Der Maler Leo von König

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Der Maler Leo von König


Ernst Barlach Leo von König, 1938 Bronze, Lebzeitguss 39,1 × 26,2 × 29,5 cm Hamburg, Ernst Barlach Haus – Stiftung Hermann F. Reemtsma


Ingrid von der Dollen

Der Maler Leo von König 1871–1944 Ein Zeitbild im Spiegel seiner Porträts


Mit freundlicher Unterstützung: - des Förderkreises Expressiver Realismus e.V., München - der Badischen Beamtenbank, Karlsruhe Umschlagvorderseite: Leo von König, Porträt Mary Wigman, 1912 Öl auf Leinwand, 73,5 × 58,5 cm Berlin, Stiftung Stadtmuseum Fotonachweis:

Layout und Satz:

Clémence Vallée, Paris, S. 28, 36, 37

weppdesign.de, Nicolas Weppert

Elke Estel/Hans-Peter Klut, Albertinum, GNM, Staatl. Kunstsammlungen Dresden, S. 115

Druck und Bindung:

Andres Kilger, Staatl. Museen zu Berlin: S. 30

Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza

Dirk Scherer, Städtisches Museum Braunschweig: S. 24 Rudolf Faist, München S. 74, 140

Verlag:

Detlef Bach/A. Kusch, Kaiserslautern: S. 47

Deutscher Kunstverlag GmbH Berlin München

Annette Fischer, Karlsruhe: S. 23

Lützowstraße 33, 10785 Berlin

Andreas Weiss, Hamburg S. 2, 104

www.deutscherkunstverlag.de

Manuel Schimansky, S. 14, 132

Ein Unternehmen der Walter de Gruyter GmbH Berlin Boston www.degruyter.com

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Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar.

© VG Bildkunst, Bonn 2022 für Gerhard Marcks

© 2022 Deutscher Kunstverlag GmbH Berlin München

© Ernst Barlach Lizenzverwaltung Ratzeburg, S. 109 © Stiftung Stadtmuseum Berlin, S. 70

ISBN 978-3-422-98770-8


Inhalt

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Geleitwort

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Vorwort

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Einführung

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Herkommen und Grundlagen

46

Freunde und Weggefährten

151

„Wahrheitsmalerei“

164

Biografische Daten

166

Fototeil

186

Literatur

188

Personenregister

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Geleitwort

Wer etwas Großes will, der muss sich zu beschränken wissen. Das wusste schon der alte Goethe und, wie nicht viele andere moderne Künstler, wusste dies auch Leo von König. Seine Beschränkung auf die Porträtkunst, und auch hier auf ein bestimmtes Format, das Brustbild, lässt ihn wie einen alten Meister erscheinen. Die Bildnismalerei von Frans Hals oder des späten Rembrandt standen sicherlich dabei Pate. Leo von König drängte sich mit seinen Bildern nicht auf. Seine Werke entstanden oftmals als Auftragsarbeiten und blieben daher der Öffentlichkeit entzogen. Erst als Student fiel mir der Maler in der Ahnengalerie des Lehrstuhls für Kunstgeschichte in Braunschweig auf, dort hing eine Reproduktion des Bildnisses Julius Meier-Graefes von 1931. Ingrid von der Dollen hat das nachdenkliche Zwiegespräch zwischen Leo von König und den von ihm porträtierten Zeitgenossen, wie im Selbstbildnis von 1902 zu sehen, in aller Breite beschrieben und darüber hinaus ein Panorama der ‚Viri illlustres‘ der Weimarer Zeit und den sich anschließenden schwierigen Zeiten des Nationalsozialismus entfaltet. In einem späteren Selbstporträt von 1917 (Berlin, Berlinische Galerie) wird man im direkten Blickkontakt das ebenso gewinnende wie noble Wesen des Künstlers erkennen, dem sich seine Gegenüber gerne öffneten. Hatte Leo von König nach 1933 in Porträts wie dem von Ernst Barlach die Bleierne Zeit der Diktatur spürbar werden lassen, so stellte der Bildhauer seinerseits Leo von König 1938 wie einen standhaften römischen Aristokraten dar, dem Cura und Dignitas in den Charakter eingeschrieben sind. In seinem letzten Lebensjahr am Starnberger See begegnete der Maler auch Wilhelm Hausenstein. Der Münchner Kunstkritiker notierte am 29. September 1943, berührt von der Persönlichkeit Leo von Königs, in sein Tagebuch folgendes: Dieser sei ihm schon deshalb so wert, weil er zu den Malern gehört, die im Alter ihr Bestes gemacht haben. […] Es kommt hinzu, dass er in einem Grade, den ich sonst nur sehr selten erlebt habe, den Edelmann verkörpert: die Generosität und ganze Selbstverständlichkeit des Edelmanns. In Leo von König sind beide Eigenschaften mit einer schönen Künstler-Liberalität verbunden. 1 Felix Billeter, München

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1

Hausenstein, Tagebücher 1967, S. 158f.


Vorwort

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Alexandra Bechter, Leo von König. Leben

und Werk, Darmstadt 2000. Alexandra Bechter, Leo von König, in: Leo von König. Maler der Berliner Secession, Kat. der Ausst. im Landesmuseum für Kunst und Kultur-

Die Präsentation des Malers Leo von König in seiner Zeit geht von den Forschungen Alexandra Bechters aus. 2 Die Besonderheit dieser Grundlage besteht in den dort verarbeiteten Primärquellen: Alexandra Bechter hatte noch die Möglichkeit, mit der Witwe Leo von Königs zu sprechen, die nur ihr bekannte Details erzählte und ihr weitere Quellen eröffnete. Die vorliegende Darstellung basiert fast ausschließlich auf den Zeugnissen der Zeitgenossen des Malers. Sekundäre Erkenntnisse von späteren Forschern, Kunsthistorikern oder Historikern wurden nur ausnahmsweise herangezogen. Kunsthistoriker kommen zu Wort, sofern sie zum Umkreis des Malers gehörten, wie der Bremer Museumsdirektor Emil Waldmann, der Kunstkritiker Fritz Nemitz oder der spätere Professor Heinrich Lützeler. Deren persönliche Beziehungen zu Leo von König manifestieren sich in der Festschrift anlässlich seines 70. Geburtstags, 1941. Freunden und Bekannten, die den Maler in engem Kontakt erlebten, wurde mit direkten Zitaten breiter Raum eingeräumt. Die Durchsicht ihrer schriftlichen Äußerungen in Tagebüchern, Erinnerungen, Autobiografien und Briefen ergaben ein dichtes Netz von Informationen und Einsichten, die sich zu einem Mosaik jener entscheidenden Jahre zusammensetzen ließen. Dies war umso ergiebiger als die Persönlichkeiten, die mit Leo von König zusammentrafen, als Repräsentanten ihrer Zeit gelten können, die auch untereinander verbunden waren. Der Maler selbst eignete sich dabei als Zentrum der Begegnungen, da er stets in engem Austausch mit seinem gesellschaftlichen Umfeld stand. Er war kein Einzelgänger, sondern liebte es, Menschen um sich zu haben und pflegte zahlreiche, dauerhafte Freundschaften. Seine Zugewandtheit gerade war Antrieb zur Porträtmalerei, die seinen Ruhm begründete. In Zeiten von Verfolgung und Krieg, als die Auftragslage düster wurde, wandte er sich den Freunden und Weggefährten in besonderer Weise zu. Die damals geschaffenen Bildnisse vor allem gehen über jegliche Konvention hinaus und vermitteln ein Panorama dieser erschütternden Epoche. Für Bildvorlagen bin ich Museen und Privatleuten zu Dank verpflichtet, viele Fotoarbeiten verdanke ich Joseph Hierling aus Tutzing. Für die Korrektur gilt mein besonderer Dank Andreas Hoelscher aus Hohenschäftlarn.

geschichte Oldenburg, hrsg. von Bernd Küster, Bremen 2001.

Ingrid von der Dollen, Bad Honnef-Rhöndorf

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Selbstbildnis, 1902 Öl auf Leinwand, 48,5 × 41,5 cm Schweinfurt, Museum Georg Schäfer

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Einführung

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Der Ausdruck stammt von Nikolaus

Sombart, zit. n. Bechter, Berliner Secession, 2001, S. 29, Anm. 179. 4

Leo von König in einem Biref an Margarete

Hauptmann vom 13. 10. 1934. Handschriftenabt. der Staatsbibliothek Berlin, Autogr. GH Br NL Nr. 27/28, zit. n. Bechter, Berliner Secession, 2001, S. 25.

Malerische Wesenserfassung 3 Das umfangreiche, malerische Werk Leo von Königs umfasst neben Porträts auch Landschaften, Tierbilder und mythologische Themen. Vor allem aber hat seine Bildniskunst die Aufmerksamkeit auf sich gezogen, dies umso mehr als sie mit wachsendem Abstand zu ihrer Entstehung schließlich zu einem Spiegel der Zeit wurde. Zwar sind Porträts immer schon historische Quellen gewesen, doch dienten sie in früheren Zeiten meistens der Repräsentation, und so hatte Leo von König am Anfang seiner Laufbahn auch begonnen. Er hatte gut honorierte Bildnisse von Zeitgenossen gemalt, Aufträge von Diplomaten, Politikern, Bankiers oder Industriellen und deren Gattinnen. Daneben standen die selbstgewählten, persönlichen Porträts seiner Familie, denen bereits früh die Besonderheit seiner psychologischen Einfühlungsgabe eigen war. Allmählich, ab Mitte der zwanziger Jahren, scheint in ihm das Bedürfnis gewachsen zu sein, diese Fähigkeit auch für seine engeren Freunde zu nutzen, nämlich sie malend in ihrem Wesen zu erfassen und so seiner innersten Beziehung zu ihnen Ausdruck zu verleihen. Um manche Freunde oder bewunderte Weggefährten musste er sich dann bemühen, sie vor seine Staffelei zu bringen, wie den scheuen Ernst Barlach, woraus sich erst im gegenseitigen Porträtieren eine lebhafte Freundschaft entwickelte. Manchmal gelang es auch gar nicht, den Freund zum Modellsitzen zu bewegen wie etwa einen Gerhart Hauptmann, den er sich dann im Gedächtnis einprägen musste, oder aber der Maler musste sich in einem nicht dafür geschaffenen, kleinen Raum provisorisch arrangieren wie im Fall von Rudolf Alexander Schröder. Meistens fertigte Leo von König dann mehrere Bildnisse an, von denen er eines seinem Modell zum Geschenk machte. Solche Bilder von langjährigen oder beim Malen neu gewonnenen Freunden entstanden vor allem ab 1937, als sich die Künstler bewusst werden mussten, dass sie von den Machthabern aussortiert worden waren, nämlich aus den Museen und der Ersten Großen Kunstausstellung im Haus der Kunst in München, um sich stattdessen wiederzufinden auf der gleichzeitigen Schau Entartete Kunst. Auch für Leo von König endete damals die Aussicht auf lukrative Aufträge. Er hatte zwar noch 1934 den Reichsminister für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung, Bernhard Rust, porträtiert, ein aktives Mitglied der NSDAP der ersten Stunde, den er damals allerdings für einen absoluten Gentleman hielt, mit dem man alle Dinge offen ansprechen könne, so brieflich an Margarete Hauptmann 4,

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dem er jedoch intuitiv einen bösartig gefährlichen Ausdruck verlieh. Rust entzog sich 1945 der drohenden Strafe durch Selbstmord. Noch 1935 entstanden Porträts von Joseph Goebbels und seiner Familie. Das Bildnis des Propagandaministers gefiel Hitler jedoch nicht, es wurde abgehängt und verschwand. Wie zum Hohn schuf Leo von König nun in dieser Zeit der Missachtung seiner Malerei die wesentlichen Werke seiner Porträtkunst. Reinhold Schneider hat dieses Phänomen in eindruckvollen Worten zusammengefasst: Im letzten Jahrzehnt vor der Zerstörung Berlins vollendete sich die Kunst Leo von Königs. Sie stand in einer tiefen Beziehung zu ihrer Zeit, aber nicht in dem Sinne, daß sie sich dieser Zeit ausgeliefert hätte; sie rang vielmehr dieser Zeit Werte und Gebilde ab, die nur einer bedeutenden Tradition erreichbar waren. Der große geistige Zusammenhang, in dem Leo von König lebte, der ganze lange Weg, den er gegangen war, erhoben ihn zur Meisterschaft dieses letzten Jahrzehnts, etwa der Jahre 1933–43, in denen er die lange Reihe seiner größten Bildnisse schuf. 5

Der große geistige Zusammenhang Ein lockeres Beziehungsgeflecht von Persönlichkeiten, Schriftstellern, Malern, Bildhauern, Schauspielern, Musikern belebte den Kreis, der Leo von König und seine Frau Anna umgab. In den Porträts steht er uns seither vor Augen. Es lohnt sich, zu untersuchen, welcher Art die Gemeinsamkeit zwischen Maler und Gemalten war und was die Gemalten ihrerseits verband. Die Quellen dazu fließen reichlich. Viele der Porträtierten standen miteinander in Beziehung durch ihre künstlerischen Begabungen, Aktivitäten oder Interessen, durch eine kulturelle Gleichgestimmheit auf hohem Niveau. Die bildenden Künstler, Emil Nolde, Ernst Barlach, Käthe Kollwitz und Gerhard Marcks, stellten gemeinsam mit Leo von König in der Berliner Secession aus, jener damals modernen, gegen die akademische Tradition gerichteten Vereinigung der Bildenden Künstler. Sie alle waren als Verfemte oder Ungeliebte ab 1933 in ihrer öffentlichen Arbeit behindert. Die Schriftsteller, Dichter, häufig auch Übersetzer, die Leo von König porträtiert hat, waren entweder untereinander befreundet oder hatten sich als Gäste bei den Dichter- oder Dramenlesungen im Hause Leo von Königs kennengelernt, obwohl sie nicht alle ständig in Berlin lebten, und später als Ort der Begegnung Tutzing am Starnberger See hinzukam. Eine wichtige Rolle als Bindeglied kam dabei den beiden wesentlich jüngeren Schriftstellern Jochen Klepper und Reinhold Schneider zu. Dagegen gehörten Julius Meier-Graefe und Rudolf G. Binding, beide 1867 geboren, der älteren Generation an wie auch der ein Jahr jüngere Friedrich von Falkenhausen. Einige Jahre älter war Gerhart Hauptmann, jünger dagegen waren Rudolf Alexander Schröder und Ernst Wiechert.

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5

Schneider, Leben und Werk, 1977, S. 92.


Alle verbrachten Kindheit oder Jugend in der Kaiserzeit. Der Erste Weltkrieg war für sie gleichermaßen eine traumatische Erfahrung. Sie erlebten dann die moralische und wirtschaftliche Depression der ersten Nachkriegszeit, die Turbulenzen der Weimarer Republik, schließlich ihr Ende im Jahre 1933. Den zitierten Schriftstellern ist ein der Zeit entsprechendes Pathos eigen, das auf eine vergangene, dem gegenwärtigen Menschen meist fremde Welt verweist. Ernst Wiechert und Reinhold Schneider erfüllten so nach dem Zweiten Weltkrieg zunächst die Rolle von Vermittlern zwischen den Zeiten, ja einer moralischen Orientierungshilfe und gelangten zu einem heute fast vergessenen Ruhm. Um Ihre katholische Basis und Bindung sind Sie zu beneiden, schrieb 1953 Thomas Mann an Reinhold Schneider. 6

6

Thomas Mann, Tagebücher 1953-1955,

2003, S. 542, Brief vom 18.12.1953. 7

Zuckmayer, Als wär’s ein Stück von mir,

1969, S. 201. 8

Thomas Mann, Die Entstehung des Doktor

Faustus, 1949, S. 174. 9

Meier-Graefe, Tagebuch 2009, S. 255.

Widerstand und Widerspruch Bei allem leidenschaftlichen Engagement und weitgehender Gleichgestimmtheit im Hinblick auf die Künste waren die politischen Orientierungen von solch relativer Einmütigkeit unberührt, ja die Anschauungen, insbesondere in Bezug auf die Person Hitlers und seiner Bewegung, lassen sich nicht uneinheitlicher denken. Da gab es Dissonanzen, so wie sie auch innerhalb der einzelnen Persönlichkeiten existierten. Bekannt ist in dieser Hinsicht die Doppelzüngigkeit des großen Dramatikers und Dichters Gerhart Hauptmann, bekannt als Künder des sozialen Mitleids und der Menschlichkeit 7, der sich zu seinem 80. Geburtstag wohlgefällig von den Größen der NS-Gesellschaft huldigen ließ, 1942! Dazu Thomas Mann: Ein glücklicher Mann. Ein Segensmensch. Und er wollte es bleiben. Die Märtyrerrolle wies er ab. 8 Neuerdings wird wieder der unlösbare Zwiespalt in der Person Emil Noldes diskutiert, der doch mit seiner Malerei dem Kunstgeschmack Hitlers einen vehementen Protest entgegenschleuderte, sich auch nicht beugte und dennoch Mitglied der NSDAP war und blieb. Ein anderer Fall ist der Schriftsteller Rudolf G. Binding, ein Verehrer der Person Hitlers und Anhänger seiner Bewegung, gleichzeitig jedoch lautstarker Verteidiger des ins Exil getriebenen Thomas Mann, darüber hinaus von 1933 an vereint mit einer Jüdin, die er in einem Gedichtszyklus als Nordische Kalypso pries, sie aber nicht heiraten durfte und bis an sein Lebensende, 1938, vor Hitlers Schergen beschützen musste. Schließlich, in anderem Zusammenhang, sei Julius Meier-Graefe genannt, der sich als engagierter Francophile beim Ausbruch des Ersten Weltkriegs intensiv darum bemühte, als Kämpfer (mit 47 Jahren) am Krieg gegen Frankreich teilnehmen zu dürfen, er spreche die Sprache, habe drüben viele Freunde!. 9 Vor Hitler aber warnte er von Beginn an. Beispielhaft schildert Ludwig Marcuse die Misshelligkeiten zwischen ihm und Gerhart Hauptmann: Er [Meier-Graefe] beschloß nach Rapallo zu fahren, auf einen Kreuzzug. Sein ältester Freund, Gerhart Hauptmann, war da; Meier-Graefe

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wollte ihn nicht zur Vernunft, sondern zur Sittlichkeit bringen. [...] Er fuhr nach Rapallo in den Krieg. Bald kam er zurück ganz ohne Waffen; er war geschlagen, wie er bekannte, von einem unvorstellbaren Ausmaß an Unempfänglichkeit. 10

Die Frage der Toleranz Die grundsätzlich tolerante Veranlagung eines Leo von König innerhalb eines Kreises, den er durch seine Porträtmalerei zusammenschmiedete, hat Rudolf Alexander Schröder hervorgehoben, der mit ihm und MeierGraefe zeitweilig zusammen haushielt: Bei Diskussionen sei es zwischen ihm und Meier-Graefe oft zu einem heftigen Anprall von Meinung und Gegenmeinung gekommen, König sei dabei der Ausgleichende und Vermittelnde gewesen, da dann seine angeborene Humanität sich jederzeit im schönsten Licht zeigte. Im Bereich der Politik galt seine Haltung zum aufkommenden Nationalsozialismus entsprechend zunächst dem Bemühen um Verständigung, in diesem Fall mit dem für die Kunst zuständigen Propagandaminister Joseph Goebbels: Gelingt es nicht, Einfluß zu gewinnen, so ist dann immer noch Zeit für eine Opposition und Proteste, schreibt er am 13. April 1933 an Gerhard Marcks. 11 Er täuschte sich wohl zunächst über den wahren Charakter des NS-Regimes, im Gegensatz zu Meier-Graefe, der ihn warnte. Leo von Königs Toleranz setzte sich ja sogar über Differenzen im Bereich der Kunst hinweg. Hätte er sonst einen verfemten Emil Nolde aufgesucht, um ihn zu porträtieren, obwohl er eine entgegengesetzte Malauffassung vertrat? Offenbar schätzte er ihn als Persönlichkeit, trotz begründeter Vorbehalte in Bezug auf seinen politischen Opportunismus. 12 Das Problem der Toleranz war damals wie auch heute für die derzeitige Geschichtsschreibung der nationalsozialistischen Ära ein grundsätzliches Problem. Leo von Königs enger Freund, Reinhold Schneider, dereinst moralischer Kompass für viele Menschen, hatte dazu eine entschiedene Haltung. Über seinen elsässischen Verleger-Freund, den Kollaborateur Joseph Rossé, schreibt er: Das politische Zwielicht, in dem zu leben er verdammt war, kann ich nicht zerstreuen; ich habe nicht zu urteilen, sondern zu bekennen. Joseph Rossé könne morgen ein Held sein, übermorgen wieder ein Verräter. Mich kümmert das nicht. Unter allen Umständen müssen wir der Politisierung des Menschlichen widerstehn. 13 Eine ganz andere Meinung hatte dazu Schneiders Freund Jochen Klepper, den die Schneidersche Toleranz mit Misstrauen erfüllte. 14

10 Marcuse, Mein zwanzigstes Jahrhundert, 1975, S. 188. 11 Marcks, Briefe und Werke, 1988, S. 72. 12 Leo von König an Margarete Hauptmann vom 08. 03.1937, Handschriftenabt. der Staatsbibliothek Berlin. Autogr. GH Br NL. Nr 32, zit. n. Bechter, Berliner Secession, 2001, S. 133, Anm. 147.

Panorama der Zeit Die Porträtkunst Leo von Königs unter historischem Gesichtspunkt zu betrachten, wie das im folgenden geschieht, hat Reinhold Schneider

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13 Schneider, Verhüllter Tag, 1991, S. 181. 14 Klepper, Unter dem Schatten deiner Flügel, 2005, S. 226.


bereits in seinem Beitrag zur Festschrift für Leo von König zu dessen 70. Geburtstag im Jahre 1941 empfohlen: Die Darstellung des Schicksalhaften, das in tieferem Sinne immer geschichtlich ist, erscheint uns als ein wesentlicher Zug der Kunst Leo von Königs. Damit soll die ästhetische und kunsthistorische Betrachtung seines Werkes in ihrem Rechte nicht eingeschränkt werden; es soll nur gesagt werden, daß in der Perspektive des Geschichtlichen einmal ein sehr hoher Wert in diesem Werke offenbar werden wird. Dieser Wert ist zum Teil noch verborgen, weil er zu nah ist; erst wenn ein Blick über die Epoche möglich wäre, wenn es deutlich würde, was eigentlich geschah und was sich in dieser Zeit in den Seelen der Menschen begeben hat, könnten diese Bilder ganz verstanden werden, heute mögen ihnen vielleicht nur Ahnungen nahe kommen. Denn wir sehen, wie aus dem unfaßbaren Wirbel des Geschehens Gestalten sich lösen und wie sie sich formen. 15 Nicht nur derartige Gedanken machen die Festschrift für Leo von König wertvoll. Sie ergänzt die Welt der Portäts durch schriftliche Zeugnisse, die seine Freunde und Weggefährten zusammentrugen. Da finden Repräsentanten der verschiedensten Gebiete zusammen. Neben den Malern, Kollegen und ehemaligen Lehrern, Bildhauern, Dichtern Schriftstellern, Übersetzern, Philosophen, Theologen, auch Galeristen, Verleger, Kunsthistoriker, Museumsdirektoren und Publizisten, ja schließlich kommt der Architekt zu Wort, Otto Firle, der zusammen mit Leo von König den stolzen Pferdestall auf dem Grundstück der Schwiegereltern seiner zweiten Ehefrau, Anna von Hansemann, in der Fraunhofer Straße in Berlin-Charlottenburg in ein Wohnhaus mit Atelier umwandelte; der Zauber dieses Fleckchens Erde, in das die Sonne und die alten Bäume des Nachbargartens hineinblickten, habe ihn sogleich gefangengenommen. Für seine Arbeit hatte er dankbar ein Gemälde von Utrillo entgegengenommen. 16 Einen Blick in das Atelier dieses ungewöhnlichen Hauses, wo so viele der hier besprochenen Porträts entstanden, gewährt uns die Publizistin Vicky von Brockhusen in ihrem Beitrag zur Festschrift: In dem hohen Saal seines Hauses stehen Leo von Königs Bilder auf den Steinfliesen des Bodens – Abbilder einer erlesenen Auswahl von Menschen unserer Zeit. Er sieht ihre Geistigkeit, er gibt sie in seinen verschwiegenen Farben wieder, als spräche er halblaut zu ihnen und wüßte sich einverstanden. Er wahrt den Abstand zum Allzupersönlichen, vom ‚Sentimentalen‘, wie er selber sagt. Das Bildnis wird nie zur anatomischen oder seelischen Zergliederung mißbraucht – die äußere Form steht fast unnahbar kühl für das innerliche Gut. 17 So bilden die Porträts Leo von Königs zusammen mit den schriftlichen Zeugnissen gleichsam ein kulturhistorisches Panorama der Zeit. 15 Schneider in: Festschrift, Berlin 1941, S. 37. 16 ebd. Firle, S. 23. 17 ebd., Brockhusen, S. 25.

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Bildnis meiner Eltern, 1925 Öl auf Leinwand, 105 × 126 cm Recklinghausen, Kunsthalle

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