nominanuda hex03

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Da ist dieser schwarze schlammige Abgrund, diese unauslotbare Tiefe und spiegelt, spiegelt einen Baum in voller Blüte, zwei Bäume – Schwarzdorn oder Apfel – nicht zu erkennen.


So fängt manches an – und zwischen den vier Bäumen, die zweifache Linie des hellen Ufergrases. Dahinter aber stehen moosbewachsen die Riesen – eine dunkle Armee, vielarmig, drohend.



Kreuz und quer liegen sie – die Fahrpläne der Buchenzweige werden jedes Jahr neu gedruckt. Kurz vor dem Zerspringen die braunen Knospen, erste und letzte Blätter gleichzeitig aufstehend und Niedergang. Aber dieser Urwaldkrake da greift sich das Blattwerk, aus einem puren Reflex heraus greifen seine gichtig­vermoderten Finger ins Buchengezweig. Schön, ihm klopft dabei noch ein Sonnenstrahl auf die Finger, was den Kraken kaum kümmert. Angelockt vielmehr zerfleddert das Licht im dichten Moos seines Arms.


Jetzt aber ein mikroskopischer Blick auf die Hand. Ihre dichte Behaarung beginnt zu singen – und schneeig tippt auf die Schulter, bald kumpelhaft, bald verspielt, das helle Gleissen. O, wie stehen da die einzelnen Härchen auf, recken in zuckender Erregung ihre pubertären Tannenbärtchen, und der Arm scheint über­ zogen von Cornflakes-Kaskaden. Sie weichen nicht auf im milchigen Frühlicht – sie sammeln den Dunst, sind der Faserpelz des Baumes. Hier trägt man heuer und immer – functional wear.



Im Kreis der Helden steht heute Armdrücken auf dem Programm. In Reih und Glied sitzen sie am Re­ fektoriumstisch – die Recken – und greifen sich gegenseitig die Finger und schliessen die Faust. Schulter an Schulter übt die Armee, und Ästchen messen zerbrechlich die Wettkampfdistanz zwischen Ellen und Sehnen, die vor Kräften fast platzen.


O nein, nicht schon wieder, flüstert das Reh – ihm versperrt das Getümmel den Weg. Wird also gezwungenermassen zum Zeugen – brutaler Reigen der Kämpfer – und schnuppert. Wie riechen Baumriesen unter den Achseln? Nach Moder, nach Trüffel, nach Schneeleopard?



Und schliesst die Lippen, der Elf – und atmet ganz leise und feucht. Schon setzt er an zu einem fabelhaften letzten Wort. Manchmal fällt einer längelang hin – und mancher schon wurde von Winden wuchtig ­gesplittert. Noch dröhnt das Sausen der Lüfte in moosigen Ohren. «Ja, hör mir zu, hör mir zu, hör...»


Agenturperiodikum. Erscheint zweimal jährlich, jeweils im Dezember und Juli. Auflage 500 Exemplare. Dies ist die vierte Ausgabe. Den Publikationstitel entnahmen wir einem Gedicht, welches Umberto Eco in seinem Roman «Der Name der Rose» zitiert: «Stat rosa pristina nomine / nomina / Fridolin Jakober

// Text

/ Birgit Ostertag / Patrick Jauch

nuda tenemus.» (Die Rose // Fotografie

/ Claudio Caravina // Lithografie / Birgit Ostertag / Patrick Jauch

von einst steht nur noch als Name, uns bleiben nur nackte

// Gestaltung

Namen.)

dezember und juli gmbh Sackstrasse 33 8342 Wernetshausen Telefon 01 938 80 08 Telefax 01 938 80 05 www.dezemberundjuli.ch postfach@dezemberundjuli.ch


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