Katharine Stahlbuhk
Oltre il colore
ITALIENISCHE FORSCHUNGEN des Kunsthistorischen Instituts in Florenz Max-Planck-Institut Herausgegeben von Alessandro Nova und Gerhard Wolf VIERTE FOLGE BAND XIII
Katharine Stahlbuhk
Oltre il colore Die farbreduzierte Wandmalerei zwischen Humilitas und Observanzreformen
In memoria dei nonni
Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsfonds Wissenschaft der VG WORT
Layout: Barbara Criée, Berlin Umschlaggestaltung: Angelika Bardou, Berlin Satz: Edgar Endl, bookwise medienproduktion gmbh, München Reproduktionen: Lanarepro, Lana (Südtirol) Druck und Bindung: Beltz Grafische Betriebe GmbH, Bad Langensalza Verlag: Deutscher Kunstverlag GmbH Berlin München Lützowstraße 33 10785 Berlin www.deutscherkunstverlag.de Ein Unternehmen der Walter de Gruyter GmbH Berlin Boston www.degruyter.com Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2021 Deutscher Kunstverlag GmbH Berlin München ISBN 978-3-422-98194-2
Inhalt Teil 1 »[D]i verde terra dipinse, di chiaro e scuro«. Eine Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
3 Zu den grünen Räumen. Farbsemantische und technische Aspekte der Grünmonochrommalerei . . . . . . . . . . . . . . 95 9
1 Reduzierte Farbigkeit. Monochrome Darstellungsweisen im 14. und 15. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . 25 1.1 Begrifflichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1.2 Monochrome Wandmalerei bis 1350 . . . . . . . . . . . .
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1.3 Monochrome Buchmalerei . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1.4 Monochrome Tafelmalerei in den Niederlanden . . 44 1.5 Monochrome Tafelmalerei in Italien . . . . . . . . . . . . 46
3.1 Von der Sienaerde- zur Terra-Verde-Malerei . . . . .
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3.2 Die Relationen zur profanen Grünmonochrommalerei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3.3 Grün getünchte Wände in Klosterbibliotheken und anderswo . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3.4 Chromotherapie und asketisch-kontemplatives Ideal. Die Bedeutung des Grüns im 15. Jahrhundert . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3.4.1 Marsilio Ficino und das Grün . . . . . . . . . . . . .
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3.4.2 Das Grün als Farbe der Kontemplation, die Erde als Material der Askese . . . . . . . . . . .
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1.6 Zeichnungen auf getöntem Papier . . . . . . . . . . . .
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3.5 Konzepte der Einfarbigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1.7 Monochrome Textilien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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3.6 Zur Ausführungstechnik der Terra-Verde-Malerei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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1.8 Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2 Der Beginn der monochromen Wandmalerei in Siena. Die Eremitenhistorien der Compagnia di Santa Maria sotto le Volte . . . . 63 2.1 Die Monochrommalereien der Compagnia sotto le Volte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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2.2 Die Auftraggeber der Eremitenhistorien . . . . . . . .
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2.3 Die Motive der Farbreduktion und des spezifischen Farbeinsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 EXKURS: »Schlachten, mit Rötel oder mit Kohle gemalt – als ob die Männer in Wirklichkeit kämpften.« Lippo Vannis Schlachtbild im Palazzo Pubblico . . . . . .
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4 Der Chiostro Verde von Santa Maria Novella. Die Einbindung der Grünmonochrommalerei in die Reformvorhaben Eugens IV. . . . . . . . . 123 4.1 Der ›Grüne Kreuzgang‹ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
123
4.1.1. Der Standort . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4.1.2 Das Testament von 1348 und die vermeintliche Stiftung durch Turino di Baldese
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4.1.3 Das Bildprogramm I: Genesis . . . . . . . . . . . . .
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4.1.4 Ausführende Werkstätten und Datierung . . . .
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4.1.5 Das Bildprogramm II: Patriarchen . . . . . . . . .
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4.2 Santa Maria Novella als Papstresidenz . . . . . . . . .
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4.2.1 Die Ankunft Eugens IV. in Florenz und in Santa Maria Novella. . . . . . . . . . . . . . . . . .
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4.2.2 Das Bildprogramm III: Bilder für den Papst . . .
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Teil 2
4.3 Der Chiostro Verde und die Verbreitung der Grünmonochrommalerei . . . . . . . . . . . . . . . .
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Katalog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237
4.3.1 Eugen IV. und die Ordensreformen . . . . . . . . .
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4.3.2 Die Grünmonochrommalerei im Kontext der Observanzreformen . . . . . . . . . . .
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4.4 Die Komplettierung der Genesis durch Paolo Uccello . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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5 Epilog: Rucellai – Medici. Ein Nachleben des Chiostro Verde und die fiorentinità der Terra-Verde-Malerei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189
Farbtafeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205
Anhang Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 Index . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 Ortsregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .
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Namensregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 5.1 Die Altana des Palazzo Rucellai . . . . . . . . . . . . . .
189 Danksagung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 427
5.2 Der Banco Mediceo in Mailand und die Heilige Susanna in grün . . . . . . . . . . . . . . . .
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Abbildungsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428
Teil 1
»[D]i verde terra dipinse, di chiaro e scuro«.1 Eine Einleitung Die farbige Erscheinung der berühmten Sagra, das nicht erhaltene Wandbild im Florentiner Karmeliterkonvent, mit dem an die 1422 erfolgte Kirchenweihe erinnert wurde, beschreibt Giorgio Vasari (1511–1574) wie folgt: »zum Andenken daran malte Masaccio in terra-verde und chiaroscuro im Kreuzgang«.2 Die Lobrede auf die Malerei, »[d]ieses Werk ist wirklich von großer Perfektion«,3 von Hand des nur wenige Jahre später jung verstorbenen Masaccio (1401–1428), hat teilweise sagenhafte Züge angenommen und die kunstgeschichtliche Forschung dahin geführt, sich seit dem 19. Jahrhundert auf die Suche möglicher Überreste im Kreuzgang zu machen.4 Der Frage nach den Motiven einer Ausführung in grün oder generell der Reduktion auf Helldunkelabstufungen einer Farbe ist hingegen selten nachgegangen worden. Die zeitnahe Ausführung in Erinnerung an das für die Karmeliter so bedeutenden Ereignisses in der Technik der Grünmonochrommalerei erscheint hingegen signifikant und soll aufgrund des der Sagra seit jeher zuerkannten Status’ als Meisterwerk hier am Anfang stehen. Die Studienobjekte der folgenden Seiten gehören einer spezifischen Gruppe nahezu einfarbiger Wandmalereien des italienischen 14. und 15. Jahrhunderts an, die im Gegensatz zum soeben zitierten Werk oft als günstige Variante farbenreicher Freskenzyklen interpretiert wurden. Die vorliegende Untersuchung macht es sich zur Aufgabe, diese monochromen Bildwerke sakralen Sujets, deren Farbreduktion nicht mit der Intention von Materialevokation zu erklären ist, als Phänomen zu erfassen, ihr Aufkommen und ihre Verbreitung glaubensgeschichtlich zu verorten und unter Gesichtspunk-
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Giorgio Vasari, Le Vite de’ più eccellenti pittori, scultori et architetti nelle redazioni del 1550 e 1568, hg. von Rosanna Bettarini u. Paola Barocchi, 6 Bde., Florenz 1966–1987, Bd. III, S. 129. 2 Ders., Das Leben des Masolino, des Masaccio, des Gentile da Fabriano und des Pisanello, übers. von Victoria Lorini, hg. von Christina Posselt, Berlin 2011, S. 36. Zur Sagra siehe hier Kat. 43. 3 Vasari 2011A, S. 38. 4 Zuletzt Divo Savelli, »La Sagra di Masaccio. Ancora qualche speranza di ritrovare tracce del celebre affresco« in: Kermes 15 (2002), S. 57–62. 5 Den Schlüssel zum Grün sucht auch Bruce R. Smith, The Key of
ten der Materialsemantik sowie der Farbvalenzen zu hinterfragen. Das italienische Wort oltre kann sowohl räumliche und zeitliche als auch konzeptuelle Konnotationen in sich tragen. So reichen die Übersetzungen ins Deutsche je nach Kontext von ›neben‹ und ›außer‹ bis hin zu ›mehr als‹, ›darüber hinaus‹ oder ›jenseits‹. Genau in dieser Polysemie wird es im Titel vorliegender Arbeit der Farbe anbei gestellt: Oltre il colore. Trotz ihrer fehlenden Buntwertigkeit sind die hier studierten Helldunkelmalereien nämlich keineswegs farblos. Neben den frühen Beispielen dieser Art, die eine Ausführung in Ockertönen aufweisen, sind die meisten Wandbilder der Gruppe, wie die zuvor evozierte Sagra, grün. Woher rührt diese Farbwahl? Gibt die chromatische Reduktion auf der einen Seite und die spezifische Farbigkeit auf der anderen dem Dargestellten einen weiteren Sinn? Was verbirgt sich oltre il colore?5 In Hinblick auf den Verzicht einer Buntwertigkeit sei zunächst einmal ganz allgemein angemerkt: Beim Anblick einer einfarbigen Malerei stutzt der Betrachter aufgrund deren Unterschied zur farbenreichen Alltagserfahrung. Die Herausstellung eines der Natur unähnlichen Erscheinungsbildes entrückt sie gewissermaßen. Die ›eintönige‹ Monochrommalerei scheint gemäß ihrer Verfremdung auf etwas nicht unmittelbar Greifbares zu verweisen und zum Verweilen einzuladen. Ein durchaus nachvollziehbares Konzept auch in der heutigen Bilderflut, mit der allzu oft ein koloristischer Übereifer einhergeht. In diesem Zusammenhang
Green. Passion and Perception in Renaissance Culture, Chicago 2009 (die Studie widmet sich hauptsächlich dem englischen Kontext des 16. Jahrhunderts). Siehe auch Michel Pastoureau, Vert. Histoire d’une couleur, Paris 2013 und, mit einem Fokus auf das Grün der Natur/Landschaft, Green Worlds in Early Modern Italy. Art and the Verdant Earth, hg. von Karen Hope Goodchild, April Oettinger u. Leopoldine van Hogendorp Prosperetti, Amsterdam 2019, hierin vor allem Rebekah Compton, »The Green Places of Fra Filippo Lippi and Sandro Botticelli«, S. 31–48; Paul Holberton, »›Honesta voluptas‹: The Renaissance Justification for Enjoyment of the Natural World«, S. 69–86.
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fällt auf, dass, im Kontrast zur Malerei der Moderne,6 in der Kunstgeschichtsforschung besonders für monochrome Bildwerke des ausgehenden Mittelalters und der Frühen Neuzeit bisweilen eine mitschwingende Abwertung festzustellen ist. Und dies obwohl die Betrachtung bestimmter Aspekte, wie das Verleiten zur Verinnerlichung oder das Erlangen von Konkretheit durch Abstraktion, durchaus Ansätze einer Kontinuität in den Motiven hinter der Farbreduktion über die Jahrhunderte aufweist.7 Abgesehen von solch allgemeinen Beobachtungen, die sich der nötigen Differenzierung innerhalb der vielfältigen Farbreduktion entziehen, liefern auch die spezifischen Quellen der Frühen Neuzeit kaum Ansätze, bei dem Verzicht auf Buntwertigkeit eine Wertminderung annehmen zu dürfen. Eher das Gegenteil ist der Fall. Stellvertretend ist auf Vasari zurückzukommen, dessen Beschreibungen von Helldunkelmalereien verschiedenster Art stets positiv konnotiert sind, und in denen durchweg auf deren »Lebendigkeit« insistiert wird.8 So auch in der Preisung von Masaccios Sagra, deren Beschreibung mit den Worten endet, dass »die Realität es nicht anders zeigen würde«.9 Die hingegen keineswegs realistische Farbgebung von Masaccios volkreicher Kirchenweihe wird demnach weder kritisch noch irgendwie als störend beurteilt. In der Intention, die Stellung dieser Form figürlicher Helldunkelmalerei in einem breiteren Kontext verwandter Bildstrategien zu verdeutlichen und gleichzeitig die Behandlung der Sienaerde- und Grünmonochrommalerei als eigenständiges Genre zu legitimieren, befasst sich das erste Kapitel, neben Erläuterungen hinsichtlich der Begrifflichkeit, mit der Auseinandersetzung mit vorangehenden und parallelen Typologien farbreduzierter Malerei in anderen Medien. Bedeutsam ist in jenem Zusammenhang vor allem die erstmalige Feststellung, dass ein breites Spektrum an grünen
Bildern für das Quattrocento zu verzeichnen ist. Farbreduzierte Malereien in Helldunkelabstufungen dieser Farbe sind nämlich neben der bedeutenden Anzahl der hier analysierten Wandmalereien und den bekannten Zeichnungen auf carta tinta ebenfalls für eine Vielzahl von Tafelmalereien, Miniaturen und Textilien nachzuweisen. Aus diesem Bestand heraus betrachtet, handelt es sich kaum um eine Abwendung von der Polychromie als vielmehr um eine Hinwendung zum Grün.
6 In dem breiten Literaturspektrum siehe beispielsweise Frances Guerin, The Truth is Always Grey. A History of Modernist Painting, Minnesota 2018; weiterhin Max Imdahl, Farben. Kunsttheoretische Reflexionen in Frankreich, München 1987; Martina Dobbe, Querelles des Anciens, des Modernes et des Postmodernes. Exemplarische Untersuchungen zur Medienästhetik der Malerei im Anschluß an Positionen von Nicolas Poussin und Cy Twombly, München 1999, hierin vor allem Kapitel 3: »Farbe und Materie«, S. 270–316; Thierry de Duve, »The Monochrome and the Black Canvas« in: Reconstructing Modernism. Art in New York, Paris, and Montreal. 1945–1964, hg. von Serge Guilbaut, Cambridge MA 1990, S. 244– 310. 7 Selbstverständlich sind die Unterschiede in der Motivation, Ausführung und Zielrichtung in den verschiedenen Epochen und Kulturkreisen teilweise gravierend. Übergreifende Aspekte in der Wahrnehmung, sprich der Affizierung des Betrachters, scheinen dennoch vorhanden zu sein. Zur Verinnerlichung in der farbreduzierten Malerei des 20. Jahrhunderts siehe beispielsweise Arden Reed, »Ad Reinhardt’s ›Black‹ Paintings. A Matter of Time« in:
Religion and the Arts 19 (2015), S. 214–229 oder Maria Bussmann, Mystik in der gegenstandslosen Malerei am Beispiel von Kasimir Malewitsch, Barnett Newman und Mark Rothko, Wien 2008. 8 Siehe Monica Latella, »›Che tragga più al disegno che al colorito‹. La pittura a chiaroscuro nella teoria vasariana« in: Storia della critica d’arte (2018), S. 159–180, hier S. 179–180 mit Verweisen auf weitere Stellen in Vasari; darunter das 25. Kapitel seiner Einführung, wo es um das Bemalen von Wänden in chiaroscuro-Optik geht: »Diese Art der Malerei verlangt nach Kühnheit, disegno, Kraft, Lebendigkeit und schönem Stil« (Giorgio Vasari, Einführung in die Künste der Architektur, Bildhauerei und Malerei, übers. von Victoria Lorini, hg. von Matteo Burioni, Berlin (2006)2012, S. 121). Siehe auch die Beschreibung der Monochrommalereien Andrea del Sartos im Chiostro dello Scalzo, die von Vasari interessanterweise als Marmorevokationen interpretiert werden: »Außerdem sind alle Figuren in diesem chiaroscuro-Bild so gut herausgearbeitet, dass sie wie lebendige, ausgesprochen wirklichkeitsgetreue Szenen in Marmor wirken« (Giorgio Varsari, Das Leben des Andrea del Sarto, übers. von Victoria Lorini, hg. von Sabine Feser, Berlin 2005, S. 33).
Neben dem Interesse an verschiedenen Formen monochromer Bildwerke ist auch jenes an Farben, sowohl unter technologischen und theoretischen als auch unter neurologischen Gesichtspunkten, immer mehr in den Fokus der Kunstgeschichtsforschung gerückt. Auch diese Ergebnisse können der Beantwortung der Frage, was es mit dieser Hinwendung zum Grün auf sich hat, nützlich sein. Zuerst ist jedoch die Schwierigkeit einer farborientierten Herangehensweise zu verdeutlichen. Es besteht zwar kein Zweifel, dass es sich bei Farben um ein Kommunikationsmedium mit immensem Wirkungspotential handelt. Doch sind die Unschärfe in der Terminologie, die Variation und die Spannbreite der jeweiligen Assoziationen in Raum und Zeit derart signifikant, dass eine allgemeingültige Verständigung über farbtheoretische Diskurse in der kunstgeschichtlichen Disziplin unmöglich erscheint.10 So ist beispielsweise in dem 2017 erschienenen Band Gesprächsstoff Farbe, in dem das »(Noch)Nicht-Wissen um Farbe« thematisiert wird, konstatiert worden: »Erfahren lassen sich Farben daher nur im Akt des Sehens, eine rein sprachliche Vermittlung weckt hingegen höchstens eine undeutliche und dunkle Erinnerung«.11 Dies trifft in besonderem Maß auf die hier studierten Wandmalereien zu, da zum einen der Grüngehalt oder die Grünintensität sehr variieren und zum anderen der allgemein schlechte Erhaltungszustand dazu beiträgt, dass das heutige Aussehen der Wandbilder
»[D]I VERDE TERRA DIPINSE, DI CHIARO E SCURO«. EINE EINLEITUNG
lediglich eine vage Idee deren einstigen ›Farbpracht‹ zu übermitteln vermag. Neben der Problematik einer sprachlichen Übermittlung von Farbwerten ist zu beachten, dass die neurowissenschaftlichen Kenntnisse im Bereich der unbewussten Farbwahrnehmung sowie der daraus resultierenden Verhaltensmuster und Gemütszustände längst nicht ausreichend sind.12 Ein weiterer wichtiger Punkt bei chromatisch determinierten Fragestellungen im Zusammenhang mit Bildwerken aus der Frühen Neuzeit ist darüber hinaus die Tatsache, dass es heutzutage schwerfällt, sich in ein vormodernes Optikalso Farbverständnis ›hinein zu fühlen‹.13 Sich die Auffassung über die Verbindungen zwischen den Sinnerfahrungen, von denen das Farben-Sehen an besonderer Stelle steht, mit dem physischen und mentalen Zustand vor Augen zu führen, ist für das Verständnis farbsemantischer Diskurse der Frühen Neuzeit hingegen unerlässlich. Das dritte Kapitel befasst sich deshalb auch mit dem um 1400 erfolgten Umdenken im chromatischen Spektrum, Grün anstatt Rotgelb in der Ausführung der Wandbilder, und behandelt in diesem Zusammenhang sowohl technische Aspekte der Grünmonochrommalerei als auch Fragen der Farbsemantik. Wie wird ein großangelegter, die Wände eines Kreuzgangs oder eines Oratoriums umspannender Zyklus in verdeterra vom Betrachter wahrgenommen? Wie verhält es sich mit der Verflechtung des ästhetischen Potentials einer Monochrommalerei mit der Aisthesis der grünen Farbe? Die Zusammenführung historischer Quellen, vorrangig aus dem philosophisch-medizinischen Bereich mit einem Fokus auf Marsilio Ficinos (1433– 1499) De vita libri tres, bietet zum einen die Möglichkeit, die longue durée bestimmter Zuschreibungen an die grüne Farbe zu rekonstruieren und zum anderen das semantische Feld des Grüns für den hier interessanten Zeitrahmen abzustecken, und somit die Terra-Verde-Malerei als Bildstrategie identifizieren zu können, mit der bewusst auf das Gemüt des Be-
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Zur Problematik der vermeintlichen Steinimitation und der Angemessenheit, den Zyklus dennoch dem Phänomen der Grünmonochrommalerei hinzu zu zählen, siehe hier Kat. 15. Vasari 2011A, S. 39. Dies zeigt bereits die Tatsache, dass die Ergebnisse der Studien um das Grün von Smith 2009, Pastoureau 2013 und Goodchild/Oettinger/van Hogendorp Prosperetti 2019 (abgesehen von einigen übereinstimmenden Quellenverweisen im Beitrag von Compton 2019) kaum für das Erschließen der hier studierten grünen Bilder anwendbar sind. Konrad Scheuermann u. André Karliczek, »Einleitung« in: Gesprächsstoff Farbe, hg. von dens., Köln/Weimar/Wien 2017, S. 12–23, hier S. 13–14. Siehe Susanne Marschall u. Annette Werner, »Grundlagen der Farbforschung« in: Gesprächsstoff Farbe, hg. von Konrad Scheuermann u. André Karliczek, Köln/Weimar/Wien 2017, S. 50–56; dies., »Basics of Color Research« in: Colour Turn 1 (2018), DOI: http://dx.doi. org/10.25538/tct.v0i1.673 (letzter Zugriff am 20.08.2020). Für einen Überblick der Anwendung neurowissenschaftlicher Kenntnisse auf
1 Lippo Vanni, Niccolò di Ser Sozzo und Cola di Fuccio, Eremitenhistorien, um 1345, Compagnia Santa Maria sotto le Volte, Santa Maria della Scala, Siena
trachters eingewirkt werden sollte. Wie zu zeigen sein wird, geht das Verweilen in einem grün dekorierten Kreuzgang weit über das simple Anschauen derart farbiger Bilder hinaus. Oltre dem simplen Erblicken, handelt es sich um ein ganzheitliches ›Erlebnis‹. In diesem Sinne sei der Verweis auf Wilhelm Durandus’ (1230–1296) Rationale divinorum officiorum vorweggenommen, in dem er Grün als die Farbe der Kontemplation betitelt.14 Diese Zuschreibung evoziert sehr eindrücklich, wie ein Terra-Verde-Zyklus die geistige Versenkung und das konzentriert beschauliche Nachdenken des vor den Bildern Verweilenden befördert haben mag. Der Titelzusatz, Die farbreduzierte Wandmalerei zwischen Humilitas und Observanzreformen, bezieht sich auf die bei-
die Kunstgeschichte siehe John Onians, Neuroarthistory – From Aristotle to Pliny to Baxandall and Zeki, New Haven [et al.] 2007. 13 Zu diesem Problem und der Notwendigkeit eines interdisziplinären Ansatzes siehe Tawrin Baker [et al.], »Introduction: Early Modern Color Worlds« in: Early Science and Medicine 20 (4/6.2015), Special Issue: Early Modern Color Worlds, S. 289–307; Heather Pulliam, »Color« in: Studies in Iconography 33 (2012), Special Issue: Medieval Art History Today – Critical Terms, S. 3–14. Siehe auch den kurzen Überblick zur Farb- und Lichttheorie von Aristoteles bis Newton in Henry Guerlac, »Can there be Colors in the Dark? Physical Color Theory before Newton« in: Journal of the History of Ideas 47 (1.1986), S. 3–20. 14 Durandus, Rationale divinorum officiorum, I, iii, 39: »Cortina alba significat vite munditiam, rubea caritatem, viridis contemplationem, nigra carnis mortificationem, livea tribulationem«; siehe Kirstin Faupel-Drevs, Vom rechten Gebrauch der Bilder im liturgischen Raum. Mittelalterliche Funktionsbestimmungen bildender Kunst im Rationale Divinorum Officiorum des Durandus von Mende (1230/1–1296), Leiden 2000, S. 318.
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Genesis, 1434–1435, Chiostro Verde (Südarkade), Santa Maria Novella, Florenz
den großen Fallstudien in Kapitel zwei und vier und spiegelt die materialsemantischen Grundzüge der ersten und die von der zweiten Fallstudie ausgehende, weitreichende kirchenpolitische Einbindung der Grünmonochrommalerei wieder.15 Das zweite Kapitel befasst sich mit den Eremitenhistorien in der Sieneser Bruderschaft von Santa Maria sotto le Volte aus den 1340er Jahren in roten und gelben Ockertönen, bei denen es sich um das früheste erhaltene Beispiel dieser Form von Monochrommalerei handelt (Taf. 1, Abb. 1). Abgesehen von der hohen künstlerischen Qualität ist bemerkenswert, inwieweit bereits diesem Zyklus in exemplarischer Art und Weise die materialsemantischen Konzepte aller folgenden Beispiele innewohnen. Der bewusste Einsatz des einfachen Erdmaterials impliziert visuell und etymologisch Demut, die homogene Farbgebung aller Figuren Gemeinschaft, und die Hervorhebung der Lokalfarbe (verschiedene Varianten der Sienaerde) fügt dem Ganzen eine signifikant identifikationsstiftende Note hinzu. Eine weitere Fallstudie über das Schlachtbild von Lippo Vanni (1315–1375) im Palazzo Pubblico derselben Stadt wird als Exkurs am Ende des zweiten Kapitels eingefügt. Die pri-
mär profane Ausrichtung des Bildes führt dazu, dass es nicht im Katalog vorliegender Studie gelistet wird, doch ist das monumentale Wandbild aufgrund signifikanter Merkmale des bewussten Farb- und Materialeinsatzes außergewöhnlich, weshalb dessen Analyse die Komplexität monochromer Bildwerke aus einem anderem Blickwinkel beleuchtet. Das vierte Kapitel repräsentiert den Hauptteil der Arbeit, in dem die reformbedingte Ausführung monochromer Wandmalereizyklen dargelegt wird. Ausganspunkt dafür bietet die Fallstudie zu dem wohl bekanntesten Zyklus grünmonochromer Malerei: die Genesis im Chiostro Verde von Santa Maria Novella in Florenz (Abb. 2–3). Dank einer bisher nicht erfolgten Analyse des historischen Kontextes und der Rekonstruktion einer netzwerkartigen Verbindung zu ähnlichen Zyklen, ist es nicht nur möglich, einen präzisen Zeitrahmen für die umstrittene Datierung (1434–1435 und 1439), sondern auch eine neue Interpretation des Bildprogramms in Relation zu zeitgenössischen Begebenheiten um die Herberge des Papstes zu liefern. Im größeren Kontext ist zu zeigen, dass die Malereien des Chiostro Verde, aufgrund der Präsenz der Kurie in Santa Maria Novella, als
15 Die Autorin ist sich der breitgefassten Bedeutungen und Implikationen des Observanzbegriffs bewusst. In vorliegender Untersuchung wird die Observanz vornehmlich als gegenläufige Entwicklung zu den weitreichenden Missständen im Ordenswesen
verstanden. Grundlegend für das noch nicht ausreichend erfasste Forschungsgebiet bleiben Mario Fois, »Osservanza« in: Dizionario degli istituti di perfezione, 10 Bde., Rom 1976–2003, Bd. VI (1980), Spalte 1036–1057; Kaspar Elm, Reformbemühungen und Observanz-
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Genesis (3. Joch Westwand), 1434–1435, Chiostro Verde, Santa Maria Novella, Florenz
Ausgangspunkt und Auslöser für die Ausführung zahlreicher weiterer Grünmonochrommalereien von Nord- bis Süditalien in Zusammenhang mit Reformvorhaben anzusehen sind. Die Terra-Verde-Malerei, die ähnlich der SienaerdeMalerei auf Konzepte der Bescheidenheit und Gemeinschaft rekurriert, wird somit auch dank des Wiedererkennungswertes derartiger Bildwerke um die Mitte des 15. Jahrhunderts zum visuellen Kennzeichen einer religiösen, kirchenpolitisch den Observanzvorhaben nahestehenden Haltung. Die Zentralität der Genesis im Chiostro Verde für das Phänomen als solches steht außerdem in Verbindung zu einem besonderen und seltenen Beispiel grünmonochromer Wandmalerei in einem privaten Ambiente: Die Rede ist von dem künstlerisch hochwertigen und thematisch außergewöhnlichen Zyklus in der Altana des Palazzo Rucellai in Florenz (Abb. 4). Ein Blick hierauf sowie auf ein weiteres (nicht erhaltenes) Terra-Verde-Bild im Banco Mediceo in Mailand schließt den ersten Teil der Studie ab. Den zweiten Teil des vorliegenden Buches bildet ein umfassender Katalog, in dem die nach aktuellem Forschungsund Recherchestand bekannten Monochrommalereien zu-
Einleitend bleibt festzuhalten, dass das Erfassen monochromer Wandmalereien bisher zum Großteil der Lokalforschung überlassen worden ist oder sich auf stilistische Fragen der Zuschreibung und Datierung der einzelnen Werke konzentriert hat. Vorliegende Studie nimmt sich eine systematische Zusammenschau der sakralen Sienaerde- und Grünmonochrommalerei zur Aufgabe. Diese sollen unter dem Gesichtspunkt der Material- und Farbsemantik untersucht werden, um ein überzeugendes und anschauliches Erklärungsmodell erstellen zu können. Grundlage und Ausgangspunkt sind die spezifischen Beiträge zur Terra-Verde-Malerei von Thomas Dittelbach und Almut Schäffner, deren Studien sich als erste explizit mit der Grünmonochrommalerei auseinandergesetzt und zur Aufwertung dieses Genres beigetragen haben.16 Eine Unterscheidung zwischen materialimitierender Monochrommalerei und alleinstehender Farbreduktion
bestrebungen im spätmittelalterlichen Ordenswesen, Berlin 1989. Ein Überblick des Forschungsstands in Michele Lodone, »Riforme e osservanze tra XIV e XVI secolo« in: Mélanges de l’Ecole française de Rome 130 (2.2018), S. 267–278.
16 Thomas Dittelbach, Das monochrome Wandgemälde. Untersuchungen zum Kolorit des frühen 15. Jahrhunderts in Italien, Hildesheim 1993; Almut Schäffner, Terra Verde. Entwicklung und Bedeutung der monochromen Wandmalerei der italienischen Renaissance, Weimar 2009.
sammengetragen sind und, neben Informationen hinsichtlich der Ausführungstechnik und des Erhalts, vor allem unter Gesichtspunkten des historischen Kontextes untersucht und somit im Phänomen verortet werden.
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erfolgte bereits zuvor in der (unveröffentlichten) Dissertationsschrift von Klaus Kraft von 1956, der die »figürliche Grisaillemalerei« als eigenwertige Gattung definierte.17 Seine Analyse konzentrierte sich auf das 14. Jahrhundert, weshalb die bedeutenden Monochromzyklen in Terra Verde des 15. nicht näher behandelt worden sind, im Anhang zum großen Teil jedoch bereits aufgelistet wurden. Trotz der erstmaligen Würdigung farbreduzierter Wandmalerei blieb die Wertung derselben in ihren Grundzügen eine negative, da Kraft gleich zu Beginn seiner Untersuchung behauptet hat: »man verwendet sie vor allem, wo es nicht lohnt, die ganze Arbeit und Mittel für bunte Fresken aufzuwenden, d. h. wo diese mehr der Witterung ausgesetzt sind«.18 Die Bewertung dieser Aussage als Fehleinschätzung findet sich in Dittelbachs Studie, die als Wendepunkt in der Forschung zur Terra-Verde-Malerei bezeichnet werden muss. Er hat erkannt, dass es sich vorrangig um ein toskanisches Phänomen gehandelt hat, das sich aus der Monochrommalerei in roten und gelben Tönen in Siena entwickelte und im weitesten Sinne mit den Observanzbestrebungen in Ver-
bindung zu setzen sei.19 Besondere Beachtung erfährt die Analyse der technischen Ausführung mit einem Fokus auf das Werk des Paolo Uccello (1397–1475) und dessen Position innerhalb der »Monochromisten«. Dittelbachs Schlussfolgerung hinsichtlich des »Paradoxon, dass mit Uccellos monochromen Werken Agonie und vorläufiges Ende der monochromen Wandmalerei einsetzte«, ist der heutigen Kenntnis den Bestand betreffend nicht mehr tragbar.20 Dittelbachs Hauptthese möchte in einer neu erfolgten Auslegung der augustinischen Erkenntnislehre (beziehungsweise Abbildtheorie) eine Erklärung für das Aufkommen der monochromen Wandmalerei identifizieren. Die Intention hinter einem farbreduziert ausgeführten Wandbild sei demnach, neutrale Informationen und ›Wahrheiten‹ zu vermitteln, die in der Erinnerung des Betrachters, ohne die Konnotation ›störender‹, irdischer Farben, mit dem göttlichen Licht ›leuchten‹ könnten.21 Die Problematik dieser These liegt zunächst in Dittelbachs Annahme, dass es sich bei der Terra-Verde-Malerei hauptsächlich um ein Augustinerphänomen gehandelt habe.22 Dies ist möglicherweise dem damals noch nicht erfassten Bestand geschuldet, muss heute jedoch klar verneint werden. Darüber hinaus erscheint es heikel, die Motivationsquelle für ein derartig breites Phänomen auf eine Textquelle beschränken zu wollen und gleichfalls die Studie der augustinischen Lehre als Prärogative der Augustinereremiten zu verklären. Nichtsdestotrotz wird im Verlauf vorliegender Untersuchung darauf zurückzukommen sein, dass die Grundidee Dittelbachs, sprich, durch bewusste Verfremdung und Fiktion auf das Wesentliche anzuspielen, durchaus ihre Validität besitzt. Seiner Annahme, dass die Ausführung einer Monochrommalerei mit grüner Erde unter anderem gedächtnisanregende Ziele verfolgte ist ebenfalls zuzustimmen. Ein Zitat aus einem zwar entfernten Kontext mag diese dem Grün zugeschriebene Eigenschaft vor Augen führen. In der zweiten Szene des ersten Aktes seines Hamlet, lässt William Shakespeare (1546–1616) König Claudius sagen: »Though yet of Hamlet our dear borther’s death | The memory be green […]«. Wesentlich näher am hiesigen Diskurs ist eine Beobachtung, mit der auf die farbsemantische Untersuchung im dritten Kapitel vorgegriffen wird. Die Rede ist von dem gern über-
17 Klaus Kraft, Zum Problem der Grisaillemalerei im italienischen Trecento, Diss.-Phil. Universität München 1956. 18 Ebd., S. 1, S. 57. 19 Dittelbach 1993, S. 181–192. 20 Ebd., S. 5. 21 Ebd., bes. S. 158–163. 22 Siehe ebd., S. 7. 23 Das Wandbild Botticellis notiert auch Gerardo De Simone, Il Beato Angelico a Roma, 1445–1455. Rinascita delle arti e umanesimo cristiano, Florenz 2017, S. 251. Weniger bekannte Beispiele sind das Wandbild im Dom von Orvieto von Ugolino di Prete Ilario von
circa 1375, die Miniatur in einer Handschrift von Augustinus’ De civitate dei der Biblioteca Malatestiana in Cesena von circa 1450 (Ms. D.IX.1, Blatt 15r) oder jene des Georg von Trapezunt in Eusebio Pamphiljs De evangelica preparatione in der Biblioteca Medicea Laurenziana in Florenz (Ms. Ashb. 985, Blatt 3r). Siehe Kapitel 3, S. 100–112. Schäffner 2009, S. 12. Ebd., S. 95 und Katalog. Ebd., S. 135. Obgleich sich dank der Rezeption von Dittelbachs Studie bisweilen ein Umdenken manifestiert; siehe unter anderem Elisa Catoni,
4 Eremitenhistorien (Detail), um 1461–1465, Altana, Palazzo Rucellai, Florenz
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sehenen Detail, dass gerade um das Quattrocento die Darstellung des Sant’Agostino nello studio den Heiligen häufig in ein Gehäuse inseriert, dessen Wände grün getüncht sind. Autoritäre Beispiele hierfür sind die Wandmalerei des Sandro Botticelli (1445–1510) in Ognissanti in Florenz (Taf. 2) und Vittore Carpaccios (1465–1520) Leinwand für die Scuola di San Giorgio degli Schiavoni in Venedig. In beiden Werken ist ein bedeutender Detailreichtum an Büchern, Gerät und ähnlichem auszumachen und beide zeigen eine grün verputzte Wand.23 Es wird zu zeigen sein, dass besonders im 15. Jahrhundert spezifische Räume eine derartige Grüntünche aufwiesen, damit die dort Verweilenden aus den wohltuenden, konzentrationsfördernden Kapazitäten der Farbe Kraft schöpfen konnten.24 Schäffner hat in Kontinuität zu den vorangehenden Studien auf die lange Tradition monochromer Bildwerke hingewiesen und eine besondere Verbreitung der einfarbigen Wandmalerei zwischen Ende des 14. und Anfang des 16. Jahrhunderts im mittel- und norditalienischen Raum erkannt. Durch den Verweis auf die Tatsache, dass es sich bei der Terra-VerdeMalerei um eine der wenigen Typologien farbreduzierter Darstellung handele, die von Zeitgenossen expressis verbis erwähnt werde, konnte sie die besondere Stellung der Grünmonochrommalerei verdeutlichen.25 Ihr umfangreicher Katalog mit 61 Beispielen widerlegt Dittelbachs Annahme des spezifisch augustinischen Phänomens.26 Schäffner hat sich außerdem skeptisch gegenüber der Theorie einer Verbindung zur augustinischen Erkenntnislehre geäußert, folgte Dittelbach jedoch in der Annahme, dass die Anwendung des reduzierten Kolorits im sakralen Raum mit der zeitgenössischen Situation der Kirche zu verbinden sei.27 Sie hat die Grünmonochrommalerei unter einem generellen, auf die Technik und Farberscheinung bestimmten Ansatz untersucht, was zum einen dazu führt, dass sie sich auch mit profanen Werken befasst, und zum anderen ihre Analyse auf die grünmonochromen Wandgemälde beschränkt hat, ohne nähere Betrachtung der ockerfarbenen Malereien aus dem sienesischen Raum. Das Erschließen letzterer ist hingegen unerlässlich, da sich beide Typologien durch dieselben Charakteristika in Hinblick auf Farbreduktion, Standorte, Auftraggeber und Rezipienten auszeichnen, und gerade die Klärung des dann erfolgten Farb-
ersatzes, Grün anstatt Rotgelb, Aufschlüsse bezüglich der jeweiligen Farbwahl liefern mag. Ungeachtet jener ersten Ergebnisse bleibt der monochromen Wandmalerei oft eine Negativwertung anhaften,28 die sich vor allem in den geringen Kosten einer derartigen Ausführung begründet. Diese Schlussfolgerung verfehlt hingegen den Sachverhalt und entspricht nicht der Werteordnung zur Entstehungszeit der Wandbilder. Die mangelnde Kenntnis bezüglich des reichen Bestandes hat neben dem häufig prekären Erhaltungszustand der einzelnen TerraVerde-Zyklen sicherlich zur Verbreitung einer solchen Sichtweise beigetragen, so dass diese Maltechnik kontinuierlich als etwas »provinzielles« oder »simples« betitelt worden ist. Dem gilt es entgegenzuwirken. Es wird gezeigt, dass die Monochrommalereien im Gegenteil an strategischen Orten von bedeutenden Figuren in Auftrag gegeben wurden, und dass es sich um eine bewusst intendierte Reduktion auf die jeweilige Farbe handelte. Die Verbindung fehlender Farbe mit dem Wunsch nach einer ›günstigen‹ Ausstattung ist von Kraft mit der Nennung einiger Dokumente aus Prato von 1390 untermauert worden.29 Es handelt sich um einen Briefwechsel zwischen Francesco Datini und Domenico di Cambio, in dem ersterer Ratschläge über die Ausmalung des Innenhofes seines Stadtpalastes erhält, mitunter die Möglichkeit einer Ausstattung in »verde terra«, die »schön und von geringen Kosten« sei.30 Abgesehen von der Tatsache, dass im weiteren Verlauf des Briefwechsels der Hinweis auftaucht, dass eine monochrome Ausmalung in Grautönen noch wesentlich günstiger wäre (»Se voleste fare di colore bigio chosteravi assai meno che di verde terra. Siatene avvisato«),31 und dass die Forschung das Gewicht häufig auf den »piccolo chosto« gelenkt hat, ohne der Wertschätzung von Terra-Verde-Ausstattungen als »bello« nachzugehen,32 erscheint es mehr als fraglich, ein gesamtes Phänomen allein auf den Einsatz nicht preziöser Materialien reduzieren zu können. Zwar handelt es sich bei der Grünen Erde um ein Pigment mit einem bedeutenden Vorkommen (und somit mit Sicherheit preiswerter als andere),33 doch könnte diese Erklärung auch auf weitere mineralische Erdpigmente angewendet werden, die, aufgrund ihrer Kompatibilität mit der ätzenden Kalkschlämme der
»Gli affreschi quattrocenteschi nell’eremo agostiniano di Lecceto« in: Iconographica 1 (2002), S. 64–106, hier S. 100 Anm. 65; Maria Corsi, Gli affreschi medievali in Santa Marta a Siena, Siena 2005, S. 77. 29 Kraft 1956, S. 55. 30 ASP, Datini, 329: »di verde terra che-ssarebbe bello e di piccolo chosto«. Die Dokumente aus Prato wurden zuerst publiziert in Renato Piattoli, »Il mercante del trecento e gli artisti del suo tempo« in: Rivista d’Arte 11 (1929), S. 221–253, S. 369–437, S. 537–579, hier S. 537–538.
31 ASP, Datini, 329. Auf den Kostenunterschied wird an anderer Stelle nochmals insistiert: »il verde terra e di più chosto che ’l bigio di piu di III chotanti […] se lla spesa no vi increscie ella sara piubella di verde terra«. 32 Dies monieren ebenfalls Dittelbach 1993, S. 21 und Schäffner 2009, S. 140. 33 Zum Pigment Terra Verde siehe Pigment Compendium. A Dictionary and Optical Microscopy of Historical Pigments, hg. von Nicholas Eastaugh [et al.], Oxford 2008, S. 641; Eleonora Vittorini Orgeas, »La tecnica in terraverde nelle fonti storiche e tecniche« in: Paolo Uccello a Santa Maria Novella: restauro e approfondimenti sulla tec-
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feuchten Putzschicht, außerdem den Hauptbestandteil aller in der Freskomalerei eingesetzten Pigmente darstellen; auch der herkömmlich bunten Wandbilder. Außerdem klammert die Annahme einer kostenbedingten Ausführung die Frage aus, warum diese Art von Bildwerken zuvor mit dem Einsatz von Sienaerden und anderer Ocker ausgeführt wurde, deren Preis sich kaum von jenen mit Grüner Erde unterschieden haben dürfte.34 Mit der vermeintlichen Sparsamkeit ist somit weder die Wahl des Grüns dargelegt, noch handelt es sich um eine befriedigende Erklärung der Farbreduzierung generell. Umso weniger, da festgestellt werden muss, dass die Auftraggeber solcher Malereien durchaus die nötigen Mittel besaßen, um kostspielige Kunstwerke ausführen zu lassen. Demnach verwundert, dass in der Forschung selten auf den Unterschied zwischen effektiver Sparsamkeit und ideellen Werten, wie beispielsweise dem Armutsideal, eingegangen wird. Die Ausführung sakraler Bilder mit günstigem Material aufgrund von Geldmangel differenziert sich ungemein von der Selbstdarstellung eines Ordens als reumütige, aszetisch anmutende Christen durch den Einsatz von zurückhaltender Farbigkeit und den Verzicht auf Wertvolles in Form von Gold oder Edelsteinapplikationen. Bei der Terra-Verde-Malerei handelt es sich also nicht um billiges Bildwerk, sondern, im Gegenteil, um einen Mehrwert, eine Sinnanreicherung der in dieser Weise wiedergegebenen Historien. Dass es sich zudem um ein leicht beschaffbares Material handelte und um eine Technik, die außerdem eine zügige Ausführung ermöglichte, steht keineswegs in Kontrast mit den soeben erfolgten Erläuterungen, sondern hat die verbreitete Anwendung lediglich um ein weiteres begünstigt. Als weiterer Punkt in der Relativierung der Kosteneinsparung dient der Hinweis auf die Tatsache, dass eine bedeutende Anzahl der Zyklen (dem Anschein nach sogar die Mehrheit) keineswegs mit Tonabstufungen des Pigments Terra Verde, sondern mit Pigmentgemischen, ähnlich dem von Cennino Cennini (1370–1427) beschriebenen Verdaccio,35 ausgeführt worden sind. Bei den Bestandteilen dieser Gemische, die zwar einen dem Namen nach grünlich schmutzigen Farbton aufweisen, aber den Rezepten entsprechend keineswegs grüne Pigmente beinhalten (müssen),36 handelt
es sich ebenfalls um ›günstige‹ Pigmente. Doch ist die Herstellung derselben mit größerem Arbeitsaufwand und somit mit höheren Kosten verbunden. In diesem Zusammenhang ist auch zu erwähnen, dass die (zeitgenössischen) Bezeichnungen derartiger Bildwerke als »pitture in verdeterra« einzig auf den grünen Gesamteindruck der Wandbilder anspielen und sich eben nicht zwingend auf das eingesetzte Pigment konzentrieren. Wie fließend dieselben Bezeichnungen sind, zeigt ein erneuter Blick in Vasaris Viten: Hinsichtlich Paolo Uccellos nicht erhaltenem Benediktzyklus im Kreuzgang von Santa Maria degli Angeli ist zu beobachten, dass er diesen einmal als in »verde terra« und an anderer Stelle als mit »verdaccio« ausgeführt beschreibt.37 Ein weiterer, grüner Benediktzyklus, diesmal von der Hand Bicci di Lorenzos (c.1373–1452) im Kreuzgang von San Bernardo in Arezzo, ist hingegen laut Vasari einfach in »chiaroscuro« ausgeführt worden.38 Und in der umfangreichen Beschreibung von Uccellos Schöpfungsszenen im Chiostro Verde (Taf. 3) ist an keiner Stelle von deren farbreduzierten Ausführung die Rede. Im Gegenteil, neben dem Einsatz der gewohnten, auf die ›Vitalität‹ der Helldunkelmalereien anspielenden Adjektive (zum Beispiel: »lebendig wirkende Vögel und Fische«), hebt Vasari die »für die damalige Zeit ungewohnt qualitätvolle[…] farbige[…] Darstellung der Bäume« hervor.39 Ebenso wenig erwähnt Vasari die grüne Ausführung der Noahszenen im selben Kreuzgang (Taf. 4), die er als »unter so großer Anstrengung und mit solcher Kunstfertigkeit und Sorgfalt« ausgeführt beschreibt, »dass man es gar nicht genug loben kann«.40 Wären diese Szenen, wie Uccellos Benediktvita im Angeli-Kloster, nicht erhalten geblieben, auf Grundlage der Worte Vasaris wüsste man nichts von deren Farbreduktion.
nica in terra verde, hg. von Cecilia Frosinini, Florenz (im Druck); Carlo Lalli u. Federica Innocenti, »La terraverde: Glauconite o Celadonite? Confronti su casi studio« in: ebd. 34 So kann beispielsweise dem von Krischel ausgewerteten Pigmentsortiment im Venedig des 15. Jahrhunderts entnommen werden, dass es sich sowohl bei Grüner Erde als auch bei Gelbocker, aufgrund deren häufigen Vorkommens, um sehr günstige Pigmente gehandelt hat; Roland Krischel, »Zur Geschichte des venezianischen Pigmenthandels: das Sortiment des ›Jacobus Benedictis à coloribus‹« in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch 63 (2002), S. 93–158; siehe auch Susanne Kubersky-Piredda, Kunstwerke – Kunstwerte. Die
Florentiner Maler der Renaissance und der Kunstmarkt ihrer Zeit, Norderstedt 2005, hier S. 127–151. 35 Cennino Cennini, Il libro dell’arte, hg. von Fabio Frezzato, Florenz 2003, S. 110–116 (Kap. LXVII), hier S. 113. Deutsche Ausgabe: Des Cennino Cennini Handbüchlein der Kunst, übers. und hg. von P. Willibord Verkade, Strassburg 1916, S. 54–61 (Kap. 67), hier S. 58: »Mit fast trockenem Pinsel lass das Gesicht in jener Farbe, die man in Florenz ›Verdaccio‹ […] nennt, nach und nach hervortreten«. 36 Nach Cennini liest sich das Rezept für die Zubereitung des Verdaccio wie folgt: »Nimm nun eine Bohne dunklen Ocker, […]. Mische ihn in einem Töpfchen mit einer Linse Schwarz, einer Drittel Bohne
Den spezifischen Untersuchungen der einzelnen Kapitel sei eine kurze Zusammenfassung des Bestands vorangestellt, um einen Überblick sowie eine knappe Auswertung des Phänomens zu bieten. Dieser allgemeine Einblick dient dem besseren Verständnis der im Folgenden behandelten Argumente und Fallstudien. Es werden deshalb das numerische und geographische Vorkommen, die farbige Erscheinung, die chronologische Einordnung sowie die Typologie der
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Standorte, die Auftraggeber und die ausführenden Künstler sowie auch die dargestellten Themen zusammenfassend referiert. Die Daten basieren auf dem im zweiten Teil präsentierten Katalog, in dem 121 Beispiele szenischer, farbreduzierter Malerei religiösen Sujets von der Mitte des 14. bis zu Beginn des 16. Jahrhunderts aufgeführt werden.41 Die Tatsache, dass sich 98 von den 121 Einträgen und damit insgesamt über 80 Prozent auf Wandmalereien im Gebiet der heutigen Toskana beziehen, etikettiert diese Art der Monochrommalerei zuvorderst als toskanisches Phänomen. Auf die 98 Beispiele in der Toskana folgt numerisch das heutige Umbrien mit gerade mal acht bekannten Zyklen. Die große Mehrheit der 121 Werke, ebenfalls um die 80 Prozent, sind in grünen Farbtönen (von hellem Salbeigrün über intensives Grün bis hin zu gräulichbraunem Grün) ausgeführt worden. Eine präzise, numerische Angabe ist neben der zuvor erwähnten Unzulänglichkeit und Unschärfe sprachlicher Farbwertvermittlung auch deshalb so schwierig, da es Zyklen gibt, die sowohl rotgelbe als auch grüne Monochrommalereien aufweisen, weitere, die aus der Transitionsphase um die Jahrhundertwende stammen oder aus anderen Gründen (beispielsweise des schlechten Erhalts wegen) nur schwer eindeutig der einen oder anderen Farbgruppe zugeordnet werden können. In rötlichgelben Ockertönen sind etwas weniger als 20 Zyklen bekannt. Die frühesten Beispiele kurz nach 1340 stammen aus dieser Gruppe der rotgelben Malereien und befinden sich in Siena, wo generell der Großteil der ockerfarbenen Monochrommalereien zu verzeichnen ist. In den letzten Jahren des 14. Jahrhunderts treten ähnliche Bildzyklen dann auch in Florenz und andernorts auf, obgleich der Farbton dort nicht stringent den charakteristischen Einsatz der Sienaerde aufweist, wie zum Beispiel an den deutlich ins Rot tendierenden Monochrommalereien der Bruderschaft von Sant’ Agnese in Santa Maria del Carmine in Florenz nachvollzogen werden kann (Abb. 5).42 Zu Beginn des Quattrocento werden zunehmend Terra Verde sowie andere grüntönige Pigmentgemische in der Ausführung derartiger Zyklen eingesetzt. Beispiele des Übergangs im Farbeinsatz in den ersten zwei Jahrzehnten des 15. Jahrhunderts sind einige Wandmalereien der Salimbeni-Brüder in Sanseverino Marche
sowie jene im Kreuzgang der Augustinnerinnen von Santa Marta in Siena (Abb. 6).43 Die spätesten Ausläufer ockerfarbener Monochrommalerei sind die um 1425 zu datierende Bemalung der Kirchenfassade der Einsiedelei von Lecceto und einige Beispiele in Umbrien.44 Die frühesten, rein grünmonochromen Sakralmalereien stammen aus dem ersten Jahrzehnt des Quattrocento. Ein bedeutendes Beispiel hierfür bleibt der alttestamentarische Zyklus des Martino di Bartolomeo (c. 1375–1434) im Orato-
Sankt-Johannes-Weiß und einer Messerspitze Cinabrese und verdünne diese Mischung, ohne Bindemittel beizugeben, mit klarem Wasser, so dass die Farbe gut (vom Pinsel) fließt.« Ebd., S. 57. 37 Siehe Giorgio Vasari, Das Leben des Paolo Uccello, Piero della Francesca, Antonello da Messina und Luca Signorelli, übers. von Victoria Lorini, hg. von Hana Gründler u. Iris Wenderholm, Berlin 2012, S. 32 und Vasari 1966–1987, Bd. III, S. 68: »Lavorò anco di colore di verdeterra […]«; ebd. Bd. V, S. 440: »nella loggia, dove sono di mano di Paulo Uc[c]ello dipinte in verdaccio«. Siehe hier Kat. 38. 38 Vasari 1966–1987, Bd. II, S. 320. Siehe hier Kat. 3. 39 Vasari 2012, S. 26.
40 Ebd., S. 27. 41 Hierbei handelt es sich nicht um eine absolute Zahl. Im Gegenteil ist von einer weitaus höheren Anzahl auszugehen, sowohl von noch erhaltenen, der Autorin unbekannten Zyklen als auch von einer kaum definierbaren Anzahl verlorener Monochrommalereien. Zu beachten ist auch, dass eine große Zahl erst in den letzten Jahrzehnten unter späteren Putz- und Malschichten wieder aufgedeckt worden ist. Die allgemeine Missachtung dieses Genres trägt ebenfalls zur prekären Datenlage bei. 42 Siehe Kat. 39. 43 Siehe Kat. 101; 116.
5 Szenen aus dem Leben der Heiligen Agnes (Detail), um 1390, Compagnia di Santa Maria delle Laudi e di Sant’Agnese, Santa Maria del Carmine, Florenz
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Umkreis des Benedetto di Bindo, Eremitenhistorien, um 1410–1415, Kreuzgang, Santa Marta, Siena
rium von San Giovanni Battista in Cascina, in der Nähe von Pisa von 1409.45 In den folgenden Jahrzehnten häufen sich die grünen Zyklen und erfahren zur Mitte des 15. Jahrhunderts einen regelrechten Boom. Mehr als die Hälfte aller bekannten Werke sind zwischen 1430 und 1480 entstanden. Auch in diesem Fall ist die Nennung einer exakten Anzahl nicht möglich, da nur in wenigen Fällen eine sichere Datierung vorliegt. Daraufhin scheint sich das Phänomen abzuschwächen, bis es in den ersten zwei Jahrzehnten des Cinquecento eine kleine ›Wiederbelebung‹ in der Ausstattung zahlreicher Florentiner Bruderschaften erlebt. Bekanntestes Beispiel hierfür ist der Chiostro dello Scalzo mit den Malereien des Andrea del Sarto (1486–1530), der konzeptuell auf eine nicht erhaltene Ausstattung eines ganz ähnlichen Bruderschaftsoratoriums der Compagnia di Gesù Pellegrino in Santa Maria Novella zurückgehen dürfte.46 Geographisch gesehen nimmt die Toskana, wie gesagt, eine besondere Position innerhalb des Bestands der sakralen
Monochrommalereien ein. In Siena sind 17 monochrome Zyklen bekannt. Die frühesten Ausstattungen, die erhalten geblieben sind, befinden sich in Räumlichkeiten wichtiger Laienbruderschaften der Stadt. Der älteste Zyklus, ausgeführt gegen 1345, befindet sich unterhalb des Hospitals von Santa Maria della Scala im Eingangsbereich der Compagnia di Santa Maria sotto le Volte (Abb. 1) und wird als Fallstudie im zweiten Kapitel eingehend untersucht. Der früheste, dokumentarisch überlieferte Zyklus von Ambrogio Lorenzetti (c.1290–1348) reicht in das Jahr 1341 und schmückte die Friedhofskapelle desselben Hospitals. 47 Bezeichnend erscheint, dass bis Ende des 15. Jahrhunderts mindestens neun Monochromzyklen allein im Santa Maria della Scala ausgeführt wurden.48 In Florenz befindet sich die mit Abstand höchste Anzahl von Monochrommalereien mit 45 bekannten Beispielen (die Zahl erhöht sich auf 49, sofern die nahe liegenden Pfarreien von Campi Bisenzio, Sant’Andrea a Cercina (Abb. 7) und die
44 Siehe Kat. 63; 60; 102. 45 Siehe Kat. 8.
46 Siehe Kat. 15; 53. 47 Siehe Kat. 104.
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Thebais (Detail), um 1450, Kreuzgang, Sant’Andrea a Cercina, Florenz
Abtei von Settimo dazugezählt werden).49 Die frühesten erhaltenen Werke befinden sich auch hier in Bruderschaftsoratorien und dem sogenannten Chiostrino sotto la Libreria (Abb. 8), bei dem es sich, wie der Name sagt, um eine Art Durchgang oder Vestibül zwischen Konvent und dessen Gärten unterhalb der Konventsbibliothek in Santa Maria Novella handelt.50 Die farbige Erscheinung sowie die Themenwahl der Malereien des Chiostrino stehen im breiteren Diskurs rötlichgelber Gestaltung von Eingangsbereichen auf einer Linie mit dem bereits genannten Zyklus in der Bruderschaft unterhalb des Hospitals in Siena. Eine Sonderstellung innerhalb des Phänomens nimmt der spätere, grünmonochrome Zyklus des Chiostro Verde im selben Dominikanerkonvent ein, da die Präsenz ranghoher Kirchenvertreter an diesem Ort zu Zeiten der Papstresidenz zwischen 1434 und 1443 maßgeblich zur Verbreitung dieses Ausstattungstyps sowie dessen religionspolitischer Implikationen beigetragen hat.51 Für eine bedeutende Anzahl
der ab 1435 ausgeführten Grünmonochrommalereien sind nämlich direkte Verbindungen zu jeweiligen Ordensreformen nachzuweisen. Ähnliche Relationen sind in den zeitgenössischen Ausstattungen in Terra Verde einiger Bruderschaftsoratorien anzunehmen, die, analog zum Ordenswesen, in jenen Jahren eine dezidierte Prüfung, Aufsicht sowie Unterstützung von Seiten der Kurie erfuhren. Wird der Bestand in Hinblick auf die Auftraggeber analysiert, ist zunächst festzustellen, dass es sich um eine alle Orden übergreifende Ausstattungsform gehandelt hat. Neben circa sieben Zyklen, die in Relation zum Augustinerorden stehen, sind dementsprechend sechs von Dominikanern, fünf von Franziskanern, vier von Karmelitern und drei von Serviten sowie knapp unter zwanzig aus dem Umfeld des Benediktinischen Mönchstums bekannt. Entsprechend der reformbedingten Ausführung von Monochrommalereien kann jedoch durchaus von einer homogenen Gruppe von Auftraggebern gesprochen werden, in der,
48 Siehe Kat. 104–112. 49 Siehe Kat. 7; 10; 11; 103.
50 Siehe Kat. 50. 51 Siehe hier Kapitel 4.
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Eremitenhistorien und Passion Christi (Detail), um 1385–1390, Chiostrino sotto la Libreria, Santa Maria Novella, Florenz
neben den päpstlichen Direktiven, der Personen- und somit der Ideentransfer zur Verbreitung dieses Ausstattungstypus beigetragen hat. Eine bedeutende Anzahl (um die 30) ist sodann im Zusammenhang mit der Laienfrömmigkeit von Bruderschaften entstanden. Die Brüder Pietro und Antonio di Miniato haben beispielsweise in mehreren Bruderschaftsoratorien in Prato grünmonochrome Zyklen ausgeführt, darunter eine Heiligengalerie in jenem der Compagnia di San Michele Arcangelo in Sant’Agostino (Abb. 9). Signifikant erscheint auch der Sammelauftrag der Compagnia del Bigallo an Bonaiuto di Giovanni von 1435, in dem der Maler damit beauftragt wird, die Fassaden von vier der Bruderschaft unterstellten Hospitälern in Florenz mit Grünmonochrommalereien zu schmücken.52 Eine weitere Perspektive innerhalb der Auswertung des Bestands bietet die Standortanalyse. Zuerst ist anzumerken,
dass die häufig vertretene Annahme, Grünmonochrommalereien befänden sich hauptsächlich in halboffenen Räumen wie Loggien oder Kreuzgängen nicht zutrifft. Wie bereits Schäffner notierte, gleicht sich das Verhältnis zwischen jenen in Außen- und jenen in Innenräumen nahezu eins zu eins an und beschreibt demnach keine dezidierte Charakteristik monochromer im Gegensatz zu polychromer Malerei.53 So sind zwar etwas mehr als 20 Zyklen in Kreuzgängen bekannt, eine ähnliche Anzahl ist jedoch in Oratorien nachzuweisen, die um mindestens weitere zehn ansteigt, sofern man Kircheninnenräume und Kapellen hinzurechnet. Auf diese zwei Standorttypen, die jeweils ungefähr ein Viertel der bekannten Wandmalereien ausmachen, folgen weitere Konventsräumlichkeiten wie Refektorien und Kapitelsäle. Problematischer ist die Gewichtung der Fassadengestaltung aufgrund deren bedeutend hohen Verlustrate; letzteres gilt jedoch ebenso für Fassaden mit herkömmlicher Buntmalerei.
52 Siehe Kat. 16; 18; 22; 23. 53 Schäffner 2009, S. 140. 54 Dittelbach 1993, S. 5, S. 98–122.
55 Siehe Kat. 43. 56 Siehe Kat. 91; 115; 97. 57 Siehe Kapitel 2.
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