Performance on Display
Performance on Display
— Zur Geschichte lebendiger Kunst im Museum Lisa Beißwanger
Impressum Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein
Layout und Satz: hawemannundmosch, Berlin Druck und Bindung: Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza Verlag: Deutscher Kunstverlag GmbH Berlin München Lützowstraße 33 10785 Berlin www.deutscherkunstverlag.de Ein Unternehmen der Walter de Gruyter GmbH Berlin Boston www.degruyter.com Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Deutscher Kunstverlag GmbH Berlin München ISBN 978-3-422-98448-6 e-ISBN: 978-3-422-98698-5
Inhaltsverzeichnis
Dank 8 Einleitung Annäherung aus der Gegenwart 11 Konturierung des Gegenstands 19 Performance und Museen 22 Perspektive, Argumentationsebenen und Thesen 35 Quellen und Methode 36 Kapitelübersicht 41 Exposition: Lebendige Kunst und die Institution Museum – ein kritisches Verhältnis? Der ›Fall Allan Kaprow‹ – Museumskritik im Namen von Kunst und Leben 43 Drei Fälle performativer Museumskritik um 1970 54 Schlussfolgerung und Ausblick 66
Teil 1: Anbruchspunkte Tanz im white cube? Die Merce Cunningham Dance Company zu Gast im Walker Art Center, Minneapolis, 1972 Einführung 71 Event #32 im Walker Art Center 77 Die Werkgruppe der Events im Kontext von Cunninghams Werk 89 Das Walker Art Center als Ort für Performance 120 Analogien und Synergien 131 Zur Museumskompatibilität der Body Art – Die Ausstellung Bodyworks im Museum of Contemporary Art Chicago, 1975 Einführung 135 Rekonstruktion der beiden Ausstellungsteile 139 Bodyworks im Kontext des Kunst- und Ausstellungsdiskurses der Zeit 170 Body Art und das Museum 186 Ausblick 190
Zur ›Eventisierung‹ des Museums – Avantgarde-Performance trifft Bodybuilding im Whitney Museum of American Art, New York, 1976 Einführung 209 Rekonstruktion des Festivals Performances: Four Evenings, Four Days 211 Verortung des Festivals im Museumsprogramm 236 Downtown-Performance an der Madison Avenue – Institutionalisierung der Avantgarde? 239 Das Symposium Articulate Muscle – Bodybuilding im Museum 245 Zur historischen Bedeutung des Festivals 273
Teil 2: Ökonomie und Politik Performance on Display im Spiegel der Ökonomie – The Foundation of Art Performances and Projects Inc. und die Distribution von Performance Einführung 281 Performance in SoHo – Zur soziökonomischen Situation von Performancekünstler*innen 294 The Foundation of Art Performances and Project Inc. 310 Die Vermittlungsarbeit von API, 1976–1979 319 Zusammenführung 360 »Partially funded by the National Endowment for the Arts« – Performance on Display im Kontext US-amerikanischer Kulturpolitik und Kunstförderung Einführung 371 Kulturpolitik und staatliche Kunstförderung in den USA 380 NEA-Förderung für Performance und Museen in den 1970er-Jahren 399 Zusammenführung 434 Schluss Reflexion der Methode und Ansätze für weiterführende Forschung 442 Synopse der Kapitel 443 Wie kam Performance ins Museum? 445 Produktive Momente 449 Performance on Display als historisches Phänomen 454 Rückkehr in die Gegenwart 455
Anhang Literaturverzeichnis 459 Verzeichnis zitierter und referenzierter Webseiten 485 Audio- und Videoquellen 488 Verzeichnis der Archive und Archivkürzel 490 Verzeichnis der Archivquellen 491 Verzeichnis der Interviews und Interviewkürzel 497 Inflationstabelle 498 Personen- und Institutionenregister 499 Detaillierte Kapitelübersicht 507
Dank
Dieses Buch ist die leicht überarbeitete Version meiner Dissertation, die ich im Januar 2020 an der Justus-Liebig-Universität Gießen verteidigt habe. Die etwa sechs Jahre ihrer Entstehung zeigten mir, wie sehr das Gelingen eines solchen Projektes von Netzwerken individueller wie institutioneller Unterstützer*innen abhängt. Für das Privileg, in solche Netzwerke eingebunden zu sein, bin ich sehr dankbar. Das vorliegende Buch ist deshalb all jenen gewidmet, die zu seinem Gelingen beigetragen haben und jenen, die es mit Interesse und hoffentlich Gewinn lesen werden. Mein erster persönlicher Dank gebührt meiner Doktormutter Claudia Hattendorff, die ihr Vertrauen in mein Projekt und mich als ihre Mitarbeiterin gesetzt hat. Ihr danke ich für die konstruktiv-kritische Begleitung der Arbeit, die Offenheit für meine Ideen und für das Gewähren der nötigen Freiräume für eigenständige Forschung. Ihre Präzision bleibt mir ein Vorbild und unsere nachmittäglichen Espresso-Gespräche gehören zu meinen besonders geschätzten Erinnerungen an die Gießener Zeit. Gleicher maßen bedanke ich mich bei meiner zweiten Betreuerin, Mechtild Widrich, deren Begeisterung für das Thema und deren treffsicheren Kommentare mich immer wieder motiviert und mir Selbstvertrauen gegeben haben. Bessere Betreuerinnen hätte ich mir nicht wünschen können. Ohne praktisches Museumswissen wäre dieses Buch nicht entstanden. Es war Andreas Baur, Leiter der Villa Merkel in Esslingen am Neckar, der mein Interesse für Museumsarbeit und die Kunst der Gegenwart geweckt und gefördert hat. Dafür danke ich ihm von Herzen. Als Volontärin an der Schirn Kunsthalle Frankfurt durfte ich zweieinhalb prägende Jahre mit den Kuratorinnen Ingrid Pfeiffer und Martina Weinhart zusammenarbeiten. Es war Ingrid Pfeiffers Yoko Ono-Retrospektive, 2012/13, die mich für das Thema Performance im Museum sensibilisierte. Neben Yoko Ono lernte ich hier den Künstler und Fluxusexperten Jon Hendricks kennen, der mir zum Mentor und zur Kontaktperson in die US-amerikanische Kunstwelt wurde. In den Gießener Jahren hatte ich das Glück, Teil eines großartigen Kollegiums zu sein. Die gemeinsamen Mensabesuche mit eingeschränkten Geschmackserlebnissen
8
waren eine willkommene Abwechslung vom Schreibtischeinerlei. Ich danke den Kollegen, die mich meine feministische Ader entdecken ließen und allen Kolleg*innen, die mit Gesprächen und kleinen Fluchten für seelisches Gleichgewicht sorgten. Den Studierenden danke ich für anregende Seminare und Exkursionen. Namentlich möchte ich Anna-Lena Habermehl und Linda Hölscher für ihre gewissenhafte technische Unterstützung danken. Dank gebührt auch meinen nicht minder großartigen neuen Kolleg*innen am Fachbereich Architektur der Technischen Universität Darmstadt, die mich mit offenen Armen aufgenommen haben und meinem aus Architektur-Sicht exotischen Promotionsthema mit Neugierde und Anerkennung begegnen. Jürgen Schreiter danke ich für die geduldige Unterstützung mit den Bildvorlagen. Zu besonderem Dank bin ich dem Gießener Graduiertenzentrum GCSC (Grad uate Centre for the Study of Culture) verpflichtet. Ohne die gewährte finanzielle Unterstützung wären die beiden mehrwöchigen Forschungsreisen in die USA nicht möglich gewesen. Mit keinem Geld der Welt ist der am GCSC gepflegte interdiszi plinäre Austausch aufzuwiegen. Hier möchte ich vor allem den Mitgliedern der Research Area 3, Cultural Transformation and Performativity Studies, der AestheticsArbeitsgruppe und des FB 04-Kolloqiums danken. Des Weiteren danke ich allen Teilnehmer*innen des Workshops Art Institutions ↔ Performance Art, den ich mit Unterstützung der Dr. Herbert Stolzenberg-Stiftung durchführen konnte. Für kon struktives Feedback aus kunsthistorischer Perspektive danke ich dem Kolloquium der Professuren für Kunstgeschichte von Claudia Hattendorff, Sigrid Ruby, Silke Tammen (†) und Markus Späth und allen seinen Mitgliedern. Gerald Siegmund und den Kolleg*innen vom Gießener Institut für Angewandte Theaterwissenschaft danke ich für Feedback und anregende Gespräche. Susanne Foellmer und Peter Schneemann danke ich für die Gelegenheit, in ihren Kolloquien in Berlin und Bern vorzutragen und ich danke Claire Bishop und Hannah Higgins für ihr Feedback. Eine archivbasierte Publikation wie diese baut auf die Arbeit zahlreicher Archi var*innen auf. Ihnen gebührt deshalb ein besonderer Dank. Namentlich nennen möchte ich Stephanie Cannizzo (BAMPFA, Berkeley); Nell Donkers (De Appel, Amsterdam); Tracey Schuster (Getty Research Institute, Los Angeles); Mary Richardson, Bonnie Rosenberg und Elyssa Lange (MCA Chicago); Alida M. Brady (Smith sonian American Art Museum, Washington D.C.); Martin Ladinig (steirischer herbst, Graz) und Jill Vuchetich (Walter Art Center, Minneapolis). Magdalena Nieslony danke ich für ihre spontane Recherche-Unterstützung im Getty. Ich danke allen Museumsleuten, die mir in Gesprächen und E-Mails Einblicke in ihre Arbeit gewährten. Dazu gehören Michael Green (Art Institute of Chicago); David Katzive, Lynn Warren und Peter Taub (MCA Chicago); Tom Marioni (MOCA, San Francisco); Anna Janevski, Athena Holbrook und Alethea Rockwell (MoMA, New York); Megan Brian und Martina Haidvogl (SFMOMA, San Francisco) und Joan Rothfuss (Walker Art Center, Minneapolis). Ebenso danke ich allen befragten Künstler*innen und Zeitzeug*innen für ihre Unterstützung, besonders Jane Crawford und Jon Hendricks. Julia Heyward, Warren Silverman und James Klosty danke ich für die Bilder auf dem Umschlag.
Dank
9
Die Arbeit an diesem Projekt hat mir die Bedeutung von Virginia Woolfs A Room of One’s Own deutlich vor Augen geführt. Ich danke allen, die mir für mehrere Tage oder sogar Wochen Schreibasyl gewährt haben sowie Stefanie und Ovid für den Support in den eigenen vier Wänden – Vive la Battonne! Meinen Freundinnen und Freunden, zu Wasser und zu Land, danke ich, dass sie trotz meines mitunter wochenund monatelangen Verschwindens immer da waren. Ein besonderer Dank gilt den jenigen, die sich über meine Texte gebeugt haben. Markus, Sarah und meine Mutter Sonja teilen sich hier die Podiumsplätze für die intensivste Lektüre. Jan danke ich für Inspiration in den ersten Jahren und Dorothee, Elena, Johanna, Michael, Stefanie P. und Stefanie S. für die Unterstützung beim Finale. Winfried Baier gebührt ein großer Dank für seinen Einsatz an der ›Kommafront‹. Mein besonderer Dank zum Schluss gilt meiner Familie: meinen beiden Geschwistern Elena und Christoph und meinen Eltern Sonja und Bruno. Euch ver danke ich die Neugierde, die mich antreibt, die Stabilität, die mich durchhalten lässt und das Vertrauen darauf, dass für mein materielles und immaterielles Wohl immer gesorgt ist.
Lisa Beißwanger, Frankfurt am Main, 2021
10
Dank
Einleitung
Annäherung aus der Gegenwart An einem Donnerstagabend im März 2018 ereignete sich im Art Institute of Chicago folgende Szene: Gegen 18 Uhr betrat der Performer Barak adé Soleil die repräsen tative Treppe im Lichthof des Museums.1 Genau genommen schleppte er sich, auf zwei Krücken gestützt und einen Rollstuhl auf die Schultern geladen, Stufe um Stufe die Treppe hinauf (Abb. 1.1). Offenbar trugen ihn seine Beine nicht, sodass er seinen untersetzten afroamerikanischen Körper, der in einem schwarzen Overall steckte, nur mit Hilfsmitteln vorwärtsbewegen konnte. Museumsbesucher*innen beobachteten ihn bei diesem mühseligen Akt. Einige gingen vorüber, andere blieben, viele fotografierten oder filmten mit ihren Smartphones. Neben dem Performer befanden sich noch zwei weitere, allerdings nicht lebendige Kunstwerke im Blickfeld: Auf der Mittelplattform der Treppenanlage stand die Skulptur Hero Construction (1958) des Bildhauers Richard Hunt, eine beinahe lebensgroße figurative Stahlskulptur, die auf zwei langen, dünnen Beinen balanciert.2 Des Weiteren waren die Blenden der Treppenstufen mit dem grün-weißen Streifenmuster der Arbeit Up and Down, In and Out, Step by Step, A Sculpture (1977) von Daniel Buren beklebt.3 Als adé Soleil am Kopf der Treppe angelangt war, setzte er sich auf den Boden, legte die Krücken ab und zerlegte den Rollstuhl in seine Einzelteile, während aus Lautsprechern metallisch-perkussive Geräusche erklangen. Anschließend ließ er seinen Körper, behutsam und kontrolliert, Stufe für Stufe die Treppen wieder hinunter1 Während der zweiten Forschungsreise für dieses Buch wurde ich Zeugin dieser Performance. Mein Museumsbesuch geschah ursprünglich nicht zum Zweck der Recherche, doch hinterließ die Performance einen nachhaltigen Eindruck und eröffnete eine Vielzahl interessanter Fragen, weshalb ich sie an den Anfang dieser Publikation stelle. Eckdaten zur Veranstaltungsreihe und der Performance: Artists Connect; Barak adé Soleil: up n down, Woman’s Board Grand Staircase, The Art Institute of Chicago, 15.03.2018, 18–19 Uhr. 2 Richard Hunt: Hero Construction, 1958, Stahl, 162 × 74 cm, The Art Institute of Chicago. 3 Daniel Buren: Up and Down, In and Out, Step by Step, A Sculpture, 1977, Abnehmbarer Papier- oder Vinyldruck mit vertikalen Streifen, jeweils 8,7 cm breit, Maße und Farbe variabel, The Art Institute of Chicago.
11
gleiten. Ein Museumskurator und vier junge Assistentinnen folgten ihm in gemessenem Schritt und trugen seine Mobilitätshilfen hinter ihm her.4 Auf der Plattform in der Treppenmitte angelangt, richtete sich adé Soleil vor Richard Hunts Skulptur auf und verharrte dort kniend. Nun erklang das Chanson La Vie En Rose in einer PopVersion von Grace Jones, was der Szene augenblicklich eine sentimentale Stimmung verlieh. Adé Soleil begann seinen Oberkörper zum Rhythmus des Songs zu bewegen. Anschließend glitt er bäuchlings, den Kopf voran, den zweiten Treppenabsatz hinunter. Am Ende der Treppe breitete er seine Arme aus, sodass sein Körper ein Kreuz formte (Abb. 1.2). Damit war die Performance beendet. Nach einem kurzen Moment der Stille begann das Publikum zu applaudieren. Die Museumsbesucher*innen waren augenscheinlich von der Präsenz des Per formers und der besonderen Atmosphäre ergriffen, die er diesem Durchgangsraum verlieh. Zugleich lagen Unsicherheit und Unbehagen in der Luft. Die Performance irritierte nicht zuletzt wegen ihres voyeuristischen Moments. Die Museums besu cher*innen beobachteten einen Menschen mit Gehbehinderung dabei, wie er sich auf einer Treppe abmühte. Zudem handelte es sich um einen schwarzen Künstler auf den Stufen eines der mächtigsten Museen der USA, dessen Sammlungspolitik artists of color bis heute marginalisiert.5 Auch der Einbezug des (weißen) Kurators und der vier jungen Assistentinnen in die Performance, die Teil der Choreografie waren und dem Künstler assistierten, ohne ihm zu helfen oder helfen zu dürfen, warf Fragen nach Hierarchien und Abhängigkeitsverhältnissen auf. Welche Absichten verbargen sich hinter dieser Veranstaltung? Ein Flyer des Museums teilt mit, dass die Performance im Rahmen der Veranstaltungsreihe Artists Connect stattfand, für die das Museum Künstler*innen dazu einlud, auf ausgewählte Werke der Sammlung zu reagieren und so einen ›neuen Blick‹ zu ermöglichen.6 Über die Arbeit von adé Soleil heißt es: »[it] continues the artist’s ongoing exploration of the complex legacies and intersections of race and disability.«7 In der Tat bezog sich adé Soleil mit Richard Hunt auf einen der wenigen afroamerikanischen Bildhauer in der Museumssammlung und eine Skulptur mit fragmentierter, instabiler Physiognomie. Mit dem Song von Grace Jones spielte er auf eine Ikone schwarzer Emanzipa tion an. Mit Daniel Buren, dessen Arbeit er den Titel seiner Performance, up n down,
4 Dies waren Michael Green (Associate Director Live Arts and Lectures in der Abteilung Learning and Public Engagement), Melissa Tanner (Managing Educator, Family Engagement), Suzie Oppenheimer (Curatorial Associate), Katie O’Neil (Learning and Public Engagement Intern) und eine weitere Praktikantin. 5 Vgl. Topaz, Chad/Klingenberg, Bernhard et al.: Diversity of Artists in Major U.S. Museums. 2018. Online-Publikation. DOI: https://doi.org/10.1371/journal.pone.0212852 (Zugriff: 09.05.2021). 6 »Artists, poets, dancers, and musicians engage with works of art, making connections to their own practice and inspiring new ways of understanding the Art Institute’s collection.« Flyer: Barak adé Soleil: up n down. Artists Connect, 15.03.2018. A-A. Zum aktuellen Phänomen der performativen Rahmung von Museumssammlungen s. Beißwanger, Lisa: »Werden Sie Teil einer atemberaubenden Performance«. Zur performativen Inszenierung von Augenzeug*in nenerfahrungen im Kunstmuseum des 21. Jahrhunderts. In: Hattendorff, Claudia/Beißwanger, Lisa (Hrsg.): Augenzeugenschaft als Konzept. Konstruktionen von Wirklichkeit in Kunst und visueller Kultur seit 1800. Bielefeld: transcript 2019, S. 241–258. 7 Flyer, wie Anm. 6.
12
Einleitung
entlehnte, bezog er sich auf einen bedeutenden Vertreter institutionskritischer Kunst.8 Durch adé Soleils physische Kontaktaufnahme mit Burens Arbeit trat der Formalismus der historischen Institutionskritik deutlich hervor. Der Einbezug von Körperlichkeit und Identität erweiterte die Kritik auf die eingeschränkte Zugänglichkeit des Museums, etwa für Menschen mit Behinderung oder für artists of color, im wörtlichen wie im übertragenen Sinn. Dieser (museums-)kritische Impetus der Performance, auf den die Museumskommunikation ausdrücklich verwies, war seitens des Museums offenbar erwartet und erwünscht.9 Performanceveranstaltungen wie diese finden in Museen heute mit einiger Selbstverständlichkeit statt, insbesondere, so scheint es, in großen und mächtigen Institu tionen. Zwei weitere prominente Beispiele mögen dies bekräftigen: Als im Herbst 2019 das New Yorker Museum of Modern Art (MoMA) seinen Erweiterungsbau einweihte, gehörte eine historische Performanceausstellung des – seinerseits schwarzen und (institutions-)kritischen – Künstlers William Pope.L zum Eröffnungsprogramm.10 Zudem wurde in einem neu errichteten »dedicated space for live art« eine performative Klanginstallation von David Tudor and Composers Inside Electronics Inc. gezeigt.11 Die Whitney Biennale des New Yorker Whitney Museum of American Art, eine der einflussreichsten Überblicksschauen US-amerikanischer Kunst, zeigte in ihrer Ausgabe von 2019 ein Performanceprogramm,dessen Spektrum erklärtermaßen »from opera to social critique« reichte.12 Mit der Wendung Performance on Display im Titel der vorliegenden Publikation ist dieses facettenreiche Phänomen des Zeigens und Ausstellens von Performance im Museum gemeint. Angesichts des skizzierten Performancetrends in Museen erstaunt es kaum, dass sich die neuere Performanceforschung bereits aus kunsthistorischer, theaterwissenschaftlicher und auch aus der Perspektive künstlerischer Forschung mit diesem Phänomen auseinandergesetzt hat. Die Kunstwissenschaftlerin Claire Bishop veröffent-
8 Gemeint ist die systemkritische Institutionskritik in der Kunst der 1960er-Jahre, die im Englischen als ›Institutional Critique‹ bezeichnet wird. Einen Überblick über das komplexe Feld der Institutionskritik gibt: Gau, Sønke: Institutions kritik als Methode. Hegemonie und Kritik im künstlerischen Feld. Wien: Turia + Kant 2017. 9 Diese Dissertation entstand vor dem Aufflammen der Black-Lives-Matter-Proteste im Sommer 2020. Viele Museen betonen seitdem in ihren mission statements das Moment der Inklusion noch stärker. 10 Ausstellungsdaten: member: Pope.L, 1978–2001, MoMA, New York, 21.10.2019–01.02.2020. In der Online-Ankün digung wurde die Spannung zwischen den subversiven Arbeiten des Künstlers und dem »major art museum« betont. Webseite: MoMA. member. Pope.L, 1978–2001. https://web.archive.org/web/20201115134108/https://www.moma. org/calendar/exhibitions/5059 (Zugriff: 15.11.2020). Alle für dieses Buch verwendeten Webseiten wurden mit der Wayback Machine des Internet Archive (https://archive.org; Zugriff: 10.05.2021) archiviert, um den Zugriff auch in fernerer Zukunft zu gewährleisten. Archivierte Seiten haben oft längere Ladezeiten. Alternativ kann der Zugang über die Original-URL erfolgen, die als zweiter Teil der URL sichtbar bleibt. 11 Ausstellungsdaten: David Tudor and Composers Inside Electronics Inc. Rainforest V (Variation 1), MoMA, New York, 21.10.2019–05.01.2020. Webseite: MoMA. David Tudor and Composers Inside Electronics Inc. Rainforest V (Variation 1). https://web.archive.org/web/20210411035814/https://www.moma.org/calendar/exhibitions/5077 (Zugriff: 11.04.2021). Zu den ›neuen‹ Räumen und dem sogenannten Marie-Josée and Henry Kravis Studio s. Webseite: MoMA: A new MoMA. https://web.archive.org/web/20191126211039/https://www.moma.org/about/new-moma (Zugriff: 26.11.2019). 12 Webseite: Whitney Museum. Whitney Biennale 2019. https://web.archive.org/web/20200925173126/https://whitney. org/exhibitions/2019-biennial/films-performances (Zugriff: 25.09.2020).
Annäherung aus der Gegenwart
13
lichte 2018 einen Aufsatz über »Dance Exhibitions and Audience Attention«, in dem sie auf aktuelle Formen des Tanzes im Museum und die Konventionen des Sehens und Betrachtens in Zeiten digitaler Medien eingeht.13 Gwyneth Shanks betrachtet das Phänomen in ihrer Dissertation Performing the Museum, 2016, aus ihrer Per spektive als Künstlerin und konzentriert sich auf geschlechterpolitische Fragen sowie Performance als (immaterielle) Arbeit.14 Die tanzwissenschaftliche Master arbeit von Julia Ostwald, ebenfalls von 2016, nimmt zeitgenössischen Tanz im Museum unter dem Gesichtspunkt des Choreografischen in den Blick und fragt, inwiefern Tanz im Museum jenseits von Event und Spektakel möglich sei.15 2015 befasste sich eine große Konferenz in Paris mit dem Thema.16 Alle diese Positionen und Veranstaltungen fokussieren auf Phänomene der heutigen Zeit und berücksichtigen deren historischen Kontext nur am Rande. Diese Forschungslücke will die vorliegende Publika tion schließen, indem sie sich dem Phänomen Performance on Display erstmals aus dezidiert historischer Perspektive nähert und folgende grundlegende Fragen stellt: Woher kommt der Trend zum Performativen in Museen? Wann und warum wurde die Kunst im Museum lebendig? Wie kam Performance ins Museum? Zunächst ist festzuhalten, dass noch in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts Museen statischen Objekten vorbehalten waren. Von Lebendigkeit konnte allenfalls die Rede sein, wenn eine Darstellung besonders ›lebendig‹ erschien, oder ein Sujet ›wie aus dem Leben gegriffen‹ war.17 Wirklich lebendig waren zunächst nur die Be sucher*innen und das Museumspersonal.18 Erst mit der sogenannten ›Entgrenzung der Künste‹, die mit den historischen Avantgarden im ausgehenden 19. Jahrhundert einsetzte und in den Nachkriegsjahrzehnten (nach dem Zweiten Weltkrieg) zur vollen 13 Bishop, Claire: Black Box, White Cube, Gray Zone. Dance Exhibitions and Audience Attention. In: The Drama Review, 62. Jg. 2018, H. 2, S. 22–42. Bishop differenziert verschiedene Qualitäten von Aufmerksamkeit, deren Herausbildung sie historisch mit Entwicklungsstufen des modernen Kapitalismus parallel setzt. Sie stellt zugleich die Rezeptionskonventionen von Theater (»Black Box«) und Museum (»White Cube«) gegenüber, die sich im Zusammenhang mit Tanz im Museum zu einem hybriden Ort, der »Gray Zone« zusammenschließen, die Bishop mit den sozialen Medien und der virtuellen Welt assoziiert. 14 Shanks, Gwyneth J.: Performing the Museum. Displaying Gender and Archiving Labor, from Performance Art to Theater. Diss. Los Angeles 2016, S. 7–8. 15 Ostwald, Julia: Tanz ausstellen | Tanz aufführen. Choreografie im musealen Raum. München: epodium 2016. 16 Le musée par la scène. Le spectacle vivant au musée : pratiques, publics, médiations, Musée d’Orsay, Paris, 10.–20.11.2015. Tagungsakten: Chevalier, Pauline/Rezzouk, Aurélie/Urrutiaguer, Daniel (Hrsg.): Le musée par la scène. Le spectacle vivant au musée. Pratiques, publics, médiations. Montpellier: Deuxième époque 2018. 17 Allgemein zu Lebendigkeitskonzepten in der Kunst: Fehrenbach, Frank: Lebendigkeit. In: Pfisterer, Ulrich (Hrsg.): Metzler Lexikon Kunstwissenschaft. Ideen, Methoden, Begriffe. 2. erw. u. akt. Aufl. Stuttgart, Weimar: Metzler 2011, S. 273–278. 18 Ausnahmen bestätigen die Regel. Bereits um 1900 gab es einige frühe Manifestationen von Tanz im Museum. S. S. 71, Anm. 2. Lebendige Körper als Exponate gab es auch in den aus heutiger Sicht hochproblematischen Völkerschauen um 1900. Dazu der Sammelband: Blanchard, Pascal/Bancel, Nicolas et al. (Hrsg.): MenschenZoos. Schaufenster der Unmenschlichkeit. Völkerschauen in Deutschland, Österreich, Schweiz, UK, Frankreich, Spanien, Italien, Japan, USA. Dt. Erstausg. Hamburg: Crieur Public 2012. Eine weitere Form lebendiger Kunst außerhalb der darstellenden Künste ist das Tableau Vivant. Dazu: Folie, Sabine/Glasmeier, Michael: Tableaux vivants. Lebende Bilder und Attitüden in Fotografie, Film und Video. Ausst. Kat. Kunsthalle Wien, Wien 2002; Jooss, Birgit: Lebende Bilder. Körperliche Nachahmung von Gruppenbildern in der Goethezeit. Berlin: Reimer 1999; sowie mit Blick auf moderne Performance: Jooss, Birgit: Die Erstarrung des Körpers zum Tableau. Lebende Bilder in Performances. In: Janecke, Christian (Hrsg.): Performance und Bild – Performance als Bild. Berlin: Philo 2004.
14
Einleitung
Blüte kam, wurde die Kunst im Wortsinne lebendig. Jetzt, in den mittleren 1960er Jahren, bildete sich Performance als eigenständige Kunstgattung heraus. Ab diesem Zeitpunkt ist also mit der Aufnahme lebendiger Kunst ins Museum zu rechnen. Dennoch tendiert ein Großteil der auf historische Performance19 ausgerichteten Forschung bisher dazu, das Museum als Ort für Performance auszublenden oder gar zu ignorieren. Den bislang umfassendsten kunsthistorischen Überblick zur Performancegeschichte gibt RoseLee Goldbergs Performance Art. From Futurism to the Present.20 Goldberg zeichnet darin eine Geschichte der Performance(-kunst) von den Avantgarden der Moderne bis in die Gegenwart nach. Museen finden hier als Orte für Performance vereinzelt Erwähnung, insbesondere ab den 1970er-Jahren.21 Für eine Reflexion der Aufführungsorte bleibt jedoch wenig Raum, da das Hauptaugenmerk auf der Beschreibung der flüchtigen Performancekunstwerke liegt. Ähnliches gilt für das jüngst erschienene Überblickswerk der Performancekuratorin Catherine Wood, das eine globale Perspektive einnimmt und zugleich einen Brückenschlag zwischen historischer und aktueller Performance versucht.22 Obwohl Wood selbst in einem Museum tätig ist, kommt das Museum in ihren Überlegungen kaum vor. Sie definiert ihren Gegenstand – unter den griffigen Kapitelüberschriften »I«, »We« und »It« – als die Begegnung von Performer*innen, Publikum und Werk, wobei der Ort dieser Begegnung, ähnlich wie zuvor bei Goldberg, zur Randnotiz gerät. Die Kunsthistorikerin Amelia Jones befasste sich bereits verschiedentlich mit dem komplexen Verhältnis von Performance und Historizität, doch klammert sie Museen als Orte für historische Performance systematisch aus ihren Überlegungen aus. Stattdessen betont sie die Bedeutung alternativer Kunsträume für frühe Performance (-kunst).23 Museen werden für Jones erst ab den 1990er-Jahren relevant, als eine Welle retrospektiver Museumsausstellungen zu historischen Performancepositionen einsetzte.24 Diese griffen meist auf statische Objekte oder Relikte zurück. Live-Performances in Museen interessieren Jones erst nach der Jahrtausendwende. Hier fokussiert sie auf die Künstlerin Marina Abramović und deren Ansatz, eigene sowie Performances anderer Künstler*innen in sogenannten ›Re-Performances‹ aufzu führen. Im Zusammenhang mit Abramovićs Seven Easy Pieces im New Yorker
19 Unter ›historischer Performance‹ oder ›früher Performance‹ wird hier und im Folgenden Performance der 1960er- und 1970er-Jahre verstanden. 20 Goldberg, RoseLee: Performance Art. From Futurism to the Present. 3. überarb. Aufl. London: Thames & Hudson 2011. 21 Goldberg 2011, hier das Kapitel 7: The Art of Ideas and the Media Generation 1968 to 2000, S. 152 ff. 22 Wood, Catherine: Performance in Contemporary Art. London: Tate 2018. Wood arbeitet an der Tate Modern in London, ihre Stellenbezeichnung lautet Senior Curator, International Art (Performance). 23 In einem von Jones erstellten historischen Überblick über »Debates and Exhibitions Relating to Performance Documentation and Re-Enactments« finden sich Verweise auf die Gründung alternativer Kunsträume, aber keine einzige Museumsveranstaltung bis weit in die 1990er-Jahre. Jones, Amelia: Timeline of Ideas: Live Art in (Art) History, A Primarily European-US-Based Trajectory of Debates and Exhibitions Relating to Performance Documentation and Re- Enactments. In: Jones/Heathfield 2012, S. 425–432. 24 Jones nennt hier die Ausstellung In the Spirit of Fluxus im Walker Art Center, Minneapolis, 1993, als Markstein. Jones [Timeline] 2012, S. 427.
Annäherung aus der Gegenwart
15
Solomon R. Guggenheim Museum (Guggenheim), 200525, und der Ausstellung The Artist is Present im MoMA, 201026, spricht Jones von einem »watershed moment in the history of live-art«.27 Erst jetzt hätten sich Museen und Kunstgeschichtsschreibung dem Phänomen Performance zugewandt. Jones geht sogar so weit zu behaupten, dass das MoMA bis zu diesem Zeitpunkt vollkommen »performance-resistant« gewesen sei.28 Claire Bishop widerlegte dies 2014 in einem Aufsatz über Tanz im Museum, der in einem Sonderheft des Dance Research Journal zu ebendiesem Thema erschien.29 Bishop unternimmt dort einen der seltenen Versuche, die Frage nach dem Eintritt von Performance (konkreter: Tanz) ins Museum zu beantworten. Sie geht dabei von drei historischen Wellen aus. Die erste Welle datiert sie in die späten 1930er- und frühen 1940er-Jahre, die zweite in die 1960er- und 1970er-Jahre und die dritte in die heutige Zeit.30 Dabei gab es, Bishop zufolge, während der ersten Welle lediglich tanzbezogene Ausstellungen und noch keine Live-Performances in Museen. Die zweite Welle habe dann vor allem Live-Events hervorgebracht, während sich die dritte Welle, die bis heute anhalte, durch eine zunehmende Integration von Tanz in Museumssammlungen auszeichne.31 Bishop leitet diese Thesen aus Untersuchungen zu den drei großen Museen MoMA, Whitney Museum und Tate Modern, London ab. Inwiefern Ähnliches auch für andere Institutionen sowie für Performance über den Tanz hinaus gilt, lässt sie offen.32 Im Laufe der 1970er-Jahre, also mit Bishops ›zweiter Welle‹, bildete sich ein spezialisierter kunsthistorischer Performancediskurs heraus. Davon zeugt, neben einigen weiteren Publikationen33, vor allem RoseLee Goldbergs bereits genannte Performance
25 Marina Abramović. Seven Easy Pieces, 09.–15.11.2005, Guggenheim Museum, New York. Für diese Performancereihe interpretierte Abramović eigene Arbeiten sowie Arbeiten anderer Künstler*innen, darunter Joseph Beuys und Gina Pane, neu. 26 Marina Abramović. The Artist is Present, 14.03.–31.05.2010, MoMA, New York. In dieser Ausstellung wurden frühe Performances der Künstlerin in Form von Dokumentationsmaterial und Re-Enactments gezeigt, während Abramović selbst während der gesamten Laufzeit der Ausstellung im Museum persönlich präsent war und es Besucher*innen ermöglichte, sich ihr gegenüber zu setzen und in ihre Augen zu sehen. 27 Jones, Amelia: Temporal Anxiety/›Presence‹ in Absentia. Experiencing Performance as Documentation. A 2010 Preface to an Essay Written in 1996. In: Giannachi, Gabriella/Kaye, Nick/Shanks, Michael (Hrsg.): Archaeologies of Presence. Art, Performance and the Persistence of Being. London: Routledge 2012, S. 197–201, hier S. 198. Neben den Projekten von Abramović nennt sie auch eine Fluxus-Ausstellung der Gilbert and Lila Silverman Fluxus Collection, 2008, sowie die Präsentation von Joan Jonas’ performativer Installation Mirage (1976) im MoMA. Ebd., S. 197. 28 Ebd. 29 Bishop, Claire: The Perils and Possibilities of Dance in the Museum. Tate, MoMA, and Whitney. In: Dance Research Journal, 46. Jg. 2014, H. 3, S. 62–76. 30 Ebd., S. 63. 31 Bishop bezieht sich hier speziell auf das MoMA. Ebd., S. 63–66. 32 Die in Anm. 18 skizzierte ›Proto-Welle‹ um 1900 bleibt bei Bishop, vermutlich wegen ihrer Schwerpunktsetzung auf die genannten Institutionen, unerwähnt. Vgl. S. 71, Anm. 2. 33 Neben einer Vielzahl an Zeitungs-, Magazin- und Zeitschriftenartikeln, auf die im Folgenden an entsprechender Stelle verwiesen wird, gehörten dazu: Vergine, Lea (Hrsg.): Body Art and Performance. The Body as Language [1. ital./engl. Ausg. 1974]. Mailand: Skira 2000; Henri, Adrian: Total Art. Environments, Happenings, and Performance. New York: Oxford U P 1974; Benamou, Michel (Hrsg.): Performance in Postmodern Culture. International Symposium on PostModern Performance. Madison: Coda 1977.
16
Einleitung
geschichte, deren Erstauflage 1979 unter dem Titel Performance. Live Art 1909 to the Present erschien.34 In Bezug auf Performance und Museen ist zudem der kurze Artikel Museum as Theater von Interesse, den die Kunsthistorikerin Barbara Rose 1972 im New York Magazine veröffentlichte.35 Rose beschreibt dort einen regelrechten Performancetrend: All of the major New York museums […] have sponsored avant-garde theater, dance and music concerts and media and film festivals, recognizing that the lines between theater and art are becoming even more blurred than they were during the Baroque period.36 Es waren drei konkrete Museumsperformances, die Rose zu ihrem Text inspirierten: die Uraufführung von Wassily Kandinskys intermedialem Theaterstück The Yellow Sound (Dt.: Der Gelbe Klang, 1909) 1972 in der Rotunde des Guggenheim37; Yvonne Rainers Performanceserie Continuous Project Altered Daily (1972) im Whitney Museum und eine Aufführung des Stücks Red Horse Animation (1970) der AvantgardeTheatergruppe Mabou Mines, ebenfalls im Whitney Museum.38 Rose beschreibt diese Veranstaltung mit einiger Begeisterung und betont ihre Hybridität zwischen Theater, Tanz und bildender Kunst. Abschließend gratuliert sie den Museen zu ihrer Einsicht, dass Performance eine Lebendigkeit biete, die anderer damals aktueller Kunst fehle.39 Bereits während der ersten Recherchen zu diesem Buch wurde deutlich, dass dies bei weitem nicht die einzigen Museumsperformances in dieser Zeit gewesen sind. Rose hätte sich ebenso auf die monumentale Aufführung Juice beziehen können, mit der Meredith Monk 1969 die gesamte Rotunde des Guggenheim choreografisch wie musikalisch bespielte, oder auf Trisha Browns Performance Walking on the Wall (1970) im Whitney Museum, während der Tänzer*innen, an Seilen von einer Schiene an der Decke hängend, die Wände des Museums abschritten.40 Ebenfalls 1972 zeigte
34 Goldberg, RoseLee: Performance. Live Art 1909 to the Present. New York: Abrams 1979. Das Werk erschien inzwischen in zahlreichen Neuauflagen und Erweiterungen. Im Folgenden wird vor allem die erste Ausgabe verwendet. 35 Rose, Barbara: Museum as Theater. In: New York, 15.05.1972, S. 76. 36 Ebd. 37 Vgl. Audio: Yellow Sound [Mimi Poser spricht im Rahmen der Radiosendung Round and About the Guggenheim mit den Kurator*innen Louise Svendsen und Harris Barron über die Inszenierung von Wassily Kandinskys Theaterstück im Guggenheim Museum] 1972, 23:49 Min. Online: https://web.archive.org/web/20201115192823if_/https://www. guggenheim.org/audio/track/yellow-sound-1972 (Zugriff: 15.11.2020). 38 Mabou Mines: Red Horse Animation (mit Musik von Philip Glas), Whitney Museum, New York, 22.04.1972; Premiere im Guggenheim Museum, 18.11.1970; weitere Aufführungen ebd. am 19., 20. u. 21.11.1970; weitere Aufführungen u. a. im Walker Art Center, Minneapolis (01.–03.11.1971). Zu Yvonne Rainers Performance vgl. Göggel, Katrin: Yvonne Rainer. »Continuous Project – Altered Daily«. In: Zanetti, Sandro (Hrsg.): Improvisation und Invention. Momente, Modelle, Medien. Zürich, Berlin: Diaphanes 2014, S. 181–192. 39 Ebd. 40 Juice fand am 7. November 1969 statt. Eine Beschreibung auf dem Blog des Guggenheim Museums. Webseite: Guggenheim Museum. Meredith Monk: Juice, 1969. https://web.archive.org/web/20201115183105if_/https://www.guggen heim.org/blogs/checklist/the-idea-of-compression-meredith-monks-juice-1969 (Zugriff: 15.11.2020). Walking on the Wall war eine Museums-Adaption von Browns Arbeit für den öffentlichen Raum Man Walking Down the Side of a Building (1970) und Teil eines insgesamt vierteiligen Programms der Künstlerin mit dem Titel Another Fearless Dance Concert, das an zwei aufeinanderfolgenden Tagen, am 30. und 31. März 1971, im Whitney Museum gezeigt wurde.
Annäherung aus der Gegenwart
17
Scott Burton im Whitney Museum seine Behaviour Tableaux41, die frühe Form einer »delegierten Performance«.42 Es verdichten sich damit die Hinweise, dass es in den 1970er-Jahren eine Konjunktur für Performance im Museum gegeben hat, die im aktuellen Performancediskurs aufgrund anders gelagerter Forschungsinteressen, aber auch aus ideologischen Gründen – welche das sind, wird im Folgenden noch zu klären sein –, vernachlässigt wurde. Zugleich zeichnet sich ab, dass eine Reduktion auf das Medium Tanz, wie sie Claire Bishop in ihren beiden Aufsätzen vornimmt, dem Phänomen in seiner Breite nicht gerecht wird. Ein Perspektivwechsel: Auch in der historischen Museumsforschung stellt eine Auseinandersetzung mit Performance on Display ein Desiderat dar. In den meisten Überblickswerken zur Geschichte und Ontologie des Kunstmuseums liegt das Hauptaugenmerk auf dem Sammeln, Bewahren und Ausstellen von Kunstobjekten, sodass Performance und andere lebendige oder zeitbasierte Kunstformen dort keine oder nur eine randständige Rolle spielen. In Walter Grasskamps kompakter und aufschlussreicher Studie zur Sozialgeschichte des Kunstmuseums wird Performance immerhin erwähnt. Grasskamp teilt die Geschichte öffentlicher Kunstmuseen in zwei Phasen, die der »Museumsgründer« und die der »Museumsstürmer«.43 Den Anbruch der zweiten Phase lokalisiert er um 1900 mit der Herausbildung der modernen Avantgarde-Bewegungen (insbesondere des Futurismus), die gegen die Konventionen bürgerlicher Kunstrezeption und deren Indienstnahme der Kunst opponierten und deshalb das Museum als zentralen Ort der Kunst radikal in Frage stellten.44 Performancekunst, Aktionskunst und Happening fasst Grasskamp als avantgardistische Ausdrucksformen der Nachkriegszeit, die Ideen der historischen Avantgarden aufgriffen und verdichteten.45 Analog zu den Thesen des Avantgarde-Forschers Peter Bürger46 betont Grasskamp dann aber, dass ebendiese Nachkriegs-Avantgarden (in Bürgers Terminologie: »Neo-Avantgarden«47) »nur zu bereitwillig die Selbstdarstellungsrituale der Kunstsammler mit Material versorgt« hätten.48 »[N]icht selten« werde »aufgrund einer bloß formalen Innovation der Anspruch des Avantgardismus erhoben«.49 Unter diesen Vorzeichen wird ein historischer Blick auf Performance im Museum erschwert. Mehr noch, Kooperationen zwischen ›echten‹ Avantgarde-
41 Scott Burton: Behavior Tableaux, Whitney Museum, New York, 19.04.1972. 42 Den Begriff der ›delegierten Performance‹ prägte Claire Bishop. Bishop, Claire: Delegated Performance. Outsourcing Authenticity. In: October, 140. Jg. 2012, Frühjahr, S. 91–112. 43 Grasskamp, Walter: Museumsgründer und Museumsstürmer. Zur Sozialgeschichte des Kunstmuseums. München: Beck 1981. 44 In seinen Augen gehörte es »zur Tradition der avantgardistischen Kunst, den falschen Gebrauchswert, den das bürger liche Kunstpublikum dem Kunstwerk durch Besitzergreifung überstülpte, zu unterlaufen«. Ebd., S. 120. 45 Ebd., S. 120–121. 46 Bürger, Peter (Hrsg.): Theorie der Avantgarde. Mit einem Nachwort zur 2. Auflage. Nachdr. der 16. Aufl. Frankfurt/M: Suhrkamp 2013. 47 Vgl. Bürger, Peter: Nach der Avantgarde. Weilerswist: Velbrück 2014, S. 105 u. a. 48 Grasskamp 1981, S. 120. 49 Ebd.
18
Einleitung
Künstler*innen und Museen erscheinen geradezu unmöglich, denn sie ließen die Kunst als von den Institutionen und vom ›Establishment‹ korrumpiert erscheinen. Der Museumstheoretiker und Kulturmanager Tobias Wall argumentierte 2006, dass die Entgrenzung der Künste ab den 1960er-Jahren, aus der Performance als Kunstform hervorging, das Museum im herkömmlichen Sinne »unmöglich« gemacht hätte.50 Er geht davon aus, dass die genannten Entwicklungen im Kunstfeld an Mu seen weitestgehend vorbeigegangen seien, wobei er das Museum vor allem in seiner Funktion als sammelnde und bewahrende Institution denkt.51 Wall lässt dabei nicht nur den wichtigen Bereich des Ausstellens außer Acht, sondern er bedient sich erneut einer Logik des Bruchs zwischen lebendiger Kunst und dem Museum. Das neue lebendige Museum des 21. Jahrhunderts müsse, Wall zufolge, erst noch entworfen werden.52 Obwohl die Entwicklungen in den Künsten das Museum im 20. Jahrhundert durchaus vor Herausforderungen gestellt haben, ist weder Grasskamp noch Wall vollständig zuzustimmen. Neue Kunstformen, wie Performance, machten das Museum weder unmöglich, noch bedeutete die Integration von Performance ins Museum zwangsläufig einen Integritätsverlust für die Kunst oder für Künstler*innen. Als Gegenentwurf zum dominanten Narrativ des Bruchs zwischen Avantgarde und Institution fasst die vorliegende Publikation das Verhältnis von Performance und Museum als ein dialektisches und produktives Wechselspiel auf. Das bedeutet erstens anzuerkennen, dass nicht nur die Kunst, sondern auch Kunstinstitutionen dynamischen Entwicklungsprozessen unterliegen und zweitens anzunehmen, dass gerade die Reibung und das Sich-Herausfordern beiderseits zu Innovation und Erneuerung führten. Ein zentrales Anliegen soll deshalb sein, diese Momente des Sich-Gegenseitig-Hervorbringens von Performance und Museum herauszuarbeiten.
Konturierung des Gegenstands Das Hauptaugenmerk dieser Publikation liegt also auf dem Zeigen und Ausstellen von Performance in Museen. Dabei werden sowohl Live-Veranstaltungen als auch statische Ausstellungen in den Blick genommen. Andere zentrale Aufgaben des Museums, wie das Sammeln und Bewahren sowie das Forschen und die Vermittlung treten in den Hintergrund. Grund dafür ist, dass das systematische Sammeln von
50 Wall, Tobias: Das unmögliche Museum. Zum Verhältnis von Kunst und Kunstmuseen der Gegenwart. Bielefeld: transcript 2006. 51 Vgl. ebd., S. 13. 52 Mit seiner Hilfe, denn Wall bietet Museen an, sie in diesem Prozess zu beraten.
Konturierung des Gegenstands
19