HINTERGLASGEMÄLDE AUS VIER JAHRHUNDERTEN IM SCHAEZLERPALAISAUGSBURG
Wolfgang Steiner
AUS VIER JAHRHUNDERTEN IM SCHAEZLERPALAISAUGSBURG
Bestandskatalog der Kunstsammlungen und Museen Augsburg aus der Sammlung Steiner Unter Mitarbeit von Christof Trepesch und Alexandra Ulrich
HINTERGLASGEMÄLDE
5 7 VORWORT 9 AUGSBURG UND DIE HINTERGLASGEMÄLDE-SAMMLUNG VON GISELA UND PROF. WOLFGANG STEINER Christof Trepesch 15 VORSICHT, ZERBRECHLICH! DIE KUNST DER HINTERGLASMALEREI Wolfgang Steiner · Alexandra Ulrich 27 KATALOG 330 LITERATURVERZEICHNIS 334 KÜNSTLERREGISTER 336 IMPRESSUM UND BILDNACHWEIS INHALT
Prof. Dr. Markus Hilgert
Generalsekretär der Kulturstiftung der Länder, Berlin Markus Blume Bayerischer Staatsminister für Wissenschaft und Kunst, München
Generalsekretär der Ernst von Siemens Kunststiftung, München / Berlin Eva Weber Oberbürgermeisterin der Stadt Augsburg
Claudia Roth Staatsministerin des Bundes für Kultur und Medien, Berlin
Durch die gemeinsame Kraftanstrengung mehrerer Partner ist es im Jahr 2021 gelungen, ein herausragendes Konvolut von insgesamt 153 Hinterglasgemälden für die Kunstsamm lungen und Museen Augsburg zu erwerben. Die Ernst von Siemens Kunststiftung, die Kulturstiftung der Länder und die Staatsministerin des Bundes für Kultur und Medien waren die drei maßgeblichen Förderer des Ankaufs. Unter stützt wurden sie vom Freistaat Bayern, der Stadt Augsburg sowie einem privaten Sponsor. Allen gemeinsam ist dieser großartige Erwerb gelungen, der fortan einen Meilenstein innerhalb der Sammlungsgeschichte des städtischen Muse umsverbundes der Kunstsammlungen und Museen Augs burg darstellen wird. Mit vorliegendem Bestandskatalog werden sämtliche neu erworbenen Hinterglasgemälde erstmals geschlossen präsentiert und wissenschaftlich dokumentiert. Zudem wer den die grafischen Vorlagen publiziert, die Prof. Wolfgang Steiner für den Bestand identifiziert hat. Besonders erfreu lich ist in diesem Zusammenhang, dass viele der Originalstiche ebenfalls zur Erwerbung zählen, sodass damit bereits eine ideale Grundlage für die weitere Erforschung der euro päischen Hinterglasmalerei gelegt ist und die Kunstsamm lungen und Museen Augsburg so ihren Hinterglas Schwer punkt weiter ausbauen können.
7 Das Sammlerehepaar Gisela und Prof. Wolfgang Steiner hat über mehrere Jahrzehnte hinweg die bedeutendste europäi sche Privatsammlung an Hinterglasgemälden mit inzwi schen mehr als 700 Objekten zusammengetragen. Die in München und am Mondsee beheimatete Kollektion ist auf grund ihrer qualitativen Dichte und ihres Umfangs einzigartig, da sie nicht nur hoch qualitätsvolle Beispiele von der Zeit der Renaissance bis zum frühen 19. Jahrhundert bein haltet, sondern auch geografisch einen weiten Bogen spannt: Schwerpunkt sind die deutschen Produktionszentren, hier vor allem der gesamte süddeutsche Raum, ferner die angren zenden Regionen und Länder, darunter Österreich, Italien, Böhmen, die Schweiz, Flandern, die Niederlande und bis nach China mit Hinterglasgemälden für den europäischen Markt. Das wichtigste Zentrum der Kunst der Hinterglas malerei aber bildete die freie Reichsstadt Augsburg, die im 18. Jahrhundert Maßstäbe setzte, da sich dort der so genannte »Augsburger Stil« herausbildete, der in ganz Europa populär wurde. Vor diesem Hintergrund ist der Erwerb für die Augs burger Museen geradezu eine ideale Ergänzung ihrer bedeu tenden Bestände, welche vielfältige Schwerpunkte umfassen, darunter herausragende manieristische Plastik, kostbare Sil berschätze, bedeutende Barockmalerei und vieles mehr.
Wir danken allen, die beim Erwerb beteiligt waren, den Gutachterinnen und Gutachtern, allen Fachleuten für ihre Unterstützung und den politischen Mandatsträgerinnen und Mandatsträgern, die sich mit großem Engagement der Sache angenommen haben. Besonderer Dank gilt aber dem Leitenden Museumsdirektor der Kunstsammlungen und Museen Augsburg, Dr. Christof Trepesch, der den Ankauf initiiert und mit großer Beharrlichkeit vorangebracht hat.
Zu guter Letzt danken wir den Autorinnen und Autoren des vorliegenden Bestandskataloges und besonders Prof. Wolf gang Steiner für seine grundlegenden Forschungen zur Hin terglaskunst, die wesentlich zur Steigerung der Bekanntheit dieser Kunstgattung beigetragen haben.
VORWORT
Dr. Martin Hoernes
Der Sammler Prof. Wolfgang Steiner hat in vier Jahrzehn ten eine herausragende Sammlung von Hinterglasgemälden aufgebaut, die heute sicherlich als die bedeutendste Privat sammlung dieses Genres weltweit gelten darf.3 Mit größter Akribie, Sachverstand und Leidenschaft widmete er sich dem Thema Hinterglasmalerei, das noch vor wenigen Jahr zenten in der kunsthistorischen und volkskundlich ethnolo gischen Forschung allenfalls als Randthema in Erscheinung getreten war. Vor fast 20 Jahren veröffentliche Steiner erstmals seine umfassenden Forschungen zu den Quellen der Hinterglas kunst, die er damals unter dem Titel Hinterglas und Kupfer stich. Hinterglasgemälde und ihre Vorlagen 1550–1850 publi zierte.4 Mit diesem grundlegenden Werk war es ihm gelungen, die Quellen der Hinterglasmalerei umfassend zu würdigen. Steiners Ansatz gründete in der Bestimmung der Vorlagen für die Hinterglasgemälde, d. h. der Identifikation der Hilfs mittel für die Hinterglasmaler, die sich auf vielfältige Art und Weise – mal kopierend, mal variierend bis hin zu eigenschöp ferischen Neuinterpretationen – mit grafischen Vorlagen auseinandersetzten. Frieder Ryser (1920–2005), der bekannte Sammler und große Kenner der Hinterglaskunst, schrieb im Vorwort zu Steiners erstem Buch, dass er das Geschick des Autors »beim Aufspüren der Vorlagen« besonders bewun dere, ebenso dessen scharfes Auge und ausgezeichnetes Bild gedächtnis, das insbesondere im Hinblick auf die Seitenver kehrtheit vieler Abbildungen eine besondere Herausforderung darstelle.5 Diesen besonderen Blick hat Wolfgang Steiner in seinen weiteren Publikationen angewendet, so vor allem in seinem opulenten, 2012 beim Deutschen Kunstverlag erschie nenen Standardwerk … eine andere Art von Malerey. Hinter glasgemälde und ihre Vorlagen 1550–1850, das zugleich als Ausstellungskatalog für die gleichnamige Ausstellung im Schaezlerpalais diente.6 Darin wird ein weiterer Teil seiner Sammlung umfassend erschlossen und analysierend darge stellt. Als vorbildlich und bis zu diesem Zeitpunkt ohne Ver gleich hat sich auch die durch Steiner initiierte Drucktechnik des Buches erwiesen, denn die abgebildeten Hinterglasge mälde sind mit einem besonderen Lack überzogen worden, so dass der spezifischen Glanzoberfläche der Hinterglasma lereien Rechnung getragen wird. Weitere Ausstellungen mit Hinterglasgemälden aus der hier vorgestellten Sammlung wie etwa Verborgene Schätze. Tiroler Hinterglasmalerei 1550–
9 Den Kunstsammlungen und Museen Augsburg ist es im Jahre 2021 gelungen, 153 Hinterglasgemälde aus der Samm lung Gisela und Prof. Wolfgang Steiner zu erwerben. Unter der Federführung der Ernst von Siemens Kunststiftung konnten die Kulturstiftung der Länder ebenso für das Fi nanzierungskonsortium gewonnen werden, wie die Beauf tragte des Bundes für Kultur und Medien, der Freistaat Bay ern sowie ein privater Sponsor. Damit ist es gelungen, ein bisher wenig beachteter Sammlungsbereich bei den Kunst sammlungen und Museen Augsburg zum Schwerpunkt thema auszubauen. Im Bestand des Museums befanden sich bisher lediglich 80 Hinterglasgemälde1 sowie 60 Dauerleih gaben aus der Sammlung Steiner.2 Letztere sind in einem eigens hierfür hergerichteten Raum im Erdgeschoss des Schaezlerpalais dauerhaft der Öffentlichkeit zugänglich ge macht worden, so dass der Hinterglaskunst schon eine ent sprechende Präsenz zugewiesen werden konnte.
HINTERGLASGEMÄLDE-SAMMLUNGDIE
VON GISELA UND PROF. WOLFGANG STEINER
Der Sammler Prof. Wolfgang Steiner
Christof UND
Trepesch AUGSBURG
Das Sammlerehepaar Gisela und Prof. Wolfgang Steiner
Zum Profil der neu erworbenen Hinterglasgemälde
nete. Die 12. Hinterglastagung fand in Augsburg statt, kon zipiert und organisiert durch die Kunstsammlungen.10 Diese Tagungen fördern den Diskurs von Sammlern, Restaurato ren, Museumsfachleuten und Wissenschaftlern unterschied lichster Disziplinen bis hin zu Hinterglaskünstlern und die nen dazu, die kulturhistorische Bedeutung und das Wissen zur Hinterglaskunst weiteren Kreisen zugänglich zu machen.
Die 153 neu erworbenen Hinterglasgemälde bilden einerseits einen exemplarischen Querschnitt durch die Sammlung Steiner, andererseits repräsentieren sie auch die unterschied lichen Produktionszentren der Hinterglaskunst Europas.
10 1850 im Diözesanmuseum Hofburg Brixen (2009)7 oder Landschaft in der Hinterglasmalerei des 18. Jahrhunderts im Pi latushaus in Oberammergau (2013)8 zeigen Steiners univer selles Verständnis vom Wesen der Hinterglaskunst, das er systematisch zu erforschen und zu erschließen verhilft. Aber auch der Bestandskatalog zu einer Privatsammlung Rai mundsreuther Hinterglasbilder ist inzwischen zu einem Standardwerk geworden.9 Wolfgang Steiner ist nicht nur ein bedeutender Samm ler und Kenner der Hinterglaskunst, sondern er ist auch ein Netzwerker, der das Fachwissen der Spezialisten aus unter schiedlichen Fachdisziplinen zu bündeln versteht. Er initi ierte 2006 eine Fachtagung zur Hinterglaskunst, die seither jährlich mit zunehmender Resonanz stattfindet und bisher insgesamt über 700 Teilnehmer aus 14 Nationen verzeich
In der Sammlung Steiner sind etliche qualitätvolle Augsburger Hinterglasgemälde vertreten, die meisten davon können jedoch keinem bestimmten Meister zugeordnet werden, da sie unsigniert sind. Es handelt sich um so charak teristische Themen wie Erdteile und Jahreszeiten Allego rien, Schäferidyllen, aber auch alttestamentarische Themen, Heiligendarstellungen und Porträts, wie das des letzten Augsburger Fürstbischofs Clemens Wenzeslaus (Kat. 78).
Zwischen 1730 und 1800 waren in Augsburg bis zu 13 Meister tätig, darunter der berühmte Johann Wolfgang Baum gartner (1702–1761), von dem gleich zehn Werke in der Samm lung Steiner vertreten sind, wovon nun sechs ihren Weg in unsere Kunstsammlungen gefunden haben (Kat. 10–15). Nur er verwendete eine spezifische Technik der Hinterglas Farb radierung, die in keinem anderen Hinterglaszentrum der Welt jemals Einsatz fand. Von Baumgartner existieren nach derzei tigem Wissen insgesamt nur 38 Werke.13 Eine ebenfalls spezi fische Hinterglastechnik verwendete auch Niklaus Michael Spengler (1700–1776), der als Hofmaler der Landgrafen von Hessen Darmstadt tätig war (Kat. 50). Seine Eglomisé Tech nik, also das Arbeiten mit Lüsterfarben, hinterlegt mit dün nen Gold und Silberfolien, erzeugt ein einzigartiges leucht endes und repräsentatives Erscheinungsbild. Abgerundet werden die deutschen Kunstlandlandschaften durch Johanna Elisabeth Weydmüller Krügers (1725–1807) herausragendes Blumenstillleben (Kat. 20), das aus den Sammlungen des säch sischen Königshofs stammt und sich auf die niederländische Stilllebenmalerei des 17. Jahrhunderts beziehen lässt. Aus Böhmen ist ein Inkunabel Werk Vincenz Jankes (1769–1838) hervorzuheben. Anhand der Taufe Christi im Jor dan, das die Signatur »Janke Vin. Hayde« aufweist (Kat. 128), ist es Wolfgang Steiner gelungen den nordböhmischen Hin
Die frühen Hinterglasbilder des 16. Jahrhunderts, wie etwa die Mondsichelmadonna aus der Zeit nach 1500 (Kat. 7), stellen den Beginn der Hinterglaskunst in den Kontext der spätmittelalterlichen Tafelmalerei und dokumentieren die besondere Wertigkeit dieser Kunstform in der Renaissance zeit. Die Nähe zur Tafelmalerei wird auch durch die Wahl der ikonografischen Themen deutlich, die sich in dieser Zeit bereits durch Druckgrafiken europaweit verbreiteten. Das 17. Jahrhundert ist u. a. durch Johann Schapers (1621–1670) Allegorie Amerika vertreten (Kat. 9) wie auch durch Gerhard Janssens (1636–1725) Zimelie der Fußwaschung Christi (Kat. 6), die in kostbarer Eglomisé Technik ausgeführt wur de.11 Von diesem Meister sind weltweit nur noch wenige WerkeEinenerhalten.weiteren besonderen Schwerpunkt bilden Augs burger Arbeiten. Die freie Reichsstadt Augsburg war das wichtigste Zentrum der Hinterglasmalerei im 18. Jahrhun dert. Hier bildete sich der »Augsburger Stil« heraus (oftmals auch als Malschule Augsburg bezeichnet), der in ganz Eu ropa populär wurde. Paul von Stetten beschreibt in seiner Kunst-, Gewerb- und Handwerksgeschichte der Reichs-Stadt Augsburg von 1779 die weltweite Bekanntheit und Bedeu tung der Augsburger Hinterglasproduktion: »Es ist hier noch eine andere Art von Malerey in Uebung, welche, besonders wann nicht eben Kunstarbeiten verlangt werden, zu Auszierung der Zimmer und Kabinete sehr dienlich, und deswegen an vielen Orten sehr beliebt ist, nämlich die Malerey auf Glas. Es ist nicht diejenige, welche vor Zeiten beliebt war, und zur Zierde der Kir chenfenster gebraucht wurde, welcher ich oben gedacht habe; auch nicht diejenige, welche Baumgartner gleichsam erfand, wie ich auch schon angeführet habe, wozu er Terpentin gebrauchte. Sie bedient sich der gewöhnlichen Oelfarbe, doch erfordert die ver kehrte Art, sie aufzutragen, einen eigenen Mechanismum. Von dieser Art werden durch die Herren Bauren, Bersauter, Lederer und andere sehr schöne und feine Arbeiten gemacht, welche auch bis nach Portugall, Spanien und in die amerikanischen Colonien gebracht werden. Zwar werden sie meistens nach Kupferstichen verfertiget, allein die Colorit erfordert einen eigenen Künstler, und diejenigen, welche darinn sich besonders hervorthun, sind so gut als andere darunter zu zählen.«12
11 Der Schwerpunkt bei diesem Konvolut liegt hierbei auf Werken aus Deutschland und den angrenzenden Regionen.
Die Sammlung Gisela und Prof. Wolfgang Steiner ist nicht nur durch ihren Umfang und ihre Vielfältigkeit als einmalig zu bezeichnen, sondern vor allem auch durch die künstleri sche Qualität der hier zusammengeführten Hinterglasbilder. Besondere Bedeutung erhält sie zudem dadurch, dass sie qualitativ hochwertige Beispiele aus allen Produktionsland schaften der Hinterglasmalerei enthält. Durch diesen exem plarischen Ansatz kann das Produktionsspektrum der Hin terglaskunst umfassend museal abgebildet und präsentiert werden. Neben diesen malerischen und exemplarischen Blick in die Ausstellung … eine andere Art von Malerey – Hinterglasgemälde und ihre Vorlagen 1550–1850 im Schaezlerpalais, Kunstsammlungen und Museen Augsburg, 2012
12 terglasmaler zu identifizieren und eine ganze Werkgruppe zu lokalisieren, die 2017 in einer umfassenden Ausstellung im Nordböhmischen Museum in Liberec präsentiert und in einer umfangreichen Monografie publiziert wurde.14 Inzwi schen werden dem Maler rund 180 Werke zugeschrieben. Auch Kaufbeuren am nordöstlichen Rand des bayeri schen Allgäus hatte im 18. Jahrhundert unter dem Einfluss der Augsburger Hinterglasmalerei eine beachtenswerte Hinterglaskunst entwickelt, die hauptsächlich für einen süd schwäbischen protestantischen Käuferkreis produzierte.15 Bekannt ist die Vorliebe für weltliche Themen, z. B. Immer währende Kalender oder Jagdbilder. In der Sammlung Stei ner ist das Johann Matthäus Bauhoff (1716–1788) zugeschrie bene Porträt Friedrichs des Großen vertreten, das nach einem Stich des Augsburger Kupferstechers Johann Esaias Nilson (1721–1788) entstanden ist (Kat. 77). Unter den Tiroler Arbeiten finden sich eine frühe Kreuzabnahme (Kat. 3) sowie eine Verkündigung (Kat. 1) jeweils aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, aber auch die cha rakteristischen Heiligenbilder bzw. Allegorien mit Verwen dung des für Tirol typischen Kupfergrüns. Werke aus Italien, England, dem Elsass und der Schweiz runden die Samm lung ab und verweisen auf andere wichtige Zentren der Hin terglaskunst. Zur Bedeutung der Sammlung
Anmerkungen
13 Qualitäten sind auch die materialspezifisch technischen Be sonderheiten (z. B. Eglomisé Technik, Radier Techniken, »trügerische« Hinterglasmalerei u. a.) zu erwähnen. Zudem besitzt die Sammlung eine ganze Reihe von sehr seltenen signierten Hinterglasbildern, die das Werk bestimmter MalerEindokumentieren.weitererwichtiger
Aspekt, der die Bedeutung der Sammlung unterstreicht, ist die Tatsache, dass die graphi schen Vorlagen zu zahlreichen Bildern in der Sammlung Steiner vorhanden sind, so dass sich die Wege der Vorlagen findung konkretisieren lassen. Es existiert keine weitere Hinterglasgemäldesammlung bei der gut zwei Drittel der Werke hinsichtlich ihrer grafischen Vorlagen erschlossen ist, geschweige denn, dass die originalen Vorlagen in Form von Grafiken zu der Sammlung selbst gehören. Nicht unerwähnt bleiben soll der einwandfreie tech nisch konservatorische Zustand, der durch eine fachmänni sche und auf Hinterglasgemälde spezialisierte Restauratorin gewährleistet wurde. Durch die international renommierte Restauratorin Simone Bretz konnten mit modernster Tech nologie und aktuellen Methoden Schäden an Bildern beho ben werden. Viele Bilder haben auch noch den originalen Rahmen und dort, wo er fehlte, wurde er durch den Stil ent sprechende ersetzt. Die neu erworbenen 153 Hinterglasgemälde bilden nun mehr gemeinsam mit den 80 Werken aus dem Eigenbestand den Grundstock einer wichtigen Museumssammlung, bei der für die Zukunft zu wünschen ist, dass noch weitere Werke aus dem Bestand der Hinterglasgemäldesammlung von Gisela und Prof. Wolfgang Steiner als Ergänzung hin zukommen werden. Dr. Regina Kaltenbrunner (1963–2020), ehemalige Di rektorin des Salzburger Barockmuseums, charakterisierte diese Sammlung einmal wie folgt: »Qualität, Quantität, Pro venienz, nach wissenschaftlichen Kriterien vorgenommene Ka talogisierung und Inventarisierung, der einwandfreie konserva torische Zustand aller Arbeiten dank der vorgenommenen restauratorischen Maßnahmen – das alles macht die Sammlung zu einem Musterbeispiel. Dementsprechend sollten die weitere Pflege und eine wünschenswerte Erweiterung dieser einzigarti gen Sammlung ermöglicht bzw. als Verpflichtung wahrgenom menDiewerden.Entscheidung des Sammlers sich selbst um die Zukunft seiner Sammlung zu kümmern, ist ein Glücksfall – für die Sammlung und für das ausgewählte Museum. Die Leidenschaft und die Expertise des Sammlers sind schon längst anerkannt. Sie kann nun mit der mehr als gerechtfertigten Auszeichnung seiner Sammlung als museumswürdig belohnt werden.«
1 Trepesch 2008. Dort waren 25 Werke verzeichnet, inzwischen kamen 55 weitere hinzu, so dass der Gesamtbestand nunmehr 80 Werke umfasst. 2 Steiner 2017. 3 Trepesch 2013. 4 Steiner 2004. 5 Ebd., S. 6. 6 Steiner 2012. 7 Steiner 2009. 8 Steiner 2013. 9 Steiner 2018. 10 Die Tagung fand vom 7.–8. Oktober 2022 im Maximilianmuseum statt. 11 Hierzu: Steiner 2015. 12 Stetten 1779, S. 359 f. 13 Ausst. Kat. Augsburg 2012. Seither sind 16 weitere Werke hinzuge kommen. 14 Ausst. Kat. Liberec 2017. 15 Weber u. a. 2017.
Wolfgang Steiner · Alexandra Ulrich ZERBRECHLICH! DIE KUNST DER HINTERGLASMALEREI
VORSICHT,
Zur Technik der Hinterglasmalerei
15 »Glück und Glas, wie leicht bricht das« – Sprichwörter wie dieses sind nur ein Beispiel dafür, wie sehr die Zerbrechlich keit von Glas in unser Allgemeindenken eingegangen ist. Und jedes Paket mit zerbrechlichem Inhalt wird mit der Aufschrift »Vorsicht, Glas!« gekennzeichnet. Warum also wählt man überhaupt etwas derart empfindliches als Bild träger für kostbare Gemälde, und seit wann gibt es diese Kunst der Hinterglasmalerei?
Dieses Spiel mit den Sinnen übt auf den Betrachter einen Zauber aus, der nur allzu oft vergessen lässt, wie kompliziert und mühsam die Hinterglasmalerei ist. Anders als bei der Tafelmalerei können während des Malprozesses keine Kor rekturen vorgenommen werden. Da der Malgrund gleich zeitig die Sichtfläche des Bildes darstellt, bleibt jeder falsch gesetzte Pinselstrich sichtbar, eine Übermalung ist nicht möglich. Deshalb bedienten sich die Hinterglasmaler sehr oft Kupferstichen oder anderer Druckgraphiken, die sie auf das Glas pausten oder nach denen sie selbst Risse anfertig ten, um so zumindest die Konturen ihrer Bilder sicher auf das Glas zu bringen.
Die klassische Malweise für ein Hinterglasgemälde ist der Auftrag von opaken und lasierenden Farben vom Vor dergrund ausgehend in den Hintergrund. In umgekehrter Reihenfolge zur üblichen Tafelmalerei werden also zunächst Konturen und Details wie Spitzlichter, Augen, Mund, Ver zierungen etc. aufgebracht, der Hintergrund wird erst zum Schluss gemalt.1
In unserer heutigen Zeit, in der wir überall von Glas um geben sind – man denke nur an die riesigen Schaufenster fronten in den Fußgängerzonen – ist die Faszination, die dieser Werkstoff seit Tausenden von Jahren ausübt, nur mehr schwer nachvollziehbar. Der »lichtdurchlässige, meist durch sichtige, leicht zerbrechliche Stoff, der aus einem geschmolzenen Gemisch hergestellt wird und als Werkstoff (z. B. für Scheiben, Gläser) dient« – so die Definition des Dudens für Glas – wird heute standardisiert und in einer immer gleichbleibenden Perfektion hergestellt, ist ständig und überall verfügbar und längst alltäglich und selbstverständlich geworden. Doch na türlich war das zu Zeiten, als Glas ein seltener und hochbe gehrter Werkstoff war, gänzlich anders. Unser Wort Glas leitet sich von dem germanischen Wort »glaesum« ab, was »das Glänzende, Schimmernde« bedeutet und ursprünglich für die Bezeichnung von Bernstein ver wendet wurde. Glänzend und schimmernd präsentieren sich auch die Zeugnisse der Hinterglasmalerei. Während heute Kunstwerke in Museen hinter entspiegeltem Glas gezeigt werden, damit keine Reflexion den Kunstgenuss trübt und keine Lichtbrechung den Blick auf das Werk dahinter ver zerrt, würde ein Hinterglasbild – auf ein derartiges Glas ge malt – jeglichen Reiz verlieren. Denn ein solches lebt von eben jenen Reflexionen und Lichtbrechungen, die von Un regelmäßigkeiten der Oberfläche verursacht werden, wie man sie nur auf altem Glas findet. Betrachtet man ein Hinterglasgemälde, so scheint es meist nicht sofort greifbar, das einfallende Licht erzeugt je nach Standpunkt und Blickwinkel immer andere Reflexe und Brechungen. Spiegelungen täuschen das Auge, verfüh ren dazu, näher an das Bild heranzugehen, es von links zu betrachten, dann von rechts – und dabei die Einzelheiten der Darstellung in aller Tiefe zu erkennen.
16 Neben diesen nur mit dem Pinsel aufgetragenen Hinter glasbildern gibt es die Techniken des Églomisierens und des Amelierens. Bei églomisierten Bildern wird zunächst die je weilige Darstellung mit bunten, lasierenden Farben aufge tragen und dann mit Metallfolien hinterklebt, während beim Amelieren die erste Schicht aus Metall besteht, hinter der eine oder mehrere Schichten Farbe folgen, die dann durch eine weitere Lage von Metallfolien aus Silber, Messing o. Ä. zum L euchten gebracht werden. Bei der Hinterglasradie rung wird Blattgold oder silber auf die Glasplatte geklebt und die Darstellung radiert oder gekratzt und dann mit einer kontrastierenden Farbe hintermalt. Allen diesen Techniken ist jedoch gemein, dass man dazu Flachglas von bester Qualität benötigt, reinweiß, ohne grünlichen Farbstich, ohne Schlieren, Blasen und Rück stände, also »un pezzo di vetro bianco, che non verdeggi, ben netto, senza vesciche«, so der italienische Maler Cennino Cennini um 1400 in seinem Libro dell’arte o trattato della pit tura 2 Glas sollte die Reinheit und Durchsichtigkeit des Bergkristalls haben und tatsächlich ist der italienische Name für das venezianische Glas des 15. und 16. Jahrhunderts, das diesen Anspruch weitgehend erfüllt, »cristallo«. Es begann von 3.500 Jahren
Nach heutigem Forschungsstand ist wohl das früheste Zeugnis für Hinterglasmalerei ein bemaltes Plättchen aus Bergkristall3, das heute im Museum von Heraklion auf Kreta zu sehen ist und in die Zeit zwischen 1600 und 1450 v. Chr. datiert wird. |Abb. 1| Das kleine Fragment zeigt einen Stier sprung – eine für die minoische Kultur typische Szene, die ihren Ursprung in einer wohl kultischen Handlung hat. Mit feiner Feder und Pinsel gemalt, ist es ein einzigartiges Bei spiel für minoische Miniaturkunst und ein beeindruckender Auftakt für 3 500 Jahre Hinterglasmalerei.
Weite Verbreitung finden in der Antike die sogenannten »Fondi d’oro«, runde Medaillons, die als Boden für Glasbecher und Schalen dienen und aus Gold oder Metallfolie ausgeschnittene, radierte Dekore zeigen, die zwischen zwei Schichten Glas eingeschmolzen wurden. Diese Technik, die sich wohl im 3. Jahrhundert vor Christus im Großraum Ale xandria entwickelte und während der gesamten römischen Herrschaft bis ins 5. Jahrhundert nach Christus angewendet wurde, schildert der Autor des sogen. Heraclius Traktats (11.–13. Jh.): »De coloribus et artibus Romanorum« im fünf ten Kapitel »De fialis auro decoratis« (deutsch: »Von gold verzierten Schalen«): Abb. 1 »Stiersprung«, älteste bisher bekannte Hinterglasmalerei aus dem Palast von Knossos, um 1600–1450 v. Chr., Archäologisches Museum Heraklion, Kreta
17 »Die Römer machten sich Schalen, auf sorgliche Weise mit Gold ausgestattet, aus Glas, eine überaus kostbare Sache. Daran habe ich meine Mühe aus höchstem Eifer gewendet […], dass ich diese Kunst erringen möchte, in Folge welcher die Schalen herr lichen Schimmer erhalten. […] Ich kam darauf, geschlagene Gold blätter vorsichtig zwischen doppeltem Glase einzuschließen. Als ich dieses Werk öfters mit Verstand betrachtet hatte, regte es mich immer mehr und mehr an, bis ich mir einige Schalen von hellem, glänzendem Glase suchte, die ich mit der Ausschwitzung, Gummi genannt, mittelst eines Pinsels bestrich. Dann begann ich Gold plättchen darauf zu legen, und sobald sie trocken waren, grub ich Vögel, Menschen- und desgleichen Löwenbilder nach meinem Ge schmacke darauf ein. Als das geschehen war, zog ich geschickt eine Hülle von Glas darüber, indem ich es beim Feuer dünn geblasen hatte; sobald aber das Glas die gleichmäßige Hitze empfunden hatte, schloss es sich ringsum dünn, in trefflicher Weise an.«4 Auf gleiche Weise gearbeitete kleine Glasplättchen mit floralen oder geometrischen Dekoren aus Blattmetall wer den in Syrien und Byzanz vom 8. bis zum 12. Jahrhundert vermutlich zur Gestaltung von Altären verwendet. |Abb. 2|5 Im Hochmittelalter dann wird Hinterglasmalerei in ver schiedenen Techniken in ganz Europa als Dekorationsform verwendet, vorwiegend zur Gestaltung von Andachtsbil dern, liturgischem Gerät und Schmuck, aber auch in der Innenarchitektur. Eine Mengenproduktion von Hinterglas malereien findet man zu dieser Zeit nicht, dafür war die Nachfrage zu gering und die benötigten Glastafeln zu teuer.6
Abb. 2 »Lebensbaum«, Fondo d’Oro, Byzanz um 1000 n. Chr.5 , Sammlung Steiner (HGS 603)
Die erste Blütezeit der Hinterglasmalerei … …setzt Mitte des 16. Jahrhunderts ein, als endlich quali tätvolles, reinweißes Flachglas zur Verfügung steht. Erst im Jahr 1455 hatte man Angelo Barovier in Venedig das Recht zugestanden, »vetro cristallo« herzustellen, also reinweißes Glas. Zuvor bezog man Glaserzeugnisse sowie Rohglas aus Syrien zur Weiterverarbeitung, denn die europäischen Glas hütten waren bis zu Baroviers Erfindung nicht in der Lage, reinweißes, kristallklares Glas zu produzieren. Man kann sich also unschwer vorstellen, welchen Erfolg das veneziani sche Cristallo verzeichnete! So verkündet zum Beispiel Pfar rer Johannes Mathesius (1504–1565) in seiner Predigt vom Glasmachen: »waserley Cörper und himlisch wesen wird […] bekommen werden, wenn unser leibe leuchten wie die liebe Sonne und klärer denn ein Crystal oder rein Venedigisch glaß sein und in ewigkeit bleiben wird […]«7 Bald schon verbreitet sich das Geheimnis dieser Her stellungmethode – obwohl von der Republik Venedig strengstens gehütet und bei Verrat mit hohen Strafen belegt – über Venedigs Grenzen hinaus, so dass in ganz Europa nun dieses bergkristallähnliche, weiße Klarglas zu er schwinglichen Kosten angefertigt werden kann.
Ein weiterer Faktor, der die Blütezeit der Hinterglasma lerei im 16. Jahrhundert befeuert, ist die Verbreitung des Kupferstichs. Diese Drucktechnik erlaubt sowohl die Er schaffung eigener Kunstwerke als auch die Reproduktion
die Frage der genauen Herkunft der Hinterglasbilder dieser Gegend bis dato unbeantwortet bleiben muss, so lassen sich doch charakteristische Gemeinsamkeiten feststellen: Auf di cken, unregelmäßigen Glastafeln mit verwärmter Kante ge malt, erstrahlen sie in leuchtenden Farben und partiellem Églomisé und wirken durch die ausgeprägte Konturmalerei wie die Druckgraphiken, nach deren Vorlagen sie entstanden sind – in vielen Fällen nach Raffael (1483–1520) oder nach Albrecht Dürer (1471–1528), deren Werke durch die Werkstatt vom Marcantonio Raimondi (um 1475–um 1534) in Kupfersti chen weite Verbreitung erlangten. |Abb. 3|
In Süddeutschland, vor allem in Nürnberg und Augsburg, wo die dort ansässigen Handwerker und Künstler Arbeiten schaffen, die aufgrund ihrer Qualität und Kunstfertigkeit in ganz Europa begehrt sind – man denke nur an die Augsbur ger Kabinettschränke, an die kunstvoll gedrechselten Nürn Abb. 3 Kreuzabnahme, Venetien–Tirol, 2. Hälfte 16. Jahrhundert, nach einem Kupferstich von Marcantonio Raimondi (1480–1534?), nach einer Zeichnung von Raffael (1483–1520), Sammlung Steiner (HGS 553)
Im Jahr 1571 gründet zudem Erzherzog Ferdinand II. in Innsbruck als erster Fürst seiner Zeit seine eigene Hofglas hütte, die für den Hof Luxusgläser produziert, wie sie damals nur die Glasmacher auf Murano fertigen konnten. Der nö tige Werkstoff für die Hinterglasmalerei war also vorhanden. Gleichzeitig war Innsbruck ein wichtiges Kunstzentrum der Renaissance, so dass auch die entsprechenden Künstler und Handwerker im Tiroler Raum zu finden waren.13 Auch wenn
In Hall in Tirol, 10 Kilometer von Innsbruck entfernt, wird im Jahr 1534 die erste Glashütte nördlich der Alpen ge gründet, die farbloses Glas in venezianischer Qualität her stellt und daraus Scheiben und Tafelglas in unterschiedlichen Größen produziert. Die Stückzahlen liegen zwischen 2 und 3 Millionen pro Jahr. Ebenso wird Hohlglas herge stellt, also Becher, Gläser, Pokale und Schalen aller Art für den täglichen Gebrauch, aber auch als Luxusgut.
18 der Werke anderer Künstler, die sich so über ganz Europa verbreiten. Auch Hinterglasmaler bedienten sich dieser Sti che als Vorlagen für ihre Preziosen.8 Kostengünstig verfügbare Glastafeln und Vorlagen in Form von Kupferstichen tragen nun also dazu bei, dass die Hinterglasmalerei – einst nur der reichen Oberschicht des Adels und Klerus vorbehalten – nun im 16. Jahrhundert Ein gang ins wohlhabende Bürgertum findet.9
In Flandern und am Niederrhein, in Prag, Augsburg oder Zürich – im 16. Jahrhundert entstehen in ganz Europa herausragende Zeugnisse der Hinterglasmalerei.10 Ein be deutendes Zentrum dieser ersten Blütezeit ist der Raum Ve netien – Tirol. Wo genau diese in stattlicher Zahl bis in un sere Zeit überkommenen Hinterglasbilder entstanden sind, ist bis heute ungeklärt. Da für Venedig selbst Zeugnisse feh len, die das Hintermalen von Glas belegen könnten, hat erst mals Frieder Ryser 1991 die Theorie aufgestellt, dass diese frühen Hinterglasbilder auch in Nordtirol, im Raum Inns bruck Hall, entstanden sein könnten.11 Auch für Südtirol wurden zwischenzeitlich Belege für eine dortige Hinterglas malerei gefunden.12
Abb. 5 Prunk-Kabinett mit Hinterglasmalerei, Neapel, 17. Jahrhundert. Hinterglasmalerei mit Szenen aus den »Metamorphosen« des Ovid nach Radierungen von Antonio Tempesta (1555–1630), Sammlung Steiner
Diese Kabinettstücke mit religiösen, aber auch mytholo gischen und literarischen Bildthemen fanden Eingang in die Kunst und Wunderkammern fürstlicher Sammler. So besaß auch Kaiser Rudolf II. (1552–1612) in Prag »hinder Glas ge malte Historien und Gemeld« aus Zürich.
Ab der Mitte des 17. Jahrhunderts … …entwickelt sich in ganz Europa die Hinterglasmalerei immer mehr zum farbigen Wandschmuck. Dem Zeitge schmack entsprechend umfasst die Auswahl der Bildthemen nun neben den nach wie vor beliebten Szenen aus der Bibel auch weltliche Motive wie Genreszenen, Landschaften mit Figurenstaffage und Porträts, die auch beim erstarkenden wohlhabenden Bürgertum Abnehmer finden. In Italien finden im 17. Jahrhundert Kabinettschränke mit eingebauten Hinterglasbildern weite Verbreitung und sind Zeugnis für eine vor allem in Neapel beheimatete Tra dition der Hinterglasmalerei. |Abb. 5| Abb. 4 Allegorie der Künste, Hans Jakob Sprüngli (1559–1637), nach einer Zeichnung von Gotthard Ringgli (1575–1635), Sammlung Steiner (HGS 836)
19 berger Elfenbeinpokale oder natürlich auch an die zahlrei chen Silber und Goldschmiedearbeiten aus Nürnberger und Augsburger Werkstätten – schaffen Meister wie Augus tin Hirsvogel (1502–1553), Virgil Solis (1514–1562) oder der Zürcher Jost Amman (1539–1591) Preziosen der Amelier kunst14. In der Schweiz entwickelt der Zürcher Hans Jakob Sprüngli (1559–1637) eine besondere Form der »trügerischen Hinterglasmalerei«, bei der er die Aktfiguren seiner Bilder auf dünnes Pergament malt, ausschneidet und diese dann hinter Glas klebt. Zusammen mit amelierten Motiven, die aus Blattgold radiert, mit bunten Lüsterfarben hintermalt und mit leicht geknitterter Zinnfolie hinterlegt sind, ergibt sich eine prunkvolle Wirkung. Sie kommt nicht nur in den als Wandschmuck gedachten Einzelbildern zur Wirkung, sondern schmückt oft auch Silberobjekte wie Prunkhumpen, Schalen o.ä., die von so bedeutenden Goldschmieden wie dem Zürcher Hans Heinrich Riva (1590–1660) oder auch dem Nürnberger Wenzel Jamnitzer (1508–1585) gefertigt werden und damit eindrucksvolle Belege für künstlerischen Austausch und Zusammenarbeit über Ländergrenzen hin weg darstellen.15 |Abb. 4|
Anna Maria Barbara Abesch beherrscht die Kunst der baro cken Hinterglasmalerei meisterlich. Zu ihren Auftraggebern zählen Klöster und einflussreiche Adelsfamilien. Ihr Stil ist dabei richtungsweisend für andere Künstler ihrer Zeit, bei spielsweise Leo Leodegar und Johann Crescenz Meyer in Großwangen, Cornel Suter d. Ä. und d. J. in Beromünster Abb. 6 »Die Fußwaschung«, Gerhard Janssen (1636–1725), monogrammiert GJ, nach einem Kupferstich von Wolfgang Kilian (1581–1663), Kunstsammlungen und Museen Augsburg (HGS 377) – siehe Kat. 6 Abb. 7
Zur gleichen Zeit, als Luca Giordano seine farbenpräch tigen Werke im Stil des italienischen Barocks schafft, entste hen in Wien goldstrahlende Arbeiten des gebürtigen Nie derländers Gerhard Janssen (1636–1725) in Églomisétechnik, indem er zunächst die Glasplatte mit dunkler Lackfarbe bemalt, aus dieser Lackschicht die Darstellung auskratzt und alles schließlich mit Goldfolie hinterlegt. Die so gefertigten Hinterglasgemälde wirken feierlich, manchmal düster, sind aber gerade im österreichisch böhmischen Raum sehr be liebt, was die große Zahl der bis heute überdauerten, derartig églomisierten Hinterglasbilder belegt. |Abb. 6|
In der Schweiz, im Großraum Sursee, ca. 25 Kilometer nord westlich von Luzern, bildet sich in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts ein neues Zentrum der Hinterglasmalerei, deren Maler zum Teil namentlich bekannt sind, da ca. 500 signierte und zum Teil datierte Bilder überliefert sind.16 Am bekanntesten dürfte Anna Maria Barbara Abesch (1706–1773) sein, die Tochter des Tafel und Hinterglasmalers Johann Peter Abesch (1666–1731). Allein ca. 300 Hinterglasgemälde, davon 160 signiert, können bislang dieser ersten hauptberuf lichen Hinterglasmalerin der Schweiz zugeschrieben werden.
Das 18. Jahrhundert –die Hochzeit der Hinter glaskunst
»Don Quichotte bei den Damen der Herzogin«, Anna Maria Barbara Abesch (1706–1773), monogrammiert A B V E [Anna Barbara Von Esch], nach einem Kupferstich von Louis Surugue (1686–1762), nach einem Gemälde von Antoine Coypel (1661–1722), Sammlung Steiner (HGS 815)
20 So ist es nicht erstaunlich, dass der neapolitanische Maler Luca Giordano (1634–1705), der wegen seiner Schnelligkeit und großen Schaffenskraft auch den Beinamen »Fà presto« / »Mach schnell« erhalten hat, neben zahlreichen Fresken und Tafelbildern auch Hinterglasgemälde geschaffen hat. Zwei von ihm signierte Hinterglasbilder, Darstellungen der »Anbe tung der Hirten« (davon eine Tafel signiert L. Jordanus F. 1688), befinden sich beispielsweise im Palast von La Granja de San Ildefonso in der Nähe von Segovia (Spanien). In seinem Werkstattbetrieb bildet Giordano Schüler und Nachfolger aus – so soll er laut Vertrag Carlo della Torre darin unterrich ten, wie man Landschaften auf Glas malt, und während des ganzen 18. Jahrhunderts hindurch entstehen in seiner Manier in Süditalien und Spanien Hinterglasbilder.
336 Die Publikation erscheint begleitend zur Ausstellung »Vorsicht, zerbrechlich! – Hinterglasgemälde aus vier Jahrhunderten im Schaezlerpalais Augsburg« im Schaezlerpalais der Kunstsammlungen und Museen Augsburg vom 8. Oktober 2022 bis 15. Januar 2023 Herausgeber Christof Trepesch, Kunstsammlungen und Museen Augsburg
Ausstellungskonzeption
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Bildnachweis Augsburg, Kunstsammlungen und Museen Augsburg, Grafische Sammlung: Seite 2, Kat. 34, 35, 62, 78, 86, 101, 105 Augsburg, Staats- und Stadtbibliothek: Kat. 44 Berlin, Staatliche Museen zu Berlin, Kupferstichkabinett: Kat. 55 Coburg, Kunstsammlungen der Veste Coburg: Kat. 83 Dresden, Staatliche Kunstsammlungen Dresden: Kat. 20 Karlsruhe, Staatliche Kunsthalle Karlsruhe, Kupferstichkabinett: Kat. London,108 The British Museum: Kat. 1, 8, 15, 42, 45, 61, 110 Stuttgart, Staatsgalerie Stuttgart, Graphische Sammlung: Kat. 92, 116, 121, 123, 128 Würzburg, Martin von Wagner Museum der Universität Würzburg: Kat. 136–139 Zürich, Ulrich Stückelberger: Abb. 1 Entnommen aus Publikationen: Ausst. Kat. Dresden 1996: Kat. 25 Ausst. Kat. Murnau 2003: Kat. 26 Ernst Emmerling, Johann Conrad Seekatz, Landau/Pfalz 1991: Kat. Hollstein89 XLVI, Band 2, Nr. 1077: Kat. 131 Lucas Heinrich Wüthrich, Das druckgraphische Werk von Matthaeus Merian d. Ae., Basel 1966, Bd. 1: Kat. 72a, 73a Armin Zweite, Marten de Vos als Maler, Berlin 1980: Kat. 100
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