PLAKATFRAUEN FRAUENPLAKATE
JUGENDSTILPLAKATE IN WIESBADEN EINE NEUE
DAUERHAFTE BEZIEHUNG
JUGENDSTIL!
DANIELLE NEESS IM GESPRÄCH MIT PETER FORSTER
PLAKATE SAMMELN MAXIMILIAN KARAGÖZ IM GESPRÄCH MIT PETER FORSTER
»OHO, EINE DAME«
FRAUEN GESTALTEN PLAKATE VOM KÜNSTLERINNENPLAKAT ZUM REKLAMEPLAKAT
PETRA EISELE
DER MÄNNLICHE BLICK – EINDEUTIG!
JUGENDSTIL UNTER STROM PETER FORSTER
IMPRESSUM
DJUGENDSTILPLAKATE IN WIESBADEN EINE NEUE DAUERHAFTE BEZIEHUNG
as Werbeplakat ist eine Erfindung des 19. Jahrhunderts, die im Fin de Siècle einen Höhepunkt erlebte.
Tatsächlich finden sich zwischen dem Medium Plakat, dem Museum Wiesbaden und der Stadt Wiesbaden interessante Parallelen.
Das Museum Wiesbaden wurde 1825 gegründet und feiert 2025 sein 200-jähriges Bestehen. Bis zum heutigen Tag verströmt es etwas von jenem aufklärerischen Geist des 19. Jahrhunderts, als sich die damaligen Institutionsgründungen gern als Universalmuseen verstanden und ihren Bildungsauftrag so definierten, dass die Welt als ein Geflecht von Beziehungen durch unterschiedliche Sammlungszweige sichtbar und entsprechend präsentiert wird.
Diese thematische Vielfalt spiegelt sich auch in der werbenden Plakatkunst wider, die für völlig unterschiedliche Produkte und Themen warb und wirbt.
Der heutige Museumsbau, vom Jugendstil-Architekten Theodor Fischer entworfen, wurde 1915, mitten im Ersten Weltkrieg, eingeweiht. In der Ausstellung Plakatfrauen. Frauenplakate ist in ebendiesem Museum der Krieg in Proklamationen und Aufrufen an das patriotische Nationalgefühl präsent.
Die Stadt Wiesbaden erlebte als Weltkurstadt ihre prägendste Zeit um die Jahrhundertwende und lebt und wirbt bis zum heutigen Tag mit diesem einzigartigen Erbe.
Zu den herausragendsten und stilbildenden Vertretern der Reklamekunst zählt der gebürtige Wiesbadener Ludwig Hohlwein (1874–1949), der mit zahlreichen Arbeiten in der aktuellen Ausstellung vertreten ist und zu den innovativsten Gestaltern in Deutschland überhaupt zählt.
Einer der prominentesten Plakatsammler der Zeit war Hans Sachs (1881–1974), aus dessen ursprünglicher Sammlung viele der ausgestellten Plakate stammen. Er war 1905 einer der sechs Gründer des »Vereins der Plakatfreunde« und besaß eine bedeutende Sammlung von mehreren Tausend Exemplaren Gebrauchsgrafik. Als Jude musste er 1938 Deutschland verlassen und seine Sammlung aufgeben. Sein Antagonist ist Ludwig Hohlwein, der schon vor 1933 für die NSDAP arbeitete und in der Nazizeit das visuelle Erscheinungsbild des Regimes prägte.
Mit der ungeheuren Präsenz im öffentlichen Raum und der zunehmenden Qualitätssteigerung hin zum künstlerisch gestalteten Plakat wuchs rasch die Anerkennung der Plakatkunst als
eigenständige Kunstgattung. Die Sammelleidenschaft erwachte; das Werbebild wurde ein begehrtes Sammlerobjekt. Dieser Liebe zum Plakat ist der Wiesbadener Sammler Maximilian Karagöz bereits erlegen. Innerhalb kurzer Zeit gelang es ihm, eine umfangreiche, renommierte Sammlung zusammenzutragen. Ihm beziehungsweise seiner großzügigen Schenkung ist es zu verdanken, dass sich jetzt im Museum Wiesbaden auch deutsche Reklameplakatkunst des Jugendstils befindet. Der ersten und sicherlich nicht letzten Zusammenarbeit mit zahlreichen
Leihgaben aus seiner Sammlung verdanken wir die Ausstellung Plakatfrauen. Frauenplakate. Maximilian Karagöz sei an dieser Stelle herzlich gedankt!
Aus den vielen Themen, die sich zum Thema Plakat anbieten, haben wir uns für eines der Kernthemen entschieden: Wir wollen das wechselvolle Verhältnis zwischen dem Plakat als künstlerisch-gestalterischem Medium und der Rolle von Frauen thematisieren. Plakatfrauen. Frauenplakate zeigt die vielfältigen Rollen von Frauen, wie sie auf großformatigen Plakaten in der Öffentlichkeit dargestellt wurden. Diese Plakate setzten verschiedene Rollen des Weiblichen gestalterisch gekonnt in Szene und vermittelten sie so der Gesellschaft. Sie führen uns vor Augen, welches Verhalten sozial erwünscht war, welche Freiräume denkbar, aber auch welche Grenzen nicht verhandelbar waren.
Für den männlichen Plakatentwerfer war die Frau das Modell, das vielfältig wiedergegeben wurde. Plakatfrauen. Frauenplakate präsentiert aber auch Plakate, die von Frauen entworfen wurden. Sie verdeutlichen, dass Frauen bereits in einer Zeit als professionelle Plakatgestalterinnen tätig waren, in der sie noch stark mit Vorurteilen gegen ihr Geschlecht zu kämpfen hatten. Die Entwürfe von Grafikerinnen zeigen das wachsende Selbstbewusstsein von Frauen, sich von kunsthandwerklichen Unikaten ebenso wie von kleinen Formaten zu verabschieden und stattdessen mit großformatigen und in hoher Auflage reproduzierbaren Plakaten an die Öffentlichkeit zu treten: Emanzipation durch Plakatgestaltung. An dieser Stelle sei Petra Eisele
Ludwig Hohlwein (1874–1949)
Walhalla Theater Wiesbaden
Druckwerkstatt unbekannt 1900
Postkarte
Farblithografie
14,2 × 9 cm
Sammlung
Nikolas Werner Jakobs, Dauerleihgabe Museum Wiesbaden
gedankt. Sie hat mit ihrem Forschungsprojekt an der Hochschule Mainz UN/SEEN zu Grafikerinnen in der Zeit von 1865 bis 1919 die inhaltliche Anregung zu der Ausstellung gegeben. Wir konnten sie als Autorin für den Katalog und als Ko-Kuratorin der Ausstellung gewinnen.
Ohne eine weitere bedeutende Frau wären weder Ausstellung noch Katalog möglich. Danielle Neess hat sich nach dem Tod ihres Mannes, des Stifters der bedeutendsten Privatsammlung des Jugendstils und Art Nouveau, die sich jetzt im Museum Wiesbaden befindet, auch der Plakatkunst geöffnet. Dabei liegt ihr Fokus auf den großartigen französischen Plakaten. Zwar ist sie der »Affichomanie« noch nicht erlegen, aber wer weiß, was die Zukunft bringt!
Wie immer hat das Team des Museums Wiesbaden die Ausstellung in allen Phasen engagiert und professionell begleitet. Hier gilt unser besonderer Dank Yaneliz Fobugwe, die ein Freiwilliges Soziales Jahr bei uns verbringt und sich schnell und sorgfältig in alle Bereiche eingearbeitet hat. Herzlich bedanken wir uns auch bei den Büchermachern Reschke & Kruse für die wie stets umsichtige Begleitung der gesamten Katalogproduktion und die gelungene Realisation des Buches sowie dem Deutschen Kunstverlag, der die Publikation in sein Programm aufgenommen hat.
Dieser Katalog ist der Auftakt zu JUGENDSTIL! Schriftenreihe Danielle und Ferdinand Wolfgang Neess im Museum Wiesbaden Danielle Neess unterstützt diese Publikationen auch finanziell umfänglich und erweist somit der Erforschung von Jugendstil, Art Nouveau und Symbolismus einen unschätzbaren Dienst. Dafür gebührt ihr unser großer Respekt und Dank!
Andreas Henning
Peter Forster Direktor Kurator
E»OHO, EINE DAME«
FRAUEN GESTALTEN PLAKATE
VOM KÜNSTLERINNENPLAKAT
ZUM REKLAMEPLAKAT
PETRA EISELE
nde des 19. Jahrhunderts entwickelte sich in Frankreich und Großbritannien eine neue Auffassung von Plakatgestaltung. Großformatige Bildplakate brachten neue Themen und Motive in den öffentlichen Raum; gleichzeitig vermittelte diese neue »Kunst der Straße« sehr anschaulich und unmittelbar »moderne« grafische und/oder typografische Gestaltungsmittel. Auch in Deutschland wandten sich junge Künstler:innen gegen den Historismus und nahmen mit dem nach der 1896 gegründeten Zeitschrift Jugend benannten Jugendstil eine neue Haltung ein, die sich in besonderem Maß für eine neue hierarchielose Einheit der Künste einsetzte: Architektur und alle Bereiche der Innenausstattung hatten denselben Stellenwert. In diesem Kontext wurde auch die Unterscheidung zwischen künstlerischer Druckgrafik und Plakatgestaltung aufgehoben – eine Neubewertung, die für den gebrauchsgrafischen Bereich besonders wichtig werden sollte. Jetzt entstanden Künstlerplakate, die sowohl formal als auch hinsichtlich der Rolle ihrer Entwerfer:innen neu waren. Es waren starke Künstler:innenpersönlichkeiten, die in diesem Bereich an Prestige gewannen, gerade weil sie sich nun auch dem kommerziellen Bereich zuwandten und in der Lage waren, alltägliche Produkte mit einem qualitativ hohen ästhetischen Anspruch darzustellen. Henry van de Velde, Thomas Theodor Heine oder Hans Christiansen verkörperten diese erste Generation der Plakatkünstler:innen, die sich, der Idee des Gesamtkunstwerks folgend, dem gebrauchsgrafischen Bereich zuwandten. Nach der Jahrhundertwende avancierten Edmund Edel, Hans Rudi Erdt, Julius Gipkens, Lucian Bernhard, Julius Klinger und Ludwig Hohlwein zu Stars einer neuen Plakatszene in Deutschland, die, formalästhetisch wie inhaltlich auf das Notwendigste reduziert, eigenständige gestalterische Positionen erarbeiteten und mit dem Sachplakat auch international zum Vorbild avancierten. Doch das Künstlerplakat als »Königsdisziplin« des Grafikdesigns war keinesfalls ausschließlich in Männerhand.
Frauen als Reklame- und Plakatgestalterinnen
Bislang ist kaum bekannt, dass damals auch Frauen als Reklame- und Plakatgestalterinnen arbeiteten.1 Im Kontext der Jugendstilbewegung wurden Gestalterinnen wie Tila Steinmann (1876–1945) oder Käthe Münzer (1877–1959) bekannt, die an Plakatwettbewerben etwa für die Marke »Pelikan-Farben« der Firma Günther Wagner, Hannover, erfolgreich teilnahmen
und Preise errangen.2 Andere Zeichnerinnen wie Julie Wolfthorn (1864–1944) waren als Illustratorinnen beispielsweise für die Zeitschrift Jugend erfolgreich und erhielten Aufträge der Berliner Kunstanstalt Hollerbaum & Schmidt.3 Später ließen dort auch erfolgreiche Gestalterinnen wie Änne Koken (1885–1919), Grete Gross (1890–unbekannt), Charlotte Rollius (1862–1946) oder Clara Möller-Coburg (1869–1918) ihre Plakate drucken.
Bereits diese Beispiele verdeutlichen, dass Frauen sehr wohl in der neu entstehenden Plakatszene ihren Platz gefunden hatten, wenn auch in verhältnismäßig geringer Anzahl.
Ausbildung
Das war durch die ungleichen Ausbildungsbedingungen bedingt. 1908/09 wurde Frauen in Deutschland zwar das Immatrikulationsrecht gewährt,4 ein Studium an einer staatlichen Kunstakademie blieb ihnen jedoch bis 1919 verwehrt. Frauen sollten sich entsprechend den Rollenvorstellungen der damaligen Zeit im häuslichen Bereich betätigen. Dieses Rollenmodell fußt auf der Vorstellung des sogenannten natürlichen Geschlechtscharakters der Frau, wie sie in Philosophie, Theologie, Medizin und anderen Bereichen seit Ende des 18. Jahrhunderts ausführlich beschrieben worden war.5 Demnach waren Frauen keine mündigen Menschen, sondern benötigten eine Geschlechtsvormundschaft, die durch Vater, Bruder oder Ehemann ausgeübt werden sollte. Aufgrund der ihnen zugewiesenen »natürlichen Geschlechtseigenschaften« wie Tugend, Sittsamkeit und Fleiß bestand die ihnen zugedachte Rolle in der der Ehefrau und Mutter. Dieses Rollenkonzept sorgte für eine Trennung der gesellschaftlichen Räume: Frauen sollten als »Hausfrauen« im Privaten wirken, während Männer außer Haus in die Öffentlichkeit traten.6 Derart dem dekorativen häuslichen
Henriette Hahn-Brinckmann (1862–1934)
Einladung zur Plakat-Ausstellung des Hamburger
Kunstgewerbemuseums 1896
Holzschnitt
27,5 × 20 cm
Von Frauen für Frauen
Um 1900 faszinierten nicht nur die Ästhetiken weiblicher Körper, sondern auch eine genuine, vermeintlich feminine »Sprache« von Künstlerinnen und zunehmend auch von Gestalterinnen. 1898 veröffentlichte die besonders fortschrittliche Zeitschrift Jugend eine spezielle DamenAusgabe, die ausschließlich von Frauen gestaltet wurde.13
Plakatgestaltung von Frauen warb auch für rollenkonforme Produkte, wenngleich die Anzahl weiblicher Gestalterinnen im Verhältnis zu ihren männlichen Pendants gering war. »Piano-Plakate« gehörten zu diesem Genre, das traditionellen Rollenklischees entsprach und elegante Damen der höheren Gesellschaft selbstversunken in ihrem Klavierspiel darstellte. Von Ethel Reed (1874–1912) beispielsweise ist mit Albert Morris Bagby’s new novel. Miss Träumerei (Abb. S. 28) ein frühes Plakat bekannt, das sich bis heute in großen nationalen Plakatsammlungen, wie etwa dem Hamburger Museum für Kunst und Gewerbe oder der Berliner Kunstbibliothek, befindet.
Im Gegensatz dazu ist das Plakat von Margarethe Friedlaender für den Berliner Pianohersteller Manthey (Abb. S. 29) formal stark reduziert: In diesem Plakat füllt allein eine Dame im roten Kleid am Klavier im besten Sinne selbstbewusst die Bühne. Gestalterisch gekonnt, werden nur diejenigen Mittel eingesetzt, die unbedingt notwendig sind: die beiden seit Gutenberg essenziellen Druckfarben Schwarz und Rot; das Bildmotiv und der Schriftzug in einer elegant wirkenden Typografie, einer eigens gezeichneten Antiqua, die souverän optisch ausgeglichen ist, gerahmt durch einen schmalen schwarzen Rahmen, oben links prononciert mit »FRIEDLAENDER« signiert. Beeindruckend ist vor allem die moderne Flächigkeit der Motive, die sich die Technik der Farblithografie zunutze macht. Die asymmetrische Platzierung auf der weißen Papierfläche sowie der Verzicht auf detailreiche Ausführungen zeigt Friedlaenders großes zeichnerisches Talent. Tatsächlich gibt es einige Gestalterinnen, über die keine Lebensdaten oder weitere Informationen bekannt sind. Auf Rosa Bruntsch weist bisher einzig ihr Plakat Skating Rink hin, das von der Kunstdruckerei Arthur Albrecht & Cie in Karlsruhe gedruckt wurde (Abb. S. 30). Auch die Datierung ist unklar, kann jedoch grob rekonstruiert werden: Wird zum einen berücksichtigt, dass in Karlsruhe 1910 eine Rollschuhbahn eröffnet wurde, und zum anderen die formalästhetische Reduktion der gestalterischen Mittel, die ebenso stark ist wie bei Margarethe Friedlaenders Manthey-Plakat, liegt eine Datierung um 1910 nahe.14 Denn gerade hier liegt der Unterschied:
Anonym
Anzeige zur Neu-Eröffnung der Karlsruher Rollschuhbahn 1910
Badische Presse 30. April 1910
Rosa Bruntsch Skating Rink
Erste Karlsruher Rollschuhbahn
Kunstdruckerei
Arthur Albrecht & Cie, Karlsruhe 1910
Farblithografie 90 × 57,2 cm
Plakatsammlung
Maximilian Karagöz
MDER MÄNNLICHE BLICK – EINDEUTIG!
JUGENDSTIL UNTER STROM
PETER FORSTER
it der Erweiterung und Öffnung des künstlerischen Denkens im Jugendstil hin zur Plakatkunst, die werblichen Zwecken diente und doch zugleich einen künstlerischen Anspruch vertrat, findet die Durchdringung von Kunst und Leben, von sogenannter freier und angewandter Kunst, exemplarisch statt.
Loïe Fuller und das »feurige« Plakat
Ausgehend von Großbritannien unter dem Begriff Arts and Crafts Movement, in Frankreich und Belgien bekannt als Art Nouveau, in Wien als Secessionsstil und in Spanien als Modernismo, ist der Jugendstil als gesamteuropäische Bewegung zu verstehen. Der Jugendstil forderte eine seiner Zeit angemessene Kunst und wollte sich nicht an vorangegangenen Stilen und Strömungen ausrichten. Angelehnt an die Dynamik und Formenvielfalt der Natur zeichneten viele Werke schwungvolle, elegante Linien und ornamentale Verzierungen aus; als wesentliche Faktoren sind auch Licht und grafische Elemente zu nennen. Im Sinne der Idee des Gesamtkunstwerkes waren die Kunstschaffenden in ganz unterschiedlichen Bereichen schöpferisch tätig. Um 1900 stellte Gaslicht generell noch die vorherrschende Beleuchtungstechnik, aber der Siegeszug der Glühlampe und damit die Elektrifizierung war nicht mehr aufzuhalten. Die Entscheidung gegen das Gaslicht und für die moderne elektrische Beleuchtung veränderte die damalige Lebenswelt und den Lebensrhythmus der Menschen signifikant. Elektrisches Licht war eine der entscheidenden Grundlagen der Industrialisierung; dank elektrischem Licht wurde nun in den Fabriken rund um die Uhr im Schichtbetrieb gearbeitet, in den explodierenden Großstädten wurden die Nächte durchgetanzt. Und natürlich profitierte auch die Werbung von der neuen Entwicklung: 1898 wurde in Berlin die erste »Lichtwerkanlage« mit Reklame für Manoli-Zigaretten installiert, die in die Weite der Dunkelheit hineinstrahlte.
Den Künstler:innen des Jugendstils, dieser revolutionären Kunstrichtung an der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert, gelang es, das elektrische Licht als neues Medium in ihre Werke zu integrieren. Form und Funktion wurden miteinander verbunden. Eine elektrische Lampe konnte zugleich Kunstwerk als auch Beleuchtung sein.
Es war eine Frau, die nordamerikanische Tänzerin Loïe Fuller (Marie Louise Fuller, 1862–1928), die in ihren Inszenierungen eine völlig neuartige Verbindung aus elektrischem Licht, Farbe und Bewegung schuf. Die Tänzerin, Choreografin und Erfinderin entwarf ihre eigenen Kostüme und entwickelte ein eigenes Beleuchtungssystem; beides ließ sie sich patentieren.
Die mit hohem Personalaufwand betriebenen Scheinwerfer waren mit von ihr selbst kolorierten farbigen Glasplatten versehen, die ihr schleierartiges Kleid in alle Farben tauchten. Fullers Aufführungen bestachen durch nie gesehene atmosphärische Effekte in einem tänzerischen Wechselspiel aus realistischen und abstrakten Formen. Mit den Mitteln der modernen Technik entmaterialisierte sie den Körper in ihren sich ständig bewegenden Seidengewändern und negierte damit alles, wofür das klassische Ballett stand: Körperlichkeit und Erzählung.1 Loïe Fuller schuf Träume aus Licht, Farbe und Bewegung und übertrug sie in den Raum. Die »Göttin des Lichtes« übte einen großen Einfluss auf die Kunst ihrer Zeit aus; Will Bradley, Maurice Denis, Thomas Theodor Heine, Auguste Rodin, Stéphane Mallarmé, James McNeill Whistler und Henri de Toulouse-Lautrec wurden von ihr inspiriert, um nur einige zu nennen. Der Architekt Henri Sauvage (1873–1932) baute auf dem Gelände der Weltausstellung 1900 ein eigenes Theater für sie, der Weltausstellung, bei der das Palais de l’Electricité für Furore sorgte und die Elektrizität endgültig die Moderne einleitete.
Pal (Jean de Paleologue) (1855–1942)
Folies-Bergère
Tous les soirs
La Loïe Fuller
Imp. F. Hermet, Paris um 1897
Farblithografie
132 × 95 cm
Loïe Fuller wurde selbst vielfach zum Gegenstand von Darstellungen, so auch auf Plakaten. Ihr Name ist untrennbar mit dem »Vater des französischen Plakats«, Jules Chéret
(1836–1932), verbunden. Seine wichtigste Inspirationsquelle war London, dort erlernte er die neuesten Lithografietechniken zur Erstellung mehrfarbiger Bildplakate, was ihn nach seiner Rückkehr 1866 in Paris in die Lage versetzte, mit seiner Druckerei in einem neuen Dreifarbdruckverfahren großformatige Farblithografien erstellen. In einem Schritt konnten jetzt Schrift und Bild gemeinsam gedruckt werden, und die Plakate waren wetterfest. 2 Im Zentrum seiner Werke stand immer eine weibliche Figur, jung, attraktiv, oft leicht schwebend und für die damalige Zeit durch ihre verhältnismäßig leichte Bekleidung von großer sinnlicher Ausstrahlung, hinzu kam ein werbender Text. Mit diesem Typus prägte Chéret stilistisch das Frauenbild der Zeit auf dem Plakat. Die nach ihm benannten »Chéretten«, die fröhlichen, eleganten, selbstbewusst wirkenden jungen Frauen, wurden sein Markenzeichen und waren bald aus dem Pariser Stadtbild nicht mehr wegzudenken. Nach ihrem sensationellen Debüt 1892 in Paris, wo sie in den Folies Bergère mit den Tänzen La Serpentine , La Violette , Le Papillon und XXXX auftrat, wurde Fuller bald zur Gallionsfigur des Art Nouveau. Auf den bis heute berühmten Plakaten für das Varietétheater Folies Bergère tanzt sie, scheinbar schwerelos, idealisiert und erotisiert im durchsichtigen Seidengewand, illuminiert von farbigem elektrischem Licht. Es sind diese Farb- und Lichteffekte, die zu einer einzigartigen neuen Darstellungsform im Werbeplakat beitrugen.
Chéret verhalf dem Plakat mit Entwürfen wie diesem zum künstlerischen Durchbruch.
Reduktion und Konzentration auf einzelne Bildfiguren, Aussparung des Hintergrundes, Beschränkung auf wenige Farben, Flächigkeit und Stilisierung, zudem ein überlegtes
Bild-Text-Verhältnis mit gut lesbaren Lettern – sein Stil wurde für viele Plakatkünstler vorbildlich. 3
Auch Pal (Jean de Paleologue, 1855–1942) schuf in der Zeit von 1897 bis etwa 1910 mehrere Fuller-Plakate für denselben Veranstaltungsort, die Folies Bergère (Abb. S. 63). Seine Erfassung ihres ikonischen Feuertanzes zeigt ein bewegtes Drama aus Farbe, Licht und Bewegung.
Es sollte dann Alphonse Maria Mucha (1860–1939) mit seinen weiblichen Figurendarstellungen, die oft mit einem Blumenmeer verschmelzen, und Henri de Toulouse-Lautrec (1860–1939) vorbehalten bleiben, die wohl bis heute bekanntesten Plakatkünstler Frankreich zu werden. Die »Affichomanie«, der Plakatewahn, dem so mancher Sammelnde erlag, erlebte ihren frühen Höhepunkt aber mit Chéret und Fuller.4
Ferdinand Misti-Mifliez (1865–1923)
Fête de Neuilly**
Carvin, Paris 1903
Farblithografie
155,5 × 109,5 cm
Museum Wiesbaden
Sammlung
Ferdinand Wolfgang Neess
Hans Rudi Erdt (1883–1918)
Kloss & Foerster
Rotkäppchen
Hollerbaum & Schmidt, Berlin 1912
Farblithografie
68,4 × 94,5 cm
Plakatsammlung
Maximilian Karagöz
Maurice Biais (1872–1926)
Winter-Garten Saharet
Hollerbaum & Schmidt, Berlin 1902
Farblithografie 71,5 × 95 cm
Plakatsammlung
Maximilian Karagöz
Carl Moos (1878–1959)
Julius Henel vorm. C. Fuchs
Hoflieferant Breslau Sport-Bekleidung
Vereinigte Druckereien & Kunstanstalten
G. Schuh & Cie, München
1911
Farblithografie 124,8 × 92,5 cm
Plakatsammlung Maximilian Karagöz
Georg Franz Rall (1885–1951)
Dernburg:
Teehaus Weinstraße 7**
Münchner
Graphische Kunstanstalt
J. G. Velisch
vor 1907
Farblithografie
125 × 91,8 cm
Museum Wiesbaden
Sammlung
Ferdinand Wolfgang Neess
als Illustratoren für die Berliner Zeitung und die Zeitschrift Das Plakat . 1913 wurden beide Brüder in den Werkbund berufen. Außer Produktreklame, unter anderem für die Deutsche Reichsbahn, Kodak, Henkel, Mülhens, Kaffee Hag, gestaltete Lehmann-Steglitz auch politische Plakate für die Deutsche Demokratische Partei und die Deutsche Volkspartei. Wahrscheinlich starb er 1950 in der Haftanstalt Brandenburg-Görden in sowjetischer Gefangenschaft.
Auf der einen Seite besaß die rauchende Frau eine außerordentliche gesellschaftliche Signalwirkung, auf der anderen Seite spielte die Werbung vornehmlich mit der Attraktivität der gezeigten anonymen Raucherinnen. Ein wunderbares Plakat von Ernst Lübbert (1879–1915), einem immer noch zu entdeckenden Maler und großartigen Illustrator, zeigt um 1911 in seiner Reklame für »Josetti Vera Cigarettes« eine in sich gekehrte, geheimnisvoll wirkende junge Frau – Schönheit und emanzipatorische Geste verbinden sich (Abb. S. 108/109).
Nicht nur die Zigarettenwerbung setzte direkt und indirekt auf erotische Motive und lotete Grenzen des Möglichen aus; vielmehr wurden alle Produkte aus dem Bereich Mode und Körperpflege, alles, was direkt am Körper getragen oder aufgetragen wurde, mit weiblichen Modellen beworben.
Aus heutiger Perspektive dürfte es irritierend anmuten, dass ausgerechnet das »Salamander«-Plakat von Ernst Deutsch-Dryden (1887–1938) aus dem Jahr 1912 für viel Aufregung sorgte. Der von Billy Wilder als »elegantester Mann der Welt« bezeichnete gebürtige Wiener, Kostümbildner, Modedesigner, Grafiker und Zeitungsmacher war einer der führenden Gestalter seiner Zeit. Mit seinem elaborierten Zeichenstil hatte er sich rasch in Berlin einem Namen gemacht, und schon im Alter von 23 Jahren zählte er zu den bedeutendsten Künstlern der deutschen Grafikszene.
Ein zentrales Thema seiner Arbeiten war die mondäne Lebenswelt der Berliner Hautevolee. Auch er arbeitete von 1910 bis 1916 für die renommierte Kunstdruckerei Hollerbaum & Schmidt, für die er bedeutende Werbeplakate schuf. Das 1912 von ihm entworfene Werbeplakat für die Schuhfirma Salamander löste einen Skandal aus, da es die Füße von drei Damen in einem Ausschnitt oberhalb der damals schicklichen Saumlinie zeigte – der Betrachter wurde zwangsläufig zum Voyeur (Abb. S. 112/113). Wesentlich weniger verfänglich war Deutsch-Drydens liebevoll gestaltete Plakatwerbung für das Bekleidungsgeschäft Seidenweberei Michels aus demselben Jahr (Abb. S. 98). Er siedelte 1929 in die USA über und setzte dort seine Karriere als Modemacher und Illustrator fort.
Martin Lehmann-Steglitz (1884–1950[?])
Josetti Juno
Kunstanstalt
Arnold Weylandt, Berlin 1913
Farblithografie
72 × 95 cm
Plakatsammlung
Maximilian Karagöz
Ernst Deutsch-Dryden (1887–1938)
Druckwerkstatt unbekannt
1912
Farblithografie
79,6 × 103,4 cm
Plakatsammlung
Maximilian Karagöz