburg, Dissertation 2024

ISBN 978-3-422-80243-8

e-ISBN (PDF) 978-3-422-80246-9

Library of Congress Control Number: 2024948457

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© 2024 Deutscher Kunstverlag

Ein Verlag der Walter de Gruyter GmbH, Berlin/ Boston

Einbandabbildung: Pierre-Auguste Renoir: Marie-Thérèse Durand-Ruel Sewing (Ausschnitt), 1882, Öl auf Leinwand, 64,9 × 54 cm, The Clark Art Institute, Williamstown, Massachusetts, 1955.613. Image courtesy Clark Art Institute. clarkart.edu

Einbandgestaltung: Katja Peters, Berlin

Korrektorat: Ilka Backmeister-Collacott

Layout und Satz: Savage Types Media, Berlin

Druck und Bindung: Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza

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Für Alexander

Inhalt

Einleitung 11

Renoirs Anfänge als Porzellanmaler 16

Kleider und Stoffe in der Kunst 18

Renoir-Rezeption 20

Aufbau und Methoden 30

1 Mode, Kunst, Fetische 35

Mode und Kaufrausch im Frankreich des 19. Jahrhunderts 41

La Parisienne – Porträt oder Typus? 52

Plakate und Modeillustrationen 59

Ein Eye-Catcher in der ersten Ausstellung der Société anonyme 73

Waren in Bildern – Bilder als Ware 80

Hüte – Renoirs Leidenschaft 87

Berührungen 98

Mode – Kosmos des weiblichen Geschlechts 112

2 Rüschen, Stoffräume und Handarbeiten 125

Rüschen 126

Renoirs Moulin de la Galette 128

Fête galante – Szenen einer Idylle 137

Liebesinseln und Liebesgärten 139

Wunschbilder und ephemeres Glück 144

Textile Infrastrukturen – die Rüsche als Bildmatrix 150

Exkurs: Wiederkehr des Rokoko in der Kunst des 19. Jahrhunderts 163

Stoffräume 167

Ineinanderfließen der Stoffe 170

Textile Zusammenhänge 179

Farbe und Linie 185

Dekorative Bildordnung 189

Stoffgewebe 195

Bilder der Handarbeit 200

Changieren des Fadens 201

Nähen und Sticken – Zusammenführen und Kopieren 204

Primat des Handwerks 210

Schluss 221

Literaturverzeichnis 225

Bildnachweise 251

Dank

Mein herzlicher Dank gilt Beate Söntgen für die Betreuung, Förderung und große Unterstützung meines Projekts. Für die Bereitschaft, das Zweit- und Drittgutachten zu übernehmen und für wertvolle Hinweise danke ich Gabriele Genge und Gerald Schröder. Die Dissertation entstand hauptsächlich während meiner Zeit als Stipendiatin der Leuphana Universität Lüneburg und meiner Tätigkeit am Kunstgeschichtlichen Institut der Ruhr-Universität Bochum. Für die dreijährige Förderung meines Vorhabens durch das Leuphana Promotionsstipendium und den fachlichen Austausch danke ich sehr. Die Freiräume zum Schreiben, die mir die Emschergenossenschaft während der Endphase gewährt hat, waren sehr hilfreich und haben die Fertigstellung des Textes ermöglicht. Dem Team des Deutschen Kunstverlags danke ich für die angenehme Zusammenarbeit. Großer Dank gebührt meiner Familie, vor allem Alexander Knickmeier, dem ich das Buch widmen möchte.

Einleitung

1

Pierre-Auguste Renoir: Woman Crocheting, um 1875, Öl auf Leinwand, 73,5 × 60,3 cm, The Clark Art Institute, Williamstown, Massachusetts, 1955.603

Das um 1875 entstandene Bild Woman Crocheting (Abb. 1) zeigt eine junge Frau beim Häkeln. Die Figur wird von der Seite auf einem Stuhl sitzend gezeigt. Konzentriert widmet sie sich der Handarbeit. Ihre Augen sind niedergeschlagen, der Blick auf den Stoff gerichtet, den sie in den Händen hält. Dieser changiert zwischen einem textilen Gewebe und der Farbsubstanz, wie auch der Rest des Raumes sich aus grob gesetzten Pinselstrichen generiert. Einzig die Häkelnadel, die die Figur in ihrer rechten Hand hält, ist präzise ausgearbeitet. Das Utensil aus Metall sticht hervor, obwohl es farblich auf den Raum abgestimmt ist. Die Engführung von Handarbeit, Malerei, Farbe und Stoff wird hier als ein zentrales Moment in den Vordergrund gerückt. Die Häkelnadel verweist darauf. Mittig und scharf ins Bild gesetzt, lenkt sie den Blick des Betrachters auf die Tätigkeit der Frau, in der sich die Arbeit des Malers spiegelt. Die Verschränkung der künstlerischen und der textilen Praxis sowie der Malerei mit dem Textilen erweist sich nicht nur als konstitutives Moment in Woman crocheting, sondern ist ein bedeutender Aspekt in Renoirs Kunst, dem in dieser Arbeit nachgegangen wird.

Gegenstand der vorliegenden Untersuchung ist Renoirs Auseinandersetzung mit dem Textilen, das in den Bildern des Künstlers omnipräsent ist und diese auf mehreren Ebenen durchwirkt, wie hier veranschaulicht werden soll. Das Wort Textilien (Pl.) stammt von dem französischen Begriff textile ab, der wiederum von den lateinischen Wörtern textilis beziehungsweise texere abgeleitet wurde, was weben, flechten, fügen bedeutet.1 Im 20. Jahrhundert bezieht sich der Begriff auf aus Fasern bestehende Waren, 2 die als „schmückende, auszeichnende und zeichenhaft sprechende Einkleidungen von Körpern, Räumen und Orten sakraler und profaner Rituale“ 3 fungieren. Textilien kommen bei Renoir unter anderem in Form von Kleidern ins Bild. Sein Œuvre enthält zahlreiche Werke, in denen die Kleidung der dargestellten Figuren einen großen Teil des Bildraums einnimmt und betont in Szene gesetzt wird. In einer ganzen Reihe von Arbeiten wird außerdem nicht die gesamte Aufmachung präsentiert. Stattdessen werden die getragenen Hüte in den Mittelpunkt gerückt. Eine Textilvielfalt ist auch in Renoirs Interieurdarstellungen auszumachen, in denen sich Teppiche, Sofa- und Stuhlbezüge, Vorhänge, Tischdecken und Kleider aneinanderreihen und überlagern. Selbst in Gemälden, in denen keine stofflichen Elemente zum Einsatz kommen, schillern textile Strukturen hervor. Sie prägen sich in die Bildmatrix ein und ordnen das Dargestellte. Schließlich spielt das Textile in Renoirs Bildern der Handarbeit, in denen das Sticken und Nähen mit der künstlerischen Praxis verknüpft werden, eine wichtige Rolle. Kleider und Stoffe kommen bei Renoir nicht als dokumentarisches oder dekoratives Element zum Einsatz. Vielmehr dienen sie als Grundlage für die Entwicklung eines Konzepts, das es dem Künstler erlaubt, den klassischen, perspektivisch aufgebauten Bildraum in eine Fläche zu überführen und das Bild-Betrachter-Verhältnis neu zu organisieren. Außerdem fungiert das Textile als eine Verbindung zu den Alten Meistern, auf die sich Renoir in seinen Werken immer wieder bezieht, wie auch als Objekt der Begierde. In der Auseinandersetzung mit dem Vestimentären artikuliert sich eine Leidenschaft für Kleider, Accessoires und ihre Texturen, die, wie gezeigt werden soll, die Bedeutung der Dinge verschiebt und ihnen einen Fetischcharakter verleiht. Mit dem Fokus auf das Textile widmet sich die Untersuchung einem Themenfeld, das in der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Renoir bisher keine Berücksichtigung gefunden hat. Dabei eröffnet gerade die Analyse der textilen Elemente und Strukturen eine neue Perspektive, da sie es erlaubt, die Aufmerksamkeit stärker auf die Konzeption der Werke zu lenken und Renoirs Modernität und Bedeutung für die Kunst des 20. Jahrhunderts hervorzuheben. Denn wie die Forschung an Henri Matisse (1867–1954), Pierre Bonnard (1867–1947) und Édouard Vuillard (1868–1940) aufgezeigt hat, führte der Rekurs auf stoffliche Elemente zu der Entwicklung eines Bildkonzepts, das wegweisend

1 Vgl. Loschek 2011, S. 4 58.

2 Vgl. ebd.

3 Wagner 2010, S. 217 f

für abstrakte Strömungen war.4 In den Arbeiten dieser Künstler konkretisiert sich eine Ordnung, die sich an der Flächigkeit und den Strukturen des Textilen orientiert. Gottfried Boehm verweist in diesem Kontext insbesondere auf die Rolle des Teppichs, der seiner Meinung nach als Folie für das Überwinden des klassischen Bildraums fungiert. 5

Diese These wurde im Rahmen der Ausstellung Kunst & Textil. Stoff als Material und Idee in der Moderne von Klimt bis heute (2013/14) weiterverfolgt. Auch dort wurde – ausgehend von der Beobachtung, dass das Textile einen bedeutenden Anteil an der Entwicklung des modernen Bildes habe – auf Matisse’, Bonnards und Vuillards Gemälde verwiesen, in denen sich eine „Stoffwerdung des Bildes“6 vollziehe.7 Trotz der Stoffvielfalt in seinen Werken wurde Renoirs Anteil an der Verstrickung des Bildes mit dem Textilen, die auch als Voraussetzung für das All-Over in der Malerei des 20. Jahrhunderts betrachtet werden kann, 8 noch nicht herausgearbeitet; und dies, obwohl Bonnard und Matisse in engem Austausch mit Renoir standen. Beide besuchten den Künstler auf seinem Anwesen Les Collettes in Cagnes-sur-Mer 9 und setzten sich in ihrer Kunst mit ähnlichen Aspekten auseinander – angefangen mit der Verbindung von Kunst und Handwerk bis hin zu einer intensiven Beschäftigung mit dem Textilen.10

Renoirs Bedeutung für die Entwicklung des modernen Bildes wurde bisher nur in Ansätzen beleuchtet, was unter anderem dem Klischee „Maler des Glücks“, das Renoir im 20. Jahrhundert größtenteils anhaftete, und seiner „Süßigkeitspopularität“11 geschuldet ist.12 Dieses Vorurteil hat die Auseinandersetzung mit dem Künstler erschwert.13 Erst mit der Londoner Ausstellung im Jahr 1985 wurde eine neue Annäherung an Renoirs Œuvre angestoßen, das noch in den ersten drei Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts von Sammlern und Kunstkritikern gefeiert und dann allmählich mit Kitsch assoziiert wurde.14 In den darauffolgenden, noch nicht lange zurückliegenden Retrospektiven wurde Renoirs Malerei unter neuen Fragestellungen erneut beleuchtet. So untersuchte die MadriderSchau (2016) die Taktilität der Renoir’schen Werke. Die Ausstellung in Williamstown

4 Zum Verhältnis von Stoff und Malerei in der Kunst von Matisse, Vuillard und Bonnard siehe Brüderlin 2013, S. 16–22. Zur Bedeutung des Textilen in der Malerei von Matisse siehe Spurling 2004; Schneider 1982; Boehm 2004; Boehm 2010. Zur Raumordnung in den Interieurbildern von Matisse und Bonnard siehe Söntgen 2017. Zu textilen Elementen in den Interieurbildern Édouard Vuillards siehe Söntgen 2012a. Zu Stoffen in Vuillards Aktmalerei siehe Zettel 2014b.

5 Vgl. Boehm 2004, S. 9

6 Brüderlin 2013, S. 20.

7 Vgl. Brüderlin 2013, S. 16–22.

8 Vgl. Boehm 2010, S. 183; Brüderlin 2013.

9 Vgl. De Butler 2017; Patry 2010b, S. 154.

10 Zur Auseinandersetzung der Nabis-Künstler mit den angewandten Künsten siehe Ausst.-Kat. Paris 2019, S. 214–223, Ausst.-Kat. Chicago u. a . 2001.

11 Adriani 1996b, S. 15.

12 Vgl. Mendes Bürgi/Zimmer 2012, S. 9 Renoir – Maler des Glücks. 1841–1919 ist der Titel von Gilles Nérets Monografie aus dem Jahr 2001.

13 Vgl. ebd.; Grenon/Cogeval/Govan/Rub 2010, S. 17.

14 Zur Renoir-Rezeption siehe Patry 2010c.

(2019) richtete das Augenmerk wiederum auf die Aktbilder des Spätwerks. Die Rolle des Textilen wurde in diesen Zusammenhängen zwar nicht erörtert. Sylvie Patry hat jedoch darauf hingewiesen, dass die Aktbilder des Malers aufgrund der Verschmelzung von Figur und Landschaft Tapisserien gleichen.15 Dieser Beobachtung soll hier nachgegangen werden, allerdings wird hier das gesamte Œuvre auf stoffliche Eigenschaften untersucht. In beiden Ausstellungen wurden außerdem die haptische Anmutung der Gemälde sowie das taktile Moment, das sich sowohl auf der motivischen als auch konzeptionellen Ebene zeigt, mit Renoirs Vorliebe für die manuelle, handwerkliche Arbeit verknüpft.16 Auch diese rezeptionsästhetische Annäherung war für die hiesige Analyse relevant: nicht nur, weil Renoirs Präferenz für das Handwerk, so die Überlegung, in der Beschäftigung mit dem Textilen zum Ausdruck kommt, sondern auch, weil Stoffe und Kleider in den Werken des Künstlers als Oberflächen präsentiert werden, die ein haptisches Erlebnis bieten. Das Geflecht aus Stoffen und Berührungen gilt es weiter zu untersuchen, um die Wirkung der Renoir’schen Bilder zu e rfassen.

Renoirs Interesse an Kleidern, Accessoires und Stoffen schlägt sich bereits im Frühwerk nieder. In dem 1864 entstandenen Bildnis der Jugendfreundin Marie-Zélie Laporte (Abb. 2) widmet sich der Künstler mit großer Sorgfalt der gekräuselten Spitze am Kragen und den feinen Volants an den Ärmeln des Kleides. Selbst der Glanz der Seide und die Weichheit des Samtes werden wirkungsvoll wiedergegeben. Sein Modell Lise Tréhot (1848–1922) lässt Renoir gleich in mehrere Rollen schlüpfen, verkleidet sie mal als Städterin, die sich im Grünen erholt, mal als Odaliske oder als Bohemienne. Jedes Mal steht die Aufmachung im Vordergrund des Interesses, was den Posen der Figuren geschuldet ist. Renoir präsentiert diese wie Mannequins, die ihre Kleider bestmöglich in Szene setzen, und gewährt den Kreationen auf diese Weise viel Raum. Gleiches, nur bezogen auch die stoffliche Ausstattung der Räume, lässt sich auch in den frühen Interieurbildern beobachten, in denen sich Textilien verschiedener Art entfalten. So zeigt das Werk Portrait of Camille Monet (1872–1874) (Abb. 3) eine weibliche Figur Zeitung lesend auf einem weißen, mit üppigen Polstern ausgestattetem Canapé. Das blaue Kleid legt sich über die Sitzfläche, auf der die Figur ihre Beine abgelegt hat, und fächert sich nach unten hin, bis zum Boden auf. Die Pose der Figur – in einer Hand die Zeitung haltend, mit dem anderen Arm sich auf der Lehne abstützend – wirkt instabil, bringt jedoch die Opulenz des Kleides zur Geltung. Als interessant erweist sich die Anordnung der Stoffe im Bildraum. Der Übergang der Kissen in die Sitzfläche ist verwischt, sodass das Sofa an Volumen verliert. Die Sitzfläche selbst entpuppt sich als Farbe, die mit der Bildoberfläche verschmilzt. Das Kleid verbindet sich wiederum mit dem Bezug des Sofas. Dies lässt sich insbesondere an den Borten beobachten. Die geschlängelten Ornamente gehen nahtlos ineinander über und führen beide Textilien zusammen. Das Interieur ausfüllend, beherrschen die Stoffe

15 Vgl. Patry 2019, S. 12 8.

16 Vgl. Solana 2016b; Lucy 2019.

2

Pierre-Auguste Renoir: Portrait de Marie-Zélie Laporte, 1864, Öl auf Leinwand, 61 × 50,5 cm, Musée des Beaux-Arts de Limoges, Inv. P436

3

Pierre-Auguste Renoir: Portrait of Camille Monet, um 1872–1874, Öl auf Leinwand, 53 × 71,7 cm, Museu Calouste Gulbenkian, Lissabon

hier das gesamte Gemälde. In den späteren Bildern, den Paris- sowie Akt-Darstellungen, spielt das Textile ebenfalls eine zentrale Rolle, obwohl Kleider und Stoffe auf der motivischen Ebene nicht vorkommen. Textile Strukturen und Texturen manifestieren sich allerdings in der formalen Logik der Werke und ihrer haptischen Erscheinung, wie hier in den einzelnen Kapiteln veranschaulicht werden soll.

Renoirs Anfänge als Porzellanmaler

Renoir kam aufgrund seiner Herkunft aus einer Schneiderfamilie schon als Kind mit Kleidern und Stoffen in Berührung. Im Jahr 1845 verließ die Familie die Stadt Limoges im Département Haute-Vienne, um sich in Paris niederzulassen, wohin es zu dieser Zeit viele Schneider aus der Provinz zog. Seine Ausbildung führte Renoir jedoch nicht in das Metier des Vaters, Léonard Renoirs, sondern in das Porzellanhandwerk.17 Der Porzellanexport gehörte Mitte des 19. Jahrhunderts zum wichtigsten Wirtschaftszweig von Paris.18

Renoir absolvierte von 1854 bis circa 1857/1858 seine Ausbildung in der Pariser Manufaktur Lévy Frères und bemalte dort Porzellanrohlinge.19 Der Beruf des Porzellanmalers erforderte ein besonderes künstlerisches Geschick, da die Stücke nicht lediglich mit Ornamenten, sondern auch mit Motiven aus der Malerei versehen wurden. Beliebt waren weiterhin Bilder des Rokoko, wie im 18. Jahrhundert, als man in Sèvres nach Vorlagen arbeitete, denen François Bouchers (1703–1770) Werke zugrunde lagen. 20 Auch Renoir übertrug Motive des 18. Jahrhunderts, die er im Louvre studierte, auf das Porzellan – Bouchers Diane sortant du bain (1742) gehörte zu seinen Lieblingswerken. 21 Die Modernisierung der Druckverfahren führte jedoch zu einem einschneidenden Wandel in der Porzellanmalerei. Die Stücke wurden nicht mehr mit der Hand bemalt, sondern mechanisch bedruckt, um die Kosten zu senken und neue Absatzmöglichkeiten zu erschließen, weshalb Renoir Lévy Frères um 1858 verlassen musste. 22 Der Künstler hat zunächst versucht, im Bereich der dekorativen Künste Fuß zu fassen. Er bemalte Keramiken, Türgesimse, Schränke, Stores, Fächer und Pariser Cafés, um schließlich den Weg in die Malerei einzuschlagen. 23 Dekorative Arbeiten hat Renoir dennoch weiter ausgeführt, so beispielsweise für Paul-Antoine Bérard (1833–1905), der den Künstler im Jahr 1878 mit dem Bemalen von Türen, Paneelen und eines Kamins im Rokoko-Stil auf seinem Anwesen Wargemont beauftragt hat. Für Émile Blanche’ (1861–1942) Residenz fertige Renoir 1879 Supraporten mit Szenen aus Richard Wagners Tannhäuser an. Auch diese Werke rekurrieren auf das 18. Jahrhundert. Ein Bild, La Source (um 1895), das die Nachahmung eines Steinreliefs mit einem weiblichen Akt darstellen soll, hat Renoir für Paul Gallimard (1850–1929) gemalt. 24 Renoirs handwerkliche Ausbildung ist in zweierlei Hinsicht relevant für sein späteres Schaffen. Zum einen findet die Auseinandersetzung mit der Kunst des 18. Jahrhunderts in seiner Malerei eine Fortsetzung. Zum anderen prägt es Renoirs

17 Zu Renoirs Herkunft siehe Patry 2012a.

18 Zur Entwicklung und Bedeutung der Porzellanproduktion in Frankreich siehe Dobler 2015; Rochebrune 2002.

19 Vgl. Patry 2012a, S. 55–58.

20 Zur Porzellanherstellung in Sèvres siehe Dobler 2015, S. 9 0.

21 Vgl. Patry 2012a, S. 58 f

22 Vgl. ebd., S. 61.

23 Vgl. ebd., S. 61 f

24 Vgl. Bell 2019, S. 6 4–67.

künstlerisches Selbstverständnis. Renoir hat sich als „Malarbeiter“ 25 gesehen und in seinen Texten eine Verbindung von Kunst und Handwerk propagiert. 26 Durch das Aufgreifen von Kleidern und Stoffen schlägt der Maler einen Bogen zu den angewandten Künsten und seinen Anschauungen, die insbesondere in den Bildern hervortreten, die weibliche Figuren bei der Handarbeit zeigen.

Noch während seiner Zeit bei Lévy Frères nahm Renoir an den Abendkursen des Bildhauers Louis-Denis Caillouette (1790–1868) teil, um das Zeichnen zu lernen. 27 Im April 1862 wurde er an der École des beaux-arts angenommen, zuvor, seit 1861, besuchte er das Atelier des Schweizer Malers Charles Gleyre (1806–1874), das seit 1843 bestand und neben der Académie Suisse und noch vor der Gründung der Académie Julian sowie der Académie Colarossi als private Lehrstätte fungierte, die junge Künstler als Vorbereitung auf ihre Ausbildung an der École des beaux-arts oder zusätzlich dazu besuchen konnten. 28 In Gleyres Atelier hat Renoir Alfred Sisley (1839–1899), Frédéric Bazille (1841–1870) und Claude Monet (1840–1926) kennengelernt, mit denen er nach seinem Studienabbruch an der École des beaux-arts und im Atelier Gleyre im Jahr 1864, weiter zusammenarbeitete. 29 Das erste Bild, mit dem Renoir, noch als Gleyres Schüler, im Salon (1864) reüssierte, zeigte Esmeralda aus Victor Hugos Notre Dame de Paris (1831). Trotz des Erfolgs, am Salon teilnehmen zu dürfen, zerstörte der Maler das Werk nach der Ausstellung. 30 Im Jahr 1865 reichte Renoir neben Soirée d’été 31 das Porträt William Sisleys (1864) ein, das den Vater des Freundes zeigt. Von den Kritikern wurden die Bilder nicht beachtet, jedoch erhielt Renoir daraufhin zwei neue Porträtaufträge. 32 Seit dem Bildnis der neunjährigen Romaine Lacaux (1864) wurde Renoir zudem von Eltern immer wieder als Maler für Kinderporträts empfohlen. 33 Renoir hat sich auf diese Weise im Laufe der 1860er- und 1870er-Jahre zu einem bekannten Porträtmaler entwickelt. Seinen Durchbruch feierte er jedoch erst mit dem Bildnis Marguerite Charpentiers (1848–1904), das 1879 an prominenter Stelle im Salon ausgestellt wurde und dem Künstler eine größere Bekanntheit verschaffte. 34 Auffällig ist, dass es in Renoirs Bildern nicht lediglich um die

25 Renoir, J. 1991, S. 202.

26 Vgl. Patry 2012a, S. 6 4 f .

27 B ei seiner Aufnahme an der École des beaux-arts nannte Renoir Caillouette als seinen Lehrer. Vgl. De Butler 2012, S. 81.

28 Vgl. Kropmanns 2012, S. 239.

29 Vgl. De Butler 2012, S. 86.

30 Vgl. Distel 2010, S. 37, S. 39. Esmeralda war wahrscheinlich nicht das erste Werk, das Renoir an den Salon sandte. 1863 reichte er ein Gemälde ein, das eine Nymphe und einen Faun zeigte. Dieses wurde jedoch vom Salon abgelehnt. Renoir hat es daraufhin vernichtet. Vgl. ebd., S. 37.

31 Auch dieses Werk wurde wahrscheinlich zerstört. Vgl. ebd., S. 4 5.

32 E s handelt sich hier um die Aufträge des amerikanischen Obersts Barton Howard Jenks und der Schauspielerin Mademoiselle Sicot. Vgl. ebd.

33 Vgl. ebd., S. 39.

34 M arguerite Charpentier und ihr Ehemann Georges Charpentier gehörten zu den ersten Sammlern der Impressionisten, und der Salon der Charpentiers diente als Treffpunkt für Künstlerinnen und Künstler sowie Schriftstellerinnen und Schriftsteller. Vgl. Patry 2012b, S. 100 f

Personen geht. Er schenkt auch den Kleidern, die sie tragen, sowie den Räumen, in denen sie sich befinden, viel Aufmerksamkeit. Es scheint, das Porträtieren diene als Vorwand, um sich mit Kleidern und Stoffen auseinanderzusetzen. „Ich liebe schöne Stoffe, schimmernde Seiden, funkelnde Diamanten – aber eine schreckliche Vorstellung, daß ich mich selbst damit behängen müßte! Also bin ich den andern dankbar dafür, wenn sie es tun –vorausgesetzt, daß ich sie malen darf!“35, soll Renoir gesagt haben. Textilien werden in seinen Arbeiten dabei nicht mimetisch wiedergegeben. Sie interessieren Renoir, wie wir hier sehen werden, nicht so sehr in ihrer realen Erscheinung, sondern vielmehr als ein Zusammenspiel verschiedener Formen und Farben, Rhythmen, Muster und Texturen. Ausgehend von dieser Beobachtung, wird hier die bildimmanente Bedeutung von Kleidern und Stoffen in Renoirs Werken erörtert. Dies geschieht in vier Themenkomplexen, die jeweils eine andere Form des Textilen fokussieren und dieses unter anderen Gesichtspunkten betrachten. Während sich der erste Teil der Arbeit mit der Darstellung von Mode in Renoirs ganzfigurigen Bildnissen sowie der spezifischen Präsentation von Hüten befasst. Wird im zweiten Teil das Augenmerk auf Renoirs Bildräume gelenkt und herausgearbeitet, welche Auswirkungen der Einsatz stofflicher Elemente auf der motivischen und das Heranziehen des Textilen auf der kompositionellen Ebene auf das Bildganze haben. Abschließend wird die Verschränkung des künstlerischen Prozesses mit der Textilproduktion beleuchtet, die die Bilder der Handarbeit thematisieren.

Kleider und Stoffe in der Kunst

Mit dem Fokus auf Kleider und Stoffe knüpft die Arbeit an die kunstwissenschaftliche Auseinandersetzung mit dem Textilen an, wie sie im Rahmen des Forschungsprojekts

TEXTILE – An Iconology of the Textile in Art and Architecture an der Universität Zürich angestoßen wurde. Das interdisziplinäre Forschungsvorhaben setzte sich ausgehend von der Feststellung, dass innerhalb der kunsthistorischen Forschung Textilen, trotz ihrer kulturellen Bedeutung, wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde, das Ziel, die historische Bedeutung, Funktion und Theorie des textilen Mediums in der Kunst vom Mittelalter bis zur Gegenwart gattungsübergreifend zu untersuchen. 36 In der im Rahmen des Projekts herausgegebenen Textile Studies -Reihe werden in Gemälden zu sehende Kleider und Stoffe über ihren sozialhistorischen Zusammenhang und Symbolgehalt hinaus bis in ihre Mikrostruktur untersucht. 37 Dieser Ansatz, dem die Idee zugrunde liegt, die in Bildern dargestellten Textilien beeinflussten die Lesart der Werke, soll auch für Renoirs Malerei fruchtbar gemacht werden. Insgesamt ist in der kunstwissenschaftlichen sowie modewissenschaftlichen Forschung der letzten Jahre ein verstärktes Inte -

35 Renoir, J. 1991, S. 91.

36 Vgl. https://www.khist.uzh.ch/de/chairs/neuzeit/res/finproj/textile.html.

37 Vgl. Zitzlsperger 2010b, S. 7; Ganz/Rimmele 2012. Zu Mikrostrukturen des Textilen im Bild siehe Kirves 2018; Kapustka 2015.

resse an der vestimentären Erscheinung der Figuren in Bildern und skulpturalen Arbeiten aufgekommen. So beleuchtet Aileen Ribeiro in ihrem 2017 erschienenem Buch Clothing Art. The visual culture of fashion, 1600–1914 die Darstellung von Kleidern in der Malerei zwischen dem 17. Jahrhundert und dem Ersten Weltkrieg (1914–1918) und untersucht das Wechselverhältnis zwischen der realen und der gemalten Kleidung. Im Vordergrund steht insbesondere der Frage, wie die Entwicklungen der Mode in die Kunst übertragen und künstlerisch interpretiert werden. 38 Die Ausstellung Fashion Drive. Extreme Mode in der Kunst, die 2018 im Kunsthaus Zürich stattfand, beschäftigte sich mit ähnlichen Aspekten und beleuchtete, ab wann eine Auseinandersetzung mit der Mode in den Künsten auszumachen ist und, inwiefern in künstlerischen Darstellungen Ausprägungen des Vestimentären reflektiert werden. Dabei wurde ein Blick auf die Entwicklung der Mode und ihre Resonanz in der Malerei von der Renaissance bis zur Nachkriegszeit geworfen. 39 Die Katalogbeiträge skizzieren die historischen Hintergründe nach40 und setzen sich mit klassenspezifischen Besonderheiten sowie Kleiderordnungen41 auseinander.

Dass die Porträtkunst aufs Engste mit der Mode verbunden ist, verdeutlichte die Ausstellung L’Impressionnisme et la Mode im Musée d’Orsay (2012). Der Fokus der Schau war auf die Malerei der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts gerichtet, also auf eine Zeit, in der Mode infolge modernisierter Produktions- und Verkaufsweisen zunehmend von der breiten Masse konsumiert wurde, und die Nachfrage nach Porträts aufgrund einer neuen, aus dem bürgerlichen Milieu stammenden Auftragsgeberschicht anstieg.42 Die Ausstellung gewährte einen Blick auf den sich neu entwickelnden Mode-Konsum ab der Mitte des 19. Jahrhunderts, veranschaulichte, wie dieser in der zeitgenössischen Malerei und Literatur verhandelt wurde und schlug einen Bogen zu den populären Medien und der Fotografie, um das Spektrum der Modebilder ab 1850 aufzuzeigen. Die zentrale Figur in diesem Zusammenhang ist die Parisienne – e in Typus, der mit der Entwicklung der französischen Hauptstadt zur Mode-Metropole in der Mitte des 19. Jahrhunderts in Erscheinung trat und die modebewusste Pariserin figurierte – dies machte die Ausstellung ebenfalls anschaulich.43 Der Typus der Parisienne ist aus der Malerei ab 1850 nicht mehr wegzudenken und wird auch von Renoir in mehreren Bildern aufgegriffen. Eingehend wurde die künstlerische Auseinandersetzung mit diesem Typus im Rahmen der Bremer Ausstellung Monet und Camille – Frauenportraits im Impressionismus an Claude Monets

38 Vgl. Ribeiro 2017, S. 31 f .

39 Vgl. Hug 2018, S. 2 8–30.

40 Vgl. McNeil 2018.

41 Vgl. Jakob 2018; Vinken 2018.

42 Vgl. Tinterow 2012, S. 30–32; Beyer 2002, insb. S. 291–296. – Bei Émile Zola heißt es zu der Fülle an Porträts im Salon: „Die Flut von Porträts steigt jährlich an und droht den ganzen Salon zu überschwemmen. Die Erklärung hierfür ist einfach: Kunst wird fast nur noch von Leuten gekauft, die ihr Porträt haben wollen.“ Zola 1994c, S. 94.

43 Vgl. Groom 2012.

ganzfigurigem Bildnis Camille (1866) untersucht. Neben einer ausführlichen Kontextualisierung des Gemäldes, wurde in den Katalogbeiträgen insbesondere die Frage nach der Gattung erörtert, werden in dem Werk doch mehrere Bildtraditionen miteinander verwoben. Außerdem wurde Camille Parisienne-Bildern zeitgenössischer Salonmaler gegenübergestellt, um Monets Behandlung des Textilen anschaulich zu machen. Während beispielsweise Alfred Stevens (1823–1906) die Kleider seiner Figuren in feinmalerischer Manier präsentiert,44 treten Stoffe in Monets Malerei als Farbflächen ins Bild, die sich teilweise aus dick aufgetragener Farbe generieren,45 wodurch auch die haptischen Qualitäten des Dargestellten hervorgehoben werden. Gleiches lässt sich ebenfalls b ei Renoir beobachten. Seine Bilder zeugen von einer intensiven Auseinanders etzung mit der materiellen Beschaffenheit verschiedener Gewebe, 46 was sich in ihrer stofflich anmutenden Wirkung niederschlägt. „Er malt wie mit Wollknäueln“,47 sagte Edgar Degas (1834–1917) gegenüber Ambroise Vollard (1866–1939) über Renoirs Malerei.

Renoir-Rezeption

Dass Renoir, anders als Monet, nicht im modernistischen Kontext gelesen wurde, hängt damit zusammen, dass er nach seinen großen Retrospektiven,48 in denen er gefeiert wurde, allmählich ins Abseits geriet.49 Wie Anne Distel in der Einleitung ihrer RenoirMonografie anmerkt, schwand das Interesse an Renoir im 20. Jahrhundert, da er als reaktionär, antisemitisch und misogyn wahrgenommen wurde. 50 Zudem wurde der künstlerische Wert der Renoir’schen Werke revidiert, die aufgrund ihrer scheinbar naiven Themen als kitschig empfunden wurden. So beschreibt André Fermigier Renoir in seinem Text zur Londoner Ausstellung als einen „wenig revolutionären Künstler“, 51

44 Vgl. Hansen 2005d, S. 127.

45 Vgl. Haase 2002, S. 6 9.

46 Vgl. Sagner 2011, S. 39.

47 Vollard 1980, S. 57.

48 I m Jahr 1892 fand eine Renoir-Retrospektive in der Galerie Durand-Ruels statt, in der 110 Arbeiten ausgestellt waren. Weitere Retrospektiven folgten in den Jahren 1904 (Salon d’Automne, zusammen mit Cézanne), 1910 (9. Biennale von Venedig), 1933 (Musée de l’Orangerie), 1937 (Metropolitan Museum of Art). Im Jahr 1913 wurden fünf Werke im Rahmen der Armory Show in New York gezeigt, im Jahr 1920 präsentierte der Salon d’Automne Renoirs Spätwerk, 1938 widmete das Philadelphia Museum of Art Renoir eine Ausstellung, und 1942 waren die Werke des Künstlers nochmals bei Durand-Ruel in New York zu sehen. Vgl. Patry 2010c, S. 367 f .

49 Vgl. Distel 2010, S. 18.

50 Vgl. ebd. Barbara Ehrlich White hat dargelegt, dass Renoir mit jüdischen Künstlern befreundet war, jedoch in der Dreyfus-Affäre auf der Seite der Gegner von Alfred Dreyfus (1858–1935) stand und davon überzeugt war, dass der Offizier Landesverrat begangen hatte. Vgl. Ehrlich White 2010, S. 210 f . Auch in Julie Manets Aufzeichnungen finden wir Hinweise zu Renoirs Haltung. Siehe Manet 1989, S. 148. Zu Renoirs Frauenbild aus feministischer Sicht siehe Garb 1998, S. 145–177; Nochlin 2006, S. 3 –53; Ehrlich White 1973. Zu Renoirs gesellschaftlichen Anschauungen siehe Herbert 2000, S. 1–24.

51 Fermigier 1986, S. 119.

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