Star oder Loser?

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Karin Guggeis

STAR ODER LOSER? Zum Making-of von Objektkarrieren in einem ethnologischen Museum


Bayerische Studien zur Museumsgeschichte · Band 5 Herausgegeben von der Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern


Karin Guggeis

STAR ODER LOSER? Zum Making-of von Objektkarrieren in einem ethnologischen Museum


Inaugural-Dissertation im Fach Ethnologie an der Kulturwissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth Betreuer: Prof. Dr. Kurt Beck Zweitgutachterin: PD Dr. Paola Ivanov Annahmedatum: 9.5.2018 Lektorat: Rudolf Winterstein Redaktion: Wolfgang Stäbler Gestaltungskonzept: Edgar Endl Satz und Umbruch: Rüdiger Kern Druck und Bindung: Beltz Grafische Betriebe, Bad Langensalza Verlag: Deutscher Kunstverlag GmbH Berlin München Lützowstraße 33 10785 Berlin www.deutscherkunstverlag.de Ein Unternehmen der Walter de Gruyter GmbH Berlin Boston www.degruyter.com Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet ­diese ­Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; ­detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Deutscher Kunstverlag GmbH Berlin München ISBN 978-3-422-98821-7


INHALT

7 GELEITWORT

DES HERAUSGEBERS

8 DANK

10

I. EINLEITUNG

10

1. Stars werden g ­ emacht, nicht geboren

11

2. Fragestellung und Erkenntnis­interesse

15

3. Methodische Überlegungen

17

21

II. AUSWAHL UND KONTUREN DES MÜNCHNER ­E THNOLOGISCHEN MUSEUMS III. THEORETISCHER RAHMEN

37

2.1.2 Erste öffentliche Bühnen

44

2.1.3 Dynamiken des Making-of zu Superstars

54

2.1.4 Zusammenfassung und Fazit

59

2.2 Der klassische Star: Ein Panther(-Paar) aus dem Königreich Benin

59

2.2.1 Der Erwerb eines Traumpaares 1952

64

2.2.2 Vorbereitungen für den Bühnenauftritt

64 Schönheitsreparaturen am Objekt selbst 65 Erste fotografische Inszenierungen: Von Raubkatzen bis Hauskatzen 73

2.2.3 Erste Bühnen des Paares nach ihrem Erwerb

75

2.2.4 Die Trennung des Paares durch Tausch

21

1. Die kulturelle Biografie von Dingen

80 Verbleib vs. Abgabe – Zufall oder Kalkül?

22

2. Aneignung

81 Die Tauschobjekte: Asien schlägt Afrika

25

3. Communities of Practice

27

4. Skilled Vision

29 30

32

81

2.2.5 Die weitere Karriere der im ­Museum verbliebenen Figur

87

2.2.6 Konturen der weiteren ­Karriere der w ­ eggetauschten Figur

5. Skilled Practice

88

2.2.7 Zusammenfassung und Fazit

6. Unterscheidung der B ­ ewertung relevanter Merkmale

93

2.3 Der aktuelle Coverboy: Eine Maske aus der Wara-Region

93

2.3.1 Der gezielte Erwerb 1986

IV. DAS MAKING-OF VON OBJEKTKARRIEREN IM MUSEUM: AUSGEWÄHLTE BEISPIELE

94

2.3.2 Skilled Practice: Recherchen

94

2.3.3 Erste öffentliche Bühnen

96

2.3.4 Das Making-of als Coverboy eines Katalogs

32

1. Auswahl und Darstellung der Fallbeispiele

33

2. Die Fallbeispiele

35

2.1 Aktuell gehypte Superstars – Zwei Veranda-Pfosten des Yoruba-Schnitzers Olowe aus Ise

35

2.1.1 Der gezielte Erwerb 1998

101 2.3.5 Zusammenfassung und Fazit 103 2.4 Der aktuelle Publikumsliebling: Der Sprechende Schuh – La Source 103 2.4.1 Der gezielte Erwerb 2010 106 2.4.2. Erste öffentliche ­Auftritte auf ­alten und neuen Bühnen

I NHALT

5


107 2.4.3 Dynamiken zum Publikumsliebling

169 2.8.3 Erste öffentliche Bühnen

111 2.4.4 Zusammenfassung und Fazit

170 2.8.4 Der Total-Crash der Karriere

113 2.5 Der Comebacker ins Museum – Eine Uli-Figur namens »Waldo«

174 2.8.5 Zusammenfassung und Fazit

113 2.5.1 Der Erwerb als Geschenk 1912

177 2.9 Der verstoßene Hinterbühnler: Ein Amulett aus dem Ogowe-Gebiet

114 2.5.2 Erste öffentliche Bühnen

177 2.9.1 Der Erwerb als unwillkommenes Geschenk 1888

117 2.5.3 Der Wegtausch im Jahre 1951

180 2.9.2 Die Hinterbühne als Bühne

117 46 gegen 2

181 2.9.3 Karrierecrash und Karriereende des physischen Objekts

126 Die Klassifikation von »Dubletten« und ihre Folgen

182 2.9.4 Zusammenfassung und Fazit

130 2.5.4 Das Comeback von »Waldo« ins Museum

184

V. CONCLUSIO UND AUSBLICK

131 Warum teuer zurückgekauft? 132 Hinterbühnen des Comebacks

196 QUELLENNACHWEIS

LITERATUR

133 Die Auktion und dortige Preisbildung 134 Die weitere Karriere des Comebackers

196

Interviews sowie mündliche und schriftliche Mitteilungen

197

Archivalische Primärquellen

137 2.5.5 Zusammenfassung und Fazit 141 2.6 Der Comebacker im Museum: Ein »Fetisch« von der Loango-Küste 141 2.6.1 Der Erwerb als Geschenk 1875 142 2.6.2 Öffentliche Bühnen und Hinterbühnen in den nächsten Jahrzehnten 149 2.6.3 Das Comeback im Museum 152 2.6.4 Zusammenfassung und Fazit 155 2.7 Das gesunkene Sternchen: Ein Speer aus Ostafrika 155 2.7.1 Der Erwerb als Geschenk 1891 155 2.7.2 Skilled Practice auf der Hinterbühne 157 2.7.3 Erste öffentliche Bühnen 161 2.7.4 Der Karriereeinbruch 163 2.7.5 Zusammenfassung und Fazit 165 2.8 Das gefallene Sternchen: Der Karrierecrash eines Elfenbein-Blashorns 165 2.8.1 Der gezielte Erwerb 1974 168 2.8.2 Der Erwerb von Wissen

6

I NHALT

UND

197 Sekundärliteratur 206 Filmische Quellen 207 ABBILDUNGSVERZEICHNIS


GELEITWORT DES HERAUSGEBERS

Als Publikationsforum für Forschungsarbeiten über die bayerischen Museen oder auch Untersuchungen, die sich mit ihrem »Innenleben« auseinandersetzen, hat die Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern 2011 ihre jüngste Publikationsreihe ins Leben gerufen, die »Bayerischen Studien zur Museumsgeschichte«. Bei den ersten beiden Bänden stand die historische Untersuchung regionaler Museumslandschaften, genauer der Stadt- und Heimatmuseen Frankens und Schwabens, im Mittelpunkt. Ebenfalls der Museumsgeschichte, nun allerdings mit Blick auf einen speziellen Zeitabschnitt, widmete sich die dritte Untersuchung: dem Kunstraub unter der Herrschaft der Nationalsozialisten. Die Publikation verfolgte nicht zuletzt das Ziel, die Projekte und Hilfestellungen der Landesstelle für die Museen im Hinblick auf die wichtigen Aufgaben der Provenienzforschung zu begleiten. Ins »Innenleben« der Museen stieß hingegen der folgende Band 4 vor, eine Arbeit aus dem Bereich der Empirischen Kulturwissenschaften. Diese Museografie, also die Untersuchung eines Museums und seiner Tätigkeiten, analysierte Legitimationsstrategien und soziokulturelle Funktionen eines Designmuseums. Dabei wurden am konkreten Beispiel Vorgehensweisen, Sammlungskonzeptionen und Präsentationsformen beleuchtet. An diese Arbeit knüpft unter anderem Blickwinkel der nun vorliegende fünfte Band an. In seinem Mittelpunkt steht die Frage, welche Abläufe und Einflüsse dazu führen, dass einzelne Museumsobjekte die »Stars« der Sammlung und von Ausstellungen werden, andere dagegen entweder weniger beachtet im Schatten stehen oder gar als »Loser« aus ihrem früheren Rampenlicht entfernt werden. Die Dissertation der Ethnologin Karin Guggeis an der Kulturwissen-

schaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth diskutiert diese spannende Fragestellung eingehend anhand mehrerer treffender Beispiele aus dem Museum Fünf Kontinente in München. Ohne hier ihre Ergebnisse vorwegnehmen zu wollen: Es zeigt sich, welch lebendiger Organismus ein Museum ist, dem ja oft zu Unrecht eine gewisse in sich ruhende, fast unveränderliche Statik nachgesagt wird. Mit allem Nachdruck wird aufgezeigt, wie einzelne Personen mit ihrem durchaus individuellen Blick auf und durch ihr unterschiedliches Verständnis von den Objekten die Wertschätzung von Sammlungsobjekten und -teilen beeinflussen, wie auch der Kunstmarkt, Zeit- und Modeströmungen und das Fortschreiten wissenschaftlicher Erkenntnisse jenes Verständnis verändern kann. Auch ein gesteigerter Bekanntheitsgrad durch Veröffentlichungen oder Ausstellungen oder sogar das politische Umfeld kann in die »Karriere« eines Objekts bestimmend mit eingreifen. Ohne Zweifel: Museen »leben«, sie entwickeln sich, sind einem ständigen Wandel unterworfen, beeinflusst durch das gesellschaftliche Umfeld ebenso wie Entwicklungen in ihrem Inneren. Und ebenso unzweifelhaft: Ihre wichtigste Aufgabenstellung sind die Bewahrung und Bearbeitung der gesammelten Objekte, die immer wieder neue Erkenntnisse liefern und Umdeutungen erfahren können.

München, im März 2022 Dr. Dirk Blübaum Leiter der Landessstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern

Geleitwort des Herausgebers

7


DANK

Bereits die Inspiration zu dieser Arbeit verdanke ich einer Vielzahl von Menschen, die durch persönliche und fachliche Gespräche oder durch ihre Publikationen meine Aufmerksamkeit auf das Thema lenkten. Ihnen möchte ich an dieser Stelle meinen Dank aussprechen, auch wenn sie nicht alle im Rückblick und an dieser Stelle namentlich erwähnt werden können. Ein besonderer Dank gilt meinem Doktorvater Professor Dr. Kurt Beck für die Freiheit, diese Arbeit ausführen zu können, sowie für seine wertvollen Kommentare und Anregungen. Professorin Dr. Paola Ivanov mit ihrer großen Kenntnis über das Themenfeld meiner Arbeit danke ich dafür, sich als zweite Gutachterin zur Verfügung gestellt zu haben. Professor Dr. Bernt Schnettler danke ich für seine spontane Bereitschaft, als weiterer Gutachter bei meinem Rigorosum teilzunehmen. Ein großer Dank gilt auch allen Teilnehmer*innen der Doktorand*innen-Kolloquien von Professor Dr. Kurt Beck in Wallenfels für ihre eigenen bereichernden Forschungsbeiträge sowie für ihre konstruktiven Anregungen und Kommentare zum jeweiligen Stand meiner Arbeit. Im Münchner ethnologischen Museum Fünf Kontinente haben zahlreiche Mitarbeitende meine Arbeit in vielfältiger Weise unterstützt. Besonders danken möchte ich der 2017 überraschend verstorbenen Direktorin Christine Kron für ihre Unterstützung meiner Feldforschung im Münchner Museum. Zu besonders großem Dank verpflichtet bin ich weiterhin der früheren Afrika-Abteilungsleiterin Maria Kecskési posthum für ihre wertvolle Unterstützung und ihre kollegiale Bereitschaft, mir für Fragen zu früheren Jahrzehnten stets geduldig und bereitwillig ihre Zeit zu opfern. Für Interviews, konstruktive Gespräche und ihre Expertise sowie mannigfaltige weitere Unterstützungen bedanke ich mich bei Michaela Appel, Stefan Eisenhofer, Marianne Franke, Julia Glaser, Nicolai Kästner, Bruno Richtsfeld, Wolfgang Stein, Regina Stumbaum, Helga Theodhori, Hilke Thode-Aro-

8

Dank

ra, Claudia Walke und Marietta Weidner sowie posthum Dorothee Schäfer. Veronika Grahammer, Martin Gross, Anka Krämer de Huerta, Sabine Polacek, Gertraud Remmers und Ronald Schwarzenberger danke ich für ihre Hilfsbereitschaft. Für wichtige Anregungen, Informationen und Gespräche, die direkt oder als Hintergrundwissen in die Arbeit einflossen, bin ich zudem externen Kolleg/-innen zu großem Dank verpflichtet, vor allem Christian Feest, Jan-Loedewijk Grootaers, Iris Hahner, Lorenz Homberger, Kerstin Pinther, Markus Schindlbeck, Barbara Thompson und Ulf Vierke. Wertvolle Informationen und Einsichten in den Afrikanischen Kunstmarkt und hierbei vor allem zu Auktionen verdanke ich Heinrich Schweizer, einem der international renommiertesten Experten für Afrikanische und Ozeanische Kunst. Wichtige Erkenntnisse zum Kunstmarkt im Wandel der Jahrzehnte verdanke ich zudem Karl-Ferdinand Schaedler, weiterhin Christina und Rolf Miehler, Andreas Schlothauer, Anita Schröder, Gert Stoll und dem 2015 verstorbenen René David. Peter Stepan danke ich für seinen Einblick in Mechanismen des Verlagswesens. Günter Kuhn war mir bei der Umrechnung alter Währungen in heutige Bezugsgrößen eine große Unterstützung. Dem Bildhauer, Professor für Plastisches Gestalten an der Technischen Universität München und Sammler Afrikanischer Kunst Fritz Koenig danke ich posthum dafür, dass er bei der Bearbeitung seiner großen Afrika-Sammlung mit mir seinen persönlichen Blick auf die Werke teilte und mir dadurch Einsicht in grundsätzliche Unterschiede zwischen einer öffentlichen Museumssammlung und seiner Privatsammlung gewährte. Für das großzügige kostenlose und schnelle Bereitstellen von Fotografien danke ich dem National Museum of African American History and Culture (NMAAHC) der Smithsonian Institution in Washington D.C., dort vor allem Jarrett L. Smith, und dem Haus der Kunst in München


und hierbei Iris Ludwig, für die Erlaubnis zur Abbildung eines Titelcovers Pia Werner vom Prestel Verlag. Dr. Astrid Pellengahr, Dr. Dirk Blübaum und Dr. Wolfgang Stäbler von der Landesstelle für die nichtstaatlichen Museen in Bayern gilt mein großer Dank für ihre Bereitschaft, vorliegende Arbeit in der Reihe »Studien zur Bayerischen Museumsgeschichte« zu veröffentlichen. Ein ganz besonderer Dank gilt meinen Freund/-innen für ihre konstruktiven Beiträge, vor allem jedoch für ihre Aufmunterungen. Namentlich danken möchte ich Karin und Khodr Abdallah, Michael Ewert, Brigitta Niehaus, Karin Sommer, Renate Möller, Regina Ober, Maria Prem, Kai Stepper, Jochen von Stieglitz und Barbara Westner.

Für das konzentrierte Lesen der Arbeit oder einzelner Kapitel und vor allem für ihre konstruktiven Anregungen und Kommentare bin ich Ulrike Budde, Leonie Emeka, Regina Ober und Karin Sommer zu großem Dank verpflichtet. Doch ohne das sanfte, doch stetige Nachhaken nach weiteren Kapiteln zum Lesen von Lourdes Ros de Andrés und ihren wertvollen Hinweisen wäre diese Arbeit noch länger in der Zielgerade verharrt. Aus vollstem Herzen für ihre Anteilnahme und Unterstützung, für ihre Aufmunterungen sowie für ihre mir entgegengebrachte Geduld beim Verfassen dieser Arbeit danke ich meinen Eltern Lotte und Helmut Guggeis, vor allem aber meiner Tochter Leonie und meinem Mann Stefan. Karin Guggeis

Dank

9


I. EINLEITUNG

»Schönheit liegt im Auge des Betrachters« (Thukydides, vor 454–ca. 396 v. Chr.)

1. STARS WERDEN G ­ EMACHT, NICHT GEBOREN Stars werden nicht geboren. Stars werden gemacht. Der Fußballer Cristiano Ronaldo mag einen unberechenbaren Schuss haben und ein geniales Spielverständnis, die Sängerin Rihanna eine ergreifende und atemberaubende Stimme. Doch durch Talent allein füllen sie nicht ganze Stadien, erzielen nicht ein gigantisches Einkommen und Millionen von Klicks, Likes und Followers im Netz. Einzig durch Talent wurden sie nicht zu globalen MegaStars, denn Talent besitzen unzählige Fußballer*innen und Sänger*innen. Das »Making-of« von Stars ist vielmehr ein komplexer Prozess ihrer Erzeugung, an dem viele Akteur*innen aus unterschiedlichsten Bereichen beteiligt sind. Dies zeigt etwa die (Ver)Wandlung von Norma Jeane Baker zum globalen Superstar Marilyn Monroe: Ein neuer prägnanter Name, ein neues Outfit mit wasserstoffblondierten Haaren, anderem Make-Up mit kräftigem, geschwungenen, die Augen betonenden Oberlidstrich und aufgehelltem Teint bis hin zu neuen Bewegungen und Posen bei Foto-Shootings und Filmen sind nur einige der Veränderungen derselben Person, die keineswegs ihre alleinige Erfindung waren. Bei diesem Prozess der Transformation waren Model-Agenturen über Stylisten bis hin zu Fotografen und Filmproduzenten entscheidend beteiligt. Erst durch diesen Prozess der Transformationen wurde ein unscheinbares Pin-Up-Model zur globalen Sex-Ikone.1 Doch nicht nur die Stars im Rampenlicht werden gemacht, sondern auch die Loser, die Verlierer am anderen Ende des Spektrums – diejenigen, denen keine Beachtung zukommt, die stets übergangen werden, die vom Publikum unbemerkt und ungeschätzt oder vergessen sind.

10

I. Einleitung

Das Making-of von Stars und Losern beschränkt sich keineswegs auf Personen im globalen Show- oder Fußballbusiness. Es findet auf vielen sozialen Bühnen statt, in der Kunstwelt, der Literatur, aber aber auch im Museum. Das Making-of von Objekten in Museen aufzuzeigen ist Ziel dieser Arbeit. Dies beschränkt sich nicht auf die Karrieren von internationalen Ikonen in Kunstmuseen wie etwa der Mona Lisa im Pariser Louvre oder der Nofretete im Ägyptischen Museum Berlin, sondern findet ebenso bei Werken in ethnologischen Museen statt. Die vorliegende Arbeit fokussiert das älteste ethnologische Museum in Deutschland, lange Zeit bekannt als Staatliches Museum für Völkerkunde in München, das seit 2014 den Namen Museum Fünf Kontinente trägt. Die Beispiele stammen, mit einer Ausnahme, aus dessen Afrika-Sammlung. Stars werden nicht geboren, Stars werden gemacht, die Grund- und Ausgangsthese dieser Arbeit, ist nur scheinbar eine banale Aussage. Denn sie hat weitreichende Implikationen. Sie beinhaltet, dass ein Star selbst keinerlei ihm immanente Qualitäten besitzt, die universell und zeitlos höchste Wertschätzung beanspruchen können (vgl. Clifford 1988, zit. n. Ivanov 2005: 35). Welche Merkmale, Prozesse und Akteur*innen für das Making-of einer erfolgreichen, aber auch einer erfolglosen Karriere maßgeblich sind, wird in vorliegender Arbeit untersucht. Der Begriff des »Making of« ist der Filmsprache entlehnt. Das »Making-of«, wie die eingedeutschte Bezeichnung lautet, bietet Einsichten in das Machen eines bestimmten Films, sein Entstehen und Werden, es zeigt 1 Mehrere hundert Publikationen widmen sich Marilyn Monroe und ihrem Leben. Für mich erkenntnisreich und zielführend waren vor allem die Biografie des Journalisten und Dokumentarfilmers James Glaeg (2012) und die Memoiren des Fotografen André de Dienes (Crist & Ellis de Dienes 2015).


Akteur*innen jenseits der Schauspieler*innen vor der Kamera, es ermöglicht Einblicke in die Voraussetzungen zum und in die Prozesse beim Drehen dieses Films. In Anlehnung daran bietet, wie ich vorschlage, die Untersuchung und Darstellung des Making-of bei Museumsobjekten Einblicke in die Bühnen und Hinterbühnen beim »Machen«, beim Entstehen ihrer Karrieren als Resultat komplexer und für die Öffentlichkeit meist nicht sichtbarer Prozesse.

2. FRAGESTELLUNG UND ERKENNTNIS­I NTERESSE Meine Untersuchung über das Making-of von Stars und von Losern in einem ethnologischen Museum hat das Ziel, die dynamischen Prozesse in den sozio-kulturellen Karrieren von Museumsobjekten aufzuzeigen. Wie und durch welche Prozesse werden sie zu Stars oder Losern gemacht? Welche Akteur*innen sind entscheidend in diesem Prozess? Welche Wahrnehmungen, Deutungen und Wertschätzungen werden bei den Karrieren von Objekten in synchroner Perspektive deutlich? Welche dynamischen Prozesse sind in diachroner Perspektive zu erkennen? Wieso ist ein Objekt stets in einer Ausstellung präsent, während andere unbeachtet im Depot aufbewahrt sind? Inwieweit sind die Karrieren vorherbestimmt und vorhersehbar? Tatsächlich zeigen sich deutliche Unterschiede in der Biografie von Museumsobjekten. Einige sind innerhalb von mehrere hundert, tausend oder sogar zehntausend Objekte umfassenden Sammlungen scheinbar permanent in Ausstellungen oder auf anderen öffentlichen Bühnen präsent und können dadurch als Stars klassifiziert werden. Andere hingegen verbringen den Großteil ihres Lebens im Museum weitgehend unbeachtet im Depot und sind für die Öffentlichkeit unsichtbar. Sie werden als »Magazinhüter« oder »Hinterbühnler« klassifiziert. Doch damit sind nur die Eckpunkte des Spektrums angedeutet. Denn Objekte im Museum sind entgegen dominierender populärer Auffassungen durchaus Dynamiken in ihrer Wahrnehmung, Deutung und Wertschätzung unterworfen.

Das Museum ist Schnittstelle für unterschiedliche Akteur*innen in unterschiedlichen »Communities of Practice« (vgl. hierzu Kap. III. 3.). Die Handelnden, die für das Making-of der Karrieren von Objekten im Münchner ethnologischen Museum entscheidend sind, an besonders prägnanten Fallbeispielen herauszuarbeiten und darzustellen, ist das Ziel meiner Untersuchung. Dabei sollen die jeweiligen Strategien des Making-of, des Machens im Hintergrund, aufgezeigt werden. Nicht die einzelnen Karrierestationen der Objekte stehen daher im Zentrum. Vielmehr will die Untersuchung erklären, durch welche Deutungen und Bewertungen der entscheidenden Akteur*innen das Making-of von Objekten bewirkt und verhindert wird. Auch wird untersucht, welche Interessen diesen Handlungen zugrunde liegen. Die Arbeit basiert somit auf der Annahme, dass Objekte im Museum entgegen gängiger Vorstellungen in der breiten Öffentlichkeit keineswegs »tot« sind. Meine Untersuchung steht damit im Gegensatz etwa zu Adornos Sichtweise, wenn er schreibt: »Museum und Mausoleum verbindet nicht bloß die phonetische Assoziation. Museen sind wie Erbbegräbnisse von Kunstwerken« (Adorno 1997 [1955]: 181). Vielmehr schließe ich mich in der Tendenz der möglichen Karrieren von Objekten Peter Sloterdijk an, der die Metapher vom Museum als Mausoleum oder Friedhof für Objekte durch die Metapher des irdischen Himmels ersetzt: »In Wahrheit ist das Museum weniger ein Friedhof als ein irdischer Himmel der übrig gebliebenen Objekte, denn mit dem Tag der Ausstellung brach für sie der Tag der Auferstehung an« (Sloterdijk 2007: 365–366). Mit dem Eintritt eines Objekts in das Museum betrachte ich daher seine Biografie, seine Karriere keineswegs als beendet. Ein Museumsobjekt mag in seiner Glasvitrine in der Ausstellung statisch erscheinen. Doch ist dies eine nur situative, eine generalisierte Momentaufnahme und daher eine unangemessene und unkundige Sichtweise auf Museumsobjekte (vgl. auch Gosden & Marshall 1999: 170). Trotz ihres vermeintlich statischen Zustands werden diese Objekte ständig neu angeeignet, werden ihnen von entscheidenden Akteur*innen neue Bedeutungen und Bedeutsamkeiten zugewiesen und neue Verknüpfungen hergestellt, die für ihre weitere Karriere von Relevanz sind.

2. Fragestellung und Erkenntnis­interesse

11


Mit dem Eintritt in das Museum beginnt das »zweite Leben« der Objekte. Es unterscheidet sich deutlich von ihrem »ersten Leben« im einheimischen Zusammenhang, dem Leben, das die Hersteller*innen, Auftraggeber*innen und Nutzer*innen in ihren ursprünglichen Herkunftsregionen für sie vorgesehen hatten. Dieses bisher untererforschte zweite Leben bildet den Fokus meiner Untersuchung. Denn die Karriere von Objekten im Museum ist keineswegs nur eine »Geschichte über das Andere, sondern gerade auch die Geschichte des Eigenen« (Bose 2008: 189). Das Spektrum dieses zweiten Lebens ist jedoch nicht auf die Orte »Ausstellung« und »Museumsdepot« zu begrenzen. Zudem stehen die Objekte selbst nur scheinbar im Vordergrund. Weitaus wichtiger sind, wie erwähnt, die Akteur*innen und die Dynamiken ihrer Wahrnehmungen, Deutung und Bewertung innerhalb einer sich wandelnden Welt. Zielsetzung der Arbeit ist damit ausdrücklich nicht, eigene Bewertungen hinsichtlich der Ästhetik, Qualität oder Authentizität eines untersuchten Objekts zu erarbeiten. Von Relevanz für die Untersuchung sind ausschließlich die Bewertungen der Akteur*innen in ihren dynamischen Prozessen, die für die Karrieren von Objekten entscheidende Bedeutung hatten. Das erste Leben der Museumsobjekte wird nur dargestellt, soweit es bekannt war und für das zweite Leben beim Making-of ihrer Karrieren im Münchner Museum Relevanz besaß. Eigene Feldforschungen im einheimischen Kontext oder Archivstudien zum ersten Leben der Werke wurden aufgrund des Fokus dieser Arbeit nicht vorgenommen. Diese Arbeit leistet dadurch zwar einen Beitrag zur Provenienzforschung, indem sie die bisherigen Vorbesitzer*innen im Globalen Norden sowie die Erwerbsmodi durch das Museum darstellt. Doch ist das primäre Ziel nicht, die Biografien der Objekte bis zu ihren Ursprüngen, ihren Hersteller*innen, Auftraggeber*innen, Nutzer*innen sowie Vorbesitzer*innen im einheimischen Kontext bei ihrem Erwerb durch Akteur*innen des Globalen Nordens aufzuzeigen oder die Rechtmäßigkeit der Erwerbungen darzustellen. Dies ist zwar eine überaus wichtige Aufgabe heutiger ethnologischer Museen, doch nicht das Thema dieser Arbeit.

12

I. Einleitung

Zu weiteren Begrifflichkeiten: Der Begriff »Star«, »Sternchen« und weitere meiner zentralen Bezeichnungen wie »Bühne«, »Hinterbühne«, »Auftritt«, »Hauptrolle«, »Nebenrolle« oder »Ersatzspieler« machen deutlich, dass ich auffallende Ähnlichkeiten zwischen Museum und vor allem Theater (vgl. z. B. HanakLettner 2014) und Film, aber auch beispielsweise Fußball sehe. Die Begrifflichkeiten aus der Theater-, Film- und Fußballsprache schlage ich in einem metaphorischen Sinne vor, um die entscheidenden Prozesse im Making-of der Karrieren von Objekten mit prägnanten Bezeichnungen darzustellen und sie klarer werden zu lassen. Die Objekte werden daher nicht aus analytischer Perspektive als Stars, Sternchen usw. untersucht und dargestellt, zumal es nach dem Medienwissenschaftler Werner Faulstich (2000: 296) ohnehin keine »annähernd zufriedenstellende Star-Theorie« gibt.2 Vielmehr drückt die Metapher aus, dass ich die Objekte aufgrund ihrer Wahrnehmung, Deutung und Bewertung im Blick relevanter Akteur*innen als Star, Sternchen usw. bezeichne. Dies gilt auch für Ausdrücke, die ich der populären Sportsprache entnommen habe, wie »Comebacker« oder »Loser«. Meine Klassifikation ist inspiriert vom Filmhistoriker Enno Patalas. In seinem heute als Klassiker geltenden Buch Sozialgeschichte der Stars (1963) bildete er 15 Kategorien, die von »Jungfrauen« und »Männer der Tat« über »Femmes fatales« bis hin zu »Rebellen ohne Sache« und »die Nymphe« umfassten. Um den aktuellen Status eines Objekts in den relevanten Dynamiken und Prozessen seiner Karriere geschärft auf den Punkt zu bringen, verwende ich Bezeichnungen, die diese Dynamik oder auch Konstanz prägnant machen, also »beschreibende Namen« (vgl. Ingold 2011: 169–170), wie etwa »gehypte Superstars«, »der gefallene Star« oder, wie oben erwähnt, »der Comebacker«.

2 Laut Faulstich gehört das Starproblem »zur kulturwissenschaftlichen Bringschuld« (ebd.). Die weitgehende Ungeklärtheit des Phänomens führt er darauf zurück, dass das Phänomen nur historiographisch, d. h. zeitlich umfassend, sowie holistisch, d. h. in seiner ganzen systematischen Komplexität, behandelt werden kann, dies aber noch nicht geleistet wurde (Faulstich 2000: 294).


Ich folge in meiner Verwendung des Begriffs »Star« weitgehend Faulstich, der den relationalen Charakter dieses Begriffs betont: »Was ein Star ist, läßt sich nur bestimmen in der Beziehung des Stars zu anderen Vertretern derselben Personengruppe, in der Beziehung zu bestimmten Präferenzen von Menschen, in der Beziehung zu einem zeitlichen und geografischen Bezugsrahmen, in der Beziehung zu einem bestimmten Distributionsmechanismus und den jeweils zugrundeliegenden Funktionen« (Faulstich 2000: 293).3 Dabei verwende ich den Begriff »Bühne«, um die Auftritte der Objekte in einer Ausstellung oder einer Publikation zu bezeichnen. In Anlehnung an Erving Goffmans Terminologie unterscheide ich hierbei die »Vorderbühne«, also die Region der Bühne, in der die Vorstellung stattfindet (Goffman 2017 [1969]: 100), im Museum die Ausstellung, die für Besuchende sichtbare Bühne, und die »Hinterbühne« (ebd.: 104), einen für die breite Öffentlichkeit unsichtbaren, doch ebenfalls überaus wichtigen Ort. Als Hinterbühne im Münchner ethnologischen Museum ist vor allem das Magazin der Sammlung von Bedeutung, das synonym als Depot bezeichnet wird. Dort sind die Objekte untergebracht, die nicht in einer Ausstellung als Exponat gezeigt sind. Doch inwieweit ist dieses Dasein im Magazin zwangsweise gleichzusetzen mit der Nichtwahrnehmung des Objekts, wie häufig in der öffentlichen oder wissenschaftlichen Wahrnehmung behauptet wird (vgl. z. B. Doering 2000: 268)? Welche anderen Möglichkeiten bietet diese Hinterbühne für das Making-of der Karrieren von Museumsgegenständen? Den Begriff »Objekt« verwende ich als Fachvokabular der »Community of Practice« (vgl. Kap. III. 3.) des Museums. Ein Gegenstand in der Sammlung eines Museums wird dabei als Objekt bezeichnet, in einer Ausstellung präsentiert als Exponat. Weiterhin übernehme ich bestimmte Begriffe wie »Ding« oder »Artefakt« als Bezeichnungen der spezifischen Fachliteratur, wie bei meinen Ausführungen zur »kulturellen Biografie der Dinge« von Kopytoff (2003 [1986]) als theoretischen Rahmen (vgl. Kap. III. 1.). Dennoch bin ich mir bewusst, dass der Begriff des Dings neutraler ist als die Bezeichnung Objekt. In der wissenschaftlichen Tradition des Globalen Nordens gilt das Ob-

jekt seit René Descartes dem Subjekt gegenübergestellt. Dabei wird das Objekt als das passiv in der Wahrnehmung Gegebene betrachtet, das Subjekt hingegen als das aktiv Wahrnehmende und Handelnde.4 Diese Dichotomie wird jedoch seit einiger Zeit in Frage gestellt (s. u.). Im Interesse der Lesbarkeit des Textes sind Begriffe wie »Skilled Vision(s)«, oder »Star« nur dann in doppelte Anführungszeichen gesetzt, wenn sie im Text eingeführt werden. In den Überschriften sind sie als Fachbegriffe dieser Arbeit in normaler Schreibweise verwendet. Eine Ausnahme bilden die Bezeichnungen »Fetisch« oder »Götze«, die mittlerweile nicht nur als veraltet, sondern entsprechend dem kolonialen Blick als gezielt abwertend zu verstehen sind und deren Ablehnung im gesamten Text durch doppelte Anführungszeichen gekennzeichnet ist.

3 Faulstich (2000: 294) zufolge werden in der Forschung vor allem folgende stargenerierende Merkmale als relevant gewertet: Die Faktoren »Leistung« und »Image« sowie als rezente Ergänzung »Kontinuität«. Er formuliert folgende Vorüberlegungen zur Star-Theorie: »zur kulturellen Reichweite und Bedeutung des Stars, zur paradoxen Struktur des Starwesens, zur Geschichtlichkeit des Stars als theatraler Inszenierung, zu seinen zentralen Funktionen, schließlich zum Verhältnis von Star und öffentlichem Raum als dessen unverzichtbarer Bedingung« (ebd.). Faulstich reduziert Stars auf reale Personen und schließt explizit Dinge als Stars aus (ebd.). Dies begründet er mit der »spannungsreich­widersprüchlichen Beziehung von Nähe und Distanz« eines Stars als kulturellem Angebot (Faulstich 2000: 298). Die »Rätselhaftigkeit des Stars« muss bestehen bleiben, da er wie jede Art von Elite eines hinreichenden kommunikativen Raums bedarf, um Aura zu entfalten (ebd.: 298–299). Faulstich erhebt mehrere Befunde zu Stars, von denen ich einige skizzieren möchte. Auch in Faulstichs Blick wird ein Star »gemacht«, wobei er Fans als entscheidend betrachtet (ebd.: 295). Dabei sieht er diese Beziehung als wechselseitig: »Ohne die Fans gibt es keinen Star. Die Voraussetzung seiner Entstehung ist das Vorhandensein einer Vielzahl von Bewunderern. Niemand ist ein Star, wenn ihn nur seine Freunde schätzen. Andererseits stellt der Star auch für seine Fans etwas dar, wonach diese dringend verlangen. Niemand wird zum Star, der den Wünschen seiner Verehrer nicht nachkommt. Das Bedürfnis der Fans nach Stars und der Stars nach Fans ist reziprok«. (ebd.) 4 Vgl. z. B. https://de.wikipedia.org/wiki/Objekt_(Philosophie), Zugriff am 15.4.2016. Ausführlicher zu den Begriffen Ding, Artefakt etc. siehe z. B. Hahn (2005: v. a. 18–21).

2. Fragestellung und Erkenntnis­interesse

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Durch die Schreibweise »Afrikanische Kunst« im Gegensatz zur gängigen deutschsprachigen Bezeichnung »afrikanische Kunst« soll das Bewusstsein für die Aneignungen von Werken aus Afrika geschärft werden. Was als Afrikanische Kunst definiert und klassifiziert wurde und wird, was als ästhetisch schön, als qualitätvoll, als authentisch wahrgenommen und bewertet wird, die damit verknüpften Bezeichnungen und Klassifikationen, sind als Aneignung dieser Werke durch den Kunstmarkt vor allem des Globalen Nordens zu verstehen. Mit den Vorstellungen im lokalen Kontext hat diese Wahrnehmung, Deutung und Bewertung Afrikanischer (Kunst)Objekte vor allem bei früheren Werken selten viele Gemeinsamkeiten (vgl. hierzu Kap. III. 2.). Gleiches gilt für Außereuropäische Kunst generell oder etwa Ostasiatische Kunst. Museen verstehe ich als Teil des Kunstmarkts und nicht als außerhalb desselben. So benennt Andrea Hausmann in ihrem Handbuch Kunstmarkt (2014) als Akteure des Kunstmarkts die Folgenden, wobei ich ihre Auflistung mit ihren Begriffen wiedergebe: Erstens »Künstler«, zweitens »Kunsthochschulen«, drittens »Galerien und Kunsthandel«, viertens »private Sammler und Corporate Collections«, fünftens »Kunstmuseen, Kunsthallen und Kunstvereine«, sechstens »Auktionshäuser«, siebtens »Kunstmessen«, achtens »Kunstberater«, neuntens »Kunstexperten und Kunstsachverständige«, und zehntens »Kunstkritiker« (Hausmann 2014a: 20–29). Den engen Zusammenhang zwischen Museum und Markt, die Möglichkeiten und Bedeutung der Einflussnahme von Ersterem auf Letzteren haben Pommerehne und Frey bei Museen moderner Kunst betont, doch gilt dies meiner Wahrnehmung und Erfahrung zufolge auch für ethnologische Museen: »Durch ihr Prestige, ihre Erfahrung und die ihnen zur Verfügung stehenden Informationen sind Kunstmuseen in der Lage, das Verhalten anderer Entscheidungsträger in diesem Bereich [dem Kunsthandel, KG] direkt und indirekt zu beeinflussen« (Pommerehne/Frey 1993: 143). Der Kunstmarkt in diesen vielschichtigen Komponenten war Gegenstand zahlreicher Untersuchungen (siehe z. B. Ressler [2001], Zahner [2006], Dossi [2007], Fehr [2008], Jeuthe [2011], Findlay [2012], Fenkart [2014], Boll [2014], Büttner/Finke [2014], Lüddemann [2014],

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I. Einleitung

Rössel [2014] oder Pricken [2014]), wobei meist der eigene berufliche Blick und das spezifische Wissen und Interesse der Akteur*innen eine zentrale Bedeutung bei der Darstellung besaß. Grundsätzlich ist jedoch beim Markt für Außereuropäische Kunst zu beachten, dass nicht alle der beispielsweise von Hausmann genannten Akteur*innen und Institutionen für die Mehrheit der Sammlungsgegenstände in einem ethnologischen Museum Relevanz besitzen. So wird etwa Kunsthochschulen keine Bedeutung zugewiesen, und auch der Name der Künstler*innen bzw. Hersteller*innen ist in den wenigsten Fällen bekannt und hat erst in rezenter Zeit größere Bedeutung erlangt, um nur auf die wichtigsten Unterschiede hinzuweisen. Gendering betrachte ich als überaus wichtig, um geschlechtsspezifische Machtverhältnisse zu hinterfragen, neu zu verhandeln und ihrer aktuellen Bedeutung entsprechend angemessen zu positionieren. Bezieht sich eine Aussage nur auf Personen eines Geschlechts, sind diese in der jeweiligen geschlechtsspezifischen Form benannt. Wenn Personen beiderlei Geschlechts von Bedeutung waren, wurden die Begriffe mit Gendersternchen versehen oder geschlechtsneutrale Bezeichnungen verwendet, und zwar im Interesse des Leseflusses beispielsweise »Abteilungsleitende« oder »Museumsleitende«. Diese Arbeit ist als work in progress zu begreifen und zeigt den aktuellen Stand meiner Forschungen. Sie wurde im Mai 2018 als Inaugural-Disseration von der Universität Bayreuth angenommen. Der Stand der dargestellten Forschungen ist somit eine Momentaufnahme und nur ein vorläufiger Endpunkt beim Making-of der Karrieren von Objekten im Münchner Museum durch Akteur*innen in diesem Museum und durch mit dieser Institution verknüpften unterschiedlichen Communities of Practice. Denn die Karrieren der Objekte mit ihren Umarbeitungen, Umdeutungen und Umwertungen nehmen weiterhin mehr oder weniger spektakulär, doch unaufhaltsam ihren Lauf.


3. METHODISCHE ÜBERLEGUNGEN Methodisch hat die Arbeit einen multi-perspektivischen Ansatz. Sie basiert auf einer »dichten Teilnahme« (Spittler 2001) im Rahmen der Feldforschung im Münchner ethnologischen Museum als meinem Hauptforschungsfeld sowie im Kunstmarkt. Als entscheidend bei der dichten Teilnahme betont Spittler Beobachten und Fragen, Interviews und natürliche Gespräche, systematische teilnehmende Beobachtung und offenes Sehen sowie die Verwendung aller Sinne (Spittler 2014: 213, Hervorhebung KG).5 Auch in meiner Feldforschung erwiesen sich beispielsweise natürliche Gespräche als manchmal ebenso wichtig für den Erkenntnisgewinn wie Interviews. Das »In-die-Lehre-gehen« (vgl. Lave/Wenger 1991) hatte bereits vor meiner Feldforschung weitaus früher begonnen, vor allem mit dem Erlernen von Skilled Visions im Rahmen für und von Führungen, der Teilhabe an Vorbereitungen von Ausstellungen Afrikanischer Kunst, der Bearbeitung einer großen Privatsammlung Afrikanischer Kunst, dem Besichtigen zahlreicher Sammlungen öffentlicher und privater Hand sowie relevanter Ausstellungen im Globalen Norden und Süden. Gespräche mit Kurator*innen, Kunstsammler*innen und -händler*innen seit Mitte der 1990er-Jahre vertieften mein Wissen und meine Kenntnisse. Zudem umfasste meine Feldforschung im Münchner ethnologischen Museum mehrere Jahre, von Juli 2010 bis Dezember 2016. Vereinzelt erfolgten spätere Nachfragen. Im Rahmen der dichten Teilnahme wurden Interviews mit Expert*innen sowie mit anderen relevanten Akteur*innen zum Making-of der Karrieren einzelner Objekte oder zu generellen Themen geführt. Ergänzend erfolgten kürzere Gespräche zu gezielten Themen oder Aspekten, aber auch schriftliche Nachfragen per E-Mail. Die Interviews wurden zumeist persönlich geführt; in Einzelfällen, wie bei dem in New York lebenden Afrika-Experten, auch telefonisch. Die aktuellen Akteur*innen im Museum wurden zu Aspekten befragt, die ihre Amtszeit betreffen, ebenso frühere Mitarbeiter*innen. Hierbei war vor allem die vorherige Afrika-Abteilungsleiterin Maria Kecskési meine wichtigste Informantin, die mir aufgrund ihrer persönlichen Teilhabe, ihres kundigen Blicks und ih-

rer kundigen Praktiken sowie ihrer Erinnerung wichtige Aspekte beim Making-of der Karrieren von Objekten zu erhellen verhalf. Der zweite wichtige Ansatz waren Forschungen in Archiven. Sie waren grundlegend für die Rekonstruktion der Karrieren von Objekten in weiter zurückliegenden Jahrzehnten und dadurch zur Erhellung der diachronen Perspektive. Hierbei erwiesen sich das Münchner ethnologische Museum wie auch das Bayerische Hauptstaatsarchiv als entscheidend. Die Arbeit mit diesen historischen Dokumenten kann überaus zeitfressend und wenig gewinnbringend sein, wenn, wie häufig und auch im Münchner ethnologischen Museum, die archivalischen Quellen noch kaum erschlossen waren. Doch kann sie auch durchaus unbekannte Schätze ans Licht bringen. Daher können immer weitere neue Erkenntnisse gewonnen werden, die neue Umdeutungen mit sich ziehen können. Als wichtige Anregung meiner Forschung diente auch der von Ann Laura Stoler in ihrem Buch Along the Archival Grain (2010) entworfene Ansatz, der von mir vom Archiv auf das Museum übertragen wurde. Stoler erklärte das Archiv zum Gegenstand ihrer Untersuchung und nahm die Verwerfungen, Auslassungen, Widersprüche, den Bedeutungswandel sowie die Genealogie sozialer Etymologien in den Fokus. Sie las die Quellen eines Archivs nicht mehr nur zwischen den Zeilen und gegen den Strich, sondern hielt inne, legte den Strich fein säuberlich frei und las mit ihm die Quellen. In Anlehnung an diesen Ansatz stehen im Mittelpunkt der Untersuchung im Sinne von Stolers »minor history« nicht nur diejenigen Museumsobjekte, die bei der Präsentation und Repräsentation von Afrika, seiner Kunst und seinen Menschen seit Jahrzehnten als Kanon anerkannt sind. Vielmehr werden auch Objekte im Magazin oder solche, die das Museum wieder verlassen haben, fokussiert. Forschungen zum und über das Museum rückten in den letzten Jahrzehnten wieder stärker in den Fokus der Aufmerksamkeit der Wissenschaft, so auch der Ethnologie. Dies führte zu einer Vielzahl von Publikationen mit unterschiedlichsten Schwerpunkten, von grundsätzlichen 5 Ein pointiertes Gegenbeispiel zeigt die Filmkomödie Kitchen Stories (2003) des norwegischen Regisseurs Bent Hamer.

3. Methodische Überlegungen

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Studien zu Museen (vgl. z. B. Pearce [1995 und 2001], Baur [2010 und 2010a] oder te Heesen [2010] bis hin zu spezielleren Fragestellungen meiner Arbeit [vgl. z. B. Paudrat [1972], Ivanov [2001], Junge [2005] oder Malefakis [2009]). Auch meine Arbeit soll einen Beitrag zu museumsethnologischen Fragestellungen bieten, vor allem zu den dort stattfindenden dynamischen Prozessen (siehe unten). Auch die Untersuchung von Objektbiografien ist seit einigen Jahrzehnten stärker Gegenstand von Forschungen. Sie mündete in zahlreiche Veröffentlichungen, die sich auch mit Objektbiografien in Museen beschäftigen. Als relevant für meine Arbeit erwiesen sich vor allem die folgenden Publikationen: Krzysztof Pomian (1998 [1988]) stellte am Beispiel der Vasen der Medici-Sammlungen dar, mit welchen Bedeutungen sie in ihrer Geschichte verknüpft wurden. Christan Feest (1998) spürte dem Weg einer Nootka Maske seit ihrem ersten dokumentierten Auftauchen über Stationen im Museum und Kunstmarkt in eine Privatsammlung sowie den damit einhergehenden Transformationen ihrer Bedeutung nach. Den Bedeutungswandel eines Kunstwerks durch Künstler, Museum und Publikum zeigten Sam Bardaouil und Till Fellrath (2014) anhand von Nofretete. Boris Wastiau (2000) übertrug Arjun Appadurais Konzept des »sozialen Lebens der Dinge« auf Afrikanische Kunst und speziell auf Meisterwerke im Royal Museum for Central Africa in Tervuren. Jody Joy (2002, 2009 und 2010) untersuchte die Biografien von archäologischen Objekten. Francesca Bonazzoli und Michele Robecchi (2014) zeigten am Beispiel zahlreicher Meisterwerke Mechanismen auf, wie diese aus der Masse an Kunstwerken herausgehoben und zu Ikonen der Popkultur gemacht wurden. Die Arbeiten von Markus Schindlbeck (2001) und Beatrix Hoffmann (2010 und 2012) widmeten sich dem Bedeutungswandel von Museumsgegenständen zu Dubletten und ihrer Abgabe im ethnologischen Museum Berlin. In derselben Institution stellte Maria Gaida (2010) die Frage nach Echtheit oder Fälschung, dargestellt am Beispiel eines Stuckkopfes der Maya. Im Museum Fünf Kontinente verfolgte Jürgen Frembgen (1998) die biografischen Stationen einer Reiterstatue der Kalasha aus dem Hindukusch von der Her-

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I. Einleitung

kunftsgemeinschaft bis in das Museum in München. Auch in einführenden Publikationen zur materiellen Kultur sind Objektbiografien vertreten (z. B. Hahn 2005; Hennig 2014). Große Breitenwirkung erzielte diese Art der Untersuchung und Darstellung von Objekten vor allem durch MacGregors Werk Eine Geschichte der Welt in 100 Objekten (2011). Ein Alleinstellungsmerkmal gewinnt vorliegende Arbeit durch die detaillierte Untersuchung und Darstellung von unterschiedlichen Objektbiografien in diachroner Perspektive binnen mehrerer Jahrzehnte, mit dem Fokus auf den unterschiedlichen Aneignungen innerhalb seines zweiten Lebens in einem einzigen Museum. Ziel ist dabei, das Spektrum, die Bandbreite von Karrieren darzustellen, jenseits der in der Öffentlichkeit als einzige und zugleich als Gegenpole wahrgenommen Stationen Ausstellung und Museumsdepot. Hierbei war dem Making-of besondere Aufmerksamkeit gewidmet, dem Blick hinter die Kulissen, jenseits von Ausstellungen mit den Fotografien der Räume oder den Begleitkatalogen. Im Rahmen einer Feldforschung im Museum waren archivalische Unterlagen sowie mündliche Informationen früherer und aktueller Akteur*innen wichtige Quellen, um die Bedeutungsund Wertzuweisungen durch entscheidende Mitglieder im Museum wie auch in anderen Communities of Practice zu erfahren.


II. AUSWAHL UND KONTUREN DES MÜNCHNER ­E THNOLOGISCHEN MUSEUMS

Den Begriff »ethnologisches Museum« verwende ich als Bezeichnung für das Museum Fünf Kontinente in München als meinem Hauptforschungsfeld, wenn ich mich auf dieses Museum beziehe und der jeweilige, seit seiner Gründung mehrmals geänderte Name keine Rolle spielt und eher zu gedanklichen Verwirrungen und Ablenkungen (ver)führt. Ebenso verwende ich den Begriff als generellen Oberbegriff für eigenständige Museen mit ethnologischen Sammlungen.1 Zunächst zu den Rahmenbedingungen: Der zentrale Ort meiner Feldforschung und Ausgangspunkt meiner Forschungen war das ethnologische Museum in München. Dort führte ich eine sechsjährige Feldforschung durch. Entscheidend für die Auswahl dieses Museums waren drei Kriterien. Erstens erweist es sich durch sein Gründungsdatum (siehe unten) als das älteste seiner Art im deutschsprachigen Raum. Zweitens sind dort sowohl die Objekte als auch die Akten weitgehend ohne größere Kriegsverluste vorhanden, was eine Untersuchung von Karrieren auch in einer größeren zeitlichen Tiefe ermöglichte. Und drittens war ich in diesem Museum bereits Teil dieser Community of Practice und konnte daher durch jahrzehntelange Teilhabe auf bereits erworbenes Wissen zurückgreifen, das ein »eigenständiges und tieferes Graben« ermöglichte. Zur Geschichte des Münchner ethnologischen Museums wurden bereits mehrere Publikationen veröffentlicht, mit jeweils spezifischen Schwerpunkten. Die Zeit des ersten Konservators Moritz Wagner fokussierte Michaela Appel (Appel/Stelzig 2012) im Begleitbuch zu einer Sonderausstellung zum 150-jährigen Jubiläum des Museums. Die Jahre seiner Amtszeit als zweiter Museumskonservator mit seinen Problemen und Herausforderungen schilderte Max Buchner (1919) selbst in deutlichen und drastischen Worten. Leben und Wirken des folgenden Museumsdirek-

tors Lucian Scherman untersuchte Uta Weigelt (2003) in ihrer Dissertation. Die geschichtliche Tiefe der Institution lotete Claudius Müller (1980) aus. Das ethnologische Museum im Kontext der Institutionalisierung der Völkerkunde in München stellte Wolfgang Smolka (1994) dar. Den historischen Wandel museumsethnologischer Konzeptionen untersuchte Sigrid Gareis (1990) anhand des Münchner Museums. Die staatlichen Museen Münchens und daher auch das ethnologische Museum untersuchte Michael Kamp (2002 und 2005) als Ort der Politik im 19. Jahrhundert.2 Zunächst zu den Umbennungen der als »Königlich Ethnographische Sammlung« gegründeten Institution, wie sie auch auf der Webseite des Museums aufgelistet sind.3 Königlich Ethnographische Sammlung: Königlich Ethnographisches Museum: Museum für Völkerkunde: Staatliches Museum für Völkerkunde: Museum Fünf Kontinente:

1862–1912 1912–1917 1917–1954 1954–2014 seit 2014

1 Der jahrzehntelang für die meisten dieser deutschsprachigen Institutionen wie auch generell für die Fachwissenschaft gängige Begriff Völkerkunde wurde im 21. Jahrhundert vielfach nicht nur als veraltet kritisiert, sondern vor allem aufgrund seiner kolonialen und rassistischen Verknüpfungen abgelehnt. Dies fand in der Umbenennung zahlreicher wissenschaftlicher Institute, Museen und 2017 der Deutschen Gesellschaft für Völkerkunde ihren Ausdruck. Die Bezeichnung »Ethnographisches Museum« wird in dieser Arbeit nur als historischer Terminus verwendet, der mit spezifischen, in der Anfangsphase dieser Institution vorherrschenden Sammel-, Forschungs- und Ausstellungspraktiken verbunden ist. 2 Zudem existieren Publikationen zu einzelnen wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen, deren Auflistung jedoch über den Fokus dieser Arbeit hinausgeht.

II. Auswahl und Konturen des Münchner ­ethnologischen Museums

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Das Datum der Umbenennung in »Staatliches Museum für Völkerkunde« auf der Webseite ist allerdings aufgrund meiner Forschungen zu korrigieren.4 Sie erfolgte nicht 1954 und somit nicht in der Nachkriegszeit. Die Ergänzung als staatliche Institution erfolgte im Nationalsozialismus, und zwar spätestens im Jahre 1940, wie einzelne aufgefundene Archivmaterialien sowie Bücher in der Museumsbibliothek verdeutlichen, die den Stempel des Museums mit nationalsozialistischem Emblem und zugleich der Bezeichnung des Museums als »Staatliches Museum für Völkerkunde« tragen. Zu den Direktor*innen: Auch die Bezeichnungen der Positionen der Leiter*innen des ethnologischen Museum wurden durch neue Namen umgedeutet. Die ersten beiden hatten die Amtsbezeichnung »Konservator« inne. Erst der dritte Leiter erhielt den Titel »Direktor«. Ihre Namen und Eckdaten werden im Interesse der Überschaubarkeit erneut als Übersicht dargestellt. Moritz Wagner: Max Buchner: Lucian Scherman: Heinrich Ubbelohde-Doering: Andreas Lommel: Walter Raunig: Claudius Müller: Christine Kron: Uta Werlich:

1862–1887 5 1887–1907 1907–1933 6 1933–1956 1957–1977 1977–2001 2001–2010 2011–2017 7 seit April 2018 8

Einen Leiter für die Abteilung Afrika gab es jahrzehntelang nicht. Einige der Konservatoren oder als Wissenschaftler angestellte Personen hatten jedoch Afrika als ihren regionalen Schwerpunkt. Dies war zum einen von 1887 bis 1907 der Konservator Max Buchner.9 Der erste Mitarbeiter mit Afrika-Schwerpunkt war von 1925 bis 1932 Pater Meinulf Küsters 10. Sein Nachfolger war Max Feichtner (bis 1939 am Museum). Anschließend war Andreas Lommel zwar für Afrika und Ozeanien zuständig, doch war Australien sein Forschungsschwerpunkt. Nachdem er 1957 zum Museumsdirektor ernannt worden war, fehlte über 10 Jahre ein wissenschaftlicher Spezialist für Afrika. Die erste offizielle Leiterin der Afrika-Abteilung im Münchner

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ethnologischen Museum war von 1970 bis Juli 2000 Maria Kecskési (1935–2019). Ihr Nachfolger seit 2001 ist Stefan Eisenhofer. Da die Geschichte des Münchner ethnologischen Museums selbst nicht im Fokus meiner Arbeit steht, werde ich nur die relevanten Eckpunkte skizzieren. Die meisten ethnologischen Museen wurden in den 1870er Jahren gegründet und entstanden im Zuge der sich neu etablierenden wissenschaftlichen Disziplin Völkerkunde. Auch in München war die Gründung dieser Institution mit wissenschaftlichen Veränderungen verknüpft, jedoch mit deutlich anderem Schwerpunkt. Für verschiedene neu zu gründende Museen wurden die bisherigen Sammlungen des Hauses Wittelsbach, die »Vereinigten Sammlungen«, neu geordnet und verteilt. Dem Bayerischen Nationalmuseum wurden die europäischen Bestände zugewiesen, dem »Königlich Ethnographischen Museum« vorwiegend die außereuropäischen (Kamp 2002: 183). Diese umfassten die so genannten »Transatlantischen Sammlungen« von Forschungsreisen nach Brasilien, in die Südsee und nach Russisch-Amerika. Eine weitere Kollektion stammte aus China. Afrikanische Gegenstände waren nur einige wenige vorhanden, und zwar innerhalb der vor allem indische Gegenstände umfassenden Sammlung des Apo3 siehe http://www.museum-fuenf-kontinente.de/museum/geschichte-des-museums.html, Zugriff am 16.5.2017. 4 Wer diese Datierung vorgenommen hat und auf welcher Quellenlage, war nicht zweifelsfrei zu rekonstruieren. 5 Er setzte am 31.51887 seinem von Krankheit gezeichneten Leben ein Ende (Buchner (1919: 20). 6 Scherman wurde am 1.10.1933 aufgrund seiner jüdischen Herkunft zwangspensioniert (ausführlich zu diesem Museumsdirektor siehe Weigelt 2003). 7 Bis 2014 Stelzig, 2017 verstorben; im Interesse der Lesbarkeit und Verständlichkeit verwende ich in meiner Arbeit ihren letzten Familiennamen Kron, den sie bei ihrer Heirat angenommen hatte. 8 Die neue Direktorin war bei Abgabe der Dissertation noch nicht bekannt, jedoch bei Abgabe der Publikationsversion. Daher wurde ihr Name ergänzend aufgenommen. 9 Max Buchner hatte 1878–1882 eine Expedition ins LundaReich in Zentralafrika unternommen (Heintze 1999), von 1884 bis 1885 war er Interimsgouverneur in der neuen deutschen Kolonie Kamerun (Buchner 1914). 10 Ausführlich hierzu Kecskési 1990.

II. Auswahl und Konturen des Münchner ­ethnologischen Museums


thekers Lamare-Piquot (Eisenhofer/Guggeis 2007: 54). Die außereuropäischen Sammlungen waren bis dahin in unterschiedlichen Gebäuden und Institutionen ausgestellt und mussten zusammengeführt werden. 1862 wurde der naturwissenschaftliche Forschungsreisende, Journalist und Reiseschriftsteller Moritz Wagner zum ersten Konservator der Königlich Ethnographischen Sammlung ernannt (Kamp 2002: 182–186). Im Jahre 1868 wurden die im Nordflügel des Galerie-Gebäudes in den Hofgartenarkaden zusammengeführten Sammlungen der Öffentlichkeit präsentiert (Scherman 1922: 3). Das neue ethnographische Museum beinhaltete somit als Grundstock Sammlungen des Hauses Wittelsbach insbesondere aus außereuropäischen Regionen. Seine Aufgaben erinnern stark an den Vorschlag zur Gründung eines ethnographischen Museums, den bereits 1835 Philipp Franz von Siebold König Ludwig I. unterbreitet hatte: die Förderung des Handels, des Kunstgewerbes und der Wissenschaft (vgl. Kamp 2002: 192 und Gareis 1990: 157–161). Nach seiner Gründung herrschte jedoch ein Desinteresse von staatlicher Seite an diesem Museum. Dies verdeutlicht seine kärgliche finanzielle, personelle und räumliche Ausstattung. Während der Jahresetat für die Münchner Kunstmuseen 100.000 Mark umfasste, war er für die Königlich Ethnographische Sammlung mit knapp 3.000 Mark äußerst bescheiden bemessen.11 Ähnlich dürftig war die personelle Ausstattung dieser Institution. 1907 hatten insgesamt drei Angestellte 24.131 Inventarnummern zu betreuen, während im Berliner Museum für Völkerkunde für 297.550 Inventarnummern 85 Mitarbeiter zur Verfügung standen.12 Auch die räumliche Ausstattung war derart unzureichend, dass Wagners Nachfolger Max Buchner (1919: 5) es als »Schandgebäude« bezeichnete. Die Räume waren feucht, kalt und ohne Heizung, die Fenster undicht. »Mehr als einmal lagen während des ersten Winters Schneehäufchen neben Museumsschätzen in den scheinbar verschlossenen Schränken«, beklagte er (ebd.: 20). Bezeichnenderweise bestand seine letzte Amtshandlung darin, aus Sparrücklagen modernste Museumsschränke anzuschaffen (ebd.), die eine vertikale Aufstellung der Objekte statt der bisherigen Präsentation in Schautischen ermöglichten. Die Mehrheit der Exponate

litt unter extremem Raummangel. Ausreichend Platz war vor allem der japanischen Sammlung Siebolds und weiterhin den Kollektionen aus China und Indien gewidmet (Buchner 1919: 23). Umstellungen waren den beiden ersten Konservatoren kaum erlaubt (ebd.). Buchners Nachfolger Lucian Scherman konnte nach jahrelangen Bemühungen im Jahre 1925 den Umzug in das heutige Gebäude in der Maximilianstraße erwirken, den ursprünglichen Standort des Bayerischen Nationalmuseums, das hier 1867 eröffnet worden war. Es erfüllte moderne Anforderungen wie etwa eine Heizung. Vor allem jedoch bot dieses Haus weitaus mehr Platz für die Sammlungen sowohl in den Ausstellungen wie in den Depots. Der Indologe Scherman verlagerte den Schwerpunkt der Ausstellung von der Präsentation der Kollektionen einzelner Sammler*innen auf Kunst und Kontext, also auf die ästhetischen Qualitäten der Exponate wie auch deren Objektbezeichnung und geografische Herkunft. Damit folgte er neben persönlichen Interessen auch dem Geschmack der lokalen Bevölkerung und vor allem der Eliten der »Kunststadt München« (vgl. Nutz 2003: 138, ausführlicher hierzu Kap. IV. 2.7.3). Durch diese Neupositionierung hatte das Münchner Museum eine Sonderstellung gegenüber anderen ethnologischen Museen. Dieser Schwerpunkt hatte Auswirkungen auf die Erwerbs- und vor allem Ausstellungspraktiken (ausführlicher hierzu bei den einzelnen Fallbeispielen). So bestimmte der Fokus »Kunst« das Thema sowie die Auswahl und Anordnung der Exponate bis zur letzten, 1999 eröffneten Afrika-Dauerausstellung. Ein weiteres wichtiges Merkmal des Münchner ethnologischen Museums ist, dass es kaum Kriegsverluste in seinem Bestand zu verzeichnen hat. Anfang der 1940er Jahre wurden nach ersten Luftangriffen auf die »Hauptstadt der Bewegung« die Sammlungsgegenstände präventiv außerhalb Münchens eingelagert. Ihr Rücktransport aus den unterschiedlichen Orten erfolgte sukzessiv. Das Auspacken der Objekte aus den Kisten zog sich aufgrund der

11 Verhandlungen des Bayerischen Landtags 1907, S. 602; zit. n. Nutz 2003: 136. 12 BayHStA, MK 19454, Buchner an Generalkonservator K. Th. von Heigel vom 15.3.1907, zit. n. Nutz 2003: 136.

II. Auswahl und Konturen des Münchner ­ethnologischen Museums

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geringen personellen Ausstattung des Museums bis zum Ende der 1960er Jahre hin.13 Die Personalsituation im Münchner ethnologischen Museum insbesondere hinsichtlich der wissenschaftlichen Mitarbeiter*innen ist bis heute äußerst dürftig. So besteht die Abteilung Afrika einzig und allein aus ihrem Leiter. Nur überaus selten und temporär sehr begrenzt wurden externe Wissenschaftler*innen beschäftigt oder Stellen intern umgewidmet, um bei der Bearbeitung eines Konvoluts oder zur Vorbereitung von Ausstellungen eine Unterstützung zu bieten. Das Museumsgebäude war zu Ende des Zweiten Weltkrieges von starken Bombenschäden gezeichnet und wurde erst in den 1950er Jahren wieder hergestellt.14 Daher fanden die ersten Ausstellungen von Museumsbeständen in Ausweichquartieren statt, wie 1953 im Amerika-Haus zu Afrikanischer Kunst (Lommel 1953, Klappentext). Bereits 1984 war die Totalsanierung des Museums geplant und daher wurde auch die Afrika-Dauerausstellung abgebaut. Der Beginn der Renovierungsarbeiten verzögerte sich allerdings stark und begann erst 1992. Nach ihrem Abschluss wurde im Jahr 1998 die erste Dauerausstellung neu eröffnet, und zwar zu den Beständen aus Südamerika, 1999 dann die neue permanente Schau zu Kunst aus Afrika.15

13 Mündliche Mitteilung Maria Kecskési am 6.10.2017. Auch sie selbst war noch mit dem Auspacken von Sammlungsgegenständen aus Afrika beauftragt. 14 Mündliche Mitteilung Maria Kecskési am 6.10.2017. 15 Mündliche Mitteilung Maria Kecskési am 6.6.2015. Von den baulichen Maßnahmen hatte Kecskési als jahrelange Stellvertreterin von Direktor Raunig genauere Kenntnis.

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II. Auswahl und Konturen des Münchner ­ethnologischen Museums




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