Lehrmedien der Kunstgeschichte
Deutsches Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte
Bildarchiv Foto Marburg
Transformationen des Visuellen Herausgegeben von Band 5 Hubert Locher
Lehrmedien der Kunstgeschichte Geschichte und Perspektiven kunsthistorischer Medienpraxis Herausgegeben von Hubert Locher und Maria Männig
Inhalt
7
108
Vorwort. Zur Genese und Gestalt eines
Nach der Natur lernen. Bildmedien im
offenen Projektes
akademischen Zeichenunterricht
Hubert Locher und Maria Männig
Anastasia Dittmann
14
118
Lehre – Medien – Kunst – Geschichte.
»[Le] fournisseur de musées«.
Zur Einführung
Die Kohledrucke der Maison Braun als
Hubert Locher
Medien diskursiver Anschauung Franziska Scheuer
32 Interventionen in und mit Lehrmedien Philipp Goldbach
Universitäre Lehre 136
Vorbilder und ihre visuelle Aneignung
Wilhelm Lübkes kunstgeschichtliche Vorlesungen
52
Alexandra Axtmann
Die Klassische Archäologie und ihre Lehrmedien von der zweiten Hälfte des
154
18. bis zum frühen 20. Jahrhundert
Bruno Meyers Lehrmedien zwischen
Ortwin Dally
Bildungsreform und Medieninnovationen des langen 19. Jahrhunderts
88 Zeichnen/Zeichnung Susanne Müller-Bechtel
4
Maria Männig
174
Sehen lernen
The Slide Library of the Giovanni Previtali Photographic Archive: Teaching Art History
238
at the University of Naples Federico II from
Sehen lernen.
the 1920s to the 1960s
Kunstgeschichte in der Schule
Rossella Monaco
Joseph Imorde
186
248
Die Lehrmedien der ›Hamburger Schule‹.
Strahlen der Begeisterung.
Panofskys Vorlesungen und Warburgs
Skioptikon und Projektionsvortrag in
Seminare
der kunstgeschichtlichen Schul- und
Tobias Teutenberg
Volksbildung um 1900 Andreas Zeising
202 »Key Monuments of the History of Art«.
264
Die kunsthistorische Überblicksdarstellung
»Die steinernen Wunder von Naumburg«.
als Lehrbuch in einer globalisierten
Ein Film, ein Buch und das Zu-sehen-Geben
Kunstwelt
eines Doms
Hubert Locher
Barbara Schrödl
222
278
Mediendiskurs und Medienpraxis
Eingeschränkte Sichtverhältnisse.
in ausgewählten Leitfäden zum
Zur fotografischen Vermittlung
kunsthistorischen Studium.
romanischer Kunst in Frankreich um 1950
Ein Problemaufriss
Bernd Carqué
Christian Nille
5
290
374
»›Sehen zu lernen‹, das war die Devise«.
›Super-Recognizer‹. Die Digitalisierung der
Die Florentiner Ferienkurse von den
kunsthistorischen Bildrecherche
Anfängen bis 1938
Matthias Bruhn
Ute Dercks 384 314
Computer Vision und Visualisierung als
Die Exkursion in der kunsthistorischen
didaktische Instrumente in der
Lehre. Ein Ausflug auf die documenta 14
Kunstgeschichte
Jasmin Kolkwitz
Peter Bell 402
Digitalität
From Shade to Display: A Contribution to the Media Archaeology of the Screen
336
Erkki Huhtamo
Technologies of Art History: Slides, PowerPoint, and Virtual Reality Robert S. Nelson
420 Die Autorinnen und Autoren
354 Die kunsthistorische Bilddatenbank
429
zwischen digitalisierter Diathek und
Bildnachweis
visuellem Wissensraum Georg Schelbert
432 Impressum
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Vorwort. Zur Genese und Gestalt eines offenen Projektes Hubert Locher und Maria Männig
Der vorliegende Band – es ist der fünfte in der Reihe Transformationen des Visuellen – ist hervorgegangen aus einer internationalen Tagung, die vom 22. bis zum 24. November 2018 am Deutschen Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg stattfand. Mit dieser Veranstaltung zu den »Lehrmedien der Kunstgeschichte« wollten wir ein Thema aufgreifen, das im Kunstgeschichtlichen Seminar der Philipps-Universität und besonders in dessen ›fotografischer Abteilung‹ – die bald eigenständig tätig war und als »Foto Marburg« bekannt wurde – im Zeitraum von inzwischen mehr als hundert Jahren eine zentrale Rolle spielte. Hier nämlich wurden seit der Berufung Richard Hamanns zum ersten Ordinarius für Kunstgeschichte im Jahr 1913 mit großem Aufwand Fotografien hergestellt, erworben, archiviert und verkauft – auch in der Meinung, dass sie in der kunsthistorischen Lehre zu verwenden wären. Wenn die Aktivitäten der fotografischen Abteilung auch keineswegs vordringlich auf diesen Zweck ausgerichtet waren, sondern man seit den Anfängen die Versorgung der kunsthistorischen Forschung in der ganzen Breite mit Bildmaterial verfolgte, so verlor man über die Jahre dieses Einsatzfeld der Fotografie, die Ausstattung der Lehre mit Bildern, nicht aus dem Blick. Wie es auch an anderen kunsthistorischen Instituten die Regel war, wurden in Marburg Lehrbildsammlungen angelegt. Eine Besonderheit der Marburger Situation ist aber, dass diese bald wesentlich aus dem Bestand
des hiesigen Bildarchivs gespeist wurden. Dazu gehörte auch eine Sammlung von Diapositiven zur Projektion in Lehrveranstaltungen. Mit dem Aufkommen der Kleinbildfotografie, vor allem mit der Verfügbarkeit von Farbdiafilmen, die es ermöglichten, mit vergleichsweise geringem Aufwand Originalaufnahmen vor Ort, vor allem aber qualitativ überzeugende Reproduktionsfotografien nach Abbildungen in Buchpublikationen zu erstellen, geriet die Funktion von Foto Marburg als Versorger für Lehrbildsammlungen in den Hintergrund, wurde aber keineswegs aufgegeben. Bis in die 2000er Jahre war eine der Kernaufgaben der Fotografen des immer noch dem Kunstgeschichtlichen Institut zugehörigen Bildarchivs Foto Marburg, Reprografien für die kunsthistorischen Lehrveranstaltungen herzustellen, was denn auch mit größter Professionalität bis zum Ende der Ära der Kleinbildfotografie betrieben wurde. Auch seit der 2009 vollzogenen Verselbständigung der fotografischen Abteilung als »Deutsches Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg« (abgekürzt DDK) wird die Lehre am Institut bis heute durch die technisch-administrative Unterstützung und Begleitung der digitalen Diathek unterstützt, die inzwischen wie an vielen anderen mittleren und größeren Instituten mit dem Datenbanksystem easydb erfolgt. Im Rückblick auf die sich verändernde Beziehung zwischen der Vorgängerinstitution des DDK, der ehemaligen fotografischen Abteilung des
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Kunstgeschichtlichen Seminars und der heutigen, für die Lehre ausschließlich zuständigen Einheit des Kunstgeschichtlichen Instituts der PhilippsUniversität deutet sich eine medienhistorisch induzierte Zäsur an, deren Tiefe inzwischen klar erkennbar ist – der Übergang von der ›analogen‹ zur ›digitalen‹ Bildversorgung zur Vermittlung kunsthistorischen Wissens in der Lehre. Ziemlich genau um die Mitte des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrtausends werden fast flächendeckend die konventionellen Diatheken mehr oder minder schlagartig aus dem Betrieb genommen und durch digitale Ressourcen ersetzt. An ihre Stelle treten lokale oder verteilte Bilddatenbanken wie prometheus, Systeme wie easydb und Plattformen wie Artstor, die große Mengen an qualitativ oft vorzüglichen Abbildungen von Kunstwerken für die Lehre bereitstellen. Inzwischen ist in der immer bunteren und reicheren Welt des World Wide Web Bildmaterial aus vielerlei anderen Quellen mehr oder weniger frei verfügbar und wird auf vielfältige Weise genutzt. Gewiss kann man diesen Übergang zum ›digitalen Bild‹ auch als kontinuierlichen Prozess beschreiben, zumal man sich in den Anfängen der Umstellung noch darum bemühte, den Effekt des dunklen Vorführraums und der Parallelbildprojektion im digitalen Medium nachzubilden. Aber es handelt sich in vielerlei Hinsicht doch um mehr als nur einen Wandel in der Technologie, oder besser gesagt: der Wandel in der Technologie impliziert eine viel größere Disruption, als man vielleicht zunächst wahrhaben wollte – auf vielerlei Ebenen, angefangen von der Herstellung der zur Projektion bestimmten Bilder, über deren Weitergabe, Aufbewahrung, Anordnung bis hin zu ihrem Einsatz in der Präsentation. So lässt sich wohl behaupten, dass auch im Bereich der medial vermittelten Lehre der scheinbar simple Übergang von einer Form der Lichtbildprojektion (analog) zur anderen (digital) mit einem durchgreifenden Umbruch verbunden ist, der in allen Bereichen des Lebens durchschlägt.
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Hubert Locher und Maria Männig
Dergleichen Umbrüche – es drängt sich der Vergleich mit dem Übergang vom handgeschriebenen Codex zum gedruckten Buch auf – sind lange vorbereitet und vollziehen sich über längere Zeit, aber es gibt wohl einen bestimmten Umschlagpunkt, nach dem der Prozess irreversibel ist. Der Umbruch generiert neue, unerwartete und unvorhersehbare Folgen, die sich nach einer Weile des Verlaufs zeigen, wodurch die Kontraste desto prägnanter hervorgetrieben werden. Für die Mediengeschichte ist das interessant. Die noch gar nicht so weit zurückliegende Technologie der ›analogen‹ Projektion, welche die älteren unter uns noch im Studium erfahren haben, selbst erlernten und in ihrer eigenen Lehrpraxis übten, mutet heute befremdlich an. Solche Befremdung treibt Fragen hervor und regt zur Erforschung des Phänomens an, die immer noch in den Anfängen steckt. Wie an anderen Orten ist man auch in Marburg zunächst vor allem mit der Gestaltung der verschiedenen medialen Umbrüche befasst gewesen und weiterhin nachhaltig beschäftigt, aber es sind auch hier und da Vorstöße unternommen worden, um sowohl das ältere wie auch das neuere Paradigma forschend zu erkunden. Nachdem wir uns in Marburg in den vergangenen Jahren das eine oder andere Mal der Diskussion der visuellen Lehrmedien bereits angenähert hatten, ergab es sich günstig, dass vor einiger Zeit, im Wissen, dass in unseren Beständen vielerlei Material der vertieften Erforschung harrt, Maria Männig in Marburg vorsprach mit dem Vorschlag, sich mit medienarchäologischem Blick der Geschichte der kunsthistorischen Diathek – nicht nur der in Marburg – anzunehmen. In der sich entspinnenden Unterhaltung hat sich alsbald die Idee herauskristallisiert, dass es sinnvoll sein könnte, das speziellere Thema in einem weiteren Horizont zu betrachten, woraus sich das Projekt der Tagung zu den »Lehrmedien der Kunstgeschichte« ergab. Im weiteren Planungsprozess haben wir vielerlei Zuspruch und Zustimmung von Kolleginnen und
Kollegen am DDK und ebenso aus unseren weiteren Netzwerken erfahren und konnten bald ein Tagungsprogramm zusammenstellen. In seiner Anlage und internationalen Ausrichtung hat dieses auch die Gutachterinnen und Gutachter der Deutschen Forschungsgemeinschaft überzeugen können, die großzügig die Förderung der Veranstaltung übernahm. Aufgrund der relativ geringen Dichte an einschlägiger Forschung haben wir von Beginn an eine Publikation vorgesehen und alle Vortragenden eingeladen, daran teilzunehmen. Nicht alle sahen sich schließlich in der Lage, ihre Beiträge zum Druck fertigzustellen. Ohnehin war aber vorgesehen, für die geplante Buchpublikation ergänzende und spezielle Aspekte vertiefende Beiträge einzuwerben. Weder im Programm der Tagung noch im Spek trum des Buches haben wir indessen den Anspruch verfolgen wollen, das Thema systematisch vollständig abzuhandeln. Wir halten dies weder für zeitgemäß, noch zum aktuellen Zeitpunkt dem Gegenstand angemessen. Vielmehr wollten wir Personen ansprechen, die sich bereits mit Fragen und Gegenständen zum Problembereich unserer Tagung beschäftigt haben, die also aus ihrer jeweiligen Forschungsarbeit einen Blick auf das Thema der Lehrmedien der Kunstgeschichte nach unserem Vorschlag werfen mochten. Vielerlei hätten wir uns für den Band noch vorstellen können, doch ist das Buch schnell im Umfang gewachsen und präsentiert nun eine Bandbreite, die von der medialen Vermittlung antiker Objekte bis zur digitalen Gegenwart reicht, von der Zeichnung über die Fotografie in unterschiedlichen Erscheinungsweisen bis zur PowerPoint-Präsentation; und wir lassen auch Sonderformen und Randphänomene wie die Exkursion, die Lehre vor Originalen nicht aus, bis hin zu Überlegungen zur Rolle des Bildschirms – einer Fläche, die uns zumal im Zuge der Pandemie ab 2020 als Vermittler (Medium) zur wirklichen Welt nur zu vertraut geworden ist. Wir
sind schließlich dankbar für die vielfältigen Beiträge, die wir erhalten konnten. Wir erachten es als eine Qualität, dass diese weder einem einheitlichen Strickmuster noch einem einförmigen Problemdesign folgen, sondern vielmehr in ganz unterschied licher Weise aufzeigen, wohin die Frage nach den Lehrmedien in der Kunstgeschichte die Forschung tragen kann; nicht zuletzt freuen wir uns, den Kolleginnen und Kollegen die Gelegenheit bieten zu können, in dieser Form spezielle Forschungsinteressen und Anliegen zum Thema vorzutragen. Dass Geschichtsschreibung notwendiger- und unvermeidlicherweise anachronistisch ist, dass der historische Blick durch die unmittelbare Gegenwart hindurch erfolgt, ist ein nach wie vor aktuelles Postulat. Unsere Überlegungen reichten zum Zeitpunkt der Tagung immerhin bis über die in Seminarraum und Hörsaal inzwischen heimisch gewordene PowerPoint-Präsentation hinaus und bezogen auch schon Überlegungen zur digitalen Zukunft mit ein. Dass noch im Lauf der Arbeiten an dem vorliegenden Band eine völlig neuartige Dimension zum Vorschein kommen würde, indem sich die Lehre ›auf Distanz‹ pandemiebedingt etablierte und nun das Display von Monitor wie Laptop und Tablet zum Interface wurde, das Lehrende mit Studierenden verband, war freilich nicht vorhersehbar. Dies offenbart nicht zuletzt die eklatante Dynamik, der gegenwärtige Digitalisierungsprozesse unterliegen. Wenn in unserem Sammelband diese jüngsten Vorgänge allenfalls hier angesagt werden können, so zeigt dies die Relevanz der hier aufgeworfenen Forschungsfragen auf, die sich im Lichte fortschreitender Technologien weiterverfolgen und aktualisieren lassen werden. Anknüpfungspunkte gibt es vielerlei. Versammelt sind Beiträge aus der Kunstgeschichte, der Medienwissenschaft und der Archäologie, Ausblicke auf die zukünftigen Themen der digitalen Kunstgeschichte komplementieren die Rückblicke auf historische Medienwechsel.
Vorwort. Zur Genese und Gestalt eines offenen Projektes
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Unsere absichtsvoll offene Annäherung schlägt sich emblematisch darin nieder, dass das Äußere, wie das Erscheinungsbild durch einen künstlerischen Beitrag geprägt wird. Philipp Goldbachs Arbeit Deakzession/Reakzession (2016), auf deren Grundlage wir den Umschlag des Bandes gestalten durften, verweist präzise auf den Kristallisationspunkt unseres Projektes. Die Bilder stehen paradigmatisch für den Übergang von analogen Lehrmitteln zu digitalen Medien. Nicht zuletzt durch Goldbachs Werkserie, die mit Sturm/Iconoclasm im Jahr 2013 ihren Ausgang nahm, hat das Kleinbilddiapositiv in diesem Zusammenhang gleichsam ikonischen Status erlangt, überführte die Arbeit doch den unsichtbaren, im Hintergrund stattfindenden Prozess der DiatheksAuflösung in eine zeitgemäße künstlerische Form. Die Anordnung der weiteren Beiträge folgt einer losen chronologischen und thematischen Ordnung; die vier, thematisch einander überlappenden Abschnitte ›Vorbilder‹ und ihre visuelle Aneignung‹, ›Universitäre Lehre‹, ›Sehen lernen‹ und ›Digitalität‹ strukturieren den Band. Am weitesten zurück reicht die Abhandlung von Ortwin Dally, mit welcher der Autor die Auseinandersetzung der Lehrmedienthematik im Bereich der Klassischen Archäologie ab der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts nachzeichnet. So offenbaren sich die vielen Gemeinsamkeiten, die Kunstgeschichte und Archäologie in ihrer Frühphase verbinden. Der Autor stellt zugleich dar, wie der zunehmende Mediengebrauch dazu beigetragen hat, die Archäologie als eigenständige Disziplin zu profilieren und von ihrer Schwesternwissenschaft abzulösen. Susanne Müller-Bechtel untersucht in ihrem Aufsatz die Kulturtechnik des Zeichnens, indem sie deren (re)produktive Möglichkeiten auslotet. Zeichnen eröffnet einen unmittelbaren, gestischen Zugang zur Erkenntnis. Als solches bildet es sowohl den Kern der Künstler-Ausbildung als auch ein wichtiges Hilfsmittel für die kunsthistorische
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Hubert Locher und Maria Männig
Forschungs- und Lehrpraxis. Anastasia Dittmann verdeutlicht am Fallbeispiel der Berliner Akademie, wie eine Vorlagenkultur den Zeichenunterricht prägte, in dem heterogene Bildmedien – vom Gipsabdruck bis zur Fotografie – zum Einsatz kamen. Während jener paradigmatisch für die normative Kraft der Antike steht, transportiert die fotografische Vorlage gegen Ende des 19. Jahrhunderts die Idee des Studiums nach der Natur. Die Antikenrezeption bildet zugleich den zentralen Referenzpunkt für die frühe Kunstgeschichte. In der Erschließung der Denkmäler spielt nicht nur die Ekphrasis, sondern auch ihre zeichnerische Aneignung eine zentrale Rolle. Die materialbasierte Analyse eines der größten erhaltenen und im Bildarchiv Foto Marburg verwahrten Kohledruck-Konvolute der Firma Adolphe Braun steht bei Franziska Scheuer im Zentrum der Ausführungen. Die Autorin zeigt, dass diese hochwertigen Edeldrucke zunächst mit Stichwerken konkurrierten und den Kunstsammlungen, die sie abbildeten, wieder zugeführt wurden. Dort dienten sie vor allem als Grundlage für die kennerschaft liche Kunstgeschichte. Erst sukzessive wanderten die Produkte der Maison Braun aus den Grafik-Kabinetten in die universitären Lehrsammlungen. Das sich im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts konstituierende Universitätsfach stellt einen weiteren Schwerpunkt des Bandes dar. Für das 19. und 20. Jahrhundert werden in je für sich abgegrenzten Untersuchungen unterschied liche Lehr- und Medienpraktiken bzw. Lehrmedien vorgestellt. Alexandra Axtmann befasst sich mit einem der populärsten Kunsthistoriker aus der Frühzeit des Faches, Wilhelm Lübke. Anhand von Quellen demonstriert die Autorin, wie Lübkes kunsthistorisches Wissen zwischen visuell-sprachlicher Aneignung in den Notizbüchern und der Vermittlung im Hörsaal zirkuliert. Dabei spielt die zeichnerische Skizze, die gleichfalls von Müller-Bechtel ausführlich behandelt wird, eine elementare Rolle. Trotz
seines extensiven Mediengebrauchs kann Lübke dezidiert als Antipode der Diaprojektion gelten. Diese hatte sein Amtsvorgänger, Bruno Meyer, in Karlsruhe eingeführt, eine Pionierleistung, die der Gegenstand der Studie von Maria Männig ist. Der mediale Paradigmenwechsel wird vor dem Hintergrund der Unterhaltungskultur sowie der Bildungspolitik des langen 19. Jahrhunderts beleuchtet. Die Diaprojektion wird phänomenologisch unter dem Aspekt des Diaphanen behandelt. Im Komplex mit seinem zweiten Lehrmittelprojekt, dem Baugeschichtlichen Wandatlas, wird Meyer insbesondere in der realistischen Bildungstradition verortet. Rossella Monaco untersucht in ihrem materialreichen Aufsatz einen wenig bekannten Bestand an Diapositiven, die für die Lehre verwendet wurden – die kunsthistorische Diasammlung der Universität Neapel Federico II –, und analysiert die individuelle Lehr- und Medienpraxis der dort tätigen Professoren. Tobias Teutenberg widmet sich der Lehrpraxis der ›Hamburger Schule‹ der Kunstgeschichte, die in ein enges institutionelles Netzwerk, bestehend aus Kunsthalle und Kultur wissenschaftlicher Bibliothek Warburg, eingebunden war. Anhand exemplarischer Lehrveranstaltungen wird die Arbeit mit den Diapositiven als für Erwin Panofsky zentrale Praxis herausgestellt und mit Aby Warburgs Arbeit am Mnemosyne-Atlas verglichen. Hubert Locher nimmt Bezug auf das kunstgeschichtliche Handbuch als elementares Lehrmedium, in dem die Gegenstände des Faches vorgestellt sind, an deren Präsentation sich aber auch der methodische und klassifikatorische Umgang damit ablesen lässt. Ausgehend vom Impuls der repräsentativen Bestandserfassung in den Anfängen zeichnet sich das Genre im späteren 20. Jahrhundert durch eine gegenläufige Tendenz aus, die als nun vom Bild ausgehende, reduzierende Konzentration auf eine überschaubare Auswahl von ›key monuments‹, anhand derer Kunstgeschichte erzählt wird. Dieser reduktive Zugriff bil-
det vor allem in der angloamerikanischen Welt die Grundlage der bis heute dort in der Lehre ge bräuchlichen ›textbooks‹. An den erweiterten Neuauflagen lässt sich exemplarisch am Versuch, sowohl Künstlerinnen als auch die außereuropäische Kunst aufzunehmen, der Umgang mit den Paradoxien der Kanonbildung nachzeichnen und auf Aporien einer ›globalen Kunstgeschichte‹ hinweisen. Mit einer noch selten beachteten Quellengattung befasst sich Christian Nilles Beitrag, indem er sich den kunsthistorischen Leitfäden zuwendet. Damit sind schriftliche Anleitungen zum Studium gemeint, in denen erläutert und erklärt wird, was man an der jeweiligen Universität unter dem Fach versteht, welcher Tradition man folgt und wie konkret studiert werden soll. Nille weist darauf hin, dass dergleichen Anleitungen bereits seit dem 19. Jahrhundert existieren, sie seit den 1990er Jahren aber vermehrt und nahezu flächendeckend nachweisbar sind. Sie tragen dazu bei, das Studium der Kunstgeschichte an den jeweiligen Instituten zu formatieren, sind also einerseits für sich genommen Lehrmedien in einem speziellen Sinn, belegen aber auch, wie sich die Lehrenden zum Medieneinsatz im Rahmen des Studiums stellen. Im Hintergrund kunsthistorischer Lehre steht das – nicht immer explizierte – spannungsvolle Verhältnis von gesprochenem Wort und präsentiertem Bild, die Versprachlichung des Visuellen, wobei es sich um eine schwankende Wechselwirkung handelt, selbst wenn sich sagen lässt, wie etwa im Artikel von Locher angezeigt, dass sich das Gewicht zusehends in Richtung des Bildes verlagert. Die Auseinandersetzung mit dem Bild als zentralem Thema kunsthistorischer Lehre, die Förderung von Erkenntnis vermittels sinnlicher Erfahrung und vor allem Anschauung, mit einem Wort: das ›Sehen lernen‹, lässt sich als ein zentrales Anliegen der Kunstgeschichte bestimmen, das auch in die Reformpädagogik übernommen wurde. Wie dieses Ziel an den Schulen erreicht werden sollte, behan-
Vorwort. Zur Genese und Gestalt eines offenen Projektes
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deln zwei Beiträge vertiefend. Joseph Imorde befasst sich mit der Rolle der Autotypie für die Verbreitung von Bildmaterial in Form von Schulbüchern sowie in Mappenwerken. Besonders letztere dienten auch als Wandschmuck, mit dem die ästhetische Erziehung unterstützt werden sollte. Im Gegensatz zum solcherart gleichsam ausgestellten Bild basiert die Wirkung des Diavortrags auf der zeitlich begrenzten, flüchtigen Vorführung. Dass dieses Medium im Schulunterricht des frühen 20. Jahrhunderts eingesetzt wurde, arbeitet Andreas Zeising heraus. Er analysiert die didaktischen Herausforderungen und die damit verbundenen Debatten, die der Einsatz des frühen Projektionsgerätes, Skioptikon genannt, verursachte. Dabei stellt er fest, dass die Kunsterziehungsbewegung von der vermittels Projektion erzeugten Wirkungsästhetik – und somit von dem neuen Medium der Diaprojektion – profitierte. Der Einsatz visueller Medien zur Gestaltung von implizierten Gehalten, die Anleitung zu einem Sehen bestimmter Tendenz ist in bildmedialen Praktiken stets inhärent, wenn auch nicht immer leicht erfassbar. In ihrer Analyse der Steinernen Wunder von Naumburg vergleicht Barbara Schrödl die mediale Inszenierung der gotischen Stifterfiguren im Fotobuch und im Kulturfilm Anfang der 1930er Jahre. Die Autorin arbeitet heraus, wie ein bestimmter kunsthistorischer Konsens in die jeweilige Medienästhetik überführt und affirmativ überformt wird. Bernd Carqué zeichnet nach, inwieweit sich die fotografische Repräsentation der romanischen Kunst um die Mitte des 20. Jahrhunderts vor allem in französischen, von klerikaler Seite verantworteten Publikationen ändert. Mittels der ästhetischen Neuorientierung an Formprinzipien der Avantgarde sollten die religiösen Inhalte aktualisiert werden. Vergangenheit und Gegenwart treten somit in ein dialektisches Verhältnis zueinander und werden wechselseitig aufeinander bezogen. Der rhetorischen, womöglich tendenziösen, verfälschenden Verwendung von Bildern und Bildme-
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Hubert Locher und Maria Männig
dien entgegengerichtet ist der in der kunstgeschicht lichen Lehre übliche Rekurs auf die Betrachtung von Originalen, die von Beginn an elementarer Bestandteil der kunsthistorischen Lehre waren. Zwei Beiträge befassen sich mit diesem Format: Ute Dercks rekonstruiert das Engagement des Kunsthistorischen Instituts in Florenz, das als außeruniversitäres Forschungsinstitut eng mit der deutschen Universitätslandschaft verzahnt war. Nach dem Modell des bereits bestehenden Deutschen Archäologischen Instituts in Rom ermöglichte die Außenstelle in Norditalien das Studium der Objekte vor Ort. Wie bei vergleichbaren Institutionen war ein solches Studium in eine komplexe intermediale Praxis eingebunden, in der die Fotografie wiederum eine zentrale Rolle spielte. Dass die Exkursion gerade auch im Zeitalter scheinbar schrankenloser Verfügbarkeit von medial vermittelten Inhalten und der immer stärkeren Übertragung künstlerischer Arbeit in mediale Formate keineswegs an Relevanz verloren hat, sogar selbst sich dem Kunstereignis beigesellt, legt Jasmin Kolkwitz in ihren Über legungen zur Funktion der Exkursion im 21. Jahrhundert dar. Wie die Autorin am Beispiel der documenta 14 erörtert, setzt insbesondere die Gegenwartskunst oftmals auf die unmittelbare körperliche Erfahrung, wodurch der Körper der Betrachterin zum Medium künstlerischer Inhalte wird. Mit dem Begriff ›Digitalität‹ haben wir den letzten Abschnitt des Bandes überschrieben. Gemeint ist damit die Art der Verbindung, die heute im Bereich der Kunstgeschichte zwischen den Objekten des Faches – Bilder, Monumente, Kunstwerke – und den Akteuren, den Lehrenden ebenso wie den Studierenden, dominiert. Unter den Bedingungen der Digitalität lebt auch die Diaprojektion fort, wie Robert S. Nelson in konsequenter Fortsetzung seiner vor zwei Jahrzehnten vorgetragenen grundlegenden Überlegungen zur kunsthistorischen Dia-Praxis im Beitrag für diesen Band darlegt. Er erläutert mit klarem Blick für das
Wesentliche den Übergang zu heute üblichen PowerPoint-Präsentationen mit Bezug zu den ihm aus langer Lehrerfahrung vertrauten Konventionen im amerikanischen Raum. Denselben Übergang erläutert Georg Schelbert auf ganz anderer Grundlage in der Darlegung der Umstände der für diese Zwecke entwickelten und unterhaltenen Bildsammlungen. Von den ersten EDV-Projekten im deutschsprachigen Raum ausgehend skizziert er die Geschichte der Bilddatenbanken und zeigt auf, wie diese sich zunehmend als entgrenzter Wissensraum ausgestalten. Matthias Bruhn lotet die Möglichkeiten der digitalen Bildrecherche aus und plädiert anhand des Phänomens des Super-Recognizers für einen geradezu kriminalistisch operierenden, kunsthistorisch informierten Blick. Peter Bell bearbeitet die Computer Vision als derzeit emergierendes Feld einer ›Digitalen Kunstgeschichte‹, deren neue mediale Möglichkeiten zur Ausgestaltung der kunsthistorischen Lehre sich heute erst abzuzeichnen beginnen. Mit Verweisen auf klassische kunsthistorische Arbeitsmethoden skizziert der Autor die didaktischen Potenziale der KI-basierten Forschungsmethoden. Der letzte Text von Erkki Huhtamo verlässt das engere Feld der Lehrmedienforschung, indem er aus medienarchäologischer Perspektive über jenes Dispositiv nachdenkt, das – zumal in allerjüngster Zeit – das Erscheinungsbild der Lehre unversehens mitgeprägt hat: der Bildschirm, der Screen, der als Display des Smartphones, des Tablets, Laptops oder des Desktop-Computers immer stärker zum zentralen Interface der Kommunikation wird und auf dem sich Lehr- und Lerninhalte der Kunstgeschichte, aber auch die entsprechende Lehrsituation in eigentümlicher Form darstellen.
Vorwort. Zur Genese und Gestalt eines offenen Projektes
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Lehre – Medien – Kunst – Geschichte. Zur Einführung Hubert Locher
Die Komplexität des Projektes, das in diesem Band vielstimmig erkundet wird, ergibt sich aus der Verbindung jener vier Bereiche, die im Titel in Gestalt zweier zusammengesetzter Substantive begrifflich gefasst werden. Sie seien hier in ihre Komponenten zerlegt, um die jeweils enthaltenen Hinsichten auf das Thema anzusprechen, auch deren spannungsvolles Verhältnis, um die damit verbundenen Forschungsfragen und Problemzusammenhänge einführend zu skizzieren.
Lehre
Wer sich mit der Geschichte der Kunstgeschichte befasst, stößt über kurz oder lang auf die Bedeutung, die der Lehre zukommt. Die Weitergabe von Wissen durch dafür bestellte Personen im institutionellen Rahmen der Universitäten, aber auch der Akademien und Kunsthochschulen, endlich der weiterführenden allgemeinbildenden Schulen ist für die Ausgestaltung des Faches konstitutiv. Gleichwohl wurde die Lehre als wesent licher Faktor in der Geschichte der Formierung der Disziplin selten verhandelt. Ansätze hierzu sind erst in den 1970er Jahren erkennbar, als eine neue Diskussion von Aspekten der Vermittlung kunsthistorischen Wissens einsetzte, die in enger Verbindung mit der Aufarbeitung der Geschichte der Institutionalisierung des Faches Kunstgeschichte erfolgte. Zu verweisen ist hier besonders auf den Band Kunstwissenschaft und Kunstvermittlung, der
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Hubert Locher
1975 in der Kunstwissenschaftlichen Reihe des Ulmer Vereins erschien.1 Unter den Beitragenden befanden sich neben der Herausgeberin Irene Below, die sich mit der »Werkbetrachtung« nach Alfred Lichtwark befasste, und Wolfgang Kemp, der sich mit der Sprache beschäftigte, auch zwei Autoren, die sich mit dem damals wichtigsten Bildmedium der kunsthistorischen Lehre, der Diaprojektion auseinandersetzten; neben Wolfgang Bey rodts Studie zu Diareihen für den Unterricht enthielt der Band einen ersten Aufsatz von Heinrich Dilly zum Gegenstand, dem in den folgenden Jahrzehnten weitere folgen sollten. Der Impuls für die damalige Auseinandersetzung mit der Lehre ging von der vehement vorgetragenen Forderung nach einer neuen, explizit kritischen Fundierung von Wissenschaft, aber auch von Kunst in gesellschaft lichen Produktionsprozessen, einschließlich der Hinterfragung ihrer sozialen Ursachen und Auswirkungen aus. Teil davon wurde die kritische Untersuchung der Methodologie des Faches und die Aufarbeitung der institutionellen Zusammenhänge, zu der wiederum Heinrich Dilly mit seiner für die Geschichte des Faches bedeutsamen Dissertation Kunstgeschichte als Institution maßgeblich beitrug.2 Auch hier wird die Lehrtätigkeit immerhin punktuell angesprochen. In den einleitenden Überlegungen erörtert Dilly das Gebiet der biografischen Forschung, der Geschichte kunsthistorischer Methoden und der Rezeptionsgeschichte als mögliche Formen der Disziplingeschichte. Wenn
man unter Methodengeschichte eine Geschichte der sich entwickelnden Formen der Generierung und Darlegung von Wissen und Erkenntnis versteht, dann fällt die Tätigkeit der Lehre, die nach bestimmten methodischen Kriterien erfolgt und sich nach diesen untersuchen lässt, ebenfalls in diese Domäne. Dilly selbst geht gleichwohl nur wenig darauf ein, explizit indem er wiederum die Diaprojektion und die Fotografie anspricht, womit zumindest die Möglichkeit angezeigt wird, dass auch die Geschichte des Lehrdiskurses als solcher Anteil an der Fachgeschichte hat. Auch die spätere fachgeschichtliche Forschung hat sich nur vereinzelt mit der methodischen Formatierung des Faches durch die Aufgabe der Lehre befasst. Über die Gründe kann man nur spekulieren, es scheint aber damit zusammenzuhängen, dass die Lehre, obgleich integraler Bestandteil und eine der Hauptaufgaben jeder Professur, gegenüber dem Bereich der Forschung ein geringeres Prestige hat. Ein Indiz für die Wirksamkeit dieser Hierarchie zeigt sich darin, dass in der Fach- und Methodengeschichte die offensichtlich für Lehrzwecke entstandene Fachliteratur, darunter auch die Bilderbögen, die Handbücher, die Leitfäden, lange Zeit wenig ernst genommen worden sind. Die Geringschätzung beruht auf der Meinung, es handle sich lediglich um Hilfsmittel, die allenfalls für Unwissende nützlich, für den Kenner jedoch vollkommen entbehrlich wären, um Vermittlungsorgane, die das etablierte Wissen ohne Erzeugung von Mehrwert lediglich aufbereiteten, mit einem Wort um Medien, die – in Bild und Text – lediglich auf die Reproduktion zielen, einerseits von Werken, die anderswo im Original zu sehen wären, andererseits von Wissen, das bereits veröffentlicht wurde. Wären nun diese Medien somit lediglich »Prothesen«3, um ein von Heinrich Dilly einst mit Bezug auf die Diaprojektion bemühtes Wort noch einmal ins Spiel zu bringen – Ersatzobjekte für ein verlorenes Eigentliches? Letzteres trifft schon einmal
nicht zu, denn die Reproduktion eines Bildes setzt ja dessen Präsenz – zumindest zum Zeitpunkt ihrer Anfertigung – voraus, ansonsten es sich um eine Rekonstruktion handelte. Etwas Richtiges ist an der Metapher der Prothese aber doch: Die Lehre und zumal die kunsthistorische Lehre ist auf künstlich hergestellte Stellvertreter angewiesen. Sie konstituiert sich durch sie, verkörpert sich in den Repräsentationen ihrer Gegenstände und deren Demonstration, ihrem Vorzeigen. Die Tatsache, dass in der Lehre Wissen nicht nur wiederholt, sondern auf spezifische Weise gestaltet wird, verlangt eine eingehende Beschäftigung damit, wenn man sich über die Konstitution des Faches und seiner Denkweisen Klarheit verschaffen möchte. Der Gegenstand ist allerdings nicht leicht zu fassen. So stellt sich die Frage, wo Lehre eigentlich beginnt. Inwiefern ist sie von dem abzugrenzen, was man als Forschung bezeichnet?4 Was zeichnet die Lehre als Tätigkeit aus? Ist eine Lehrsituation nur dann gegeben, wenn eine Institution den Rahmen und womöglich das größere Programm vorgibt? Bedeutet Lehre in jedem Fall, dass ein Publikum sich vor der lehrenden Person befindet, dass sie sich als lebendige Sprechhandlung abspielt? Oder ist nicht auch die Veröffentlichung eines Textes, eines Buches, das für ein Publikum gedacht ist, das lernen möchte, eine Form der Lehre, die hier von Belang wäre? Was unterscheidet die Lehre an einer Universität von jener Belehrung, die in sogenannten allgemeinbildenden Schulen vorgenommen wird, die in der Volkshochschule stattfindet oder von jener, die im Museum im Rahmen von Führungen erfolgt? Gerade im Bereich der Kunstgeschichte ist eine scharfe Trennung von institutionell verankerter Lehre und öffentlicher Belehrung, im Englischen ist passenderweise von ›Public Science‹ die Rede, schwierig, wenngleich man eine solche in pragmatischer Hinsicht durch Verweis auf das Studienprogramm und den Abschluss wohl vornehmen kann
Lehre – Medien – Kunst – Geschichte. Zur Einführung
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und zumal das Seminar, das als Veranstaltungsform schon seit Ende des 18. Jahrhunderts zu den Vorlesungsveranstaltungen hinzukommt, als Ort der forschenden Lehre für den kleineren Studierendenkreis vielerorts eingerichtet worden war.5 Dass von Universitätsprofessoren akademische Vorlesungen über spezielle Probleme der Kunstgeschichte gehalten wurden, die immer schon auch an ein allgemeines Publikum gerichtet waren, lässt sich indessen bis in die Vor- und Frühgeschichte des Faches zurückverfolgen.6 Dergleichen Vorträge zielten darauf ab, Personen anzusprechen, die sich den Luxus philosophischer Erörterungen leisten und in der Demonstration ihrer entwickelten Geschmackskultur auszeichnen konnten. Bis heute bieten Universitäten repräsentative akademische Vorträge an, die zwar von Fachwissenschaftlern gehalten werden, aber auf eine breitere Hörerschaft abzielen, die aus Kollegen und Kolleginnen anderer Fachrichtungen bestehen kann, aber auch das sogenannte allgemeine, bildungsaffine Publikum ansprechen soll. Dass geisteswissenschaftliche Beiträge, zumal solche über Literatur und Kunst, sich für dergleichen besonders eignen, liegt schon in der Natur ihrer Gegenstände, deren Kenntnis im bildungs bürgerlichen Milieu ebenso als Ausweis sozialer Distinktion gilt wie die Befähigung zu deren Genuss. Zahlreiche namhafte Kunsthistoriker glänzten in dieser besonderen Lehr- und Vortragsdisziplin, angefangen von Jacob Burckhardt, der in Basel gerne dieses allgemeine Publikum bediente,7 über Herman Grimm bis hin zu dessen Nachfolger Heinrich Wölfflin. Ein Meister des Vortrags für das gebildete Publikum war eine Generation später – und unter deutlich anderen Umständen – auch Ernst H. Gombrich, der einige davon unter dem bezeichnenden Titel Meditations on a Hobby Horse veröffentlichte.8 Vielleicht ist es ein etwas gewagter Vorschlag, diese Art von Lehre mit jener schon seit dem 16. Jahrhundert entstehenden Literatur in Verbin-
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dung zu bringen, die sich nicht an ausübende Künstler richtet, sondern dazu angelegt ist, Kennerschaft der Kunst an ein Laienpublikum zu vermitteln. Dieses Publikum zu bedienen und die Kennerschaft der Laien solide zu begründen ist ein Anliegen Roger de Piles,9 es wurde übernommen und als »science of a connoisseur« von Jonathan Richardson weitergeführt.10 Eine solche Expertise umfasst allerdings vielerlei Kenntnisse der Kunst, die durch die kontinuierliche Beschäftigung, durch finanzielles Engagement, Sammlertätigkeit und womöglich auch eigenes Dilettieren in den Künsten erworben und gesteigert werden. Wie die genannten Publikationen belegen, gehört Gelehrsamkeit dazu, die aber antiquarisches Wissen überschreitet und sich in besonderer Weise in lehrhafter Literatur niederschlägt. Diese Handreichungen sind von jenen verfasst, die Expertise glauben beanspruchen zu können und richten sich an Amateure, die nach solchen Kenntnissen streben. Der in der frühen Kunstkritik mehr oder weniger ausgeprägte belehrende Ton der »Anleitung zum Genuss« bleibt dem Genre der Liebhaberliteratur erhalten und wird auch in die Kunstgeschichte übertragen.11 Dieser lehrhafte, mitunter belehrende Ton scheint der Kunstgeschichte nachhaltig anzuhaften. Immer noch gibt es das breite, kunstinteressierte Publikum, das Belehrung, zumindest aber Anleitung durch kunsthistorisch ausgebildete Fachpersonen sucht, die ihr Wissen in Vorträgen und Führungen beim Besuch von touristischen Sehenswürdigkeiten, aber auch in Museen und anlässlich von Ausstellungen anbieten. Diese Formen der Vermittlung von Wissensinhalten an ein breites Publikum sind seit jeher ein wesentlicher Aspekt kunsthistorischer Arbeit und nicht etwa von einer eigent lichen wissenschaft lichen Kunstgeschichte zu trennen – nicht zuletzt deswegen, weil ein Zweck in der Stiftung von Sinn und Erkenntnis für die Einzelnen ebenso wie für die Gemeinschaft und generell in der Mobilisierung von kulturellem Kapital besteht.
Medien
John Berger beginnt das reich illustrierte Begleitbuch zu seiner als Fernsehserie ausgestrahlten Anleitung zur kritischen Kunstbetrachtung im Medienzeitalter mit dem Satz: »Seeing comes before words. The child looks and recognizes before it can speak.«12 Wenn das Sehen als kognitiver Akt dem Sprechen ursprünglich vorangeht, so kehrt sich in der Lehre diese Reihenfolge um. Lehre ereignet sich zunächst in Form der Sprache; das erste Lehrmedium der Kunstgeschichte ist die Sprache, die allerdings regelmäßig auf den im weitesten Sinn bildhaften Gegenstand bezogen ist und daher – bei dessen Abwesenheit – das Bild als zweites Medium einbezieht. Sprachkompetenz kann beim Publikum vorausgesetzt werden, während bildnerische Kompetenz denjenigen vorbehalten ist, die sich mit den Händen dem Gegenstand nähern. In der Form des Zeichnens ist diese Form der händischen, aber ebenso intellektuellen Annäherung auch für Personen verfügbar, die sich nicht professionell mit der Herstellung von Bildwerken befassen. So wird das Zeichnen früh und regelmäßig als nützliche und einem Edelmann geziemende Befähigung angeführt, da sich auf diesem Weg eine besondere Kultiviertheit erreichen lasse.13 Das Medium bleibt für die Annäherung an Malerei, Skulptur, Architektur, die unter dem Begriff der »Künste des Zeichnens« von Vasari zusammengefasst wurden, wesentlich und entwickelt sich eigenständig, tritt aber in der Anleitung zur Kenntnis der Kunst für die Laien zunächst nicht in den Vordergrund.14 Die Dominanz der Sprache in der Lehre gründet auf der kategorialen Differenz zum Gegenstand, der mit dem Begriff des Bildes in seiner weitestmög lichen Bedeutung hinreichend bezeichnet ist. Kunstgeschichte als kritische Praxis gewinnt aus der Spannung dieser beiden Medien der Erkenntnis ihre besondere Attraktivität und ihr genuines Erkenntnisziel: Es geht darum, das, was bildlich, was visuell vorgestellt wird, in Worte, in Begriffe zu
fassen, in Form von Erzählungen zu erläutern und zu erklären, endlich zu interpretieren, so dass sich ein visueller Sachverhalt einem Betrachter, einer Betrachterin, die davon betroffen sind, seiner Gestalt und seinem Gehalt nach erschließt. Damit ist ein zentraler Punkt angezeigt: Solch ›deiktisches Sprechen‹15 ist dann überzeugend, wenn die Referenz nicht nur mitgedacht werden kann, sondern in irgendeiner Form präsent ist. Hier kommt das zweite Lehrmedium der Kunstgeschichte, das Bild, ins Spiel als Repräsentation eines eigentlich Gemeinten. Die Schwierigkeit dabei besteht darin, dass dieses Gemeinte ebenfalls schon ein Bild im weitesten Sinn des Begriffs ist. Man hätte also von einem Bild zweiter Ordnung zu sprechen, wenn jenes Medium zu bezeichnen ist, das im kunsthistorischen Diskurs, in der Lehre zum Einsatz kommt.16 Geläufig hierfür sind die Ausdrücke ›Abbildung‹ oder ›Illustration‹. Bei letzterer wird dem Text Priorität eingeräumt – illustriert wird ein Text mit einer erläuternden Bildbeigabe. Ein kunsthistorischer Lehrtext ist jedoch eher dazu gedacht, einen in einer Abbildung (einem Bild zweiter Ordnung) repräsentierten Gegenstand zu erläutern. Am geläufigsten für das in der Lehre verwendete Bild ist nach wie vor der Terminus ›Reproduktion‹. Er bezieht sich zwar richtig auf jenen Gegenstand, der im Text nachträglich erläutert und kommentiert wird, ist indessen auf andere Weise irreführend, da er vorzugeben scheint, dass damit tatsächliche eine Wiederholung vorliegt. Doch gerade dies will jenes Bild nicht, das als Lehrmedium der sprachlichen Lehre angefügt wird, es soll vielmehr den Gegenstand nur adäquat vertreten und zwar in einer Form, die sich in die Rede (in den Text), in die Lehre integrieren lässt. Mit einer buchstäblichen Reproduktion, einer treuen Wiederholung, wäre dies in den meisten Fällen nicht möglich, zum Beispiel wenn die Rede von Architektur ist oder von voluminösen Gemälden, die man zwar kopieren könnte, aber die auch dann bei
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weitem zu sperrig wären, um sie in der Lehre zu besprechen. Wie bedeutsam die evidente Differenz der Abbildung (des Bildes zweiter Ordnung) zum abgebildeten Gegenstand ist, wird deutlich, wenn man sich konkreten Versuchen zuwendet, unter Beiziehung von Bildern über Bilder zu sprechen. Damit dies gelingt, müssen die Bilder zweiter Ordnung so zugerichtet werden, dass sie sich zur Lehre fügen, was auf sehr unterschiedliche Weise erfolgen kann. Schon im kursorischen Überblick ergibt sich, dass die Zurichtung von visuellen Lehrmedien für die Vermittlung dessen, was seit dem 18. Jahrhundert Geschichte der Kunst heißt, eine ebenso lebendige und reiche Geschichte hat wie der sprachliche Diskurs. Heinrich Dilly hatte dies im Blick, als er schon in seiner Dissertation die Unterscheidung einer »diskursiven« und einer »präsentativen kunsthistorischen Praxis« vorschlug,17 wobei anzumerken ist, dass beiderlei typischerweise in der Lehre zusammenkommt. Wiederum ist auf die Zeichnung zu verweisen. Zeichnen kann auch der Laie lernen; Zeichnungen lassen sich für die eigenen Absichten selbst herstellen, man kann sie auch anfertigen lassen, endlich kann man jene Zeichnungen sammeln, die als Nebenprodukt bei der Arbeit eines Künstlers angefallen sind, dessen Werke eigentlich interessieren. Als Form der anschaulichen, gestalteten Transformation eines Gesehenen ist das Zeichnen daher seit jeher eine Studienpraxis der professionellen Künstler; Zeichnungen haben als Studieninstrumente und auch Lehrmedien in der Werkstatt fungiert.18 In Giorgio Vasaris Libro dei Disegni ist eine Sammlung von Zeichnungen wenigstens in Teilen rekonstruierbar, die als Lehrmedium auch für Aspekte des – theoretischen – Unterrichts hätte eingesetzt werden können und vielleicht sogar dazu eingesetzt worden ist.19 Wie eine Zeichnungssammlung spätestens im 18. Jahrhundert auch mit kunsthistorischem Interesse und zur ästhetischen (Selbst)Belehrung des Sammlers und
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seiner Bekannten angelegt und benutzt wurde, ließe sich mit Johann Wolfgang Goethes Aufsatz Der Sammler und die Seinigen und im Blick auf Goethes Sammlungen erörtern.20 Sammlungen von Zeichnungen anzulegen ist indessen eine aufwendige und persönliche Angelegenheit, die Hingabe und Liebhaberei verlangt, ganz abgesehen von den erforderlichen finanziellen Mitteln. Vor allem aber sind Zeichnungssammlungen unikal, meist in Kabinetten verborgen und damit auch nur bedingt diskursiv vermittelnd zu nutzen, es sei denn, sie werden publiziert. Das wichtigste visuelle Lehrmedium der frühen Kunstgeschichte wurde demnach nicht die Zeichnung, sondern der grafische Druck, die druckgrafische Reproduktion von Kunstwerken, von Gemälden, auch von Zeichnungen. Bis ins 19. Jahrhundert wurde der Kupferstich als maßgebliches Referenzobjekt der Lehre genutzt, das heißt in Lehrwerken gruppiert und in Einzelblättern in Vorlesungen herumgeboten.21 Das Spektrum der sogenannten Reproduktionsgrafik reicht vom optischen Faksimile bis zum summarischen Umrissstich. Wie die Zeichnung wird auch die Reproduktionsgrafik gesammelt. Sie kann in Einzelblättern auftreten, doch erscheint sie regelmäßig im Verbund einer Sammlung, dann aber auch in Form des Buches. Ein berühmtes Beispiel ist jener Receuil, den Pierre Crozat und Pierre-Jean Mariette in zwei Bänden 1729–1742 veröffentlichten, ein frühes »Kunstbuch«, das sich dadurch auszeichnet, dass es Reproduktionsstiche mit einem Text kombiniert.22 Während es hier noch darum ging, wie es im Titel heißt, die »schönsten Gemälde und Zeichnungen in Frankreich« abzubilden, werden seit Beginn des 19. Jahrhunderts kohärente Bildkompendien in der Absicht erstellt, die Geschichte der Kunst bildhaft aufzuzeigen. Zunächst als Kupfer- oder Stahlstiche ausgeführt, später unter Verwendung von Holzstichen hergestellt, ist ihnen die Lehrorientierung bald explizit eingeschrieben, so etwa, um nur ein
in Deutschland weit verbreitetes Beispiel zu erwähnen, die Kunsthistorischen Bilderbogen des E. A. Seemann Verlags in Leipzig. Der Untertitel vermerkt, dass die ab 1877 erscheinende Publikation »für den Gebrauch bei akademischen und öffentlichen Vorlesungen, sowie beim Unterricht in der Geschichte und Geschmackslehre an Gymnasien, Real- und höheren Töchterschulen zusammengestellt«23 worden sei. Die Geschichte der für die kunsthistorische Lehre entworfenen Bildkompendien beginnt spätestens um die Wende zum 19. Jahrhundert24 und reicht bis weit ins 20. Jahrhundert hinein, mit Ausläufern bis zur Gegenwart. Ihre Binnengestalt veränderte sich im Laufe der Jahrzehnte erheblich, zum einen durch die Verbindung von Schriftdruck und Bilddruck, die mit der Einführung des Holzstichs üblich wurde, zum anderen durch die Möglichkeiten, welche bald die Fotografie bot, die seit den letzten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts im Verfahren der Autotypie als Halbtonabbildung gedruckt werden konnte. Doch die Fotografie hatte bereits früher als erstes genuines Bildmedium der Moderne in ihren originalen Erscheinungsformen die kunsthistorische Lehre ergänzt: Sammlungen von Fotografien – das heißt von meist auf Karton aufgezogenen, beschrifteten und nach Schlagworten geordneten Fotopositiven – wurden als »kunsthistorische Apparate« an zahlreichen Seminaren für die Lehre zusammengetragen. Sie ergänzten die ebenfalls als »Lehrapparat« bereitgestellten Handbibliotheken der Institute.25 Die Verwendung desselben Ausdrucks für die Bild- und Textsammlungen verdeutlicht, dass beide zusammengehören, dass man dem sprachlichen Lehrdiskurs der Kunstgeschichte spätestens mit der Verfügbarkeit der Fotografie ein visuelles Komplement anlagerte. Zeitgleich mit der Anlage von Positivapparaten entstanden Sammlungen von Diapositiven, deren Verwendung entscheidend für die Verbindung von Sprache und Bild im Format der Vorlesung wur-
de.26 Eingesetzt wurden zunächst Großdias, die bald von verschiedenen Anbietern bezogen werden konnten, etwa von dem 1895 gegründeten »Institut für wissenschaftliche Projection Dr. Franz Stoedtner«, dessen Archiv und für bestimmte Gebiete erstellte Verkaufskataloge (»Mustersammlung für Lehrzwecke«) sich inzwischen im Bildarchiv Foto Marburg befinden.27 Großdiaprojektoren blieben lange in den kunsthistorischen Hörsälen stehen, doch wurden sie bald ergänzt und schließlich ersetzt durch die handlicheren Kleinbilddiaprojektoren. Spätestens seit den 1970er Jahren dominierte in der kunsthistorischen Vorlesung das Kleinbilddia. An allen kunsthistorischen Instituten wurden Kleinbilddiatheken aufgebaut, zumeist bestehend aus farbigen Reprofotografien nach publizierten Vorlagen. Der Vortrag mit Lichtbildern wurde das Format kunsthistorischer Lehre schlechthin. Nachdem in der Frühzeit die Projektion einer Folge von Einzelbildern oft die Vorlage anderer Bildmedien, von Stichen, Fotografien, Büchern ergänzt hatte, was sich in den Einrichtungen der frühen zweckgebundenen kunsthistorischen Hörsäle nachvollziehen lässt, so wurde die Vorführung von jeweils zwei parallelen Lichtbildern im Kleinbildformat mittels lichtstarker Apparate und schließlich auch vorzugsweise in Farbe im letzten Viertel des 20. Jahrhunderts zum Standard.28 Das Ende kam abrupt: Gegen Ende des ersten Jahrzehnts des neuen Jahrtausends wurde die Diaprojektion fast überall eingestellt und die Diatheken außer Betrieb genommen. Vielerlei ist zur Klärung ihres Anteils an der Geschichte der kunsthistorischen Lehre bereits geleistet worden, jedoch bleibt manches noch genauer zu erforschen, darunter auch die von Heinrich Dilly zuletzt angemerkte Verbindung der Diaprojektion mit der eigentlichen Vorlesung. So wäre zu prüfen, ob Abbildungslisten zu Vorlesungen und überlieferte Mitschriften mit Bildhinweisen es zulassen, Strategien der Bildpräsentation zu beschreiben und zu unterscheiden.29
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Lichtbildvorträge sind zu den unterschiedlichsten Gegenständen und Sachverhalten vorstellbar – und auch praktiziert worden. Dass dieses besondere Dispositiv aber gerade die Vorstellung von der kunsthistorischen Lehre so stark geprägt hat, liegt in der Natur des Gegenstandes, um den es dabei geht, vielmehr, der in dieser Situation zur Sprache gebracht wird. Im Diavortrag kommt es zu einer Epiphanie besonderer Art: Es erscheint im Dunkel des Raumes nicht irgendein Bild, sondern das Kunstwerk. Wenn der Zauber einer Lichtbildprojektion mittels einer Laterna magica – so der Name des ersten Projektionsapparates – schon an sich reizvoll war, so ist das inhärente mediale Pathos der Projektion von Lichtbildern in der kunsthistorischen Vorlesung von besonderer Art, insofern es sich auf eben jenen Gegenstand bezieht, der für die ästhetische Erfahrung eigens konzipiert ist und dessen formale Eigenschaften diese bestimmen. Hieraus ergibt sich, dass die für eine diskursive Erläuterung sinnvolle Zurichtung der Abbildungen, die nur mit Abweichungen vom Original zu haben ist, dieses Original als das abwesende Eigentliche erst recht mystifiziert.30 Die Projektionssituation ist daher nicht ohne Bezug auf die Lehre vor dem Original, die »Übung vor Originalen«, zu verstehen.31 Dieses Original ist als Referenz, auf die der Dozent immer wieder rekurriert, ständig präsent – zum Beispiel, indem im mündlichen Vortrag darauf verwiesen wird, dass die Abbildung nicht sehr getreu sei, dass die Farbigkeit abweiche oder man sich die Farbe dazu denken müsse, dass die Reproduktion beschnitten, dass das Dia unscharf sei. So gehört es zum kritischen Habitus des Vortragenden zu betonen, dass eine authentische Erfahrung nur und ausschließlich vor dem Original möglich sei. Trotz dieser rhetorischen Vorbehalte zielt die Vorlesung mit Lichtbildern darauf ab, die Erfahrung des Originals auf seine Weise zu überbieten. Das gelingt aufgrund der spezifischen Eigenheiten des media-
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len Dispositivs. Es beinhaltet die Präsentation eines Lichtbildes im dunklen Raum, in dem jeder für sich auf die Bühne mit der Bilderscheinung blickt, die wirkungsvoll und mitunter dramatischen Beschwörungen ausgesetzt in großem Format an der Wand erscheint, so dass diese auratische Erscheinung in der Erinnerung der Zuhörer sehr schnell das originale Objekt verdrängt. So ist der Diavortrag in einem spezifischen Sinn jene Form, in der das Kunstwerk tatsächlich als »technisch reproduzierbar« empfunden wird. Was erscheint, ist freilich ein neues Werk, das sich vom Original kategorisch unterscheidet. Was dieses sogenannte Original betrifft, so gilt es, dessen Bedeutung für die Kunstwissenschaft in mehrfacher Hinsicht zu relativieren – das heißt, es mit der Wiederholung, der Kopie, der Reproduktion und der medialen Repräsentation in Beziehung zu setzen.32 Zu betonen ist, dass auch die mediale Repräsentation, wie eben erläutert, die Präsentation einer neuen Sache, eines neuen Werks ist – und damit originell. Zum anderen mag auch schon das sogenannte Original in seiner Materialität authentisch sein, indessen ist es nur ausnahmsweise tatsächlich in einem ursprünglichen und quasi reinen Zustand jemals verfügbar gewesen, erscheint vielmehr stets in einer bestimmten Überformung. Bei jenen Objekten, die seit dem 18. Jahrhundert als Kunstwerke betrachtet werden, ist dies üblicherweise eine Zurichtung, die durch kunsthistorische Ordnungskategorien bestimmt wird, wie sie sich im modernen Kunstmuseum herausbildet. Nur selten wird das regierende Prinzip so klar ausgeschildert wie in Wien, wo man die Kunstsammlungen seit 1891 im Neubau des nun so bezeichneten »Kunsthistorischen Museums« präsentiert. In einem Museum dieser Art wird man Werken begegnen, die als originale Kunstwerke gelten dürfen, die aber im spezifischen Display zu Belegstücken für etwas anderes werden, für die Geschichte der Kunst, aufbereitet im Museum als
Impressum
Herausgegeben von Hubert Locher und Maria Männig anlässlich der Tagung Lehrmedien der Kunst geschichte/Media in the Teaching of Art History am Deutschen Dokumentationszentrum für Kunstgeschichte – Bildarchiv Foto Marburg, 22.–24.11.2018. Lektorat Deutsch: Karin Kirchhainer, Jasmin Kruse Lektorat Englisch: Jennifer Farned Gestaltung und Satz: Edgar Endl, booklab GmbH, München Reproduktionen: Lanarepro, Lana (Südtirol) Gedruckt in der Europäischen Union
Titelbild: Philipp Goldbach, Deakzession / Reakzession, 2016 (Detail), 15.000 Klein bilddias, Diathek des Kunsthistorischen Instituts der Ruhr-Universität Bochum, 1855 × 75 × 74 cm; Installationsansicht: Philipp Goldbach – bound to arrive as intruders, Kunstsammlungen der RuhrUniversität Bochum, 27.10.2016–23.4.2017. © Philipp Goldbach / VG Bild-Kunst, Bonn. Abbildungsnachweis: Paul Schöpfer, Köln
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