Wäre nicht der Bauer – hätten wir kein Brot

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Wolfgang Viehweger

Der Autor behandelt ein Thema, das im

wird. An Beispielen in unserer Stadt zeigt er die Rolle der Bauern in ihrer sozialen Entwicklung. Obwohl die Landwirtschaft immer einer der wichtigsten Berufszweige war, fand sie im Mittelalter kaum gesellschaftliche Anerkennung. Durch die Industrialisierung wurde sie stark reduziert und führt heute ein Nischendasein, allerdings in einigermaßen gesicherten Verhältnissen. Die meisten noch in unserer Stadt verbliebenen Bauern haben sich auf industrielle Produktion und moderne Freizeitbedürfnisse eingestellt, sie sind zu Nebenerwerbsbetrieben mit viel Phantasie geworden. Die Bauern haben sich im Laufe der Geschichte gegen ständige Abhängigkeit von Herren dadurch gewehrt, dass sie einen Abwehrmechanismus entwickelten, welchen man mit „Bauernschläue“ umschreiben kann. Der Autor zeigt am Beispiel einer „Gebehochzeit“, wie eine monotone und stille Lebensweise an Festtagen umschlägt in Ausgelassenheit und Rauferei. Die behutsame und humorvolle Art des Autors im Umgang mit der Geschichte der Bauern in unserer Stadt macht das Buch spannend und

Wolfgang Viehweger · Wäre nicht der Bauer – hätten wir kein Brot

allgemeinen als wenig attraktiv angesehen

Wäre nicht der Bauer – hätten wir kein Brot

lesenswert. Der Herausgeber

FRISCHTEXTE Verlag Herne

FRISCH TEXTE VERLAG

Vom bäuerlichen Leben in Wanne-Eickel und Herne Ein Beitrag zur Heimatgeschichte Gesellschaft für Heimatkunde Wanne-Eickel / Herne (Hrsg.) FRISCHTEXTE Verlag Herne

Bäuerliches Leben_Umschlag_02.indd 1-3

17.05.2013 17:01:34


Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Wäre nicht der Bauer – hätten wir kein Brot Vom bäuerlichen Leben in Wanne-Eickel und Herne Ein Beitrag zur Heimatgeschichte Hrsg.: Gesellschaft für Heimatkunde Wanne-Eickel / Herne 1. Auflage, 2013, FRISCHTEXTE Verlag, Herne ISBN 978-3-933059-44-4

© FRISCHTEXTE Verlag, Herne Autor: Wolfgang Viehweger Illustration: Margaretha Urankar, Wolfgang Ringhut, Alfred Hartwig, Ingeborg Viehweger, Gerd Kaemper, Eberhard Wirtz Umschlagentwurf, Layout und Satz: Agentur Steinbökk Gesetzt in der „Calluna Sans“ von exljbris und in der „Vollkorn“ von Friedrich Althausen Gesamtherstellung: druckfrisch medienzentrum ruhr gmbh, Herne

Alle Rechte der Verbreitung, auch durch Film, Funk und Fernsehen, fotomechanische Wiedergabe, Tonträger jeder Art, auszugsweiser Nachdruck oder Einspeisung, Rückgewinnung und Wiedergabe in Datenverarbeitungsanlagen aller Art sind vorbehalten.


Vorwort Bäuerliche Lebensplanung und Lebenspraxis in Westfalen im 19. Jahrhundert Als „Bauer“ bezeichnete man in Westfalen den Eigentümer oder Pächter eines kleineren oder größeren Grundstücks, das hauptberuflich zu landwirtschaftlichen Zwecken genutzt wurde. Allgemein galten Betriebe von 2 bis 5 ha nutzbarer Bodenfläche als kleinbäuerlich, solche von 5 bis 20 ha als mittelbäuerlich und solche von 20 bis 100 ha als großbäuerlich. Größere Betriebe wurden der Gutswirtschaft zugerechnet, ganz kleine wurden meist von Köttern und Arbeitern nebenberuflich genutzt. Bauerntum war nicht nur ein Berufsstand, sondern auch eine Lebensform, die geprägt war durch die Eigenart der bäuerlichen Tätigkeit: Pflege am organischen Wachstum, Zucht neuen Lebens und zweckvolles Handeln in Verbindung mit der Fruchtbarkeit des Bodens (Pflege der Ressourcen, Tierzucht, Ackerbau). Aus dieser Arbeitsform erwuchs die Bedeutung des Gemeinschaftslebens als historische Kraft. Seit dem Mittelalter waren ihre Wesenszüge die Beständigkeit des bäuerlichen Lebens, die Bodenständigkeit und die Wichtigkeit der Familie. Beständigkeit bedeutete in diesem Zusammenhang die Fähigkeit des Bauernstandes, den jähen Wechsel in der Politik zu überdauern und sich gegen alle Bedrohungen in einer stetigen Geschlechterfolge zu behaupten. Diese Beständigkeit hielt zunächst auch den Umwälzungen des 19. Jahrhunderts stand, weil die Bauern durch ihre Arbeit dem Boden verhaftet waren, den sie beackerten und pflegten, um aus ihm ihre eigene und die Nahrung für die Bevölkerung zu gewinnen. Auf diese Weise bewirkte das Bauerntum die Festigkeit der Räume und Grenzen, außerdem den Zusammenhalt in den Dörfern.

–5 –


Die bäuerliche Wirtschaft war immer Familienwirtschaft. Haushalt und Berufstätigkeit waren verbunden. Für die bäuerliche Ehe war die Frage der Arbeitsfähigkeit des Partners im gleichen Maße entscheidend wie die Nachwuchsfrage. Der Hof forderte stets die Arbeitskraft der Familie, aber auch der Erben. Bei geschlossener Hofübergabe (Anerbenrecht) ging in Westfalen der Hof an ein einziges Kind über, meist an den ältesten Sohn. Bei der Realteilung wurde der Hof unter allen Kindern aufgeteilt. Allerdings achtete man dabei auf die Betriebsgrößen, weil nachfolgende Generationen oft auf flächenmäßig geschrumpften Höfen nicht überleben konnten. Bei der Diskussion über Anerbenrecht und Realteilung ist die Auffassung vieler Historiker, dass die Erbpraxis in Westfalen durch lokale Traditionen geprägt wurde, auch als Konsequenz individueller Ziele und Kompromisse. In der Migrationsforschung gilt die Realteilung als Ursache für die Auswanderung, da die Teilung zur Verarmung nachgeborener Kinder führte, die den Hof nach dem Erbfall verlassen mussten. Im ungeteilten Erbvorgang war die Auszahlung der Geschwister (und deren Ausscheiden aus dem Familienverband) oft Anlass zur Verschuldung des Hofes, da die Fläche des Betriebs zwar gleich blieb, aber die Bewirtschaftung sich verteuerte, weil der Anerbe familienfremde Arbeitskräfte einstellen musste, was seine Finanznot noch erhöhte. Deshalb wurden in den Übergabeverträgen die Hof- und Vermögensverhältnisse meist lange vor dem Erbfall von den Familien einvernehmlich geklärt. Diese bäuerlichen Familienstrategien konnten auch ohne obrigkeitliche Kontrolle funktionieren. Tatsächlich mussten in der Regel Hof- und Vermögensweitergabe vom jeweiligen Grundherrn genehmigt werden. Nach der Einführung voller bäuerlicher Eigentumsrechte in der napoleonischen Zeit (nach 1803) versuchte die preußische Administration ab 1833 und im Erbfolgegesetz von 1836 die Erbpraxis nicht mehr dem Selbstverständnis der ländlichen Bevölkerung zu überlassen, sondern die „Sukzessionsordnung“ in die Hände von Juristen zu geben. Die Regelungen darin fanden bei der Bauernschaft wenig Anklang. Auf Widerstand stieß beson–6 –


ders die Vorschrift, was nach der Wiederheirat eines Elternteils für die Kinder aus erster Ehe übrig blieb, zu welcher Zeit der Hof an den Anerben zu überschreiben war und welche Höhe an Geld den Kindern aus erster und zweiter Ehe nach dem Gesetz zustand. Nach wenigen Jahren sah sich die preußische Regierung gezwungen, das Erbfolgegesetz zu suspendieren und den Bauernfamilien ihre Erbgeschäfte wieder selbst zu überlassen, weil diese so ihre Vorstellungen von einer gerechten Erbteilung besser erfüllen konnten. Zielsetzungen waren dabei immer, eine Balance zu finden zwischen der Arbeitsmotivation der erbberechtigten Kinder und der Erhaltung einer effektiven Hofgröße. Die Erblasser orientierten sich dabei weitgehend an den sozialen Normen, die einem durch Geburtsrang bestimmten Kind das Vorrecht auf die Hofnachfolge zusprachen. Die relativ geschlossenen „Heiratskreise“ der wohlhabenden Bauern in Westfalen sorgten dafür, dass es möglich war, auch ohne Übernahme des elterlichen Hofes, aber mit einer beträchtlichen Mitgift, eine Familie mit gesicherter Existenz zu gründen. Die genannten Heiratskreise planten auch Einheiraten auf anderen Höfen, so dass alle zufrieden waren. Solche Erbstrategien bestimmten auch das Leben von Witwen und Witwern, von ehelichen und nichtehelichen Kindern auf dem Lande. Es ist kein Zufall, dass diese bäuerliche Praxis und die bürgerliche Vorstellung von dem Leben auf dem Lande nicht übereinstimmten. Nur selten kam es vor, dass sich junge Frauen aus der Stadt auf das Land „verirrten“, um dort zu bleiben. Eine Eheanbahnung unter dem Motto „Bauer sucht Frau!“ war in der Strategie der Landbevölkerung völlig anders zu verstehen, als man heute glaubt.1

Nachweise 1. Mooser, Josef: Soziale Mobilität und familiale Plazierung bei Bauern und Unterschichten, in: Familie zwischen Tradition und Moderne, hrg. von Neidhard Bulst u. a., Göttingen 1981, S. 182–201.

–7 –



Inhalt Vorwort

5

I. Einführung

19

II. Vom bäuerlichen Leben in dem einstigen Dorf Herne

23

1. Herne

23

Bergelmanns Hof

25

Der Glockenguss auf Bergelmanns Hof im Jahr 1750

27

Die Altenhöfener Straße

28

Der Hof Klüsener

29

Alt-Herne unter dem Abbruchhammer

31

Hof Abendroth an der Vödestraße

32

Der Overkampsche Mühlenteich und der Hof Schulte-Nölle

32

Der Hof Rensinghoff

33

Am Sengenhoff

34

Der Herner Bauernaufstand

35

Die Bahnhofstraße

37

Zur Geschichte der Rosenstraße

38

Die Vödestraße

39

Die Wiescherstraße

40

Hof Wiesmann

41

Der Hof Sehrbruch

42

Der Hof Breilmann

42

Der Hof Koppenberg

43

Das Anwachsen der Bevölkerungszahlen von 1890 bis 1927 in Herne

44

2. Die Schlossgemeinde Gysenberg

46

14 Flurstücke26

46

Wortgeschichtliche Erklärung der Flurnamen

47

–9 –


Die Herren von Gysenberg

48

Wirtschaftliche Grundlagen

48

Freiherr Adolph Arnold von Gysenberg, „der letzte Gysenberger“

54

Die Familie Galland48

57

Adolf Galland

60

Vom Rittergut zum Revierpark Gysenberg

3. Sodingen – „Revier der Bachstelzen“

61 64

Name und Geographie

64

Zur Geschichte der Bauernschaft

64

Im Uhlenbruch

65

Die Mont-Cenis-Straße

68

Die Pfarrkirche St. Peter und Paul

69

Der Friedhof von St. Peter und Paul

70

Die evangelische St. Johannis-Kirche

71

Die Bäche

72

Der Storchgraben

72

Der Rossbach

72

Der Ostbach

73

Der Mühlenbach

73

Der Hemker Bach

73

Der Langelohbach

73

Der Sodinger Bach

74

Die Vorfluter

74

Die Zeche Mont Cenis

74

Übernahmeverträge der Zeche Mont Cenis

75

Von der Zeche Mont Cenis zur Akademie Mont Cenis

76

Bevölkerungszahlen von 1930 bis 1954 in Herne

4. Holthausen – „Im Land der Bauern“

77 78

Die Bauernschaft Holthausen

78

Die Gemeinde Holthausen

78

Holthausen um 1850

79 – 10 –


Zur Geschichte einzelner Bauernhöfe

80

Der Hof Tappe, Holthauser Straße 282

80

Der Hof Eckmann, Mont-Cenis-Straße 544

81

Der Hof Wiesche, Mont-Cenis-Straße 584

81

Der Hof Hubbert, Mont-Cenis-Straße 586

82

Der Hof Schürmann (Stegemann), Mont-Cenis-Straße 578

83

Der Hof Graskamp (Vonnahme), Mont-Cenis-Straße 566

83

Der Hof Thürich

83

Ortsteil Börsinghausen

84

Der Hof Heermann

84

Der Hof Tillmann (Haacke), Börsinghauser Straße 17 b

84

Der Hof Böckmann (Siepmann), Börsinghauser Straße 30

85

Zu Besuch bei französischen Gästen aus dem Limousin und dem Charolais auf dem Hof Böckmann

Ortsteil Oestrich

87 88

Der Hof Schemberg

89

Der Hof Löckmann

89

Der Hof Heermann (Wiesmann), Oestrichstraße 140

89

Der Hof Schulte-Oestrich (Backs), Holthauser Straße 91

90

Zu Besuch auf dem Reiterhof St. Hubertus

90

Holthausen zur Zeit des Erbhofrechts von 1933 bis 1945

91

Frühere Hochzeitsbräuche in Holthausen

92

St. Blasius, der Ortspatron von Holthausen

93

5. Börsinghausen

96

Oestrich

96

Die Schadeburg

97

Schloss Bladenhorst

98

6. Börnig im Fuchsnacken

100

Die Bauernschaft Börnig

100

Vellwig

100

Vossnacken

100 – 11 –


Die Schadeburg vom 15. bis zum 18. Jahrhundert

102

Die Schadeburg in der Folgezeit

103

Aufzeichnungen des Bauern Koop aus Börnig über die Schadeburg (1925)

104

7. Horsthausen – „Die grüne Lunge von Herne“

106

Die Bauernschaft Horsthausen

106

Die Bauernschaft Pöppinghausen

107

Pantrings Hof

107

Margarete Pantring zeugt gegen den Ritter Goddert von Strünkede im Jahr 1569

108

Was Pantrings Hof von 1920 bis 1944 erlebte

109

8. Baukau – „Das Dorf im Emscherbruch“

113

Vom Dorf zum Stadtteil

113

Wie war es früher?

113

Drögenkamp

114

Kossmanns Hof (Hof Kossem)

114

Hülsmanns Hof

115

Westerworths Hof

116

Die Germanenstraße

117

Die Kaiserstraße

117

Die Bismarckstraße

118

Die Wallburgstraße

119

Der Lackmannshof

119

Ehemalige Erdwallburg (Turmhügelburg) bei Strünkede

120

Geschichte einer Gründerfamilie

123

Das Restaurant Neweling in Baukau (1898–1997)

9. Strünkede

123 128

Schloss Strünkede

128

Vom Kirchspiel Strünkede

130

Die letzten Persönlichkeiten aus dem Geschlecht derer von Strünkede 133 Aus der Familiengeschichte der Herren von Strünkede – 12 –

134


Jost von Strünkede

136

Das Geistermahl in Strünkede

137

Von der Mühle zum Kommunikationszentrum – das Schollbrockhaus

139

Verfall und Restaurierung (1975 bis 1981)

Die Forellstraße

140 140

Größere bäuerliche Grundbesitzer in den Gemeinden des Amtes Herne von 1894

141

III. Vom bäuerlichen Leben in den Dörfern, die später Wanne-Eickel hießen 1. Eickel

149 149

Thasso Bönnebruch

153

Bauernhöfe in Eickel

155

Middeldorfs Hof

155

Der Lohof

156

Hof König

157

Der Hof Mummenhoff

159

Die alte und die neue Marienkirche

161

Gosewinkel

162

Das Ende der Herrlichkeit Eickel

163

Orgelmusik in der Burgkapelle

164

Frühe Einwohnerzahlen in Eickel22

166

Einwohnerzahlen von 1818 bis 1905 in Eickel23

166

2. Dorneburg / Holsterhausen

168

Das Ende der Dorneburg

170

Hof Kampmann

173

Hof Beisemann

173

Hof Feldhege

174

Hof Scharpwinkel

175

Der Sassenhof

176

Hof Heitkamp

178 – 13 –


3. Nosthausen

180

Die Herzöge von Arenberg

181

Die Übernahme von Gut Nosthausen durch den Herzog von Arenberg 182 Die Familie Löns

183

4. Bönninghausen

186

5. Röhlinghausen

191

Das Dorf

191

Hof Röhlinghaus

192

Hof Stratmann

194

Das Volkshaus Röhlinghausen

195

Am Bollwerk

196

Im Lakenbruch

197

Die Heilig-Geist-Kirche

198

Hof Denis

199

Hof Erlemann

202

Hof Pins

203

Die Zeche Königsgrube

205

Die Gemeinde Röhlinghausen

208

Röhlinghausen als Beispiel für den Strukturwandel im Ruhrgebiet

210

6. Bickern

212

Die Herren von Bickern

212

Die Gemeinde Bickern

215

Bickern in der neuen Gemeinde Wanne

216

Wie der Name „Bickern“ entstanden ist – „Que sera sera!“(Was geschehen soll, geschieht!)

217

Brauhäuser und Branntweinkessel in Bickern, Crange, Wanne und Eickel am Beginn der Neuzeit

219

Hof Lepler

221

Hof Stöckmann

222

Hof Laarmann

223

– 14 –


Die Zechen Pluto-Thies und Pluto-Wilhelm

226

Schloss Steinhausen – das Geheimnis im Emscherbruch

229

7. Wanne

234

Von der Bauernschaft zum Stadtteil

234

Ergebnisse des Aufstiegs

237

Die Burg Horst

238

Das Ende der Burg Horst

240

Die Herren von Schalke

241

Die Bedeutung des Namens

241

Drei rote Pferdepramen im silbernen Feld

242

Das Adelsgeschlecht von Schalke

243

Der gespenstische Reiter

246

Der Ruschenhof

247

Hof Buschmann

248

Hof Bohmert

249

Hof Beckebaum

250

8. Crange

253

„Bei den Emscherbrüchern – Die Dickköppe“

253

Gemeinde und Kirchspiel Crange

258

Die Einwohner von Crange und ihre Beziehungen zu den Herren von Eickel

266

Die Cranger Kottenbesitzer im ausgehenden Mittelalter

267

Der Lebensweise der Cranger Kötter

267

Das Dorf Crange im ausgehenden 19. Jahrhundert

269

Die Straßen in Crange

272

Die Dorstener Straße

272

An der Cranger Kirche

272

Altcrange

273

Aloys Uhlendahl – Der Heimatdichter aus Crange

274

Plattdeutsch

275

Leseprobe: De Diärschmaschine

275 – 15 –


Die Spinnbahn

276

Die Heerstraße

276

Eine große Persönlichkeit aus Crange: Fred Endrikat

277

Vom Cranger Pferdejungen zum Kabarettisten in Schwabing

277

Der Rhein-Herne-Kanal

281

Die Cranger Schleuse

282

Das Projekt der Schiffbarmachung der Emscher

282

Schloss Crange

286

Zur Historie des Rittersitzes Crange

286

Der Pferdemarkt in Crange

289

Das Ende der Herrlichkeit Crange

290

Das Aalreiten in Crange

291

Das Laurentius-Luftschiff

292

Der soziale Wandel in Crange um 1900

293

IV. Anhang

299

1. Die Ressourcen der Grafschaft Mark in der vorindustriellen Zeit 2. Die Heimatforscher Friedrich und Wolfgang Brockhoff

299 301

Friedrich Brockhoff (1845–1926)

301

Wolfgang Brockhoff (1920–1986)

302

Nachwort Karten- und Bildnachweis Quellen / Literatur Der Autor

305 309 312 315

– 16 –




I. Einführung Bäuerliches Leben im mittelalterlichen Westfalen Die Mehrheit der bäuerlichen Bevölkerung im mittelalterlichen Westfalen befand sich nach den Sachsenkriegen und dem legendären Frieden von Aachen im Jahr 804 zwischen dem Herzog Widukind und Karl dem Großen in der Abhängigkeit von einem Grundherrn, der zugleich auch Gerichtsherr war. In dieser Eigenschaft hatte er die Aufsicht über Marken (Wälder), Fluren (Äcker) und Vöden (Wiesen und Weiden). Das Verhältnis zwischen dem Grundherrn und den abhängigen Bauern war abgeleitet von den Regeln der klassischen Lehnsverfassung, die schon zu römischer Zeit bestand und im Frühmittelalter von Karl dem Großen und seinen Nachfolgern ausgebaut wurde. Sie war nach 804 auch in „Westfalen“ gültig. Karl der Große hatte in dem genannten Frieden von Aachen den Namen „Sachsen“ verboten und für alle sächsischen Stämme den Sammelnamen „Westfalen“ verordnet. Die Lehnsverfassung, genannt auch „Villifikationssystem“, beruhte auf dem Prinzip „Nulle terre sans seigneur“ (kein Stück Land ohne Grundherrn) und verpflichtete in einem vertraglich gesicherten Schutz- und Treueverhältnis die abhängigen Bauern zu Diensten und Abgaben, den Grundherrn zu Schutz und Schirm in Notzeiten. Man muss sich das Villifikationssystem so vorstellen, wie es in Herne in der Schlossgemeinde Gysenberg, gelegen auf einem Höhenzug der Castroper Höhen, bis heute nachweisbar ist: Im Mittelpunkt stand die Villa (der Gutshof) des Adeligen mit dem dazugehörigen Eigenland an Äckern, Wäldern, Wiesen und Weiden. Darum gruppierten sich die abhängigen BauernAbb. 1: „Kontraste“ von Margaretha Urankar (1984). Die Künstlerin zeigt die Kontraste in unserer Stadt. Sie fragt, wie hier die Zeugnisse der Vergangenheit behandelt werden und was von der Zukunft zu erwarten ist. Ihre Befürchtungen drückt sie in der brandroten Farbe aus.

– 19 –


höfe. Der herrschaftliche Eigenbetrieb wurde vom Hofgesinde, von unfreien Knechten und Mägden, und von den gutsabhängigen Bauern bewirtschaftet. Die sogenannten „Frondienste“ waren in einem detaillierten Pflichtenkatalog festgehalten. Daneben bewirtschafteten die Bauern ihre Höfe in Eigenverantwortung. Kleinere Grundherren (der Landadel) wohnten selbst auf dem Gutshof, setzten aber – wie die großen weltlichen und geistlichen Grundherren – Verwalter (Rentmeister / Schulten) ein, die das Gut verwalteten, die Naturalabgaben einzogen, die Steuern eintrieben und die Vorrats- und Lagerhaltung kontrollierten. Auch das ist an der Gemeinde Gysenberg nachzuweisen, und zwar am Beispiel der Rentmeister Galland vom Jahr 1742 bis 1927, als das Gut Gysenberg an die Stadt Herne verkauft wurde. Das mittelalterliche Villifikationssystem löste sich im nachrevolutionären Frankreich und im Deutschland der Stein / Hardenbergschen Reformen auf. Die alte Hofgemeinschaft entwickelte sich mehr und mehr zur Dorfgemeinschaft, welche sich selbst verwaltete. Sie bestimmte die Verwendung der Arbeitskräfte nun selbst, erzielte Überschüsse an Nahrungsmitteln und verkaufte sie auf den benachbarten Märkten. Die Gutshöfe wurden oft, nachdem sie vom Adel aufgegeben worden waren, von den Schulten übernommen und als Bauernhöfe weitergeführt. Auch der alte Name des Gutes wurde meistens beibehalten.1 Bei der Spurensuche nach dem bäuerlichen Leben in unserer Stadt habe ich auf eigenes Material zurückgegriffen und auf Beiträge zur Heimatgeschichte. Eine große Fundgrube war das Stadtarchiv mit seiner umfangreichen Zeitungssammlung.

– 20 –


Nachweise

1.

Abel, Wilhelm: Geschichte der deutschen Landwirtschaft vom frühen Mittelalter bis zum 19. Jahrhundert, 2. Auflage, Stuttgart 1982, S. 1 ff.

– 21 –


Abb. 2: Karte von Herne (1928)


II. Vom bäuerlichen Leben in dem einstigen Dorf Herne 1. Herne Die erste geschichtliche Nachricht von Herne (Haranni) ist um 880 in einem Urbar des Klosters Werden zu finden, wo es heißt, dass der Ort im „Borathron“ (im Bruktererland) liegt und eine Bauernschaft ist. Das Kloster Werden, eine Gründung des heiligen Ludgerus, christianisierte in der Zeit von 836 bis 900 die Bauern von Herne und Umgebung im Auftrag des Erzbischofs von Köln und errichtete in Herne die erste Kirche im Fachwerkbaustil. (Erst im Jahr 1812 kamen die katholischen Kirchen der Grafschaft Mark zum Erzbistum Paderborn.) Wahrscheinlich zwischen 1050 bis 1100 machte die Kirche einem größeren Bau aus Bruchsteinen Platz, der Dionysiuskirche auf dem Altmarkt.1 Die Kirche dürfte der Anlass zu einer stärkeren und dichteren Ansiedlung von Bauern und Handwerkern geführt haben, einem „Runddorf“ um die Kirche, wozu auch ein Friedhof gehörte. Die geschlossene Dorfanlage hob sich von dem „Einzelhofsystem“ ab, das in Herne ebenfalls vertreten war. Weitere Siedlungsformen sind die „Wallburg“ (Ringburg) in Baukau, die „Wasserburganlage“ von Strünkede, errichtet von Bernd von Strünkede an der von Hörde nach Holland führenden Handelsstraße, und die „fränkische Dorfanlage“ in Altenhöfen. Die Häuser der Bauern Althoff, Hesse, Klüsener und Masthoff wurden genau im Viereck angelegt, nach dem Muster eines karolingischen Reichshofsverbands, und weisen darauf hin, dass sich hier fränkische Bauern angesiedelt haben dürften.2

– 23 –


Vorbild für die Reichshöfe in karolingischer Zeit waren die römischen Militär-Kastelle (castra = das Lager). Ihr Längsarreal umfasste ca. 540 × 400 m, was 360 zu 200 römischen Doppelschritten (passus) entsprach. Vor den hölzernen Zäunen (Palisaden) wurden Spitzgräben von 6 bis 7 m Breite und 2,5 bis 3 m Tiefe angelegt. Das Kastell hatte vier Tore und in regelmäßigen Abständen Zwischentürme an der Innenseite. Solche Wehranlagen übernahm Karl der Große nach den Sachsenkriegen in den Grenzgebieten, z. B. an der wichtigen Fernstraße von Duisburg nach Paderborn (heute: A 40) als Schutz vor möglichen Angriffen der ehemaligen Feinde aus dem Emscherraum. „Reichsdörfer“ waren im Deutschen Reich bis 1803 Landgemeinden auf ehemaligem Krongut, die nicht unter Landeshoheit standen, sondern unmittelbar unter der des Herrschers. Sie besaßen – wie die Reichshöfe – ausgedehnte Selbstverwaltung, die niedere und hohe Gerichtsbarkeit, Kirchenund Schulverwaltung. Sie zahlten keine allgemeinen Steuern, sondern lediglich Kriegssteuern. Um das Jahr 1757 wird Herne als Kirchdorf mit 116 Häusern angegeben. Im Jahr 1809 waren es 114 Häuser mit 575 Einwohnern. 1860 hatte Herne 774 Einwohner, Baukau 316 und Horsthausen 100. Erst als um 1860 die Zeche Shamrock ihren Betrieb aufnahm, verdoppelte sich die Einwohnerzahl und stieg auf 2 800. Darunter waren 280 Zechenarbeiter. Nach dem Krieg von 1870 / 71 zählte man in 450 Häusern 6 000 Einwohner mit 1670 Bergarbeitern. Bis zur Stadtwerdung Hernes am 1.4.1897 und der von Wanne-Eickel am 1.4.1926 gab es zunächst Gemeindevorsteher, dann Bürgermeistereien und schließlich Ämter. Am 1. August 1875 endete die Zugehörigkeit von Wanne-Eickel zum Amt Herne. Nach der Teilung entstand das neue Amt Wanne, welches den Weg ebnete für die spätere Stadt Wanne-Eickel. Über 50 Jahre bestanden zwei kreisfreie Städte nebeneinander, bis sie im Rahmen der kommunalen Neuordnung am 1. Januar 1975 zur neuen Stadt Herne vereinigt wurden.

– 24 –


Bis zum Jahr 1970 konnte man in Herne die alten Baustrukturen des Ortes noch an der Schmiedestraße erkennen, z. B. an dem Wohnhaus des Schmieds Plänkert. Es war gebaut im traditionellen Fachwerkstil. Die eigentliche Schmiede lag hinter dem Wohnhaus im Hofe. Sie war geräumig, ausgestattet mit einer breiten Esse. Auf zwei Klötzen standen die beiden Ambosse. Der Familienbesitz wurde im Zuge der Stadtsanierung nach 1970 abgerissen. Ähnliche Fachwerkhäuser konnte man an der Steinstraße, der Rosenstraße (jetzt: Harannistraße), der Gartenstraße (jetzt: Straßburger Straße), der Altenhöfener Straße und dem Strengerweg (jetzt: Shamrockstraße) beobachten. Auch der Bergelmanns Hof, woran noch die gleichnamige Straße hinter dem Amtsgericht erinnert, war ein Zeugnis aus der vorindustriellen Zeit.

Bergelmanns Hof

Abb. 3: Bergelmanns Hof

– 25 –


Der Hof Bergelmann gehörte zu den ältesten Höfen in Herne und stand im Verband des Castroper Reichshofes. Er wurde 1486 im Schatzbrief der Grafschaft Mark genannt und tauchte in den Türkensteuerlisten der Jahre 1542 und 1598 auf. Nach der Inschrift der Hofscheune war 1789 der Besitzer Johann Heinrich Bergelmann. Der Hof gehörte zu dieser Zeit zur Grundherrschaft von Strünkede, was in einer Urkunde bezeugt ist. Darin übertrug die Freifrau von Strünkede das Erbrecht am Hof Bergelmann ihrer Tochter Carolina von Sudhausen, geborene von Strünkede. Auf einem Teil des zum Hof gehörenden Geländes wurde 1841 der evangelische Friedhof eingeweiht. Zu Beginn dieses Jahres hatte die evangelische Kirchengemeinde das Gelände für einen neuen Friedhof auf dem Dennenkamp in der Größe von zwei Morgen und 56 Ruten zum Preis von 600 Talern vom Bauern Bergelmann erworben. Es wurde ringsum mit einer Hecke umgeben und mit Pappeln bepflanzt. Die Plätze an der Hecke vergab die Gemeinde als Erbgruften. Erfreulicherweise sind einige Familiennamen, dank der Heimatforschung, noch erhalten: •

Herne: Wiesmann, Rensinghoff, Schlenkhoff, Grüter, Düngelmann, Sengenhoff, Overkamp, Nordmann, Cremer, Böker, Schulte-Sodingen, Koppenberg, Sehrbruch, Vortmann, Lechtape

Baukau: Petermann, Westerworth, Rembert, Hülsmann, Lechtape, Grüter, Arndt, Lochthofe, Zimmermann, genannt: Pappelmann von Bickern, Wiemann zu Strünkede

Horsthausen: Trimbusch und Schulte am Esch

Hiltrop: Benking, Kaldewey, Siepmann, Schulte-Hiltrop, Höltring

Bergen: Schulte zu Bergen, Familie Rötger zu Bergen Die Gemeinden Hiltrop und Bergen gehörten im 19. Jahrhundert zu Her-

ne. Hiltrop, wo die Quelle des Ostbachs entspringt, ist jetzt ein Stadtteil von Bochum, eingemeindet nach Bochum-Gerthe am 1. April 1907. Die Gemeinde Bergen liegt in der Nähe des Naturschutzgebiets Zillertal. Bekannt ist der – 26 –


Ort auch durch seine schönen Reiterhöfe. Am 1. April 1926 erfolgte die Eingemeindung nach Bochum. Als der Friedhof am Dennenkamp belegt war, kaufte die evangelische Kirchengemeinde im Jahr 1875 ein weiteres Stück Land in Richtung zur heutigen Behrensstraße vom Bauern Bergelmann an. Der Preis für einen Morgen Land und 16 Ruten betrug 1 187 Taler. Auch diese Erweiterung war bis zum Jahr 1883 belegt und wurde der weiteren Bestattung entzogen. Vorsorglich hatte die evangelische Kirchengemeinde ein Grundstück des Bauern Karl Schulte-Nölle angekauft, das ganz in der Nähe des bisherigen Friedhofs lag. Es umfasste 18 000 m² und sollte als neuer Begräbnisplatz dienen. Am 26. Januar 1882 konnte der neue Friedhof eingeweiht werden.3

Der Glockenguss auf Bergelmanns Hof im Jahr 1750 Wie der Bauer Johann Georg Veuhoff unter dem Datum vom 26. Juli 1744 berichtet, war eine der besten und größten Glocken der Dionysiuskirche an einem Nachmittag des Jahres 1744 gesprungen. Deshalb entschloss sich die evangelische Kirchengemeinde zur Wiederherstellung und beauftragte den Glockengießer Christian Vogt aus Isselburg mit dem Umguss auf dem Hof des Bauern Bergelmann. Der Umguss erfolgte am 10. November 1750 und benannte in umlaufenden Inschriften die am Guss beteiligten Männer (Förderer): Heinrich Klüsener, Heinrich Westhof, die Vorsteher Wilhelm Schulte-Sodingen und Johann Dietrich Overkamp sowie den lutherischen Pastor Eberhard Ludolph Davids. Im Frühjahr 1875 wurden alle Glocken aus der alten Dionysiuskirche, die baufällig geworden war, abgenommen und in die neue Kreuzkirche gebracht, deren Einweihung bereits am 2. Dezember 1875 erfolgte. Als 1923 in der Kreuzkirche neue Glocken aus Guss-Stahl angeschafft wurden, passte – 27 –


der Klang der alten Glocken nicht mehr dazu. Die große Glocke fand zunächst ihren Platz vor dem Haupteingang der Kreuzkirche und wurde am 2. September 1938 zum Schloss Strünkede transportiert. Dort war kurz zuvor das Emschertal-Museum eröffnet worden. Außerdem waren die Herren von Strünkede die Patronatsherren der alten Dionysiuskirche gewesen, so dass die Glocke dort ihren Standort mit historischem Bezug hat.4 Bauer Johann Diedrich Schulte, genannt Bergelmann, verkaufte am 17. November 1908 ein Gelände von insgesamt 8,88 ha Land an die Stadt Herne für 700 000 Mark zur Errichtung eines städtischen Zentrums.5 Auf dem Gelände entstand innerhalb von 1,5 Jahren das neue Rathaus, eingeweiht am 6. Dezember 1912, zusammen mit dem Marktplatz. Es folgten in den nächsten Jahren das Amtsgericht (1921), das Polizeigebäude (1927) und die Sparkasse (1929). Das schöne Wohngebäude des Hofes mit Stallungen und Scheunen hielt sich noch 40 Jahre neben dem Rathaus, bis es am 7. Oktober 1959 abgerissen wurde. Pläne zur Erhaltung als Heimatmuseum oder als Stadthalle hatten sich nicht verwirklichen lassen. Heute erinnert die unscheinbare Straße hinter dem Amtsgericht an den größten Bauernhof in Herne.

Die Altenhöfener Straße Im Gemeindeatlas in Herne von 1823 heißt die Straße „Altenhöfe“ und ist eine Zufahrt zu dem Hof des Dietrich Althoff. Die Familie wird im Jahr 1542 in der Türkensteuerliste des Amtes Bochum erwähnt. Eigentümer des Hofes sind im Jahr 1852 durch Testament die Eheleute Friedrich Heinrich Bönnebruch, genannt Althoff, und Catharina Lisette, geborene Wiesmann, wohnhaft Altenhöfen Nr. 1. Am 28. April 1896 wird die Straße, die zu 10 Bauernhöfen und 20 Beamtenhäusern führt, von der Gemeindevertretung Herne in „Altenhöfener Straße“ umbenannt. Fünf Jahre später wird der Hof Althoff abgerissen. Ein Teilstück der Altenhöfener Straße heißt seit dem 27. – 28 –


Februar 1927 „Flottmannstraße“, ein weiteres seit dem 3. Mai 1937 „Jahnstraße“.6 Die Dorfanlage Altenhöfen hatte nach dem Kataster von 1823 vier Vollbauernhöfe: den Hof Klüsener, einen freien Erbhof, den Hof Masthoff, im Kettenbuch des Stiftes Essen als „Ordekengut to Düngelen“ genannt (1879 abgebrochen), den Hof Hesse, gutsabhängig vom Stift Stoppenberg (1886 abgebrochen) und den Hof Althoff (1901 abgebrochen). Außer diesen Höfen gab es noch folgende Kotten auf dem Altenhöfener Gebiet: Grewe, Hülsberg (nach 1886 abgebrochen), Jäger, Klüsener in der Gathe, Berckhoff (Nottebaum), Köhlhoff, Heinrich Schulte und Heinrich Berghoff. In den Familienpapieren des Hofes Masthoff befindet sich eine Aufstellung der Herner Bauern und Kötter nach vier Größen: die erste umfasst die Vollbauern (8 an der Zahl), die zweite die Halbbauern (10), die dritte die großen Kötter (5) und die vierte die kleinen Kötter (29). Diese Einteilung galt schon in den mittelalterlichen Steuerlisten und blieb fast unverändert bis zum Jahr 1803. Die überwiegende Anzahl befand sich im Flurtal Altenhöfen auf fruchtbaren Lössböden.7

Der Hof Klüsener Erwähnt ist der freie Hof Klüsener im märkischen Schatzbuch des Jahres 1486. Dort erscheint unter der Sonderrubrik „Haefslude tot Herne“ als Hofmann des Hofverbandes Castrop „Bergelmans soen op des Kluseners guet“. Das beweist aber nicht, dass der Hof Klüsener zum Hofverband Castrop gehörte, vielmehr zeigt die Notiz nur, dass der Sohn des Bauern Bergelmann auf Klüseners Hof eingeheiratet hat und zunächst weiterhin Hofmann im Hofverband Castrop ist, nicht aber der Hof Klüsener, der zum Hofverband Altenhöfen gehört. Wahrscheinlich ist der persönliche Bezug zu Castrop in der Folge erloschen, weil in einer Urkunde von 1520 über die freien Höfe des Reichshofsverbands Castrop zwar 9 Höfe auftauchen, darunter Koppenbergs Hof und Sehrbruchs Hof an der Wiescherstraße, daneben 33 Unter– 29 –


höfe, aber nicht Klüseners Hof, auch kein weiterer aus dem Dorfverband Altenhöfen.8 Bei der Frage, ob die Höfe an der Altenhöfener Straße eine Verbindung zum Reichshof Castrop hatten, haben die Autoren Hartung und Schmidt allerdings einige Argumente anzubieten: Der Reichshof in Castrop, ursprünglich kaiserlich, dann, ab dem 11. Jahrhundert, in der Grundherrschaft des Klosters Deutz, später übereignet an die Herren von Düngellen, hatte nach der Katasterkarte von 1826 noch folgende Höfe auf Herner Gebiet in seiner Abhängigkeit: den Hof Wefer, den Hof Koop, den Hof Klute, den Hof Schreiber, den Hof Tönnis, den Hof Schulte-Uhlenbruch, die Höfe Koppenberg und Sehrbruch in der Wiescherstraße und den Hof Düngelmann im Düngelbruch, der 1918 von der Stadt Herne aufgekauft und abgebrochen wurde. Dieser Hof lag in der Gemarkung Herne, Flur IV, genannt Altenhöfen. Die Düngelstraße, die Verbindung zwischen der Wiescherstraße und der Altenhöfener Straße, und auch der Düngelbruch wirken so verführerisch auf den Historiker, dass man vielleicht doch auf eine Verbindung von dem Reichshof Castrop zu Altenhöfen schließen könnte, wenn man den Hof Düngelmann und die Höfe an der Wiescherstraße als Zwischenglieder betrachtet, doch ist dadurch immer noch nichts bewiesen.9 Vielleicht kann man sich, bis weiteres Forschungsmaterial auftaucht, darauf einigen, dass der Dorfverband Altenhöfen wahrscheinlich fränkischen Ursprungs ist, aber nicht den Rang eines Reichsdorfs hatte, nicht dem Reichshofverband Castrop angehörte und auch keine Beziehung zu den Herren von Düngellen hatte. An einer Scheune des Hofes Klüsener hat man unter dem 11. Juni 1755 die Namen der Eheleute Heinrich Klüsener und Anna Maria, geborene Koppenberg, gefunden. Bekannt sind auch nach Inschriften auf Deckenbalken im Haus die Eheleute Jürgen Heinrich Klüsener und Anna Catharina, geborene Overkamp. Die beiden hatten 1769 geheiratet. Im Jahr 1880 verkaufte der Bauer Klü– 30 –


sener seinen Hof an den Bauern Masthoff. Seitdem hieß der Hof KlüsenerMasthoff.10

Alt-Herne unter dem Abbruchhammer „Herne wird um einen Zeugen seiner dörflichen Vergangenheit ärmer: die letzten Reste des ältesten Bauernhofes Masthoff werden jetzt beseitigt … Das Hauptgebäude war im Kriege fast völlig zerstört worden und nahm sich gegenüber dem Sommerbad nicht sehr repräsentativ aus … Die 25 Morgen große Besitzung Masthoff zählt zu den fünf landwirtschaftlichen Hofbetrieben, die von 1 600 ha stadteigenem Gelände (zu Bauzwecken) abgegeben wurden. Dazu gehören das Gut Gysenberg mit 90 Morgen, der Hof Trimbusch mit 78 Morgen, Schulte-Uhlenbruch mit 50 Morgen und der Hof Böcker mit 33 Morgen. Diese Besitzungen sind die letzten Repräsentanten des alten Dorfes Haranni“.11

Abb. 4: Hof Abendroth

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Hof Abendroth an der Vödestraße „Nach dem Hof Masthoff, der am Sommerbad einem Wohnblock Platz machen musste, und dem Hof Nottebaum an der Jean-Vogel- / Ecke Altenhöfener Straße, wo heute ebenfalls ein großer Wohnblock steht, wurde 1959 zur Erschließung einer neuen Siedlung auch der Abendrothsche Hof abgebrochen. Für den Besitzer, seine Tiere und die Landmaschinen wurde kein Ersatzhof gefunden, der eventuell an der Einmündung zur Bergstraße möglich gewesen wäre“.12

Der Overkampsche Mühlenteich und der Hof SchulteNölle „Wer gelegentlich aus anderen Stadtteilen zur Bebelstraße kommt, wird sehr erstaunt sein, wie sich dort das Landschaftsbild in den letzten zwei Jahren verändert hat. Zwischen der Shamrockstraße und der Bochumer Straße sind auf beiden Seiten der Bebelstraße große Wohnhäuser entstanden, ansprechend in ihrem Äußeren. In unseren Tagen ist man dabei, parallel zur Shamrockstraße und quer zur Bebelstraße, eine ganz neue Straße herzurichten, an deren westlichem Teil schon einige Häuser stehen. Sie wird Eickeler Straße heißen. Der östliche Teil wird in die Kronprinzenstraße einmünden, just am Südende des alten Fachwerkhauses von Schulte-Nölle … (Die Holsterhauser Straße wurde in dem Teilstück – parallel zur Shamrockstraße – am 19. Oktober 1951 zur „Eickeler Straße“. Am 19. Dezember 1974, kurz vor der Städtevereinigung, erhielt sie wieder ihren ursprünglichen Namen.) „Nur wenigen Hernern ist bekannt, dass das östliche Ende der Eickeler Straße, vor ihrer Einmündung in die Kronprinzenstraße, dasselbe Gelände – 32 –


ist, wo bis zum Jahr 1915 die alte Overkampsche Mühle stand. Dies war ein langgestreckter einstöckiger Fachwerkbau. Der Mühlenbau stand mit seiner Längsachse westost. Etwas seitlich lag vor der Front, auf der Südseite, der große Mühlenteich, der schon vor Jahrzehnten zugekippt worden ist. Hier wurde der Westbach gestaut. Im Spätsommer, im Herbst und im Frühjahr fielen hier, neben ganz seltenen Reisevögeln, auch große Scharen von wilden Gänsen und Enten ein. Sogar Störche rasteten kurz auf der Reise zum Süden oder vom Süden. Frösche und anderes Getier lockten.“13

Der Hof Rensinghoff Der Hof Rensinghoff lag hinter dem Rathaus an der Behrensstraße, auf dem früheren Westufer des Westbaches. Gleich hinter dem Hofraum begann das Wäldchen „Hoheneichen“, woran noch die Hoheneickstraße erinnert. Erstmalig wurde der Hof im Jahr 1486 erwähnt, Grundherr war das Haus Strünkede. Dem Bauern Rensinghoff gelang es 1793, den bisher in Erbpacht bewirtschafteten Hof von dem Freiherrn von Boenen zu Loeringhoff als Eigentum zu erwerben. Die Besitzerfolge endete, ausgehend von Johann Rensinghoff, im Jahr 1877 mit Heinrich Vieting, genannt Rensinghoff, mit der Versteigerung des Hofes. An die Zeche Shamrock waren 1856 Ländereien verkauft und mit der Bergwerksgesellschaft Hibernia teure Schadensersatzprozesse geführt worden. Dadurch war das Geld ausgegangen. Einen Teil des noch vorhandenen Besitzes erhielt der Kaufmann Luis Baumer. Das Gelände um die Höfe Bergelmann und Rensinghoff senkte sich zur Talsohle des Westbaches und war durch die Feldflurnamen „Bredde“ (Breite) und „Helle“ (Ebene) gekennzeichnet. Später standen auf den ehemaligen Äckern und Wiesen das Haus des Schreinermeisters Veuhoff, des Maurers Hermann Berke, die Strickmannsche Wirtschaft, erbaut 1876 / 77, die

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Schmiede Heinrich Hülsmann und das Haus des Maurers Eduard Bornträger. Dahinter folgten fünf Bergmannshäuser.14

Am Sengenhoff Die Straße ist seit dem 3. August 1910 benannt nach dem Hof Sengenhoff im Sengenhofsfeld, Gemarkung Herne, Flur IV, genannt Altenhöfe. Im Lehnsbuch des Grafen von der Mark erscheint im Jahr 1392 die Belehnung des „Conrad von dem Oeverhuyss mit dem Sengehoeff in dem Kerspele van Herne“. Weitere Bauernnamen aus dieser Zeit sind in der Nachbarschaft der „Bosengodenhoff“ und der „Besengedenhoff“ (Gödenhoff ). Durch Heirat kam der Sengenhoff an Johannes von Eickel zu Horst. Bei der Erbteilung der Eickeler fiel der Hof im Jahr 1484 wieder an den Bauern Sengenhoff, dessen Vorfahren schon dort gesessen hatten. In der Türkensteuerliste des Jahres 1598 und im Feuerstättenverzeichnis von Bochum im Jahr 1664 wird der Hof ebenfalls erwähnt. In der Zeit von 1780 bis 1810 gehörte der Hof des Bauern Johann Wilhelm Sengenhoff zur Grundherrschaft Gysenberg, zu der er wahrscheinlich schon vorher gehört hatte. Nach 1810 wurden nach dem Herner Grund- und Hypothekenbuch die Eheleute Sengenhoff Eigentümer des Hofes. Wie hoch der Kaufpreis war, ist nicht überliefert. Allerdings ist bekannt, welche Abgaben der Erbnachfolger Sengenhoff an die Kirche zu entrichten hatte: einen Scheffel Hafer an das lutherische Pastorat, drei Scheffel Roggen, drei Scheffel Gerste und ein Brot an die lutherischen Armen, schließlich zwei Brote und zwei Stiegen Roggen an den lutherischen Küster in Herne. (Stiege ist ein mittelalterliches Mengenmaß und bezeichnet die Menge an Getreide, welche in einen hölzernen Behälter, eine „Stiege“, passt. Ursprünglich diente die Stiege den Fischern als Maßeinheit für 20 mittelgroße Fische.) Am 15. Mai 1856 erschienen der Ire William Thomas Mulvany und der Bauer Heinrich Sengenhoff vor dem Notar Weygand in Bochum und unter– 34 –


zeichneten einen Vertrag über den Verkauf von Sengenhoffs Feld und einem Wald am Hofe an die Bergwerksgesellschaft Shamrock zum Preis von 7 300 Talern. Hier wurde der Schacht Shamrock I angelegt, während die Familie Sengenhoff bald darauf ihren angestammten Hof verlassen musste.15

Der Herner Bauernaufstand Es geschah an einem Sonntagmorgen im Januar 1857, dass der Schneidermeister Hülshoff und der Kötter Wilhelm Nierhaus nach dem Gang zur Dionysiuskirche vor die gemächlich dahinschreitenden Amtmann von Forell und Gemeindevorsteher Schulte hintraten, um sie zu einer Versammlung in der nahen Wirtschaft Haarmann einzuladen. Der Schankraum war zum Bersten voll. Frauen waren keine zu sehen, aber viel hitzig diskutierende Männer, die sich offenbar mühten, den brennenden Zorn mit Bier abzukühlen. Der Amtmann schaute sich kurz im Kreise um, und als keiner den Mund auftat, sagte er: „Bis auf den Sengenhoff scheint ja wohl keiner zu fehlen aus unserer Gemeinde, sogar meine Herren Gemeinderäte sehe ich hier versammelt. Darum nehme ich an, dass es etwas Wichtiges ist, was uns hier zusammengeführt hat.“16 Da sprang der Schneidermeister Hülshoff auf und rief: „Gestern hat der Polizeisergeant Klüssner öffentlich bekannt gemacht, dass auf dem Gelände der Holzung des Sengenhoff eine Dampfmaschine mit 6 Kesseln aufgestellt werden soll. Ist es nicht genug, dass die Eisenbahn unsere Wege versperrt, dass Stunde um Stunde die von Dampfwagen gezogenen Züge mit schrecklichem Getöse durch unsere Gemarkung rasen, so dass einem ganz schwindlig wird, wenn man hinschaut. Wozu brauchen die Englischen da drüben eine Dampfmaschine? Wenn sie ein tiefes Loch in die Erde graben wollen, dann sollen sie ihre Eimer mit dem Pferdegöpel heraufziehen, wie es andernorts auch gemacht wird.“

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„Nicht da“, schrie der Rensinghoff dazwischen, „kein Loch und keine Pferdegöpel! Ich verlange, dass der Ausländerbetrieb von unserer Mark verschwindet. In Herne werden die Früchte der Erde seit Anbeginn von ihrer Oberfläche und bei Tageslicht geerntet. Wer im Dunklen ernten will, ist ein Dieb, und wer das unter meinem Acker und unter meiner Wiese, unter meinem Haus oder unter meinem Misthaufen tut, ist im Unrecht.“ Der Rensinghoff hatte so laut gebrüllt, dass die Fensterscheiben zitterten. Dann kippte er den Rest seines Bieres hinunter. Was war geschehen? Was war dem Protest der Herner Bauern vorausgegangen? Nachdem die irischen Gewerken der geplanten Zeche Hibernia im März 1855 Mulvany zum Repräsentanten gewählt und die Mutung „Christianenglück“ (das Feld der späteren „Hibernia“) endgültig von Herrn von Oven übernommen hatten, verkaufte der finanzbedürftige Wilhelm Endemann seine Felder Markania, Markania I und II sowie die Mutungsrechte an den Feldern Barbara und Bochumia – auf einem Teil der Äcker des Bauern Sengenhoff gelegen – an die spätere „Bergwerksgesellschaft Shamrock“. Am 15. April 1856 gab Sengenhoff im Vertrag über das „Sengenhoff-Feld“ den Rest des Geländes und einen Teil seiner Holzung an die neue Gesellschaft ab. Damit hatten die irischen Gewerken oberirdischen und unterirdischen Besitz und freie Bahn für ihren Tatendrang! In der Wirtsstube war man unterdessen noch nicht bereit, der neuen Zeit die Tür zu öffnen. Der Wirt Haarmann mischte sich ins Gespräch: „Wir sind ein Bauernland und wollen es bleiben. Sonst geht es uns so wie den Bauern bei Bochum und Steele, die zwischen Kohlenstaub und Koksgestank umkommen.“ Dann unterzeichneten die Männer – außer dem Amtmann von Forell – einen Einspruch an den Regierungspräsidenten in Arnsberg, worin sie ihre Sorgen um das fehlende Wasser für Vieh, Weiden und Bäume zum Ausdruck brachten, da es ihnen durch den Bergbau entzogen werde. Ihre

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Losung hieß kurz und knapp: „Weg mit den Englischen! Weg mit dem Bergwerk!“ Dem Amtmann war es nicht gelungen, die Befürchtungen der Bauern zu zerstreuen, indem er auf den Schachtbau in Gelsenkirchen hingewiesen hatte, wo es nicht zu der genannten Katastrophe gekommen war. Er sah ein, dass es wenig Aussicht gab, die harten Bauernschädel umzustimmen. Sie würden doch nicht einsehen, dass für das Land zwischen Ruhr und Emscher eine neue Epoche angebrochen war und Herne an der Stelle lag, wo der Schnitt zwischen Vergangenheit und Zukunft gemacht wurde.17

Die Bahnhofstraße In der Viehtreibekarte des Jahres 1775 erscheint die Straße als „Viehtreibeweg“ von Bochum nach Recklinghausen, im Gemeindeatlas von Herne 1823 als „Landstraße“ von Wuppertal über Bochum, Strünkede, Recklinghausen und Münster zur Nordsee. Nach der Eröffnung des Bahnhofs Bochum-Herne im Jahr 1847 an der Linie Köln-Minden wurde sie zur „Chaussee-Straße“ und schließlich am 25. November 1881 zur „Bahnhofstraße“. Bis zur Eröffnung des Bahnhofs wies die Straße von der Dionysiuskirche bis zur Baukauer Grenze keine Bebauung auf. Erst danach entstanden mehrstöckige repräsentative Gebäude in geschlossener Bauweise aus Ziegelsteinen. Darin wohnten Geschäftsleute, Gastwirte und Handwerker. Die Attraktivität der Bahnhofstraße wurde noch gesteigert durch die Straßenbahnlinie von Recklinghausen über Herne nach Bochum. Im Jahr 1970 wurde die Bahnhofstraße für den Durchgangsverkehr gesperrt. Ein Grund war der Beginn des U-Bahn-Baus, der bis 1989 dauerte. Ab dem 30. September 1976 wurde die Straße zur Fußgängerzone zwischen Bahnhof und City-Center.18

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Zur Geschichte der Rosenstraße

Abb. 5: Karl-Brandt-Haus

Im Gemeindeatlas von Herne hieß die Straße, die von der Gartenstraße (heute: Straßburger Straße) zum alten Dorf führte, im Jahr 1823 „Harannistraße“. Am 25. November 1881 wurde die Straße in „Rosenstraße“ umbenannt. Am 8. Dezember 1938 erhielt sie den Namen „Willi-Wolde-Straße“, am 27. April 1945 erfolgte die Rückbenennung in „Rosenstraße“. Am 9. Dezember 1974 schließlich wurde die Straße, an der sich ein wertvoller Altbaubestand von Fachwerkhäusern mit Blumengärten befand, wieder zur Harannistraße. Sie wurde zur Sodinger Straße abgebunden und war seitdem nur noch Stichstraße mit einem Durchgang zur vierspurigen Sodinger Straße. Zu den Altbauten gehörte das Haus Rosenstraße 1 aus dem Jahr 1714. Erbauer waren der Kaufmann Johann Sigismund Fry und seine Ehefrau Margareta Alstede aus dem Uhlenbruch. Fry war im Kirchspiel sehr angesehen. An Markttagen holten sich die Bauern und Kötter bei ihm ihre Waren für – 38 –


den alltäglichen Bedarf. Das erinnert an Friedrich Wilhelm Raiffeisen (1818 bis 1888), der auf dem Prinzip der Preisvorteile um die Mitte des 19. Jahrhunderts für den gewerblichen Mittelstand und die Bauernschaft das landwirtschaftliche Genossenschaftswesen aufbaute. Dazu gehörten Geschäfte für den bäuerlichen Bedarf, wie ihn Johann Fry betrieb. Ein solches Geschäft gibt es noch heute in Recklinghausen am Oerweg. Man kann dort sogar noch Holzschuhe kaufen. Am Ende des 19. Jahrhunderts gehörte das Haus Rosenstraße 1 dem Vater des späteren Museumsleiters Karl Brandt. Hier lebte Karl Brandt (1898 bis 1974) mit seinen beiden Schwestern. Seit frühester Jugend interessierte sich der Autodidakt für Geschichte und Archäologie und füllte sein Elternhaus – später sein eigenes – nach und nach mit Fundstücken, die er dem Museum schenkte. Im Jahr 1927 wurde Karl Brandt zum Leiter des ein Jahr vorher eröffneten Museums im Schloss Strünkede ernannt und verwaltete die vorund frühgeschichtliche Abteilung. 1963 schied der Mann, der zahlreiche Grabungen und Veröffentlichungen im Laufe seines Lebens vorgenommen hatte, nach Erreichen der Altersgrenze aus dem Dienst der Stadt Herne aus. Zum Gedenken erhielt er am 23. Mai 1985 durch die Bezirksvertretung Herne-Mitte eine Ehrung in der Nähe seiner Wirkungsstätte: Das Teilstück von der Bahnhofstraße bis zum Westring bekam den Namen Karl-Brandt-Weg.19

Die Vödestraße Seit dem 25. November 1881 trägt sie den Namen „Vödestraße“. Vorher wurde sie lediglich „Vöde“ genannt. Sie war in dieser Eigenschaft der Weg, der zu dem gemeinsamen Weideland der Bauern zwischen Herne-Süd, Bergstraße, Weusthoffs Busch, Sommerbad und Constantiner Wald führte. Wegen Streitigkeiten zwischen den Weideberechtigten wurde sie ebenso geteilt wie die Riemker Vöde zwischen Herner und Riemker Bauern. Immer ging es um Weideplätze, Anzahl der Tiere, die Zeit des Auftriebs und die – 39 –


Bewachung der Herden. Die Vöde war nicht eingezäunt, weshalb die Streitigkeiten an der Tagesordnung waren. Wortführer der Weideberechtigten an der Vöde in der Gemarkung Herne, Flur I, war der Bauer Masthoff.20

Abb. 6: Schmiede Plänkert

Die Wiescherstraße Die ursprüngliche Bezeichnung der Straße in der Gemarkung Herne, Flur III, Wiescherfeld, lautete im Gemeindeatlas von 1823 ebenfalls „Wiescherstraße“. Das Wiescherfeld (= das Wiesenfeld) war eine Sumpfwiese, die im Sommer leidlich trocken war und deshalb als Gras- und Weideland benutzt wurde. Die Wiescherstraße selbst war ein uralter Verkehrsweg, der die Landstraße nach Bochum darstellte, die den Hellweg mit der Lippestraße verband, diese führte von Xanten über Dorsten und Haltern nach Münster. Die Wiescherstraße hatte nicht die Bedeutung der Parallelstraße, die als „Gahlenscher Kohlenweg“ und heutige Dorstener Straße von Bochum über – 40 –


Eickel, Crange und Buer nach Dorsten führte. Erst im Jahr 1840 ist an die Stelle der Wiescherstraße im Nord-Süd-Verkehr, von Hattingen über Bochum, Herne, Recklinghausen, Haltern und Münster, die Bochumer Straße getreten.

Hof Wiesmann In der Türkensteuerliste, im Feuerstättenverzeichnis von Bochum und im Märkischen Schatzbuch von 1486 wird unter dem Grundherrn von Strünkede der Pächter Johann Wiesmann erwähnt, der dort einen Hof bewirtschaftet.21 Auf einem Schmuckbalken über der Tür des Haupthauses stand die Zahl 1706,

Abb. 7: Hof Wiesmann

offenbar das Datum eines Neubaus des Bauern Wiesmann, der wohl zu dieser Zeit aus der Grundherrschaft der Strünkede entlassen und dann freier Bauer wurde. Am Backhaus hinter dem Wohnhaus war vermerkt, dass Johann Georg Wiesmann seit 1779 mit einer Maria Catharina Gülicker aus Börnig verheiratet war. Der erstgeborene Sohn, Johann Heinrich (1780 bis 1827) übernahm später den Hof und heiratete Maria Catharina Althoff. Sie überlebte ihren Mann um 20 Jahre. Am Ausgang des 19. Jahrhunderts war der Enkel, Johann Heinrich Wiesmann, Besitzer des Hofes, nach seinem Tod dessen Sohn Fritz Wiesmann. Die letzte Besitzerin war nach dem Tod ihres Bruders Fritz im Jahr 1931 die unverheiratete Else Wiesmann, wohnhaft Wiescherstraße Nr. 15. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde Wiesmanns Hof von der Stadt Herne zum Bau der neuen Ringstraße (Hölkeskampring) aufgekauft und im April 1953 abgerissen.22

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Der Hof Sehrbruch Der Hof lag gegenüber Wiesmanns Hof auf der anderen Straßenseite. Die Familie Sehrbruch wird zum ersten Mal in der Türkensteuerliste von 1542 genannt. Dort ist ein Rütger im Seirbroicke aufgeführt, der 2 ½ Goldgulden bezahlen muss. Damit ist er höher einzuordnen als alle anderen Höfe an der Wiescherstraße. Nach 1664 muss der Wohlstand wohl beendet gewesen sein. Das geht aus einem notariellen Vertrag hervor, der den Verkauf des Hofes besiegelt. Der einzige steinerne Hinweis auf den Hof Sehrbruch, wie er bei der Katasteraufnahme von 1823 genannt wurde, war das „Haus Köster am Sehrbruch“. Georg Köster (1748 bis 1814) war seit 1776 mit Anna Maria Schlingermann verheiratet. Er hatte mit ihr 9 Kinder. Johann Georg, der älteste, übernahm den Hof und heiratete eine Anna Louisa Vedder, mit der er 11 Kinder hatte. Das älteste Kind war Heinrich Georg (gestorben 1870), der im Jahr 1829 Helena Louisa Kortnack geheiratet hatte. Zwischen 1870 und 1877 wurde ein neues Haus im Fachwerkstil mit einem Schieferdach errichtet. Dieses brannte 1913 ab, wurde wieder hergerichtet und mit einem Walmdach versehen. Zu dieser Zeit gehörte es der Familie Schmerfeld. Auf dem Gelände des alten Hofes Sehrbruch bauten die Schmerfelds eine Mineralwasserfabrik. Das Wasser stammte von einem der Gysenbergbäche.

Der Hof Breilmann Der Bauer Breilmann hatte seinen Namen von der Flur „In dem Breil“, die sich westlich des Anwesens beiderseits der Düngelstraße erstreckt. Zum ersten Mal wird die Familie in der Türkensteuerliste von 1542 erwähnt. Sie trägt dort den Namen „Breylmann“ und zahlt 1 ½ Goldgulden Steuern. Das ist die gleiche Summe, die der Schulte-Sodingen damals zu zahlen hatte. Der Hof war also wohlhabend und gehörte zu jener Zeit zu den Herren von Strünkede. – 42 –


Um 1800 bewirtschafteten den Hof, wie eine Scheuneninschrift belegt, die Eheleute Johann Diederich Breilmann und seine Ehefrau Anna Margaretha, geborene Höltring. Johann Diederich wurde 1755 geboren und starb 1815. Seine Frau, die drei Jahre jünger war und die er 1784 geheiratet hatte, starb bereits 1813. Die beiden hatten 7 Kinder, von denen das dritte, Johann Diederich (geboren 1790, gestorben 1863) den Hof erbte. Er vermählte sich 1817 mit Anna Catharina Westerwordt zu Baukau, die 1837 verstarb. Die Eheleute hatten 8 Kinder, von denen das dritte, Georg Heinrich, 1856 den Hof übernahm. Er heiratete die Wilhelmine Jäger-Hülsmann aus Pöppinghausen und nahm auch deren unverheiratete Schwester Lisette und deren Mutter, eine geborene Schulte zu Sodingen, bei sich auf. Von Georg Heinrich ging der Hof auf seinen Sohn Ludwig Breilmann über, dann auf dessen Witwe, eine Emma Breilmann, geborene Kampmann. Letzter Besitzer war Friedrich Breilmann. Im Jahr 1926 ging der Hof in den Besitz der Stadt Herne über.

Der Hof Koppenberg Der Hof Koppenberg an der Wiescherstraße ist nicht zu verwechseln mit dem Hof Koppenberg in Baukau. Der dortige Hof Koppenberg ist der ursprüngliche Hof Petermann, den ein Koppenberg von seiner Tante geerbt hat. Der Hof an der Wiescherstraße stand mit dem von Breilmann in Verbindung. Beide hatten einen gemeinsamen Viehteich. Koppenberg gehörte zu den von Alters her freien Höfen, die mit einer Reihe von unfreien Höfen den Reichshofverband Castrop bildeten. Eine Urkunde von 1520 nennt 9 Höfe, die freien Reichsbauern gehörten. Zu ihnen zählten in Herne die Höfe Overkamp, Bergelmann und Koppenberg. Als Mitglieder des Reichshofsverbands waren die Hofbesitzer nur dem Landesherrn und nicht dem niederen Adel (Landadel) dienstbar. Wie aus einem Protokoll des Hofetages von 1809 hervorgeht, war der Bauer Koppenberg Geschworener im Hofverband. – 43 –


Im 18. Jahrhundert heiratete ein Georg Schulte zu Sodingen auf den Hof ein. Aus dessen Ehe mit Anna Catharina Koppenberg (gestorben 1792) entstammte der nachfolgende Besitzer Johann Caspar Koppenberg. Eigentlich hätte er Schulte-Sodingen heißen müssen. Er nannte sich jedoch nach dem Hof, was damals üblich war. In einer Urkunde von 1816 wird festgehalten, dass die Witwe Koppenberg ihrem Sohn Georg Jürgen und seiner Verlobten, der Elisabeth Sehrbruch, den Koppenbergschen Hof übergibt, während die Eheleute Sehrbruch und die am elterlichen Hofe verbleibende Tochter Anna Catharina sich verpflichten, den Wilhelm Koppenberg, den Bruder des Georg Jürgen, als Besitzer des Sehrbruchschen Hofes anzuerkennen, und zwar auch dann, wenn Anna Catharina Sehrbruch vor der beabsichtigten Heirat sterben sollte. Dafür wurde dem Wilhelm Koppenberg von seinem Bruder Georg ein Kapital von 400 Reichstalern als Ausgleich gegeben.23 Der letzte Besitzer war im Jahr 1894 Heinrich Wilhelm Koppenberg, genannt Sehrbruch.24

Das Anwachsen der Bevölkerungszahlen von 1890 bis 1927 in Herne •

1890 : 16 000 Einwohner, davon 4 409 Bergleute und 60 Fabrikarbeiter

1900 : 40 000 Einwohner, davon 8 459 Bergleute und 800 Fabrikarbeiter

1910 : 57 459 Einwohner, davon 9 965 Bergleute und 3 000 Fabrikarbeiter

1913 : 64 560 Einwohner

1914 : 63 288 Einwohner (Krieg)

1918 : 62 613 Einwohner (Krieg)

1921 : 68 735 Einwohner (einschließlich Besatzungstruppen)

1925 : 66 967 Einwohner (polnische Bergleute nach Nordfrankreich ausgewandert)

1927 : 72 000 Einwohner25

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Einwohner

Einwohner

davon Bergleute

davon Fabrikarbeiter

80000 70000 60000 50000 40000 30000 20000 10000 Jahr

Diagramm 1: Bevölkerungsentwicklung in Herne zwischen 1890 und 1927

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192 7

192 5

192 1

191 8

191 4

191 3

191 0

0 190

189

0

0


Wolfgang Viehweger

Der Autor behandelt ein Thema, das im

wird. An Beispielen in unserer Stadt zeigt er die Rolle der Bauern in ihrer sozialen Entwicklung. Obwohl die Landwirtschaft immer einer der wichtigsten Berufszweige war, fand sie im Mittelalter kaum gesellschaftliche Anerkennung. Durch die Industrialisierung wurde sie stark reduziert und führt heute ein Nischendasein, allerdings in einigermaßen gesicherten Verhältnissen. Die meisten noch in unserer Stadt verbliebenen Bauern haben sich auf industrielle Produktion und moderne Freizeitbedürfnisse eingestellt, sie sind zu Nebenerwerbsbetrieben mit viel Phantasie geworden. Die Bauern haben sich im Laufe der Geschichte gegen ständige Abhängigkeit von Herren dadurch gewehrt, dass sie einen Abwehrmechanismus entwickelten, welchen man mit „Bauernschläue“ umschreiben kann. Der Autor zeigt am Beispiel einer „Gebehochzeit“, wie eine monotone und stille Lebensweise an Festtagen umschlägt in Ausgelassenheit und Rauferei. Die behutsame und humorvolle Art des Autors im Umgang mit der Geschichte der Bauern in unserer Stadt macht das Buch spannend und

Wolfgang Viehweger · Wäre nicht der Bauer – hätten wir kein Brot

allgemeinen als wenig attraktiv angesehen

Wäre nicht der Bauer – hätten wir kein Brot

lesenswert. Der Herausgeber

FRISCHTEXTE Verlag Herne

FRISCH TEXTE VERLAG

Vom bäuerlichen Leben in Wanne-Eickel und Herne Ein Beitrag zur Heimatgeschichte Gesellschaft für Heimatkunde Wanne-Eickel / Herne (Hrsg.) FRISCHTEXTE Verlag Herne

Bäuerliches Leben_Umschlag_02.indd 1-3

17.05.2013 17:01:34


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