Zoltan Kemenys Frankfurter Wolkenfoyer

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Zoltan Kemenys Frankfurter Wolkenfoyer Entstehung und Zukunft einer gefährdeten Raumkunst


↑ Zoltan Kemeny in seinem Atelier, 1963


Inhalt

Dank 4 Initiative Zukunft Bühnen Frankfurt

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Ina Hartwig Grußwort

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Markus Harzenetter Grußwort

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Philipp Oswalt Einleitung: Das Wolkenfoyer – eine umkämpfte Ikone

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Claudia Blümle und Jan Lazardzig Foyer BRD. Zum Verhältnis von Theaterbau, Kunst und Öffentlichkeit in der Nachkriegszeit

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Dieter Schwarz » L’art ne peut pas être personnel« Zoltan Kemenys Kunst nach dem Zweiten Weltkrieg

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Alfons Maria Arns Vom Fügen und Verschweißen – Auftragsgenese und Rezeption des Wolkenfoyers

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Zoltan Kemeny Meine Skulptur

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Hannsgeorg Beckert Architektur und Plastik

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Visuelle Dokumentation der Raumskulptur

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Micha Brumlik Bilderverbot als Archetypus. Zu Zoltan Kemenys »Wolken« - Versuch einer Deutung

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Astrid Wuttke Städtische Bühnen weiterbauen 128 Zu den Autoren

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Bildnachweis

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Dank

Unser ganz besonderer Dank gilt unseren großzügigen Förderern Kuratorium Kulturelles Frankfurt Kulturamt Stadt Frankfurt am Main Deutsche Stiftung Denkmalschutz Landesamt für Denkmalpflege Hessen Bund Deutscher Architekten, Frankfurt sowie den Spendern Inga Beckert, Frankfurt am Main; Dr. Zoltan Hanns-Georg Paul Beckert, Frankfurt am Main; schneider+schumacher Architekten, Frankfurt am Main; Reinhard Oswalt, Frankfurt am Main; Martin Koch, Neu-Isenburg; Prof. Luise King, Berlin; Helga SchüllGasteyer; Christian Stohl; Reiner Diederich, Frankfurt am Main; Alexandra Adam; Nina und Peter Danzeisen, Frankfurt am Main; Prof. Dr. Martin und Dr. Dorothee Kaltenbach, Buchschlag; Prof. Dr. Gerd Koch, Berlin; Jens Kunze, Frankfurt am Main; Astrid Nennies; Dr. Walter Prinz, Bad Soden; Christian Stöhr, Frankfurt am Main; Prof. Dr. Gisela Welz, Frankfurt am Main; Barbara Wiegand-Brückn; Dr. Karin Berkemann, Frankfurt am Main, welche die Erstellung des Buches finanziert haben. Für ihren persönlichen Einsatz danken wir Arno Löbbecke (Arch+ Verein); Karl-Burkhard Haus und Stefan Timpe (Kuratorium Kulturelles Frankfurt); Joachim Wendt; Steffen Skudelny und Tim Schöps (Deutsche Stiftung Denkmalschutz); Alfons Maria Arns, Prof. Dr. Maren Harnack, Hanns-Christoph Koch, Dr. Sascha Köhl, Martina Metzner (Initiative Zukunft Städtische Bühnen Frankfurt); Sandra Meireis (Universität Kassel); Prof. Anett-Maud Joppien und Bruno Johannbroer (TU Darmstadt); Max Schubert (Städtische Bühnen Frankfurt); Dr. Ursula Schoen (Evangelische Stadtdekanin Frankfurt am Main / Evangelische Akademie); Andrea Jürges (Deutsches Architekturmuseum); Claudia Schüßler (Institut für Stadtgeschichte Frankfurt am Main); lic. phil. Roland Wäspe (Kunstmuseum St.Gallen); Matthias Wohlgemuth und Samuel Reller (Kunstmuseum St.Gallen); Carolina Trebora Kratzmann-Mubarak, Cid Malcon-Hildmann, Cornelia Trebora Waschull, Georg Ruhnau, Stefan Rethfeld, Daniel Graf von Bernstorff und Britta von Campenhausen.

Initiative Zukunft Bühnen Frankfurt

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Die Initiative Zukunft Bühnen Frankfurt wurde im März 2020 gegründet. Sie begleitet kritisch den Planungs- und Entscheidungsprozess der Stadt Frankfurt und setzt sich dafür ein, alle Informationen transparent zu machen. Sie plädiert dafür, den bisherigen Standort zu erhalten, ihn weiterzubauen und die kulturellen und materiellen Ressourcen des Bestands zu nutzen sowie


ein innovatives Theaterkonzept zu realisieren, welches der Diversität der heutigen Stadtgesellschaft gerecht wird. Um diese Ziele zu erreichen, hat die Initiative intensiv recherchiert, verfügbare Unterlagen analysiert und bewertet, offene Briefe an die Verantwortlichen gerichtet, Gespräche mit Politiker:innen und der Presse geführt, umfassende Informationen auf einer Webseite veröffentlicht und Veranstaltungen durchgeführt. Unterstützt werden können diese Aktivitäten mit gemeinnützigen Spenden an: Empfänger: Arch+ Verein e. V. IBAN: DE07430609671167754301 Stichwort: Zukunft Bühnen Frankfurt www.zukunft-buehnen-frankfurt.de Kontakt: initiative@zukunft-buehnen-frankfurt.de

Impressum

Zoltan Kemenys Frankfurter Wolkenfoyer. Entstehung und Zukunft einer gefährdeten Raumkunst Hrsg. von Philipp Oswalt / Universität Kassel für die Initiative Zukunft Bühnen Frankfurt Schriften des Fachbereichs Architektur Stadtplanung Landschaftsplanung der Universität Kassel 6 Recherchen: Alfons Maria Arns, Sandra Meireis, Philipp Oswalt, Andreas Schumann Lektorat: Ilka Backmeister-Collacott Layout und Satz: Anna Pirot, Bureau Mitte, Frankfurt am Main Gedruckt in der Europäischen Union Verlag: Deutscher Kunstverlag GmbH Berlin München Lützowstraße 33 10785 Berlin www.deutscherkunstverlag.de Ein Unternehmen der Walter de Gruyter GmbH Berlin Boston www.degruyter.com Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2022 Deutscher Kunstverlag GmbH Berlin München ISBN 978-3-422-98825-5

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Grußwort

Dr. Ina Hartwig, Dezernentin für Kultur und Wissenschaft der Stadt Frankfurt am Main

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Die Städtischen Bühnen Frankfurt am Main sind in ihrer heutigen Form durch ein einzigartiges Zusammenspiel von Bau und Skulptur charakterisiert. Das Glasfoyer und Zoltan Kemenys Wolkenskulptur symbolisieren die Gedanken von Transparenz und Offenheit, die für den Bau der Theaterdoppelanlage in den 1960er-Jahren so große Bedeutung hatten. Zum Gebäudekomplex wurde in den vergangenen Jahren viel gesagt, geforscht und geschrieben. Ein Sammelband, der die Wolken und damit ein zentrales Kunstwerk der Frankfurter Nachkriegsgeschichte eingehend beleuchtet, war dagegen überfällig und liegt nun endlich vor. Als unprätentiöse Repräsentanz, als abstrahierte und doch eindeutige Darstellung verkörpern die blechernen Skulpturen, die nur in ihrer Gesamtheit Sinn ergeben, Frankfurts demokratischen Aufbruch nach dem Zweiten Weltkrieg. Sie drängen sich nicht auf und wirken trotz ihrer raumgreifenden Ausmaße nicht monumental. Vielmehr rahmten die Wolken im Lauf der Jahre unzählige Gespräche im Umfeld der Vorstellungen von Schauspiel und Oper. Einen Rahmen bieten die Wolken aber nicht nur für den Diskurs im Innenraum. Vom Willy-Brandt-Platz aus gesehen wird der gläserne Baukörper zum Schaukasten, zu einem Mikrokosmos mit eigenem – golden bewölkten – Himmel. Die Theaterbesucher und Theaterbesucherinnen drinnen stehen damit gewissermaßen selbst auf der Bühne. Die Idee einer offenen, transparenten Gesellschaft versinnbildlicht sich an wenigen Orten Frankfurts so eindeutig. Zur Zeit seiner Entstehung entsprach das Foyer Anspruch und Formensprache einer internationalen Moderne. Kemenys Kunstwerk entspricht dem mit seinem universellen Charakter, der auf künstlerische Toleranz und Experimentierfreude verweist – ganz anders als etwa der Vorgängerbau, wo exponierte Büsten von Goethe und Schiller die Fassade bestimmten und mit strengem Blick an ein klassisch-kanonisches Bühnenrepertoire gemahnten. Doch wie diese Kunst am Bau, die Anfang des 20. Jahrhunderts auf der Höhe der Zeit gewesen sein mag, muss man auch das Wolkenfoyer aus heutiger Sicht einer kritischen Revision unterziehen. So entfaltet das Ensemble nur in den Abendstunden und bei Theaterbetrieb seine eindrucksvolle Wirkung – bei Tageslicht wirkt es dagegen wie eine leere Hülle. Auch die Eingangssituation ist keineswegs einladend und bildet in Kombination mit der breiten Glasfront einen seltsamen Kontrast. Die Studierendenentwürfe, die in diesem Band versammelt sind, zeigen dagegen interessante Zukunftsperspektiven auf. Ihnen gemein ist eine öffnende Geste zum Stadtraum hin – und damit die Aussicht, dass das Wolkenfoyer als Teil eines neuen Schauspielhauses endlich seinem Anspruch der Transparenz und demokratischer Teilhabe voll gerecht werden kann. Unabhängig davon, welche Form die Städtischen Bühnen künftig haben werden: Das Wolkenfoyer verkörpert eine enorm


wichtige Epoche ihrer Geschichte, die auch künftig präsent und für Besucher und Besucherinnen, für Passantinnen und Passanten erfahrbar sein sollte.

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Grußwort

Prof. Dr. Markus Harzenetter, Präsident des Landesamtes für Denkmalpflege Hessen

»Ich bin der Zwischenraum zwischen dem, was ich bin, und dem, was ich nicht bin, zwischen dem, was ich träume, und dem, was das Leben aus mir gemacht hat …« Fernando Pessoa (1888–1935)

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Das Foyer der Städtischen Bühnen ist ein Zwischenraum, ein Übergangsraum, ein Ort der Kommunikation, des Promenierens und Flanierens. Hier begegnen sich festlich gekleidete Besucherinnen und Besucher vor den abendlichen Veranstaltungen in Schauspielhaus und Oper oder in der Pause bei einem Glas Wein oder einem Erfrischungsgetränk. Seinen fließenden, transitorischen Charakter verdankt das gläserne Foyer der Wolkenskulptur von Zoltan Kemeny, die durch ihr Auf- und Abschwingen nicht nicht nur den Rhythmus der Bewegung vorgibt, sondern für die Dynamik des Erlebens und Genießens im öffentlichen Raum steht. Insbesondere bei Nacht entfaltet der Raum seine festliche, aus dem Alltagsgeschehen emporgehobene Wirkung. Das Foyer spielt nicht nur mit dem Innen und dem Außen – auch architektonisch gesehen besitzt es eine Klammerfunktion, indem es Schauspiel und Oper räumlich und funktional zusammenführt. Sichtbar gemacht wird dies an der aufgeständerten Glasfront der Doppelanlage, und dies zeigt sich insbesondere an den Übergängen des Foyers zu der Ost- und Westseite. Die dortigen Fassaden wurden bewusst abgesetzt von dem gläsernen Baukörper des Foyers. Sie betonen seine Eigenständigkeit als gestreckte Wandelhalle, die durch ihre Höhe und die Reihung ihrer Glasflächen beeindruckt. Bis heute hat die schlichte Eleganz des Foyers nichts von seiner Bedeutung verloren. Für die Zeitgenossen jedoch war ein Glasfoyer mit einer 116 Meter langen und über 10 Meter hohen Skulptur, die bei aller Starre des Materials fließende Leichtigkeit und Dynamik verkörperte, ein Novum, etwas noch nie Dagewesenes, das anfänglich auch Irritationen hervorrief, heute allerdings von großer Akzeptanz und Wertschätzung geprägt ist. Durch diese Synthese aus Architektur und Skulptur bekundete die Stadt Frankfurt in den Jahren des Wiederaufbaus, des wirtschaftlichen Aufbruchs und der Bildungsreformen ihren Anspruch, mit einem modernen und transparenten Repräsentationsbau die öffentliche Kultur und die Bildung nicht nur der Stadt entscheidend mitzuprägen und -gestalten. Dies spiegelte sich auch im städtebaulichen Kontext, denn aus der Perspektive der Theaterbesucher und -besucherinnen ist die Stadt ein Vorplatz oder Vorhof der Kunst und der Imagination. Das Foyer ist dem Willy-Brandt-Platz zugewandt und befindet sich damit am Übergang von der Innenstadt über die Wallanlagen zum westlich anschließenden Bahnhofsviertel. Für den sich von dort nähernden Betrachtenden ist es ein Point de vue, von dem aus sich sowohl die Innenstadt als auch die benachbarten Stadtteile erschließen lassen. Grundsätzlich ist es für die Denkmalpflege ein Glücksfall, wenn sowohl das Gebäude als auch die Ausstattung erhalten ist, denn die Ausstattung zeugt von der Art, wie Menschen das Gebäude nutzten oder noch immer nutzen. Dies gilt für die Wolkenskulptur und das an sich nüchterne und schlichte Foyer in ganz besonderer Form, da sich beide in ihrer Materialität, ihrer


Form und ihrer Wirkung im Sinne eines Gesamtkunstwerks ergänzen und steigern. Ich freue mich deshalb ganz besonders darüber, dass es gelungen ist, dieses Ensemble am 30. November 2020 in die Liste der Kulturdenkmäler in Hessen einzutragen und zum Ausgangspunkt einer neuen Entwicklung zu machen, die künftige Anforderungen an einen wichtigen städtischen Repräsentationsbau von diesem Bestand aus weiterdenkt. Das Foyer der Städtischen Bühnen steht nicht nur für die Baukunst der 1960er-Jahre und erfüllt die gesetzlichen Voraussetzungen eines Kulturdenkmals aus geschichtlichen, künstlerischen und städtebaulichen Gründen – es zeugt auch von dem Glauben an die Entfaltung des Menschen durch Kunst und Bildung.

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Das Wolkenfoyer – eine umkämpfte Ikone

Philipp Oswalt

1 In der Schreibweise seines Namens folgen wir in diesem Buch der Form, wie sie der Künstler selbst verwendet hat, ohne Akzente. 2 www.change.org/buehnen-ffm; http://zukunft-buehnen-frankfurt.de/ petition-maerz-2020/ (21.3.2022). 3 So etwa: »Wozu ein Wahrzeichen? Die Schriftstellerin und Unterzeichnerin der Petition Katharina Hacker im Gespräch mit Claus-Jürgen Göpfert«, in: Frankfurter Rundschau, 22.4.2020; Wolfgang Leuschner, »Das Theater als Gegenpol und Gedächtnis-Stimulus: ein Plädoyer für den Erhalt der Bühnen«, http://zukunft-buehnen-frankfurt. de/2022/02/14/das-theater-als-gegen pol-und-gedaechtnis-stimulus-einplaedoyer-fuer-den-erhalt-der-bueh nen/ (11.3.2022).

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So Kulturdezernentin Ina Hartwig im Vorwort zum »Bericht zur Zukunft der Städtischen Bühnen«, Stabsstelle »Zukunft der Städtischen Bühnen«, hrsg. von der Stadt Frankfurt am Main – Der Magistrat, Dezernat Kultur und Wissenschaft, September 2021. 5 Michael Hierholzer, »Gute Geschichte, schlechte Idee«, in: FAZ, 8.4.2020. 6 Klaus-Jürgen Göpfert, »Klare Absage für private Initiative zu Städtischen Bühnen«, in: Frankfurter Rundschau, 14.6.2019. 7

Ebd.

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Die raumfüllende Skulptur von Zoltan Kemeny 1 für das Foyer der Städtischen Bühnen in Frankfurt am Main ist das wohl größte und öffentlich wirksamste Kunstwerk der Stadt. Mit dem Beschluss der Stadtverordnetenversammlung von Januar 2020 zum Abriss der Theateranlage ist es allerdings akut in seiner Existenz gefährdet. Viele Menschen kritisierten diese Entscheidung. Binnen weniger Wochen zeichneten über 6.000 Bürger einen Protestbrief. 2 Zahlreiche Kulturschaffende meldeten sich zu Wort und sprachen von der großen Relevanz der Theateranlage und der Raumskulptur des Foyers für ihre Identifikation mit Frankfurt und seiner Geschichte. 3 Bau und Kunstwerk haben sich tief in die Erinnerung vieler Frankfurterinnen und Frankfurter eingeschrieben. Anlässlich ihrer Gefährdung will das Buch über sie informieren und die Wertschätzung ihrer zum Ausdruck bringen. Seit fast 60 Jahren formulieren Foyer und Raumskulptur das südwestliche Ende des Anlagenrings, formen den Platz an der Schwelle zwischen Bahnhofsviertel und Stadtkern, zwischen Sachsenhausen und Innenstadt. Knapp zwei Jahrzehnte vor dem Wiederaufbau der Alten Oper und dem Museumsufer realisiert, waren die Städtischen Bühnen für eine lange Zeit der zentrale Kulturbau der Mainmetropole, mit dem sich Erinnerungen an viele Ereignisse, Künstler und Kulturprojekte, aber auch Krisen und Konflikte verbinden. Auch steht er markant für jene kulturelle Neuorientierung, die sich im Nachkriegsdeutschland vollzog und in diesem Bau einen gültigen Ausdruck fand (siehe Beitrag von Claudia Blümle und Jan Lazardzig in diesem Band). Für viele Menschen ist der Bau identitätsstiftend und formt das Bild ihrer Heimatstadt mit. Das bringt sie in Konflikt mit anderen, welche der modernen Architektur eine Bild- und Traditionsfähigkeit grundlegend absprechen. Für diese Personen ist der Bau nicht nur technisch, sondern ebenso kulturell hinfällig und obsolet: Er habe sein Haltbarkeitsdatum überschritten. » Das Gebäude ist in jeder Beziehung am Ende seines Lebenszyklus angelangt,« 4 heißt es in einem Bericht der Stabsstelle Städtische Bühnen der Stadt Frankfurt, die die Abrissplanung für den Bau seit Jahren federführend vorantreibt. Ihr mehrjähriger Leiter Michael Guntersdorf hat aus seiner negativen Einstellung zu dem Bau nie einen Hehl gemacht. Das Glasfoyer sei ein »Zufallsprodukt«, 5 »tagsüber ziemlich trostlos und gewinnt nur abends – wie bei einer Kneipe«6. Sein Fazit: »Die Kiste hat sich überholt.« 7 Andere gehen noch weiter. Sie gestehen dem Bau zwar Bildhaftigkeit und Symbolcharakter zu, aber gerade dies gelte es zu bekämpfen. Der einstige Stadtrat und Schuldezernent Bernhard Mihm (CDU) sieht den Theaterbau von 1963 als »architektonischen Beitrag zur Umerziehung unseres Volkes«, den er als aufgesetzt und lästig empfindet – ganz im Gegensatz zu den seit den 1980er-Jahren in der Stadt realisierten Rekonstruktionen, die »Balsam auf der geschundenen Seele der Stadt« seien,


↑ Das Schauspielhaus von 1902, Architekt Heinrich Seeling

↓ Das 1944 zerstörte Schauspielhaus

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↑ Das als Opernhaus wiederaufgebaute ehemalige Schauspielhaus mit modernisierter Fassade und neuer Bühne, 1951

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Bernhard Mihm, »Architektonischer Beitrag zur Umerziehung«, Leserbrief, in: Rhein-Main-Zeitung der FAZ, 8.6.2020. Ich danke Alfons Maria Arns für den Hinweis auf diesen Beitrag.

9 Gemäß der Theorie von Aleida und Jan Assmann bildet sich nach 80 Jahren das kulturelle Gedächtnis aus; siehe etwa: Aleida Assmann, Erinnerungsräume: Formen und Wandlungen des kulturellen Gedächtnisses, 3. Aufl., München 2006.

auch wenn sie von den heutigen » Umerziehungsideologen angefeindet« 8 werden. Die Debatte um die Städtischen Bühnen kann nicht isoliert von anderen Stadtentwicklungsprojekten in Frankfurt und deren baukulturellen Strategien gesehen werden. Doch die vorliegende Publikation verfolgt ein anderes Ziel: Sie fokussiert das Foyer und seine Raumskulptur. Unstrittig ist, dass diese das symbolische Kraftzentrum der Theateranlage darstellen. In der Öffentlichkeit sehr präsent, sind aber gleichwohl die dahinter stehenden Ideen und Künstler sowie die Genese des Werkes nahezu unbekannt. 60 Jahre nach Fertigstellung steht der Bau an der Schwelle zum Übergang in das kulturellen Gedächtnis, 9 womit er Eingang in unser Selbstbild, in unser Zeit- und Geschichtsbewusstsein findet. Dies ist ein konfliktträchtiger, umkämpfter Vorgang, wie es in jüngster Zeit auch bei vielen anderen Nachkriegsarchitekturen festzustellen ist. In dem Moment, wo die einstigen Zeitgenossen die Bühne verlassen, stellt sich heraus, ob die Nachgeborenen diese Werke als kulturelles Erbe wertschätzen und bewahren, oder sich ihrer entledigen wollen.

Die Architektur des Foyers

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Die Schilderung des Planungsprozesses beruht weitgehend auf dem Gutachten von Ralf Dorn / Landesamt für Denkmalpflege Hessen, Die Städtischen Bühnen Frankfurt, Wiesbaden, 17.4.2020, https://lfd. hessen.de/presse/bau-kunst-aktuell/ planung-des-neubaus-der-frankfurterdoppelanlage-fuer-oper-und-schau spiel (22.3.2022).

Die Glasfassade des Theaterfoyers ist zwar völlig transparent, doch gleichwohl verschleiert sie in ihrer Gleichförmigkeit die komplexe Entstehungsgeschichte des Gebäudeensembles. Denn anders, als es der äußere Anschein vermittelt, ist die Theateranlage nicht aus einem Guss, sondern eine palimpsestartige Collage von Elementen verschiedener Bauphasen. Ausgangspunkt war das nach dem Entwurf von Heinrich Seeling in den Jahren 1899 bis 1902 errichtete Schauspielhaus. Im Zweiten Weltkrieg erheblich beschädigt, wurde es in den Jahren 1949 bis 1951 unter Leitung der Architektengemeinschaft Otto Apel und anderen als Opernhaus wiederhergestellt. Der weitgehend zerstörte Bühnenbereich wurde in technisch innovativer Form modern errichtet, Zuschauerraum und Portikus hingegen blieben weitestgehend in ihrer überlieferten Form erhalten beziehungsweise wurden in dieser wiederhergestellt. Allein der Eingangsbereich nach Norden bekam eine moderat modernisierte Form. Bereits zwei Jahre nach Wiedereröffnung entstand aber der Wunsch, das Haus zu erweitern, um auch dem einstweilig nur provisorisch im Börsensaal untergebrachten Schauspiel adäquate Räumlichkeiten zu bieten. 1955 erhielten die Architekten Otto Apel und Hannsgeorg Beckert den Auftrag für ein Vorprojekt, 1957 den finalen Auftrag. Bei den Vorarbeiten analysierten die Architekten andere zeitgenössische Theaterbauten und unternahmen dafür auch 1956 eine Recherchereise zu den neuen Opern- und Mehrspartenhäusern in Köln, Münster, Hamburg und Malmö. 10 Bei den Voruntersuchungen wurde unter anderem deutlich, dass das begrenzte Baugrundstück keinen Platz für zwei eigenständige Bauten bot, sondern die Verknüp-

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Otto Apel verwies in seinem Gutachten von 1957 auf Beispiele aus Bremen, Chemnitz, Gelsenkirchen, Köln, Lübeck, Mannheim, Münster und Stuttgart: Otto Apel, Theater-Doppelanlage Frankfurt am Main, Gutachten vom 18.3.1957, S. 16, ISG S4c 320, zit. nach Dorn 2020 (wie Anm. 10).

12 Reisebericht von Oberbaurat Hans Ueter / Frankfurter Hochbauamt, 30.10.1956, S. 8, ISG 1.462, zit. nach Dorn 2020 (wie Anm. 10). 13

Ebd., S. 11.

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Apel 1957 (wie Anm. 11), S. 5, zit. nach Dorn 2020 (wie Anm. 10).

15 »Eine ‚Funkelnde Theaterinsel‘. Erweitertes Ensemble und 1000 Plätze mehr«, in: Frankfurter Neue Presse, 24.5.1963.

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fung beider Bühnen zu einer Theater-Doppelanlage erforderlich wurde – eine Konzeption, die damals ohnehin en vogue war. 11 Die besichtigten Theater in Münster, Hamburg und Malmö zeichneten sich alle durch eine transparente Schaufassade aus, mit der sich die Foyerräume jeweils zum Stadtraum öffneten. So bestätigte die großflächige Verglasung der Foyers beim Theater Münster (Architekten Max von Hausen, Ortwin Rave, Werner Ruhnau, Harald Deilmann, 1952—1956) die Frankfurter Architekten in der »Annahme, dass ein volles Öffnen nach außen nicht nur richtig, sondern wesentlich steigernd sein kann«. 12 Auch die Glasfassade des Theaters in Malmö wirkte auf die Frankfurter Architekten als »sehr klar, bestimmt«, sie »entbehre jeglicher falscher Repräsentation«. 13 Eine einheitliche, transparente Fassade nach Norden sollte daher das Gesicht des Frankfurter Ensembles bilden und damit einen »eindrucksvollen Abschluss des parkartigen Theaterplatzes« formen. 14 Sie ist städtebaulich weiträumig wirksam, bildet sie doch zugleich den räumlichen Abschluss der Wallanlagen. An den anderen drei Seiten wird der Gebäudekomplex hingegen von Straßenzügen umfasst. Um eine solche moderne Fassade bei der Frankfurter Doppelanlage realisieren zu können, war allerdings der Abriss der historischen Portikusfassade des Opernhauses im ehemaligen Schauspielhaus erforderlich. Dies ermöglichte den Bau einer 116 Meter langen und 10 Meter hohen, über dem eingerückten Erdgeschoss schwebenden Glasfassade. In einer ersten Entwurfsfassung war die Fassade deutlich gegliedert und seitlich gefasst. 15 Doch in ihrer letztendlichen Ausführung griff sie jene Radikalität einer großflächigen Verglasung auf, wie sie Ludwig Mies van der Rohe mit seinem vielbeachteten Theaterentwurf für Mannheim (1953) formuliert und die auch Werner Ruhnau bei seinem Musiktheater für Gelsenkirchen (1954—1959) beeinflusst hatte. Wie auch bei Mies’ Entwurf für Mannheim und den Theaterbauten in Münster und Hamburg rückten die Frankfurter Architekten das Erdgeschoss einige Meter nach innen und schufen so unter dem Foyer als Übergang zum Stadtraum eine überdachte Vorzone. Das Erdgeschoss war recht niedrig angelegt und der Zugang zum Foyer damit beengt. So sehr uns dies heute stört, war es damals nicht unüblich, wie etwa das Musiktheater in Gelsenkirchen zeigt. Hinter der einheitlichen Fassade mit dem eher schmalen Wandelfoyer fanden sich zwei recht unterschiedliche Bereiche wieder: Im Westen das Opernhaus, bei dem die historische Gestaltung der seitlichen Treppenaufgänge und der Zuschauerränge nunmehr hinter modernen Verkleidungen verschwanden. Während sich der Umgang des ersten Opernranges als leicht erhöhtes Podest in das Glasfoyer fortsetzte (heute Holzfoyer genannt), bildete der Umgang des zweiten Ranges eine Art Loggia mit Blick in den Foyerraum. Bei dem im Osten gelegenen Theaterneubau waren die Architekten hingegen frei von vorgefunden Gegebenheiten. Eine extrem breite, fast straßenartige


↑ Musiktheater Malmö, Architekten Sigurd Lewerentz, David Helldén und Erik Lallerstedt, 1933–1944

↓ Foyer des Musiktheater Malmö mit Kunstwerken von Isaac Grünewald und Carl Milles

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↑ Staatsoper Hamburg, Architekt Gerhard Weber, 1953–1955

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Ueter 1956 (wie Anm. 12), S. 12.

17 Schreiben von Otto Apel an Karl vom Rath, 16.8.1960, ISG 126, zit. nach Dorn 2020 (wie Anm. 10).

Innentreppe führte vom Erdgeschoss frontal auf die Glasfassade im Obergeschoss zu. Zu beiden Seiten dieses Treppenaufgangs setze sich dann parallel zur Fassade jeweils eine zum Foyer offene zweiläufige Treppe fort und gab Blicke von oben in das Foyer frei. Zwischen dem Theater- und Opernfoyer befindet sich der Chagallsaal, der als eigener Raumbereich je einem der beiden Foyers zugeschlagen oder diese auch miteinander verbinden kann. An der zum Stadtzentrum orientierten Nordostecke weitet sich das Foyer zum »Glashaus«, heute Panoramabar genannt. Die Auseinandersetzung mit dem Theaterbau in Malmö (Architekten Sigurd Lewerentz, David Helldén, Erik Lallerstedt, 1933—1944) überzeugte die Architekten zudem, »wie unbedingt notwendig ein gutes Zusammenwirken zwischen Architekt, Maler und Bildhauer ist, um einem festlichen Raum einen entsprechenden Ausdruck zu geben«. 16 Dort war das Foyer geschmückt mit Skulpturen und Malereien von Carl Milles und Isaac Grünewald. Auch in Münster und Gelsenkirchen spielte zeitgenössische Kunst bei der Gestaltung des Foyerbereichs eine zentrale Rolle (siehe Beitrag von Claudia Blümle und Jan Lazardzig in diesem Band). Für Frankfurt wurde bereits 1958 Marc Chagall als Künstler gewonnen, dessen Gemälde mit seinen Vorstudien den Saal zwischen Opern- und Theaterfoyer prägt. Opern- und Theaterfoyer selbst sollten eigentlich mit Malereien ausgestaltet werden, für die man den Gestalter Hans Leistikow beauftragen wollte. 17 Als Leiter des Grafischen Büros der Stadt Frankfurt von 1925 bis 1930 unter Stadtbaurat Ernst May war er eine der prägenden Figuren des »Neuen Frankfurt« gewesen und hatte zudem vielfach für Architekten der Moderne Innenräume und Farbverglasungen gestaltet. 1955 erstellte er für das Nationaltheater Mannheim (Architekt Gerhard Weber) einen MosaikFigurenfries. Im März 1962 starb er jedoch im Alter von 69 Jahren. Während der Bau schon weit vorangeschritten war, galt es nun also einen neuen Künstler zu finden. Im August 1963 wurde schließlich der in Zürich lebende Bildhauer Zoltan Kemeny beauftragt, der binnen weniger Monate sein großräumiges Werk schuf (zum Künstler siehe den Beitrag von Dieter Schwarz, zur Auftragsgenese den Beitrag von Alfons Maria Arns in diesem Band). Eine Skizze Kemenys zeigt, dass er eine Entgrenzung des Raumes imaginierte, der – nur von einer Glasmembran umhüllt – von einer von Ost nach West verlaufenden Strömung durchquert wird. Auf diese Weise verbindet sich das Foyer mit dem Außenraum: dem Theaterplatz, dem Grünzug der Wallanlagen und dem Himmel über ihm. Die Öffnungsgeste der Architektur wird mit künstlerischen Mitteln überhöht und dynamisiert. Und sie funktioniert in beide Richtungen: Die Theaterbesucher erfahren in den Pausen den Raum der Stadt als öffentliche Bühne, treten aus den abgeschotteten Illusionsräumen des Bühnenerlebnisses unmittelbar in die Mitte des urbanen Lebens, allerdings von einem erhabenen Standpunkt, aus kontemplativer, reflexiver Distanz. Und sie werden dabei selbst zu Darstellern einer städtischen

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Öffentlichkeit, welche sich im Glasfoyer nach außen zeigt und so gerahmt zelebriert wird. Im Vergleich zu den meisten anderen modernen Theaterbauten ist die Frankfurter Anlage dabei deutlich exponierter, da sie an einem zentralen Knotenpunkt der Verkehrsströme, Bewegungslinien und Sichtachsen im öffentlichen Raum platziert ist.

Der Denkmalschutz

18 Protokoll der Sitzung vom 11.3.2019, TOP 5.

19 Protokoll der Sitzung vom 22.11.2017, TOP 3.

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Fachlich ist es unstrittig, dass das Foyer der Städtischen Bühnen die Kriterien eines Baudenkmals erfüllt. Schon damit untersteht es rechtlich gesehen dem Schutz des hessischen Denkmalschutzgesetzes, welches hierfür keine Eintragung in die Denkmalliste erfordert. Doch die politische Realität ist eine andere. In der Debatte um die Zukunft der Bühnen Frankfurt haben diejenigen Entscheider, die seit Anbeginn eine Abrisslösung favorisierten, den Denkmalschutz jahrelang ignoriert und – als dies nicht mehr ging – in Zweifel gezogen und relativiert. Symptomatisch ist dafür das Auftreten des Planungsdezernenten Mike Josef (SPD), zu dessen Zuständigkeitsbereich die Denkmalpflege gehört. Bei der Sitzung des städtischen Denkmalbeirats im Frühjahr 2019 konstatierte er, »die Grundlage seiner Arbeit und Entscheidung über das Gebäude aber basiere auf der Tatsache, dass das Schauspielhaus oder Teile davon zum gegenwärtigen Zeitpunkt nicht unter Denkmalschutz stehen«. 18 Geflissentlich ignorierte er damit die ihm bekannten Aussagen des hessischen Landeskonservators Heinz Wionski, der bei einer Sitzung des Denkmalrats zwei Jahre zuvor zu Protokoll gegeben hatte, dass »das Opern- und Schauspielhaus, zumindest in Teilen, als Kulturdenkmal anerkannt« ist. 19 Eine formelle Eintragung in die Denkmalliste war jedoch damals auf politischen Druck erst einmal unterblieben. Der damalige Hessische Minister für Wissenschaft und Kunst, Boris Rhein (CDU), dem das Landesamt unterstand, wollte offenkundig seinem Kollegen, Baudezernent Jan Schneider (CDU), nicht in die Quere kommen, der sich schon seit 2017 für eine Neubaulösung als Signature Building (Stichwort »Elbphilharmonie«) stark gemacht hatte. Und so wurde das Thema Denkmalschutz in den Planungs- und Entscheidungsprozessen ausgespart. Weder in der Bestandsaufnahme und Machbarkeitsstudie von 2017 noch in dem Bericht der Stabsstelle Städtische Bühnen von 2020 findet das Wort Denkmalschutz überhaupt Erwähnung. Nicht einmal die Namen der Architekten und des Künstlers Zoltan Kemeny werden genannt. Und unter kompletter Nichtbefassung mit dieser Thematik traf dann auch die Stadtverordnetenversammlung 2020 ihre Abrissentscheidung. Sehr bewusst wurde die Landesdenkmalpflege nicht in die Planungsprozesse einbezogen, sondern erst im Nachgang informiert; so 2017 nach Fertigstellung der Machbarkeitsstudie, und so erneut 2020 nach der Abrissentscheidung. Infolge der im März 2020


↑↓ Vorentwurf für die TheaterDoppelanlage, Architekten Otto Apel und Hannsgeorg Beckert, 1957. Die Fassade ist noch stark gegliedert, in das Foyer eine Galerieetage eingefügt.

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↑ Modell des Vorentwurfs von 1957

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↑ Modell des Realisierungsentwurfs von 1963




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