Sebastian Schütze (Hg.)
KUNST SAMMLER IN WIEN
Biografische Profile
zwischen Statuskonkurrenz, Kunstmarkt und Kennerschaft
Inhaltsverzeichnis
9
Vorwort und Danksagung
15
Cecilia Mazzetti di Pietralata
Enea Antonio Caprara 1631–1701
25
Matthias Bodenstein
Ferdinand Bonaventura I. von Harrach
1637–1706
35
Matthias Bodenstein
Aloys Thomas Raimund von Harrach 1669–1742
45
Katharina Leithner
Juan Francisco Pacheco de Uceda 1649–1718
55
Silvia Tammaro
Eugen von Savoyen-Soissons 1663–1736
65
Silvia Tammaro
Friedrich Karl von Schönborn 1674–1746
73
Nora Fischer
Joseph Angelus de France um 1691–1761
83
Silvia Tammaro
Luigi Girolamo Malabaila di Canale 1704–1773
89
Gernot Mayer
Johann Hugo II. von Hagen zur Motten 1707–1791
99
Gernot Mayer
Georg Reutter d. J. 1708–1772
105
Gernot Mayer
Wenzel Anton von Kaunitz-Rietberg 1711–1794
115
Stefanie Linsboth
Samuel von Brukenthal 1721–1803
123
Stefanie Linsboth
Johann Melchior von Birkenstock 1738–1809
133
Sylvia Stegbauer
Albert von Sachsen-Teschen 1738–1822
143
Stephanie Andrea Sailer
Franz Jäger d. Ä. 1743–1809
155
Sylvia Stegbauer
Ignaz Unterberger 1748–1797
165
Katharina Leithner
Carlo Mechetti 1748–1811
173
Stephanie Andrea Sailer
Jakob Friedrich van der Nüll 1750–1823
183
Lydia Eder
Prosper von Sinzendorf 1751–1822
193
Anna Frasca-Rath
Andrej Kirillowitsch Rasumovsky 1752–1836
201
Stefanie Linsboth
Charles Antoine Joseph Lamoral de Ligne 1759–1792
209
Franziska Maria Urban
Nikolaus II. Esterházy de Galantha 1765–1833
219
Luka Rucˇigaj
Josef Karl Eduard Hoser 1770–1848
229
Anna Frasca-Rath
Clemens Wenzel von Metternich 1773–1859
237
Stephanie Andrea Sailer
Moritz von Fries 1777–1826
249
Luka Rucˇigaj
Nikolaus Baranowsky 1778–1854
259
Camilla Brantl
Ferdinand Georg Waldmüller 1793–1865
267
Andrea Mayr
Joseph Daniel Böhm 1794–1865
277
Sylvia Stegbauer
Pietro di Galvagni 1797–1868
287
Gernot Mayer
Valentin Andreas von Adamovics ?–1856
295
Stephanie Andrea Sailer
Johann Christoph Endris ?– 1877
305
Erika Meneghini
Sámuel Festetics de Tolna 1806–1862
315
Camilla Brantl
August Artaria 1807–1893
325
Anna Frasca-Rath
Julie von Benedek 1811–1895
333
Stephanie Andrea Sailer
Josef Carl Klinkosch 1822–1888
343
Franziska Maria Urban
Josef Lippmann von Lissingen 1827–1900
353
Franziska Maria Urban
Friedrich Lippmann 1838–1903
363
Erika Meneghini
Heinrich von Ferstel 1828–1883
373
Camilla Brantl
Ignaz Ephrussi 1829–1899
381
Franziska Maria Urban
Eugen von Miller zu Aichholz 1835–1919
391
Camilla Brantl
Max Strauss 1835 [?]–1925
399
Camilla Brantl
Nathaniel Mayer von Rothschild 1836–1905
409
Camilla Brantl
Albert Salomon von Rothschild 1844–1911
417
Sylvia Stegbauer
Auguste Stummer von Tavarnok 1848 [?]–1896
427
Erika Meneghini
Karl Lanckoron�ski von Brzezie 1848–1933
439
Stefan Albl
Josef Engelhart 1864–1941
449
Luka Rucˇigaj
Josef Matsvanszky 1875–1930
457
Sylvia Stegbauer
Adele Bloch-Bauer 1881–1925
467
Sebastian Schütze
Benno Geiger 1882–1965
476
Kurzbiografien der Autorinnen und Autoren
479
Abkürzungsverzeichnis
482
Abbildungsnachweis
488
Impressum
Vorwort und Danksagung
Wien gehört zu den großen Kunst- und Kulturmetropolen Europas. Neben den kaiserlichen Sammlungen sind hier vor allem seit dem 17. Jahrhundert und bis in die Moderne hinein zahlreiche bedeutende Sammlungen entstanden. Das Thema Kunstsammler in Wien wurde im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert von Theodor von Frimmel etabliert. Er hat mit seinen Studien wesentlich dazu beigetragen, Wien als Sammlungszentrum systematisch zu erschließen und international sichtbar zu machen.
Sein 1913–1914 publiziertes Lexikon der Wiener Gemäldesammlungen umfasst biografische Einträge zu Hunderten von Sammlern, ist aber letztlich Fragment geblieben und nur bis zum Buchstaben L erschienen.1 Wichtige monografische Studien sind in den letzten Jahrzehnten etwa zu großen Sammlerpersönlichkeiten wie Leopold Joseph von Lamberg,2 Eugen von Savoyen-Soissons,3 Wenzel Anton von Kaunitz-Rietberg,4 Nikolaus II. Esterházy de Galantha5 oder Nathaniel Mayer und Albert Salomon von Rothschild6 erschienen. Die jüdischen Kunstsammlungen insgesamt hat Sophie Lillie in ihrem Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens umfassend dokumentiert.7
Die in unserem Band behandelten Sammlerpersönlichkeiten umfassen Vizekönige, Staatsminister
und Botschafter, Händler, Kaufleute und Bankiers, aber auch Komponisten, Maler, Kunsthändler und Kunsthistoriker. Ihre Auswahl ist wesentlich durch die Forschungsinteressen der beteiligten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler bestimmt und zielt zugleich darauf, einen repräsentativen Überblick über Kunstsammler des 17. bis 20. Jahrhunderts in Wien zu geben. Neben berühmten Sammlerpersönlichkeiten werden dabei vor allem heute weniger bekannte Protagonisten ins Licht gerückt. Zu den zentralen Fragestellungen gehören Motivationen, Geschmack und Erwerbungsstrategien der Sammler, die Rolle von Kunsthändlern, Agenten und Beratern sowie Aufbewahrung und Präsentation der Objekte. In Summe verstehen sich die Beiträge als wichtige Bausteine zu einer systematischen, noch zu schreibenden Geschichte der Kunstsammlungen in Wien, die auch soziale, ökonomische und kulturelle Rahmenbedingungen und die Bedeutung von Kunstmarkt, Kennerschaft und früher Kunstgeschichte adressiert und die Donaumetropole in einem gesamteuropäischen Kontext, in ihren vielfältigen Bezügen zu anderen Zentren wie Rom, Florenz, Amsterdam, London, Paris, Berlin oder Leipzig positioniert.
Dank einer großzügigen Förderung des Bundesministeriums für Bildung, Wissenschaft und
Forschung (BMBWF) im Rahmen der Hochschulraumstrukturmittel konnte 2017 ein mehrjähriges, vom Institut für Kunstgeschichte der Universität Wien in Kooperation mit dem Austrian Centre for Digital Humanities and Cultural Heritage und dem Fachbereich Kunstgeschichte am Institut für Kunst- und Musikgeschichte (jetzt Institut zur Erforschung der Habsburgermonarchie und des Balkanraums) der Österreichischen Akademie der Wissenschaften (ÖAW) konzipiertes Projekt Sammler, Sammlungen, Sammlungskulturen in Wien und Mitteleuropa durchgeführt und das Vienna Center for the History of Collecting (VCHC) etabliert werden. Mit dem Ziel, anknüpfend an die Arbeiten Frimmels, das Thema systematisch zu erforschen und in international vergleichender Perspektive in Forschung und Lehre zu verankern.
Einen zentralen Aspekt stellt dabei der Aufbau einer Datenbank zu Wiener Sammlungen des 17. bis 20. Jahrhunderts dar, die ausgehend von Nachlassinventaren, Verkaufs- und Versteigerungskatalogen die Bedeutung Wiens als Zentrum der Sammlungskultur wie des Kunstmarktes dokumentiert.
Von Anfang an war das Projekt vorrangig als Instrument der Nachwuchsförderung konzipiert. Einzelne Sammlungen und übergreifende Fragestellungen wurden und werden im Rahmen von Masterarbeiten, Dissertationen und Post-Doc-Projekten analysiert. Assistentinnen und Assistenten am Lehrstuhl für Neuere Kunstgeschichte, Projektmitarbeiterinnen und -mitarbeiter sowie Postdoktoranden, Doktoranden und Masterstudierende mit verwandten Forschungsthemen haben wesentlich zum Aufbau des VCHC beigetragen. Der institutionelle Rahmen hat sich dabei auch als äußerst erfolgreiche Drittmittelstrategie erwiesen. So konnten im VCHC große Drittmittelprojekte bei FWF und ÖAW eingeworben und damit das ursprüngliche Fördervolumen des BMBWF beinahe verdreifacht werden. Im Rahmen dieser Projekte hat Cecilia Mazzetti di Pietralata die Rolle der Habsburgischen Gesandten in Rom für den
Kunst- und Kulturtransfer zwischen Wien und Rom untersucht, Silvia Tammaro die Kunstsammlungen des piemontesischen Botschafters Luigi Girolamo Malabaila di Canale und Eleonora Gaudieri die Bedeutung der venezianischen Malerei am habsburgischen Kaiserhof im 18. Jahrhundert.
Durch regelmäßige Tagungen und die Gründung einer eigenen Publikationsreihe Sammler, Sammlungen, Sammlungskulturen in Wien und Mitteleuropa hat sich das VCHC schnell als internationales Forschungszentrum etabliert. Mit Kunstsammler in Wien. Biografische Profile zwischen Statuskonkurrenz, Kunstmarkt und Kennerschaft legen wir den sechsten Band der Reihe vor. Die Beiträge stammen fast ausschließlich von Nachwuchswissenschaftlerinnen und -wissenschaftlern, die in den letzten Jahren mit ihren Forschungen das VCHC getragen haben. Der Band ist zentrales Ergebnis und wichtige Etappe unseres Projektes, möchte die Bedeutung Wiens als Zentrum von Sammlungskultur und Kunstmarkt sichtbar machen und zugleich neue Impulse zur Erforschung des Themas liefern. Biografische Skizzen der Sammlerpersönlichkeiten sind dabei jeweils mit Angaben zu Entstehung, Schwerpunkten und Verbleib der Sammlung verknüpft. Hinweise auf dokumentarische Quellen und aktuelle Forschungsliteratur bieten Ansatzpunkte für weitergehende Forschungen.
Unser Dank gilt in erster Linie allen Autorinnen und Autoren, die mit ihren Beiträgen zum Gelingen des Unternehmens beigetragen haben. Die umfangreiche Dokumentation von Sammlungsund Versteigerungskatalogen, die der Datenbank des VCHC wie dem vorliegenden Band zugrunde liegt, ist wesentlich den Vorarbeiten von Gernot Mayer zu verdanken. Die komplexe Bildbeschaffung und die redaktionelle Betreuung des Bandes lagen in unterschiedlichen Phasen bei Camilla Brantl, Erika Meneghini, Silvia Tammaro und Franziska Maria Urban. Besonderer Dank gilt hier auch den Fotografen des Instituts für Kunstgeschichte, Karl Pani und René Steyer. Die Schluss-
Vorwort und Danksagung
redaktion des gesamten Bandes hat mit großem Einsatz Anna Reisenbichler übernommen. Museen, Versteigerungshäuser, Bibliotheken, Archive und Privatsammler haben großzügig die Verwendung von Archivmaterialien und Bildvorlagen gestattet, und insbesondere möchten wir der Akademie der bildenden Künste, der Albertina, dem Belvedere, dem Dorotheum, dem Kunsthistorischen Museum, dem Museum für angewandte Kunst, dem Wien Museum, der Wienbibliothek im Rathaus und der Österreichischen Nationalbibliothek in Wien sowie LIECHTENSTEIN. The
Princely Collections in Vaduz und Wien, der Graf Harrach’schen Familiensammlung in Rohrau, der Národní galerie in Prag und dem Szépmüvészeti Múzeum in Budapest danken. Katja Richter und Arielle Thürmel beim De Gruyter Verlag danken wir für die gewohnt professionelle Betreuung und die schöne grafische Gestaltung des Bandes, dessen Drucklegung durch die großzügige Unterstützung des BMBWF und der Universität Wien ermöglicht wurde.
Sebastian Schütze
Anmerkungen
1 Theodor von Frimmel, Lexikon der Wiener Gemäldesammlungen, 2 Bde., München 1913–1914.
2 Friedrich Polleroß, Die Kunst der Diplomatie: auf den Spuren des kaiserlichen Botschafters Leopold Joseph Graf von Lamberg (1653–1706), Petersberg 2010.
3 Ulrike Seeger, Stadtpalais und Belvedere des Prinzen Eugen. Entstehung, Gestalt, Funktion und Bedeutung, Wien/Köln/Weimar 2004; Agnes Husslein-Arco und Marie-Louise von Plessen (Hg.), Prinz Eugen. Feldherr, Philosoph und Kunstfreund, München 2010; Carla Enrica Spantigati (Hg.), Le raccolte del principe Eugenio condottiero e intellettuale. Collezionismo tra
Vienna, Parigi e Torino nel primo Settecento, Cinisello Balsamo 2012.
4 Gernot Mayer, Kulturpolitik der Aufklärung. Wenzel Anton von Kaunitz-Rietberg (1711–1794) und die Künste, Petersberg 2021.
5 Stefan Körner, Nikolaus II. Esterházy (1765–1833) und die Kunst. Biografie eines manischen Sammlers, Wien/Köln/Weimar 2013.
6 Felicitas Kunth, Die Rothschild’schen Gemäldesammlungen in Wien, Wien/Köln/Weimar 2006.
7 Sophie Lillie, Was einmal war. Handbuch der enteigneten Kunstsammlungen Wiens, Wien 2003.
und Danksagung
Friedrich Lippmann
6.10.1838 Prag — 2.10.1903 Berlin
Als jüngster Sohn des wohlhabenden Textilfabrikanten Philipp Lippmann wurde Friedrich (»Fritz«) 1838 in Prag geboren |Abb. 1|. Mit einem beträchtlichen Altersunterschied zu seinen älteren Geschwistern von zehn bis 13 Jahren war er der Nachzügler der Familie. Sein Bruder war Joseph Ritter Lippmann von Lissingen (1827–1900), der wie Friedrich begeisterter Kunstsammler werden sollte. Noch in Prag erhielt er seine erste schulische Ausbildung. Frühzeitige Reisen nach Italien, insbesondere monatelange Aufenthalte in Venedig, weckten bereits in jungen Jahren seine Begeisterung für die Kunst. Dies verband sich mit einer außergewöhnlichen technischen Begabung, zwei Pole, die zeit seines Lebens eng miteinander verwoben blieben.1 Von 1856 bis 1860 absolvierte Lippmann das Studium der Staats- und Rechtswissenschaft an der Universität Prag, wobei er sich stets in Geschichts- und Naturwissenschaften fortzubilden versuchte.2 Auf ausgedehnten Reisen studierte er intensiv die Kunstsammlungen in Paris, London und auch Wien, wo er sich mit den Galerien des Belvedere, der Albertina und der kaiserlichen Bibliothek vertraut machte.
Als k. k. österreichischer Rechtspraktikant ließ sich Lippmann in den 1860er Jahren zunächst in
◂ Ausschnitt aus Abb. 1, S. 354
Wien nieder. Obwohl ihm die Tätigkeit wenig Freude bereitete, ermöglichte sie ihm grundlegende Kontakte und Verbindungen zu einflussreichen Kunst- und Kulturkreisen der Stadt. Mit Rudolf Eitelberger, Gustav Heider und Moritz Thausing waren angesehene Kunsthistoriker unter ihnen, die die Talente des jungen Mannes erkannten. Lippmann verfügte über eine ungewöhnliche Bandbreite an Fertigkeiten, war er doch für wissenschaftliche, künstlerische und praktische Aufgaben zugleich vorbereitet. Eitelberger, Gründer und Direktor des k. k. Österreichischen Museums für Kunst und Industrie, gewann Lippmann ab 1867 für sein noch junges Unternehmen. Lippmann schlug somit einen gänzlich anderen Weg ein als ihm vorgezeichnet war. Zunächst als »Korrespondent«, sehr bald aber schon als Kustos, oblag ihm die Aufgabe, die kunstgewerblichen Sammlungen aufzubauen und zu vervollständigen. Zum wiederholten Male führte ihn die Arbeit auf Reisen ins Ausland, wo er u. a. für die Präsentation der Wiener Schatzkammer auf der Pariser Weltausstellung 1867 verantwortlich war. Unterwegs erlangte Lippmann fundierte Kenntnisse und Erfahrungen im Bereich des Kunsthandels und baute systematisch ein Netzwerk von bedeutenden Sammlern und Kunsthis-
torikern auf. »[…] was Lippmann sah, sah er gründlich, und was er gesehen hatte, behielt er für immer«, so hat ihn Wilhelm Bode rückblickend charakterisiert.3
In diesen Jahren um 1870 begann Lippmann auch privat mit großem Erfolg zu sammeln. Er legte eine erste kleine, äußerst erlesene Gemälde-
1 Unbekannter Fotograf, Porträt von Friedrich Lippmann, um 1900, Berlin, Zentralarchiv der Staatlichen Museen
sammlung an, die mit durchweg herausragenden Namen altdeutscher und altniederländischer Meister des 15. und 16. Jahrhunderts große Anerkennung fand |Abb. 2|. Im Gegensatz zu den Sammlungsbereichen seiner Museumsarbeit, trug er privat Werke von Lucas Cranach, Joachim Patinier, Matthias Grünewald sowie Rogier van der Wey-
den und Hugo van der Goes zusammen. Einige Höhepunkte seiner Sammlung waren der Sebastiansaltar von Hans Baldung Grien |Abb. 3| und die Ruhe auf der Flucht nach Ägypten |Abb. 4| von Albrecht Altdorfer sowie die Anbetung der Könige des Hans Suess von Kulmbach |Abb. 5|. 4 Neben einer ausgeprägten Vorliebe für religiöse Bildthemen vereinte er auch andere Genres, darunter Porträts, Landschaften, Allegorien und mythologische Darstellungen. Von Qualität und Bedeutung seiner Bilder zeugt der Umstand, dass zentrale Werke ihren Weg in renommierte Museen fanden, darunter die Gemäldegalerie Berlin und das Germanische Nationalmuseum Nürnberg. Der 1876 datierte Katalog seiner Sammlung, der Lippmanns Namen nicht nennt, ihm jedoch dank der grundlegenden Forschungen Theodor von Frimmels zugeordnet werden kann,5 listet insgesamt 35 Gemälde und liefert eingehende, wissenschaftliche Werkbeschreibungen |Abb. 2| 6 Neben diesen gesicherten Besitztümern verfügte Lippmann wohl bereits zu diesem Zeitpunkt über eine bemerkenswerte Sammlung illustrierter Bücher des 15. Jahrhunderts sowie einer Reihe kunstvoller Möbel. 7 Wie der befreundete Wilhelm Bode sich rückblickend erinnert, wohnte Lippmann in diesen Jahren im Palais Epstein am Ring.8 Seine Privatgalerie, die sich ebenfalls dort befand, war dem Publikum nicht zugänglich.9
In einer relativ kurzen Zeitspanne von etwa zehn Jahren gelang es Lippmann auf diese Weise, seiner Neigung zur Kunst auch eine ausgewiesene Sachkenntnis zur Seite zu stellen, wodurch er bestmögliche Voraussetzungen für höhere Aufgaben schuf. Der Ausbau und die Pflege seiner Sammlung beschäftigten ihn fortdauernd. Eitelberger verfolgte das private Sammeln seines Angestellten offenbar mit Skepsis und versuchte, dessen Aufmerksamkeit auf die Tätigkeit im Museum zu lenken. Weniger Reisen ins Ausland, der Entzug ankaufspolitischer Kompetenzen sowie vermehrte Arbeiten vor Ort waren die Folge,10 trotzdem schien sich Lippmann mehr und mehr seinen
2 Catalog einer Sammlung von Gemälden altdeutscher und altniederländischer Meister, Frontispiz, Wien 1876, Wien, Universitätsbibliothek
persönlichen Projekten zuzuwenden. Ab 1873 wurde er auf eigenes Ersuchen von seinen Verpflichtungen entbunden,11 arbeitete zeitweise in der Denkmalpflege12 und ging wieder auf Reisen. Zeitgleich und ergänzend zur Wiener Weltausstellung 1873 organisierten eine Reihe von kunstsinnigen Männern eine Ausstellung Alter Meister aus Wiener Privatbesitz im k. k. Österreichischen Museum.13 Neben Prinz Chlodwig zu Hohenlohe, Karl Graf Lanckoron�ski, Carl von Lützow und dem bereits erwähnten Moritz Thausing gehörte auch Friedrich Lippmann zum renommierten
Kreis des Komitees. Mit insgesamt 14 ausgestellten Bildern aus seinem Besitz trat er hier nicht nur als Sachverständiger, sondern auch in seiner Rolle als Privatsammler hervor. Die kunstwissenschaftliche Expertise Lippmanns wussten offenbar auch Freunde sowie sein Bruder Josef zu schätzen, dem er vor allem im Bereich der holländischen Malerei beratend beistand. Für Josef reiste er 1875 auch nach Paris, um die Versteigerung seiner Gemäldegalerie 1876 zu beaufsichtigen.14
Anfang November 1876 erhielt Lippmann den Ruf als Direktor des Kupferstichkabinetts in Berlin.15 Ohne Zögern nahm er, nachdem er auch die formalen Voraussetzungen durch eine Promotionsarbeit über Die Anfänge der Formschneidekunst und des Bilderdrucks erfüllt hatte, das Angebot an. Noch vor seiner Übersiedlung entstand der bereits erwähnte Katalog seiner Gemäldesammlung durch die Kunsthandlung H. O. Miethke in Wien. Schnell fanden sich Interessenten und Käufer, darunter das Berliner Museum, Gabriele Przibram16
und Miethke selbst, der zunächst einige Werke übernahm und später an verschiedene Sammler weiter veräußerte.17 Lippmann verkaufte offenbar seine gesamte bis dahin zusammengetragene Gemäldesammlung und bedauerte den Verlust später schwer.18
In Berlin sammelte Lippmann rege von Neuem, hier allerdings sowohl als Privatmann wie als Museumsdirektor. Als Leiter des noch jungen Kupferstichkabinetts profilierte er sich durch die systematische Vervollständigung der grafischen Sammlung. Mit dem Ankauf ganzer Konvolute von Meistern wie Schongauer, Dürer, Cranach d. Ä., Rembrandt und Rubens aus bedeutenden, internationalen Privatsammlungen gelang es Lippmann, das Berliner Kabinett auf Augenhöhe mit führenden Museen weltweit zu bringen. Als Höhepunkt gilt bis heute der Erwerb der BotticelliZeichnungen nach Dante Alighieris La Divina Commedia aus der Sammlung Hamilton, welchen Lippmann 1882 nicht frei von öffentlicher Kritik
4 Albrecht Altdorfer, Ruhe auf der Flucht nach Ägypten, 1510, Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie
einleitete.19 Sein zukunftsorientierter Ansatz zur Ausstellung, Katalogisierung und Veröffentlichung der Grafiksammlung setzten im letzten Viertel des 19. Jahrhunderts neue Standards. 20 Neben einer Reihe zentraler Publikationen zu
Kupferstich und Holzschnitt21 brachte Lippmann früh moderne Reproduktionstechniken wie Fotografie und Lichtdruck zum Einsatz, um prachtvoll illustrierte Bände der Forschung zugänglich zu machen.22
Lippmann
Meistern zugewandt. Unter ihnen waren nun Künstlernamen wie Hieronymus Bosch, Lucas Cranach d. Ä., Anthonis Moor und David Teniers d. J. Von Adriaen Isenbrant besaß Lippmann einen kleinen Flügelaltar mit dem Leben der Jungfrau Maria (Lot 42) |Abb. 6|, welcher für 52.000 DM an den französischen Kunsthändler Jacques Seligmann nach Paris ging und von dort an das Metropolitan Museum of Art in New York verkauft wurde. Die Zuschreibungen der Bildwerke, die oft erst nach der Erwerbung durch Lippmann und Kollegen wie Max J. Friedländer erfolgten,24 wird bis heute untermauert durch ihre anhaltende Gültigkeit in Museen wie dem Mauritshuis in Den Haag, dem Detroit Institute of Arts, dem Bonnefantenmuseum in Maastricht oder dem Kunsthistorischen Museum in Wien. Die konsequente Abwesenheit von Werken des 18. und 19. Jahrhunderts war zweifelsohne Lippmanns Geschmack geschuldet.25 Von der außerordentlichen Fülle an Kunstschätzen zeugen Fotografien seiner Berliner Wohnung, in der die zweite Sammlung ihre Aufstellung fand |Abb. 7|.
Privat hat Lippmann in Berlin eine gänzlich neue Kunstsammlung zusammengetragen, die nahezu keine Bezüge mehr zu Wien und seinen damaligen Galerien aufwies. Ein großzügig bebilderter Versteigerungskatalog von 1912 – lange nach seinem Tod durch das Auktionshaus Rudolph Lepke erstellt – verzeichnet den umfangreichen Kunstbesitz von knapp 200 Objekten.23 Während auch eine beträchtliche Zahl an plastischen Arbeiten und Kunstgewerbe hinzutrat, blieb die Aufmerksamkeit der Sammlung weiterhin den Alten
Nach Wien kehrte Lippmann scheinbar nur selten zurück.26 In seiner Position als Direktor offenbarte er sich als moderner Museumsmann, der neuen Strukturen und Techniken offen gegenüberstand. Die Privatsammlung zeugt in ihrer Gesamtheit, in Wien ebenso wie in Berlin, von Lippmanns Leidenschaft für die großen Meister altdeutscher und altniederländischer Schule. Hier war er durch seine selbstständig erarbeitete, wissenschaftliche Expertise ohne Zweifel bedeutender Sammler und Kunstkenner zugleich. Nach einem plötzlichen Herzleiden starb Lippmann im Jahr 1903.27 Bis zu ihrer Versteigerung 1912 verblieb seine Sammlung wohl im familiär verwalteten Nachlass.28 Seine gesammelten Handschriften und illustrierten Bücher des 15. Jahrhunderts gingen in den Besitz des Berliner Kabinetts über.29 Franziska Maria Urban
7 Unbekannter Fotograf, Die Wohnung von Friedrich Lippmann in Berlin, aus SK Lippmann 1912, Taf. 70
Verkaufskataloge
Catalog einer Sammlung von Gemälden altdeutscher und altniederländischer Meister [o. A., aber Friedrich Lippmann], H. O. Miethke, Wien 1876 (Wien, Universitätsbibliothek); Sammlung des verstorbenen
geheimen Regierungsrats und früheren Direktors des königl. Kupferstichkabinetts zu Berlin Friedrich Lippmann, mit einem Vorwort von Max J. Friedländer, Rudolph Lepke’s Kunst-Auctions-Haus, Berlin, 26.–27.11.1912 (Heidelberg, Universitätsbibliothek).
Anmerkungen
1 Vgl. Schöne 1904, S. IV.
2 Vgl. Bode 1903–1904, Sp. 82.
3 Vgl. Ivi, Sp. 83.
4 VCHC DB: VK Lippmann 1876.02, VK Lippmann 1876.05, VK Lippmann 1876.20.
5 Vgl. Frimmel 1913–1914, ii , S. 536; siehe hierzu auch das Exemplar des Katalogs im Kunsthistorischen Institut der Universität Wien, in welchem handschriftliche Notizen (Kürzel »aw 1892«) auf »Fritz Lippmann« als Sammler verweisen.
6 Siehe VK Lippmann 1876.
7 Vgl. Bode 1903–1904, Sp. 83.
8 In der Tat befanden sich zu dieser Zeit, als die Familie Epstein noch selbst in der Beletage wohnte, im zweiten und dritten Stock Mietwohnungen, vgl. https://www.parlament. gv.at/GEBF/EPSTEIN/VERWENDUNGPLALAIS/Durch Epstein/index.shtml
Franziska Maria Urban
9 Emil Winkler, Technischer Führer durch Wien, Teil ii , Abt. iii , Wien 1873, S. 13–14.
10 Bode 1903–1904, Sp. 83–84.
11 1873–1876 war Lippmann »Kustos extra Status«, um mehr Zeit für Auslandsreisen und Forschungen zu haben, vgl. ÖBL 1815–1950, Bd. v , Lfg. 23, Wien 1971, S. 239.
12 »Zentralkommission für Erhaltung der Kunstdenkmäler«, vgl. Zimmer 2007, S. 262.
13 Katalog der Gemälde alter Meister aus dem Wiener Privatbesitze, Ausst. Kat., Wien, K. K. Österreichisches Museum, hg. v. Chlodwig Prinz zu Hohenlohe, Friedrich Lippmann u. a., Wien 1873.
14 Bode 1903–1904, Sp. 84.
15 Zur Geschichte des Berliner Kupferstichkabinetts ausführlicher Hans Möhle, Das Berliner Kupferstichkabinett, Berlin 1963; vgl. auch Verzeichnis der Freunde und Mitglieder des Künstlerhauses: http://www.wladimir-aichelburg.at/
kuenstlerhaus/mitglieder/verzeichnisse/freunde-und-mitarbeiter/
16 Nur wenig ist bekannt über die Kunstsammlerin (wohl 1848–1895), die immerhin mehrere Werke Lippmanns erworben hat. Handschriftliche Notizen im VK 1876 verzeichnen insgesamt drei Objekte in ihrer Sammlung 1892. Ihre Schwester Ottilie Goldschmidt, geb. Przibram, war mit Hermann Bénédict Hayum Goldschmidt verheiratet, wodurch Werke (etwa der Sebastiansaltar von Grien) an Mme. Hermann Goldschmidt, Brüssel, vererbt wurden; dieser taucht schließlich im VK Collection Goldschmidt-Przibram de Bruxelles, F. Muller & Cie, Amsterdam, 17.–19.6.1924, Nr. 3, Taf. 4f. auf und wurde vom Germanischen Nationalmuseum ersteigert, vgl. Gert von der Osten, Hans Baldung Grien. Gemälde und Dokumente, Berlin 1983, S. 51–52.
17 Vgl. Frimmel 1892, S. 192; Frimmel 1913–1914, ii , S. 535.
18 Vgl. Bode 1903–1904, Sp. 85.
19 Unter heftigen Protesten von englischer Seite wurden damals Teile der Sammlung noch vor der angesetzten Auktion an das Berliner Museum verkauft, so auch die BotticelliZeichnungen, von denen sich 85 von insgesamt 102 Blättern in Berlin befinden, vgl. Dagmar Korbacher (Hg.) Der BotticelliCoup. Schätze der Sammlung Hamilton im Kupferstichkabinett, Ausst. Kat., Berlin, Kupferstichkabinett – Staatliche Museen zu Berlin, Köln 2016.
20 Vgl. dazu Friedrich Lippmann, Denkschrift über die Errichtung eines Museums für graphische Kunst in Berlin, Berlin 1881.
21 Friedrich Lippmann, Der Kupferstich, Berlin 1893; Id. (Hg.), Lucas Cranach – Sammlung von Nachbildungen seiner vorzüglichsten Holzschnitte und seiner Stiche, Berlin 1895. 22 Unter anderem in Zusammenarbeit mit der Reichsdruckerei in Berlin, die 1889–1899 einen Bilderatlas (auch »Lippmannscher Atlas«) mit Reproduktionen von Kupferstichen und Holzschnitten veröffentlichte, vgl. Miriam Grünz und Yvonne Schürer, Täuschend echt. Die Reichsdrucke im Bestand
der Hochschule für Grafik und Buchkunst Leipzig, in »BIS – Magazin der Bibliotheken in Sachsen«, ii , 2016, S. 107; Zimmer 2007, S. 243.
23 Siehe VK Lippmann 1912; die enthaltenden Objektbeschreibungen gehen im Wesentlichen auf Lippmanns hinterlassene Notizen selbst zurück.
24 Für kritische Bemerkungen hinsichtlich Zuschreibungsfragen, siehe Vorwort durch Max Friedländer, in VK Lippmann 1912, S. 7–11.
25 Ibid.
26 Bode 1903–1904, Sp. 84.
27 Ivi, Sp. 81.
28 Lippmann war mit der Engländerin Adeline verheiratet, die noch bis 1922 lebte und aus deren Ehe ein Sohn, Friedrich Wilhelm Richard Adolf Lippmann, hervorging.
29 Zimmer 2007, S. 244.
Bibliografie
Theodor von Frimmel, Berichte und Mittheilungen aus Sammlungen und Museen, über staatliche Kunstpflege und Restaurationen, neue Funde, in »Repertorium für Kunstwissenschaft«, Bd. xv , 1892, S. 182–197; Wilhelm von Bode, Friedrich Lippmann. Direktor des Berliner Kupferstichkabinetts, gestorben am 2. Oktober 1903, in »Kunstchronik«, n. F. xv , 1903–1904, 5, Sp. 81–88; Richard Schöne, Zur Erinnerung an Friedrich Lippmann, in »Jahrbuch der Königlich Preussischen Kunstsammlungen«, xxv , 1904, S. III–VIII; Theodor von Frimmel, Lexikon der Wiener Gemäldesammlungen, 2 Bde., München 1913–1914, Bd. ii : Buchstabe G bis L, S. 535–544; Das Berliner Kupferstichkabinett. Ein Handbuch zur Sammlung, Samml. Kat., Berlin, Kupferstichkabinett, hg. v. Alexander Dückers, Berlin 1994; Jürgen Zimmer, Lippmann, Friedrich, in Metzler Kunsthistoriker Lexikon. 210 Porträts deutschsprachiger Autoren aus vier Jahrhunderten, hg. v. Peter Betthausen, Peter H. Feist und Christiane Fork, Stuttgart/Weimar 2007, S. 262–264.