MISSION RIMINI
Stefan Roller und Harald Theiss (Hg.)
MISSION RIMINI MATERIAL GESCHICHTE RESTAURIERUNG DER RIMINI-ALTAR
Die Publikation wurde gefördert durch die Ernst von Siemens Kunststiftung wie auch das Restaurierungsprojekt zum Rimini-Altar im Rahmen der Initiative »Kunst auf Lager«
„Logo EvSK“ + „Logo Kunst auf Lager“
Die Alabaster-Rekonstruktion wurde unterstützt von
„Logo Städelscher Museums-Verein“ Die Ausstellung wird gefördert durch
„Logo Kulturfunds“
INHALT
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Grußwort
Er n s t vo n Si e me n s Kun s ts ti f tun g
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Grußwort
Kul tur fo n ds Fr a n k fur t Rh e i n M a i n
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Vorwort
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Eine »künstlerische Sehenswürdigkeit von einzigartigem Reiz und imposantem Eindruck«
P h i l i pp D e ma n dt
Der Ankauf des Rimini-Altars im Jahr 1913 Ir i s Sc h me i s s e r
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Der Rimini-Altar Meisterwerk in Alabaster Ste fa n Ro l l e r
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Die sozialen Netzwerke Brügger Bildhauer Jo a n n e s va n d e n M a ag d e n b e rg
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Der Rimini-Altar im Detail
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Alabaster Das Material der Rimini-Werkstatt und seine Herkunft Wo l fr a m K l o ppma n n
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Material und Werktechnik Kunsttechnologischer Befund des Rimini-Altars – Experimente zur Bildhauertechnik – Studien zur Oberflächenveredelung und Polychromie mittelalterlicher Alabasterskulpturen Mi gue l G o n z á l ez de Q ueve do Ib á ñ ez, T h o ma s Hi l d e n b r a n d , H ar ald Th ei s s
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»Der Alabaster will aber etwas anders behandelt seyn …« Die Konservierung und Restaurierung des Rimini-Altars Ha r a l d T h e i s s , Mi gue l G o n z á l ez de Q ueve do Ib á ñ ez
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Literatur
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Register
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Impressum
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Bildnachweis
GRUSSWORT
»Der Riminialtar und seine Skulpturen sehen jetzt so richtig … aus«, soll ich schreiben. Kurator und Restauratoren im Liebieghaus sind so begeistert, dass sie zu nicht grußwort geeignetem Vokabular raten. Was ist passiert? Seit 2017 hat die Ernst von Siemens Kunststiftung ein umfangreiches Projekt zur Erfor schung und Restaurierung des Rimini-Altars im Frankfurter Liebieghaus unterstützt. Der um 1430 gefertigte Alabasteraltar ist mit seiner überragenden Qualität eines der Hauptwerke der Mittelalterabteilung. Aber was wir bislang gesehen haben, konnte nur eine Ahnung von dessen ursprünglichem Erscheinungsbild vermitteln. Dass im Museum Mitte der 1970erJahre das Kreuz entgegen aller technologischen Befunde verlängert und verbreitert wurde, was dessen Wirkung stark veränderte, ist eines der zahlreichen Forschungsergebnisse der letzten Jahre und führte nun zur Rückführung auf den ursprünglichen Zustand. Am spekta kulärsten ist jedoch die Auseinandersetzung mit dem Material der Skulpturengruppe selbst. Alabaster ist eine Art Gips, vom Erscheinungsbild dem Marmor zwar ähnlich, aber sehr viel weicher und daher leichter zu bearbeiten – aber auch leichter zu beschädigen, zudem extrem anfällig für Verschmutzung. Die optische Qualität des hier verwendeten strahlend weißen, fein geäderten, eher matt wirkenden Alabasters war unter speckigem Schmutz, Ruß und dem hinterlassenen Hautfett seiner Bewunderer verborgen. Die Restauratoren haben diese verunklärende Schmutzschicht mit modernster Technik schonend und sorgfältig entfernt, haben bislang vereinzelt angewandte Reinigungsmethoden weiterentwickelt, verfeinert, per fektioniert und dabei restauratorisches Neuland betreten. Davon werden Kolleginnen und Kollegen weltweit profitieren. Denn bei der Restaurierung von Alabasterwerken fehlt es zumeist an Erfahrung und Verständnis für die Besonderheiten des heiklen Materials. Des halb hat sich die Frankfurter Restaurierung, die den Bestand gesichert und zudem die Ge fahr möglicher Folgeschäden alter Restaurierungsarbeiten gebannt hat, über die Jahre auch zu einem international rezipierten Forschungsprojekt entwickelt, das zu neuen technologi schen, restauratorischen und kunsthistorischen Erkenntnissen geführt hat. Der vorliegende Band, dessen Druck die EvSK natürlich auch unterstützt, hält diese Forschungsergebnisse auf Dauer fest; zudem dokumentiert er den bisweilen recht beschwerlichen Weg, auf dem man zu diesen Erkenntnissen im internationalen Austausch gelangt ist. Die grandiosen Fotos zeigen die Bildwerke in ihrer wiedergewonnenen weißen Pracht, die endlich eine Vor stellung von der Schönheit des Materials vermitteln. Nach »White Wedding«, dem Erwerb der Elfenbeinsammlung Winkler im Liebieghaus nun »White reloaded« beim Rimini-Altar.
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Die Ernst von Siemens Kunststiftung ist stolz, solche international wegweisenden Pro jekte zu ermöglichen. Neben den mehr im Fokus stehenden Ankaufsförderungen hat sich die Unterstützung von Restaurierungen zu einem Schwerpunkt der Stiftungsarbeit entwi ckelt – leider, wie man sagen muss, sehen sich die Häuser doch oftmals gezwungen, gerade im Bereich der Restaurierung zu sparen. Die Förderung von Restaurierungsmaßnahmen wäre bestimmt im Sinne unseres unternehmerisch denkenden Gründers gewesen, nicht zuletzt weil in den mitunter vernachlässigten Sammlungstücken aufregende Forschungs erkenntnisse, versteckte Qualitäten und Schönheiten schlummern. Die aufwendige Restaurierung des Rimini-Altars war ein Projekt im Rahmen der Initi ative KUNST AUF LAGER, mit der 14 öffentliche und private Förderer die deutschen Museen bei Restaurierungen und anderen notwendigen Maßnahmen in den Depots unter stützten. Aber auch nach dem Auslaufen der Förderinitiative, die ja nicht die fehlenden Mittel der Träger auf Dauer kompensieren wollte, sondern auf Chancen und Möglichkeiten bei der Beschäftigung mit den Museumsdepots hinwies, fördert die Ernst von Siemens Kunststiftung weiterhin Restaurierungen, so etwa die Restaurierungen von im Zweiten Weltkrieg beschädigten Renaissanceskulpturen in Berlin und Moskau, in jüngster Zeit aber auch mit der kurzfristig aufgelegten »Corona-Förderlinie«. Letztere unterstützt aktuell etwa 200 kleinere Aufträge, die von den besonders von der Pandemie betroffenen freiberuflichen Restauratorinnen und Restauratoren für Museen ausgeführt werden – einige davon auch in Frankfurt. Aus Stiftungsmitteln und Spenden stehen dafür schon seit März 2020 2,75 Mio. Euro zur Verfügung. Die Kreuzigungsgruppe des Rimini-Meisters ist ein Highlight unter den seit Stiftungs gründung ermöglichten Restaurierungen, und ich danke Harald Theiss, Miguel González de Quevedo Ibañez und Stefan Roller für ihre sorgfältige und leidenschaftliche Arbeit, dafür, dass sie dem Leser die Möglichkeit eröffnen, hinter die Kulissen dieser Arbeit zu blicken, und last, not least, zur Freude aller zukünftigen Besucher, für das erzielte großartige Ergebnis.
M a r t in H o er n e s G en er a ls ek re t är de r Ern st vo n Si e m e n s Kun ststiftun g
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GRUSSWORT
Nur selten stehen Kunstwerke aus Alabaster im Fokus einer Ausstellung. Dem Laien ist dieser ästhetisch und künstlerisch so ungemein reizvolle Werkstoff daher kaum ein Begriff, obwohl er seit der Antike zum materiellen Repertoire der Bildhauerei gehört. Umso bemer kenswerter ist das neue Projekt der Liebieghaus Skulpturensammlung, in dessen Zentrum der sogenannte Rimini-Altar steht, eines der größten und qualitätvollsten mittelalterlichen Figurenensembles aus Alabaster in Museumsbesitz weltweit. Die um 1430 wohl in den südlichen Niederlanden von einer die damalige Alabasterpro duktion maßgeblich prägenden Werkstatt geschaffene Figurengruppe, bestehend aus den zwölf Aposteln und einer von ihnen flankierten figurenreichen Kreuzigungsszene, wurde ausgiebig technologisch untersucht und anschließend aufwendig konserviert und auf dem Stand allerneuester Technik restauriert. Nun präsentiert sich dieses lange vermisste Haupt werk der Mittelaltersammlung und eines der international renommiertesten Objekte des Museums wieder der Öffentlichkeit. Alabaster wird aufgrund seiner optischen Ähnlichkeit mit weißem Marmor allzu oft vollkommen falsch eingeschätzt – mit fatalen Folgen. Denn er unterscheidet sich von die sem nicht nur in seinen Bearbeitungsmöglichkeiten, sondern auch in seiner Beschaffenheit ganz erheblich. Das Gestein ist viel weicher, kann daher weitaus feiner und detaillierter be arbeitet werden. Ein immenser Vorteil für den Bildhauer, der sich bei den Figuren des Rimini-Altars in der virtuosen Feinbehandlung und faszinierenden Detailverliebtheit ä ußert. Das als eine edle Variante des Gipses auftretende Material reagiert aber auch extrem auf Hitze und Feuchtigkeit. Das macht Alabasterfiguren nicht nur für eine Außenaufstellung untauglich. Es führt bei Restaurierungen auch allzu oft zu massiven Schäden, wenn man etwa bei der Oberflächenreinigung auf die zumeist aus Unkenntnis angewandten altge wohnten Methoden der Steinbehandlung zurückgreift. Da es an weitreichender Erfahrung fehlte, waren aufwendige praktische Versuche im Vorfeld der Restaurierung notwendig, um das besondere Material und seine Reaktionen auf unterschiedliche restauratorische Behandlungen kennenzulernen und daraus die optimale Vorgehensweise zu entwickeln. Die sich im Laufe der Zeit ergebenden Fragen gaben Anlass zu weiterer intensiver technologischer und kunsthistorischer Forschung. Was so lapidar an mutet, war de facto ein umfangreiches Forschungsprojekt, bei dem sich die internationale Vernetzung des Liebieghauses wieder einmal gebührend auszahlte und grundlegend neue Erkenntnisse und Ergebnisse zeitigte.
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Die Ausstellung, in deren Zentrum nun das frisch restaurierte Figurenensemble des Rimini-Altars im Liebieghaus präsentiert wird, vermittelt spannend und anschaulich einen Einblick in die Komplexität dieser mehrjährigen Arbeit und in die neue Standards setzende Restaurierung mit all ihren Herausforderungen und ungewöhnlichen Lösungsansätzen auf dem Weg zum »neuen« Erscheinungsbild dieser beeindruckenden Skulpturen, bei dem es sich um einen Zustand handelt, der erstmals seit Jahrhunderten wieder eine Vorstellung von der sehr edlen ursprünglichen, also der »alten« Materialwirkung ermöglicht. Der Kulturfonds Frankfurt RheinMain hat in den vergangenen Jahren mehrfach und gerne Ausstellungen des Liebieghauses unterstützt, etwa die internationale Aufmerksamkeit erregenden Schauen »Niclaus Gerhaert. Der Bildhauer des späten Mittelalters«, 2011, oder die »Die große Illusion. Veristische Skulpturen und ihre Techniken«, 2014, um nur zwei Beispiele herauszugreifen. Und wir freuen uns, mit der »MISSION RIMINI – Material, Geschichte, Restaurierung. Der Rimini-Altar« erneut ein Projekt zu fördern, dessen lobens werter Anspruch es ist, wissenschaftliche Forschung mit kultureller Nachhaltigkeit und In ternationalität zu verbinden. Solche Ausstellungen strahlen weit über die Grenzen hinaus und betonen ganz im Sinne des Kulturfonds die Bedeutung der Rhein-Main-Region.
Ka r in Wo lff Ku ltu r fo nd s Fran kfu r t R h e i n Mai n
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VORWORT
Vor 100 Jahren erschien Georg Swarzenskis Aufsatz Deutsche Alabasterplastik des 15. Jahrhun derts, mit dem er seine langjährige Beschäftigung mit diesem Thema krönte. Sein Essay hat bis heute nichts an wissenschaftlicher Bedeutung verloren. Anlass war die Erwerbung des Rimini-Altars im Jahr 1913, eines der größten und qualitätvollsten mittelalterlichen Skulptu renensembles aus Alabaster in Museumsbesitz, dessen kunsthistorische Bedeutung der Gründungsdirektor des Liebieghauses sofort erkannte, als es im römischen Kunsthandel auftauchte. Ohne Swarzenskis Sachverstand und Hartnäckigkeit wären diese beeindrucken den Bildwerke, die entscheidend zum internationalen Renommee des Liebieghauses beitra gen, wohl kaum in ihrer Gesamtheit für die Frankfurter Sammlung gesichert worden. Es ist nun ein zufälliges, aber umso glücklicheres Zusammentreffen, wenn das Er scheinungsjubiläum dieses Aufsatzes mit dem Abschluss der Restaurierungsarbeiten an diesem Hauptstück der Liebieghaus-Sammlungen und seiner Wiederaufstellung in den Museumsräumen zusammenfällt. Weit mehr als vier Jahre sind ins Land gegangen, seit die figurenreiche Kreuzigung und die sie flankierenden zwölf Apostel aus konservatorischen Gründen aus der Galerie genommen werden mussten. Zahlreiche substanzielle Eingriffe, vor allem aber grundlegende Veränderungen am Kruzifix in den 1970er-Jahren und daraus resultierende konservatorische Probleme machten diesen Schritt erforderlich. Sie zwangen zu einer umfangreichen Restaurierung, die auch die dringend notwendige Reinigung der Skulpturen miteinschloss. Nun sind aber ein schlüssiges restauratorisches Konzept und seine professionelle Umset zung zwei Paar Stiefel, zumal bei einem Material, über dessen Eigenschaften viel zu wenig bekannt ist. So erwiesen sich die Besonderheiten des Alabasters rasch als Probleme, die zu nächst einmal umfangreiche praktische Versuche mit dem Material erforderten, um die ge eignete Vorgehensweise bei der Realisierung der notwendigen restauratorischen Maßnah men zu bestimmen. Dank großzügiger finanzieller Unterstützung, vor allem der Ernst von Siemens Kunststiftung, konnten diese für das Gelingen fundamentalen Vorarbeiten in einem adäquaten Rahmen durchgeführt werden. Vor allem die Reinigung des ungemein heiklen Alabasters bereitete ernsthafte Probleme, da sich aufgrund seiner extremen Wasser empfindlichkeit alle konventionellen Methoden als nicht anwendbar erwiesen. Dass am Ende ein Prozess stand, der neue Maßstäbe für die zukünftige Reinigung von Alabaster setzt, beruhte neben den erfreulicherweise ausreichend zur Verfügung stehenden Faktoren Geld und Zeit auch auf der uneigennützigen Hilfe zahlreicher Kolleginnen und Kollegen; stell vertretend genannt sei hier Sonia Tortajada Hernando vom Museo Nacional del Prado in Madrid. Auf ihren langjährigen Vorarbeiten und Erfahrungen aufbauend, konnten im 11
intensiven Austausch und mithilfe zahlreicher praktischer Versuche vorhandene Techniken verbessert und damit neue konservatorische Standards entwickelt werden. Verantwortlich für den Erfolg dieser Restaurierung, die rasch zu einem veritablen For schungsprojekt gedieh, waren aber ganz wesentlich die beiden Restauratoren des Liebieg hauses, Harald Theiss und Miguel González de Quevedo Ibañez, die der anfänglich in ihrem Umfang nicht abzuschätzenden Herausforderung unerschrocken begegneten und sich mit großer Ausdauer, neugierigem Forschergeist, methodischem Mut und professionellem Können allen Schwierigkeiten stellten, nach Lösungen suchten – und diese auch fanden. Für ihre bravouröse Arbeit sei Ihnen an dieser Stelle herzlichst gedankt! Fleiß, Qualifikation und Professionalität sind sicherlich überaus wichtig, aber ein biss chen Glück gehört auch dazu. So war es mehr als ein Zufall, dass im Rahmen eines For schungsprojektes zu den frühen französischen Alabasterskulpturen Sophie Jugie und PierreYves Le-Pogam vom Musée du Louvre in Paris sowie Wolfram Kloppmann mit seinem Team vom Bureau de Recherches Géologiques et Minières in Orléans sich mit der Bitte an unser Haus wandten, kleine Materialproben vom Rimini-Altar nehmen zu dürfen, um über eine Isotopenmessung die regionale Herkunft des Alabasters bestimmen zu können. Dieses Thema hatte unser Team damals selbst schon längere Zeit beschäftigt und wir erhielten nun auf diese glückliche Weise Antwort auf alle Fragen. Diese Kooperation machte es schließlich auch möglich, dass der Bildhauer Thomas Hil denbrand, Ilshofen, aus dem authentischen Rimini-Alabaster auf experimentellem Weg den gesamten Herstellungsprozess eines unserer Apostel rekonstruieren konnte. Die Kosten hierfür übernahm freundlicherweise der Städelsche Museums-Verein e.V. Dadurch ergaben sich nicht nur wichtige Erkenntnisse zu den Arbeitsmethoden mittelalterlicher Alabasterschnitzer, son dern auch Möglichkeiten zu weiteren praktischen Versuchen, in denen unsere Restauratoren das Oberflächenfinish mittelalterlicher Alabasterbildwerke erforschten. Was die beiden hier zu Materialität und Wirkung von Überzügen und zu Gestalt und Beschaffenheit polychromer Fassung erarbeiten konnten, ist von grundlegender Bedeutung für die weitere Forschung. Die Beantwortung der sich aus der Restaurierung ergebenden kunsthistorischen Fragen und die kritische Aufarbeitung des erhaltenen Bestandes an Alabasterskulpturen aus dem Kreis des Rimini-Altars übernahm Stefan Roller, Kurator am Liebieghaus. Die Internationa lität und die beeindruckende Zahl der Denkmäler machten eine Inaugenscheinnahme leider nur in wenigen Fällen möglich, zumal während der Pandemie seit 2020. Unser herzlicher Dank geht daher an die vielen Kolleginnen und Kollegen weltweit, ohne deren wohlwol lende und oftmals aufopfernde Hilfe, diese Arbeit nicht gelungen wäre. Auch unter er 12
schwerten Corona-Bedingungen beschafften sie technologische Fakten, Informationen und Bildmaterial. Schnell war klar, dass die gesammelten Erfahrungen und Resultate einem breiten Publi kum zur Verfügung gestellt werden mussten. Abermals war es die Ernst von Siemens Kunst stiftung, die sich bereit erklärte, die hier vorliegende Monografie zum Rimini-Altar zu finan zieren. Für die Förderung der vorausgehenden restauratorischen Maßnahmen wie auch der Publikation geht unser Dank im Besonderen an den Stiftungsrat sowie die Geschäftsfüh rung unter Dr. Martin Hoernes. Dem Deutschen Kunstverlag verdanken wir die anspre chende Gestaltung des Buches. Daneben sollte aber auch eine Ausstellung die Arbeit der letzten Jahre als didaktischoptisches Erlebnis nachvollziehbar und anschaulich machen. Der gemeinnützige Kultur fonds Frankfurt RheinMain hat die Skulpturensammlung gerade in wissenschaftlichen Vor haben, die der Öffentlichkeit vermittelt werden sollen, maßgeblich unterstützt. So sind wir dem Kulturausschuss, dem Kuratorium und der Geschäftsführung mit Karin Wolf und Dr. Julia Cloot auch für die Förderung dieses Vorhabens dankbar. Die gelungene grafische Realisierung verdanken wir dem Studio Tonique, Frankfurt. Für die professionelle Beleuch tung sorgte Stephan Zimmermann Lightsolutions, Oberursel. Den zeitlichen Anlass für Buch und Ausstellung bildet die Neupräsentation des RiminiAltars, dessen Bildwerke dem Besucher nach Abschluss der Restaurierung eine Vorstellung von der ursprünglichen edlen Materialerscheinung bieten. Um der Bedeutung des Ensem bles gerecht zu werden, entschlossen wir uns, die Bildwerke aufwendiger als in den vergan genen Jahrzehnten zu präsentieren. Wie bei Georg Swarzenskis Erstaufstellung sind sie nun in einen altarähnlichen Aufbau integriert. Er vermittelt eine Ahnung von der funktionalen Idee, welche die Produktion der Figuren leitete, und erzielt eine imposante Steigerung ihrer Wirkung. Die ersten Skizzen Stefan Rollers zu diesem Display wurden nach den genauen Plänen Daniel Dolders (Bach Dolder Architekten, Darmstadt) von Christian Dörner (Holz & Idee, Offenbach) sorgfältig realisiert. Schließlich sei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern am Liebieghaus und am Städel Museum gedankt, die mithalfen, die MISSION RIMINI zu einem so guten und erfolgrei chen Ende zu führen.
P h ilip p D eman dt Direk t o r
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Ir is Schme iss er
EINE »KÜNSTLERISCHE SEHENSWÜRDIGKEIT VON EINZIGARTIGEM REIZ UND IMPOSANTEM EINDRUCK«
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Der Ankauf des Rimini-Altars im Jahr 1913
»Im vorigen Sommer gelang der Städtischen Galerie in Frankfurt der Ankauf einer Gruppe von gotischen Skulpturen, die den plastischen Schmuck eines Kreuzigungsaltar bilden [...]. Es ist ersichtlich eines der glanzvollsten Werke aus einer an Wundern und Überraschungen besonders reichen Zeit. Der Adel seiner Erscheinung wird einen auf den ersten Blick und immer von neuem gefangen nehmen, wenn sein Gehalt auch nicht so leicht zu erschöpfen und das Rätsel seiner Entstehung sobald gewiß nicht zu lösen ist.«2 Mit euphorischer Sprache und voller Idealismus gab der Direktor der Städtischen Ga lerie Georg Swarzenski (1876–1957) |Abb. 1| die Neuerwerbung des Kreuzigungsaltars aus Rimini für die Skulpturensammlung im Liebieghaus in der kunsthistorischen Fachpresse bekannt. Der überaus bedeutende Ankauf von der Galleria Sangiorgi in Rom |Abb. 2|, für den Swarzenski sich seit Ende des Jahres 1912 engagiert hatte, gelang schließlich im Juni 1913 dank seiner starken Überzeugungskraft und seines klugen Verhandlungsgeschicks. Bis heute ist das spätgotische Skulpturenensemble aus der Klosterkirche Santa Maria delle Gra zie in Rimini das teuerste Werk, das die Stadt Frankfurt mit öffentlichen Mitteln in der Geschichte des Liebieghauses für das Museum erwarb. Das Glanzstück des anonymen Meisters wurde der Frankfurter Öffentlichkeit – nach einer aufwendigen Planung des Al taraufbaus – erstmals am Ostersonntag des Jahres 1914 in einem eigens dafür entworfenen Ausstellungsraum präsentiert.3 Über eine Laufzeit von vier Jahresraten – so hatte man es vertraglich vereinbart – sollte die Stadt Frankfurt den stattlichen Ankaufspreis in Höhe von 400 000 Goldfrancs an den italienischen Kunsthändler Giuseppe Sangiorgi (1850–1928) |Abb. 3| abzahlen. Nur wenige Monate später – die Rechnung war damals nur hälftig begli chen – brach der Erste Weltkrieg aus. Wie gelang 1913 der spektakuläre Ankauf der Alabas tergruppe aus dem 15. Jahrhundert, die sich einst in einem barocken Nischenaltar in einer Seitenkapelle von Santa Maria delle Grazie in Rimini befand, doch deren ursprüngliche Herkunft bis heute ungeklärt ist? Welche Herausforderungen hatten der Museumsdirektor und die Stadt Frankfurt dabei zu überwinden?
D I E V O R G E S C H I C H T E : G E O R G S WA R Z E N S K I U N D D E R AU F B AU E I N E R S TÄ D T I S C H E N S K U L P T U R E N S A M M LU N G
Swarzenski verfügte bereits über sehr gute Kontakte zum römischen Kunsthandel, bevor er 1906 im Alter von 30 Jahren seine Stelle als Direktor des Städelschen Kunstinstituts und der neu zu gründenden Städtischen Galerie in Frankfurt antrat. Er hatte sich zuvor durch
|Abb. 1| Porträt Georg Swarzenski.
I. Schmidt (?), Frankfurt a. M., 1912. Privatbesitz
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|Abb. 2| Galleria Sangiorgi, Rom. Domenico
Anderson. Bologna, Fondazione Federico Zeri, Inv. A2750
Studium, Auslandsaufenthalte und kuratorische Tätigkeit am Kunstgewerbemuseum in Berlin ein breites kunstgeschichtliches Wissen angeeignet. Nach seiner Promotion arbeitete er zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter an den Königlichen Museen zu Berlin. Von Oktober 1902 bis Juli 1903 war er als Assistent am Deutschen Kunsthistorischen Institut in Florenz tätig, um d anach eine Stelle als Direktorialassistent von Julius Lessing (1843–1908) am Königlichen Kunstgewerbemuseum in Berlin anzutreten.4 Daneben habilitierte er sich als Privatdozent der Kunstgeschichte bei dem bedeutenden Mediävisten Adolph Gold schmidt (1863–1944) an der dortigen Universität. Im Oktober 1907 legte Swarzenski ein Programm für die Städtische Galerie vor, das neben den Abteilungen Gegenwartskunst, Frankfurter Kunst und Kunstwissenschaft auch den Aufbau einer Sammlung alter Skulpturen vorsah.5 Für die in der Amtszeit des Frank furter Oberbürgermeisters Franz Adickes (1846–1915) erfolgte Gründung hatten zwei Ereig nisse den entscheidenden Impuls gegeben: Zum einen das Vermächtnis des Wormser Kauf manns Ludwig Josef Pfungst (1842–1905), der den Großteil seines Vermögens der Stadt Frankfurt mit der Auflage vermacht hatte, die Erträge für den Ankauf von qualitätvollen Werken zeitgenössischer Kunst zu verwenden; zum anderen hatte die Stadt Frankfurt zur Errichtung eines Kunstmuseums die Villa des Barons von Liebieg gekauft.6 Dort sollten dessen Bestände alter Skulptur untergebracht werden, die zu diesem Zweck einen eigenen Galerieanbau für die Ausstellung großformatiger Werke erhielt. Für die Finanzierung des Aufbaus der Liebieghaus-Sammlung standen städtische Mittel – Swarzenski hatte 1907 durch Umwidmung eines bereits bestehenden Fonds einen speziellen Etat für die Anschaf fung alter Skulpturen initiieren können – sowie Geldmittel aus verschiedenen anderen Stiftungen zur Verfügung.7 Anlässlich der Eröffnung der städtischen Skulpturensammlung im Herbst 1909, die in nur sehr kurzer Zeit auf fast 350 Stücke von der ägyptischen Antike bis zum Rokoko ange wachsen war,8 wurden zwei bedeutende Werke durch Frankfurter Bürger gestiftet, die sich zur »Vereinigung Frankfurter Kunstfreunde« zusammengeschlossen hatten: Die Athena des 16
IRIS SCHMEISSER
Myron und der Altar der Himmelfahrt Marias von Andrea della Robbia. Beide Werke stammten aus dem italienischen Kunsthandel und waren für insgesamt 250 000 M erworben worden. So verband die neue Skulpturensammlung die mäzenatische Tradition Frankfurter Bürgerstiftungen mit kommunalem Kunst-Engagement.9 Die Erstpräsentation der neuen städtischen Skulpturensammlung handelte Swarzenski jedoch gleich zu Beginn seiner Karriere als Museumsdirektor eine Kontroverse mit Wilhelm von Bode (1845–1929) ein, dem Generaldirektor der Berliner Museen, der dem jungen Swar zenski mangelndes kunsthistorisches Verständnis vorwarf: Die Mehrheit der Stücke seien nicht »museumswürdig«.10 Swarzenskis modernes Sammlungskonzept basierte auf einer rela tivistischen Methode, die von einem gleichberechtigen Nebeneinander sämtlicher Stilepo chen und Kulturen ausging11 und das ästhetische Erleben zu einem zentralen Kriterium der musealen Vermittlung machte.12 Sie stand Bodes idealistischer Vorstellung kunstgeschicht licher Höhepunkte und stilistischer Grenzziehungen entgegen.13 Doch gerade diese Offen heit und die Überzeugung des Primats der »künstlerischen Qualität«14 mag Swarzenski zu dem Wagnis motiviert haben, die Stadt Frankfurt für ein damals kunsthistorisch nicht er schlossenes Skulpturenwerk eines unbekannten Meisters zu begeistern und die mit hohem Risiko behaftete Finanzierung der Neuentdeckung mittels öffentlicher Gelder zu erwirken.15 Der Kauf von Kunstwerken für die städtische Sammlung oblag einer auf Beschluss des Magistrats und der Stadtverordnetenversammlung eingesetzten Ankaufskommission, die so genannte Galerie-Deputation.16 Sie bestand neben dem Oberbürgermeister (seit 1912 Georg Voigt) sowie Direktor Georg Swarzenski als künstlerischem Beirat aus sechs Mitgliedern, die sich im Frühjahr 1913, als der Ankauf des Rimini-Altars verhandelt wurde, aus dem Stadtrat Victor Mössinger und den Stadtverordneten Ludwig Bruck und Robert Flauaus, Leo Gans, Martin Flersheim und Eduard Josef Müller zusammensetzte.17 Die Entscheidung für die Fi nanzierung von Erwerbungen aus städtischen Mitteln traf – auf Vorlage der Galerie-Depu tation und des Oberbürgermeisters – der Magistrat und die Stadtverordnetenversammlung. Vom Beginn der Ankaufsverhandlungen mit Sangiorgi im Dezember 1912 bis zur Finalisie rung des Kaufvertrags im Juni 1913 vergingen mehrere Monate, sodass Swarzenski den römi schen Kunsthändler immer wieder um Geduld und erneute Konzessionen bitten musste. Hier kam Swarzenski zugute, dass er Sangiorgi bereits seit seiner Zeit als Assistent am Berliner Kunstgewerbemuseum kannte. Als er mit dem Kunsthändler die Verhandlungen über den Ankauf des Rimini-Altars begann, hatte er bereits mehrere Stücke für das Liebieg haus von ihm erworben. Die Frankfurter Museen waren offensichtlich ein so zentraler Ge schäftspartner in Deutschland, dass Sangiorgi diese in seinen internationalen Katalogen der Jahre 1910 bis 1913 erwähnte – unter anderen neben dem Metropolitan Museum of Art in New York und den Museen in Berlin und Wien.18
|Abb. 3| Porträt Giuseppe Sangiorgi.
Giacomo Balla. Aus: Giuseppe Sangiorgi, A viso aperto, Mailand 1924
DER VERKÄUFER: DER RÖMISCHE KUNSTHÄNDLER G I U S E P P E S A N G I O R G I
Der aus Massa Lombarda stammende, zuvor in Mailand ansässige Unternehmer Sangiorgi hatte seine Galerie im Jahr 1892 im Erdgeschoss der Villa Borghese gegründet |Abb. 2|.19 Auf einer großzügigen Fläche von imposanten 5000 Quadratmetern zeigte er in den repräsentati ven Räumen seine Stücke; er handelte mit alten Gemälden und Skulpturen, aber auch Möbelstücken und Kunstgewerbe und avancierte schnell zu einer der wichtigsten Adressen in Rom und zu einer Galerie von internationalem Renommee.20 Die Skulpturengruppe war E I N E » KÜ N S T L E R I S C H E S E H E N S W Ü R D I G K E I T VO N E I N Z I G A RT I G E M R E I Z «
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|Abb. 4| Santa Maria delle Grazie, Rimini-
Covignano. Unbekannter Fotograf, 1916. Rimini, Biblioteca Gambalunga, Collezione Mauri
jedoch – laut der im Städel-Archiv vorliegenden Quellen – wohl nie in den Geschäftsräumen der Villa Borghese im Rom ausgestellt, sondern befand sich in Sangiorgis privater Residenz.21 Zu seinen privaten Kunden zählten insbesondere amerikanische Sammlergrößen wie J. P. Morgan, Cornelius Vanderbilt, Isabella Stewart Gardner und William Waldorf Astor.22 Sangiorgi besaß zudem eine eigene Werkstatt, in der Auftragsreproduktionen von Kunstwer ken anfertigt wurden.23 Bis 1915 organisierte der »bedeutendste und repraesentativste Anti quar Roms«24 insgesamt 121 Auktionen.25 Darüber hinaus bediente er sich erfolgreich einer modernen Vermarktungsstrategie, indem er von seinen Werken hochwertige Fotografien anfertigen ließ, die er an seine internationalen Kunden verschickte und die selbst zu Samm lerobjekten wurden.26 Auch von der Skulpturengruppe aus Rimini ließ er Aufnahmen für Swarzenski herstellen, deren Verbleib jedoch unbekannt ist.27 Die Verbindungen der Familie Sangiorgi zur Stadt Rimini bestanden seit Jahrzehnten, was möglicherweise den Zugang des Kunsthändlers zu den Fratres des Santuarios Maria delle Grazie erleichterte. Sangiorgi besaß seit 1873 eine private Residenz in Rimini, die »Villa Anita«. Benannt war sie nach seiner Schwester Anita Sangiorgi, die 1897 dort eine Schule für textiles Gestalten, La Scuola di Arazzi e Ricami, gegründet hatte.28 Schließlich erwarb der Kunsthändler 1910 auch eine eigene Residenz für Anita in Rimini-Covignano, die Villa Alva redo.29 Sie befand sich direkt gegenüber der Kirche Santa Maria delle Grazie |Abb. 4|, sodass die Vermutung naheliegt, der Verkauf der Skulpturengruppe durch die Franziskanermönche könnte im zeitlichen Zusammenhang mit Sangiorgis Erwerbung der Villa gestanden haben.30 Bis heute ist erstaunlicherweise über die Geschichte des Rimini-Altars vor der Erwerbung durch das Liebieghaus im Jahr 1913 nur wenig bekannt.31 Belegt ist, wenn auch nur durch indirekte Dokumentation, dass Sangiorgi die Skulpturengruppe den Franziskanermönchen des Klosters abkaufte – vermutlich um 1910.32 Der unmittelbare Herkunftsort der Skulptu rengruppe wurde übrigens weder in der Erstpräsentation des Werkes im Liebieghaus noch in den frühen, zeitgenössischen Publikationen erwähnt und erschloss sich bis zu Anton Legners Publikation »Der Alabasteraltar aus Rimini« lediglich aus der Erwerbungsdokumentation im Archiv des Museums und des Frankfurter Instituts für Stadtgeschichte.33 Die Alabasterfiguren sollen sich bis zum Verkauf an Sangiorgi in einem barocken Nischenaltar der vom Eingang aus gesehen ersten Seitenkapelle der Kirche links befunden haben. Dass dies tatsächlich zu traf, davon konnten sich Swarzenski und drei weitere Mitglieder der Galerie-Deputation bei 18
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einem Besuch anlässlich der Ankaufsverhandlungen in Rimini-Covignano selbst überzeugen (siehe S. 21).34 Die Skulpturengruppe sei damals von den Mönchen veräußert worden, um notwendige Reparaturen am Dach der Kirche finanzieren zu können.35 Den Recherchen Anton Legners, der wohl ab 1968 sowohl zu dem italienischen Kunsthistoriker Mario Zuffa wie auch zu einem Ordensbruder des Santuarios Maria delle Grazie in Rimini, Tarcisio Terzi ari (Kurator des angegliederten Museums), Kontakt aufnahm, ist zu entnehmen, dass der Verkauf an Sangiorgi und damit der Verlust der Stücke tabuisiert war.36 Laut Auskunft Zuffas an Legner sei weder die Herkunft und Existenz noch die Veräußerung der Skulpturengruppe in den von ihm damals konsultierten Chroniken des Klosters erwähnt. Wann Swarzenski erstmals von der Existenz der Skulpturengruppe Kenntnis erlangte, lässt sich anhand der Überlieferungen des Städel-Archivs nicht mehr rekonstruieren. Aus einem Brief Sangiorgis vom 18. November 1912 geht jedoch hervor, dass der Museumsdirek tor zu einem bisher nicht bekannten Zeitpunkt dieses Jahres die Stücke entweder in Rom direkt in Augenschein nahm oder ihm zumindest Fotografien der Werke vorgelegt worden sein müssen.37 Sangiorgi hatte das Ensemble nur wenigen ausgewählten potenziellen Interes senten gezeigt,38 darunter auch Swarzenskis schärfster Kritiker, Wilhelm von Bode (1845– 1929), den er um eine Expertise gebeten hatte |Abb. 5|.39 Neben Swarzenski und Bode bot der Kunsthändler die Figuren dem Metropolitan Museum in New York, dem Museum of Fine Arts in Boston, aber auch amerikanischen Privatsammlern wie J. P. Morgan und Henry Goldman sowie dem Kunsthändler Paul Rosenberg in Paris an.40 An Swarzenski hatte er sich zunächst mit der Frage gerichtet, ob er einen möglichen Käufer kenne.41 Doch anstatt für Sangiorgi zu vermitteln, entschied sich der Museumsdirek tor, das immense Wagnis einzugehen, die Skulpturengruppe selbst für das Liebieghaus zu erwerben. Da es dem Kunsthändler bisher nicht gelungen war, das Ensemble zu veräußern, hatte er erwogen, Kreuzigung und Apostel separat zu verkaufen. Für Swarzenski sei er jedoch zu Sonderkonditionen bereit, um den Ankauf en bloc für ein Museum zu ermöglichen: »Im Allgemeinen ziehen die Museen vor, mit Ausnahme weniger, viele Gegenstände zu mäßigen Preisen zu kaufen […]. Da Sie nun aber von diesem allgemeinen Usus abzukom men scheinen, was sehr lobenswert, und glauben sich mit dem Ankauf meiner Crucifixion, von der ich Ihnen mitfolgend Photographie schicke befassen zu können, bin ich […] über zeugt, daß Sie sich dadurch nicht nur um Ihr geschätztes Museum verdient machen, aber das Lob sämtlicher Kunstfreunde ernten würden.«42 Hatte Sangiorgi ursprünglich vorgesehen, die Gruppe für 750 000 Lire zu verkaufen, so war er nun bereit, den Preis auf 500 000 zu reduzieren und legte Swarzenski nahe, die Mittel für die Erwerbung doch über einen »Subskriptionsfonds« zu finanzieren. Mit der Möglich keit eines Ankaufs für das Frankfurter Liebieghaus hatte er aufgrund der hohen Summe vermutlich zunächst nicht gerechnet. Auch schien ihm die wissenschaftliche Einschätzung von Experten wie Bode und Swarzenski zu dem unbekannten Meister sowie der Genese der Skulpturen in diesem Zusammenhang ebenso relevant: »Nun, unabhängig von der Möglich keit, daß Sie sich diese Gruppe für Ihr geschätztes Museum aneignen, halte ich sehr darauf, Ihre Meinung über diese Gruppe zu vernehmen, eine Frage die ich noch an andere Muse umsdirektoren und Kunstwissende, die die Gruppe gesehen haben, richten werde.«43 Wenige Wochen später hatte sich die Möglichkeit eines Ankaufs verdichtet.44 Offenbar hatte Swarzenski dem Kunsthändler als Finanzierungsmodell eine viermalige Ratenzahlung des mittlerweile geforderten Betrags in Höhe von 450 000 Lire vorgeschlagen. Sangiorgi versprach, die Gruppe bis zum 15. März für Swarzenski zu reservieren. Vereinbart wurde schließlich, dass Swarzenski im April nach Rom reisen werde, um dort mit Sangiorgi weiter E I N E » KÜ N S T L E R I S C H E S E H E N SW Ü R D I G K E I T VO N E I N Z I G A RT I G E M R E I Z «
|Abb. 5| Villa Sangiorgi in Rimini. Detail
aus dem Briefkopf eines Schreibens von Giuseppe Sangiorgi an Wilhelm von Bode vom 18. Juli 1912. Berlin, Zentralarchiv der Staatlichen Museen, Nachlass Wilhelm von Bode, Akte Sangiorgi
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zu verhandeln. Er konzentrierte sich zunächst nur auf die Kreuzigungsgruppe, für die ihm der Kunsthändler einen Preis von 300 000 Lire genannt hatte.45 Am 12. April 1913 setzte man sodann einen vorläufigen Vertrag auf.46 Dieses Provisorium sollte dem Museum ermögli chen, »die drei Hauptgruppen des ganzen Ensembles gegen Zahlung von 8 Jahresraten von je 30.000 M« zu erwerben.47 Für die übrigen 13 Figuren wurde für die Stadt »das Recht der Option bis zum Januar 1915 gegen Zahlung von 6 weiteren Jahresraten von je 20.000 M.« festgelegt.
D E R A N K AU F : D I E F I N A N Z I E RU N G D U R C H D I E S TA D T F R A N K F U RT
Nach schriftlicher Rücksprache mit dem Oberbürgermeister über das ausstehende Ange bot48 stellte Swarzenski erstmals in der Sitzung der Galerie-Deputation vom 28. April 1913 seinen Ankaufswunsch – »eine in Italien entdeckte Gruppe deutscher Marmorskulpturen aus dem Anfang des 15. Jahrh.«49 – anhand der von Sangiorgi übermittelten Fotografien vor. Es wurde festgehalten, »dass es sich um ein Werk von höchster Bedeutung handelt, dessen künstlerischer Charakter einzigartig und dessen kunstgeschichtliche Bedeutung geradezu grundlegend ist.« Solche Werke seien in den letzten Dekaden im Handel »nie vorgekom men« und würden auch »kaum je wieder auftauchen.« Eine »deutsche Skulpturengruppe von gleich entscheidender Bedeutung« befinde sich derzeit in keinem Museum. Swarzenski konnte sämtliche Mitglieder der Deputation für den Ankauf überzeugen. Man war sich einig, dass eine solche Erwerbung »für Frankfurt ein künstlerisches Ereignis ersten Ranges« bedeute und dies daher auch die hohe Summe rechtfertige, die eine »auf Jahre hinaus erfor derliche Festlegung der Mittel der Galerie« mit sich bringe. Da der Abschluss eines solchen Vertrags aber durch die Ankaufskommission »aus etat rechtlichen Gründen« nicht möglich war, musste die Genehmigung des Magistrats und der Stadtverordneten erfolgen. Man hielt zudem fest, dass in »Anbetracht der Bedeutung des Objekts« Gutachten der Professoren Rudolf Kautzsch (Breslau) und Wilhelm Pinder (Darm stadt) angefordert werden sollten und Amtsgerichtsrat Franz Rieffel ebenfalls um eine Ein schätzung gebeten werden solle.50 Zwischenzeitlich hatte der Kunsthändler Diaaufnahmen51 der Stücke für den Museums direktor anfertigen lassen, da dieser die avisierte Erwerbung »in Form eines Vortrages an der Hand von Lichtbildern«52 in einer »geheimen, gemeinsamen Sitzung von Magistrat und Stadtverordneten«53 vorstellen sollte.54 Zudem schickte die Galerie Fotografien der Stücke in Originalgröße nach Frankfurt.55 In Bezug auf das angedachte Ratenzahlungsmodell betonte Sangiorgi jedoch, dass er bereits »il massimo delle concessioni«, also maximale Zugeständ nisse eingeräumt habe.56 Nichtsdestotrotz bat Swarzenski weiterhin um Zeit und darum, den Ausgang der anberaumten Sitzung abzuwarten.57 Doch auch diese Frist verstrich. Zwar fand die angekündigte Sitzung statt und sei – so Swarzenski – bestens verlaufen, doch sei es nicht möglich, bis zum Ende des Monats zu einer Entscheidung zu kommen, da einige Passagen des vorläufigen Vertrages überarbeitet werden müssten.58 Laut Magistratsbeschluss vom 30. Mai 1913 war auf Basis des vorläufigen Vertrages zunächst die folgende Finanzierung be schlossen worden: »Die Galerie-Deputation wird zum Ankauf der durch mündlichen Vor trag des Dr. Swarzenski vom 27. Mai 1913 gekennzeichneten Skulpturen zum Preise von höchstens 450.000 Francs (360.000 M) ermächtigt.«59 Zwar sollte der ausstehende Kaufpreis durch den »Fonds für Gewerbe, Kunst und Wissenschaft geschaffenen Etatsposition ›An 20
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