Hans-Hendrik Grimmling. Malerei von 1978 bis 2024

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Hans-Hendrik Grimmling

Malerei von 1978 bis 2024

Paintings from 1978 to 2024

Herausgegeben von Annegret Laabs

Grimmling

Malerei von 1978 bis 2024

Paintings from 1978 to 2024

Dagegensein

Dagegensein und Hoffnung haben

Über Grimmling als Spannungsgeber

CHRISTOPH TANNERT

AAuf die Frage, was von Hans-Hendrik in dieser Ausstellung besonders heraussticht, würde ich ohne Zögern sagen: alles.

Wie der 1947 in Zwenkau im Landkreis Leipzig geborene, zwischen den späten 1960er und 1980er Jahren in der DDR umtriebige und ab 1986 in West-Berlin lebende Künstler den eigenen Lebensweg und die deutsche Geschichte ineinander spiegelt, wie er anhand von einer Handvoll Zeichen (Vogel, Knoten, Kreuz, Segel) und Formzusammenhängen von Köpfen, Händen, Füßen, Flügeln, Schnäbeln, Messern/Waffen in bildgewordenen Erinnerungen und Fragen ein Selbstporträt und ein Porträt seiner (unserer) Zeit herstellt, das ist oft so farbintensiv wie erhellend. Weil man seinen Bildern nach wie vor zu wenig zutraut, kann man es nicht oft genug sagen: Dieses Gesamtwerk ist eines der brachialsten, auch eindringlichsten Kunstkonvolute unserer immer rigider selektierten Malkunst aus ostdeutscher Herkunft.

Woran liegt das?

Die Gründe mögen verschiedene sein.

Manchmal haben die Bilder von Grimmling etwas Magisches. Nämlich dann, wenn das Nichtgesagte bedeutsamer ist als das Ausgesprochene, wenn Schwarz die Leinwand flutet. Hinter der Formreduktion seiner Bildelemente tun sich Abgründe auf. Dieser Maler ist ein Beschwörer des Unheimlichen. Es gibt durchaus ein Pathos des Schweigens und ein Dröhnen der unausgesprochenen Bedeutungsschwere. Das offenbart sich bereits in seinem wunderbar skeptischen Ich in Leipzig von 1978. Ungemein konzentriert angelegt und dramatisch wie in

seelischer Überspannung. Ein bitterböses, ein wahres, ein außergewöhnliches Bild des Eingeschnürtseins im realen Sozialismus.

Grimmling kam aus der DDR. Als volkseigener Durchschnittsbürger hat er sich jedoch nie gesehen. Wie andere Getürmte navigiert er ganz in der Unendlichkeit seiner Innenwelt. Er wurde heimisch in der Sehnsucht nach den Bildern, die in ihm sind, nach dem ungebremsten Weitermachen, nach den eigenen Fragen, die Gestalt annehmen wollen, nach einem Dennoch. Ursprünglich sollte die hiesige Ausstellung den leicht kryptischen Titel Deshalb tragen. Das wurde verworfen.

Das Deleometer, das seine psychische Rotation um die Ich-Achse und die dabei zu beobachtenden Beeinträchtigungen messen könnte, wurde noch nicht erfunden. Die Luftspiegelungen über der Glut des Gemetzels sind freilich unübersehbar. Grimmling kocht innerlich. Er kann nicht aufhören, seine inneren Schlachten zu kämpfen. Wenn die Beschwichtiger schlafen gehen, schreckt er hoch, auf seinen Wangen der Durchschein des inneren Feuers. Er verhält sich streitlustig. Zeit seines Lebens versteht er sich als politisierendes Wesen. An der Konstellation von Macht, Freiheit und Entfremdung hört er nicht auf, sich zu reiben. Ist er ein Sturkopf, ein ewig unzufriedener Utopist wie die vielen in seinen Bildern strampelnden Mischwesen? Ohne Utopie, weiß Grimmling, kann die Menschheit nicht auskommen. Allerdings ist die Utopie, da ist er sich sicher, nur so lange attraktiv, wie sie nicht verwirklicht wird. Als man in der DDR die Utopie realisieren wollte, wurde es furchtbar. Diese Erfahrung lässt ihn bis heute nicht los. Sie verfolgt ihn bis in seine quälendsten Träume. Rabenschwarz sollte deswegen ein alternativer Ausstellungstitel lauten. Auch darauf wurde schlussendlich verzichtet.

Im Unterschied zu seinem Lehrer, dem Romantiker Wolfgang Mattheuer, war Grimmling zu widerborstig. Verglichen mit seinen Mitverschwörern vom Leipziger Herbstsalon von 1984 ist er in seiner Kunst viel zu emblematisch, zu stringent – viel lauter als Günther Huniat, viel weniger ökologisch bewegt als Olaf Wegewitz, weniger ornamental zeichenhaft verschlüsselt als Frieder Heinze, ruppiger als der Firit in „Technologistan“ und meilenweit entfernt von den Pop-Auftritten Lutz Dammbecks. Der Leipziger Herbstsalon wuchs zusammen als Hilfsgemeinschaft. Das originär Subjektive im Kollektiven aufzugeben – darum ging es nie. Weder ihm noch den anderen.

Grimmling hat einen Hang, zu weit zu gehen, zu viel Affekt in die Debatten zu schleudern, seine Stimme zu schnell zu erheben. Dabei weiß er, dass Kälte und Überschäumen die Kunst töten. Aber gegenüber den rigiden Einschränkungen der DDR-Kulturbürokratie wollte er partout nicht klein beigeben und gegenüber den Zumutungen der Gegenwart auch nicht. Gegen den paternalistischen Staat und seine Widersprüche verschleiernde LosungsWut inszenierte er einen Vogelsturz (der eigentlich eine Paraphrase auf den Ikarus-Absturz war), ein zorniges Trotzdem, ein Dagegen unter der Überschrift der Hasenfüßigen: „Geh nicht zu weit…“.[1] Doch samtpfotige Anpassung war seine Sache nicht. Grimmling riskierte ganz bewusst die Normüberschreitung.

Grimmlings Anrennen gegen die Grenzziehungen des Systems und sein Sich-nicht-abfinden-Wollen mit dem vorhersehbaren Scheitern zeigt sich auf diversen Stufen seiner Karriere. Dieser Wahrnehmungsschock hat ihn gleichwohl nicht zum Schweigen gebracht. Im Gegenteil. Grimmling lässt sich bis heute nicht davon abbringen, sich weiterhin Hoffnungen auf die universelle Freiheit auszumalen.

In der DDR versuchten die Offiziellen frühzeitig, den jungen Grimmling zu umarmen, so wie alle Eleven innerhalb des Verbandes bildender Künstler der DDR. Als diese Strategie nicht aufging, wendete sich der sozialistische Wohlfahrtsstaat gegen ihn, bespitzelte ihn, bremste seine Karriere, schmiedete Pläne zu seiner Verhaftung.[2] Irgendwann warf Grimmling das Handtuch und stellte einen Ausreiseantrag.

Es erhebt sich insofern die Frage nach der „Subversionskraft“ der Bilder dieses Künstlers. Erlebt hat er als klug witterndes political animal jedenfalls genug. Auf jeden Fall erhitzten seine farbsatten Bilder die Einbildung des Publikums.

Bereits als Student in den 1970er Jahren malte er geflügelte Wesen, halb Vogel, halb Ikarus, halb Schneider von Ulm, mit denen er die Erdbindung des Menschen als Unvermögen zum Risiko geistigen Höhenflugs charakterisierte.

So in seinem ersten Triptychon Im Namen der geheiligten Mittel, das Grimmling 1972 im Atelierdurchgang des damaligen 4. Studienjahres als Student an seiner Akademie, der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, präsentierte, unter Rektor Werner Tübke und Fachklassenleiter Wolfgang Mattheuer. Nach der internen Auswertung des Atelierdurchgangs wurde Grimmling nahegelegt, zusätzlich ausgezeichnete Arbeiter des Volkes zu porträtieren. [3] Kritisiert wurde seine „intellektuelle Abgehobenheit“, die in Grimmlings Triptychon mehr oder weniger unverblümt dargestellte Vermessung der Unfreiheit und die Artikulation des allgemein menschlichen Anspruchs auf Öffentlichkeit, auf ungehinderte geistige Freiflüge und darauf, den Käfig eines autoritären Regimes jederzeit verlassen zu können. Seine Kritiker fühlten sich schon damals vom Quälgeist Grimmling irritiert, von einem, der nicht

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