Emil Noldes Malweise

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Eine Farbe verlangt die ­andere EMIL NOLDES MALWEISE


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Eine Farbe verlangt EMIL NOLDES die MALWEISE ­a ndere Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde Doerner Institut, Bayerische Staatsgemäldesammlungen Hamburger Kunsthalle


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Inhalt

10 Einführung und Dank Heike Stege, Astrid Becker und Silvia Castro 20 Emil Nolde Biografie 30 »Zwischen dem Malen u. dem Trocknen meiner ­umherliegenden Blätter schreibe ich Dir, mit bunten, farbig verklexten Händen« Die kunsttechnologische Auswertung des schriftlichen Nachlasses von Emil Nolde Hanna Kirst

70 Im Fokus: Inspiration und Wechselwirkung – Die Arbeit auf Papier Karin Schick 74 »[…] gefühlsmäßig und gedankenlos tastend in der ganzen herrlichen Farbenreihe der Palette […]« Noldes Malfarben und ihre Zusammensetzung Heike Stege, Hanna Kirst, Sebastian Bosch und Patrick Dietemann 86 Im Fokus: Spuren der Südseereise Heike Stege und Astrid Becker

42 »[…] das Aufspannen der Leinwand und was alles zu ­seinem Beruf gehöre, dieses und nur dieses sei ihm ­wichtig« Der Bildträger Silvia Castro

88 »Ich will so gern daß mein Werk aus dem Material hervorwachse […]« Zur Maltechnik von Emil Nolde Jeanine Walcher, Irene Glanzer, Karin Schick und Heike Schreiber

48 »In diesen Tagen bin ich beim präparieren der ­Leinwände« Die Grundierung Jeanine Walcher und Astrid Becker

112 »Male Maler!« Das Spätwerk Irene Glanzer und Christian Ring

58 Im Fokus: Bildgebende Untersuchungsverfahren Jens Wagner und Heike Stege 60 »Zeichnend malen« Die Kompositionsanlage Irene Glanzer und Silvia Castro

122 Im Fokus: Die Signatur Heike Schreiber und Karin Schick 124 Im Fokus: Der Zierrahmen Heike Schreiber


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126 »Zuweilen liegen Anfang u. Abschluß Monate u. Jahre auseinander« Formatanpassungen und malerische Überarbeitungen bei Emil Nolde Astrid Becker und Jeanine Walcher 136 KATALOG 138 Übersicht der untersuchten Werke 146 Zusammenstellung ausgewählter technologischer Befunde Werkbetrachtungen 150 Kat. 1 Selbstbildnis, 1899 154 Kat. 3 Frühling im Zimmer, 1904 158 Kat. 8 Schiff im Dock, 1910 162 Kat. 9 Tanz um das goldene Kalb, 1910 166 Kat. 13 Herr und Dame (im roten Saal), 1911 170 Kat. 14 Gesellschaft, 1911 174 Kat. 18 Kerzentänzerinnen, 1912 178 Kat. 19 Legende: Heilige Maria von Ägypten (Maria Aegyptiaca), 1912 190 Kat. 23 Blaue Iris II, 1915 194 Kat. 28 Stilleben (mit gestreifter Ziege), 1920 198 Kat. 30 Wilde Tiere, 1921 202 Kat. 33 Hohe Sonnenblumen, 1926 208 Kat. 37 Nordermühle, 1932 212 Kat. 39 Friesenkinder, 1937 216 Kat. 40 Kornmähen, 1900, 1901 und 1940 220 Kat. 42 Zwei Menschen, 1945 224 Kat. 44 Hohe Sturzwelle, 1948

230 Ausgewählte Literatur 234 Autorinnen und Autoren 238 Bildnachweis


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Einführung und Dank

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ie Kunst des Expressionismus revolutionierte im frühen 20. Jahrhundert innerhalb des deutschsprachigen Raumes die Malerei, brach radikal mit maltechnischen Traditionen und führte zu einem neuen Umgang mit Farben und Formen. Emil Nolde (1867–1956) zählt unbestritten zu den bekanntesten und wichtigsten

Vertretern des neuen Stils. Heute gilt er als Meister der Farbe, mit deren vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten er virtuos zu spielen wusste. Von den Künstlern der Vereinigung Brücke für seine »Farbenstürme«1 gefeiert, sticht Nolde mit der Radikalität und Leuchtkraft seines Kolorits sogar unter den Expressionisten hervor. Berühmt für farbgewaltige Blumenbilder und Landschaften, sah er sich selbst als Figurenmaler und schuf religiöse Bilder ebenso wie Grotesken. »Ich will so gern daß mein Werk aus dem Material hervorwachse«,2 so brachte Nolde

1906 zum Ausdruck, wie eng er seine Kunst an die Möglichkeiten der ihm zur Verfügung stehenden Materialien und sicherlich auch künstlerischen Techniken geknüpft sah. Aber wie und womit genau schuf Nolde seine Gemälde? Bestimmen die Eigenschaften von Leinwänden oder Grundierungen, der Umgang mit und die Wahl von Malfarben tatsächlich so entscheidend die Wirkung seiner Bilder auf das Publikum? Welche maltechnischen Phasen durchlief sein langes, mehr als sechs Jahrzehnte umspannendes Schaffen? Bestätigen die Untersuchungen am Werk seine Tagebuchaufzeichnungen oder Korrespondenz? Wie setzte Nolde sich mit dem durch die Entwicklungen der Farbenindustrie rasant wachsenden Angebot an Künstlermaterialien und ihrer Haltbarkeit auseinander? Diesen und anderen Fragen spürte nun erstmals ein breit angelegtes, kunsttechnologisches Forschungsprojekt systematisch nach, fehlten doch bislang publizierte maltechnische Untersuchungen an Gemälden Noldes.

Zum Projekt Die Rahmenbedingungen für dieses interdisziplinäre Verbundprojekt stellten einen Glücksfall dar. Initiiert und getragen wurde es von der Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde in Nordfriesland, dem Doerner Institut der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, München, und der Hamburger Kunsthalle. Als Kooperationspartner unterstützten die Universität Hamburg, die Hochschule für Bildende Künste Dresden und die Technische Universität München mit speziellen Untersuchungsmethoden und Fachwissen. Über drei Jahre lang trug ein großes Team aus Restauratorinnen, Kunsthistorikerinnen und Kunsthistorikern sowie Naturwissenschaftlerinnen und Naturwissenschaftlern vielfältige Grundlagenergebnisse zusammen, diskutierte gemeinsam vor den Werken und glich die fachlichen Perspektiven ab – gelebter interdisziplinärer Austausch | Abb. 1, 8 |! Für Seebüll hatte Astrid Becker die Projektleitung inne und übernahm gemeinsam mit Christian Ring, Seebüll, und Karin Schick, Hamburg, die kunsthistorische Bearbeitung. Abb. 1 Kurzbefundung im Bildersaal des Wohn- und Atelierhauses Noldes in Seebüll

1 Karl Schmidt-Rottluff an Emil Nolde, 4.2.1906, Archiv der Nolde Stiftung Seebüll (ANS): »[…] wir haben Ihnen hiermit den Zoll für Ihre Farbenstürme entrichten wollen.« 2 Emil Nolde an Gustav Schiefler, 20.10.1906, zit. nach: Woesthoff 2022, Nr. 13.

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Die Archivrecherchen in Seebüll und die Erfassung des Ateliernachlasses führte Hanna Kirst durch. An der Hamburger Kunsthalle lag die Projektleitung in den Händen von Silvia Castro. Sie führte die technologischen Gemäldeuntersuchungen vor allem am Bestand der Kunsthalle gemeinsam mit Heike Schreiber durch, die zudem Archivrecherchen in Hamburg leistete. Ivo Mohrmann und Kerstin Riße, Dresden, fertigten sämtliche Röntgen- und Infrarotaufnahmen an der Hamburger Kunsthalle und in der Nolde Stiftung Seebüll an. In München verantwortete Heike Stege die Projekt­ leitung und die Gesamt­koordination des Forschungsverbundes sowie die wissenschaftliche Gesamtauswertung der Pigmentanalysen. Jeanine Walcher war wesentlich an der Entwicklung des Projektdesigns beteiligt und hatte die Projektkoordination in München inne. Sie leistete gemeinsam mit Irene Glanzer und Hanna Kirst die technologischen Gemälde­untersuchungen in München und Seebüll. Jens Wagner und Sibylle Forster realisierten in München die Fotoarbeiten sowie sämtliche bildgebenden Aufnahmen. In mehreren Messkampagnen führten Oliver Hahn, Sebastian Bosch und Ira Rabin, Universität Hamburg, mit speziellen zerstörungsfreien Verfahren Pigmentanalysen in Seebüll und Hamburg durch. Am Labor des Doerner Instituts übernahmen Ursula Baumer, Patrick Dietemann, Andrea Obermeier und Christoph Steuer die umfangreichen Pigment- und Bindemittelanalysen an Proben. Manuela Hörmann führte im Rahmen ihrer Masterarbeit Abb. 2 Visuelle Dokumentation von ­Kerzentänzerinnen, 1912, in Seebüll

an der Technischen Universität München die Recherchen zur Firma Fritz Behrendt durch und unterstützte eine Untersuchungskampagne in Seebüll. Die Beiträge in diesem Buch tragen die Namen der jeweils federführenden Autorinnen und Autoren, sind jedoch in jeder Zeile ein Produkt der wissenschaftlichen Arbeit aller. Welcher methodische Ansatz lag den Forschungen zugrunde? Die Nolde Stiftung ­Seebüll öffnete ihr umfangreiches Depot und Archiv. Der Ateliernachlass Noldes mit fast 200 Farbtuben, zahlreichen Pinseln, Zeichen- und anderen Werkzeugen, Paletten, Leinwänden, einer Staffelei und vielem mehr wurde inventarisiert und ausgewertet sowie die etwa 25 000 Dokumente (Korrespondenz, Selbstzeugnisse, Rechnungen etc.) nach maltechnischen Hinweisen durchsucht. Aus diesen Primärquellen und Realia ließ sich ein ungewöhnlich detailliertes Bild zu den Arbeitspraktiken des Künstlers gewinnen. An Noldes Gemälden konnten sichtbare und unsichtbare Spuren ihres Entstehungsprozesses durch eine Kombination von visueller und stereomikroskopischer Befundung | Abb. 2, 3 | mit modernen bildgebenden Untersuchungen (wie Röntgen, Infrarotreflek­ tografie und Röntgenfluoreszenz-Imaging3) | Abb. 4 | sowie speziellen Fototechniken (wie UV-­Fluoreszenz oder Streiflicht) vergleichend gelesen und in interdisziplinärer Zusammenschau interpretiert werden. Schicht für Schicht wurden alle materiellen und technischen Besonderheiten eines Gemäldes verschriftlicht, fotografiert und kartiert. So ließ sich dem gesamten Werkprozess in detektivischer Arbeit nachspüren und Schlüsse auf das Gesamtschaffen ziehen. Eine solch umfangreiche Tiefenuntersuchung konnte anhand von insgesamt 44 Gemälden Noldes in Seebüll, Hamburg und München durchgeführt werden. Etwa 80 weitere unterzog das Team einer technologischen Kurzbefundung

3 Vgl. Beitrag zu Untersuchungs­verfahren, S. 58–59.

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unter speziellen Aspekten wie zum Beispiel Merkmalen des Grundierungsauftrags.


Abb. 3 Stereomikroskopische Untersuchung von Tanz um das goldene Kalb, 1910, in München

Abb. 4 Infrarotreflektografie von Herr und Dame (im roten Saal), 1911, in Hamburg

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Abb. 5 Häufigkeitsverteilung aller Gemälde Emil Noldes (nach Urban 1987 und 1990) über die gesamte künstlerische Schaffenszeit (grau, rechte y-Skala). Verteilung der rund 120 kunsttechnologisch erfassten Gemälde (orange, linke y-Skala)

Die Auswahl dieser 9 % von insgesamt 1 350 im Werkverzeichnis4 aufgeführten Gemälde von Nolde ist dabei repräsentativ: Sie berücksichtigt das gesamte zeitliche Schaffen des Künstlers, bildet alle relevanten Werkphasen und Bildmotive ab und folgt ungefähr der Häufigkeitsverteilung in den verschiedenen Entstehungsjahren | Abb. 5 |. Fanden sich zu den aktuellen Fragestellungen von Nationalsozialismus und Kolonialismus sinnvolle ­Anknüpfungspunkte, wurden diesen Rechnung getragen. Bot sich Anlass, bezogen die Autorinnen und Autoren einzelne Papierarbeiten Noldes vergleichend mit ein. Angesichts deren hoher Zahl von etwa 10 000 erscheint ihre systematische Erforschung in einem eigenständigen Forschungsprojekt lohnenswert. Analysen zur Zusammensetzung der Pigmente und Bindemittel sowie der Leinwandfasern waren gleichfalls Bestandteil der Gemäldeuntersuchungen. Zunächst geschah

Abb. 6 Zerstörungsfreie Pigmentanalysen an Im Hafen von Alexandrien, 1912, in der ­Hamburger Kunsthalle

4 Urban 1987, Urban 1990.

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Abb. 7 Probenahme für Laboranalysen an einer Palette in Seebüll

dies zerstörungsfrei direkt an den Oberflächen der Werke mit einem Methodenmix aus energiedispersiver Röntgenfluoreszenzanalyse, VIS-Spektrometrie in Reflexion, Fourier­transformations-­Infrarotspektroskopie in diffuser Reflexion (DRIFTS) und Mikro-­ Raman-Spektroskopie | Abb. 6 |. Ergänzend wurden kleine Farb- und Faserproben mit diversen Labormethoden wie Gaschromatografie/Massenspektrometrie, Aminosäureanalyse, Raster­­ elektronenmikroskopie mit energiedispersiver Röntgenmikroanalyse, Fouriertrans­formations-Infrarotspektroskopie in Transmission und als Imaging, RamanMikroskopie, Licht- und Polarisationsmikroskopie und anderem mehr analysiert | Abb. 7 |. Vertiefende Recherchen zu Noldes lange präferierten Tubenölfarben der Firma Fritz ­Behrendt rundeten den Blick auf die ­Palette des Künstlers ab.

Dank All diese mannigfaltigen Arbeiten des oben genannten Kernteams wurden unterstützt und ermöglicht durch zahlreiche Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der drei Verbundpartner und viele weitere Kolleginnen und Kollegen. Der große Dank der Nolde Stiftung Seebüll gilt allen Projektbeteiligten und Institutionen, die mit ihrer profunden Kennerschaft über die interdisziplinären Grenzen hinweg das Projekt getragen haben und zahlreiche neue Perspektiven auf den Künstler Emil Nolde erschließen. Damit wird ein wichtiger Aspekt ihres Stiftungsauftrags erfüllt. Ebenso sei dem gesamten Team der Stiftung für seine Unterstützung gedankt, ohne die der reibungslose Ablauf des Vorhabens und insbesondere auch der aufwendigen Untersuchungskampagnen in Seebüll nicht möglich gewesen wäre. Unseren herzlichen Dank möchten wir auch Dirk Dunkelberg für die Fotoaufnahmen zum Projekt in Seebüll aussprechen. An den Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, München, sei den Kolleginnen und Kollegen der Museums- und Ausstellungstechnik für das zuverlässige Handling der Kunstwerke gedankt. Die finanzielle Projektadministration für das Doerner Institut lag in den zuverlässigen Händen von Ruth Krauß. 15


Abb. 8 Gemeinsame Diskussion der ­gesammelten Untersuchungsbefunde in München

Wir danken den Kolleginnen und Kollegen der Hamburger Kunsthalle für ihre Unterstützung in allen Phasen des Projektes. Für den kollegialen wissenschaftlichen Austausch danken wir dem Kunstmuseum Basel, dem Sprengel Museum Hannover und dem ­Museum Folkwang, Essen, für die Fotoaufnahmen Christoph Irrgang. Für Gewebestruktur- und Gewebefaseranalysen danken wir den Restauratorinnen ­Renate Kühnen, Greifswald, Gudrun Hildebrandt, Hamburg, Geertje Gerhold, Brandenburg, sowie Larina Held, Karlsruhe, die auch die Archivrecherche in Hamburg unterstützte. Dem Deutschen Kunstverlag, besonders Anja Weisenseel und David Fesser, sei für die zuverlässige Betreuung der Drucklegung herzlich gedankt. Sabine Bleßmann möchten wir für ihr einfühlsames Lektorat und Edgar Endl für die gelungene grafische Umsetzung des Buches unseren Dank aussprechen. Das Verbundvorhaben mit all seinen Forschungsarbeiten, wissenschaftlichen Projektstellen, Reisen, Publikationen, Ausstellungen und einer Fachtagung wurde über 3,5 Jahre durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) innerhalb der Förderlinie »Die Sprache der Objekte – Materielle Kultur im Kontext gesellschaftlicher Entwicklungen« gefördert. Wir danken besonders herzlich für dieses außergewöhnliche Förderengagement, ohne das ein Projekt dieser Größenordnung nicht möglich gewesen wäre. Kerstin Lutteropp, Christopher Wertz, Katrin Beukert und Claudia Fortmann vom Projektträger Deutsches Zentrum für Luft- und Raumfahrt e. V. (DLR) g ­ arantierten die verlässliche Betreuung des Vorhabens.

Zum Buch Das vorliegende Buch gliedert sich in zwei Teile: Nach einer einleitenden Künstlerbiografie und den Ergebnissen der Archivrecherchen folgen zunächst Übersichtsbeiträge, die vergleichend und kontextualisierend durch die verschiedenen Schritte des Werkprozesses und die Materialien führen. Im anschließenden Katalog bietet eine Übersicht der 44 Werke, an denen Tiefenuntersuchungen durchgeführt wurden, jeweils eine Gesamtabbildung und wichtige technologische Grunddaten. Vertiefende Texte widmen sich einer Auswahl von 17 Werken, die im gesamten Buch am Symbol ■ zu erkennen sind. 16


Wo stehen wir nun heute, am Ende des Vorhabens? Diese jüngsten Forschungsergebnisse schließen eine wichtige, bisher nicht beachtete Lücke zum Verständnis des Werks Emil Noldes, der Malerei des Expressionismus und der äußerst komplexen Technikgeschichte von Künstlermaterialien in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Zum ersten Mal lässt sich Nolde in seinem malerischen Schaffensprozess porträtieren, wird die historische und kunsthistorische Perspektive durch den kunsttechnologischen Blickwinkel erweitert. Selbstaussagen des Künstlers zu seiner Malweise können nun direkt den an den Werken gemachten Beobachtungen gegenübergestellt werden. Diese interdisziplinäre Vorgehensweise verdichtet das Wissen um den Künstler zu seltener Tiefe. Das Forschungsprojekt offenbarte, dass Noldes Arbeitsweise durch große handwerkliche Souveränität und das Ausreizen eines breiten Repertoires mal- und materialtechnischer Möglichkeiten geprägt ist. Gleichzeitig wird diese von seiner Vertrautheit mit bevorzugten Tubenfarben und dem Wechsel zwischen künstlerischen Techniken bestimmt. Der differenzierte, bewusste Einsatz von Leinwandbeschaffenheit, Grundierungen, Farbauftrag mit verschiedenen Werkzeugen, Kontrasten in Pastositäten und Glanz wird unmittelbar in individuelle künst­ lerische Bildwirkung übersetzt, dabei dem »gewollten Zufall« eines variantenreichen Farbauftrags stets Raum gebend. Im maltechnischen Vergleich mit seinen Zeitgenossen finden sich technologische Parallelen, zum Teil aber auch Sonderwege wie beispielsweise in der Vielfalt der Grundierungsfarbigkeit oder vielseitige, teils ungewöhnliche Wege der Motiventwicklung und Kompositionsanlage, die auf ein beeindruckendes vi­ suelles Vorstellungsvermögen schließen lassen. Ein häufig wiederkehrendes Momentum von Noldes Arbeiten ist nicht zuletzt das erneute Wiederaufgreifen und Überarbeiten zahlreicher Werke, teils noch nach Jahrzehnten. »Das Material, die Farben, waren mir wie Freundschaft oder Liebe, das beides sich ausleben will, in allerschönster Form«, so Emil Nolde in seiner Autobiografie.5 Die vorliegende Publikation möchte mit den neu gewonnenen Einsichten über den bekannten Maler zu einem frischen, genaueren Blick auf Noldes Kunst in all ihren vielfältigen, fas­ zinierenden Facetten inspirieren! Im Namen des Projektteams und der herausgebenden Institutionen

Heike Stege Doerner Institut, Bayerische Staatsgemäldesammlungen, München Astrid Becker Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde Silvia Castro Hamburger Kunsthalle

5 Nolde 1934, S. 107.

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Impressum

Herausgeber Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde Seebüll 31, 25927 Neukirchen

Druck und Bindung Beltz Grafische Betriebe, Bad Langensalza

Barer Straße 29, 80799 München

Verlag Deutscher Kunstverlag GmbH Berlin München Lützowstraße 33, 10785 Berlin www.deutscherkunstverlag.de

Hamburger Kunsthalle

Ein Unternehmen der Walter de Gruyter GmbH Berlin Boston

Glockengießerwall 5, 20095 Hamburg

www.degruyter.com

Verbundprojektkoordination Heike Stege

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation

Doerner Institut, Bayerische Staatsgemäldesammlungen

in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografi-

Projektleitung und Koordination Astrid Becker, Heike Stege, ­Silvia Castro, Jeanine Walcher

sche Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde, Doerner Institut

Konzept und Umsetzung Astrid Becker, Silvia Castro, Irene Glanzer, Hanna Kirst, Karin Schick, Heike Schreiber, Heike Stege, Jeanine Walcher

der Bayerischen Staatsgemäldesammlungen, München, Hamburger Kunsthalle, und die Autorinnen und Autoren © 2022 Stiftung Seebüll Ada und Emil Nolde für die Werke von Emil Nolde

Textredaktion Astrid Becker, Jeanine Walcher

© 2022 Deutscher Kunstverlag GmbH Berlin München

Bildredaktion Jeanine Walcher, Heike Stege

ISBN 978-3-422-98719-7

Lektorat Sabine Bleßmann Das dieser Publikation zugrunde liegende Verbundforschungs-

Projektmanagement Verlag David Fesser

vorhaben »›Ich will so gern daß mein Werk aus dem Material hervorwachse […]‹. Kunsttechnologische Forschungen zum

Herstellung Verlag Jens Lindenhain

Werk Emil Noldes« wurde durch das Bundesministerium für Bildung und Forschung unter dem Kennzeichen BMBF 01UO1836

Gestaltung und Satz Edgar Endl, booklab GmbH, München

gefördert.


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