ZeitgenössischeKunstimHumboldtForum
Zeitgenössische Kunst im Humboldt Forum
ZeitgenössischeKunstimHumboldtForum SchlossBerlinerimForumHumboldtStiftungdervonHerausgegeben
Inhalt
Einführung 9 Claudia Roth: Grußwort 10 Hartmut Dorgerloh: Zurück in die GegenwartZeitgenössische Kunst im Humboldt Forum 12 Hans-Dieter Hegner: Ein Plädoyer für die Kunst im Humboldt Forum 18 Lars-Christian Koch: Zeitgenössische Kunst –Eine Aufgabe nur für Kunsthallen? 22 Petra Wesseler: Baukunst braucht Kunst am Bau 26 Christoph Sattler: Wettbewerbsfragen. Erfahrungsbericht aus der Sicht eines Jury mitglieds
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MichaelZEITMASCHINEMönninger: Die Vermessung der Welt 50 An Seebach/Christiane Stegat GLOBAL BAROCC – CCORAB LABOLG Horst Bredekamp: Glück der Spiegelung 60 Tim Trantenroth Ohne Titel Anja Tack: Auf dem „Trümmerhaufen vergangener Zukunft“ – Das Wandbild von Tim Trantenroth erinnert an den Palast der Republik 70 Kang Sunkoo Statue of Limitations Dietmar Rübel: Die untere und obere Hälfte der Welt 82 Antje Schiffers/Thomas Sprenger Insurgentes Sur Ulrike Kremeier: Vom goldenen Schein oder dem Aufstand der Linien 90 Emeka Ogboh Der Kosmos – Things Fall Apart Ein E-Mail-Dialog zwischen Emeka Ogboh und Florian Matzner im Februar 2021
Zeitgenössische Kunst in den Ausstellungen 102 Wang GestaltungShu des Raumes China und Europa im Museum für Asiatische Kunst Klaas Ruitenbeek: Kunst zwischen Krieg und Frieden 112 Ai Weiwei UtaTeehausRahman-Steinert: Was macht Ai Weiwei beim Kaiser? Das Teehaus im Museum für Asiatische Kunst 122 URA Architects & Engineers Das japanische Teehaus Bōki-an Alexander Hofmann und Hans-Dieter Hegner im Gespräch: Auszeit vom Alltag 132 António Ole Township Wall Nadine Siegert: Von den Randzonen der Städte 140 Justine Gaga AudeIndignationChristel Mgba: Loneliness in Harmony 148 Mariana Castillo Deball Codex Humboldt Fragment 1 / Codex Azoyú Reverso Karlheinz Lüdeking: Die Kunst der Wandverwandlung 158 HOWNOSM PaulWeltdenkenSpiesund Yasha Young: Weltdenken von HOWNOSM Anhang 170 Nicola Kuhn: Interview mit den Architekten Franco Stella und Christoph Sattler zur Kunst am Bau im Humboldt Forum 178 Informationen zu den Wettbewerbsverfahren der Kunst am Bau 184 Die Autor*innen 188 Bildnachweis 192 Impressum
Kunst am Bau 32 Dellbrügge & de Moll Die BarbaraArchitektenSteiner: FRIEDRICHAUGUSTALBERTDIETRICHHEINZFRANCOOLDANDREASJOHANNMARTINHEINRICHKARLFRIEDRICHKONRADCASPARROCHUSJOHANNARN 44 Stefan Sous
9 Grußwort Das Humboldt Forum soll ein Ort der demokratischen, weltoffenen Debatte sein. Die Werke zeitgenössischer Kunst sind ein integraler Bestandteil dieses Konzepts und für die Auseinandersetzung mit den drängen den Themen unserer Zeit unerlässlich. Das gilt für die sieben Werke, die als Kunst am Bau eigens für das Humboldt Forum geschaffen wurden, genauso wie für die Arbeiten zeitgenössischer Kunst, die auf den Flächen der Staatlichen Museen und des Stadt museums Berlin realisiert und in die jeweiligen Dauer ausstellungen integriert worden sind. Insbesondere die Auswahl von Installationen außereuropäischer Künstler*innen ergänzt das Bauwerk künstlerisch, kommentiert und hinterfragt seine Inhalte kritisch –zum Beispiel die monumentale Statue of Limitations von Kang Sunkoo, der vom Pritzker-Preisträger Wang Shu gestaltete Ausstellungsraum in der Dauerausstellung des Museums für Asiatische Kunst oder die Township Wall von António Ole.
Die Objekte setzen sich mit Themen des historischen Erbes, mit dem Kolonialismus und seinen Folgen, mit der Rekonstruktion des Schlosses sowie mit den Sammlungen auseinander. Sie stoßen an zu kritischer und neuer Auseinandersetzung mit den Beständen und ihrer Erwerbungsgeschichte. Die Kunstwerke sind so international und vielfältig wie die Lebenswege und künstlerischen Handschriften ihrer Urheber*in nen. Auch in Zukunft wird die Auseinandersetzung mit internationaler zeitgenössischer Kunst in unterschied lichsten Formaten ein unverzichtbarer Bestandteil des Humboldt Forums sein.
Dem Humboldt Forum wünsche ich viele Besucher*in nen, die bereit sind, sich neugierig und kritisch auf die Kunst und die Sammlungen im Haus einzulassen.
Claudia Roth MdB Staatsministerin für Kultur und Medien
10 Abb. 1: Follow Me! Partizipative Skulptur im Großen Foyer des Humboldt Forums, 2021
So steckt beispielsweise die unübersehbare Statue of Limitations von Kang Sunkoo wie ein „Stachel im Fleisch“ dieser neuen Kulturinstitution im Gewand preu ßischer Herrschaftsarchitektur. Ein schwarz-bronzener Fahnenmast von monumentalen Ausmaßen zieht sich vom Boden des zweiten Obergeschosses bis an die Decke des dritten Geschosses der Treppenhalle. Das obere Ende scheint sich durch die Decke zu bohren, sodass nur die Enden des herabhängenden Fahnen tuchs sichtbar sind. Die Auseinandersetzung mit dem Erbe des Kolonialismus, der verantwortliche Umgang mit den Sammlungen und die Rückgabe von unrecht mäßig in den Bestand gelangten Objekten werden mit diesem Mahnmal nachdrücklich eingefordert.
Im Idealfall sind die zeitgenössischen Werke auch dort integraler Bestandteil dieser thematisch wie formal bereits „verfestigten“ Umgebung und bleiben dennoch eigenständig – bis zur Wider spenstigkeit. Die diversen Positionen zeitgenössischer Kunst im Humboldt Forum im Berliner Schloss stehen in einem dialek tischen Verhältnis sowohl zu seiner Funktion als sammlungs basiertes Zentrum der Wissenschaften als auch zu seinem Selbst verständnis als Weltkulturforum für eine breite Öffentlichkeit.
Die Township Wall des angolanischen Künstlers António Ole ist das erste zeitgenössische Werk, das in die Dauer ausstellungen des Ethnologischen Museums integriert worden ist. Schaut man genauer hin, wird schnell klar, dass hier die globalen Relationen und Auswirkungen von Gewalt, von Bürgerkrieg und Armut im Material selbst ansichtig und greifbar werden.
Es sind Werke wie der von Wang Shu gestaltete Ausstellungsraum für das Museum für Asiatische Kunst, das Wandbild von Tim Trantenroth, das sich visuell mit der Erinnerung an den Palast der Republik auseinan dersetzt, oder die Arbeit Indignation von Justine Gaga, die direkt und unmittelbar neue Zusammenhänge er kennbar werden lassen. Unübersehbar provozieren sie ein Nachdenken, ein Ins-Gespräch-Kommen mit vielen Menschen, die das Humboldt Forum besuchen. Als Teil dieser Kontaktzone bieten sie aktuelle Zugänge zu ge sellschaftlich brisanten, zukunftsweisenden Themen; sie stellen sich quer, indem sie an vermeintlichen Ge gebenheiten und Hinnehmbarkeiten rütteln. Mit ihren Stimmen nimmt das Humboldt Forum Kurs auf.
Die Kunstwerke unserer Gegenwart weiten im und am Humboldt Forum den symbolischen Deutungsspielraum der Architektur in ganz unterschiedliche Richtungen. Vieles ist möglich: von raum greifenden Skulpturen und Wandbildern bis hin zu Licht- und Videoinstallationen oder akustischen Performances.
und Debatten nähert sich eine Vielzahl an Perspektiven und Existenzen, die im Forum zusammenfinden, den großen weltbewegenden Fragen der Gegenwart. Denn oft mals spiegeln sie diesen Moment des Befremdens, verweisen auf das Grauen, die Lücken und unreflektierten Widersprüche in der
Erzählung deutscher und europäischer Herrschafts geschichte. Die Auseinandersetzung mit den original getreu rekonstruierten Fassaden des Berliner Schlosses wie auch mit den ausgestellten oder in Depots ver wahrten Sammlungsbeständen wird für das Humboldt Forum substanziell. Hier baut die Gegenwartskunst die unverzichtbaren Brücken ins Jetzt. Sie kann Weltsichten neu zentrieren und eine Fülle an Möglichkeiten ästhe tischer und gedanklicher Inspirationen geben.
Hartmut Dorgerloh Zurück in die Gegenwart – Zeitgenössische Kunst im Humboldt Forum Gegenwartskunst steht immer in einem besonderen Spannungs verhältnis zur Gegenwartsarchitektur. Besonders komplex ist die Verbindung bei Museumsbauten, gerade wenn diese vorrangig für ältere, historische Sammlungen konzipiert sind.
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Mit der Teilrekonstruktion des Berliner Schlosses, die nicht nur die äußere Erscheinung des Humboldt Forums, sondern auch dessen Grundriss und Raumschnitt definiert, trifft barocke und spätklassizistische Formensprache in monarchischer Tradition auf Funktion, Auftrag und Botschaft eines neuen Kulturzentrums. Als Forum verschreibt es sich einer größtmöglichen Offenheit, Zugänglichkeit und Empfänglichkeit. Mit dem Credo der Gleich heit und dem Gestus des selbstkritischen Hinterfragens öffnet es sich einem schier unerschöpflichen kreativen Formen- und Ideenreichtum vieler der „anderen“ historischen, aber auch zeit genössischen Kulturen Ozeaniens, Afrikas, Asiens, Australiens und Amerikas. Wie diese Vielzahl an historischen Objekten aus unterschiedlichen Erdteilen nach Berlin gekommen ist, welche Geschichten sie zu erzählen haben und welche wachen Verbindungen heute zu ihnen bestehen – dies sind die Fragen, denen sich das Humboldt Forum widmen möchte. Seine Programminhalte stoßen auch auf die Herrschaftsgeschichte, die sich an die bauliche Gestalt des Berliner Schlosses bindet. Sie können dazu anregen zu verstehen, dass Verhältnisse immer veränder bar Durchsind.Diskrepanzen
12 Abb. 1: Filmreihe „Perspektivwechsel“ im Schlüterhof, Filmstill aus „Interlinked“ von SUCUK & BRATWURST, 2021
Entstehungsphase gab es eine spannende Diskussion, ob es im Humboldt Forum trotz der Entscheidung zugunsten einer Rekonstruktion großer Teile der historischen Schloss fassade moderner Kunst überhaupt bedarf. Der Vorstand der Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss sah es als erfor derlich an, zeitgenössische Kunst zu installieren, um die Funktion und die neuen Inhalte des Gebäudes wirksam künstlerisch zu unterstützen. Trotz aller Spenden für die Fassade ist das Gebäu de doch ein Bauprojekt, das aus Bundesmitteln finanziert wur de und im Fokus der Öffentlichkeit steht. Bauwerke des Bundes sollen insbesondere dann, wenn sie herausgehobenen gesamt staatlichen Funktionen dienen und an exponierten Orten ste hen, das baukulturelle Niveau und Verständnis in unserem Land
Kunst am Bau ist keine Dekoration der Architektur. Sie ist vielmehr eine eigene Schicht in der Anmutung eines Gebäudes. Sie ist für Besucher*innen und Ge bäudenutzer*innen permanent erlebbar, solange das Gebäude besteht – und damit eine der öffentlichsten Künste überhaupt. Sie geht mit dem Gebäude eine fes te Bindung ein und sollte deshalb den Ort und die Funk tion des Gebäudes besonders betonen. Kunst am Bau ist im Grunde genommen eine Bauaufgabe. Die Mittel dafür sind im Bauetat gebunden und können bei Bundesbauten auch ausschließlich für den Zweck, Kunst für das Gebäude zu beschaffen, eingesetzt werden. Wege zu neuer Kunst Von einem öffentlichen Bauherrn wird ein faires und transparentes Verfahren zur Erlangung der Kunst er wartet. Insgesamt hat die Stiftung in Abstimmung mit dem Architekten sieben Standorte für Kunst am Bau ausgewählt und entsprechende Wettbewerbe analog zu der vom Bundesbauministerium herausgegebenen „Richtlinie für Planungswettbewerbe“ und dem „Leit faden Kunst am Bau“ durchgeführt. Die Wettbewerbe wurden etwa zur Hälfte als offene zweiphasige und als nicht-offene Verfahren, also eingeladene Wettbewerbe mit vorgeschaltetem offenem Bewerbungsverfahren, gestaltet. Die Beteiligung internationaler Künstler*in nen war gerade bei einem Kulturhaus mit außereuropäischen Bezügen dringend erwünscht. Hunderte von Teilnehmer*innen aus vier Kontinenten zeugen von einem regen Interesse an den Wettbewerben. Die unabhängigen Preisgerichte waren in der Mehrzahl mit Künstler*innen und Kunstwissenschaftler*innen be setzt. Als Sachpreisrichter*innen nahmen der Archi tekt, Vertreter*innen des Bundesbauministeriums, der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Me dien und des Bauherrn teil. Der künstlerische Beitrag sollte einen Bezug zur Architektur oder zu den Inhalten des Humboldt Forums herstellen und durch besondere künstlerische Qualität und Aussagekraft beeindrucken. Damit war keine Festlegung auf eine bestimmte Kunst gattung verbunden. Vielmehr ließen die Wettbewer be eine Vielzahl interessanter Ideen zu. Im Einzelnen wurden folgende Orte des Humboldt Forums mit dem Architekten als geeignete Standorte für Kunst am Bau ermittelt:
widerspiegeln und auch eine kulturelle nationale Visi tenkarte sein. Diesem Grundsatz ist die Stiftung gefolgt. Sie hat sich daher vehement für zeitgenössische Kunst im Humboldt Forum im Berliner Schloss eingesetzt.
13 Hans-Dieter Hegner Ein Plädoyer für die Kunst im Humboldt Forum Das Humboldt Forum soll ein Zentrum der kulturellen Begeg nung und des Dialogs zwischen den Kulturen der Welt und der Wissenschaft werden. Drei historische Fassaden wurden nach dem Entwurf des Architekten Franco Stella auf einer Länge von insgesamt 750 Metern akkurat wiederhergestellt. Diese rekons truierten barocken Fassaden geben dem historischen Ensemble aus Altem Museum, Berliner Dom und Schloss seine städtebau liche Schönheit zurück. Die finanziellen Mittel für die Rekonstruk tion der Fassade mit ihren 2828 figürlichen Darstellungen und über 22.000 Sandsteinwerkstücken wurden über Spenden ein geworben. Sie ist eine bautechnische, kulturelle und handwerk liche Meisterleistung. Der umfangreiche Fassadenschmuck und die Komposition bilden ein großes Gesamtkunstwerk, das in auf wendiger Handarbeit wieder neu entstanden ist. Die Fassade ist zwar eine durch und durch gelungene Rekonstruktion eines Meisterwerks ihres ursprünglichen Schöpfers Andreas Schlüter, aber gleichzeitig auch eine Neuschöpfung unserer Zeit. Schließlich galt es nicht nur die barocke Pracht zurück ins Stadtbild zu holen, sondern auch wichtige moderne Anforderungen zu erfül len, wie Sicherheit, Energieeffizienz und Schallschutz – um nur einige zu nennen. Der Neubau in historischem Gewand verfügt bei einer Grundfläche von etwa 20.000 Quadratmetern über eine Brutto-Geschossfläche von fast 100.000 Quadratmetern. Nach etwa elfjähriger Planungs- und Bauzeit präsentiert sich das neue Berliner Wahrzeichen seit Ende 2020 im Stadtbild. Doch das ist die eine Seite des hybriden Gebäudes. Die andere ist die moderne Architektur, die insbesondere an der Ostfassade und im Inneren ihre Wirkung entfaltet. Sie führt mit ihrer Sym metrie und den hochwertigen Materialien den Barock rational weiter und ist schnörkellos konsequent. Mit über 40.000 Qua dratmetern Ausstellungs- und Veranstaltungsfläche geht eines der größten und modernsten Kulturhäuser der Gegenwart an den WährendStart.der
• Dachterrasse: Westwand des Maschinenhauses
Der erste Wettbewerb umfasste die beiden Treppenhäuser über den Portalen 1 und 5 gemeinsam, da sie einander gegenüberlie gen, beide zum Schlüterhof ausgerichtet sind und die darin rea lisierten Kunstwerke miteinander kommunizieren könnten. Diese Treppenhäuser verbinden die Ausstellungen im 2. und 3. Ober geschoss miteinander. Sie sind jedoch vor allem zweigeschossige Lounges mit Blick in den Schlüterhof, gedacht zum Ausruhen und Verweilen. 222 Künstler*innen aus aller Welt fühlten sich von diesem Wettbewerb angesprochen, was vom guten Ruf des Projekts zeugt. In einem zweistufigen Auswahlverfahren wurden die Preisträger*innen ermittelt. Die Jury entschied, zwei 1. Preise zu vergeben, die in den jeweiligen Treppenräumen umgesetzt wurden: ein Werk von Tim Trantenroth aus Berlin, Ohne Titel, im Raum über Portal 5, sowie GLOBAL BAROCC – CCORAB LABOLG von An Seebach und Christiane Stegat aus Köln im Raum über Portal Ausgangspunkt1.
Kunststandort Treppenhäuser über den Portalen 1 und 5
für das Werk von Tim Trantenroth ist die Fassade des Palasts der Republik, der als direkter lokaler Vorgängerbau des Humboldt Forums malerisch subtil in Erscheinung tritt. Die gläserne Fassade des Republikpalasts hat ideen- und architek turhistorisch einen festen Platz in der deutschen Geschichte. Je nach Lichtverhältnissen konnte der Palast der Republik entweder äußerlich offen oder geschlossen wirken. Er gibt so gesellschaft liche Transparenz oder deren Illusion wieder. Die Wandmalerei von Tim Trantenroth erzeugt eine eindrucksvolle Raumwirkung und ist gleichzeitig ein Stück Erinnerungskultur. Die Arbeit von An Seebach und Christiane Stegat befasst sich mit der barocken Architektur des Berliner Schlosses einerseits und den Inhalten des Humboldt Forums als zukünftiger Begeg nungsstätte für die Kulturen der Welt andererseits. Damit spie gelt diese Arbeit die Komplexität des Humboldt Forums wider. Durch grafische Elemente werden an Barockarchitektur erin nernde Strukturen gestaltet. Bei Annäherung an diese „Archi tektur“ erlebt man die Elemente dieser „barocken Fassade“ als künstlerische Grafiken von herausragenden Exponaten der Sammlungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst. Neben der Schablonenmalerei liegen in der Lounge auch Bücher aus, in denen die Einzelgrafiken und die Fotos der Exponate mit Erläuterungen abge druckt sind. Das verleitet hoffentlich zu einem weiteren zielgerichteten Rundgang durch die Sammlungen. Kleines Foyer vor den Veranstaltungssälen im Erdgeschoss Das kleine Foyer vor den großen Veranstaltungsräumen des Humboldt Forums ist ein quirliger Ort des eher flüchtigen Aufenthalts. Von hier aus führt eine Treppe hinab zu den Garderoben und Toiletten, hier kann man aber auch Pausen verbringen oder auf Einlass in den Saal warten. Das Foyer ist durch die Architektur sehr klar gerastert und lebt durch den Jura-Kalksteinboden und die Kassettendecke mit den von Franco Stella ent worfenen runden Leuchten. Er hatte sich einen klas sischen Wandfries gewünscht, der ähnlich wie in der Antike dem Raum eine waagerechte Gliederung gibt und mit einem Relief eine neue Bedeutungsschicht hin Denzufügt.Wettbewerb für einen solchen Wandfries in die sem Foyer gewannen die Künstler Dellbrügge & de Moll – Christiane Dellbrügge und Ralf de Moll – aus Berlin mit dem Werk Die Architekten. Die Arbeit ist ein um laufender Buchstabenfries aus 110 Großbuchstaben. Dahinter verbergen sich die Vornamen von Architekten und Baumeistern, die an der Errichtung des Berliner Schlosses, des Palasts der Republik und des Humboldt Forums beteiligt waren. Das Kunstwerk lässt uns so teilhaben an der 600-jährigen Geschichte des Ortes. Die Buchstabenkette besteht aus Recyclingbeton. Dafür hatte die Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss als Bauherrin Betonreste zur Verfügung gestellt, die aus der sogenannten Wanne des Palasts des Repu blik stammen. Der Blick in die Geschichte wurde also auch mit geschichtsträchtigem Material umgesetzt. Die schnörkellosen Buchstaben gehen hervorragend auf die kubische Form des Raumes ein und unterstrei chen den Rationalismus der Architektur von Franco Stella. Das schmale Band der Buchstaben fasst den Raum elegant und zurückhaltend. Die Besucher*in nen können historische Namen und Persönlichkeiten entdecken, aber auch neue Namen bilden.
Foyer zur Ausstellung BERLIN GLOBAL und zu den „Werkräumen“ im 1. Obergeschoss Im 1. Obergeschoss kommen die Besucher*innen in einen Raum, der eine zentrale Verteilerfunktion hat. Das Foyer befindet sich zwischen dem Eingangsraum zur Berlin-Ausstellung und dem Eingangsbereich zu den
• Foyer zur Berlin-Ausstellung und zu den „Werkräumen“ im 1. Obergeschoss Großes Treppenhaus: Freiraum im 2. und 3. Obergeschoss
• Dachterrasse: Fläche im Südwesten
• Treppenhaus und Lounge über Portal 1 mit Blick in den Schlüterhof • Treppenhaus und Lounge über Portal 5 mit Blick in den Schlüterhof Kleines Foyer vor den Veranstaltungssälen im Erdgeschoss
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15 „Werkräumen“. Der Blick der Besucher*innen, die diesen Raum von der Treppenhalle aus betreten, fällt als Erstes auf die für eine künstlerische Bearbeitung ausgewählte Wand. Diese ist circa 5,60 Meter hoch und etwa 5,40 Meter breit. Der Wettbewerbssieger Stefan Sous hat darauf die Wandinstal lation ZEITMASCHINE realisiert. Sie besteht aus 66 baugleichen, dicht zusammengeschobenen, unterschiedlich großen Uhren. Das Werk greift eine historische Illustration von Ed. Lissner aus der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts auf. Erst bei näherem Hinsehen entpuppt sich das Gebilde als Mosaik aus Zeitmes sern, die die Uhrzeit an verschiedenen Orten der Welt angeben. Die Uhrzeiten in dieser Collage datieren aus der Epoche vor der Synchronisierung und Einführung von Zeitzonen. Die Installation richtet den Blick auf eine oft übersehene Triebkraft der Modernisierung: die Vereinheitlichung von räumlichen und zeitlichen Maßeinheiten weltweit. Die Farbe der Wand leitet sich aus der historischen Illustration ab. Gerade im Eingangsbereich zu den Werkräumen der Akademie ist das ein interessanter, lehrreicher Blick in die Geschichte. Großes Treppenhaus – Freiraum im 2. und 3. Obergeschoss Besondere Bedeutung als Ort für künstlerische Interventionen hat das zentrale Treppenhaus. Hier, wo sich im Humboldt Forum die Eingänge zu den Museen mit ihren Ausstellungen befinden, standen der Luftraum und Teile der Decke im Bereich des 2. und 3. Obergeschosses für die Kunst am Bau zur Verfügung. Der Wettbewerb „Zentrale Treppenhalle“ wurde als offener Kunst-am-Bau-Wettbewerb in zwei Phasen ausgeschrieben; weit über 100 Einsendungen gingen beim Auslober ein. Das Preisgericht bedachte die Arbeit Statue of Limitations des süd koreanischen Künstlers Kang Sunkoo mit dem 1. Preis und gab eine Ausführungsempfehlung ab. Während der Jurysitzung wurde angeregt diskutiert. Der Bauherr musste dabei zwei schwere Entscheidungen treffen: Einerseits wurden die Grenzen des für die künstlerische Ausgestaltung zur Verfügung gestellten Raumes überschritten, andererseits sollte ein Teil der aus dem Bauetat finanzierten Kunst weder im Gebäude noch auf dem Grundstück zu finden sein.
Der Entwurf Statue of Limitations sah eine zweiteilige, schwarz patinierte Bronzeplastik in Form einer Flagge auf Halbmast vor, die an zwei Orten in Berlin errichtet werden sollte: die obere Hälfte der Flagge und des Mastes auf dem Nachtigalplatz im sogenannten Afrikanischen Viertel in Berlin-Wedding, die unte re Hälfte im zentralen Treppenhaus des Humboldt Forums. Die temporäre Aufstellung in Berlin-Wedding fand im März 2022 statt. Das Kunstwerk nimmt Bezug auf die deutsche Kolonialge schichte und weist mit seiner Zweiteilung auf diesen noch immer unzureichend aufgearbeiteten Teil deutscher Geschichte hin: Im Humboldt Forum werden in den Museen auch Exponate ausge stellt, die während der Kolonialzeit nach Deutschland überführt wurden. Der Nachtigalplatz in Berlin ist nach dem Arzt und Afrikaforscher Gustav Nachtigal benannt. Da dieser nach Ansicht von Kritiker*innen zu den treibenden Kräften des deutschen Kolonialismus in Afrika zu zählen ist, soll der Platz umbenannt werden. Der Künstler möchte nach einer dortigen mehrmonatigen Aufstel lung die obere Hälfte des Kunstwerks zur endgültigen Aufstellung nach Namibia bringen. Die Skulptur überzeugte die Wettbewerbsjury als Me tapher der Erinnerung an den Kolonialismus. Ihr Titel spielt auf den juristischen Terminus der Verjährung an: Statute of Limitations. Die Arbeit versteht sich als permanente Aufforderung, sich kritisch mit der Kolo nialgeschichte auseinanderzusetzen. Dennoch ist die Fahne ein geradezu elegantes Kunstobjekt, das einen prägenden Kontrast zum hellen und klar gegliederten Treppenhaus bildet.
Dachterrasse
Die Dachterrasse des Humboldt Forums ist auf der Westseite umlaufend begehbar. Von hier aus genießen die Besucher*innen einen imposanten Ausblick auf die Innenstadt und insbesondere auf den Boulevard Unter den Linden und das UNESCO-WelterbeEnsemble der Museumsinsel. Die Terrasse wird do miniert von der mächtigen Schlosskuppel mit Laterne und Kreuz. Zwei Orte für künstlerische Interventionen wurden hier ausgewählt: die breite Westwand des Aufzugsmaschinenhauses und die großzügige Ter rassenfläche selbst. Für die Jury war es nicht leicht, ihre Wahl aus zahlrei chen interessanten Entwürfen für das Maschinenhaus zu treffen. Sie entschied, einen 1. Preis, verbunden mit einer Ausführungsempfehlung, an Antje Schiffers und Thomas Sprenger aus Berlin zu vergeben. Die Arbeit mit dem Titel Insurgentes Sur stellt eine Ver bindung zwischen Berlin und der Partnerstadt Me xiko-Stadt her, die hier beispielhaft für die großen Metropolen außerhalb Europas steht. Das Werk spielt auf die historischen Brücken zwischen Europa und Amerika an, die Alexander von Humboldt durch seine Amerika-Expeditionen aufgebaut hat.
Der Titel des Wandbildes bezieht sich auf die Aveni da de los Insurgentes, die längste Hauptstraße von Mexiko-Stadt. Sie wurde nach der Armee der Auf ständischen im mexikanischen Unabhängigkeitskrieg benannt. Es liegt ein Reiz in der Sache, bei einem Blick auf die Wandarbeit unter freiem Himmel zu sehen, wie die Skylines dieser beiden wichtigen Hauptstädte miteinander verschmelzen.
Abb. 2: Wolfgang Mattheuer, Guten Tag, 1975, Gemälde aus der Galerie im Palast der Republik als „Spur“ in der Treppenhalle des Humboldt Forums
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Die Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss zeigt nicht zu letzt mit der Dauerausstellung zu den Spuren der Geschichte zahlreiche Kunstwerke aus dem ehemaligen Palast der Republik.
Das Werk steht in der Tradition des mexikanischen Wandbildes und überzeugt mit seiner grafischen Einfachheit, seiner Ausfüh rung in Blattgold und seinen vielfältigen Bezügen. Gold spielt im Humboldt Forum in mehrfacher Hinsicht eine wichtige Rolle: Das Material war der Anlass vieler Eroberungszüge in Südamerika und ist auch in den Sammlungen des Ethnologischen Museums präsent. Gold fällt aber auch sowohl bei der Verhüttung von Kupfer aus Kupfererzen als auch bei der Verarbeitung von Kupfer schrott an – ein Hinweis auf das verbaute Kupfer auf den Dächern des Humboldt Forums. Dem nigerianischen Künstler Emeka Ogboh wurde ein 2. Preis für seine Soundinstallation Der Kosmos – Things Fall Apart auf der Dachterrasse zuerkannt. Das Neuarrangement eines mehr stimmig vorgetragenen afrikanischen Volksliedes überzeugte die Jury. Der Klangteppich auf dem Dach des Humboldt Forums schräg gegenüber dem Auswärtigen Amt ist eine künstlerisch gelungene und symbolisch relevante Setzung. Es konterkariert eine eurozentrische Perspektive auf die Welt und ihre Geschichte. Die räumliche Präsentationsform wurde auf Bitten der Jury und des Bauherrn vom Künstler überarbeitet. Die Lautsprecher der nunmehr angepassten Soundinstallation versammeln sich auf einem kleinen Rondell wie ein Chor auf einer Bühne. Zeitgenössische Kunst in den musealen Sammlungen Kunst im Humboldt Forum ist nicht nur im Zusammenhang mit Kunst-am-Bau-Wettbewerben in das Gebäude eingezogen: Die Dauerausstellungen des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst, aber auch die Ausstellung BERLIN GLOBAL beherbergen neben Kunstgegenständen vergangener Zeiten auch zahlreiche zeitgenössische Werke – wie beispiels weise das Teehaus des chinesischen Künstlers Ai Weiwei –, von denen einige in diesem Buch beschrieben und gezeigt werden.
Im 2. Obergeschoss des Treppenhauses im Humboldt Forum befindet sich das Gemälde Guten Tag von Wolfgang Mattheuer (1927–2004) aus dem Jahr 1975. Aus dem Foyer der Volkskammer ist ein Teil des Werkes Lob des Kommunismus von Jo Jastram (1928–2011), entstanden 1974–1976, zu sehen.
Das Humboldt Forum präsentiert sich als modernes Kulturhaus mit ambitionierten Kunstprojekten. Es zeigt neben historischen Objekten zahlreiche aktuelle Interventionen von Künstler*innen aus unterschiedlichen Kulturen, die die Sammlungen bereichern und zum Nachdenken und zum Diskurs anregen.
Die Spuren der Geschichte offenbaren sich im ganzen Haus: auf öffentlichen Flächen, in Restaurants, in den Ausstellungsräumen.
17 Abb. 3: Humboldt Forum, Blick vom Lustgarten auf die Nordfassade
18 Abb. 1: Thron „Mandu Yenu“ und Installation „Indignation“ von Justine Gaga im Modul „Koloniale Verflechtungen: Das Kameruner Grasland und Deutschland“ im Ethnologischen Museum, Staatliche Museen zu Berlin
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Lars-Christian Koch Zeitgenössische Kunst – Eine Aufgabe nur für Kunsthallen? Während ethnologische Museen vorrangig entstanden, um fremde, meist außerhalb Europas verortete Kulturen zu do kumentieren, zu erforschen und besser zu verstehen, waren Kunstmuseen schon seit dem 19. Jahrhundert stark fokussiert auf ästhetische Praktiken und Konzepte unterschiedlicher kul tureller und gesellschaftlicher Konstellationen. Dazu gehören, neben anderen, vor allem die künstlerischen Äußerungen asia tischer Kulturen und ihre Geschichte. Vor diesem Hintergrund haben sich das Museum für Asiatische Kunst und das Ethno logische Museum der Staatlichen Museen zu Berlin – Preu ßischer Kulturbesitz in unterschiedlicher Weise mit Konzepten von Kunst auseinandergesetzt.
Da diese sehr klar unter histo rischen, vor allem wissenschaftsgeschichtlichen Gesichtspunk ten zu betrachten sind, lohnt es sich, einen kurzen Blick auf die Geschichte beider Häuser zu werfen, um im Anschluss zu erläutern, warum zeitgenössische Kunst sehr wohl Platz in Ausstellungen im Humboldt Forum hat – und diese nach heutigem Verständnis sogar zwingend nötig ist. Das Museum für Asiatische Kunst geht mit einigen seiner Be standsobjekten an Kunst, Kunsthandwerk und archäologischen Artefakten zurück auf die Kunstkammer Friedrich Wilhelms von Brandenburg (1620–1688) im Berliner Schloss, dem Ort, an den die Sammlungen seit 2021 zurückkehren. Aus diesen Beständen der Kunstkammer und einem großen bürgerschaftlichen Enga gement ging 1906 das Museum für Ostasiatische Kunst als Ers tes seiner Art hervor. Nach dem Zweiten Weltkrieg entstanden starke Einschnitte in den Sammlungen, da bis zu 90 Prozent der Objekte als Beutekunst in die Sowjetunion verbracht wurden. Nur wenige Stücke kamen im Anschluss zurück nach Berlin. Dies machte einen Neuaufbau der Sammlung notwendig. Ab 1952 wurde im Pergamonmuseum wieder ostasiatische Kunst ausge stellt, während in West-Berlin erst ab 1970 ein eigener Ausstel lungsort für die Kunst Asiens in Berlin-Dahlem entstand. 1904 wurde im Museum für Völkerkunde die „Indische Abteilung“ gegründet, deren Bestände vor allem durch die vier „Turfan-Expeditionen“ zusätzlich einen bedeutenden Schwer punkt im Bereich Zentralasien erhielten. Auch hier gab es durch den Zweiten Weltkrieg große Verluste. 1956/1957 wurden die noch vorhandenen Sammlungen am Museumsstandort Dah lem zusammengeführt. Ab 1963 wurde aus Teilen der indischen Abteilung des damaligen Museums für Völkerkunde das Mu seum für Indische Kunst gegründet. 2006 wurden beide Muse en zusammengeführt in das Museum für Asiatische Kunst, das damit Sammlungen aus ost-, süd-, südost- und zentralasiati schen Kulturräumen aufweist. Das Ethnologische Museum reicht in seinen Bestän den bis in das 17. Jahrhundert zurück und lässt sich ebenso wie das Museum für Asiatische Kunst auf die Kunstkammer des brandenburgisch-preußischen Großen Kurfürsten im Berliner Schloss zurückverfol gen. Durch frühe Handelsbeziehungen kamen ab 1671 Waffen, Geräte und Kleidungsstücke aus Südost- und Ostasien, Manuskripte aus Indien und verschiedene Objekte aus Afrika nach Berlin. Ab Mitte des 19. Jahr hunderts veränderte sich die Konzeption der Samm lungen; deshalb wurde im Untergeschoss des Neuen Museums die ethnologische Sammlung als Einheit an einem Ort gezeigt und bald als „Ethnographisches Museum“ bezeichnet. 1873 wurde ein Antrag der Berliner Gesellschaft für Anthropologie, Ethnologie und Urgeschichte für ein eigenes Museumsgebäu de bewilligt und bald darauf der Grundstein gelegt. Es setzte eine organisierte Sammeltätigkeit ein, mit dem Ziel, Kulturen so vollständig wie möglich zu do kumentieren. Das führte zu einer großen Zahl an Ob jekten, da für die vorherrschende kulturvergleichende Methode viele Vergleichsobjekte benötigt wurden. In der Folgezeit veränderten sich die Forschungsfragen, Ziele und Sammlungsstrategien kontinuierlich.
Im Zusammenhang mit den ethnologischen Samm lungen wandelte sich die Bewertung von Objekten als Kunst oft abhängig von Forschungsfragen und bestimm te in unterschiedlicher Konstellation Ausstellungs- und Sammlungsstrategien. Die heute so intensiv diskutierten nigerianischen Benin-Bronzen wurden durch die Arbeit
Die Altertümer von Benin (1910) des zweiten Direktors des Ethnologischen Museums, Felix von Luschan, in europäischen Museen als Kunst wahrgenommen –was sie zweifellos sind. Es handelt sich um Transfor mationsprozesse: Aus repräsentativen Objekten wur den Kunstwerke. Diese Prozesse fanden und finden unter anderem in ethnologischen Sammlungen und Museen fortdauernd statt.
Davon ausgehend, dass Kunst ein Phänomen ist, das durch diskursive Praktiken definiert ist, handelt es sich um einen dynamischen Prozess, in dem im Verständ nis zu den Objekten Kriterien etabliert werden, die sie zu einzigartigen Werken künstlerischer Ausdrucks form machen. So ist zu beobachten, dass die Trans formation religiöser Objekte zu Kunstobjekten ein konstanter Prozess war und ist. Parallel dazu wurden fremde Kulturen aus einer europazentrierten Sicht weise aufgewertet, wenn sie als sogenannte Hoch
aus Angola stellt mit seiner Township Wall eine Beziehung zwischen seiner Herkunftskultur und Berlin her, in dem er in seiner Installation urbane Materialien aus Berliner Bezirken zu einer Wand verarbeitet, die an die Architektur af rikanischer Townships erinnert (siehe S. 132–139). Dieses Werk war 2018 in der viel beachteten Ausstellung Hello World im Hamburger Bahnhof in Berlin zu sehen, wie auch andere Werke des Ethnologischen Museums und des Museums für Asiatische Kunst. Beide Museen verfügen schon jetzt neben den historischen Sammlungen über Bestände zeitgenös sischer Kunst aus globalen Kontexten, so zum Beispiel über herausragende Werke der sogenannten India nischen Moderne aus den USA, also der Kunst indiani scher Kulturen des späten 20. Jahrhunderts. Generell hat eine Ausstellung im Umfeld der Samm lungen des Ethnologischen Museums und des Mu seums für Asiatische Kunst den großen Vorteil, eine Kontextualisierung von Kunst in kunst- und regional wissenschaftlichen sowie ethnologischen, sozial- und kulturwissenschaftlichen Zusammenhängen präsen tieren und damit einer erweiterten Verstehensebene zuführen zu Performativekönnen.undinteraktive Formate nehmen eine bedeutende Rolle in der Gegenwartskunst ein, seien es Aufführungen oder Performance-Kunst, Aktionskunst, Immersive Art oder Klanginstallationen. Im Humboldt Forum wird es die Möglichkeit geben, in großformati gen (audio)visuellen Arbeiten wie etwa Fassadenpro jektionen und Klanginstallationen im Außen- wie auch im Innenraum, zum Beispiel im Hörraum im Bereich der Musikethnologie-Ausstellung, sowohl historisches Klangmaterial zu verarbeiten als auch Neuproduktio nen zu schaffen. In diesen Prozessen wird den Besucher*innen, den Akteur*innen und dem Fachpublikum immer wieder verdeutlicht, wie eine Einbindung zeitgenössischer Kunst in die Sammlungspräsentationen der beiden Museen zur Transformation von Objekten führt. Dies ist nur erlebbar in dieser Konstellation. Damit wäre die Frage, ob zeitgenössische Kunst nur auf Kunsthallen und -museen beschränkt sein sollte, zumindest in eine multiperspektivische Richtung gerückt. Die Ausrich tung reiner Kunstmuseen ist bereits international und wird immer noch globaler, was einen positiven Effekt auf die Kunstszene hat. Die Kombination globaler kul tureller Sammlungen mit der zeitgenössischen globa len Kunstszene ist dagegen nur im Kontext speziali sierter Museen möglich. Daher sehe ich vor allem in der Ausrichtung des Humboldt Forums einen Mehr wert.
20 kulturen betrachtet und mit einer eigenen Kunstgeschichte versehen wurden – oft ungeachtet der Tatsache, dass in vielen Kulturen eigene Konzeptionen von Kunst existieren. In diesem Spannungsfeld bewegen sich ethnologische Museen und ebenso Museen zu asiatischer Kunst, indem sie kontinuier lich aushandeln, was Kunst ist und damit ebenso kontinuierlich eine diesbezügliche Bewertung der Bestände vornehmen. Gleichzeitig werden Kontakte und Kooperationen mit Vertre ter*innen der Länder, aus denen die Sammlungen in Dahlem und im Humboldt Forum stammen, immer enger und Strate gien des Informationsaustauschs immer effektiver, sodass heu te eine völlig neue Art künstlerischer Gestaltung auf der Basis historischer Sammlungen möglich ist.
Für Künstler*innen aus Herkunftskulturen besteht die Mög lichkeit, sich mit der eigenen Geschichte künstlerisch zu be schäftigen. Die Nähe zu den Objekten historischer Sammlungen schafft die Voraussetzung, eine direkte Auseinandersetzung mit der eigenen historischen und künstlerischen Vergangenheit vorzunehmen und diese in die Zukunft zu tragen. Auch wenn gelegentlich Bedenken gegen das Ausstellen von zeitgenös sischer Kunst in Ethnologischen Museen geäußert werden, da das Selbstverständnis der Künstler*innen eher von Ausstel lungsräumen in Galerien oder Kunstmuseen ausgehe, ist doch gerade die hohe Dynamik gegenwärtiger Diskurse in diesem Umfeld und deren künstlerische Aneignung gewinnbringend für Künstler*innen und Publikum.
Unterschiedliche Kulturen suchen und finden heute durch ihre Künstler*innen Antworten auf gegenwärtige Probleme. Kunst kann auf diese aufmerksam machen – wie in der Arbeit Indignation von Justine Gaga zu sehen, das die Probleme Ka meruns in der Jetzt-Zeit thematisiert (siehe S. 140–147).
Mariana Castillo Deball aus Mexiko verbindet in ihrem Werk Codex Humboldt Fragment 1 / Codex Azoyú Reverso historische Dokumente und deren politische Auswirkungen vor allem im 18. und 19. Jahrhundert mit der gegenwärtigen Situation in ihrem Heimatland, und zwar in direktem Gegenüber zu den damit in Verbindung stehenden archäologischen Dokumenten (siehe S. António148–157).Ole
21 Abb. 2: Choi Jeong Hwa, Der Moment der Erinnerung (Schweiß, Herz, Brot), Ausstellung „Schreibkunst und Schriftkultur“, Museum für Asiatische Kunst, Staatliche Museen zu Berlin, 2020
Bonn 2022, für die Werke von Matthias Beckmann, Stefanie Bürkle, Horst Gläsker, Wolfgang Mattheuer, Annette Streyl Gefördert von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages. Kunst am Bau Künstlerische Auseinandersetzungen mit dem Humboldt Forum Verlag und Vertrieb Deutscher Kunstverlag GmbH Berlin München Lützowstraße 33 10785 Berlin www.deutscherkunstverlag.de Ein Unternehmen der Walter de Gruyter GmbH Berlin Boston www.degruyter.com Projektmanagement Verlag Imke Wartenberg Lektorat Ilka Backmeister-Collacott Gestaltung/Satz studio lindhorst-emme+hinrichs, Berlin Schriftfonts Sofia Pro, TSTAR Pro Umschlagabbildung Tim Trantenroth, Ohne Titel, 2020 Bildbearbeitung LVD GmbH, Berlin Druck und Bindung Grafisches Centrum Cuno GmbH & Co. KG Papier Magno Matt, 150 g/m2 ISBN 978-3-422-98996-2
Die Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss dankt herz lich allen Künstler*innen und Autor*innen für die freundliche Zusammenarbeit. Ebenso danken wir allen hier nicht namentlich Genannten, die zum Gelingen dieses Buches beigetragen ©haben.VGBild-Kunst,
von der Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss Konzeption und Projektleitung Hans-Dieter Hegner Projektmanagement Humboldt Forum Susanne Müller-Wolff Redaktion und Lektorat Anke Kugelmann Bildredaktion Barbara Martinkat © 2022 Stiftung Humboldt Forum im Berliner Schloss, Schloß platz, 10178 Berlin, und Deutscher Kunstverlag GmbH Berlin München www.humboldtforum.org
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HerausgegebenImpressum
Dieses Buch stellt ausgewählte Kunstwerke in informativen und assoziations reichen Texten sowie eindrucksvollen Fotografien vor und bietet damit ganz neue Einblicke in den vielstimmigen Kulturort Humboldt Forum.
Ein japanisches Teehaus, eine Soundinstallation mit nigerianischen Klängen, ein zweigeteilter Flaggenmast aus Bronze: Auf den weiten Flächen des Berliner Humboldt Forums kann man zahlreiche, teils raumgreifende Werke zeitgenössischer Kunst entdecken. In den Aus stellungen des Ethnologischen Museums, des Museums für Asiatische Kunst und des Landes Berlin bereichern Werke von Künstler*innen aus verschiedenen Herkunftsgesellschaften die Sammlungen. Daneben wur den im Humboldt Forum sieben Werke der Kunst am Bau realisiert, die sich mit der Geschichte des Ortes, mit dem Humboldt Forum als „Ort der Welt“, der Begegnung und des Austauschs befassen oder die Namensgeber, die Brüder Wilhelm und Alexander von Humboldt, würdigen.