Manet und Astruc Künstlerfreunde
Porträt Zacharie Astruc, um 1874/78, Fotografie von Ferdinand Mulnier
Porträt Édouard Manet, um 1867/70, Fotografie von Nadar
Manet und Astruc Künstlerfreunde Herausgegeben von Dorothee Hansen
Mit Beiträgen von Jean-Paul Bouillon Christine Demele Sharon Flescher Alice Gudera Dorothee Hansen Maren Hüppe Gudrun Maurer Édouard Papet Samuel Rodary
Dank Die Ausstellung wurde ermöglicht durch: Karin und Uwe Hollweg Stiftung
Wir danken allen, die uns mit Leihgaben so großzügig unterstützt haben:
Gefördert durch: Kulturstiftung der Länder Wirtschaftsförderung Bremen GmbH Ernst von Siemens Kunststiftung Die Sparkasse Bremen ag swb ag
Musées d’Angers Museum of Fine Arts, Boston Übersee-Museum, Bremen Gillis Goldman Fine Art, Brüssel The Art Institute of Chicago Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Kupferstich-Kabinett Hugh Lane Gallery, Dublin Musée d’art, histoire et archéologie, Évreux Kelvingrove Art Gallery and Museums, Glasgow Göteborgs Konstmuseum The Museum of Fine Arts, Houston Musées de Laval The National Gallery, London Musée des Beaux-Arts, Lyon Sammlung Dr. Sharon Flescher, New York The Metropolitan Museum of Art, New York Stadtmuseum Oldenburg Bibliothèque nationale de France, Paris Institut national d’histoire de l’art, Paris Musée d’Orsay, Paris Palais de la Légion d’honneur, Paris Petit Palais, Musée des Beaux-Arts de la Ville de Paris Conservation des œuvres d’art religieuses et civiles (coarc), Paris Philadelphia Museum of Art Fonds Musée de l’Opéra, Vichy Chrysler Museum of Art, Norfolk, Virginia National Gallery of Art, Washington, d. c. The Phillips Collection, Washington, d. c. Albertina, Wien Sammlung Oskar Reinhart „Am Römerholz“, Winterthur
CITIPOST
und private Förderer Mobilitätspartner: metronom Eisenbahngesellschaft mbH Medienpartner: weser-kurier Bremen Zwei arte filmflut Kulturpartner: ndr Kultur
Der Ausstellungskatalog wurde ermöglicht durch die Ernst von Siemens Kunststiftung.
Leihgeber
sowie privaten Leihgebern, die ungenannt bleiben möchten.
Die englische Ausgabe des Katalogs wurde unterstützt vom ceeh Verlag, Madrid.
Inhalt 66 Manet, Astruc und die Anfänge des Japonismus in Frankreich
6 Vorwort und Dank 8 Manet und Astruc Künstlerfreunde
Alice Gudera
80 Manet, Astruc, Bracquemond und „Jing-Lar“ „Japonismus“ im Paris der zweiten Hälfte der 1860er Jahre
Dorothee Hansen
24 Konzentrische Kreise Astruc, Manet und la jeunesse
Jean-Paul Bouillon
Sharon Flescher
90 „So eine Blume kann zu einem ganzen Drama werden“ Gemalte Bouquets von Manet, Astruc und ihren Zeitgenossen
36 Manet und Astruc Auf den Spuren von Velázquez, El Greco und Goya Gudrun Maurer
Dorothee Hansen
54 „Es ist purer Goya. Trotzdem war Manet nie so sehr er selbst!“ Das Werk des spanischen Maler-Radierers als Inspirationsquelle für den Wegbereiter der Moderne in Frankreich
104 Zacharie Astruc als Bildhauer
Christine Demele
Édouard Papet
114 Manet und Astruc, Astruc und Manet Correspondance / Briefwechsel Eingeführt und kommentiert von Samuel Rodary
151
Die Ausstellung
mit Werkkommentaren von Dorothee Hansen und Alice Gudera
290 Biografien von Édouard Manet und Zacharie Astruc
306 Ausgewählte Literatur
Maren Hüppe / Dorothee Hansen
314 Personenregister
300 Verzeichnis der ausgestellten Werke
318 Impressum und Abbildungsnachweis
Vorwort und Dank
Anfang 1909 erwarb der Kunstverein in Bremen ein Hauptwerk der Kunsthallen-Sammlung: das Bildnis des Zacharie Astruc von Édouard Manet. Der Dargestellte, erst eineinhalb Jahre zuvor gestorben, war so gut wie unbekannt. Manet hingegen, der schon 1883 im Alter von nur 51 Jahren verstorben war, hatte bereits zu Lebzeiten einen Ruf als provozierend moderner Künstler. Sein Bildnis Astrucs ist mehr als ein Porträt: Es ist ein Freundschaftsbild und steht für ein ästhetisches Programm. Die Ausstellung Manet und Astruc – Künstlerfreunde untersucht jene Themen, die Manet und Astruc gemeinsam intensiv beschäftigt haben – Spanien und die Inspiration durch Diego Velázquez und Francisco de Goya, aber auch die japanische Kunst oder das Thema der Blumenstillleben. Sie präsentiert eindrucksvolle, weltberühmte Meisterwerke Manets zusammen mit nahezu unbekannten Aquarellen und Skulpturen Astrucs und führt erstmals den Dialog zwischen dem einzigartigen Maler Manet und der facettenreichen Persönlichkeit Zacharie Astruc vor Augen. Dabei werden auch ihre freundschaftlichen Beziehungen zu Künstlern und Kritikern wie Félix Bracquemond, Henri Fantin-Latour, Claude Monet, Pierre-Auguste Renoir und Émile Zola sichtbar. Zolas von Manet gemaltes Porträt kann geradezu als „Schwesterstück“ von Astrucs Bildnis betrachtet werden – nebeneinander in einem Raum sind sie ein Highlight der Ausstellung. Einen weiteren Höhepunkt stellt das großformatige Gruppenporträt Ein Atelier im Batignolles-Viertel von Henri Fantin-Latour dar, das wir – wie das Zola-Bildnis – als Leihgabe aus dem Pariser Musée d’Orsay erhalten haben. Es versammelt fortschrittliche Künstler jener Zeit um Manet, der an der Staffelei sitzt und das Porträt Astrucs malt. Das ambitionierte Gemälde Fantin-Latours unterstreicht die besondere Bedeutung des Bremer Astruc-Bildnisses und veranschaulicht zugleich das freundschaftliche Netzwerk, in dem sich Astruc und Manet befanden. Mit der aktuellen Ausstellung setzt die Kunsthalle Bremen ihre Reihe großer Präsentationen zur französischen Kunst des 19. Jahrhunderts fort, die die bedeutendsten Werke der Sammlung in den Mittelpunkt stellen. Neben dem Mohnfeld von Vincent van Gogh und der Camille von Claude Monet gehört das Bildnis des Zacharie Astruc zu jener Trias international bedeutender Meisterwerke, die dank der mutigen und fortschrittlichen Sammlungsstrategie von Gustav Pauli, dem ersten Direktor der Kunsthalle von 1899 bis 1914, bereits zu Beginn des 20. Jahrhunderts erworben wurden. Sein Nachfolger in den Jahren bis 1945, Emil Waldmann, wurde einer der führenden Manet-Experten Deutschlands und würdigte diesen in zahlreichen Publikationen als überragenden Künstler des 19. Jahrhunderts. 1910 übersetzte er die Manet-Biografie von Théodore Duret ins Deutsche, und 1923 verfasste er selbst eine Monografie über Manet, die er Duret widmete. Édouard Manets Werk wurde seither unter den verschiedensten Aspekten kunstwissenschaftlich untersucht. Der enorme Umfang der Literatur über den Maler steht in starkem Gegensatz zu der Forschungssituation über Astruc. Bis heute ist die 1977 abgeschlossene Doktorarbeit von Sharon Flescher an der Columbia University in New York die einzige umfangreiche Publikation über Astruc; ein Jahr später erschien das Manuskript als Dissertationsdruck. Zwar wird Astruc verschiedentlich in der Manet-Literatur erwähnt, doch es gibt nach wie vor kein einziges illustriertes Buch über ihn. So leistet der vorliegende Katalog Pionierarbeit, um diese kaum bekannte Künstlerpersönlichkeit vorzustellen. Ausgehend von der profunden Arbeit von Frau Flescher wurden neue Dokumente und jüngere Forschungen einbezogen, vor allem aber zahlreiche unbekannte Werke entdeckt. Viele sind in dieser Ausstellung erstmals seit Astrucs Lebzeiten wieder zu sehen, verschollen geglaubte Arbeiten aus Privatbesitz werden ausnahmsweise gezeigt, und eine Reihe von Werken wurde speziell für die Präsentation direkt in der Kunsthalle Bremen restauriert. Mit der Veröffentlichung der Briefe von Manet und Astruc erschließt der Katalog zudem wichtiges Quellenmaterial über die beiden Künstler nicht nur im französischen Original, sondern zudem in übersetzter und kommentierter Form: eine Grundlagenarbeit, die hoffentlich zu weiteren Forschungen anregt.
7
Auch das Kupferstichkabinett der Kunsthalle Bremen trägt mit seinen hervorragenden Beständen zu diesem umfangreichen Projekt bei. Unsere Kustodin Christine Demele hat eine begleitende Ausstellung unter dem Titel Manet und Goya – Revolutionäre Radierungen kuratiert. Darin nimmt sie das Verhältnis zwischen den beiden Künstlern und ihrem großen gemeinsamen Vorbild Velázquez vertieft in den Blick. Ein Beitrag über diese Ausstellung ist im vorliegenden Katalog enthalten. Wir freuen uns und sind dankbar, dass Frau Flescher sich mit einem wissenschaftlichen Beitrag am Katalog beteiligt hat. Auch allen anderen Autoren, die mitgearbeitet haben, danken wir ganz herzlich: dem Japonismus-Experten Jean-Paul Bouillon; Gudrun Maurer, Goya-Spezialistin und Kuratorin am Prado in Madrid; Édouard Papet, Chefkurator für Skulpturen am Musée d’Orsay, und Samuel Rodary, Paris, der zurzeit eine Gesamtpublikation der Briefe Manets vorbereitet. Juliet Wilson-Bareau, London, motivierte uns durch ihren begeisterten Zuspruch und stand uns mit zahlreichen inhaltlichen Hinweisen zur Seite. Auch die Übersetzer und unsere ausgezeichnete Lektorin Almut Otto haben zum Gelingen dieses Projektes in bedeutendem Maße beigetragen. Die Ausstellung hätte ohne die vielen Leihgeber nicht stattfinden können. In den schwierigen Zeiten der Corona-Pandemie sind wir ganz besonders dankbar für das Vertrauen der bedeutenden internationalen Häuser, die uns herausragende Werke von Manet, Astruc und anderen Künstlern zur Verfügung gestellt haben. Hier ist vor allem das Musée d’Orsay in Paris zu nennen, das mit dem Porträt Émile Zola und dem Atelier im Batignolles-Viertel zwei zentrale Werke ausleiht. Besonderer Dank gilt aber auch dem Metropolitan Museum of Art in New York, dem Museum of Fine Arts in Boston, dem Art Institute of Chicago, der National Gallery of Art und der Philips Collection in Washington, d. c., der National Gallery in London und verschiedenen weiteren wichtigen Ausstellungsinstituten sowie den privaten Leihgebern, die uns mit Begeisterung unterstützt haben. Für dieses aufwendige Projekt bildete die Unterstützung durch Mäzene und Stiftungen die Voraussetzung. Die Kunsthalle Bremen, die bis heute vom privaten Kunstverein in Bremen getragen wird, ist in besonderem Maße auf solche Hilfe angewiesen. Den Grundstein der Ausstellungsfinanzierung legte – wie so oft – die großzügige Zuwendung durch die Karin und Uwe Hollweg Stiftung. Dem Ehepaar Hollweg gilt dafür unser allerherzlichster Dank. Für die großzügige Unterstützung der Ausstellung danken wir besonders auch der WfB Wirtschaftsförderung Bremen GmbH, der Kulturstiftung der Länder sowie unseren langjährigen Sponsoren Sparkasse Bremen ag, der swb ag und einer Gruppe privater Förderer. Der Katalog wurde durch Unterstützung der Ernst von Siemens Kunststiftung ermöglicht, der wir gleichfalls ganz herzlich danken. So umfangreiche wissenschaftliche Publikationen wären aus eigener Kraft für den Kunstverein nicht realisierbar. Gerade für einen derart grundlegenden Band war eine englische Ausgabe wichtig. Sie wurde unterstützt durch das Centro de Estudios Europa Hispánica (ceeh), dessen Verlag die englische Fassung des Kataloges veröffentlicht. Nicht zuletzt ist unserem Team zu danken, das die Ausstellung vorbereitet hat, allen voran der Kuratorin Dorothee Hansen. Sie hat das Projekt konzipiert und seit vielen Jahren mit viel Energie und Intelligenz vorangetrieben, den Katalog herausgegeben und wesentliche Texte verfasst. Wir danken ihr für ihren leidenschaftlichen Einsatz und eine spannende Ausstellung. Ihr stand die Kunsthistorikerin Alice Gudera mit ihrem großen kunstgeschichtlichen Wissen und hohem persönlichen Engagement zur Seite. Sie schrieb nicht nur zahlreiche Katalogtexte, sondern ermöglichte ebenso anregende wie motivierende wissenschaftliche Diskussionen und entwickelte zahlreiche Ideen für Vermittlungsangebote. Die Mitarbeit Frau Guderas wurde ermöglicht durch Christa Bürger, die der Kunsthalle Bremen durch großzügige Zuwendungen verbunden ist. Manuela Husemann und die Volontärin Mara-Lisa Kinne haben engagiert die englische Katalogausgabe betreut. Maren Hüppe unterstützte als besonders fähige Praktikantin das Team, und Dorothea Sager stand uns als ehrenamtliche Mitarbeiterin bei der Katalogarbeit zur Seite. Den schönen Katalog gestalteten F lorian Pfeffer und René Schmitt vom Studio one/one. Für die visuelle Erscheinung der Ausstellung zeichnet diesmal das Büro Bach Dolder & Kraus Lazos verantwortlich. Wir danken allen wissenschaftlichen und kreativen Köpfen für die inspirierende Zusammenarbeit! Ihnen, liebe Besucherinnen und Besucher, wünschen wir einen anregenden Ausstellungsbesuch: Sie werden eindrucksvolle Meisterwerke sehen und in die Zeit von Manet und Astruc eintauchen. Unter den Stichworten Networking und interkultureller Austausch lassen sich zahlreiche Parallelen zum heutigen Kunstbetrieb ziehen. Nicole Lamotte Vorsitzerin des Kunstvereins in Bremen
Christoph Grunenberg Direktor der Kunsthalle Bremen
Manet und Astruc Künstlerfreunde Dorothee Hansen
Anfang 1909 erwarb der Kunstverein in Bremen das Bildnis des Zacharie Astruc von É douard M anet (Abb. 1). Finanziert wurde es von Kunstfreunden unter Beihilfe des Galerievereins als Geschenk zu Ehren des Kunstvereinsvorsitzers Carl Schütte. Die Auswahl dürfte maßgeblich auf den Direktor Gustav Pauli zurückgegangen sein, der das Museum von 1899 bis 1914 leitete. Dessen damaliger Assistent und anschließender Nachfolger, Emil Waldmann, hat seine eigene hohe Bewunderung für den Künstler Manet sowie die malerische und historische Bedeutung dieses Gemäldes ausführlich dargelegt.1 Zentral war für ihn die malerische Gestaltung. Über den Dargestellten, der etwa eineinhalb Jahre vor dem Einzug des Bildes in die Kunsthalle gestorben war, wusste man damals jedoch nur wenig. Manet hingegen, der bereits 1883 im Alter von nur 51 Jahren verstorben war, hatte schon zu Lebzeiten einen Ruf als provozierend moderner Künstler gehabt. Seit den 1890er Jahren stieg die Nachfrage nach seinen Gemälden insbesondere auf dem us-amerikanischen und dem deutschen Kunstmarkt, und seine Werke zogen hier auch erstmals in fortschrittlich ausgerichtete Museumssammlungen ein. Bis heute ist Zacharie Astruc in der Kunstgeschichte eine marginale Gestalt geblieben. Auch das Porträt, das Manet 1866 von ihm schuf, wurde zunächst wenig beachtet. Es war zu Manets Lebzeiten nur einmal öffentlich zu sehen, als er es 1867 in seiner selbst organisierten Einzelausstellung in einem Pavillon nahe dem Pont de l’Alma in Paris unter dem Titel Portrait de Z. A. zeigte.2 Für die posthume Retrospektive des Künstlers in der École des Beaux-Arts 1884 wählte man es jedoch nicht aus. Vor allem aber bleibt es ein Rätsel, warum sich das Porträt bei Manets Tod ungerahmt in dessen Atelier befand, denn es trägt eine Widmung: „Dem Dichter Z. Astruc / sein Freund Manet 1866“ (Abb. 6).3
Abb. 1 Édouard Manet, Bildnis des Zacharie Astruc, 1866, Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein in Bremen (Kat. 19)
9
Dennoch hatte das Bildnis des Zacharie Astruc einmal einen besonderen Auftritt im Pariser Salon: 1870 stellte dort Henri Fantin-Latour, der mit Manet und Astruc befreundet war, sein großformatiges Gruppenbildnis Ein Atelier im Batignolles-Viertel aus (Abb. 13). Den Mittelpunkt bildet Manet mit seiner Palette, während Astruc ihm Modell sitzt. Auf der Staffelei steht also das Astruc-Porträt, von dem jedoch nur die Rückseite zu sehen ist. Fantin verleiht hier dem Werk eine Bedeutung, die kaum zu dessen oben angerissener Rezeptionsgeschichte zu passen scheint. Warum wählte er gerade diese Porträtsitzung als Motiv für sein Gruppenbildnis? Ging es ihm vielleicht weniger um Manets Gemälde als um die Person Astrucs – den Dichter, den Kritiker, den Künstler, aber vor allem den Freund? Im Unterschied zu dem Bildnis des Zacharie Astruc hat Manets Porträt Émile Zola (Abb. 2), das nur zwei Jahre später entstanden war, Karriere gemacht. Es war im Pariser Salon von 1868 unter vollem Namen – als Portrait de M. Émile Zola – ausgestellt und erntete dort zahlreiche Kommentare seitens der Kritiker.4 Fotografien zeigen, dass Zola es zunächst in seinem Arbeitszimmer aufgehängt hatte; später fotografierte er es selbst als zentrales Stück über dem Kamin.5 Für die posthume Retrospektive Manets wurde das Werk extra ausgeliehen. Zwar war der Schriftsteller Zola 1868, als das Bildnis entstand, ähnlich unbekannt wie Astruc, doch ab den 1870er Jahren erlangte er durch seine Romane große Berühmtheit: Dieser Umstand trug im Folgenden zur Prominenz seines Porträts erheblich bei. Als Alexandrine Zola, die Witwe des Schriftstellers, das Bild 1918 dem französischen Staat vermachte, war der Dargestellte vielleicht sogar bekannter als der Maler. Mit der Ausstellung Manet und Astruc – Künstlerfreunde in der Kunsthalle Bremen rückt erstmals die Person Zacharie Astruc als Kunstkritiker, Dichter, Maler und Bildhauer näher in den Blick. Dabei ist nach seinem Verhältnis zu Manet zu fragen: Welche Rolle spielte er für ihn? Waren sie befreundet, ging es um den inspirierenden Austausch zu ästhetischen Fragen, oder stand der professionelle und nützliche Kontakt zwischen Künstler und Kritiker im Vordergrund? Gerade im Vergleich mit Manets Beziehung zu Zola zeigen sich diesbezüglich deutliche Unterschiede, die sich auch in der Gestaltung ihrer Bildnisse spiegeln. Eine Gegenüberstellung der beiden Gemälde bietet daher den besten Einstieg zur Beantwortung dieser Fragen.
Abb. 2 Édouard Manet Porträt Émile Zola, 1868 Musée d’Orsay, Paris (Kat. 20)
Für das Bildnis des Zacharie Astruc wählte Manet ein Querformat. Das war ungewöhnlich für ein Porträt.6 Es ermöglichte Manet eine komplexe Komposition, die das reine Bildnis mit einem Stillleben und einer Interieurszene verbindet. Knapp zwei Drittel der Leinwand nimmt die Figur Astrucs ein. Er sitzt entspannt auf einem gepolsterten Stuhl, lässig liegt die linke Hand auf der Armlehne, während er die Rechte in seine Weste geschoben hat. Der markante Gestus erinnert an die Pose Napoleons, tatsächlich findet man ihn aber in zahlreichen gemalten und fotografischen Bildnissen des 19. Jahrhunderts. Der nach oben weisende Daumen bildet eine Gegenbewegung zu der nach unten hängenden linken Hand und leitet den Blick auf das Gesicht des Mannes, der offen zum Betrachter schaut. Seine Züge leuchten hell vor dem dunklen Hintergrund – ein Stellschirm mit goldener Einfassung –, vor dem sein langes, wallendes Haar kaum zu erkennen ist. Hände und Gesicht bringen die Figur zum Sprechen: Sie erzählen von Gelassenheit und Selbstbewusstsein sowie von Jugend und Offenheit. Manet unterstreicht dies durch einen kraftvollen Strich und demonstriert dabei die Vielfalt seiner malerischen Möglichkeiten: Er brilliert mit der plastischen Ausarbeitung des Gesichts, dessen Inkarnat durch unterschiedliche Farbnuancen, die mit breiten Pinselzügen aufgetragen sind, äußerst lebendig wirkt. Auch die großen, glänzenden Augen, die sinnlichen Lippen und der weich ansetzende Vollbart sind mit kräftigen Strichen geformt und halten eine sensible Balance zwischen Illusionismus und der augenfälligen Sichtbarkeit der malerischen Handschrift. Die rechte Hand mit dem nach oben weisenden Daumen gestaltete der Maler zwar plastisch und opak, doch er verzichtete auf physiognomische Details, während er die Linke in einem gänzlich skizzenhaften Zustand beließ: Die Konturen der Finger sind nur locker angedeutet, und das Inkarnat ist so dünn aufgetragen, dass auf dem Handrücken teilweise die grundierte Leinwand zu erkennen ist. Auf diese Weise wirkt die Hand beinahe wie ein herabhängender, ausgezogener Handschuh. Nicht ohne Grund erinnern Astrucs Hände an Tizians Porträt Der Mann mit dem Handschuh, das sich bereits damals im Louvre befand (Abb. 3).7 Die Nähe zu Tizians Gemälde war zunächst sogar noch deutlicher, denn Manet hatte ursprünglich Astrucs rechte Hand mit ausgestrecktem Zeigefinder angelegt. Erst im Laufe des Malprozesses ließ er sie weitgehend hinter der schwarzen Weste verschwinden.8 Schon damals galten Hände als eine besondere Herausforderung in der Malerei: „An der Hand erkennt man die Qualität eines Malers“, schrieb Théophile Thoré 1864 unter seinem Pseudonym W. Bürger.9 Als prominentestes Beispiel führte er Tizians Mann mit dem Handschuh an. Auch die Gesamtkomposition des Bildnisses des Zacharie Astruc geht auf ein Vorbild Tizians zurück. Gemeint ist die Venus von Urbino (Abb. 4), die Manet 1857 kopiert hatte und die er in seinem Gemälde Olympia 1863 offen zitierte (Abb. 5).10 Die Position Astrucs vor dunklem Fond, neben dem sich der Blick in einen Nebenraum öffnet, in welchem die (Rücken-)Figur einer Frau vor einem Fenster zu sehen ist, entspricht gleichfalls Tizians Gemälde. Daher erübrigt sich die oft diskutierte Frage, ob neben Astruc ein Spiegel, ein Gemälde oder ein Durchblick in den hinteren Raum dargestellt ist:
Das Bildnis des Zacharie Astruc
11
← ← ← Abb. 3 Tizian, Der Mann mit dem Handschuh 1520–1523, Musée du Louvre, Paris ← ← Abb. 4 Tizian, Venus von Urbino, 1538, Uffizien, Florenz ← Abb. 5 Édouard Manet, Olympia, 1863, Musée d’Orsay, Paris
Wichtig ist vor allem das doppelte Zitat, das in der Komposition angelegt ist.11 Denn die gesamte Szene ist keineswegs so „real“, wie sie auf den ersten Blick erscheinen mag. Astruc sitzt nicht im Arbeitszimmer seiner Wohnung, sondern im Atelier Manets, der diese Konstellation mithilfe von Requisiten inszeniert hat. Den samtbezogenen Stuhl benutzte Manet mehrfach für Porträts, und einen solchen Stellschirm mit der goldglänzenden Zierleiste und dem oben rechts angeschnittenen Medaillon hatte er bereits ganz ähnlich für das Gemälde Olympia verwendet, das im Salon von 1865 einen großen Skandal hervorrief. Manets Briefe belegen, wie tief ihn die scharfen, gar vernichtenden Kritiken zu dem Werk getroffen hatten,12 und auch Astruc, der ihn zu trösten versuchte, wurde damals in einer Karikatur geschmäht, weil er ein Gedicht zu dem Gemälde verfasst hatte (Abb. S. 293).13 Indem die Komposition des Astruc-Porträts auf jene der Olympia zurückgreift, enthält sie also eine Erinnerung an den gemeinsam erlebten Skandal, der wenig später zu einer fluchtartigen Reise Manets nach Spanien führte, auf der er sich, mit einer Reiseanleitung von Astruc in der Tasche, Rat vom „Maître Velázquez“ erhoffte.14 Mit dem Arrangement von Büchern und Schreibfedern sowie einem Glas, einer Zitrone und einem Messer auf einem Lacktablett fügte Manet ein Stillleben in das Astruc-Porträt ein. Es spielt in freier Paraphrase auf die niederländische Tradition des 17. Jahrhunderts an und ist zugleich als Attribut Astrucs zu lesen. Die Schreibwerkzeuge bezeichnen den Kritiker und Dichter, die Bücher verweisen auf seine Gelehrsamkeit wie auch auf seine eigene Produktion: Neben zahlreichen Beiträgen in Zeitungen hatte er zwei Bücher mit Kritikensammlungen veröffentlicht: 1859 war Les 14 stations du Salon und 1860 Le Salon intime erschienen (Abb. S. 31). Während die italienische Renaissancemalerei und die niederländische Kunst des 17. Jahrhunderts durch Komposition und gattungsspezifische Arrangements gegenwärtig sind, verweisen konkrete Motive im Astruc-Porträt auf die Musik sowie auf die spanische und die japanische Kunst – drei Gebiete, für die sich Astruc ganz besonders begeisterte. Das mit wenigen Pinselstrichen angedeutete Saiteninstrument im Hintergrund steht für seine musikalischen Aktivitäten als Komponist, Sänger und Gitarrenspieler, der außerdem Musikkritiken veröffentlichte. Die um seinen Bauch gewickelte rote Schärpe dient nicht nur als wirkungsvoller Farbakzent, sondern ist vor allem eine Anspielung auf die Gürtung der Toreros.15 Nicht zuletzt erweist sich das dünne Heft, das unmittelbar neben dem Dargestellten auf dem Tisch liegt, durch den Streifen mit Schriftzeichen als ein japanisches Album. Astruc, der zu den frühen Liebhabern und Kennern der japanischen Kunst und Kultur gehörte, sammelte solche Alben mit Holzschnitten ebenso wie einzelne Drucke. Ein Jahr nach der Entstehung seines Porträts publizierte er zwei Texte zur japanischen Kunst, und ein weiterer folgte 1868.16 Damals wurde er zudem Gründungsmitglied der Jing-Lar-Gesellschaft, die sich im Zeichen der japanischen Kultur und einer republikanischen Gesinnung zu geselligen Diners versammelte.17 Auf das japanische Album setzte Manet seine Widmung des Gemäldes an den Dichter und Freund Astruc (Abb. 6). Bei dem Porträt Émile Zola scheint Manet auf den ersten Blick einen ähnlichen Ansatz verfolgt zu haben (Abb. 2): Auch hier zeigt er den Kritiker und Schriftsteller mit bedeutungsvollen Attributen. Doch nun entschied er sich für ein klassisches Hochformat. Dessen Größe – es ist
Abb. 6 Édouard Manet, Bildnis des Zacharie Astruc (Detail), 1866, Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein in Bremen
beinahe doppelt so groß wie das Bildnis des Zacharie Astruc – verrät die Absicht des Malers, im Salon die Aufmerksamkeit auf das Werk zu ziehen. Statt der Halbfigur hat er nun nahezu die gesamte Person wiedergegeben, die auf einem Polsterstuhl am Schreibtisch sitzt. Zola ist im Profil zu sehen, ohne Kontakt zum Betrachter, den Blick sinnend nach rechts gerichtet, als denke er über seine Lektüre nach. Sein tiefschwarzes Jackett und das übergeschlagene Bein signalisieren gleichfalls Abwendung und Distanz. Wie das Bildnis Astrucs wurde dieses „Interieur“ im Atelier Manets inszeniert.18 Auch hier sind auf dem Schreibtisch Bücher und Schreibfedern aufgehäuft, die von der Profession Zolas erzählen. Die hellblau gebundene Broschüre trägt den deutlich lesbaren Titel „Manet“, darüber ist mit Mühe der Autorenname „Zola“ zu entziffern. Der Buchtitel fungiert zugleich als Signatur und Widmung des Gemäldes. Er bezieht sich auf die engagierte Kritik über Manets Malerei, die Zola erstmals 1866 sowie in überarbeiteter Fassung Anfang 1867 publiziert hatte und die er wenig später nochmals als eigene Broschüre herausgab.19 Die drei Bilder, die im Hintergrund in einem gemein samen Rahmen an der Wand befestigt sind, sprechen eine klare Sprache: Der japanische Holzschnitt von Utagawa Kuniaki ii., die Radierung Francisco de Goyas nach Diego Velázquez’ Gemälde Die Betrunkenen und eine Fotografie von Manets Gemälde Olympia versammeln Kunstwerke aus unterschiedlichen Zeiten und Ländern (Kat. 21–23). Moderne und historische Reproduktionstechniken ermöglichen diese Cross-Culture-Collage. Ein japanischer Stellschirm öffnet links die Bildfläche in eine imaginäre Landschaft und formt zusammen mit dem Polsterstuhl einen farbigen Rahmen um die schwarz gekleidete Person, der an der oberen Kante des Bildes durch zwei Pfauenfedern und einen Goldrahmen im Anschnitt ergänzt wird: So erscheint Zola eingeschlossen in seine Studierstube wie der heilige Hieronymus im Gehäuse, vertieft in seine Gedanken. Profilbild und en face, Abwendung und Blickkontakt, Nähe und Distanz führen zu einer grundsätzlich unterschiedlichen Wirkung der beiden Porträts, die zugleich das Verhältnis zwischen dem Maler und seinen Modellen spiegelt. Das intime Bildnis Astrucs mit der freundschaftlichen, persönlichen Widmung hatte privaten Charakter und war zugleich ein inhaltlich anspruchsvolles Werk. Hinweise auf die italienische, die niederländische, die spanische oder die japanische Kunst sind darin indirekt vermittelt oder in unauffälligen Motiven angedeutet, die nur der Künstler und der Dargestellte oder ihre engsten Freunde sofort zu erkennen vermochten. Sie stehen nicht nur für die Person Astrucs, sondern zugleich auch für Manet, denn beide teilten diese Interessen. Das Bildnis Zolas wirkt dagegen plakativ und explizit: Der gedruckte Buchtitel ersetzt die handschriftliche Widmung, und die Namen „Manet“ und „Zola“ sowie die Bilder im Hintergrund wenden sich an eine zeitgenössische Öffentlichkeit. Die Person Émile Zolas wird hier höchst anspruchsvoll in Szene gesetzt, obgleich jener als Schriftsteller und Kritiker noch am Anfang seiner Karriere stand und keineswegs als Sammler von japanischer Druckgrafik bekannt war.20 Tatsächlich repräsentieren die Attribute im Hintergrund weniger Zolas künstlerische Interessen als jene Manets, der hier sein ästhetisches Programm, das im Astruc-Bildnis auf eher indirekte Weise bereits enthalten ist, nun demonstrativ zur Schau stellt.
13
Die unterschiedlichen Tonlagen der beiden Bildnisse von Astruc und Zola entsprechen dem persönlichen Verhältnis zwischen Manet und den Dargestellten. Mit Astruc war Manet seit der Zeit um 1860 befreundet.21 Ihre erste Begegnung ist nicht dokumentiert, aber beide verkehrten schon in den späten 1850er Jahren in ähnlichen Kreisen und waren gleichermaßen mit Fantin-Latour und Charles Baudelaire befreundet.22 Seit 1863 sind Briefe zwischen Manet und Astruc erhalten, doch bereits zuvor gab es einen regelmäßigen Austausch, der sich in Bildnissen, Kritiken, Geschenken und Widmungen nachzeichnen lässt.23 Als Manet 1862 in seinem Gemälde Musik im Tuileriengarten (Kat. 2) erstmals Astruc porträtierte, gehörte dieser schon einige Zeit zu seinem Freundeskreis. Er hatte Manet ein Exemplar seines Buches Le Salon intime von 1860 zugeeignet: „Dem besten meiner Freunde, dem liebenswerten und großen Künstler Édouard Manet, sein ewig ergebener Zacharie Astruc“ (Abb. S. 31).24 Die überschwängliche Formulierung unterscheidet sich von den wesentlich knapper gehaltenen Widmungen in anderen Büchern aus Manets Besitz und zeugt gleichermaßen von großer persönlicher Zuneigung wie auch hoher Bewunderung für den Maler. Ihre gemeinsame Verehrung der spanischen Tänzerin Lola de Valence, die im Frühjahr und Sommer 1862 in Paris auftrat, intensivierte den Austausch zwischen Manet und Astruc. Manet malte ein Bildnis der Tänzerin (Abb. S. 61) und schenkte Astruc ein Aquarell nach dem Gemälde (Abb. 7).25 Astruc komponierte Lola de Valence zu Ehren eine Serenade mit eigenen Versen, für die Manet wiederum das Titelblatt gestaltete (Kat. 14 a, 14 b). Diese musikalisch-künstlerische Gemeinschaftsarbeit erschien im März 1863, während Manet in der Galerie Martinet 14 Gemälde zeigte, darunter Lola de Valence und Musik im Tuileriengarten. Als im Mai der Pariser Salon und wenig später der Salon des Refusés eröffnet wurde, gab Astruc die Zeitung Le Salon als tägliches Feuilleton heraus. Zwar musste sie aufgrund von staatlicher Zensur vorzeitig das Erscheinen einstellen, doch in der letzten Ausgabe vom 20. Mai veröffentlichte Astruc seine emphatische Besprechung von Manets Werken. Darin bezeichnete er diesen als „einen der größten Künstler unserer Zeit“: Er sei im Salon „das Glitzern, die Inspiration, die kraftvolle Würze und die Überraschung“.26 Bereits am 19. Mai, kurz vor dem Erscheinungsdatum, übersandte Astruc zehn Exemplare dieser Ausgabe an Manet zum „persönlichen Gebrauch“ als ein „freundschaftliches Geschenk“.27 Aus dem Begleitbrief geht hervor, dass er den Text schon zuvor Manet gezeigt hatte. Vor allem aber drückt Astruc seine Freundschaft und seinen Einsatz für den Künstler aus: „Ich bin stolz darauf, dass Ihnen gefällt, was ich über Sie gesagt habe. Ich freue mich über Ihre Wertschätzung und Zuneigung, es ist mein Wunsch, Ihrem Geschmack zu entsprechen. Mögen diese Zeilen, die zu schreiben mir ein so großes Vergnügen bereitet hat, Ihnen beweisen, dass es um Sie herum nicht an Mut, Hingabe und Gerechtigkeit mangelt, mein lieber Freund!“ 28 In den folgenden Jahren standen Manet und Astruc in engem freundschaftlichen und künstlerischen Austausch. So verfasste Astruc, inspiriert von Manets Gemälde Olympia, das Gedicht „La Fille des Îles“ (Abb. S. 293).29 Als Manet 1865 das Gemälde im Salon präsentierte, wurde die erste Strophe des Gedichts im Salonkatalog abgedruckt, und vermutlich war sie zudem auf einem Schild am Rahmen des Gemäldes befestigt.30 In diesem Jahr brach die Kritik noch heftiger über Manet herein als je zuvor. Astrucs Gedicht muss als dessen Bekenntnis zu Manet betrachtet werden, und wie bereits erwähnt wurde auch er teilweise von der Kritik attackiert. Aus Fontainebleau beobachtete er die Reaktionen: „Mein Freund, mein lieber Édouard! Mir scheint, der Kampf hat begonnen – selbst von hier aus sehe ich die Funken […]. Diesen schweren Stürmen werden gewiss bald Regenbögen folgen. Es bleibt zu hoffen, dass kühne Kameraden einen Toast auf Ihren Geist ausbringen werden. […] Die Verse wurden anscheinend veröffentlicht. Nun stehe ich Wache und beschütze das königliche Zelt.“ 31 Auch Astrucs Brief mit detaillierten Reiseempfehlungen für Spanien wenige Wochen später ist ein Ausdruck persönlicher Verbundenheit. Astruc lässt den Freund an den Erfahrungen teilhaben, die er selbst in Spanien gemacht hatte, und schließt beinahe verzweifelt: „Hätte ich nur etwas Geld zur Verfügung, so könnte ich Ihnen diese verrückte Reise, auf der alles nur ernst und traurig sein wird, angenehm gestalten. Ich schwöre bei Gott, es ist nicht die Verlockung einer Reise – schon gar nicht unter diesen Voraussetzungen –, sondern es geht mir einzig darum, Ihnen meine Freundschaft zu beweisen, damit dieses Abenteuer nach Ihren Vorstellungen verläuft.“ 32 Manets tatsächliche Reise zeigt, dass beide durchaus unterschiedliche Vorstellungen und
Geschenke erhalten die Freundschaft
Abb. 7 Édouard Manet, Lola de Valence, 1862, Feder und Pinsel, Aquarell und Gouache, Harvard Art Museums, Cambridge, Massachusetts
14
Erwartungen mit dieser Unternehmung verbanden.33 Astrucs Engagement für die Vermittlung seines Wissens über Spanien und die dortigen Kunstschätze ist dennoch als ein Freundschaftsdienst zu betrachten, der Manet sicher von praktischem Nutzen war. Mit dem Bremer Bildnis des Zacharie Astruc von 1866 und der persönlichen Widmung erwiderte Manet auf eindrucksvolle Weise die Freundschaftsbekundungen Astrucs. 1868 bedankte er sich für Astrucs Salonkritik, in der dieser auf das Zola-Bildnis eingegangen war:34 „Meine Zuneigung zu Ihnen gibt mir die Gewissheit, dass dieses Gefühl auf Gegenseitigkeit beruht. Zudem weiß ich, dass Sie wissen, was wirklich gut ist, und dass Sie, sobald es Ihnen möglich sein wird, meinem übertriebenen Stolz Genüge tun werden. Ich drücke Ihnen die Hand. Ihr getreuer Édouard Manet.“ 35 Zwei Jahre später saß Astruc Manet nochmals Modell, diesmal für das große Gemälde Die Musikstunde (Kat. 28), das im Salon desselben Jahres ausgestellt wurde – ein solches zeitaufwendiges Modellsitzen muss gleichfalls als ein Freundschaftsdienst gewertet werden, wenngleich Astruc offenbar Gefallen daran fand.36 Beide zusammen stellten sich damals auch ihrem Freund Fantin-Latour als Modelle zur Verfügung, der im selben Jahr sein Gruppenporträt Ein Atelier im Batignolles-Viertel im Salon präsentierte (Abb. 13). „Unter uns gesagt“, schrieb Fantin wenig später an seinen englischen Freund Edwin Edwards, „ich glaube, es gibt kaum einen, der ihn [Astruc] nicht gemalt hat. Es macht ihm Vergnügen zu posieren.“ 37 Nach dem Deutsch-Französischen Krieg von 1870/71 und der Belagerung von Paris, die Manet und Astruc in der Stadt erlebten, sind weniger Dokumente ihrer Freundschaft erhalten. Von seiner etwa eineinhalbjährigen Spanienreise 1872/73 brachte Astruc eine Aquarellkopie nach Goyas Bekleideter Maja mit und schenkte sie Manet,38 der das Gemälde des Spaniers bereits 1862 mit seiner Jungen Frau im spanischen Kostüm zitiert hatte.39 Außerdem wechselten sie in den 1870er Jahren in ihren Briefen zum vertrauten „Du“, was bei Manet nur selten vorkam. Als sich Manet 1880 in Bellevue bei Paris zur Kur aufhielt, schickte er Astruc einen Brief, der mit einem großen Aquarell geschmückt war (Abb. S. 115). Damit gehörte Astruc zu dem kleinen Kreis von nur zehn Männern, die einen persönlich dekorierten Gruß erhielten, während alle übrigen der 45 erhaltenen aquarellierten Briefe aus dem Kurort an Freundinnen Manets adressiert waren.40 Einen eindrucksvollen Abschluss in diesem Austausch bildet die Porträtbüste Manets, die Astruc 1881 anfertigte (Kat. 72). Die Bronzeversion, die im selben Jahr im Pariser Salon ausgestellt war, befand sich laut Katalog in Manets Besitz. Astruc soll sie Manet geschenkt haben, wie Armand Silvestre berichtet.41 Die Büste ist Astrucs künstlerische Antwort auf die drei Porträts, die Manet mehr als zehn Jahre zuvor von ihm geschaffen hatte. Sie zeugt von der anhaltenden Beziehung zwischen den beiden bis zu Manets Tod und sogar darüber hinaus: 1885 soll sie im Restaurant Père Lathuille bei dem Gedächtnisbankett zum ersten Jahrestag der posthumen Retrospektive Manets in der École des Beaux-Arts aufgestellt gewesen sein.42 In diesem Überblick wird deutlich, wie die Beziehung zwischen Manet und Astruc durch zahlreiche gegenseitige Freundschaftsbekundungen, kleine Geschenke und bedeutende Kunstwerke geprägt und gefestigt wurde. Es waren ideelle und persönliche Gaben wie Kritiken, kleine Aquarelle, Gemeinschaftsarbeiten und große Porträts, bei deren Modellsitzungen ein jeder dem anderen nicht nur seine kreative Schaffenskraft, sondern auch seine Zeit „schenkte“. Zwar erreichten Manet und Astruc im Rückblick bei Weitem nicht den gleichen künstlerischen Rang, doch das war 1866, als beide noch am Anfang ihrer Karriere standen, keineswegs klar. Es ist daher ein wichtiges Detail, dass Manet seinen Freund Astruc in der Widmung auf dem Gemälde als „Dichter“ bezeichnet: Bereits durch die Verbindung der Olympia mit Versen von Astruc hatte Manet seine Wertschätzung gezeigt und dem Freund die Möglichkeit geboten, sich dem Publikum zu präsentieren. Ein Jahr später würdigte er durch seine Zueignung dessen Ringen um eine Laufbahn als Poet und Dramatiker, obwohl Astruc damals noch kaum etwas auf diesem Gebiet veröffentlicht hatte. Solange sie auf unterschiedlichen Feldern arbeiteten, konnten sie sich ergänzen; das änderte sich, als sich Astruc ab 1869 zunehmend selbst der bildenden Kunst verschrieb und nach 1872 die Kunstkritik gänzlich aufgab. Von nun an gestaltete er seine Reaktion auf Manet in eigenen Kunstwerken.43 Auch Émile Zola hatte am 7. Mai 1866, als er seine erste Kritik über Manet verfasste, noch keinen großen schriftstellerischen Erfolg zu verzeichnen. Mit dem Künstler verband ihn keine gewachsene Freundschaft.44 Um dessen Werke zu sehen, hatte er sich vermutlich im April 1866 von dem Maler Antoine Guillemet in Manets Kreis einführen lassen.45 Zola scheint sich gezielt
15
entschieden zu haben, über den umstrittenen Künstler zu schreiben, der im Jahr zuvor einen derartigen Skandal im Salon hervorgerufen hatte. Beabsichtigte er, durch die spektakuläre Verteidigung eines Verfemten selbst ins Rampenlicht zu rücken?46 Am 1. Januar 1867 publizierte Zola seinen ersten Text noch einmal in überarbeiteter Fassung, und nachdem Manet den Plan zu einer Einzelausstellung in einem eigenen Pavillon nahe dem Weltausstellungsgelände gefasst hatte, schlug Zola eine weitere Publikation in einer separaten Broschüre vor – ein strategischer Schachzug, der die Bekanntheit von Künstler und Kritiker gleichermaßen befördern sollte. Mit seiner Studie über Manet hatte Zola ein Porträt des Künstlers geschaffen. Dieser bedankte sich dafür im folgenden Jahr durch sein gemaltes Bildnis Zolas, für das möglicherweise der Schriftsteller selbst den Anstoß gegeben hatte.47 Zola widmete ihm im Gegenzug gleichfalls 1868 seinen Roman Madeleine Férat. Ähnlich wie dessen Kritik sollte das Ölbild gezielt ein großes Publikum ansprechen: So entstand das Porträt Émile Zola als Salongemälde, das zugleich ein vielschichtiges Manifest von Zolas, vor allem aber Manets Kunstauffassung darstellte.48 Zola war durch seine Kritiken zum Herold Manets geworden, das Bildnis ermöglichte nun ihm selbst einen öffentlichen Auftritt, nachdem er mit seinem Roman Thérèse Raquin im Jahr zuvor seinerseits Kritik – aber auch positive Resonanz – erzielt hatte. Im Unterschied zu dem Bildnis des Zacharie Astruc, das zu einem kontinuierlichen intimen Austausch gehörte, löste Manet mit dem höchst ambitionierten Porträt Émile Zola eine gewisse Verpflichtung zum Dank gegenüber dem Kritiker ein und gestaltete das Geschenk zum Nutzen für beide. Mit dem gemalten Bildnis überbot er sogar jenes biografisch-kritische Porträt, das Zola zuvor von ihm geschaffen hatte.49 Es war damals (wie heute) durchaus üblich, dass Künstler, Schriftsteller und Kritiker ein freundschaftliches Netzwerk zur gegenseitigen Unterstützung aufbauten. Dabei wurden zahlreiche Gefälligkeiten und Geschenke ausgetauscht, mit denen man sich bedankte oder jemanden in die Pflicht nahm. So verschenkte Manet einen gemalten Spargel oder gemalte Blumensträuße wie „echte“ Bouquets an Freundinnen und Sammler.50 Astruc pflegte auch mit anderen einen intensiven sozialen Gabentausch. Während er sich in den 1860er Jahren vor allem mit seinen Salonbesprechungen für Künstler einsetzte, revanchierte er sich ab den 1870er Jahren bei seinen Kritikern mit eigenen Kunstwerken. Die von ihm selbst geschriebene Liste seiner Aquarelle dokumentiert Geschenke an Kunst kritiker wie Charles Blanc, Ernest Chesneau, Edmond Duranty (vgl. Kat. 38), Georges Lafenestre, Hector Pessard, Mario Proth, Armand Silvestre und Arthur Stevens. Außerdem verschenkte er Aquarelle an befreundete Schriftsteller wie Léon Cladel, Alphonse Daudet, Alexandre Dumas d. J. und Frédéric Mistral; an Künstler wie Carolus-Duran, Alfred Dehodencq, Édouard Manet, Claude Monet, Gonzague Privat und Théodule Ribot; an Verwandte und andere Bekannte wie den Musiker Louis Lacombe, den republikanischen Politiker Léon Gambetta oder Abbé Hurel.51 Auch Henri Fantin-Latour, der mit Manet und Astruc eng verbunden war, bekannte sich zu seinen Freunden. 1867, als Manet sich angesichts seiner Ablehnung durch die Salonjury im Jahr zuvor gar nicht erst im Salon beworben hatte, präsentierte Fantin dort sein Bildnis des Künstlers mit der demonstrativen Widmung: „Für meinen Freund Manet. Fantin“ (Kat. 24).52 Er zeigt Manet als eleganten Flaneur vor schlichtem grauem Hintergrund – kein Attribut verrät seine Profession als Maler. Fantin war bestrebt, den Charakter Manets in seinen Gesichtszügen, im Ausdruck und in seiner körperlichen Gestalt einzufangen. Das gelang ihm mit diesem Bildnis, und viele Betrachter waren überrascht von dem freundlichen, offenen und gepflegten jungen Mann, der ihnen hier entgegentrat. Sie hatten einen notorischen Provokateur, einen wilden Bohemien, einen Außenseiter der Gesellschaft erwartet, doch sie standen einem Menschen des gehobenen Bürgertums gegenüber. Der Kontrast zwischen Fantins Porträt und Manets Bildnissen von Astruc und Zola könnte nicht größer sein, sowohl hinsichtlich der malerischen Gestaltung als auch in Bezug auf das Bildkonzept: Statt der feinen Tonwerte und zarten Modellierungen Fantins setzte Manet harte Kontraste, starkes Helldunkel und breite, summarische Pinselstriche. In seinen Porträts machen die umgebenden Attribute dem zentralen Modell Konkurrenz: Regelrechte Stillleben, die komplexe ästhetische Botschaften vermitteln, sprechen – insbesondere im Zola-Bildnis – lautstärker zum Betrachter als die dargestellte Person. Zola berichtet, dass er sich während seiner Porträtsitzungen als reines „Objekt“
Porträt und Stillleben – Prüfsteine der Malerei
16
↓ Abb. 8 Albrecht Dürer, Melencolia I (Die Melancholie), 1514, Kupferstich, Kunsthalle Bremen – Der Kunstverein in Bremen ↘ Abb. 9 Alfred Stevens, Die Herzogin (Das blaue Kleid), 1866, Clark Art Institute, Williamstown
dem Blick des Malers ausgesetzt gefühlt habe.53 Entsprechend merkten mehrere Kritiker an, dass im Zola-Bildnis die Stillleben dominierten beziehungsweise dass Manet Menschen wie Stillleben behandele: „Sein Fehler besteht gegenwärtig in einer Art Pantheismus, der einen Schädel nicht höher achtet als einen Pantoffel; der zuweilen einem Blumenstrauß mehr Wichtigkeit beimisst als dem Antlitz einer Frau“, monierte Théophile Thoré alias W. Bürger.54 Ähnlich urteilte Paul Mantz über Manet: „Stillleben gelingen ihm ziemlich gut; zum Porträtmaler ist er dagegen weniger berufen. Im Porträt Émile Zola gilt das Hauptinteresse nicht der Persönlichkeit, sondern gewissen japanischen Zeichnungen, mit denen die Wände bedeckt sind.“ 55 Besonders hart fiel das Urteil von Odilon Redon aus (der damals noch Kritiken schrieb). Das Porträt Émile Zola war für ihn „eher ein Stillleben als der Ausdruck eines menschlichen Charakters“. Manet hätte nicht „die Schönheit des Samtes, die Möbel und Einrichtungsgegenstände sowie all die malerischen Details der Tapisserie zu malen“, sondern im Gegenteil diese überflüssigen Dinge opfern sollen, „um einen Charakter darzustellen und hervorzuheben […]. Manet, der uns hauptsächlich für Stillleben begabt zu sein scheint, sollte sich auf diese Gattung konzentrieren.“ 56 „Das Stillleben ist der Prüfstein des Malers“, soll Manet 1881 tatsächlich gesagt haben.57 Für Astruc war dagegen das Porträt die entscheidende Gattung. „Sie mögen ein großes Genie sein, Sie werden kein großer Maler im vollen Sinn des Wortes sein, wenn Ihr Werk kein einziges schönes Porträt enthält. Es ist der Prüfstein der vollkommenen und vor allem der durchdachten Werke“, schrieb er 1868 in seiner Salonbesprechung.58 Man könnte meinen, dieser Satz sei unmittelbar auf die Bildnisse von Astruc und Zola gemünzt – letzteres hing im damaligen Pariser Salon –, denn gerade der Hinweis auf die „durchdachten“ Werke scheint auf die komplexen Arrangements in diesem Bild zuzutreffen. Astruc ging es jedoch vornehmlich um die Gestaltung des Menschen: „Das Porträt muss sich durch die ausdrucksvolle Sprache der (Gesichts-)Züge offenbaren, um uns, da wir es in den Blick nehmen, seine Gedanken mitzuteilen; folglich muss es uns frappieren – und deshalb ist das Porträt das Gegenteil des ‚tableau‘, das uns nur Schritt für Schritt erlaubt, in seine schönsten Partien einzudringen.“ 59 Demnach soll das Porträt den Menschen so wiedergeben, dass dem Betrachter auf einen Schlag die Persönlichkeit des Dargestellten vor Augen steht, das heißt, es soll lebendig sein und die Person charakterisieren. Dem Künstler gelingt dies laut Astruc mit einer kraftvollen Malerei und energischen Pinselzügen, die wie die Gesichtszüge etwas vom Menschen erzählen. Man kann das in Manets Bildnis des Zacharie Astruc ausgezeichnet nachvollziehen, dessen Gesicht mit breiten Strichen in pastoser Farbe markant modelliert ist. Für Astruc, der Frans Hals und Velázquez besonders schätzte, spielte vor allem die künstlerische Gestaltung selbst eine entscheidende Rolle: „Man muss die Malerei um ihrer selbst willen lieben, in ihren materiellen Mitteln“, betonte er.60 Gerade in dieser
17
↖ Abb. 10 Hinsicht dürften ihn die Bilder Manets überzeugt haben. „Manet ist bei uns eine Ausnahme Edgar Degas, geblieben; was auch immer er macht, er wird stets die Neugier im Salon auf sich ziehen“, schrieb Der Grafiksammler, 1866, Astruc in seinem Salonbericht 1868 zum Porträt Émile Zola. „Bei dieser stürmischen Seele ist der The Metropolitan Museum of Art, gegenwärtige Augenblick nicht ohne Krisen; die Unkorrektheiten grenzen an Schönheiten ersten New York, Sammlung h. o. Havemeyer, Vermächtnis Mrs. h. o. Havemeyer, 1929 Ranges, die harten Farbtöne an exquisite Nuancen, an Färbungen, die dem Auge schmeicheln und es liebkosen. Und dann erscheint er lebendig und leidenschaftlich. Das Porträt von Émile Zola ist ↑ Abb. 11 mit großer Offenheit angepackt. Die Accessoires verleihen ihm einen echten Ausdruck von Origina Edgar Degas, lität. Der allgemeine Ton ist reizvoll; Maler werden das Wesentliche daran immer lieben.“ 61 James-Jacques-Joseph Tissot, um 1867/68, Die zahlreichen Attribute im Zola-Porträt, die von anderen Kritikern beanstandet wurden, The Metropolitan Museum of Art, betrachtete Astruc offenbar als eine besondere Qualität! Zum einen spiegelten die Verweise auf New York, Rogers Fund, 1939 die spanische und die japanische Kunst seine eigenen ästhetischen Vorlieben wider, zum anderen passte es zu seinem Konzept der Porträtmalerei, dass beredte Attribute oder die Kleidung eine dargestellte Person in ihrer Zeit charakterisieren. Astruc begrüßte diese fruchtbare Kombination der Gattungen: „Stillleben können Ideen darstellen“, schrieb er. „Indem sie sich mit einer Figur verbinden, erklären sie diese. Als Beleg genügt Albrecht Dürers Melancholie, der die Objekte eine wissenschaftliche Erscheinung verleihen.“ 62 Mit der Anhäufung von Schriftstücken, Büchern und Bildern sowie dem nachdenklich-starren Blick erscheint Manets Zola-Bildnis wie eine moderne Antwort auf Dürers Allegorie, die den kreativen Geist und zugleich die Bürde des Schöpferischen verkörpert (Abb. 8). Mit der Aufwertung des Porträts wandte sich Astruc gegen die akademische Konvention von der Hierarchie der Gattungen, in der Stillleben und Porträts weit unter den am höchsten geschätzten Historienbildern rangierten. Er lehnte grundsätzlich die Trennung der Gattungen ab und formulierte damit einen Standpunkt, den die jungen, unabhängigen Künstler der 1860er Jahre wie auch die späteren Impressionisten teilten: „Die Gattungen vermischen sich mehr und mehr“, schrieb er. „Es gibt heutzutage keinen Geist, der nicht der alten Klassifikation entflieht und sich nicht der Position in der etablierten Ordnung der Kompositionen verweigert.“ 63 So enthielt Astrucs Porträtkonzept wichtige moderne Ansätze, ohne dass er je eine umfassende Theorie entwickelt hätte. Vielmehr formulierte er seine Ansichten an unterschiedlichen Stellen in seinen Salonkritiken und war offen für so verschiedene Porträtauffassungen wie jene von Fantin-Latour und Manet.
18
Die Bildnisse von Zacharie Astruc und Émile Zola sind einzigartig in Manets Œuvre. Nie wieder setzte er in einem Porträt einen so dominanten „Apparat“ von Attributen ein.64 Als er diese beiden Bilder malte, beschäftigten sich aber auch andere Künstlerkollegen mit der Frage des Porträts und dessen Inszenierung. Werke von Edgar Degas und Alfred Stevens, die gleichfalls zwischen 1866 und 1868 entstanden, machen deutlich, dass die Künstler im gegenseitigen Austausch standen und auf die Arbeit ihrer Freunde reagierten, wobei natürlich ein gewisser Wettbewerb im Spiel war.65 So malte Degas, mit dem Manet seit Mitte der 1860er Jahre näher befreundet war,66 1866 den Grafiksammler (Abb. 10). Zwischen den Mappen und Büchern mit französischen Blumenaquarellen sowie einer Vitrine mit einer chinesischen Pferdestatuette, die den Dargestellten umgeben, und insbesondere mit der Pinnwand im Hintergrund nimmt die Komposition wichtige Elemente aus dem Porträt Émile Zola vorweg. Reproduktionen wie Druckgrafik und Fotografien spielten im Austausch von Sammlern und Künstlern eine bedeutende Rolle. Dies gilt nicht nur für Manet, der seine Werke schon damals durch Fotografen wie Anatole Godet (vgl. Kat. 23) und später Fernand Lochard dokumentieren ließ, sondern beispielsweise auch für Fantin-Latour: In seinem Briefwechsel mit dem deutschen Künstlerfreund Otto Scholderer ist sehr häufig von Fotografien nach Werken alter Meister oder eigenen aktuellen Arbeiten die Rede, die sie einander schickten und gegenseitig kommentierten.67 Eine inszenierte Fotografie Fantins in seinem Atelier entspricht im Grunde dem Bildkonzept des Zola-Porträts und veranschaulicht die Präsenz von Fotografien der Werke alter Meister – hier Tizians und Correggios – im Atelier, in dem sie ein hyperimage bildeten, das beliebig neu zusammengestellt werden konnte (Abb. 12).68 Den Künstler James Tissot, der auch mit Manet und Astruc befreundet war, inszenierte Degas vor einem ähnlichen hyperimage.69 In einem großen Bildnis von circa 1867/68 lässt er ihn vor einer Kopie nach dem 1532 entstandenen Porträt Friedrichs des Weisen von Lucas Cranach d. Ä. aus dem Louvre posieren; darüber hängt die Darstellung einer japanischen Szene, und hinter der Staffelei rechts befindet sich vermutlich eine venezianische Malerei des 16. oder 17. Jahrhunderts (Abb. 11).70 Tissot sitzt jedoch nicht in seinem eigenen Atelier, sondern ist durch Spazierstock, Hut und Mantel als Besucher ausgewiesen. Die Werke im Hintergrund repräsentieren demnach zwar nicht seine persönliche Auswahl, sie entsprachen aber dennoch seinen ästhetischen Vorlieben und Inspirationsquellen sowie jenen der anderen Künstler im Kreis um Degas und Manet. Auch Alfred Stevens, ein Freund von Manet und gut bekannt mit Astruc,71 malte Figuren in reich ausgestatteten Interieurs. Die Komposition seines Gemäldes Die Herzogin (Das blaue Kleid) von 1866 weist durch den japanischen Stellschirm links und den Blick in den Raum rechts, in dem Bücher und eine Schale auf einem Tisch arrangiert sind, deutliche Parallelen zu Manets Bildnissen von Zacharie Astruc und Émile Zola auf (Abb. 9).72 Stevens beabsichtigte jedoch nicht, ein Porträt
Abb. 12 Anonym, Fantin-Latour im Atelier, 1897–1904, Fotografie, Bibliothèque nationale de France, Paris, Département des estampes et de la photographie
19
anzufertigen, sondern er war auf weibliche Genrefiguren in Interieurs spezialisiert. Das Ambiente charakterisiert hier die Frau nicht als Intellektuelle, Dichterin oder Sammlerin, sondern als elegante, modebewusste Angehörige der Oberschicht mit erlesenem Geschmack, die müßig ihren Gedanken nachhängt. Im Unterschied zu Manets großen, mit breitem Strich gemalten Porträts legte Stevens sein Werk im kleinen Format an und gestaltete es mit feinem Pinsel wie ein kostbares Schmuckstück. Nicht nur bei Manet, Degas und Stevens ist ein Verschwimmen der künstlerischen Gattungen zu beobachten. Auch Fantin-Latour, der sich auf Porträts und Blumenstillleben spezialisiert hatte, kombinierte diese bisweilen. In seine Gruppenbildnisse fügte er beispielsweise Blumensträuße, Bilder oder kunstgewerbliche Gegenstände ein.73 Das gilt auch für das Werk Ein Atelier im Batignolles-Viertel (Abb. 13), in dem links ein Tisch mit einem solchen Arrangement aufgebaut ist. Dort befinden sich der Gipsabguss einer Athena-Statue, ein Gefäß des Künstlers Laurent Bouvier im japonisierenden Stil und ein Lacktablett. Die Staffelei mit der aufgespannten Leinwand fügt sich als weiterer Gegenstand in diese Gruppe „toter“ Objekte ein und fungiert zugleich als Brücke zu den acht Männern, die das Hauptmotiv bilden. Fantin zeigt Manet, der dabei ist, Astruc zu porträtieren: Der Blick des Künstlers ist auf sein Modell gerichtet, während er bereits den Pinsel ansetzt. Folglich muss auf der Staffelei jenes Bildnis Astrucs stehen, das Manet 1866 gemalt hatte und das sich heute in der Kunsthalle Bremen befindet (Abb. 1). Sogar der Sessel, auf dem Astruc posiert, hat Ähnlichkeit mit Manets Porträtstuhl. Fantin hatte die Staffelei mit dem Bild in einer vorbereitenden Ölskizze zunächst so ausgerichtet, dass der Betrachter ein wenig von der Vorderseite des Werkes erkennen konnte (Abb. S. 200). In der endgültigen Fassung drehte er sie jedoch, sodass die Leinwand nur von hinten zu sehen ist. Nicht das Porträt Astrucs sollte offenbar im Mittelpunkt stehen, sondern Manet selbst im Akt des Malens. Dabei ist er zwischen seinen bevorzugten Motiven platziert: dem Stillleben und der menschlichen Figur, der er sich ausdrücklich zuwendet. Ähnlich wie Manet seine Modelle im eigenen Atelier in Szene setzte, baute Fantin diese Komposition in seinem Atelier mit den eigenen Requisiten auf.74 Daher mag das Format des Gemäldes auf der Staffelei nicht exakt den Dimensionen des realen Astruc-Porträts entsprechen. Trotzdem verleiht Fantin mit dieser Darstellung der Modellsitzung dem Bildnis Astrucs einen besonderen Status, denn in dem Porträt waren bereits jene programmatischen Aspekte formuliert, die auch in Fantins Gruppenbildnis enthalten sind: So verbindet bereits das Astruc-Porträt Figuren und Stillleben und führt die wichtigsten Inspirationsquellen von Manet, Fantin und Astruc zusammen: Spanien, Japan sowie die italienischen und holländischen alten Meister. Die Männer, die sich im Atelier im Batignolles-Viertel versammelt haben, wurden schon von den Zeitgenossen als eine Gruppe fortschrittlicher Künstler verstanden, die den akademischen Regeln kritisch gegenüberstanden. Seit seinem Erfolg mit dem Spanischen Sänger (Le Guitarrero) (Kat. 1) im Salon von 1861 war Manet stillschweigend zum Mittelpunkt eines Kreises geworden, der sich zunächst im Café de Bade und dann im Café Guerbois traf.75 Fantin und Astruc gehörten von Anfang an dazu und waren freundschaftlich fest mit Manet verbunden. Der deutsche Maler Otto Scholderer, der in dem Gruppenbild links hinter Manet steht, zählte zu den vertrautesten Freunden Fantins. Die außerdem wiedergegebenen Pierre-Auguste Renoir, Monet, Frédéric Bazille und sein enger Freund, der Musiker und Kunstliebhaber Edmond Maître, waren dagegen etwas jünger und stießen erst ein wenig später zu der Gruppe im Café Guerbois, ähnlich wie Zola, der unmittelbar hinter Astruc steht. Er blickt als Einziger nach rechts aus dem Bild und scheint dadurch von den übrigen distanziert zu sein.76 Auch einige andere hätten in Fantins Gruppenbild gepasst. So wollte der Künstler ursprünglich seinen englischen Freund und Unterstützer Edwin Edwards sowie den Kritiker Edmond Duranty porträtieren. In seinen Skizzen waren sie eingeplant (vgl. auch hierzu Abb. S. 200).77 Doch Edwards konnte nicht aus London anreisen, und mit Duranty hatten sich seit einiger Zeit Spannungen entwickelt, die am 20. Februar 1870 bei einem Streit mit Manet eskalierten, der drei Tage später in einem Duell ausgetragen wurde.78 Den Platz Durantys nahm daraufhin Renoir ein: Obwohl Fantin in seinem Gruppenbild den Eindruck einer eingeschworenen, homogenen Künstlergemeinschaft erweckt, zeigt dieser Vorfall, welche Spannungen und Konkurrenz zugleich herrschten. Dies scheint auch in der seltsam kommunikationslosen Stille zum Ausdruck zu kommen.79
Gruppenbilder – Netzwerke im Bild
20
↓ Abb. 13 Henri Fantin-Latour, Ein Atelier im Batignolles-Viertel, 1870, Musée d’Orsay, Paris (Kat. 27) ↘ Abb. 14 Bertall, „Die göttliche Schule von Manet, religiöses Gemäde von Fantin-Latour“, in: Le Journal amusant vom 21. Mai 1870
Insgesamt wird deutlich, dass bei der Personenauswahl neben dem programmatischen Bildkonzept vor allem die persönliche, freundschaftliche Bindung zwischen dem Maler Fantin und seinen Modellen entscheidend war und dass darüber hinaus schlicht die praktische Verfügbarkeit eine Rolle spielte. Er selbst bezeichnete sein Werk 1870 als ein „Treffen von Freunden“.80 Wie Manet, den Fantin besonders verehrte, gehörte auch Astruc seinem engsten, vertrauten Kreis an. Astruc (wie Manet) hatte Fantin bereits 1865 in seinem Gruppenbildnis Der Toast! dargestellt (vgl. Kat. 26), und in Fantins erstem Gruppenbildnis, Hommage an Delacroix von 1864 (Abb. S. 198), fehlt Astruc wahrscheinlich nur deshalb, weil er sich während der Entstehung des Bildes auf einer langen Spanienreise befand.81 Immer wieder hatte sich Astruc in seinen Salonkritiken für Manet und Fantin eingesetzt,82 aber auch mit den anderen Künstlern des Ateliers im Batignolles-Viertel war Astruc ausgezeichnet vernetzt. Mit Monet verband ihn eine persönliche Freundschaft, die durch Bildertausch untermauert war.83 Angeblich soll er 1866 Monet und Manet miteinander bekannt gemacht haben.84 Er hatte über Monets Camille geschrieben, Renoirs Lise im Salon 1868 gewürdigt und verfasste 1870 eine begeisterte Salonkritik über Bazilles Sommerszene (Badende).85 Bazille malte 1870 – inspiriert von Fantins Gruppenbild – selbst eine Atelierszene: Das Atelier in der Rue la Condamine (Abb. 15), das sich gleichfalls im Batignolles-Viertel befand. Sein Werk belegt die Verbindungen Manets und Astrucs zu dem Kreis der zukünftigen Impressionisten: Er habe Freude daran gehabt, sein Atelier „mit seinen Freunden darin“ zu malen, berichtete Bazille seinen Eltern.86 Sein Atelier schildert er als Arbeitsraum (mit Staffelei am Fenster und der Palette an der Wand), zugleich aber als sozialen Ort, an dem sich die Freunde treffen und austauschen. Diese beiden Funktionen hatte auch Manets Atelier in der Rue Guyot,87 das in Fantins Gruppenbildnis beschworen wird. Doch Fantin inszenierte die Zusammenkunft der Freunde in dunklen Anzügen ziemlich formell, in der klassischen Tradition eines niederländischen Gruppenporträts. Bazille gestaltete sein Atelier in der Rue la Condamine gänzlich anders: als lichtdurchflutetes, modernes Interieur, in dem sich die Personen wie in einem Genrebild ungezwungen bewegen. Locker im Raum verteilt sieht man rechts Edmond Maître am Piano; Monet wendet sich von der Treppe herab an den darunter sitzenden Renoir. Bazille steht mit der Palette in der Hand bei seiner Staffelei und diskutiert mit Manet, neben dem Astruc konzentriert das Bild betrachtet.88 In seinem Salonbericht von 1870 besprach er nicht nur Bazilles Sommerszene (Badende), sondern er erwähnte darin auch das Bild Blick auf die Stadt, das hier auf der Staffelei dargestellt ist.89 Mit Bazilles Atelierbild, das zugleich ein Gruppenporträt ist, kündigt sich eine neue, helle Malerei des modernen Lebens an, die die Impressionisten im kommenden Jahrzehnt insbesondere in der Gattung der Landschaftsmalerei weiterentwickelten (und von deren Impulsen Manet nicht unberührt blieb). Diese zukünftige Malerei wird in Fantins Gruppenbild durch Bazille, Renoir und Monet repräsentiert, daher hat man es auch als frühes Manifest der Impressionisten gelesen. Bezüglich Komposition, Licht und Farbe und mit der klaren Referenz auf die Malerei der alten Niederländer ist