Rainer Pabst WIE DIE BILDER INS MUSEUM KAMEN
Rainer Pabst
WIE DIE BILDER INS MUSEUM KAMEN Biografien von Kunstwerken aus dem Wallraf-Richartz-Museum in Köln
INHALT
Vorwort
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EIN CRANACH FÜR GÖRING
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Lucas Cranach d. Ä.: Maria mit dem Kind (1518)
MEHRERE SAMMLER UND EINIGE PLEITEN
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Peter Paul Rubens: Die Heilige Familie mit Elisabeth und Johannes dem Täufer (um 1634)
LIEBER TEUER BEZAHLT ALS GESCHENKT
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Rembrandt Harmensz. van Rijn: Selbstbildnis (nach 1662)
EINE FRAU UND EIN BILD MIT VERGANGENHEIT
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Gustave Courbet: Dame von Frankfurt / La Dame de Francfort (1858)
LIEBERMANNS „SPARGELN“ UND EIN HANDFESTER SKANDAL
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Édouard Manet: Spargelstillleben (um 1880)
EIN DIREKTOR GEGEN DEN REST VON KÖLN
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Vincent van Gogh: Die Brücke bei Arles (1888)
STATT EINES NACHWORTES
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Wie die Bilder die Kriegszeit überstanden haben Bildnachweis
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VORWORT
Auch Kunstwerke haben Schicksale. Dort, wo man sie heute sehen kann, sind sie meist nicht entstanden. Im Laufe der Jahre und Jahrhunderte sind die Bilder, die wir heute in den Museen bewundern und von denen hier die Rede sein soll, durch viele Hände gegangen. Sie sind gewandert. Über die Zeitläufte haben sie jeweils wieder neue Eigentümer gefunden und so ein ganz eigenes Leben entwickelt. Sie verfügen durchaus über eigene Biografien. Mal waren sie erwünschte Auftragsarbeiten, mal das gesuchte Objekt von Sammlern; mal wurden sie vererbt oder geerbt; mal verschenkt oder verpfändet – und manchmal sogar gestohlen. Die Wege von Kunstwerken in die öffentlichen Sammlungen verliefen nicht immer gradlinig; in vielen Fällen waren die Pfade ziemlich verschlungen. Die Besucher der Museen erfahren von solchen Lebenswegen der Bilder jedoch kaum etwas. Schließt man sich einer Führung durch eine öffentliche Sammlung oder durch eine Ausstellung an, wird für gewöhnlich über Künstler oder Maler, über Entstehungszeiten, über die visualisierten Inhalte und Gestaltungstechniken oder über mögliche Zuordnungen zu Stilepochen von Kunstwerken informiert. In Sammlungs- und Ausstellungskatalogen, in den Audioguides oder in den Texten, die Kunsthistoriker und zuständige Kuratoren den einzelnen Werken als Erläuterung beigeben, wird allenfalls mitgeteilt, seit wann sich das jeweilige Bild im Besitz des Museums befindet, wer der Vorbesitzer oder der hochherzige Stifter war. Über die Lebenswege der Kunstwerke, über die Umstände, die mit dem Erwerb, einer Schenkung oder einer Stiftung verbunden und die manchmal durchaus dramatisch waren, erfährt der Kunstinteressierte meist nur wenig – in den allermeisten Fällen gar nichts. 6
Dabei sind Fragen nach der Herkunft oder den Vorbesitzern von Kunstwerken keineswegs neu. Sie werden auch nicht erst nach spektakulären Entdeckungen von Bildersammlungen in letzter Zeit gestellt, die ganz oder teilweise in den Jahren von 1933 bis Anfang 1945 zusammengetragen und erworben – oder gar den Eigentümern weggenommen und enteignet worden sind. Allerdings hat die nach solchen Ereignissen schnell einsetzende und dann vehement geführte Diskussion in der Öffentlichkeit den Blick auf Fragen nach früheren Eigentümern und den Umständen des Besitzwechsels stark fokussiert und geschärft – natürlich vor allem im Zusammenhang mit den oftmals räuberisch-kriminellen Aktionen in der Zeit des Nationalsozialismus. Hier kulminiert der öffentliche Diskurs dann häufig in Forderungen nach einer Rückgabe von Kunstgegenständen aus deutschen Museen an die Erben oder Nachkommen der einstigen – meist jüdischen – Besitzer und in der Klärung der Rechtmäßigkeit ihrer Ansprüche. Nicht erst seit dem 20. Jahrhundert interessiert man sich für die Rekonstruktion der Wege von Bildern oder Skulpturen von ihrer Entstehung bis zu den aktuellen Eigentümern. Allein um vor Fälschungen sicher zu sein, hat man sich bereits in früherer Zeit um die Aufklärung entsprechender Sachverhalte bemüht. So konnte sich die Provenienzforschung etablieren – ein Zweig innerhalb der kunsthistorischen Wissenschaft, der in den letzten Jahrzehnten zunehmend an Bedeutung gewinnt. Abgeleitet ist der Begriff von dem lateinischenVerb provenire, das soviel wie „herkommen“ bedeutet. Auf den Bereich der wissenschaftlichen Beschäftigung mit Kunst übertragen, sind damit die Aktivitäten gemeint, die sich einer Erforschung der Herkunft oder der Besitzverhältnisse von Kunstwerken sowie deren Historie – etwa von privaten Kunstsammlungen oder von Beständen öffentlicher Museen – widmen. In den folgenden Kapiteln wird über die Schicksale einzelner Bilder aus der Sammlung des Wallraf-Richartz-Museums in Köln berichtet. Die Rekonstruktionen dieser Bildbiografien und ihre Beschreibung wären ohne die intensiven Forschungs- und Recherchearbeiten zahlreicher Kunsthistorikerinnen und Kunsthistoriker nicht möglich gewesen. Ihnen und ihrer mühevollen sowie oft langwierigen Arbeit beim Aufspüren und Durchsehen von Kauf- oder Schenkungsverträgen, Inventarverzeichnissen, Bildakten, Sammlernotizen, Korrespondenzen, Datenbanken, Bestands- bzw. Werkverzeichnissen oder Versteigerungs- und Ausstellungskatalogen oder anderen Archivalien gebührt Dank und Anerkennung. 7
Die nachfolgenden Ausführungen wissen sich ihnen und den von ihnen publizierten Forschungsergebnissen bis in viele Detailinformationen dankbar verpflichtet. Den Teilnehmern an den öffentlichen Führungen durch die Sammlungen des Wallraf-Richartz-Museums sei in diesem Zusammenhang für ihre Wissbegier und für ihre Fragen gedankt. Sie waren der eigentliche Anlass für die Entstehung dieses Manuskriptes. Nicht wenige Besucherinnen und Besucher wollten wissen, wie die Kunstwerke in das Museum gekommen sind, wer ihre Vorbesitzer waren, ob sie einmal zu anderen Sammlungen gehört haben, unter welchen Umständen oder auch zu welchen Preisen sie für das Haus erworben werden konnten. Solche Fragen haben weitere Nachforschungen ausgelöst und die Idee geboren, an ausgewählten Beispielen die Wege zu beschreiben, auf denen Bilder ins Museum gelangt sind. Auch am Schicksal der Kunstwerke in Kriegszeiten bestand großes Interesse. In einem abschließenden Kapitel sind die Ergebnisse entsprechender Recherchen aufgeführt. Wegen der den Umständen der Kriegszeit geschuldeten schwierigen Quellen- und Aktenlage lassen sich aber insbesondere zu diesem Themenkomplex derzeit noch längst nicht alle Fragen beantworten. Ein herzlicher Dank gilt auch den ehrenamtlichen Mitgliedern des Arbeitskreises des Wallraf-Richartz-Museums und des Museums Ludwig für manche wichtige Anregung sowie für die erhellenden Referate und fördernden Diskussionsbeiträge. Das große Interesse an der Provenienzforschung in diesem Kreis sowie die überaus positive Resonanz auf die Vorstellung einzelner Bildbiografien haben zur Veröffentlichung ermutigt. Thesy Teplitzky, die frühere Leiterin des Arbeitskreises, hat das Projekt von Anfang an konstruktiv begleitet und ihre Hilfe zu keiner Zeit versagt sowie wichtige Kontakte hergestellt. Zu Dank verpflichtet bin ich Barbara Schaefer, der stellvertretenden Leiterin des Wallraf-Richartz-Museums, für die sachkundig kritische Beratung bei der Vorbereitung der Museumsführungen zu den Provenienzen einzelner Ausstellungsobjekte sowie für den Zugang zu den entsprechenden Bildakten ihres Hauses. Dankbar bin ich Gisela Fleckenstein und Daniela Wagner vom Historischen Archiv der Stadt Köln, die trotz gegenwärtig widrigster Umstände einen zeitnahen Einblick in einschlägige Archivalien ermöglichen konnten; der Ausstellungskuratorin Jasmin Hartmann verdanke ich wertvolle Hinweise zur Forschungspraxis. Marcus Leifeld überließ mir großzügig Aufzeichnungen eigener Recherchen im Auftrag der Stadt Köln. Andreas 8
Gaul vom Historischen Archiv der Commerzbank in Frankfurt am Main hat Unterlagen aus dem Archiv der Dresdner Bank bereitgestellt und dort die Einsichtnahme gestattet. Bettina Berndes von der Kunst- und Museumsbibliothek der Stadt Köln bin ich überaus dankbar, denn ohne sie wäre die Beschaffung der Fachliteratur sowie deren Auswertung unmöglich gewesen. Norbert Lechleitner hat Teile des Manuskriptes urteilssicher durchgesehen und gute Ratschläge gegeben. Meiner Frau Ursula danke ich für viele Gespräche zum Thema und eine erste kritische Durchsicht des Manuskriptes; dem Deutschen Kunstverlag und besonders Anja Weisenseel und Imke Wartenberg sowie Carmen Asshoff und Andrea Schaller danke ich für die Bereitschaft, sich des Projektes anzunehmen und daraus ein Buch zu machen. Auch danke ich der Sal. Oppenheim-Stiftung im Stifterverband, die den Druck finanziell unterstützt hat. Noch längst sind nicht alle Abschnitte erkundet, die die Bilder auf ihren Wegen bis ins Museum zurückgelegt haben. Hier neue Erkenntnisse zu gewinnen, muss weiteren Anstrengungen der Zukunft vorbehalten bleiben. Alle in den folgenden Kapiteln geschilderten Ereignisse, Fakten und Angaben repräsentieren den jeweiligen Stand der Forschung. Wenn nicht alle Bezüge und Verweise auf die Fachliteratur mit Anmerkungen in Fußnoten belegt werden, so geschieht dies allein zugunsten einer besseren Lesbarkeit. Die benutzten Publikationen und Quellen sind aber am Ende eines jeden Kapitels aufgeführt, um einen Einblick in die einschlägige Forschung oder auch eine vertiefende Lektüre zu ermöglichen. Sollten trotz sorgfältiger und kritischer Durchsicht Fehler verblieben sein oder sich Irrtümer finden, trägt der Verfasser dafür allein die Verantwortung. Rainer Pabst im Herbst 2020
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EIN CRANACH FÜR GÖRING
1 Lucas Cranach d. Ä. (1472–1553), Maria mit dem Kind, 1518 56,5 × 38,8 cm, Tempera auf Lindenholz Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud, Köln (WRM 3207)
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echselnde Zeitumstände erzeugen jeweils andere Biografien. Das gilt auch für Kunstwerke. Die Verhältnisse ändern sich zudem bei jedem Wechsel der Besitzer oder Eigentümer. Sind diese bekannt, lässt sich das Leben der Bilder einfacher nachvollziehen. Wenn aber nicht klar ist, wem ein Bild oder Gemälde überhaupt gehört, dann kann sich die Beschreibung seines Lebenswegs besonders spannend gestalten. Die juristische Klärung von Besitz- oder Eigentumsverhältnissen ist nicht immer einfach und dauert oft lange – vor allem dann, wenn das Verfahren durch alle Instanzen geht. Das war der Fall bei einem Gemälde von der Hand Lucas Cranachs d. Ä., das heute unauffällig in der Sammlung des Wallraf-Richartz-Museum neben anderen Werken aus dem 15. und 16. Jahrhundert hängt. Nicht wenige Richter und Anwälte mussten bemüht werden, bis endlich feststand, wer das Kunstwerk sein Eigen nennen durfte, um das die Stadt Köln nach dem Zweiten Weltkrieg 19 Jahre lang prozessiert hatte. Dabei ging die Auseinandersetzung um ein Bild, dessen Motiv gar nicht so selten ist. Der Gegenstand des Streits war keineswegs eine Rarität: Madonnenbilder dieser Art haben die Werkstatt Cranachs in großer Zahl verlassen. Über 150 solcher Darstellungen mit der Signatur des Malers sind bekannt. Sie ließen sich gut verkaufen, weil sie den Wünschen und dem Geschmack der damaligen Auftraggeber und Kunden entsprachen. Üblich zu Cranachs Zeit waren Auftragswerke: Der Künstler malt das, was der Kunde bestellt hat. Einer der wichtigsten Mäzene um 1500 war Friedrich der Weise, Kurfürst von Sachsen und damit Cranachs Landesherr. Der hatte ihm 1508 als Zeichen seiner Verbundenheit und Wertschätzung das Recht zur Wappenführung zuerkannt. Seither signierte der Künstler seine Werke mit einer geflügelten Schlange. Auf dem Bild Maria mit dem Kind (Abb. 1) ist sie am linken unteren Rand deutlich neben der Datierung von 1518 zu erkennen. Lucas Cranach der Ältere (um 1472–1553) war ein äußerst erfolgreicher Maler und einer der bedeutendsten Künstler der deutschen Renaissance. Er war entscheidend an der Verbreitung des Gedankenguts der Reformation beteiligt, deren Protagonisten er nahe stand und die er – allen voran Martin Luther – häufig porträtiert hat. Die zahlreichen Mariendarstellungen von seiner Hand oder aus seiner Werkstatt dokumentieren jedoch, dass er bei aller Sympathie für die Reformation immer auch katholische Auftraggeber hatte und somit Kunden aus beiden konfessionellen Lagern zufriedenstellen konnte. Wenn man dem 12
Cranach-Forscher Max Jakob Friedländer folgt, liebte Kurfürst Friedrich solche Mariendarstellungen besonders. Dieser hielt selbst am Katholizismus fest, unterstützte die Reformation aber bekanntlich in umfassender Weise. Seinem Hofmaler gewährte er größte künstlerische Freiheit. Und damit zu unserem Kölner Marienbild: Wer der Auftraggeber dieser Maria mit dem Kind war oder ob es überhaupt einen solchen gegeben hat, ist unbekannt. Neuere kunsttechnologische Untersuchungen lassen anhand der sichtbar gemachten Unterzeichnung auf die Verwendung von durchgepausten Vorlagen – also auf regelrechte Serienfertigung schließen. Belegt ist, dass Cranach in seiner Werkstatt zeitweise bis zu elf ausgebildete Maler beschäftigte; dazu kam eine Vielzahl von Gehilfen und Lehrlingen. Diese fertigten die Bilder nach seinen Vorgaben in genau durchgeplanten Arbeitsabläufen. Nur so war die derart große Anzahl an Werken, die dem Künstler und seiner Werkstatt heute zugeschrieben werden, nämlich etwa 5.000 Gemälde sowie ein umfangreicher Bestand an Druckgrafik überhaupt herstellbar. Cranachs Bilder waren höchst begehrt; durch die Produktion von gängigen Bildthemen auf Vorrat konnte die stetige Nachfrage auch kurzfristig bedient werden. Bei aller Standardisierung und bei allem der Serienproduktion geschuldeten Schematismus in der Behandlung der ikonografischen Themen weisen die ausgeführten Werke aber durchaus individuelle Züge und Merkmale auf. Als mögliche frühe Besitzer der Kölner Cranach-Madonna werden im ersten Werkverzeichnis Cranachs von Christian Schuchardt aus dem Jahr 1871 die Grafen Feštetić von Tolna genannt, ein altes Adelsgeschlecht aus Österreich-Ungarn. Träfe dies zu, dann handelt es sich bei Graf Samuel Feštetić von Tolna (1806–1862), der erst durch die Heirat mit Wanda Gräfin Raczyńska in den Grafenstand erhoben wurde, um den frühesten identifizierbaren Eigentümer des Kunstwerks. Es soll sich in der Sammlung seiner Familie bis zur Versteigerung am 11. April 1859 durch den Wiener Kunsthändler August Artaria befunden haben. Im erhalten gebliebenen Auktionskatalog ist die Maria mit dem Kind unter der Losnummer 124 aufgeführt.¹
1 Bei der Versteigerung der Gemälde aus dem Besitz des Grafen Feštetić gingen die Hauptwerke an zwei Sammler: Friedrich Jakob Gsell und Dr. Sterne. Als nach Gsells Tod dessen Sammlung am 14. März 1872 und an den Folgetagen versteigert wurde, erschien ein Katalog, in dem sich neben anderen Bildern Cranachs unter Nr. 195 auch eine „Madonna, dem Kinde eine Traube reichend, in einer Landschaft“ findet. Abgesehen vom differierenden Bildinhalt kann es sich dabei schon wegen der unterschiedlichen Maßangaben nicht um das Kölner Bild handeln. Über das Schicksal der Sammlung Dr. Sterne ist nichts bekannt. 13
Ob das Gemälde Cranachs dann von Wien direkt in die Hände der Großherzöge von Sachsen-Weimar gelangte oder zunächst andere Eigentümer hatte, ist bis dato nicht ermittelt. In welche privaten Hände es danach kam, ist ebenfalls nicht bekannt. Sicher aber war es spätestens seit 1871 im Besitz der großherzoglichen Familie; das hatte ja schon Schuchardt dokumentiert. Erst 1937 tauchte das Gemälde in einem Versteigerungskatalog einer „Collection R. Paris – Nachlass eines Wiener Arztes“ unter dem Lot 1573 wieder auf. Nun wurde es vom Schweizer Kunsthändler Theodor Fischer angeboten. Dieser, seinerzeit ein gut vernetzter Galerist mit internationalen Beziehungen, sollte zwei Jahre später durch seine Galerieauktionen in Luzern zu traurig-berüchtigter Berühmtheit gelangen – als Akteur auf einem Umschlagplatz für als „entartet“ diffamierte Kunstwerke. Ab Juli 1937 hatte nämlich eine „Kommission zur Reinigung der deutschen Museen von Werken der Verfallskunst“ ihre ersten Säuberungs- und Enteignungsaktionen begonnen; zunächst waren vorrangig Kunstwerke des Expressionismus als „entartet“ klassifiziert und in 32 deutschen Museen beschlagnahmt worden. Dieses Vorgehen beruhte auf entsprechenden Erlassen Adolf Hitlers; den rückwirkenden und entschädigungslosen Einzug sowie die pekuniäre Verwertung dieser Kunstwerke regelte dann das am 31. Mai 1938 in Kraft getretene „Gesetz über die Einziehung von Erzeugnissen entarteter Kunst“. Keineswegs waren davon nur Arbeiten jüdischer Künstler betroffen. Alles, was der von den Vorstellungen Adolf Hitlers dominierten nationalsozialistischen Kunstauffassung widersprach, verschwand aus den öffentlichen Sammlungen – und damit praktisch die gesamte Moderne aus den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts. In den Räumen des Archäologischen Instituts in den Hofgartenarkaden von München, in denen sich ansonsten eine Sammlung von Gipsabgüssen befand, wurde dann eine Auswahl konfiszierter Werke unter dem Titel „Entartete Kunst“ gezeigt. Die Ausstellung diente rein propagandistischen Zwecken: Den Besuchern wurden bewusst chaotisch und diffamierend präsentierte Skulpturen und Gemälde als beispielhaft für die Kunst der Moderne gezeigt. Die negative Didaktik erwies sich jedoch sehr zum Ärger der Nationalsozialisten als geradezu kontraproduktiv; der erwünschte Abschreckungseffekt stellte sich insgesamt nicht ein. Stattdessen gerät die Ausstellung zum Publikumsmagneten und erreichte deutlich höhere Besucherzahlen als die ebenfalls in München parallel dazu stattfindende „Große Deutsche Kunstausstellung“ in dem eigens für diese Zwecke neu erbauten „Haus der Deutschen Kunst“. Die dort präsentierte Ansammlung 14
2 Theodor Fischer (rechts außen) während der Versteigerung von Kunstwerken der sogenannten Entarteten Kunst im Grand Hotel National, Luzern, am 30. Juni 1939
skulpturaler sowie gemalter Exempel des nationalsozialistischen Kunstgeschmacks stieß offenbar auf deutlich weniger Interesse als die Werke der Expressionisten, der Neuen Sachlichkeit oder der Künstler des DADA – und dies sicherlich nicht nur wegen des freien Eintritts in die Ausstellung. Schon bald dachte man in den Führungskreisen des damaligen Regimes an die Vermarktung der beschlagnahmten Kunstwerke zur Erwirtschaftung dringend benötigter Devisen. Auf der Suche nach geeigneten Personen und Möglichkeiten kam schon früh der Name Theodor Fischer ins Spiel. Den Quellen nach hatte Karl Haberstock – einer von vier mit dem Verkauf „entarteter“ Kunstwerke beauftragten deutschen Kunsthändlern – den Schweizer Kollegen empfohlen und den Kontakt zu dessen Galerie für die zuständigen deutschen Regierungsstellen hergestellt. Aus der Sicht der nationalsozialistischen Rasse-Ideologen hatte der Schweizer als Geschäftspartner vor allem einen Vorteil: Er war kein Jude. Im Salon des Luzerner Grand Hôtel National fand am 30. Juni 1939 unter Fischers Leitung eine erste Versteigerung von 125 konfiszierten Bildern statt (Abb. 2), nach deren Ankündigung schnell eine heftige Diskussion darüber entbrannte, ob ein Erwerb von Kunstwerken in diesem Kontext überhaupt statthaft oder eher ein Boykott anzuraten sei. Vor allem jüdische Organisationen in aller Welt warnten vor einem Ankauf der 15
angebotenen Kunstwerke. Nicht viele Interessenten ließen sich dadurch abschrecken; jedoch blieben die Ergebnisse der Auktion in vielen Fällen deutlich hinter den Erwartungen der Einlieferer zurück. Ein Drittel des Angebotes fand sogar überhaupt keine neuen Eigentümer. Die Galerie am Ufer des Vierwaldstätter Sees blieb jedoch weiter eine erste Adresse für die fiskalische Verwertung ausgesonderter und dann enteigneter Kunstwerke aus dem nationalsozialistischen Deutschland. Im Jahr 1937 ging es dort noch nicht um „entartete Kunst“, Cranachs Bild der Maria mit dem Kind gehörte zu einer anderen Gruppe von Auktionsware. Theodor Fischer sollte es für die adligen Eigentümer versteigern oder in Kommission verkaufen. Während also das Bild in der Schweiz auf einen Käufer wartete, erhielt das Wallraf-Richartz-Museum im Herbst desselben Jahres Post von allerhöchster Stelle: Dr. Erich Gritzbach, Ministerialdirigent und Standartenführer der SS, richtete ein Schreiben an den damaligen Direktor des Hauses Otto Helmut Förster. Der Absender war Chef des Ministerbüros im Preußischen Staatsministerium, Leiter des Stabsamtes und persönlicher Referent des Ministerpräsidenten Hermann Göring. Gritzbach gilt als dessen engster Mitarbeiter und gleichsam als seine „rechte Hand“; etwas später verfasste er sogar eine überaus devote und heroisierende Biografie seines Vorgesetzten. Diese eher als Hagiografie zu lesende Lebensbeschreibung Görings erlebte in der Zeit des Dritten Reiches zahlreiche Auflagen.² Gritzbachs Schreiben soll nach späteren Zeugenaussagen den folgenden Wortlaut gehabt haben: Herr Feldmarschall Göring wünscht aus dem Ausland ein Meisterwerk altdeutscher Kunst zu erwerben. Er benötigt dafür ein Tauschobjekt. Als solches kommt nur das in Ihrem Museum befindliche Bild von Gozzoli ‚Madonna mit Heiligen‘ in Frage. Wie ich erfahre, beabsichtigen Sie ohnehin, dieses Bild abzugeben. Herr Feldmarschall ersucht Sie daher, es ihm für den erwähnten Zweck gegen Bezahlung zu überlassen.³
2 Wahrscheinlich auf eigenen Wunsch Görings hatte Erich Gritzbach 1938 unter dem Titel: Hermann Göring – Werk und Mensch eine Biografie vorgelegt, für die Göring selbst die Tantiemen kassierte. 3 Das behaupteten Zeugen in späteren Gerichtsverfahren; der Brief selbst war nach dem Krieg nicht mehr auffindbar. Die Bezeichnung Görings als „Feldmarschall“ dokumentiert wohl deren mangelndes Erinnerungsvermögen, denn die Ernennung zum Generalfeldmarschall erfolgte erst 1938 – zwei Jahre später sogar zum „Reichsmarschall“; zur Abfassungszeit des Briefes bekleidet Göring den Rang eines Generalobersten.
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3 Benozzo Gozzoli, Die Jungfrau mit dem Kind, Papst Gregor, Johannes der Täufer, Johannes der Evangelist, der Hl. Julian, der Hl. Dominicus und der Hl. Franziskus, um 1476, National Gallery of Canada, Ottawa
In seinem Schreiben bat Gritzbach also, ein Werk aus der Sammlung des Kölner Hauses dem preußischen Ministerpräsidenten Hermann Göring gegen Bezahlung zu übereignen. Gemeint war eine Sacra Conversazione des italienischen Malers Benozzo Gozzoli aus der Zeit um 1476 (Abb. 3) – ein Künstler, der vor allem wegen seiner Freskenmalerei einen wichtigen Platz in der Kunstgeschichte einnimmt. Offenbar war in leitenden Regierungskreisen der Eindruck entstanden, dass man sich in Köln von diesem Werk trennen wolle. Gritzbach wollte wohl mit seiner Bitte im Sinne seines Vorgesetzten einem eventuell drohenden Verkauf an andere Interessenten zuvorkommen. Das erwähnte Tafelbild des italienischen Renaissancekünstlers Gozzoli, einem Schüler Fra Angelicos, war ehemals aus dem Besitz von Johann Anton Ramboux in das Kölner Museum gelangt. Der Konservator 17
und zweite Kurator der Sammlungen Ferdinand Franz Wallrafs hatte das Werk erst kurz vor seinem Tod (gest. 1866) erworben – sicher zu seiner großen Freude, denn Gozzoli war einer der Lieblingsmaler der zu Anfang des 19. Jahrhunderts in Rom lebenden romantisch-religiösen Künstlergruppe, die man später die Nazarener nannte und der auch Ramboux als junger Maler angehörte. Der späte Ankauf des Bildes erklärt, warum es in dem von Ramboux im Jahr 1862 erstellten Bestandsverzeichnis seiner Kollektion nicht erwähnt wird. Wenig später gehörte es zu den Gemälden, die im Zuge der Versteigerung der von Ramboux nachgelassenen Kunstwerke am 23. Mai 1867 bei J. M. Heberle (H. Lempertz) in die städtische Sammlung gelangt sind.4 Die für das Werk Gozzolis charakteristische Tafel zeigt die Jungfrau mit dem Kind, umgeben von Papst Gregor, Johannes dem Täufer, Johannes dem Evangelisten und einem Hl. Julian sowie von den knienden Ordensgründern Dominikus und Franziskus, die scheinbar miteinander im Gespräch vertieft sind. Ramboux hatte das Gemälde wegen seines schlechten Erhaltungszustandes in Teilen selbst übermalt, was in der damaligen Restaurierungspraxis durchaus üblich war. Museumsdirektor Förster war von dem Werk nicht besonders angetan und bezeichnete es in einem 1945 verfassten Bericht über den Ausbau der Sammlung des Wallraf-Richartz-Museums als „völlig ungeeignet“, um in seiner Galerie die Epoche der florentinischen Malerei zu repräsentieren. Das 1937 im amtlichen Schreiben vorgetragene Ansinnen Görings war der Kölner Museumsleitung sicher durch den Kunsthändler Walter Andreas Hofer übermittelt worden. Weil dessen Ehefrau Berta (geb. Fritsch) als bekannte Restauratorin für Göring gearbeitet hatte, kam der Kontakt Hofers 1936 zum preußischen Ministerpräsidenten zustande. Der Kunsthändler, der eine eigene Galerie in der Augsburger Straße 68 in Berlin betrieb, war in dieser Zeit hauptsächlich mit Akquisitionen für die Kunstsammlung Hermann Görings beschäftigt und wurde später sogar deren Direktor. Hofer soll in Köln deutlich gemacht haben, dass einer derartigen „Bitte“ von allerhöchster Stelle widerspruchslos nachzukommen sei. Zudem habe Gritzbach bereits den Gauleiter der NSDAP für Köln und Aachen, Josef Grohé, fernmündlich mobilisiert und 4 Die Sammlung Ramboux galt als die größte von Werken früher italienischer Maler nördlich der Alpen; daraus kaufte die Stadt 57 Bilder für einen Gesamtbetrag von 974 Talern, 1 Silbergroschen. Nach vielen späteren Verkäufen sind davon bis heute 19 Werke im Wallraf-Richartz-Museum verblieben.
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gedrängt, dafür zu sorgen, dass das gewünschte Gemälde pünktlich zur Verfügung gestellt werde. Wenn diese Darstellung stimmt, wurde die Angelegenheit offenbar mit großer Vehemenz und allem Nachdruck von einflussreicher Stelle betrieben. Hermann Göring, dessen Interesse an Kunst und Kunsthandwerk im Dritten Reich allgemein bekannt war5, ging es jedoch, wie aus dem oben zitierten Brief Gritzbachs hervorgeht, nicht in erster Linie um das Gemälde Gozzolis in der Sammlung des Kölner Museums. Ob Göring den Maler zu diesem Zeitpunkt überhaupt geschätzt hat, muss offenbleiben; später dürfte er ihn gekannt haben, denn eine Inventarliste seines Landsitzes Carinhall aus dem Jahr 1940 weist im Bestand immerhin eine Kopie eines Gozzoli-Bildes aus.6 Sehr viel mehr als sein Schöpfer dürfte Göring der um ein Vielfaches höhere Marktwert des Werkes interessiert haben. Es sollte nämlich als Tauschobjekt für ein Meisterwerk deutscher Kunst verwendet werden, das sich damals im Ausland befand und dem späteren Reichsmarschall ins Auge gestochen hatte: eben jene Maria mit dem Kind von Lucas Cranach d. Ä., die durch den Kunsthändler Fischer in der Schweiz wahrscheinlich im Auftrag der Nachfahren der Großherzöge von Sachsen-Weimar angeboten wurde.7 Der Hinweis auf dieses Gemälde stammte mit großer Wahrscheinlichkeit wiederum von Walter Andreas Hofer, der seinen Auftraggeber auf die Kaufofferte aus Luzern aufmerksam gemacht haben und damit dessen Begehrlichkeit geweckt haben wird. Damit stieß er keineswegs auf taube Ohren: Hermann Göring schätzte Lucas Cranach d. Ä. sehr und hatte bereits eine beachtliche Anzahl seiner Werke erstanden.8 Görings willfähriger Biograf Gritzbach vermerkt ausdrücklich, dass sich sein Vorgesetzter „besonders 5 Hermann Göring sammelte Kunst aus Leidenschaft, mit der er sich in seinem Domizil „Carinhall“ in der Schorfheide bei Berlin umgeben konnte, das er in mehreren Bauphasen ab 1937 als Schauplatz seiner Selbstinszenierung ausbauen und vergrößern ließ. Bei Kriegsende führten Inventare der US-Army zu Görings Sammlung 1375 Gemälde und 250 Plastiken neben antiken Möbelstücken, kunstgewerblichen Gegenständen und Tapisserien auf. 6 Es handelt sich um die Kopie des Porträts des Giovanni Paleologo von dem akademischen Maler Hermann Kraus, das im Korridor des Gästeflügels von Carinhall gehangen hat. 7 Über Theodor Fischer erhielt Göring insgesamt 26 bedeutende Gemälde in einem Gesamtwert von etwa 1,2 Millionen SFrs. (Schweizer Franken); darunter auch mehrere Arbeiten von der Hand Lucas Cranachs d. Ä. 8 Nachweislich umfasste Hermann Görings Sammlung bis zum Jahr 1937 bereits zwölf Gemälde, die Lucas Cranach d. Ä., seiner Werkstatt oder seiner Schule zugeschrieben wurden; später sollen es insgesamt 60 Werke gewesen sein. Einige davon sind über Theodor Fischer erworben worden. 19
über die Bilder von Lucas Cranach … jeden Tag“ gefreut habe. Keineswegs widerwillig hatte Göring zudem die Schirmherrschaft über eine große Ausstellung der Werke von Vater und Sohn Cranach übernommen, die von April bis Juni 1937 in Berlin gezeigt wurde. Bei den Ankäufen und Erwerbungen für seine Sammlungen bediente sich der Preußische Ministerpräsident nicht allein der Person Hofers; ein ganzer Stab weiterer Fachleute, Mittelsmänner, Kunsthistoriker und Helfershelfer arbeitete an dieser Aufgabe. An Sachverstand fehlte es also nicht – woran es ihm aber um 1937 bereits mangelte, das waren die zur Bezahlung von Auslandseinkäufen notwendigen Devisen. Das Regime Hitlers rüstete nicht erst gegen Ende der 1930er-Jahre zum Krieg. Da die Reserven ausländischer Währungen zur Finanzierung von Rohstoffkäufen im Ausland für die Aufrüstung dringend benötigt wurden, war der Zahlungsverkehr mit dem Ausland strengen Restriktionen unterworfen und wurde scharf kontrolliert. Die Bestimmungen galten auch für die oberen Dienststellen und Behörden, selbst die Führungselite durfte sich nicht ohne Weiteres darüber hinwegsetzen. So konnte Göring zwar als Reichsmarschall über einen Teil des Reichsdevisen-Sonderkontos verfügen, musste aber die angeforderten Beträge jeweils bei der Deutschen Bank schriftlich beantragen. Sehr viel vorteilhafter und einfacher erschien es deshalb, ein gewünschtes Kunstwerk aus dem Ausland durch den Tausch gegen ein anderes zu erwerben. Schon bald nach dem Ende des Ersten Weltkriegs hatte Göring mit dem Sammeln von Kunstwerken begonnen – allerdings waren zu dieser Zeit seine finanziellen Möglichkeiten noch sehr beschränkt. Das änderte sich in den ersten Jahren nach der Machtübernahme durch die Nationalsozialisten: Vor allem Persönlichkeiten der Kulturprominenz9 und der Großindustrie fühlten sich dazu veranlasst, Göring wertvolle Kunstgegenstände zu schenken und seine Sammlungen zu komplettieren – so etwa der vornehmlich in Rüstungsunternehmen agierende Friedrich Flick¹0 oder der Hamburger Zigarettenfabrikant Philipp Fürchtegott Reemtsma, der bis 1943 fast 15 Millionen Reichsmark an Göring zahlte – wohl zum Dank für dessen Einsatz bei der Einstellung eines Verfahrens 9 Auf der Liste der Spender standen etwa die Schauspielerinnen Lilian Harvey, Zarah Leander und Marika Rökk. 10 Wie Ilse von zur Mühlen angibt, soll Göring nach den später publizierten Aufzeichnungen amerikanischer Kunstschutz-Offiziere von dem Industriellen Friedrich Flick Gemälde im Wert von 145.000 zum Geschenk erhalten haben.
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