Raum und Sehen am päpstlichen Hof von Avignon

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Italienische Forschungen

des Kunsthistorischen Instituts in Florenz

Max-Planck-Institut

Band 30

Tanja Hinterholz

Raum und Sehen am päpstlichen Hof von Avignon

Innovation in der Malerei

Matteo Giovannettis

Gedruckt mit freundlicher Unterstützung der Österreichischen Forschungsgemeinscha und der Historisch-Kulturwissenscha lichen Fakultät der Universität Wien

Zugl. Dissertationsschri , eingereicht im Dezember 2018 am Fachbereich III der Universität Trier, Fach Kunstgeschichte.

ISBN 978-3-422-98761-6

e-ISBN (PDF) 978-3-422-80204-9

Library of Congress Control Number: 2024936355

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© 2024 Deutscher Kunstverlag

Ein Verlag der Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston

Einbandabbildung: Matteo Giovannetti, Vita Johannes des Täufers, Fresko, 1354–1356, Westwand, Johanneskapelle, Kartause, Villeneuve-lès-Avignon © Andreas ull (Trier)

Layout: Barbara Criée, Berlin

Satz: Rüdiger Kern, Berlin Druck und Bindung: Beltz Gra sche Betriebe GmbH, Bad Langensalza www.deutscherkunstverlag.de www.degruyter.com

5Die Fresken der Martialkapelle 91

Das Leben des heiligen Martial 94

Der Zyklus der Martialkapelle 97

Das Rahmensystem der Martialkapelle 141

Die Bildsysteme der Martialkapelle 143

Die Bedeutungsachsen der Martialkapelle 159

6Die Fresken der Johanneskapelle Clemens’ VI. 163

Der Täufer, der Evangelist und die Heilige Sippe 166

Der Zyklus in der Johanneskapelle 166

Das Rahmensystem der Johanneskapelle Clemens’ VI. 189

Bedeutungsachsen der Johanneskapelle Clemens’ VI. 190

Stop and go – Zeitsprünge, Perspektivwechsel, Kontinuitäten 200

7 Die Johanneskapelle Innozenz’ VI. in Villeneuve-lès-Avignon 201

Johannes der Täufer, Heilige und der andächtige Sti er 208

Der Zyklus der Johanneskapelle in Villeneuve-lès-Avignon 209 Erzählung auf drei Ebenen 226

Wirkung der Rezeptionsebenen auf das Publikum

8 Bild und Publikum am päpstlichen Hof von Avignon 245

Gebaute und gemalte Raumfolgen 247

Visuelle Schri auslegung –Die Bildsysteme Matteo Giovannettis 251

Raumillusionismus 253

Raum und Raumgrenze –Das Rahmensystem als Katalysator 263 Innovation in der Malerei Matteo Giovannettis

Vorwort und Dank

Als ich mit der Untersuchung der Freskenzyklen im Papstpalast begann, war mir nicht bewusst, wie viel in diesen Malereien enthalten ist. Zu Beginn begeisterte mich das ema schlicht deswegen, weil mir die Erklärungsversuche der Forschung zum speziellen Raumentwurf des Malers nicht recht einleuchten wollten. Es erschien mir mehr als fragwürdig, dass die Päpste, allen voran der Au raggeber Clemens VI ., sich mit einem Freskenzyklus wie dem in der Martialkapelle zufriedengegeben hätten, wenn er in ihren Augen nicht völlig überzeugend und gelungen gewesen wäre. Die – von mir an dieser Stelle zugegebenermaßen etwas überspitzt formulierte – Vermutung, man habe den Maler frei experimentieren lassen und dann auch etwas verwirrende Ergebnisse akzeptiert, da man sich über die Figur des heiligen Martial hinreichend repräsentiert sah, wollte mir nicht einleuchten. Zu sehr schlägt sich darin ein nachmittelalterliches Kunstverständnis nieder, das den Geniekult um die Künstler in den Mittelpunkt rückt, aber wenig Aussagewert für die repräsentative Ausstattung eines mittelalterlichen Palastes besitzt. Gerade Clemens VI . ist bekannt für seinen Hang zu überschwänglicher Ho altung, überbordende Feste und unmissverständliche Repräsentation seiner Macht durch die Ausstattung seiner Paläste in Avignon und La Chaise-Dieu mit Malerei und Luxusgütern. Für mich stand also fest: Es muss eine Lesart seiner Zyklen geben, die den Vorstellungen und Ansprüchen des Au raggebers gerecht wird. Bei einem Besuch des Papstpalastes im Jahr 2016 – die Martialkapelle war zu diesem Zeitpunkt im Anschluss an die Restaurierung für das Publikum noch geschlossen – fand ich eine mutmaßliche Lösung in den Prophetendarstellungen der Audienz. Nachdem ich den großen Saal vom Palasthof herkommend betreten hatte und mich in Richtung der Malerei nach Osten bewegte, el mein Blick automatisch auf die fünf nach Osten ausgerichteten Figuren. Der Eindruck vor Ort entsprach in keinster Weise dem Eindruck, den ich aus den Abbildungen in der Fachliteratur gewonnen hatte – die Ausrichtung der Propheten im Gewölbe machte in meiner Bewegungsrichtung plötzlich Sinn und mir wurde klar, dass sich dieser Eindruck von dem des Publikums im 14.Jahrhundert nicht maßgeblich unterschied. In der Folge machte ich diese Beobachtung zum Ausgangspunkt für das Lesen der restlichen Zyklen des Malers. Bei einem späteren Besuch in der Martialkapelle konnte ich meine Ergebnisse vor Ort überprüfen. Meine Vermutung hatte sich bestätigt, die Bildsysteme Giovannettis traten deutlich hervor und konnten nun interpretiert werden.

Die Ergebnisse hielt ich in der vorliegenden Untersuchung fest, die ich als Dissertation am Fachbereich III der Universität Trier im Fach Kunstgeschichte im Dezember 2018 eingereicht habe. Das vorliegende Buch stellt die leicht überarbeitete Fassung des Manuskripts dar, wobei die Überarbeitung die Ergebnisse der ursprünglichen Fassung nicht verändert hat. Der Katalog der Inschri en und Tituli, der dem in Trier eingereichten Manuskript im Anhang beigefügt war, wurde auch für die Drucklegung beibehalten. Es handelt sich dabei um eine Zusammenstellung der Transkriptionen der in den Kapellen vorhandenen Schri , die von anderen Autorinnen und Autoren vorgenommen wurden und nun in einem Katalog übersichtlich zusammengestellt wurden. Der Katalog enthält an geeigneten Stellen Abbildungsverweise, die Inschri en und Tituli konnten jedoch nicht im Detail abgebildet werden. Zur Orientierung, wo sich die Inschri en jeweils be nden, helfen die Schemata der Kapellen (Abb. 25; Taf. XI – XVII , Abb. 47, Abb. 65, Taf. XXIII und Taf. XXVI )

Mein Dank gebührt in erster Linie dem Betreuer der Arbeit, Gottfried Kerscher. Er riet mir zur Bearbeitung des emas und sah darin das Potential, das ich selbst zuerst nicht erkannt hatte. Ich bin froh, dass er mir den Weg bereitet und mir die Malerei Giovannettis ans Herz gelegt hat. Renate Prochno-Schinkel als Zweitbetreuerin und meine Vorgesetzte und Lehrerin an der Abteilung Kunstgeschichte der Universität Salzburg danke ich für die andauernde Unterstützung und Anleitung während der Bearbeitung des emas. Renate Prochno-Schinkel hielt mich dazu an, meine Forschung trotz des turbulenten Arbeitsalltags an der Universität kontinuierlich zu verfolgen. In schwierigen Zeiten gab sie mir wertvolle Richtungsweisungen. Der Betreuerin und dem Betreuer danke ich ebenso wie Dieter Blume, der das Drittgutachten der Arbeit erstellte, für ihre wertvollen Kommentare in den Gutachten, die zielführende Hinweise für die Drucklegung enthielten. Alessandro Nova und Gerhard Wolf danke ich für die Aufnahme des Buchs in die vorliegende Reihe. Ihnen danke ich auch für die Möglichkeit der Teilnahme am Doktoranden-Workshop Neue Tendenzen der ltalienforschung zu Mittelalter und Renaissance am Kunsthistorischen Institut in Florenz – Max-Planck-Institut im Jahr 2016, die mich in der Bearbeitung weit voranbrachte. Tanja Michalsky und Friederike Wille danke ich für die Einladung zum von ihnen organisierten Workshop mit dem Titel Rom im 13. Jahrhundert. Ästhetische, politische und räumliche Ordnungen. Die Teilnahme und die Diskussionen mit den Kolleginnen und Kollegen vor Ort haben mein Verständnis für die päpstliche Tradition in Rom geschär und einige, für Avignon wichtige Punkte klar werden lassen. Lothar Sickel danke ich für die Möglichkeit, am Einführungskurs Archivarbeit der Bibliotheca Hertziana – Max-Planck-Institut teilzunehmen, was mir die Navigation in den Stadtrömischen Archiven erleichtert hat. Dem Personal der Médiathèque de l’Architecture et du Patrimoine in Paris (Saint Cyr) gebührt ebenfalls mein Dank. Sie gaben mir die Möglichkeit, die Aquarelle und Zeichnungen, die zur Konservierung der Malereien des Papstpalastes im 19. Jahrhundert angefertigt wurden, gründlich und vollständig studieren zu können. Ich danke der Österreichischen Forschungsgemeinscha und der Historisch-Kulturwissenscha lichen Fakultät der Universität Wien für die Förderung der Drucklegung.

Andreas ull (Trier) danke ich für das exzellente Fotomaterial, insbesondere dasjenige des Zyklus der Kartause in Villeneuve-lès-Avignon. Ein größeres Hindernis bei der Bearbeitung des emas stellte für mich der Umstand dar, dass es mir seitens der Verwaltung des Papstpalastes nicht gestattet wurde, professionelle Fotogra en anzufertigen, welche die Blickachsen der Kapellen erstmalig fotogra sch dokumentiert hätten. Hanna Christine Jacobs und Dieter Blume danke ich sehr dafür, dass sie mir Bildmaterial zur Verfügung gestellt haben, welches sie selbst noch vor der Restaurierungskampagne im Papstpalast anfertigen dur en. Hanna Christine Jacobs, die sich mit der Johanneskapelle auseinandergesetzt hat, danke ich für die gemeinsamen erhellenden Gespräche und ganz besonders dafür, dass sie mir ihre eigenen Ergebnisse noch vor der Drucklegung zur Ver-

fügung gestellt hat. Eine solch gute Zusammenarbeit zwischen Gleichgesinnten ist zielführend und wichtig und kann nicht hoch genug geschätzt werden. Auch Amanda Luyster gebührt mein aufrichtigster Dank in dieser Hinsicht. Sie hat sich nicht gescheut, mir mit Materialien auszuhelfen, wie zum Beispiel den Restaurierungsberichten der 1990er Jahre, die mir andernfalls nur schwer zugänglich gewesen wären. Einige Kolleginnen und Kollegen haben mir in Diskussionen, bei Vorträgen oder in gemeinsamen Gesprächen bezüglich der Konkretisierung des emas und der Präzisierung meiner Deutung geholfen. Zu nennen wären dabei vor allem Michael Viktor Schwarz, Ulrich P sterer, der mich die Arbeit zudem in seinem Kolloquium vorstellen ließ, und meine Kolleginnen und Kollegen in Salzburg und Wien: Gabriel Negraschus, Sandra Hindriks, Luise Reitstätter, Marthe Kretschmar, Julia Rüdiger, Anna Frasca-Rath und Marina Beck. Romana Sammern gebührt mein Dank für ihre Unterstützung in Gesprächen und Diskussionen. Ihr danke ich zudem für die vielen praxisbezogenen Hinweise und gut platzierten Schubser, die mir in turbulenten Zeiten halfen, die Arbeit am Manuskript fertigzustellen. Pablo Schneider und Arielle ürmel vom Deutschen Kunstverlag danke ich für die Beratung und Hilfestellungen bei der Drucklegung des Buches. Meinen Eltern danke ich für die Unterstützung in allen Lebenslagen. Anne-Karin Kirsch, Anke Hinterholz-Britscho und Cyrill Miksch danke ich für die sorgfältige Lektüre des Manuskripts. Cyrill Miksch ist für so viel mehr zu danken, ohne seine Unterstützung wäre das Buch wohl nicht erschienen.

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Einleitung

In der Ausmalung der Martialkapelle im Papstpalast von Avignon entwickelte Matteo Giovannetti einen für die Giottozeit einzigartigen Raumentwurf. Die Fresken waren ein voller Erfolg, der dem Maler in den folgenden zwanzig Jahren die bedeutendsten Au räge am päpstlichen Hof in Avignon und Rom bescherte. Seine Zeitgenossen konnte er so sehr von seinen Leistungen überzeugen, dass er nicht nur den o ziellen Titel des pictor pape führte, sondern inzwischen zu den ersten Ho ünstlern (Warnke) in Europa gezählt wird.1 Die Beurteilung der Malerei Giovannettis durch die Kunstgeschichte el insgesamt weniger wohlwollend aus, auch wenn das Werk dieses Malers spätestens seit den 1960er Jahren verstärkt in den kunsthistorischen Diskurs zur Malerei des Trecento aufgenommen und hinsichtlich seiner Stellung in der Entwicklung der europäischen Malerei diskutiert wurde. Obwohl seine Malerei und der darin anzutre ende wegweisende Raumentwurf schließlich vielfaches Lob erhielten, wurde der Maler doch nie in die Reihen seiner höher geschätzten italienischen Zeitgenossen aufgenommen, was sicherlich auch an Giovannettis Dislokation am Hof der Exilpäpste in Avignon

1 Als solcher überwachte er auch die Projekte seiner Malerkollegen am Hof; siehe hierzu Anheim, Atelier, 2017.

1. Matteo Giovannetti, Martial weiht Aurelianus zum Bischof, Fresko, 1344–1346, Nordwand (Episode Q), Detail, Martialkapelle, Papstpalast, Avignon

2. Matteo Giovannetti, Beschneidung und Namensgebung Johannes des Täufers, Fresko, 1354–1356, Ostwand, Johanneskapelle Innozenz’ VI., Villeneuve-lès-Avignon

lag. Den Raumentwurf betre end ist das Changieren der Forschungsmeinungen zwischen Lob und Kritik au ällig: Einerseits werden Vorstöße in der Konstruktion seiner Bildräume an einzelnen Beispielen besonders gelobt (Abb. 1, Abb. 2), andererseits herrschen bezüglich anderer Aspekte, wie beispielsweise der Anordnung der Gewölbeepisoden der Martialkapelle (Taf. VIII ), Verwunderung bis Ratlosigkeit vor. In den Erklärungsversuchen ist von einer freien Arbeitsweise des Malers und einem experimentellen Spiel mit dem Betrachter die Rede. Dieses sei jedoch nicht immer gelungen.2 Damit stellt sich die Frage nach den Ursachen der Diskrepanz zwischen wohlwollendem Urteil einerseits und Unverständnis andererseits. Die vorliegende Arbeit setzt an dieser Stelle an und zeigt einen neuen Weg zur Entschlüsselung des Raumentwurfs der Bildsysteme Matteo Giovannettis sowie der Wandmalerei des Trecento insgesamt.

2 Siehe unten, S . 15, mit weiterführenden Literaturverweisen.

Matteo Giovannettis Räume in der bisherigen Forschung

Giovannetti hat der Nachwelt drei komplexe Bildzyklen hinterlassen. Von weiteren sind nur noch Reste oder einzelne Motive erhalten.3 Alle Zyklen sind im Au rag der sogenannten Exilpäpste entstanden und be nden sich an den Standorten Avignon und Villeneuve-lès-Avignon.4 Das Werk des Malers war jedoch wesentlich umfangreicher, was aus den Quellen des päpstlichen Hofs deutlich hervorgeht.5 Giovannetti arbeitete nicht nur im Au rag der Päpste, sondern auch im Au rag der Kardinäle und war mit der Ausstattung zahlreicher Residenzen im heutigen Frankreich beau ragt. Ferner ist überliefert, dass er auch nach seiner Rückkehr auf die italienische Halbinsel Au räge für den päpstlichen Hof ausführte.

Vor der Ö nung der Vatikanischen Archive für die Forschung war der Name des Malers, der für die erhaltenen Zyklen am päpstlichen Hof verantwortlich war, vergessen. Die Fresken wurden verschiedenen Künstlern wie Giotto, der nach Vasari am päpstlichen Hof in Avignon gewirkt haben soll, Giottino, Simone Martini oder Spinello Aretino zugesprochen.6 Zwar sind diese überholten Zuschreibungsfragen,7 die sich selten mit Aspekten der perspektivischen Konstruktion oder der Bedeutungsebenen eines Szenenensembles, sondern eher mit Fragen der Händescheidung und dem Stil der Maler befassen, im Rahmen einer Untersuchung des Raumentwurfs zunächst kaum von Bedeutung. Sie sind jedoch symptomatisch für die Beurteilung der Malerei Giovannettis, da sich in ihnen die teilweise gegenläu gen Urteile über die Qualitäten der Fresken wieder nden, die auch die Forschung des 20. Jahrhunderts bestimmen sollten: einerseits die Bescheinigung einer insgesamt herausragenden Qualität der Malerei, andererseits scheinbar mit dieser Qualität unvereinbare Details. Dieser Zwiespalt trat insbesondere bei der Erforschung und Beurteilung des Raumentwurfs Giovannettis hervor: Die Autorinnen und Autoren stellen die wegweisenden Perspektivkonstruktionen an einigen Szenen der Zyklen als besonders gelungen heraus, bemängeln aber gleichzeitig das scheinbar damit unvereinbare Raumgefüge, das die Forschung in Erklärungsnot bringt. Unbeachtet blieb dabei die Frage, unter welchen Prämissen der Raumentwurf Sinn machen würde. Die Wiederentdeckung des Namens Matteo Giovannettis in den Rechnungsbüchern des Hofes durch Eugène Müntz im Jahre 1881 und die eindeutige Nennung des Malers als verantwortlicher Meister der Martialkapelle beendete diese frühen Zuschreibungsfragen zumindest für die erste erhaltene Kapelle.8 Die Diskussion zu den übrigen Kapellen wurde dennoch weitergeführt, da die Quelle keine Angaben zu deren Autorscha machte. Somit wurden die vermeintlichen Qualitätsunterschiede der Zyklen zu Kriterien in Zuschreibungsfragen. Der Raumentwurf der Kapellen

3 Wie beispielsweise die Gewölbe guren und weitere Malereireste in der Audienz, Vorzeichnungen oder in ihrer Motivik nicht mehr identi zierbare Malereifragmente im Papstpalast sowie in Villeneuvelès-Avignon.

4 Avignon gehörte bekanntlich zum Zeitpunkt der Entstehung der Fresken nicht zum Herrscha sgebiet des französischen Königs, sondern zum Königreich Neapel und somit zum Ein ussbereich der Anjou, die als Vasallen des Papstes in direkter Verbindung mit dem Papsttum standen. 1348 kau e Clemens VI die Stadt der Königin Johanna von Neapel ab, womit Avignon o ziell dem Kirchenstaat angehörte; RolloKoster, Avignon, 2015, S 76.

5 Anheim, Atelier, 2017; Ehrle, Historia, 1890; Schäfer, Ausgaben, 1914; Deni e, Quaternus, 1888.

6 Crowe und Cavalcaselle; Chaix; Denuelle; Stendahl und andere.

7 iebaut hat die Zuschreibungen in ihren Ausführungen zu den jeweiligen Zyklen zusammengefasst; iebaut, Catalogue, 1983. Auf ihre Zusammenstellungen stützt sich die Darstellung der Zuschreibungsfragen im kommenden Abschnitt maßgeblich.

8 Müntz, Notice, 1882; Reprint des erstmals 1881 im Courrier de l’Art erschienenen Aufsatzes.

spielte in dieser Diskussion eine wichtige, wenn auch nicht die einzige Rolle. Beispielsweise Gabriel Colombe und auch Müntz selbst, die den Werken des Malers einige Aufsätze widmeten, waren der zu Beginn des 20.Jahrhunderts verbreiteten Meinung, dass die Johanneskapelle und die Martialkapelle aus der Hand unterschiedlicher Maler stammen müssten.9 Allerdings hatte Heinrich Deni e bereits 1888 eine Quelle verö entlicht, die die Tätigkeit Giovannettis im Konsistorium belegt, welches direkt an die Johanneskapelle des Papstpalastes anschließt.10 Ab den 1920er Jahren wurde dieses Schri stück von dem Lager der Forschung herangezogen, das die Johanneskapelle der Hand Giovannettis zuschrieb, was sich letztlich durchsetzte. Zweifel bestanden auch in Bezug auf die Autorscha des dritten Zyklus in Villeneuve-lès-Avignon, wobei auch hier bereits Ende des 19. Jahrhunderts Vermutungen über die Beteiligung Giovannettis laut wurden.11 Die Buchstabenfolge D S I E ., die unterhalb der Kreuzigungsdarstellung im Norden der Kapelle gefunden wurde, sowie ein späteres Gra to, ebenfalls an der Nordwand, sorgten darüber hinaus im 19. und frühen 20. Jahrhundert für Spekulationen über den Autor des Zyklus.12 Erst die Zuschreibung Enrico Castelnuovos aus dem Jahr 1962 wurde allgemein akzeptiert.13 Auch wenn eine Monographie zu Giovannetti lange Zeit nicht in Angri genommen wurde, behandelte Léon-Honoré Labande 1925 alle erhaltenen Zyklen des Malers in seinem zweibändigen und sorgfältig erarbeiteten Werk zum Papstpalast von Avignon. Dort nahm er auch den Zyklus der Johanneskapelle in Villeneuve-lès-Avignon in einem Appendix auf. Sein Verdienst ist zudem die erstmalige, vollständige Transkription der erhaltenen Inschri en und Tituli der Kapellen sowie die sorgfältige ikonographische Aufarbeitung der dargestellten emen. Dabei kommt er zwar nur am Rande und nur äußerst selten auf den Raumentwurf des Malers zu sprechen, argumentiert jedoch für eine Zuschreibung aller drei Kapellen an Giovannetti und ist aufgrund der Gründlichkeit seiner Aufarbeitung des Materials bis heute eine unverzichtbare Quelle geblieben.14 Das Verdienst einer ersten Monographie zu Giovannetti fällt Castelnuovo zu.15 Dieser Autor widmete dem Maler darüber hinaus seit den 1960er Jahren bis 2004 mehrere Artikel und weitere Werke. Er befasste sich an einigen Stellen auch erstmals explizit mit dem Raumentwurf des Malers, dessen innovativen Charakter er als einer der ersten Autoren maßgeblich herausstellte.16 Bereits zwei Jahre vor der Verö entlichung der Monographie Castelnuovos erschien ein anderes Werk, das den Raumentwurf Giovannettis in seine Überlegungen mit aufnahm, jedoch der Malerei im Avignon des 14. und 15. Jahrhunderts insgesamt gewidmet war.17 Michel Laclotte postulierte darin die sogenannte Schule von Avignon und stellte überzeugend die Internationalität des päpstlichen Hofes in ihrer maßgeblichen Rolle für die Entwicklung der Malerei in Avignon heraus.18

9 Müntz, Palais, 1892, S 182–183; Müntz, Fresques, 1886, S .202; Colombe, Saint-Jean, 1932.

10 Deni e, Quaternus, 1888, passim. Eileen Kane untersuchte diese Quelle 1975 bezüglich der dort genannten Farbpigmente; vgl. Kane, Document, 1975, passim. Zuletzt wertete Anheim diese Quelle aus; Anheim, Atelier, 2017, S . 707–715.

11 Labande, Palais II , 1925, S . 170.

12 Die Forschungsgeschichte der Deutungen der Inschri und der verschiedenen Zuschreibungen leistet iebaut, Catalogue, 1983, S 185; vgl. außerdem Roques, Peintures, 1961, S 184.

13 Siehe das Kapitel Die Johanneskapelle der Kartause in Villeneuve-lès-Avignon, S . 71–72, siehe auch S . 221–223.

14 Das betri insbesondere seine Beschreibungen der Martialkapelle. Werke anderer Autorinnen und Autoren, so beispielsweise die Beschreibung Digonnets von 1907, sind in einigen Bereichen äußerst fehlerha ; Digonnet, Palais, 1907. Leider wirkten sich die fehlerhaften Beschreibungen auf spätere Studien negativ aus, sogar solchen bis in die 1990er Jahre entstandenen. Es kommt dann zur Übernhame der Missverständnisse oder Fehlzuschreibungen der früheren Autoren wie Digonnet, Müntz oder Colombe, was zuweilen dazu führt, dass die vorgeschlagenen Deutungen dieser neueren Publikationen für die Martialkapelle nicht haltbar sind.

15 Castelnuovo, Pittore, 1962: Diese wurde in mehrere Sprachen übersetzt und 1991 in überarbeiteter Form

Die Bewertung des Raumentwurfs in der Malerei Matteo Giovannettis durch die Forschung lässt sich grob in drei Phasen einteilen. In der ersten Phase stieß die Malerei Giovannettis auf ein geteiltes Urteil, wobei es insgesamt meist negativ aus el. Mit der Forschung Castelnuovos und Laclottes trat in den 1960er Jahren eine Wende ein. Castelnuovo betonte den innovativen Charakter der räumlichen Malerei Giovannettis und schloss letztlich auch darüber auf dessen Zugehörigkeit zur Sieneser Schule. Insgesamt deutete der Autor die räumliche Malerei des Trecento als experimentell. Das Ziel der Maler sei nach diesem in der Forschung auch heute allgemein akzeptierten Deutungsmuster die Darstellung eines möglichst überzeugenden Tiefenraums. Dabei müssten sie mit der Schwierigkeit umgehen, dass ihnen keine derart überzeugende Möglichkeit der perspektivischen Darstellung vorlag, wie sie die zu Beginn des 15. Jahrhunderts entwickelte Zentralperspektive lieferte. Somit tasteten sich die Maler des 14.Jahrhunderts langsam an dieses Ziel heran, weshalb sie immer neue Möglichkeiten der naturalistischen Raumdarstellung ausprobierten. Diese Experimente seien dabei zwar nicht stets erfolgreich, zeugten jedoch vom Bestreben der Maler, dem gewünschten Ergebnis einer möglichst illusionistischen Raumdarstellung immer näher kommen zu wollen. In dieser zweiten Phase der Beurteilung des Raumentwurfs Giovannettis wurde seine Malerei insgesamt positiv bewertet, seine räumlichen Innovationen explizit benannt. Auch sein Umgang mit Perspektive in der Anlage seiner Bildräume wurde an einigen Stellen, in denen sie im Lichte der Entwicklung der perspektivischen Malerei als gelungen erscheinen, gelobt. An anderen Stellen, wo dieser Raumentwurf nicht dem Ziel nahekommt, auf das die Malerei des Trecento hinsteuerte, wurde o en von Unzulänglichkeiten oder Fehlern gesprochen. Dass einige Raumentwürfe besonders gelungen seien, während andere nicht überzeugen, ist ein Urteil, das sich bis heute hält. Diese eingangs bereits formulierte Diskrepanz führte zu den unterschiedlichsten Erklärungsversuchen durch die Forschung. Die wohl verbreiteteste ist es, dem Maler eine ausgeprägte Experimentierfreude oder eine besondere künstlerische Freiheit zu bescheinigen, die sich in einem kühnen Raumentwurf und dem Spiel mit dem Betrachter äußert.19 So bezeichneten Bernard Sournia und Jean-Louis Vayssettes in einem Beitrag zur Johanneskapelle in Villeneuve-lès-Avignon von 2006 die Arbeitsweise Giovannettis beispielsweise als schelmisch 20 und zuletzt argumentierte Dieter Blume in einem Aufsatz zum Raumentwurf Giovannettis im Jahr 2015 noch nach diesem Schema.21 Blumes Aufsatz kann grundsätzlich jedoch zur dritten Phase der Beurteilung vom Umgang mit Raum in der Malerei Giovannettis – oder des Trecento – gezählt werden. In dieser Phase ging es den Forscherinnen und Forschern explizit um die Untersuchung des Raumentwurfs. 1980 legte Margaret Plant eine Dissertation zur Freskomalerei in Avignon und Norditalien vor, in der sie die

wieder aufgelegt. Da Castelnuovo in dieser Neuau age auch die Ergebnisse der Jahre zwischen beiden Publikationen in die Überarbeitung mit einbezog, wurde in erster Linie die Ausgabe Castelnuovo, Pittore, 1991 für die vorliegende Untersuchung verwendet.

16 Vgl. beispielsweise Castelnuovo, Pittore, 1991; Castelnuovo, Pittura, 1996; Castelnuovo, Matteo, 2004; Castelnuovo, Matteo, 1965.

17 Laclotte, École, 1960.

18 1983 kam dieses Buch, erweitert um einen dichten, von Dominique iebaut erarbeiteten Katalogteil, unter der gemeinsamen Autorscha Laclottes und iebauts erneut heraus. Laclotte/ iebaut, École, 1983.

19 Castelnuovo, Laclotte, iebaut und Blume sind hier beispielsweise zu nennen; Castelnuovo, Pittore, 1962

und 1991; Laclotte / iebaut, École, 1983. Vgl. auch Dulau, Peintures, 2013, S . 202. Allerdings ist dem hinzuzufügen, dass diese Begründung auch für den Umgang mit Raum der meisten anderen Künstler des Trecento bemüht wird und wir es mit einer recht allgemeinen Meinung zur Malerei des Trecento zu tun haben. Siehe hierzu die Ausführungen von Preisinger; Preisinger, Taddeo, 2015, S . 369–371.

20 Die verschiedenen illusionistischen Bildmittel seien »le grand ressort de l’art malicieux« des Künstlers; Sournia/Vayssettes, Villeneuve, 2006, S 215.

21 Blume, Rom, 2015.

drei Zyklen Giovannettis in Hinblick auf den Raumentwurf untersuchte.22 Diese Autorin befragte die Bildräume in einem Kapitel erstmals gezielt auf ihre inhaltlichen Implikationen und die Wechselwirkungen, die sich aus dem Nebeneinander der Szenen ergeben können. Sie lieferte wichtige Impulse für eine neue Betrachtung und Bewertung der Zyklen, beließ es jedoch bei einer separaten Betrachtung von Gewölbe und Wand ächen. Mit Paula Hutton nahm sich eine weitere Autorin den Malereien Giovannettis im Papstpalast an.23 In ihrer 1995 verfassten Dissertation, die, da sie zu den aktuelleren Werken zu Giovannetti zählt, in den letzten Jahren häu ger zitiert wurde, untersuchte Hutton die beiden Zyklen des Papstpalastes vor dem Hintergrund der Lehren Joachim von Fiores.24 Allerdings führten die von Hutton zur Beschreibung der Zyklen herangezogenen Quellen zu Fehlinterpretationen, die sich negativ auf ihre Deutung auswirkten.25 Die Zyklen der beiden übereinanderliegenden Kapellen auf ihre inhaltlichen Bezüge zu prüfen und aufeinander zu beziehen ist jedoch ein interessanter Ansatz und könnte in Zukun zu weiteren Ergebnissen führen. Kürzlich haben Dominique Vingtain und Étienne Anheim die letzte Restaurierung der Martialkapelle zum Anlass genommen, die Ikonographie der Einzelszenen wie auch die Anordnung der Szenen zu untersuchen. Ihr Fokus liegt auf der innovativen Darstellung der Physiognomie des Titelheiligen, die diesen in fortschreitendem Alter wiedergibt. Angesprochen wird in diesem Zusammenhang das Fortschreiten des Zyklus über drei Register, die den Lebensabschnitten des Heiligen zugeordnet werden können und so den (chronologischen) Lese uss unterstützen. Die Wechselwirkungen der Szenen verschiedener Register werden nicht angesprochen.26

Die Autorinnen und Autoren der dritten Phase sahen die Verortung der Szenen und die räumliche Ausrichtung also generell als sinnvoll an und deuteten diese im Hinblick auf die Raumsituation, die Liturgie oder die Bildtraditionen des Papsttums sowie der einzelnen Malerschulen. Heck legte 1980 in einem Aufsatz zur Johanneskapelle des Papstpalastes einige weiterführende Überlegungen bezüglich des Freskenprogramms dieser Kapelle vor, die jüngst von Hanna Christine Jacobs aufgegri en und deutlich erweitert wurden.27 Beide untersuchten die Bezugsysteme der Fresken der Johanneskapelle im Papstpalast und übertrugen die Inhalte der Darstellungen bereits überzeugend auf die Raumfunktionen, die liturgischen Abläufe in der Kapelle und am Hof und stellen darüber hinaus die Bedeutungszusammenhänge zum Lateran in Rom heraus. Die zweifellos am besten aufgearbeitete Kapelle ist daher die Johanneskapelle des Papstpalastes. Sie ist Teil aller Untersuchungen zu Giovannetti als Maler, wurde Gegenstand von Einzeluntersuchungen und wurde in umfassenderen Analysen der Malerei des Trecento berücksichtigt. In der oben referierten stilgeschichtlich orientierten Herangehensweise der Kunstgeschichtsschreibung mussten die Ansätze Giovannettis und seiner Zeitgenossen jedoch beinahe zwangsläu g als experimentelle Zwischenschritte auf dem Weg zur geometrisch entworfenen Linearperspektive erscheinen, die von dem erstarkenden Interesse an antiken und zeitgenössischen eorien zur Optik im Trecento nachweislich stark pro tierten, was insbesondere Belting bereits 2008 und Büttner im Jahr 2013 herausstellten.28 Allerdings mussten sie innerhalb dieses Narrativs den späteren Ergebnissen letztlich unterliegen.

22 Plant, Fresco, 1981; zu Giovannetti S . 42–94. Ein Jahr später koppelte sie ihre Überlegungen zur Gewölbemalerei der Martialkapelle aus und stellte ihre Deutung dieser Szenen in einem Aufsatz nochmals heraus; Plant, Vaults, 1982.

23 Hutton, Palais, 1995.

24 Zuletzt wies noch Vera Simone Schulz auf diese Dissertation als weiterführende Literatur zum Zyklus der Martialkapelle hin; Schulz, Sultanspracht, 2014, S 319.

25 Hutton nutzt die fehlerha en Beschreibungen Digonnets von 1907.

26 Vingtain /Anheim, Fresques, 2020.

27 Jacobs, Transformationen, 2019; Jacobs, Raumerzählungen, 2019.

28 Belting, Florenz, 2009 (Erstausgabe 2008). Büttner, Giotto, 2013.

Eine überzeugende Deutung aller Bildsysteme der erhaltenen Kapellen Giovannettis stand bisher aus. Diese Lücke versucht die vorliegende Untersuchung zu schließen. An den Vorarbeiten der Autorinnen und Autoren der zweiten und dritten Phase ansetzend, steht der Raumentwurf Giovannettis im Fokus. Entscheidende Impulse für eine adäquate Untersuchung und Neubewertung der Wirkung von Giovannettis Bildsystemen liefern die Ansätze der Rezeptionsästhetik, Mentalitätsgeschichte und Raumforschung. Wichtige Impulse gaben der Arbeit insbesondere Werke, die sich mit der Entwicklung räumlicher Malerei des 13. und 14.Jahrhunderts befassen. Zu nennen sind dabei in erster Linie die Untersuchungen von Wolfgang Kemp,29 Cornelia Logemann sowie jüngere Beiträge wie die von Christopher Lakey, Raphaële Preisinger oder Simone Westermann.30 Auf der einen Seite wird dabei die Rezeption eines Bildwerkes als Ablauf verstanden, in welchem das Publikum und das Bild zueinander in Beziehung treten. Auf der anderen Seite werden darüber hinaus größere Zusammenhänge erkennbar, die sich bei diesem Ablauf und aus der gemeinsamen Sichtbarkeit mehrerer Szenen aus einem bestimmten Betrachterstandpunkt heraus ergeben, was dem zur Entstehungszeit der Malerei üblichen Modus der Rezeption von Malerei Rechnung trägt.

Prämissen

Sich der Malerei Giovannettis und insbesondere dem Umgang dieses Malers mit dem kompositorischen Mittel des Raumentwurfs von neuem zu nähern, erfordert – wie jeder neue Ansatz der Forschung – eine Veränderung des Blickwinkels. Dieser betri jedoch nicht nur die Malerei Giovannettis. Vielmehr kann dessen Malerei als Fallbeispiel mit weiterführenden Implikationen für die Malerei des 14. Jahrhunderts angesehen werden. Von entscheidender Bedeutung ist folgende Prämisse: Ziel des Raumentwurfs Matteo Giovannettis war die Darstellung bestimmter Bildinhalte. Um diese den Betrachterinnen und Betrachtern zu vermitteln, nutzte er die ihm zur Verfügung stehenden kompositorischen Mittel und entwickelte diese weiter. Dabei ging es nicht primär um die Entwicklung einer besonders überzeugenden Darstellung von Raum im Sinne der später entwickelten Zentralperspektive, also nicht in erster Linie um die Weiterentwicklung der kompositorischen Mittel der räumlichen Malerei, sondern um die Nutzung bestimmter technischer Möglichkeiten des Raumentwurfs für den Transport oder die Herstellung von Inhalten in einer Szenenfolge oder auf einer Wand.

In diesem Zusammenhang spielen Raumvorstellungen und die Raumtheorien sowie deren verstärktes Aufgreifen durch die Kunstgeschichte in den vergangenen Jahren eine wichtige Rolle.31 Mit Logemann ist Raum als eine kunsthistorische Kategorie anzusehen, die es im Umgang mit mittelalterlichen Bildwerken genauer einzugrenzen gilt.32 Gleichzeitig sind die seitens der Raumforschung unterschiedlicher Disziplinen in den letzten Jahrzehnten erzielten Ergebnisse für die Untersuchung

29 Kemp, Räume, 1996; Kemp, Betrachter, 1992; Kemp, Bildsysteme, 1989; Kemp, Sermo, 1987.

30 Logemann, Ordnungen, 2009; Lakey, Place, 2015; Preisinger, Taddeo, 2015; Westermann, Baptistery, 2022.

31 In Bezug auf diesen Aspekt kann auf einen dementsprechend reichen Fundus an Forschungsliteratur aufgebaut werden. Diese ist in den vergangenen Jahren so stark angewachsen, dass in den vorliegenden Ausführungen nur die wichtigsten genannt werden. Zusammenfassend zu diesem emengebiet Logemann, Ordnungen, 2009, S 13–29; Ho mann / Wolf, Preface, 2012, S X – XII

32 Logemann, Ordnungen, 2009, S 13–14. Siehe für eine Geschichte des Raumbegri s in der Kunstgeschichte außerdem Ott, Ästhetik/Kunstgeschichte, 2009, passim.

kunsthistorischer Fragestellungen evident, insbesondere nach dem spatial turn, wie Annette Homann und Gerhard Wolf darlegen.33 Für die kunsthistorische Betrachtung der Trecentomalerei sind die Überlegungen Kemps maßgeblich.34 Von soziologischen Konzepten von den Zusammenhängen zwischen Zeit und Raum von Henri Lefebvre, Michail Bachtin (Chronotopos) und Ernst Cassirer ausgehend, zeichnete Kemp für die Kunst des 13. bis 15.Jahrhunderts nach, auf welche Weise die Künstler aktiv Räume für ihre Erzählungen konstruieren. Raum und Erzählung stehen dabei in Beziehung zueinander und bilden in Abhängigkeit zur Handlung den Erzählraum. Kemp unterscheidet weiterhin die räumliche Konstruktion bildlicher Erzählungen von den dargestellten Räumen selbst und bezieht darüber hinaus die Rolle des Publikums in diese Raumkonstruktion mit ein.

Diese Überlegungen Kemps voraussetzend werden unter dem Begri Raumentwurf in der vorliegenden Untersuchung alle kompositorischen Mittel zusammengefasst, die zur Erscha ung räumlicher Wirkung der Malerei genutzt werden können. Die Perspektivkonstruktion spricht dabei die innerbildliche Räumlichkeit an, die also dazu genutzt wird, Bildräume ins Innere der Wand zu ö nen. Außerdem zählen dazu auch die Mittel, die den Bildraum aus der Wand heraustreten und einzelne Motive scheinbar vor der Bild äche erscheinen lassen. Die Einteilung des Bild- oder Erzählraums selbst und die dadurch entstehenden Teilräume und Bildebenen zählen klarerweise zu den Hauptkriterien der Untersuchung. Darin enthalten sind die Überlegungen zur Einbindung der Bildräume in den vorgegebenen architektonischen Realraum der Kapelle und den Umgang mit den zur Verfügung stehenden Wänden und Flächen als Bildträgern. Die räumliche Anlage des Zyklus hat jedoch weitaus mehr Facetten als diese innerbildlichen Raumlogiken und lässt sich auf das Ensemble der sorgsam komponierten Einzelepisoden ausweiten. Erneut mit Kemp gesprochen handelt es sich hierbei um sorgfältig komponierte Bildsysteme, deren Entschlüsselung den Betrachterinnen und Betrachtern des 14.Jahrhunderts nicht schwergefallen sein dür e.35 Daraus ergibt sich die Frage nach dem Zusammenspiel und den Wechselwirkungen zwischen den Bildräumen, die bei Giovannetti au allend zusammenhängend konstruiert sind. In diesen ist die Rolle der Betrachterin und des Betrachters explizit mitzudenken. Entscheidend ist dabei die Ausrichtung der Malerei aller Register und Bildfelder, die sich auf die Seherfahrung des Publikums beziehen lassen. In erster Linie können somit diejenigen Episoden inhaltliche Sinneinheiten oder Bildsysteme bilden, die vom gleichen Standpunkt in der Kapelle aus lesbar sind. Die Ausrichtung der Episoden zählt ebenso zum Raumentwurf, wie die Einrichtung der Bildräume selbst.

Möglichkeiten und Grenzen kunsthistorischer Terminologie

Aus den vorangegangenen Überlegungen lässt sich ein grundsätzliches Problem ablesen: Bei der Beschreibung der Malerei des Trecento muss auf moderne Terminologie zurückgegri en werden, die im Idealfall in der Lage sein sollte, den Inhalt der Fresken adäquat zu umreißen. Einige in der

33 Zusammenfassend lässt sich der Begri Raum als zwischen den beiden Polen khôra (in niter Raum) und topos (Ort) changierend beschreiben und nach Kategorien wie literarisch, politisch, urban, sakral weiter di erenzieren. Ho mann / Wolf, Preface, 2012, S X . Zu diesen emengebieten existiert eine Fülle an Fachliteratur. Siehe exemplarisch Rau, Räume, 2013; Baumgärtner, Raumkonzepte, 2009; Vavra, Virtuelle Räume, 2005; Dünne / Günzel, Raumtheorie, 2015 (zuerst 2006); Howes, Place, 2007. Speziell für die Zeit des Mittelalters siehe Aertsen /Speer, Raum, 1998.

34 Kemp, Räume, 1996; Kemp, Betrachter, 1992; Kemp, Narratives, 1997. Zur Rolle des Betrachters siehe außerdem Fricke /Krass, Public/ Publikum, 2015.

35 Kemp, Bildsysteme, 1989.

36 Siehe das Kapitel Raumillusionismus, S 253–263.

37 Dies ist insbesondere im Fall der Martialkapelle festzustellen, was zunächst verwunderlich erscheint, da dieser Zyklus der einzige ist, der von der Werkstatt Giovannettis mit einer festgelegten Nummerierung eine Rezeptionsvorgabe liefert, die den chronologischen Ablauf der Vita anzeigt und so die Rezeption der vergleichsweise

Fachliteratur regelmäßig verwendete Begri e greifen hierbei entweder zu kurz oder schießen über das Ziel hinaus, da sie, wie etwa der Perspektiv-Begri , nicht nur selbst bereits zu historischen Begri en geworden sind, sondern darüber hinaus derart festgelegte Bedeutungen für die Analyse und Bewertung von Kunstwerken in sich tragen, dass ihre Verwendung an einigen Stellen durchaus in die Irre führen kann. Wenn wir das Wort Perspektive hören, denken wir die von uns als besonders überzeugend empfundenen nachmittelalterlichen Lösungen sofort mit. Entspricht eine Perspektivkonstruktion des späten Mittelalters diesen als richtig akzeptierten Lösungen nicht, kann die Raumkonstruktion schnell als nicht gelungen abgetan werden. Dies spiegelt die bereits ausgeführte Forschungsgeschichte zum Raumentwurf Giovannettis deutlich wider.

Somit stellen die Begri ichkeiten einen wichtigen Faktor in der Neubewertung und Ausdeutung des Raumentwurfs der Werkstatt des päpstlichen Hofs dar, weshalb auf diese Problematik im weiteren Verlauf zurückzukommen sein wird.36

Vorab seien außerdem einige grundsätzliche Begri e, die bei der Analyse genutzt werden, in der für die Untersuchung entscheidenden Weise de niert. Im Umgang mit den einzelnen Bildfeldern, die den jeweiligen Freskenzyklus in einzelne Erzählungen untergliedern, hat es in der Vergangenheit unterschiedliche Herangehensweisen und Zählungen gegeben. So ndet sich in beinahe jedem Werk, das die Zyklen inhaltlich vorgestellt hat, eine eigene Zählweise, die teilweise auch Auswirkungen auf die vorgeschlagene Reihenfolge zur Rezeption der einzelnen Bestandteile der jeweiligen Vita hatte.37 Vom Standpunkt einer Untersuchung, die den Raumentwurf der einzelnen Zyklen in den Vordergrund stellt, muss im Umgang mit allen Zyklen zwischen der Erzählung eines Bildfeldes insgesamt und den Erzählungen einzelner Begebenheiten innerhalb dieses Bildfeldes unterschieden werden, indem bestimmte Begri e festgelegt werden, die diese Unterscheidung deutlich machen. Von Episoden wird im Folgenden daher immer dann gesprochen, wenn ein Bildfeld in seiner Gesamtheit gemeint ist, in dem jedoch durchaus mehrere Ereignisse simultan in eigenen Szenen dargestellt sein können.

Eine weitere Gefahr terminologischer Unschärfe bildet der Umgang mit Künstlern aus den am Hof vertretenen unterschiedlichen Kulturlandscha en. Am päpstlichen Hof von Avignon kamen bekanntlich Künstler aus ganz Europa zusammen und arbeiteten mit- und nebeneinander. In diesem Schmelztiegel der Kulturen verbanden sich somit Traditionen wie auch innovative Strömungen und schufen in ihrer Zusammenstellung ein besonderes, vielfältiges und reiches Repertoire an Malereien, das heute nur noch bruchstückha überliefert ist. Insbesondere die kennerschaliche Kunstgeschichtsschreibung blieb in ihren Bemühungen um die Datierung und die Händescheidung der überlieferten Werke nationalen Zuordnungen verp ichtet. Da die berühmtesten Maler des 14.Jahrhunderts aus den Gebieten des heutigen Frankreichs und Italien stammten, führt dies dazu, dass in der Forschung eine Unterscheidung von französischer und italienischer Malerei vorherrscht und ein Austausch am Hof nur begrenzt angeführt wird. Um umständliche unbekannten Vita des heiligen Martial erleichtern soll. Die meisten Autorinnen und Autoren hielten sich an die Nummerierung der Rezeptionsvorgabe der Werkstatt und wiesen bei der Beschreibung der Bildfelder dann ggf. auf das Vorhandensein von mehreren unterschiedlichen Erzählungen bzw. Szenen der Vita hin, die in diesem Bildfeld untergebracht waren. So insbesondere Labande 1925 und Laclotte/ iebaut 1983, die ihren Katalog entsprechend der Nummerierung der Szenen durch die Werkstatt au auen. Ka al hingegen unterteilt die Szenen der Vita in Szenen zum Leben des Heili-

gen, die er von den posthumen unterscheidet und nummeriert die Szenen entsprechend. Die Szenen der Vita nummeriert er mit den arabischen Zahlen 1 bis 32, die posthumen Szenen mit den römischen Zi ern I bis III ; Ka al, Saints, 1998, Sp.685–706. Die Internetseite des französischen Ministeriums für Kultur hingegen unterscheidet 33 Einzelszenen, die in lateinischen Zi ern angegeben und einzeln aufgerufen werden können; Internetseite des französischen Ministeriums für Kultur, htt p ://www.culture.gouv.f r /culture /palais-des-papes/ fr /acceuil.html, (zuletzt am 21.11.2023).

5 Die Fresken der Martialkapelle

der Figuren als für die Interpretation der Ereignisse wichtig hervor und beschreibt sehr tre end die Räume, die für sie eingerichtet werden; sei es im Nebenzimmer eines Gebäudes, unter den Bögen einer Loggia oder auch unter freiem Himmel in den Gewänden des oberen Registers der Ost- und Südwand. Sie beschreibt die Kompositionen der einzelnen Episoden sehr genau und deutet zudem – in weiten Teilen recht überzeugend – die Zusammenstellung der Episoden auf die Wirkung des Raumentwurfs hin. Dabei beschreibt sie tre end die Kombination aus Landscha und Gebäuden. Diese räumlichen Motive leiten den Blick des Betrachters, sind auf Untersicht konzipiert und erzeugen insbesondere in ihrer Zusammenstellung über die Wände hinweg eine panoramaha e Wirkung. Allerdings unterlaufen der Autorin an manchen Stellen folgenreiche Fehler, die insbesondere darauf zurückzuführen sind, dass sie den Inhalt der Vita nicht ausreichend in ihre Überlegungen mit einbezieht und daher den Gehalt mancher Episoden nicht erkennt. An diesen Stellen untersucht sie den Raumentwurf unter falschen Prämissen und gelangt schließlich zu Deutungen, die dem Gezeigten nicht entsprechen.141 Plant ist allerdings in einem zentralen Punkt zuzustimmen: die Fresken der Martialkapelle sind als konsequent angelegtes, komplexes Bildsystem zu verstehen und daher in ihrer Wirkung als Ensemble zu untersuchen und zu beschreiben.

Dynamiken und Störungen – Der Umgang mit Raum in der Martialkapelle

An dieser Stelle sollen einige zentrale Punkte über die Art und Weise, wie Giovannetti den Erzähluss der chronologischen Lesart unterstützt, nochmals hervorgehoben werden. In den obigen Ausführungen wird bereits klar geworden sein, dass weder die Anlage des Zyklus insgesamt, noch die Anlage der jeweiligen Bildräume im Einzelnen zufällig oder willkürlich geschah. Darüber hinaus ist der Umgang mit Raum – sei es mit den realen Gegebenheiten der Kapelle oder in den zu konstruierenden Bildräumen – auch nicht ausschließlich das Ergebnis perspektivischer Experimentierfreude oder die Folge von Platzproblemen. Im folgenden Unterkapitel werden bestimmte Aspekte herausgestellt, die dem Raumentwurf Giovannettis in der chronologischen Lesart Sinn verleihen und die über das reine Interesse an naturalistischer Raumdarstellung oder die o postulierte Experimentierfreude des Künstlers hinausgehen. Diese Aspekte sind in der Zusammenstellung der Vita anhand des Zyklus bereits angeklungen und werden an dieser Stelle in einem Zwischenfazit zusammengefasst. Im Anschluss daran wird eine neue Möglichkeit der Rezeption des Zyklus vorgestellt, die bislang von der Forschung nicht in Betracht gezogen wurde und die in der Tradition mittelalterlicher Bildsysteme steht. Diese zweite Art der Betrachtung der Fresken war meines Erachtens die entscheidendere für die Rezeption des Zyklus der Martialkapelle im 14.Jahrhundert, da sie dem Publikum keine Drehungen oder das Verfolgen komplizierter szenischer Abläufe abverlangte. Zunächst möchte ich mich jedoch nochmals der ersten – etwas komplizierteren – Anlage der chronologischen Abfolge der Episoden widmen, da diese Lesart ebenfalls bewusst angelegt wurde und diese Art der Rezeption durch bestimmte Mittel vom Maler gefördert oder ermöglicht worden ist.

Marilyn Aronberg Lavin, die die Lesarten und Strategien der Erzählung in italienischen Bildzyklen von der Spätantike bis zur Renaissance untersucht hat, spricht beim Zyklus der Martialkapelle von einer Art der Blickführung, die durchaus aus früheren Beispielen vertraut sei. Es handle sich um »a le -right Wraparound bent to t a groined vault’s webs.« 142 Gleich darauf weist sie auf

ter. Somit sind zwar die emen, die Plant anspricht, durchaus gezeigt, eine thematische Schwerpunktsetzung ist in der Art jedoch nicht zu erkennen; Plant, Fresco, 1981, S 54–55. Siehe auch Plant, Vaults, 1982

passim. Sehr gut ist jedoch die Beschreibung der Wirkung des Rahmensystems durch diese Autorin.

141 Das betri insbesondere das mittlere Register der Südwand, aber auch das obere Register der Westwand.

die Schwierigkeit hin, die die Art der Platzierung und Ausrichtung der in die Zwickel der Gewölbefelder gesetzten Episoden hervorbringe. Es sei dadurch zunächst schwierig, dem Zyklus zu folgen. Damit spricht sie o enbar die Notwendigkeit der Drehung um die eigene Achse an. Im Gegenzug hat Margaret Plant darauf hingewiesen, dass Giovannetti Wege gefunden hat, um die Rezeption der Episoden im Gewölbe zu erleichtern.143 Sie stellt in ihrem knappen Beitrag wichtige Punkte zusammen, die das Lesen der chronologischen Abfolge erleichtern: Plant weist darauf hin, dass sich die Gestaltung der Gebäude, die in den Ecken des Gewölbes zusammenlaufen, ähnelt. Der Erzähl uss über Eck werde also immer dann erleichtert, wenn eine Drehung um 90 Grad durch den Betrachter oder die Betrachterin nötig ist (Abb. 33) 144 Die Anschlüsse der Lesefolge innerhalb der gleichen Gewölbekappe würden durch die Nähe des oberen Abschlusses der Episoden und den einheitlichen, das Bildfeld verbindenden blauen Sternenhimmel ermöglicht (Taf. VIII ; Abb. 18). Außerdem werde die Leserichtung durch die Erzählung selbst erleichtert, da innerhalb einer Gebäudekappe ähnliche oder sich teilweise bedingende emen behandelt und dargestellt würden. So werde zum Beispiel im nördlichen Gewölbefeld in Episoden A und B der Beweis geführt, dass Martial ein Zeitgenosse und Apostel Christi gewesen sei. Ähnliche Zusammenhänge zeigt Plant auch für die übrigen Gewölbefelder auf.145 Dieser letzte Punkt ist sicherlich nicht falsch. Dennoch sind die Implikationen, die sich aus den geschilderten Ereignissen im Gewölbe ergeben können, nicht allein auf die Intentionen und die Zusammenstellung des Malers zurückzuführen; sie sind in der schri lichen Überlieferung bereits vorgeformt und gehen somit ein gutes Stück weit auf die Chronologie der Ereignisse bei Ademar von Chabannes und Bernard Gui zurück.

Wie Plant richtig beschreibt, hat es der Maler an bestimmten Stellen verstanden, dem Publikum dabei zu helfen, der Erzählung zu folgen oder bestimmte Inhalte und Episoden miteinander zu verbinden.146 An anderen Stellen nutzt Giovannetti den Raumentwurf oder die Zusammenstellung von bestimmten Bildelementen aber auch, um Szenen und Inhalte einander gegenüberzustellen oder voneinander abzugrenzen. Streng genommen funktioniert die chronologische Lesart nur mithilfe der Folge von Großbuchstaben, die die Reihenfolge der Rezeption angeben und ohne die es wohl um einiges schwieriger, wenn nicht gar unmöglich wäre, eine zeitliche Abfolge in dieser unbekannten ematik zu erkennen. In der Johanneskapelle, in der einerseits weniger Szenen dargestellt wurden und andererseits eine bekannte Ikonographie behandelt wurde, fehlen die Großbuchstaben.

Giovannetti nutzt also den Raumentwurf sowie die Platzierung der Episoden, um dem Lese uss der Chronologie zu folgen (Abb. 27). Die allgemeine Anlage des Zyklus beruht auf Wiederholung der immer gleichen Bewegungsabläufe durch die Betrachterin oder den Betrachter. Sobald man das System verstanden hat, ist es nicht schwer, der Chronologie zu folgen. Dann entspinnt sich die Vita im Uhrzeigersinn um die Kapelle herum von der nordwestlichen Ecke des Gewölbes (Episode A) bis hin zur südwestlichen Ecke des mittleren Registers (Episode U ). Darüber hinaus ist der Wechsel zum nächstfolgenden Register insofern konstant, als dass die nächste Episode des Folgeregisters jeweils direkt unterhalb der letzten Episode des aktuellen Registers ansetzt; von Episode H im Gewölbe wechseln wir zu Episode I im Bogenfeld der Nordwand. Diese beiden Episoden können vom gleichen Betrachterstandpunkt aus gelesen werden (Taf. XVI ; Taf. XVII ). Beachtet man also die Ausrichtung der Episode im Gewölbe, ergibt diese Platzierung des Registerwechsels durchaus Sinn

142 Aronberg Lavin, Place, 1990, S 85.

143 Plant, Vaults, 1982, passim.

144 Dabei weist sie beispielsweise auf die Unterscheidung glatter Abschlüsse (Episoden B und C sowie F und G) von zinnenbekrönten Gebäuden (D und E) hin; Plant, Vaults, 1982, S . 6–9.

145 Plant, Vaults, 1982, S . 10–11.

146 Plant, Fresco, 1981, S 57.

5 Die Fresken der Martialkapelle und stimmt mit dem Wechsel zum nachfolgenden Register überein. Dieser erfolgt im Westen und führt – ebenfalls vom gleichen Standpunkt aus zu betrachten – von Episode O zu Episode P, beide oberhalb des Eingangsportals an der Westwand gelegen (Taf. XII ; Taf. XIII ). Bei allen vermeintlichen Unstimmigkeiten zeichnet sich die Anlage der Vita also vor allem durch Kontinuität aus. Ein weiterer wichtiger Punkt liegt im Bestreben des Malers, die architektonischen Gegebenheiten der Kapelle zu überspielen und sie gänzlich dem Bildprogramm und den von ihm erscha enen Bildräumen unterzuordnen. Jeder Winkel war ursprünglich in das Bildprogramm einbezogen; weder an den Wänden noch in den Gewänden der Fenster oder des Portals wurden Partien ausgelassen. Der Maler ö nete die ihm zur Verfügung stehenden Flächen zu einem durchgängigen Bildraum, der jedes Register miteinander verbindet und keine scharfen Grenzen zwischen den Episoden zieht – Das Rahmensystem tritt kaum in Erscheinung. Diese Vorgehensweise begegnet in allen drei Registern, die der historischen Erzählung Platz geben. Im Gewölbe ergibt sich durch die Platzierung der Episoden in den Gewölbezwickeln und den bestimmenden blauen Himmel, der alle Episoden in ihrer Gewölbekappe überfängt, eine aufstrebende Gesamtwirkung.147 In den Registern der Wände gelingt die Fortführung des Bildraums über die Fenster und deren Gewände hinweg, schließt aber teilweise auch die Übergänge zwischen angrenzenden Wänden im gleichen Register mit ein.148

Die Verbindung zwischen den Episoden wird besonders deutlich im mittleren Register: die Landscha en und Gebäude der West- und Nordwand können durchaus zusammen gelesen werden; sie besitzen eine ähnliche räumliche Anlage, bis hin zur Horizonthöhe oder dem Bodenniveau. Klar tritt dieser Aspekt außerdem an der Ecke zwischen den Episoden S und T hervor, wo die Erzählung inhaltlich und räumlich miteinander verbunden wird, indem die Personen, die eben noch in der Kathedrale von Limoges versammelt waren, diese nun in Leserichtung verlassen und den Leichnam des Titelheiligen in einer Prozession zu Grabe tragen (Taf. XIX ). In der gleichen Richtung pilgern sie schließlich zu seinem Grab, wo sie weiterhin auf Heilung oder Beistand des Heiligen ho en dürfen.

Zwischen den Registern wird jeweils zwar eine Art Rahmung unterhalb der Bodenlinie erstellt, aber auch diese wird – beispielsweise im Falle der Trennung der Register der Wand – durch die Art und Weise, wie die Tituli platziert sind, relativiert. Denn die Schri bänder des oberen Registers der Wand sind nicht im Sockel dieser Episoden untergebracht, sondern schreiben sich als weiße Schri bänder in den blauen Himmel der Episoden des mittleren Registers ein, ragen also in dieses untere Bildfeld hinein. Dies ist beispielsweise in Episode S besonders deutlich. Das Schri band, das gleich oberhalb der Heiligen im blauen Himmel zu sehen ist, gehört inhaltlich zur Episode L im Register darüber (Abb. 38)

Die Weite der Erzählräume, die die Wand tiefer ö nen als frühere Beispiele der Trecentomalerei, sind nicht einfach nur Ausdrucks eines Strebens nach räumlicher Tiefe. Sie wurden zur Organisation des Bildgeschehens angelegt. In den angrenzenden Räumen, die diesen Gebäuden in die Tiefe der Wand beigegeben werden, nden weniger wichtige Personengruppen ihren Platz. Ihnen wird ein eigener Raum gegeben, der zwar durch Ö nungen und Durchgänge mit dem der Haupthandlung verbunden ist, aber bei der Unterscheidung der Personengruppen hil . Tiefe Räume, aus verschiedenen Teilen bestehend, werden bei Giovannetti also immer dann gescha en, wenn in diesen hinteren oder benachbarten Zimmern bestimmte Figuren oder Figuren-

147 Castelnuovo beschreibt diese aufstrebende Wirkung der Gewölbemalerei; Castelnuovo, Pittore, 1991, S . 67. Dies deckt sich mit Blumes Feststellung; siehe oben, S 131.

148 Dieter Blume bezeichnete dies jüngst als »besonderen E ekt« des Malers; Blume, Rom, 2015, S . 82.

149 Vgl. das Kapitel Die Johanneskapelle Innozenz’ VI . in Villeneuve-lès-Avignon, S 228–231.

gruppen untergebracht werden sollen. Diesen Weg verfolgt Giovannetti bis zum Zyklus der Kartause von Villeneuve-lès-Avignon weiter, wo er die tiefsten Räume entwerfen wird, die jedoch nach wie vor dem gleichen Zweck dienen.149 Vielleicht spielen auch Platzgründe in der beengten Kapelle eine gewisse Rolle, aber sie sind meines Erachtens nicht entscheidend für die Sta elung von Räumen hintereinander. In erster Linie kommt es auf die Handlung und die Führung des Blicks des Publikums an. So sind die hinteren oder begleitenden Räume, die beispielsweise in einigen Gewölbefeldern au auchen (Episoden E , F und G) niemals leer. Sie beherbergen immer Bildpersonal, das bestimmte Funktionen hat: Zuschauer, Nebencharaktere oder Diener nden dort ihren Platz. Die hallenartigen Räume, die in den Registern der Wände das zur Verfügung stehende Bildfeld in seiner gesamten Breite ausfüllen (Episoden O , S , und U ), bieten einem großen Publikum Platz; und auch wenn der Blick in die gleiche Halle fällt, wie beispielsweise in Episode S , wird der Hauptperson, dem heiligen Martial, ein eigener Raum gegeben. In dieser Episode wird die Hervorhebung Martials zudem durch die Verortung der Darstellung in der Fensterlaibung unterstrichen (Taf. XIX ).

In den meisten Episoden nden sich die Hauptpersonen einer Szene im Vordergrund der Darstellung; sie können jedoch auch in die Tiefe der Wand rücken, wie beispielsweise Petrus und Herzog Stephanus in Episode M (Taf. XIV ; Taf. XV ) oder Martial und Aurelianus in Episode Q (Abb. 1). Der jeweilige Raumentwurf sorgt dann trotzdem dafür, dass die Haupt guren entsprechend hervorgehoben werden. In Episode M geschieht das über die kreisförmige Anordnung der Begleit guren, die in der Mitte eine größere Leerstelle entstehen lassen, sowie über die rahmende Funktion des Gebäudes im Hintergrund. Die Binnenglieder der Architekturen können rahmend wirken, indem die Bogenstellungen die jeweiligen Figuren – hier Petrus und den Herzog – oder bestimmtes Bildpersonal umfangen.150 In Episode Q führt die perspektivische Verkürzung in der Kirche sowie das entlang der Bildachsen verlaufende bevölkerte Chorgestühl zu den beiden Hauptpersonen Aurelianus und Martial, die im Mittelpunkt der Darstellung von der polygonalen Apsis am Ende des Raumes gerahmt werden.

Wenn mehrere Szenen in einer Episode dargestellt werden (Episoden B und O), können diese einzelnen Szenen in der gleichen Landscha verortet (Episoden A und P), aber auch in einem eigenen Gebäude, beziehungsweise in einem anderen Raum des gleichen Gebäudes dargestellt werden. In den Episoden C und H werden beispielsweise zwei Teile des gleichen Gebäudes gezeigt, deren Räume klar voneinander getrennt sind und in denen jeweils eine der beiden Szenen untergebracht ist. So wird jeder Szene ein eigener, in gewisser Weise gleichberechtigter Ort eingerichtet. In einigen Episoden (I , D , B , F und natürlich P und Q ), stehen Außen- und Innenraum nebeneinander und geben den jeweiligen Szenen ihren eigenen Ort – entweder im Freien oder im Inneren eines Gebäudes. Die Szenen einer Episode werden somit wirkungsvoll voneinander getrennt, auch wenn sie im gleichen Bildfeld gezeigt werden und dadurch gleichzeitig ihre Zusammengehörigkeit klar wird. In gleicher Weise funktioniert auch die Blickführung innerhalb der Episoden, da man den Bildraum in Leserichtung von oben nach unten – so beispielsweise im Gewölbe in Episode A (Abb. 31) – oder von links nach rechts auf der Wand mit den Augen abschreiten kann. Wie bereits angeklungen funktioniert dies teilweise auch über mehrere Episoden hinweg. Beispielha sei dies am Übergang zwischen den Episoden K und L verdeutlicht (Abb. 26) : Während sich das Martyrium der hei-

150 Castelnuovo bemerkt dies beispielsweise bei den beiden jungen Männern, die in Episode E (Abb. 32) Zeugen der Heilung der Tochter des Arnulfus werden und die von einem der hinteren Spitzbögen gerahmt wer-

den, geht jedoch nicht weiter auf mögliche Implikationen dieses Details ein; Castelnuovo, Pittore, 1991, S . 68.

Die Fresken der Martialkapelle ligen Valeria in einer Landscha abspielt, können wir in Leserichtung von links nach rechts die Reaktion der Personen verfolgen, die Zeugen dieses Ereignisses geworden sind. Die Soldaten, die hier angesprochen sind, stehen beisammen. Sie sind in der Fensterlaibung links des Fensters dargestellt. Ihrer Gestik folgend werden wir an eine zweite Personengruppe verwiesen, die in der gegenüberliegenden Fensterlaibung dargestellt ist: die Anhänger des Herzogs Stephanus. Dieser hatte die Hinrichtung der Heiligen befohlen. Auch diese Personen stehen im Freien unter dem bestimmend blauen Himmel. Sie tauschen sich allerdings nicht über die Enthauptung, sondern über das Ereignis aus, das rechts von ihnen innerhalb eines Hauses stattgefunden hat. Wenn wir ihren Gesten und Blicken folgen, sehen wir in Episode L , wie der heilige Martial den Henker der Valeria in einem kleinen Gebäude wieder zum Leben erweckt hat. Dieser war eben noch am linken Bildrand der benachbarten Episode zu sehen, wie er mit gesenktem Schwert erstaunt der in den Himmel emporsteigenden Seele der Heiligen nachsieht. Da die Zuschauer im Außenraum vor dem Haus platziert wurden, mussten im Inneren des Gebäudes keine weiteren Räume angelegt werden. Dieses Beispiel macht neuerlich klar, dass tiefe Räume explizit nur dann gescha en werden, wenn die innerbildliche Raumlogik es erfordert. Das Scha en von Tiefe allein ist kein ausreichender oder alleiniger Grund für die Anlage eines Raums oder für die Sta elung mehrerer Räume hinter- oder nebeneinander.

Die Leserichtung lässt sich o über mehrere Episoden und Wand ächen eines Registers hinweg verfolgen. Werfen wir hierzu nochmals einen genaueren Blick auf das mittlere Register:151 beginnend bei der Kirche von Poitiers (Episode P), die an ein Baptisterium erinnert, schwei unser Blick durch die Landscha , in der sich die Martyrien der Apostelfürsten ereignen (Taf. XII ). An diese Landscha anschließend blicken wir auf ähnliche Weise nun ins Innere der Kathedrale von Limoges, in der Aurelianus geweiht wird (Episode Q ), bevor wir weiter rechts in der hügeligen Landscha Aquitaniens schematisch die Kirchengründungen des heiligen Martial sehen (Taf. XVI ), bis sich schließlich erneut ein Innenraum anschließt (Episode R ), in dem Christus dem Heiligen erneut erscheint (Taf. XVIII ; Taf. X ). Alle Bauten erscheinen, im Verlauf der Vita gelesen, wie in eine fortlaufende Landscha hineingesetzt. Eine klare Grenze wird nicht gezogen, bis wir auf die leicht angehobene Szene der Übergabe des Hauptes der Valeria stoßen. Doch auch hier wird der Erzähl uss nur bedingt gestört, verbindend wirkt die Erzählarchitektur. Weiter geht es rechts des Fensters mit dem Tod des heiligen Martial in Episode S und den nachfolgenden Ereignissen, die sich in Leserichtung, in der oben bereits ausführlich dargelegten Weise bis zum Endpunkt des Zyklus an der Südwand entspannen (Taf. XIX ; Taf. XIV ).152

Vermeintliche Störmomente oder Unstimmigkeiten waren in der Vergangenheit dafür verantwortlich, dass die Forschung den Umgang mit Raum und insbesondere die Platzierung der Episoden in der Martialkapelle kritisierte. Das betri auch die Inversion an der Ostwand um die Szene, in der die enthauptete Valeria Martial ihr abgeschlagenes Haupt darbringt. Um die Eigenständigkeit dieser Szene innerhalb des Zyklus anzugeben und zu unterstreichen, verändert Giovannetti den Umgang mit Raum zwischen Fensterlaibung und Wand äche, indem er dieser Szene einen eigenen Raum mit unterschiedlichem Bodenniveau, eigenem Titulus und weiteren Details gibt, die sich von dem Erzählraum der linkerhand benachbarten Szene unterscheiden. Diese kleinen An-

151 Episoden P, Q , R , S , T, und U

152 Daneben kommen auch Simultandarstellungen, die mehrere Ereignisse in der gleichen Landscha oder im gleichen Raum verhandeln, an einigen Stellen des Zyklus zum Tragen. Da Giovannetti diese Art der

Darstellung auch in der Johanneskapelle o anwendet, werden die Implikationen dieses Raumentwurfs ausführlicher im folgenden Kapitel behandelt, das dem Zyklus der Johanneskapelle gewidmet ist.

passungen dienen Giovannetti dazu, Ortswechsel oder Zeitsprünge anzuzeigen. In der Johanneskapelle werden wir eine ähnliche Vorgehensweise vor nden.

Auf ein bestimmtes Störelement ist genauer einzugehen: die notwendige Drehung um die eigene Achse beim Einhalten der alphabetisch geordneten Rezeptionsfolge im Gewölbe. Diese Rezeption der Vita führt durch die ständige Drehung zu einer stockenden Rezeption, da man sich auf jede Episode räumlich neu einstellen muss. Dieser Aspekt sorgte in der Vergangenheit wohl für die meisten negativen Urteile oder Bemerkungen seitens der Forschung. Hinzu kommen die perspektivisch angelegten Störmomente, die für negative Beurteilungen oder Skepsis bezüglich der Überzeugungskra des Ergebnisses dieser perspektivischen Malerei sorgten. Hauptverantwortlich für diese negativen Beurteilungen ist meines Erachtens eine allzu starke Konzentration auf die einzelne Episode. Die Sinnha igkeit dieser Sprünge innerhalb des Bildsystems wird nur dann klar, wenn die Bezüge zwischen den Einzelszenen untersucht werden. Dies sei anhand des eindeutigsten Beispiels des Zyklus veranschaulicht: der Nordwand.

Die drei Register der Martialkapelle

Eingangs des Kapitels wurde die Grundvoraussetzung der zweiten Lesart bereits erläutert. Zusammengenommen ergeben die Episoden, die eine gleiche Ausrichtung und somit einen gemeinsamen Betrachterstandpunkt teilen, eigene Bildsysteme. An der Nordwand wird dies besonders klar (Taf. XVI ; Taf. XVII ). Die Episoden H , C , I und Q treten hier in einen visuellen und inhaltlichen Zusammenhang. Diese Zusammenstellung ermöglicht Giovannetti die Scha ung eines Bildsystems, das einer visuellen Auslegung der Vita im Sinne der mittelalterlichen Schri auslegung gleichkommt. In diesem Bildsystem werden die Episoden zu Sinneinheiten zusammengefasst, die die als historisch angesehenen Ereignisse mit bestimmten Grundprinzipien für Kirche und Papsttum in Bezug setzen. Auf diese Weise können also übergreifende Inhalte vermittelt werden, die über die Aufwertung des Lokalheiligen hinausgehen und dezidiert die Verbindung zwischen Martial und dem Papsttum aufzeigen, oder die Bedeutung des Heiligen und der Region in der Heilsgeschichte herausstellen.

An der Nordwand wird das ema des göttlichen Au rags verhandelt. Geschickt wird der Auftrag, der im Gewölbe zweimal an Martial ergeht, mit den Errungenscha en des Heiligen am Ende seines Lebens verbunden. In Episode C , auf der rechten Seite im Register des Gewölbes, erhält Martial den Au rag, nach Aquitanien aufzubrechen. Der Au rag geht von Christus selbst aus und wird Martial durch den heiligen Petrus – den ersten Papst – als Vermittler des göttlichen Willens auf Erden übermittelt. Nach der ersten Zeit des Wirkens in Aquitanien sendet Christus den Heiligen weiter zu seinem eigentlichen Bestimmungsort. In Episode H tritt Christus selbst mit seinem aquitanischen Apostel in Kontakt und erneuert, beziehungsweise spezi ziert seinen Au rag: Martial soll weiter nach Limoges ziehen, wo fortan das Zentrum seines Wirkens liegen soll.153 In Episode I sind Martials erste Wunder in Limoges gezeigt, im Zuge derer er auf zwei weitere, für sein Wirken besonders wichtige Heilige tri , die erst durch ihn zum Christentum bekehrt werden: die Jungfrau Valeria, die als eine der ersten Märtyrerinnen Frankreichs inszeniert wird, und Aurelianus, den

153 An dieser Stelle ist auch der Übergang der chronologischen Lesart vom Gewölbe zur Wand angelegt, der die Sinnha igkeit und die wohlüberlegte Ausrichtung der Gewölbeepisoden untermauert: dieser erste Registerwechsel in der Chronologie der Vita erfolgt

an der Nordwand und springt dort vom oberen Register, dem Gewölbe, zum unteren, der Lünette (Episoden H und I).

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