Klára Borbála Gehér: Nicolas Schöffer Archiv und Vermittlung

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Diplomarbeit

Nicolas Schöffer Archiv und Vermittlung ausgeführt zum Zwecke der Erlangung des akademischen Grades einer Diplom-Ingenieurin (Dipl. Ing. oder DI) eingereicht an der TU Wien, Fakultät für Architektur und Raumplanung von

Klára Borbála Gehér Mat. Nr.: 0627894

unter der Leitung von

Senior Scientist Dipl.-Ing. Dr. techn. Oliver Schürer Institut für Architekturwissenschaften, E259

begutachtet von

Univ.Prof. Dipl.-Ing. Dr.techn. Ardeshir Mahdavi Institut für Architekturwissenschaften E259 A-1040 Wien, Karlsplatz 13

Ao.Univ.Prof. Dipl.-Ing. Dr. techn. Erich Lehner Institut für Baugeschichte und Bauforschung, E 251/1 A-1040 Wien, Karlsplatz 13



Ich nehme zur Kenntnis, dass ich zur Drucklegung meiner Arbeit unter der Bezeichnung Diplomarbeit nur mit Bewilligung der Prüfungskommission berechtigt bin.

Eidesstattliche Erklärung: Ich erkläre an Eides statt, dass die vorliegende Arbeit nach den anerkannten Grundsätzen für wissenschaftliche Abhandlungen von mir selbständig ausgeführt wurde. Alle verwendeten Hilfsmittel, insbesondere die zugrunde gelegte Literatur sind in dieser Arbeit genannt und aufgelistet. Die aus Quellen wörtlich entnommenen Stellen, sind als solche kenntlich gemacht. Das Thema dieser Arbeit wurde von mir bisher weder im In- noch Ausland einer Beurteilerin/einem Beurteiler zur Begutachtung in irgendeiner Form als Prüfungsarbeit vorgelegt. Diese Arbeit stimmt mit der von den Begutachterinnen/Begutachtern beurteilten Arbeit überein.

Wien, Februar, 2018

________________________ Unterschrift



Abstrakt (D) Der im Jahr 1912 geborene ungarische Künstler Nicolas Schöffer wird als Initiator und bedeutender Vertreter der kybernetischen Kunst von der internationalen Forschung anerkannt. Die Kybernetik ist die Wissenschaft von Steuerung und Regelung. Charakteristisch für ein kybernetisches System ist eine geschlossene Signalschleife der Kopplung und Rückkopplung. Schöffer hat die kybernetischen Prinzipien als Grundlage für seine Kunst auf einem breiten Spektrum der Kunstgattungen genommen. Seine Karriere überspannt Malerei, Skulptur, Architektur, Urbanistik, Film, Theater, Television und Musik. Das Streben nach der Entmaterialisierung des Kunstwerkes und die Suche nach Bewegung und Dynamik wurden zu den zentralen Themen seiner Arbeit. Schöffer hatte eine sozial und politisch sehr sensible Denkweise und die Fähigkeit, voneinander weit entfernte Wissensgebiete zusammenzubringen, Entwicklungstrends zu erkennen und Zukunftsvisionen zu entwickeln. Er zeichnete sich sowohl auf theoretischem und wissenschaftlichem Gebiet als auch in der Welt der Technik und der Kunst aus. Es gibt drei wichtige Faktoren, die die Aufgabe erschweren, das gesamte Oeuvre des Künstlers zu vermitteln: die ersten zwei Faktoren sind die Vielfalt und die theoretische Natur der Werke. Schöffer hat die neuesten technischen und wissenschaftlichen Ergebnisse auf dem Gebiet der Computer- und Kommunikationswissenschaft verwendet, das bis heute rasanteste Entwicklungen aufweist. Der dritte Faktor ist deswegen die Tatsache, dass es sehr wichtig ist, die Werke im Kontext des damaligen zeitlichen Umfeldes zu bewerten. Es muss ein sehr umfangreiches Material von einer Vielzahl von Kunstgattungen vermittelt werden, damit das Oeuvre des Künstlers verständlich wird. Deswegen ist die ausgewogene und bei allen Aspekten in die Tiefe gehende Vermittlung des Oeuvres eine nur schwer zu bewältigende Aufgabe. Wegen eben dieser Gründe ist Nicolas Schöffer trotz der großen künstlerischen Leistungen relativ wenig bekannt. Es gibt nur zwei große Sammlungen von Schöffers Werken. Die umfangreichste Sammlung befindet sich in dem ehemaligen Atelier des Künstlers in Paris und ist leider nur mehr sehr begrenzt zugänglich. Die zweitgrößte Sammlung befindet sich in einem Museumsgebäude in der ungarischen Stadt Kalocsa genau dort, wo früher Schöffers Geburtshaus stand. Das Museum ist internationaler Aufmerksamkeit würdig. In der kleinen Stadt muss jedoch mit niedrigen Besucherzahlen gerechnet werden. Ziel dieser Arbeit ist es Schöffers

Oeuvre

und

die

Vermittlungsmöglichkeiten

dieses

Oeuvres

nochmals


durchzudenken und dadurch eine Sammlung von Ideen für Kuratoren zusammenzustellen, mit deren Hilfe dieser Kontrast zwischen dem Wert der Sammlung und der Ausnutzung der Möglichkeiten des Museums verringert werden kann. Um dieses Ziel zu erreichen wird zuerst erklärt, in welchem geschichtlichen Kontext der Künstler seine Tätigkeiten entfaltete und wie der damalige Zeitgeist seine Tätigkeit beeinflusste. Es wird auf Künstlergruppen und Stilrichtungen hingewiesen, von denen Schöffer inspiriert wurde. Es werden viele Künstlergruppen und Vereinigungen erwähnt, bei denen Schöffer Gründungsmitglied oder Mitglied war. Der theoretische Hintergrund der Werke wird behandelt und die Essenz seiner künstlerischen Tätigkeiten extrahiert. Die Entwicklungsbahn des Künstlers wird klar vorgezeichnet. In diesem Zusammenhang wird unter anderem der Unterschied zwischen einem kinetischen und einem kybernetischen Werk erklärt. Bei jeder Werkgruppe wird auf vergleichbare Vorgänger- und Nachfolgeprojekte hingewiesen. Es werden wichtige Ausstellungs- und Präsentationsbeispiele, die das Oeuvre des Künstlers aus verschiedenen Perspektiven vorstellten, erwähnt, um zu zeigen, wie breit die Skala der Möglichkeiten auf diesem Gebiet ist. Auf dieser Grundlage wird im letzten Teil der Arbeit ein Programm für das Museum in Kalocsa vorgeschlagen, damit das Museum ein lebendiges Zentrum für innovative Kunst wird und einen wesentlichen Beitrag zum neuen Image der Stadt leisten kann.


Abstract (En) The Hungarian artist Nicolas Schöffer was born in 1912. He is internationally recognized as the initiator and a significant representative of cybernetic art. Cybernetics is the science of control and regulation. Characteristic for a cybernetic system is a closed signal loop of control and feedback. Schöffer has taken the cybernetic principles as the basis of his art on a wide range of art genres. His career spans painting, sculpture, architecture, urbanism, film, theatre, television and music. The quest for dematerialisation of the artwork and the pursuit of movement and dynamics became the central themes of his work. Schöffer had a socially and politically very sensitive way of thinking and the ability to bring together areas of knowledge that are distant from one another. He was able to recognize development trends and to interpolate them into the future. He distinguished himself in the theoretical and scientific fields as well as in the world of technology and art. There are three important factors that make it difficult to provide a comprehensive and balanced overview of Schöffer’s oeuvre: the first two factors are the great diversity and the deeply theoretical nature of the works. Schöffer has during his artistic activity applied the most actual results of the technical and scientific development of his era in the fields of computer- and communication sciences, which are fields that have shown the most rapid developments since those days. The third factor is therefore the fact that it is very important to evaluate the works in the historical context of Schöffer’s era. It is necessary to discuss a large spectrum of topics related to many different artistic genres, so that the body of work of the artist can be understood. This is is why the organisation of a balanced presentation of Schöffer’s oeuvre that explains every aspects of it in great detail is an extremely difficult task to master. Because of these very reasons, Nicolas Schöffer is relatively little known despite the great artistic achievements. There are only two large collections of Schöffer's works. The most extensive collection is located in the former studio of the artist in Paris. Unfortunately, there is only extremely limited access to it for the public. The second largest collection is located in a museum building in the Hungarian town of Kalocsa, exactly there where Schöffer's birthplace once stood. The museum is worthy of international attention. The number of visitors is in the small town however extremely low. The aim of this work is to discuss Schöffer's oeuvre and the possible methods of presenting it adequately for the public. This aim is going to be


achieved by providing a collection of ideas for curators that could help them to reduce this contrast between the value of the collection and the exploitation of the museum's potential. In order to reach this goal it is first explained in which historical context the artist unfolded his activities and how the relevant era influenced his activity. Artists’ groups and artistic trends are discussed that influenced Schöffer’s art. Many artist groups and associations are mentioned where Schöffer was a founding member or member. The theoretical background of the works is treated and the essence of his artistic activities is extracted. The different stages of his continuous development are clearly shown and discussed. In this context, among other things, is the difference between a kinetic and a cybernetic work explained. For each group of works, reference is made to comparable predecessor and followup projects. This writing highlights important exhibition and presentation examples that have shown the artist's oeuvre from different perspectives. The aim is to show the broad scale of possibilities in this field. On this basis, the last part of the work proposes a program for the museum in Kalocsa, so that the museum can become a living centre for innovative art that is inspired by science, technique and technology and make a significant contribution to the city's new image.


Danksagungen Ich möchte mich bei Herrn Senior Scientist Dipl.-Ing. Dr.techn. Oliver Schürer für die Betreuung und Leitung dieser Arbeit bedanken. Ich bin nicht nur für seine wertvollen Ratschläge dankbar, sondern auch für die freundliche und freie Atmosphäre der Zusammenarbeit, für seine Geduld, sein Verständnis und seine Empathie. Er hat verstanden, wie schwierig es für mich war, über ein Thema zu schreiben, bei dem ich durch persönliche Freundschaften und Kontakte sehr beeinflusst bin. Er hatte viel Geduld, als ich verzweifelt mit der französischen Sprache kämpfte, um die zur Verfügung stehenden Materialien lesen zu können. Ich bin ihm auch für die Betreuung aller meiner früheren Arbeiten dankbar und erinnere mich gerne an seine Lehrveranstaltungen zurück. Ich denke voller Respekt an Nicolas Schöffers großartige künstlerische Leistung. Ich betrachte ihn als einen der wichtigsten Künstler des zwanzigsten Jahrhunderts. Ich habe mich bemüht nicht nur sein Lebenswerk zu behandeln, sondern auch die kunstgeschichtliche Periode zu beschreiben, in der Schöffer seine Werke schuf. Ich bin der Meinung, dass eine vom Kontext getrennte Behandlung des Gesamtwerkes nicht angemessen ist. Es ist der Grund warum ich so oft, wie in dem Rahmen einer Diplomarbeit möglich ist, vergleichbare Vorgänger- und Nachfolgeprojekte zeigte, um das Oeuvre Schöffers im Diskurs zu Architektur und Kunst zu verorten und zu kontextualisieren. Durch diese Vergleiche kann gezeigt werden, dass er in mehreren Gebieten eine bahnbrechende Arbeit leistete. An dieser Stelle soll ein besonderer und freundschaftlicher Dank an Nicolas Schöffers Witwe Eléonre de Lavandeyra Schöffer gerichtet sein. Mir wurden unvergessliche Erlebnisse zuteil, denn sie hat es mir ermöglicht, das Atelier in der Villa des Arts in Paris mehrmals zu besuchen. Ich konnte sie nach Kalocsa begleiten, dort die Sammlung Schöffer kennenlernen und mich an zahlreichen Projekten beteiligen. Ich bin für die vielen Tage und Stunden dankbar, die sie mit mir verbrachte. Durch ihre Erzählungen konnte ich ein so lebendiges Bild von Nicolas Schöffer bekommen, dass ich manchmal das Gefühl hatte, ihn persönlich getroffen zu haben. Ich bedanke mich bei Eszter Tamás für die Freundschaft und das Vertrauen. Sie war bis 2016 Direktorin der Schöffer Sammlung in Kalocsa und hat mir Zugang zu Archivmaterialien der Schöffer Sammlung sowie einen Einblick in die museale Arbeit gewährt.


Ich bedanke mich bei Lajos Dargay, der ehemaliger Schüler und Mitarbeiter von Nicolas Schöffer war und später erster Direktor der Schöffer Sammlung wurde. Er hat meine Arbeit mit wertvollen Materialien unterstützt. Durch seine Erzählungen entstand für mich ein noch persönlicheres Bild von Nicolas Schöffer. Ich bedanke mich bei Ágota Nagy, einer ehemaligen Mitarbeiterin von Nicolas Schöffer und Freundin der Familie Schöffer, für die vielen Informationen und Materialien, mit denen sie mir geholfen hat. Ich bedanke mich beim ungarischen Staatssekretär Géza Szőcs, weil er ermöglichte, dass unser Team den Film ‚Die wunderbare Welt von Nicolas Schöffer‘ realisieren konnte. Ich bedanke mich bei Mácsainé Iván Éva, der Direktorin der Schöffer Sammlung in Kalocsa, weil sie mich mehrmals eingeladen hat, Vorträge über Schöffers Oeuvre im Museum zu halten. Während der Vorbereitung habe ich viele neue Erkenntnisse gesammelt. Herzlichen Dank an Lena Wunderlich, weil sie bereit war diesen langen Text durchzulesen und zu korrigieren. Nicht zuletzt ein spezieller Dank an die Mitglieder des Teams von Eléonore de Lavandeyra Schöffer: Guillaume Richard, Arnauld Pierre, Maude Ligier, Rolando Carmona und Niko de La Faye. Diese Arbeit ist ein Abdruck einer der schönsten und persönlichsten Reisen meines Lebens in die Welt der Kunst.


Bemerkungen Die in dieser Arbeit verwendete Literatur kann in drei Kategorien unterteilt werden. Ich habe von einigen Quellen wörtliche Zitate genomen. Die Zitate sind als solche im Text kennzeichnet und die Quelle befindet sich auf derselben Seite als Fußnote. Diese Quellen sind noch einmal in der Literaturliste mit Seitenzahl und Fußnotenzahl zusammengefasst. Die originalen Zitate waren mit wenigen Ausnahmen auf Französisch. Ich habe sie selber auf Deutsch übersetzt. Im Text sind diese Übersetzungen zu lesen. In der Fußnote steht der originale französische Text. Die zweite Kategorie der Literatur stellen Bücher, Artikel und Archivmaterialien dar, die ich vollständig gelesen habe und beim Lesen die Informationen in meinem Gehirn gespeichert habe, um sie dann frei miteinander zu kombinieren. Bei zahlreichen Kapiteln verweise ich auf die Quellen, woher ein großer Teil meines Wissens stammt. Ich habe mich aber nicht ausschließlich auf diese Quellen verlassen. Es handelt sich um eine Informationsmenge, die ich während einer langen Zusammenarbeit mit Eléonore de Lavandeyra Schöffer und der Direktorin des Museums gesammelt habe. Die dritte Kategorie stellen verschiedene Quellen dar, die ich nicht vollständig gelesen habe. Es handelt sich zum Beispiel um Bücher, die ein wesentlich breiteres Thema behandeln, aber auch Schöffer erwähnen. In diesem Fall habe ich nur die relevanten Teile gelesen, um mein Wissen zu erweitern. Nicolas Schöffer schuf neue Begriffe und erfand zahlreiche Wörter. Ich habe ein kleines Glossar zusammengestellt, um einige seiner Begriffe zu erklären.



Inhaltsverzeichnis 1. Einleitung............................................................................................................................................. 1 2. Quellen .............................................................................................................................................. 10 2.1. Das Schöffer-Atelier ................................................................................................................... 10 2.2. Die Schöffer Sammlung in Kalocsa ............................................................................................. 14 2.3. Nicolas Schöffers Bücher ............................................................................................................ 17 2.4. Schöffer Monografien, Kunstkritiken ......................................................................................... 18 2.5. Diplomarbeiten .......................................................................................................................... 20 3. Leben und Zeitalter ........................................................................................................................... 24 3.1. Kinderjahre ................................................................................................................................. 24 3.2. Die Geburtsstadt ........................................................................................................................ 24 3.2.1.Erzbistum.............................................................................................................................. 24 3.2.2. Geschichte des Judentums in Kalocsa ................................................................................. 25 3.2.3. Kalocsa, das agrarische Regionalzentrum ........................................................................... 27 3.3. Universitätsstudien in Budapest ................................................................................................ 28 3.3.1. Jurastudium ......................................................................................................................... 28 3.3.2. Kunststudium ...................................................................................................................... 28 3.4. Umsiedlung nach Paris ............................................................................................................... 28 3.5. Die Pariser Kunstszene der dreißiger Jahre................................................................................ 30 3.6. Das Studium in Paris ................................................................................................................... 37 3.7. Ein weiterer wichtiger Einfluss: die Weltausstellung 1937 ........................................................ 37 3.8. Kriegsjahre und Wiederaufbau .................................................................................................. 38 3.9. Die 60er Jahre............................................................................................................................. 39 3.10. Anerkennungen ........................................................................................................................ 42 3.11. Die späten Jahre ....................................................................................................................... 43 4. Abschnitte der künstlerischen Laufbahn........................................................................................... 44 4.1. Die erste Periode — Grafik, Malerei, Zeichnungshefte ............................................................. 45 4.1.1. Figurative Periode ............................................................................................................... 48 4.1.2. Abstrakte Periode................................................................................................................ 54 4.1.3. Spatiodynamische Periode .................................................................................................. 56 4.2. La Rupture — Die abrupte Wende ............................................................................................. 57 4.3. Die zweite künstlerische Periode ............................................................................................... 61


4.3.1. Einleitung zur zweiten Periode ............................................................................................ 61 4.3.2. Die fünf Topologien ............................................................................................................. 64 4.3.2.1 Der Raum – Spaziodynamismus (1950—1957) ............................................................. 65 4.3.2.2. Das Licht – Luminodynamismus (1957—1959) ............................................................ 73 4.3.2.3. Die Zeit – Chronodynamismus (1959-) ......................................................................... 78 4.3.2.3.1. Wahrnehmung der Zeit durch die Informationsdichte ......................................... 78 4.3.2.3.2. Kinetische versus kybernetische Werke ................................................................ 78 4.3.2.3.3. Darstellung zeitlichen Ablaufe in der Kunst .......................................................... 79 4.3.2.3.4. Die Kybernetik ....................................................................................................... 85 4.3.2.4. Der Klang ...................................................................................................................... 88 4.3.2.5. Das Klima ...................................................................................................................... 93 4.3.3. Kybernetische Hauptwerke ................................................................................................. 98 4.3.3.1. CYSP1 ............................................................................................................................ 98 4.3.3.3. Tour Lumière Cybernétique – TLC .............................................................................. 107 4.3.3.4. Die kybernetische Stadt .............................................................................................. 114 4.3.3.4.1. Stadtplanerisches Umfeld der Epoche ................................................................ 114 4.3.3.4.2. Funktionsteilung .................................................................................................. 119 4.3.3.4.3. Funktionale und formale Überlegungen ............................................................. 120 4.3.3.4.4. Urbanistik der fünf Topologien............................................................................ 120 4.3.3.4.5. Kybernetik und Demokratie ................................................................................ 121 4.3.3.4.6. Die Stadt der Arbeit ............................................................................................. 122 4.3.3.4.7. Die Wohngebiete der kybernetischen Stadt ....................................................... 125 4.3.3.4.8. Stadtteile für die Freizeitgestaltung .................................................................... 127 4.3.3.4.9. Aktuelle Präsentationsbespiele. .......................................................................... 130 4.3.3.4.10. Werkgruppen zur Ästhetisierung der kybernetischen Stadt ............................. 132 4.3.4. Architektur Wettbewerbe ................................................................................................. 139 4.3.5. Von Grafik bis Urbanistik — Zusammenfassung ............................................................... 145 4.3.6. Theater .............................................................................................................................. 146 4.3.6.1. Hilfe! Hilfe! Die Globolinks ......................................................................................... 150 4.3.6.2. Kybernetisches Luminodynamisches Experiment: KYLDEX1 ...................................... 151 4.3.7. Film .................................................................................................................................... 154 4.4. Die dritte Schaffensperiode ...................................................................................................... 156 4.5. Das Netzwerk: Galerien, Künstler- und Forschungsgruppen, Konferenzen ............................. 161 5. Nicolas Schöffer und die Rezeption seines Oeuvres ....................................................................... 166 5.1. Der Film ‚Die wunderbare Welt von Nicolas Schöffer‘ ............................................................. 169


5.2. Die retrospektive Ausstellung 2015 in der Kunsthalle Budapest ............................................. 171 5.3. Das Schöffer Museum in Kalocsa ............................................................................................. 174 6. Temporäre Ausstellungsideen, Forschungsthemen ........................................................................ 180 7. Konklusion ....................................................................................................................................... 186 8. Anhang I. Nicolas Schöffer- Bücher und Filme ................................................................................ 190 8.1. Nicolas Schöffers Bücher .......................................................................................................... 190 8.2. Film ........................................................................................................................................... 190 9. Anhang II. Bild- und Literaturverzeichnis ........................................................................................ 192 9.1. Liste der Bilder.......................................................................................................................... 192 9.2. Literaturverzeichnis .................................................................................................................. 202 9.2.1. Liste der Quellen von Zitaten ............................................................................................ 202 9.2.2. Verwendete Publikationen von Nicolas Schöffers ............................................................ 204 9.2.3. Weitere verwendete Texte von Nicolas Schöffer .............................................................. 205 9.2.4. Gespräche, Interviews ....................................................................................................... 205 9.2.5. Monografien ...................................................................................................................... 205 9.2.6. Kataloge ............................................................................................................................ 205 9.2.7. Diplomarbeiten .................................................................................................................. 206 9.2.8. Artikels .............................................................................................................................. 206 10. Anhang III. Weiterführende Literatur für Kuratoren..................................................................... 208 10.1 Nicolas Schöfer ........................................................................................................................ 208 10.2. Skulptur .................................................................................................................................. 208 10.3. Technologie und Kunst ........................................................................................................... 208 10.4 Abstrakte Kunst ....................................................................................................................... 208 10.5. Bücher zum Thema Kinetische Kunst ..................................................................................... 208 10.6. Participative Kunst ................................................................................................................. 209 11. Glossar ........................................................................................................................................... 210 11.1. Erklärung: ............................................................................................................................... 210 11.2. Glossar Einträge ..................................................................................................................... 210




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1. Einleitung Ich beschäftige mich seit einem Jahrzehnt mit dem Oeuvre von Nikolas Schöffer. Je mehr ich über seine künstlerische Tätigkeit erfahren konnte, desto mehr wurde mir klar, wie schwierig es ist, sein Oeuvre dem Publikum so zu präsentieren, dass ein ausgewogenes und umfangreiches Bild darüber vermittelt wird und sowohl der theoretische Hintergrund der Werke als auch wichtige Zusammenhänge klar dargestellt werden. Das Thema seines Lebenswerks beschäftigt mich, weil ich seit Jahren einen intensiven Kontakt mit dem Schöffer Museum in Kalocsa pflege und einen Einblick in die Arbeit des Museums bekommen konnte. Das Museum beherbergt eine bedeutende Sammlung und ist internationaler Aufmerksamkeit würdig. In der kleinen Stadt muss jedoch mit niedrigen Besucherzahlen gerechnet werden. Dieser Kontrast zwischen dem Wert der Sammlung und den Besucherzahlen hat mein Interesse geweckt und mich veranlasst, das Thema der Präsentation von Schöffers Lebenswerk aufzugreifen und neu durchzudenken. In dieser Arbeit fasse ich meine Gedanken auf der Suche nach einer angemessenen Präsentation zusammen. Im Folgenden erkläre ich kurz, warum ich es für eine schwierige Aufgabe halte, das Lebenswerk des Künstlers zu präsentieren und warum ich das Thema für wichtig erachte. Im weiteren Verlauf beschreibe ich die Schritte, wie ich mein Ziel erreichen möchte.

Bild 1. Nicolas Schöffers Porträt hängt auf der Seite des großen Prismas in seinem Atelier in der Villa des Arts, Paris 6. Juli 2010. (Foto: Klára Gehér)


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Es gibt drei wichtige Faktoren, welche die Aufgabe erschweren, das Oeuvre des Künstlers zu präsentieren. Der erste Faktor ist die Vielfalt der Werke. Nicolas Schöffers Lebenswerk ist äußerst facettenreich, denn er hat einen wesentlichen Beitrag zu zahlreichen Kunstgattungen geleistet. Der zweite Faktor ist die theoretische Natur der Werke. Nicolas Schöffers Arbeit basiert auf ausführlichen theoretischen Überlegungen, die er in zehn Bücher zusammenfasste. Ohne Kenntnis seiner theoretischen Arbeit kann der Betrachter nur einen oberflächlichen Eindruck von Schöffers Werken bekommen, ohne deren wahre Bedeutung zu verstehen. Den dritten Faktor stellt die Tatsache dar, dass es sehr wichtig ist, die Werke im Kontext des zeitlichen Umfeldes zu beurteilen. Nicolas Schöffer hat die neuesten Entwicklungen der Wissenschaft und der Technik mit großer Aufmerksamkeit beobachtet und zahlreiche der damals hochaktuellen Ergebnisse bei seiner Arbeit angewendet. Die Prinzipien der Kybernetik hat er sogar als allererster Künstler in den Dienst der Kunst gestellt. Was einmal der neueste Stand der Technik ist, wird nach kurzer Zeit überholt. Wissenschaftliche Theorien entwickeln sich weiter. Bei Werken, welche die neuesten Entwicklungen der Wissenschaft und Technik eingliedern, sind die Kenntnis des Zeitalters, in dem sie entstanden sind, und auch die Kenntnis der vergleichbaren Vorgängerprojekte wichtig, um die Werke verstehen und bewerten zu können. Vergleichbare Projekte sind vor allem dann wichtig, wenn man die Frage beantworten möchte, wer der eigentliche Initiator bestimmter späteren Entwicklungen war. Nicolas Schöffer hat auf zahlreichen Gebieten Pionierarbeit geleistet und in seinem Oeuvre findet man den Keim von zahlreichen späteren Entwicklungen in der Architektur- und Mediengeschichte. Ich werde dazu in dieser Arbeit Beispiele nennen. Zu einem umfangreichen Bild über sein Lebenswerk gehören auch die Auswirkungen seiner Tätigkeit. Nachfolgeprojekte sind nicht weniger wichtig als die Vorgängerprojekte. Eine ideale Präsentation des Lebenswerks sollte alle Facetten der künstlerischen Tätigkeit mit den entsprechenden theoretischen Grundlagen vermitteln, bei jeder Werkgruppe den geschichtlichen Hintergrund bezüglich der entsprechenden Kunstgattung erklären und auf die wichtigsten vergleichbaren Vorgänger- und Nachfolgeprojekten verweisen. Bei einer gelungenen Präsentation zeichnet sich die Entwicklungsbahn des Künstlers klar ab und die Motivation der verschiedenen künstlerischen Entscheidungen wird verständlich. Strebt man danach alle diese Erwartungen zu erfüllen, dann handelt es sich aber um ein so umfangreiches Material, dass die Aufgabe kaum mehr zu bewältigen ist. Vielleicht ist es bei einer schriftlichen Arbeit möglich, bei der keine kontinuierliche Konzentration vom Leser verlangt wird, weil er Pausen beim Lesen einlegen kann. Im Ausstellungsbetrieb jedoch muss der Kurator auch damit rechnen, dass unsere geistigen Kapazitäten endlich sind und der Mensch


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in kurzer Zeit nur eine begrenzte Menge von Informationen verarbeiten kann. In der Praxis wird deswegen auf die Vollkommenheit verzichtet. Es wird meist entweder nur ein Aspekt des Lebenswerks präsentiert oder bei den seltenen großangelegten oder retrospektiven Ausstellungen ein Überblick vermittelt, ohne in die Tiefe der einzelnen Aspekte zu gehen. Im ersten Fall kann der Besucher nicht die ganze künstlerische Laufbahn kennenlernen, sondern bekommt nur Teilinformationen und ein verzerrtes Bild. Im zweiten Fall bleibt sein Eindruck oberflächlich. Eine einzelne großangelegte Ausstellung kann zwar sehr erfolgreich sein, aber nicht bei allen Aspekten in die Tiefe gehen. Die Lösung kann meiner Meinung nach nur eine gekoppelte Anwendung der zwei Annäherungsweisen sein. Bei der Ausarbeitung jedes Teilgebietes muss gleichzeitig auch ein kurzer Überblick gezeigt werden, damit der Betrachter klar erkennt, in welchem Verhältnis das behandelte Material zum gesamten Oeuvre steht. Eine gründliche Vermittlung des Oeuvres kann nur durch eine Serie von Präsentationen erfolgen. Der 1912 in Ungarn geborene und in Paris schaffende Nicolas Schöffer wird von zahlreichen Kunsthistorikern als einer der wichtigsten Künstler der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts anerkannt. Der französische Kunsthistoriker Guy Habasque ist vor allem als der Autor des Buches Le Cubisme: Etude Biographique Et Critique1 der Serie Le gout de notre temps und als mit Donald H. Karshan Co-Autor des Buches Archipenko: international visionary2 bekannt. Er hat Beiträge zu dem Schöffer Monografie, das von dem Edition Griffon publiziert wurde und zu zahlreichen Ausstellungskatalogen von Schöffer geschrieben. Er schreibt über Schöffer: „Seit vielen Jahren habe ich das Glück gehabt, seine Entwicklung aus nächster Nähe zu verfolgen, und diese lange Vertrautheit mit dem Werk und dem Künstler hat mich persönlich überzeugt, dass Schöffer nicht nur einer der authentischsten Schöpfer unseres Jahrhunderts ist, sondern Einer von jener seltenen Geister, die fähig sind, über die Gegenwart hinauszublicken und die Geschichte der Zivilisation zu prägen“.3 [Guy Habasque]

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Habasque, Guy: Le Cubisme: Etude Biographique Et Critique, erschienen als Teil der Serie Le gout de notre temps, Skira Verlag, Genf, 1959 2 Karshan, Donald H; Habasque, Guy: Archipenko : international visionary, Smithsonian Institution Press, Washington, 1969 3 Voici bien des années que j’ai la chance de suivre de près son évolution et cette longue fréquentation de l’œuvre et de l’artiste m’a personnellement convaincu que Schöffer était non seulement un des créateurs les plus authentique de notre siècle, mais un des rares esprits capable de devancer leur temps et d’imprimer leur marque à l’histoire d’une civilisation. [Guy Habasque in der Katalog der Ausstellung Nicolas Schöffer in Musée des Arts Décoratifs Paris im Jahr 1963, Seite 13.]


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Dr. Michael Schwarz, der Professor für Neuere Kunstgeschichte an der Hochschule für Bildende Künste in Braunschweig und von 1996 bis 2004 Präsident dieselber Hochschule war, schrieb über Schöffer folgende Worte: „Für die Geschichte der Lichtkunst im 20. Jahrhundert ist dieser „Turm von Lüttich“ von Nicolas Schöffer das erste große und technisch aufwändig realisierte Beispiel einer Lichtkunst im öffentlichen Raum. Schöffer hatte bewiesen, dass sich mit dem Medium Licht spektakuläre Werke schaffen lassen, die auch im immer unübersichtlich werdenden urbanen Raum Orientierungen und Identifikation schaffen können. Und es war deutlich geworden, dass diese Kunst nicht mehr durch Einzelne, nicht mehr durch den Künstler-Schöpfer, sondern nur durch die Zusammenarbeit von Künstlern, Ingenieuren, Komponisten und Herstellern, die bereit sind, sich auf derartige Projekte einzulassen, realisiert werden kann.“ 4[Dr. Michael Schwarz] Die wichtigste Galerie, die Nicolas Schöffer seit den 50er Jahren vertrat und immer noch vertritt ist die Pariser Galerie Denis René. Die Galerie stellt den Künstler mit folgenden Worten vor: „Vielseitiger Künstler und Theoretiker, Hauptvertreter der kinetischen Kunst, Vorläufer der elektronischen und digitalen Kunst“5 Nicolas Schöffer gilt als Initiator der kybernetischen Kunst. Die Kybernetik ist die Wissenschaft von Steuerung und Regelung.6 Charakteristisch für ein kybernetisches System ist eine geschlossene Signalschleife der Kopplung und Rückkopplung. Schöffer hat diese in verschiedenen Systemen relevanten theoretischen Überlegungen in seine künstlerische Tätigkeit einbezogen und mit der Theorie der Entmaterialisierung7 der Kunst verknüpft. Schöffer arbeitete mit den immateriellen künstlerischen Medien Raum, Licht, Zeit, Klima und Klang. Er strebte danach die Materialität seiner Werke zu überwinden, um sich nur auf die Wirkung dieser immateriellen künstlerischen Medien konzentrieren zu können. Er hat dieselben Prinzipien auf einer Skala von Maßstäben von der Skulptur bis zu architektonischen Arbeiten und Stadtentwicklungsplänen angewendet.

Die Begriffe Kybernetik und

Entmaterialisierung werden in dieser Arbeit detaillierter erklärt.

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Schwarz, Michael: Eine kurze Geschichte der Lichtkunst im öffentlichen Raum, http://www.michaelschwarz.org/pdf/geschichte-der-lichtkunst.pdf, Stand: 22.02.2018, 12:30 Uhr 5 „Artiste et théoricien polyvalent, représentant majeur de l’art cinétique, précurseur de l’art électronique et numérique “, Homepage der Galerie Denis René, https://www.deniserene.fr/artistes/nicolas-sch%C3%B6ffer/, Stand: 22.02.2018, 12:30 6 Eine detaillierte Abhandlung über die Kybernetik mit Schöffers eigener Definition befindet sich im Kapitel 4.4.3. 7 Siehe den Begriff im Glossar


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Nicolas Schöffers Karriere überspannt Grafik, Malerei, Teppichkunst, Kleinplastik, Skulptur, Architektur, Urbanistik, Video, Film, Theater, Television, Werbung und in enger Zusammenarbeit mit namhaften Vertretern der konkreten Musik auch Klangstrukturen. Bei der Betrachtung dieser bunten Palette zeichnet sich ein kohärentes Bild ab, weil die zahlreichen Aspekte seiner Tätigkeit keine wilden Triebe sind. Sie sind fest verankert und basieren auf Schöffers grundlegenden theoretischen Arbeit, deren Ideen er durch seine pädagogische Tätigkeit verbreitete. „Es gibt keine kühnere Synthese der Künste, als jene von Nicolas Schöffer.“8 [Michel Faré]

Bild 2. Stammbaum des Gesamtwerks von Nicolas Schöffer, Quelle: OLATS, Nicolas Schöffer Archiv Webseite

Ohne Zweifel war Schöffers wesentlichste Idee die Anwendung der kybernetischen Prinzipien in der Kunst, weil er mit diesem Schritt als Allererster auf unentdecktes Gebiet trat. Er beschäftigte sich aber auch mit anderen wichtigen hochaktuellen Gedanken der Avantgarde und war auch auf vielen anderen Ebenen ein Pionier. Ähnlich den Künstlern der ersten Generation der klassischen Avantgarde, richtete er seine Aufmerksamkeit auf die 8

„Il n’est pas de synthèse des arts plus audacieuse que celle de Nicolas Schöffer“ [Michel Faré in der Katalog der Ausstellung Nicolas Schöffer in dem Musée des Arts Décoratifs Paris im Jahr 1963, Seite 3]


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immateriellen künstlerischen Medien Raum, Licht und Zeit und strebte nach einer Entmaterialisierung des Kunstwerkes. Er ist ein Künstler der späteren Generation der Avantgarde. Die Energie und Dynamik, die von Schöffers Persönlichkeit strahlte, spiegelt sich in seinem Oeuvre wider. Die Suche nach Bewegung und Dynamik in der Kunst wurde das zentrale Thema seiner Arbeit. Das Streben nach einer schnellen Verwirklichungsmethode der Ideen und nach Demanualisation, also nach dem Verzicht auf Handarbeit, führten zu einem experimentellen Ansatz und weckten sein Interesse für Wissenschaft und Technik. Er distanzierte sich von der wilden Lebensführung eines Boheme Künstlers. Sein Künstlerideal war der Polyhistor: ein in vielen Fächern bewandertes Universalgenie, eine Art neuer Renaissance Figur. Er strebte nach der Befreiung der Kunstgattungen von ihren traditionellen Begrenztheiten.9 Er befreite die Musik sowohl von der räumlichen als auch der zeitlichen Begrenztheit, indem er endlose und im städtischen Raum überall hörbare Klangstrukturen schuf. Seine automobile Skulptur befreite die Gattung der Skulptur von der räumlichen Begrenztheit. Schöffer strebte danach, der Mediokrisierung10 der Massen mit Hilfe der Kunst ein Ende zu setzen. Er hat die Sozialisierung der Kunst

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zum Ziel erklärt. Die Kunst als

kulturelles Gut sollte nach Schöffers Vorstellungen für jeden Menschen gleichberechtigt und unlimitiert zur Verfügung stehen. Die spielerischen und spektakulären Aspekte seiner Werke dienten dem Ziel, die Aufmerksamkeit des Publikums zu erlangen und auch den Betrachter durch Partizipation in die Schaffungsprozesse einzubinden. Um die Kunst universell verfügbar zu machen, dachte er über die Möglichkeiten der seriellen Produktion nach. Paradoxerweise ist Schöffer doch im Verhältnis zu seiner Bedeutung relativ wenig bekannt. Sogar in Fachkreisen ist sein Name zwar bekannt, die meisten wissen aber nichts über die wahre Tragweite seiner Ideen. Der Grund dafür ist die schon erwähnte Schwierigkeit der Aufgabe, eine angemessene, ausgewogene und umfangreiche Präsentation des Oeuvres zu erzielen. Es ist möglich, dass gerade die breite Skala der Tätigkeiten und der hohe Grad der Theoretisierung es einem schwierig machen, sich einen Überblick zu verschaffen, und die Essenz seiner künstlerischen Tätigkeit zu extrahieren. Die meisten Betrachter bemerken nicht einmal den Unterschied zwischen einer kinetischen und einer kybernetischen Skulptur. Es ist bei jeglicher Präsentation von Schöffers Oeuvre — sei es Film, Ausstellung oder schriftliches Werk —äußerst wichtig, die wesentlichsten Gedanken der Theorie und ihre Übertragung in 9

Siehe die Erklärung im Glossar Siehe die Erklärung im Glossar 11 Siehe die Erklärung im Glossar 10


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die Praxis verständlich zu vermitteln, denn sein Oeuvre kann ohne diese theoretischen Grundlagen nicht erschlossen werden. Seine Entwicklungsbahn von kinetischer zu kybernetischer Kunst soll unbedingt erklärt werden. Es ist in unserer hoch technisierten und digitalisierten Welt eine spezielle Aufgabe, die Aufmerksamkeit des Publikums für Werke, die auf dem technischen Niveau der Mitte des 20. Jahrhunderts und am Anfang der Computer Ära entstanden sind, zu erwecken. Es reicht nicht die Werke zu präsentieren, sondern es muss erklärt werden, in welchem kunst- und kulturgeschichtlichen Kontext die Werke entstanden sind. Durch Vergleiche mit ähnlichen Projekten kann gezeigt werden, dass Schöffer viele originale Gedanken hatte und immer an der Vorderfront der Entwicklung war. Es sollte darauf hingewiesen werden, dass obwohl zu Schöffers Zeiten die Kybernetik und die Computertechnik noch in den Kinderschuhen steckten, die Wurzeln einer großen Anzahl von aktuellen Trends bis zu Schöffers Ideen zurückreichen. Denken wir etwa an die städtischen digitalen Verkehrsinformations-Systeme, bei denen durch Sensoren die Dichte des Verkehrs gemessen wird und die Verkehrsteilnehmer mit Hilfe von digitalen Anzeigetafeln über Staus und voraussichtliche Reisezeiten informiert werden. Der Beginn solcher Systeme ist in den Plänen des Tour Lumière Cybernétique für den Stadtteil La Défence in Paris zu finden. Nicolas Schöffer schuf nicht nur die erste kybernetische Skulptur der Kunstgeschichte oder die erste automobile Skulptur, die in der Stadt herumfahren konnte, sondern er schuf auch zahlreiche weitere Innovationen. Er war einer der ersten Videokünstler. Schöffer gestaltete die erste Disco der Welt im heutigen Sinne. Er leistete Pionierarbeit auf dem Gebiet der Fassadenprojektionen und führte das Lichtspektakel in den städtischen Raum ein. Es gibt nur zwei große Sammlungen von Schöffers Werke. Die umfangreichste Sammlung befindet sich in dem ehemaligen Atelier des Künstlers und ist heute nur sehr begrenzt zugänglich. Die zweitgrößte Sammlung befindet sich in einem Museumsgebäude in der ungarischen Stadt Kalocsa dort, wo einst Schöffers Geburtshaus stand. 2015 war ein außergewöhnliches Jahr in Hinblick auf die Hinterlassenschaft von Nicolas Schöffer. Der ungarische Staat hat dem Künstler besondere Aufmerksamkeit gewidmet: ein Dokumentarfilm für die Welt Expo 2015 in Mailand wurde gedreht, ein neues Museumsgebäude und die Restaurierung des kybernetischen Turmes Chronos 8 in der Geburtsstadt Kalocsa wurden von der Regierung finanziert. Außerdem wurde eine Ausstellung in der Kunshalle Műcsarnok in Budapest organisiert. Auf der anderen Seite kümmerte sich in diesem Jahr auch Schöffers schwerkranke Witwe, Eléonore de Lavandeyra Schöffer um Ausstellungen seiner Werke und um das weitere Schicksal der Sammlung, die sie in seinem originalen Atelier aufbewahrt hatte. Die Ausstellungen in Madrid und Budapest


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zeigten Werke, die hätten entsprechend der damaligen Absichten von Eléonore Schöffer nie mehr ins Atelier zurückgebracht, sondern nach den Ausstellungen nach Liège transportiert werden sollen. Es war eine Präsentation der Werke in einem neuen Schöffer Museum in Liège geplant. Letztlich wurden die Werke aus Budapest und auch aus Madrid doch ins Atelier zurückgebracht, weil die Verhandlungen bezüglich des Museums in Liège bis Ende der Ausstellungen noch nicht abgeschlossen waren. Die Restaurierung des Turmes von Liège wurde aber den Plänen entsprechend abgeschlossen und der Turm wurde feierlich eingeweiht. Laut meinen aktuellen Informationen (Februar 2018) sind die Werke immer noch im Atelier aufbewahrt und ihr weiteres Schicksal ist nicht geklärt. Es laufen Verhandlungen darüber, ob der Staat die Aufgabe der Aufbewahrung und Veröffentlichung der Sammlung von Eléonore de Lavandeyra Schöffer übernimmt und die Werke langfristig im Atelier bleiben. Es wäre damit möglich, die Werke dem Publikum weiterhin in der originalen Umgebung zeigen zu können. Die Sammlung im Atelier in Paris ist wesentlich größer und reicher als jene in Kalocsa, aber auch die vierzig Werke in Kalocsa überspannen alle Schaffensperioden. Das Museum ist internationaler Aufmerksamkeit würdig, aber in der kleinen Stadt wenig besucht. Die zu diesen zwei Sammlungen gekoppelten Ausstellungsserien, deren einzelne Ausstellungen programmatisch und konsequent die verschiedenen Facetten des Lebenswerks zeigen, könnten die oben detaillierten Zielsetzungen einer idealen Präsentation des Lebenswerks erfüllen. Damit ist die Konklusion meiner Arbeit vorweggenommen. Ich sehe die Lösung in der Kopplung einer umfassenden Ausstellung, die einen Überblick liefert aber in die Details nicht eingeht, mit einer Ausstellungsserie, welche bei den einzelnen Themen in die Tiefe geht. Ziel dieser Arbeit ist es Schöffers Oeuvre und die Vermittlungsmöglichkeiten dieses Oeuvres

nochmals

durchzudenken

und

dadurch

einen

Ideenpool

für

Kuratoren

zusammenzustellen, mit derer Hilfe dieser Kontrast zwischen dem Wert der Sammlungen und der Ausnutzung der Möglichkeiten des Museums und auch des Ateliers verringert werden kann. Da die Sammlung im Atelier heute nur sehr begrenzt zugänglich ist, der Fokus meiner Aufmerksamkeit wurde auf das Museum in Kalocsa gerichtet. In meiner Arbeit hatte ich die Absicht sowohl einen Überblick zu geben, als auch bei den einzelnen Themen Ausgangspunkte für die Ausarbeitung von dazugehörigem Ausstellungsmaterial zu liefern. Um mein Ziel zu erreichen wird zuerst erklärt, in welchem geschichtlichen Kontext der Künstler seine Tätigkeit entfaltete und wie der Zeitgeist seine Tätigkeit beeinflusste. Es


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wird auf Künstlergruppen und Stilrichtungen hingewiesen, von denen Schöffer inspiriert wurde. Es werden viele Künstlergruppen und Vereinigungen erwähnt, bei denen Schöffer Gründungsmitglied oder Mitglied war. Der theoretische Hintergrund der Werke wird behandelt und die Essenz seiner künstlerischen Tätigkeit extrahiert. Die Entwicklungsbahn des Künstlers wird klar gezeichnet. In diesem Zusammenhang wird der Unterschied zwischen einem kinetischen und einem kybernetischen Werk erklärt. Bei jeder Kunstgattung wird auf vergleichbare Vorgänger- und Nachfolgeprojekte hingewiesen. Es werden wichtige Ausstellungs- und Präsentationsbeispiele erwähnt, um zu zeigen, wie breit die Skala der Möglichkeiten auf diesem Gebiet ist. Auf dieser Grundlage wird im letzten Teil der Arbeit ein Programm für das Museum in Kalocsa vorgeschlagen, damit das Museum ein lebendiges Zentrum für innovative Kunst wird und zum neuen Image der Stadt einen wesentlichen Beitrag leisten kann. Es werden verschiedene Ideen aufgelistet, die Themen einer spezialisierten Ausstellung sein könnten. Das Material zu diesen Themen ist immer in dem entsprechenden Kapitel zu finden. Bei jedem Thema muss in einer realen Situation dieses Ausgangsmaterial erweitert und vertieft werden, aber ich hoffe, dass die von mir zusammengestellten Verweise dem Kurator dennoch nützlich sein können.


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2. Quellen 2.1. Das Schöffer-Atelier Dank einem glücklichen Zufall konnte ich während meiner Arbeit viel persönliche Hilfe aus erster Hand bekommen. Die Ergebnisse einer früheren universitären Seminararbeit haben mich vor etlichen Jahren mit Eleonore de Lavandeyra Schöffer, Witwe des im Jahr 1992 verstorbenen Nicolas Schöffer, in Kontakt gebracht. Durch ihre freundliche Unterstützung hatte ich die Gelegenheit, Nicolas Schöffers Atelier in der Villa des Arts in Paris mehrmals zu besuchen und die dort aufbewahrten Werke zu sehen. Ich konnte die kleinen Details betrachten, die bei einer fotografischen Reproduktion für Kataloge oder für die Presse nicht zur Vorschein kommen. Der Besuch im Atelier ist in jeder Hinsicht ein großes Erlebnis. Die Atmosphäre lässt immer noch die Präsenz eines fantasievollen, kreativen, wissensdurstigen und vielseitigen Geistes spüren. Ich widme hier ein paar Worte diesem lebendigen Ort, an dem die Hauptwerke des Künstlers entstanden sind.

Bild 3. Eléonore de Lavandeyra Schöffer führt uns durch das Atelier während unseres Besuchs und erklärt die Grundprinzipien von Schöffers Kunst, Foto: László Ördög


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La Villa des Arts ist ein historischer und legendärer Ort. Sie entstand auf einem Gelände, das vom Friedhof von Montmartre abgetrennt wurde. Im Jahr 1890 ließ König Ludwig XV hier für Künstler eine Reihe von 67 Ateliers mit dem demontierten metallischen Werkstoffen der Weltausstellung bauen. Die Treppen des alten Gare Saint Lazare wurden hier wieder verwertet. Diese Sehenswürdigkeit zieht heute noch viele Filmregisseure und Kamerateams an. Zahlreiche namhafte und bedeutende Künstler lebten und arbeiteten hier, unter ihnen Cézanne, Sisley, Marcoussis, Duffy und Renoir. Schöffer lebte ab 1954 in der Villa des Arts, zuerst im vierten Stock, später im Erdgeschoss. In seinen aktivsten Jahren besaß er hier zwei Ateliers, eines von ihnen gehörte früher Cézanne. Das andere, das ehemalige Atelier eines Bildhauers von Reiterstandbildern, wurde während des Krieges verlassen. Schöffer erblickte ein Bild der Verwüstung, zerbrochenes Glas, Müll und Taubennester, als er das Atelier übernahm.

Der

Lastwagen

machte

sechsunddreißig

Runden,

um

den

Schutt

abzutransportieren. Es dauerte ein Jahr lang, bis das Atelier im Jahr 1964 in vollem Umfang umgebaut werden konnte. Das Atelier Nr. 5 ist das schönste und spektakulärste der Villa des Arts. Ab 1964 arbeitete Schöffer im Atelier Nr. 5 und benutzte auch das Atelier Nr. 2.

Bild 4. Das Atelier Schöffer, 27. Oktober 2012, Foto: László Ördög


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Die Dekoration des gesamten Innenraumes ist original erhalten geblieben. Ein Salon wurde dennoch in einen kleinen Ausstellungsraum verwandelt, in dem die Gemälde, Grafiken, Reliefs und Modellen der verschiedenen Perioden des Künstlers zu sehen waren. Seit Ende 2015 organisiert hier Eleonore de Lavandeyra Schöffer Veranstaltungen auch für Künstler aus ihrem Freundeskreis. Der Salon ist für temporäre Ausstellungen geeignet, die spezifische Aspekte der künstlerischen Laufbahn ins Rampenlicht stellen. Das Atelier und der Salon zusammen bieten ideale Voraussetzungen für die Präsentation des Lebenswerkes von Schöffer.12

Bild 5. Der Salon in der Villa des Arts, 27. Oktober 2012, Foto László Ördög

Von 1982 bis vor einigen Monaten war das Atelier für die Öffentlichkeit zugänglich. Das Publikum war sehr unterschiedlich, je nachdem, ob es sich um die monatlichen Besuche handelte, die am zweiten Sonntag jedes Monats stattfanden, oder um organisierte Gruppen aus den unterschiedlichsten Kulturvereinen oder Schuleinrichtungen. Heute finden regelmäßige Besuche nicht mehr statt, aber es gibt ab und zu immer noch Gruppen, die Einlass ins Atelier bekommen. Der mit Lichtspiel und schwirrenden, quietschenden, klirrenden und ratternden Metallwesen überfüllte Anblick im Atelier beeindruckt nicht nur Laien, sondern auch Fachmänner.

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Vgl. Beschreibung des Ateliers Observatoire Leonardo des Arts et des Technosciences Schöffer Archiv Homepage (https://www.olats.org/schoffer/archives/atelier.htm, Stand: 01.06.2017, 12.00 Uhr)


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Jean-Damien Collin, Direktor der kulturellen Entwicklung im Generalrat von Belfort und ehemaliger Direktor des Espace Multimédia Gantner, äußerte sich über sein Erlebnis im Atelier Schöffer folgendermaßen: „Die Werke, so nah nebeneinander, die kleinen Gegenstände, sowie die Dokumente bilden einen effektvollen Gesamteindruck. Offensichtlich ist es nicht das Atelier alleine, das diese Wirkung erzielt, sondern das Ensemble der Werke, Ideen und Effekte, die dort, in dem Raum, wo sie geschaffen wurden, so zahlreich zu sehen sind.“13[Jean-Damien Collin]

Bild 6. und 7. Das Atelier Schöffer, 27. Oktober 2012, Foto: László Ördög

Bild 8. und 9. Das Atelier Schöffer, 27. Oktober 2012, Foto: László Ördög

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„Les œuvres, les unes si près des autres, les petits objets tout comme les documents constituent un ensemble véritablement déclenchant d’effet. Bien évidemment, ce n’est pas l’atelier, qui créé en soit ces possibles, mais bien les œuvres, les idées, les effets qui y sont visible en nombre dans leur espace de création." [Jean-Damien Collin, Espace multimedia Gantner, Zitat aus dem Buch Nicolas Schöffer, Les Press du Réel, 2004, Seite 10., Übersetzung auf Deutsch: Klára Gehér]


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Philippe Sers, Kunstphilosoph, Experte der Avantgardekunst, Autor des Buches Entretien avec Nicolas Schöffer, schrieb über seinen Besuch im Schöffers Atelier folgende Worte: „Der Besuch des Ateliers ist etwas, was man sich nicht vorstellen kann. Nicht, weil man durch die Arbeiten überwältigt, sondern weil man durch die Perspektiven geblendet wird.“14 [Philippe Sers] Die Erklärungen von Eléonore de Lavandeyra Schöffer waren während der Führung im Atelier immer sehr gründlich und sie betonten die wesentlichsten Aspekte von Schöffers Kunst. Sie begann die Führung im Atelier immer mit dem Hinweis, dass der Besucher dort anstatt Kunstwerke Ideen sieht. Es ist die größte Sammlung von Schöffers Werken, aber leider heute dem Publikum nicht mehr, oder nur in sehr begrenztem Rahmen zugänglich. Die zweitgrößte Sammlung befindet sich in der Geburtsstadt des Künstlers.

2.2. Die Schöffer Sammlung in Kalocsa Nicolas Schöffer siedelte 1936 nach Paris um. Er kehrte zum ersten Mal 1976 nach Ungarn zurück und besuchte später öfters Kalocsa, seine Geburtsstadt. Er schenkte der Stadt 1979 eine alle Schaffensperioden umfassende Sammlung seiner Werke. 1980 wurde in seinem Geburtshaus ein Museum eröffnet, in dem die Besucher nicht nur die vierzig Werke bewundern, sondern auch an verschiedenen Veranstaltungen teilnehmen konnten. Ein neuer Gebäudeteil wurde auf dem Grundstück des Geburtshauses dem Museum hinzugefügt, in dem sowohl temporäre Ausstellungen, als auch Büro- und Wohnräumlichkeiten Platz fanden. Eléonore de Lavandeyra Schöffer schenkte dem Museum 1994 eine französische Bibliothek, die auch in dem neuen Gebäudeteil eingerichtet wurde. Es bildete sich ein Konglomerat, das in der Notsituation nach der Donation den Bedürfnissen eines Museums dürftig entsprach, aber die veränderten, aktuellen Ansprüche nicht mehr befriedigen konnte. Im Rahmen des ‚Herz von Kalocsa‘ Programms wurden 2015 an fünfzehn touristisch bedeutenden Orten in der Stadt Entwicklungspläne verwirklicht. Wie schon erwähnt, wurde in diesem Rahmen auch ein neues Museum gebaut. Die ursprünglichen Pläne umfassten nur den Abriss des neuen Gebäudeteils und eine Erweiterung und Geschossaufstockung des Elternhauses. Die statischen Untersuchungen ergaben aber, dass das Geburtshaus eine 14

„…la visite de l’atelier, c’est quelque chose dont on n’a pas idée! Non pas, parce qu’on est écrasé par l’œuvre, mais, parce qu’on est ébloui par les perspectives" [Philippe Sers, Zitat aus dem Buch Nicolas Schöffer, Les Press du Réel, 2004, Seite 10, Übersetzung : Klára Gehér]


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Geschossaufstockung nicht hätte tragen können, deswegen wurden letztendlich alle Gebäudeteile abgerissen, und komplett neugebaut.

Bild 10. Der alte Gebäudekomplex der Sammlung Nicolas Schöffer. Rechts das Geburtshaus auf der Hauptstraße (Szent István király utca); links das später von der Stadt zugebaute neue Haus in der Arany János Gasse, Quelle: Építészfórum/Architektenforum

Bild 11. Das neue Gebäude der Sammlung Nicolas Schöffer, Fassade und Innenhof, Foto: László Ördög, rechts oben Visualisierung des gesamten Gebäudes, Quelle: Építészfórum/Architektenforum


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Ich konnte mit Eléonore de Lavandeyra Schöffer das Museum in Kalocsa mehrmals besuchen und die Direktorin Eszter Tamás kennenlernen. Als ich zum ersten Mal dort war, standen noch die ursprünglichen Gebäude. Dank einiger Projekte hatte ich schon engere Beziehungen zum Museum, als der Umbau begann und ich konnte verschiedene Phasen der Bauarbeiten miterleben. Ich bekam Zugang zu den vielen Archivmaterialien des Museums. Eszter Tamás, Kunsthistorikerin und die Direktorin der Sammlung, unterstützte meine Arbeit durch ihre wertvollen Ratschläge.

Bild 12. Eszter Tamás, Direktorin der Sammlung Schöffer in Kalocsa, mit Klára Gehér in dem alten Museumsgebäude, Foto: László Ördög

Bild 13. Lajos Dargay, ehemaliger Mitarbeiter von Nicolas Schöffer, erster Direktor der Sammlung Schöffer in Kalocsa, Einzelbild aus dem Film ‚Die wunderbare Welt von Nicolas Schöffer‘, Filmdirektor: Sándor Gerebics

Auch Lajos Dargay, Schüler und später engster Mitarbeiter von Nicolas Schöffer und ehemaliger Direktor der Sammlung Nicolas Schöffer in Kalocsa, und die Architektin Ágota Nagy, jahrzehntelange Freundin und Mitarbeiterin der Schöffer Familie unterstützen meine Arbeit.


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2.3. Nicolas Schöffers Bücher Die wichtigsten schriftlichen Quellen, die Nicolas Schöffers Gedankengut zusammenfassen, sind seine eigenen Bücher und Schriften. Er fasste seine Theorien über Kunst, Architektur und Urbanistik in zehn Bücher zusammen. Das erste Buch erschien 1955 mit dem Titel Spatiodynamique und enthält den Text des Vortrages, den Schöffer im Juni 1954 in dem Turgot Amphitheater der Universität Sorbonne anlässlich der Konferenzen hielt, die von der Französischen Gesellschaft für Ästhetik organisiert wurden. In diesem Buch definiert er den von ihm geschaffenen Begriff Spaziodynamismus und beschreibt seine Vorstellungen über die Dynamik der Wechselwirkung von Skulptur und Raum. Er definiert die Rolle des Bildhauers und die Rolle der Skulptur im städtischen Raum neu. Er etabliert eine neue wissenschaftliche Disziplin, die Plasticosoziologie, derer Aufgabe es ist, die Auswirkungen der plastischen Umgebung auf das menschliche Verhalten zu studieren. Das Ziel dieser Analyse ist es, durch die Vervollkommnung der visuellen Reize in der städtischen Umgebung die soziale Struktur der Stadt aufzuwerten. Die Bücher La Ville Cybernétique (1972) und La nouvelle charte de la ville fassen Nicolas Schöffers Visionen bezüglich der Stadt der Zukunft zusammen. Das Buch Le nouvel esprit artistique beinhaltet Texte und Manifeste, in denen Nicolas Schöffer die Grundsätze seiner schon ausgereiften Theorien Spatiodynamik, Luminodynamik und Chronodynamik erklärt und die Rolle und Aufgabe der Kunst in unserer Wissensgesellschaft behandelt. Das Buch La Tour Lumière Cybernétique beschreibt Schöffers kybernetischen Lichtturm, den er für den Stadtteil La Défense in Paris plante. Der Turm blieb zwar in der Planungsphase, gilt aber dennoch als sein Hauptwerk. Eine vollständige Liste seiner Bücher ist im Anhang I. zu finden.

Bild 14. Deckblatt einiger Bücher, in denen Nicolas Schöffer seine Theorien zusammenfasste


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Es gibt weitere schriftliche Arbeiten kürzeren Umfanges, die auch wichtige Quellen sind. Hervorzuheben sind die Hefte, die anlässlich der Konferenzen ausgegeben wurden, die Schöffer in Kalocsa organisierte. Ebenfalls bemerkenswert ist sein Essay mit dem Titel Sonic and Visual Structures: Theory and Experiment, erschienen 1985 im Leonardo Journal. Schöffer erklärt in diesem Essay seine Ansichten bezüglich Musik und ihrer Rolle in der Gesellschaft. Die Zeitschrift Leonardo wurde 1968 in Paris von dem kinetischen Künstler und Pionier der Astronautik Frank Malina gegründet. Malina erkannte die Notwendigkeit einer Zeitschrift, die als internationaler Kommunikationskanal für jene Künstler dienen sollte, welche den Schwerpunkt ihrer Arbeit auf die Anwendung der neuen wissenschaftlichen Ergebnisse und auf die Entwicklung von Technologien setzten. Heute ist Leonardo die führende Zeitschrift für Leser, die sich für die Anwendung der modernen Wissenschaft und Technik in der Kunst interessieren. Die Leonardo Gesellschaft betreibt auch eine umfangreiche Homepage (www.olats.org/schoffer), auf der auch die Archiv Webseite von Nicolas Schöffer zu finden ist.

2.4. Schöffer Monografien, Kunstkritiken Die wichtigsten Monografien wurden von dem schweizerischen Verlag Edition Griffon publiziert. Der Verlag hat den Sitz in Neuchâtel und blickt auf eine mehr als 70 Jahre lange Geschichte zurück. Im Fokus seiner Tätigkeit sind Künstlermonografien und Kunstpublikationen, die durch ihre hohe redaktionelle, grafische und technische Qualität überzeugen. Im Rahmen der Publikationsreihe L’Art du 20e siècle erschienen mehr als 40 Monografien von Avantgarde Künstlern, unter ihnen Victor Vasarely, Yaacov Agam, Naum Gabo, Antoine Pevsner, Nicolas Schöffer, Jesús-Rafael Soto. Dieselben Künstler gehörten zum Kreis der Galerie Denis René in Paris. Ich betone diese wichtigen Verbindungen. Die Namen dieser Künstler werden in meiner Schrift mehrmals vorkommen. Die erste Schöffer Monografie wurde 1963 von dem Verlag Edition Griffon publiziert. Nach den Einführungsworten von Jean Cassou beinhaltet die Monografie zwei Essays von Guy Habasque und Jacques Ménétrier. Fotograf der Illustrationen war Robert Doisneau. Zu der Publikation gehörte eine Vinyl-Schalplatte mit der konkreten Musik von Pierre Henry. Eine weitere Schöffer Monografie von demselben Verlag erschien 2004 mit den Texten von Eric Mangion und Maude Ligier. Im Heimatland verfasste Tamás Aknai 1975 eine Schöffer Monografie.


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Es gibt nur einige ausgewählte Persönlichkeiten (Kunsttheoretiker, Architekten, Künstlerkollegen), deren Schriften man als von Schöffer selbst oder von seiner Witwe authentifiziere Quellen betrachten kann. Zu ihnen gehören Guy Habasque, Michel Ragon, Michel Seuphor und Philippe Sers. "Unter den Kunsthistorikern, Kritikern, Schriftstellern, Journalisten, Professoren, Gelehrten und sogar unten Freunden, die sich während Gespräche, Interviews oder leidenschaftlichen Diskussionen mit Schöffers Ideen vertraut machen konnten, sind diejenige selten, die Schöffers Gedanken in ihrer Essenz und die Kraftlinien ihrer Auswirkungen wirklich verstanden haben. ... Philippe SERS ist einer der wenigen, den Schöffer kurz vor seinem Tod als jemanden betrachtete, der seine Arbeit wirklich kennt, und autorisiert ist, davon zu sprechen. "15 [Eléonore de Lavandeyra Schöffer]

Die Publikation, Philippe Sers: Entretiens avec Nicolas Schöffer, wurde 1971 von dem Verlag Belfond in Paris veröffentlicht. Es ist eine der zuverlässigsten Quellen. Michel Seuphor, Gründer der Künstlergruppe Circle et Carré und der Magazin Het Overzicht, behandelt Nicolas Schöffers Oeuvre in seinem Buch The Sculpture of this Century. Urbane Zukunftsvisionen präsentiert das Buch Les visionnaire de l‘architecture. Das Buch beinhaltet Beiträge der Gründungsmitglieder der Groupe International d’Architecture Prospective: Jean Balladur, Yona Friedman, Walter Jonas, Paul Maymont, Nicolas Schöffer, und Michel Ragon. Das Buch ist eine der wertvollsten Quellen, wenn man Nicolas Schöffers Ideen im Bereich der Urbanistik im Vergleich mit anderen zeitgenössischen Vorstellungen und in dem architekturtheoretischen Kontext analysieren möchte. Unter den Fotografen sollen Lucien Hervé, Yves Hervochon und Robert Doisneau erwähnt werden. Sie dokumentierten wichtige Momente im Leben des Künstlers.

15

"Parmi les historiens d'art, les critiques, les écrivains, les journalistes et les professeurs, les savants et même les amis qui eurent à se familiariser avec les idées de Schöffer au long d'entretiens, d'interviews ou de discussions passionnées, ceux qui comprirent vraiment la pensée de Schöffer, dans son essence et dans les prolongements de ses lignes de force, sont rares. … Philippe SERS est un des rares que Schöffer, peu de temps avant sa mort, considérait comme connaissant bien son œuvre et "autorisé" à en parler." [Eléonore de Lavandeyra Schöffer, Observatoire Leonardo des Arts et Technosciences Archive Homepage, www.olats.org, Stand: 31. August, 2017, 20:00 Uhr]


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2.5. Diplomarbeiten Während meiner Recherche habe ich mehrere Diplomarbeiten gefunden, die Nicolas Schöffers Oeuvre zum Thema wählten. Die Diplomanden legten den Schwerpunkt auf sehr unterschiedliche Aspekte. Die Diplomarbeit von Maude Ligier handelt von der ersten der drei großen Schaffensperioden und zeigt die Entwicklung des Künstlers bis zum endgültigen Bruch mit dieser Phase seines Lebens, welcher durch die Begegnung mit der Kybernetik ausgelöst wurde. Es ist eine wagemutige Wahl, weil man anhand der Werke dieser Periode kaum etwas über die Tätigkeit des später international renommierten Künstlers erahnen kann. Der Begriff Kybernetik kommt im Text nicht einmal vor. Auf der anderen Seite ist diese Diplomarbeit gerade deswegen so wertvoll, weil sie eine fast nie im Rampenlicht stehende Phase gründlich analysiert. Der Titel der Diplomarbeit lautet La rupture dans l’oeuvre du Nicolas Schöffer, also Der Bruch in Nicolas Schöffers Oeuvre. Paradoxerweise konnte ich gerade durch das Lesen dieses Textes verstehen, dass der Übergang zur zweiten Periode in der Tat und im Gegensatz zu Schöffers Auffassung keinen plötzlichen Bruch, sondern die logische Folge einer kontinuierlichen Entwicklung war, die sich mit dem Bruch nicht abschloss. Zwar betonte Schöffer sehr oft den abrupten Charakter der Abrechnung mit seiner künstlerischen Vergangenheit, die zu einem kompletten Neubeginn führte, der nichts mit der vorangegangenen Tätigkeit zu tun haben sollte, es ist jedoch möglich, die verschiedenen Stufen einer Entwicklung zu zeigen, die zu dem Entschluss führten, mit der frühen künstlerischen Produktion abzurechnen. Ich werde diesbezüglich meine Ansichten im Kapitel Abschnitte der künstlerischen Laufbahn erklären. Nathalie Busson schrieb ihre Diplomarbeit mit dem Titel De l’Objet á l‘Urbanisme über Schöffers Weg von architektonisch-skulpturalen Werken bis hin zur Formulierung seiner Ideen über die kybernetische Stadt der Zukunft. Der Text weist darauf hin, dass trotz der utopischen Züge, Schöffers Ideen die Praxis der modernen Stadtplanung immer noch beeinflussen. Eszter Tamás, bis 2016 Direktorin der Nicolas Schöffer Sammlung in Kalocsa, schrieb ihre Diplomarbeit über die ungarischen Wurzeln der kinetischen Kunst. Die künstlerischen Tätigkeiten von László Moholy Nagy, György Kepes und Nicolas Schöffer haben einen wesentlichen Beitrag zur Entwicklung der kinetischen Kunst geleistet. Die Dynamik von Raum, Licht und Zeit stand im Fokus ihrer Recherche. Op-Art wird meistens auch als eine spezielle Form der kinetischen Kunst betrachtet. In diesem Fall bewegt sich der Betrachter


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und erfährt das Kunstwerk von jedem Blickwinkel anders. Viktor Vasarely, Vertreter der OpArt Kunst, erforschte die menschlichen Wahrnehmungsprozesse, welche bei jedem kinetischen Künstler bedeutende Rollen spielten. Außer diesen vier international bekannten ungarischen Künstlern sollte Lajos Dargay, Schüler und späterer Mitarbeiter von Schöffer und István Haraszti, der ebenfalls Freund der Schöffer Familie war, erwähnt werden. Eszter Tamás erörtert im Text auch die aktuellen kinetischen Ansätze in Ungarn. Bemerkenswert ist in dieser Hinsicht die Tätigkeit der ungarischen Sektion der Internationalen Kepes Society.

Bild 15. (links) László Moholy-Nagy: Licht-Raum Modulator, Quelle: Design Museum Budapest Bild 16. (rechts) György Kepes: Deformation, Silberdruck 1942

Noémi Ördög schrieb im Jahr 2016 ihre Diplomarbeit an der Akademie der Bildenden Künste in Wien. Sie rekonstruierte virtuell einige der nicht realisierten oder seit der Realisierung schon verloren gegangenen Werke von Schöffer, die andererseits aber zu den bedeutendsten Werken des Künstlers gehören. Die Gründe, warum einige Ideen nicht realisiert worden sind vielfältig. Einerseits spielten finanzielle oder technische Fragen eine Rolle, da die Kybernetik noch in den Kinderschuhen steckte und ihre Lösungen kostspielig und nicht ausgereift waren. Andererseits gingen Nicolas Schöffers skulpturale Ideen manchmal so weit, dass sie selbst mit den heutigen technischen Möglichkeiten schwer realisierbar wären. Einige Skulpturen funktionieren nicht mehr, weil die Lebensdauer der kybernetischen Teile zu kurz war, andere wurden wegen Platzmangel völlig demontiert.


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Bild 17. Nicolas Schöffer SCAM1 automobile kybernetische Skulptur (1973), virtuelle Rekonstruktion von Noémi Ördög (2015)

Zahlreiche weitere Bücher dienten als wertvolle Quellen für meine Arbeit. Eine Reihe der wichtigsten Texte listet die Bibliografie auf. Die Bücher, die ich während der Recherche benutzte, um bei den verschiedenen Themenbereichen den kunstgeschichtlichen Kontext zu recherchieren, sind thematisch organisiert gelistet, wie kinetische Kunst, Theater Experimente, konkrete Musik etc.


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3. Leben und Zeitalter 3.1. Kinderjahre Der später als Nicolas Schöffer bekannte Schöffer Miklós wurde am 6. September 1912 in der ungarischen Stadt Kalocsa geboren. Die Eltern taten ihr Bestes, um dem begabten Kind eine gute Erziehung zu sichern. Sie hatten eine entscheidende Rolle und hatten maßgeblich die späteren Interessen beeinflusst. Die Mutter war Violinistin und kümmerte sich um die musikalische Entwicklung des Kindes. Der kleine Miklós bekam Klavier Unterricht ab seinem siebenten Lebensjahr und die Mutter ermutigte ihn auch beim Zeichnen. Der Vater war Jurist. Es ist seinem Einfluss zu danken, dass Schöffer zuerst auch das Jurastudium wählte. Nach

dem

Grundschulabschluss

studierte

Schöffer,

trotz

seiner

jüdischen

Abstammung, bei den Jesuiten weiter. Diese Dualität der religiösen Erziehung lässt sich in seinen Gemälden spüren. Es hat aber auch einen längeren Reflexionsprozess in Gang gesetzt der zu einer Offenheit gegenüber anderen religiösen Einstellungen führte. Mit der Vorstellung einer universellen Religion in der kybernetischen Stadt der Zukunft erreichten Schöffers Überlegungen auf diesem Gebiet den Höhepunkt. Seine Offenheit für Spiritualität begleitete ihn während seines ganzen Lebens trotz des wissenschaftlichen Ansatzes seiner Kunst.

3.2. Die Geburtsstadt 3.2.1.Erzbistum Die Antwort auf die Frage, warum Schöffer trotz jüdischer Abstammung bei den Jesuiten studierte, ist in der Geschichte der Stadt Kalocsa zu suchen. Es gibt aber auch weitere Fragen, die sich besser beantworten oder verstehen lassen, wenn man diese Stadt kennt. Kalocsa, Schöffers Geburtsstadt, blickt auf eine sehr lange Vergangenheit zurück. Die Stadt spielte seit der Eroberung des Kárpát-Beckens im Jahr 896 durch die sieben ungarischen Stämme eine bedeutende Rolle. Die Stammesführer ließen sich hier nieder und die Siedlung war bis der Krönung des ersten Königs von Ungarn im Jahr 1000 das wichtigste Machtzentrum. Die Hauptstadt wurde nach der Krönung für lange Zeit Esztergom bei dem Donauknie, aber die Siedlung blieb bedeutend. 1001 gründete König Stephan, im Rahmen der Etablierung eines Klerus bei seiner Christianisierung Ungarns, ein Bistum in Kalocsa. Der erste Bischof war Astrik-Anastas, der die ungarische Krone von dem Papst bekam und nach Ungarn brachte. Dieser Fakt trug dazu bei, dass Kalocsa 1135 den Rang eines Erzbistums


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erlangte. Die Bevölkerung war und ist bis heute überwiegend katholisch. Die Stadt ist eine der wichtigsten religiösen Zentren von Ungarn.

3.2.2. Geschichte des Judentums in Kalocsa Dr. Magóné Tóth Gyöngyi behandelt in ihrer im Jahr 2004 an der Philosophischen Fakultät der Universität von Szeged geschriebenen Diplomarbeit mit dem Titel A kalocsai zsidóság története die Geschichte des Judentums in Kalocsa. In diesem Kapitel habe ich mich auf ihre Angaben gestützt. Juden kamen in vier Wellen nach Ungarn und Kalocsa war von der vierten Welle im 18. Jahrhundert betroffen. Bis 1783 durften sich die Juden in der freien königlichen Stadt nicht niederlassen, aber in den Dörfern um die Stadt erschienen sie ab 1720. Maria Theresia war den Juden ungünstig gesinnt, aber die Situation verbesserte sich unter der Herrschaft von Maria Theresias aufgeklärter Sohn, Joseph II. Das Toleranzedikt Systematica Gentis Judaicae Regulatio von 1783 gestattete den jüdischen

Untertanen

den

Aufenthalt

in

königlichen

Städten.

Unter

bestimmten

Beschränkungen durften sie Ackerland pachten und in der Stadt Gewerbe ausüben. Das Toleranzedikt forderte die Juden auf, die jiddische Sprache zu verlassen und die Geografie und Geschichte des Gastlandes zu studieren, sicherte ihnen gleichzeitig aber das Recht auf das Studium an den Universitäten. Die Diskussion um die Erteilung der Grundrechte an die jüdische Bevölkerung begann in Ungarn in den 1830er Jahren. Nachdem sich zahlreiche Juden an der fehlgeschlagenen Revolution von 1848 beteiligt hatten, erhob die österreichisch-ungarische Regierung eine kollektive Geldstrafe, die später reduziert und 1856 in Form eines Fonds für Schulen und wohltätige Einrichtungen zurückerstattet wurde. Die meisten Einschränkungen, unter anderem das Verbot des Landbesitzes, wurden 1859–60 aufgehoben und den Juden die Gewerbefreiheit sowie die Freizügigkeit gewährt. Kurz nach dem Ausgleich von 1867 wurde das Gesetz über Judenemanzipation im Parlament ohne nennenswerte Opposition angenommen. Die Zeitspanne zwischen 1867 und 1914 war die ruhigste Periode in der Geschichte des Judentums in Kalocsa, die von Bevölkerungswachstum und wirtschaftlichen Aufschwung kennzeichnet war. Bis 1900 erreichte die Zahl der jüdischen Bürger 5,9 % und sie wurden damit die zweitgrößte Religionsgemeinschaft in der Stadt. Die wirtschaftliche Macht des Judentums wurde ein bedeutender Faktor. Die meisten großen Bürgerhäuser der Hauptstraße und der ersten parallelen Straßen waren im jüdischen Besitz. Eine Synagoge wurde gebaut und es gab eine jüdische Grundschule.


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Mit dem Ersten Weltkrieg begann ein zuerst langsamer, später rasanter Niedergang. Am 21. März 1919 wurde, unter maßgeblichem Einfluss von Béla Kun, die Föderative Ungarische Sozialistische Räterepublik proklamiert. Es wurde damit die weltweit zweite kommunistisch ausgerichtete Regierung ausgerufen, die bis zum 1. August 1919 bestand. Während der kurzlebigen Räterepublik wurden zahlreiche leitende Regierungsstellen von Juden bekleidet. Die antisemitischen Töne, die schon während des Weltkrieges erschienen, wurden in der Folge während des Weißen Terrors im ganzen Land lauter, bekamen aber noch deutlicheren Ausdruck in der vom Erzbischof kontrollierten lokalen Zeitung in Kalocsa. Nach dem Fall der Räterepublik wurden als Retorsion neunzehn Juden auf den Bäumen der Hauptstraße in Kalocsa gehängt. Trotzdem blieb die Zahl der Juden in der Stadt noch anderthalb Jahrzehnten lang annähernd konstant. Der Rückgang begann 1929 mit der Weltwirtschaftskrise. Viele jüdische Bürger verließen die Stadt, nachdem ihr privates Unternehmen in Konkurs gegangen war. Im Zweiten Weltkrieg wurden die Juden von Kalocsa, unter ihnen auch Irma Schöffer, Schöffers Mutter, deportiert. Sie überlebte den Krieg und lebte vom 12. Juli 1947 bis zu ihrem Tod am 12. März 1953 mit Schöffer in Paris. Sie ist in dem Friedhof von Clichy begraben. Der Vater verstarb 1936, noch vor dem Ausbruch des Zweiten Weltkrieges. Nach den Angaben, die in der Diplomarbeit von Dr. Magóné Tóth Gyöngyi zu finden sind, gab es 2004 in Kalocsa keine jüdischen Familien mehr. Das Fehlen einer jüdischen Gemeinde trägt heute dazu bei, das die finanziellen Probleme der Nicolas Schöffer Sammlung nur schwer zu lösen sind. Die tausend Jahre alte Tradition des Erzbistums genießt den Vorrang bei der finanziellen Planung der Stadt und rückt die Probleme der Sammlung in den Hintergrund, obwohl bei den aktuellen Besucherzahlen das Museum nicht rentabel ist. Vergleicht man die Jahreszahlen von Schöffers Geburt (1912) und von den großen politischen Umwälzungen des Ersten Weltkrieges (1914-1918) und der Räterepublik (1919), dann ist ersichtlich, dass während Schöffers Kindheit die guten Jahre vorbei waren und die Bevölkerung von Kalocsa gegenüber jüdischen Familien wieder ungünstig gesinnt war. Es war einer der Gründe, warum er nach den universitären Studien nicht nach Kalocsa zurückkehren wollte. Um eine zusammenhängende Aussage nicht zu teilen und mit dem zweiten Teil beginnen zu müssen, zitiere ich später in diesem Abschnitt Schöffers Worte über seine Umsiedlung nach Paris und über seinen ungarischen Ursprung, die diese These unterstützen. Es spielten aber sicherlich auch andere wichtige Faktoren eine Rolle bei seiner Entscheidung, Kalocsa zu verlassen.


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3.2.3. Kalocsa, das agrarische Regionalzentrum Kalocsa ist das Zentrum einer agrarischen Region. Seit dem Anfang des 20. Jahrhunderts gilt die Stadt, so wie auch Szeged, als Zentrum der Paprika Industrie. Weitere bedeutende Einnahmequellen der Region sind Wein, Obst, Flachs, Hanf, Getreide und der Fischfang. Um die Stadt sind viele Dörfer zu finden, die mit Kalocsa einen regen Austausch führen. Wie es in agrarischen Regionen üblich ist, war und ist auch in Kalocsa die Bevölkerung größtenteils bodenständig und eher konservativ gesinnt. Die Tradition spielt eine große Rolle. Kalocsa und ihre Umgebung war und ist heute noch eine der wichtigsten Zentren der ungarischen Volkskunst. Die kleinen Städte und Dörfer rundum Kalocsa hatten ihre eigenen Muster und Stilrichtung entwickelt. In diesem Sinne wetteiferten sich die Siedlungen miteinander und Trachtenkleider oder bemalte Möbel waren Grundlage des eigenen Stolzes. Lokalpatriotismus und Respekt für die Tradition verschwinden langsam, aber sie waren lebendig zu Schöffers Zeiten. In diesem Sinne bot Kalocsa keinen idealen Nährboden für fortschrittliche Gedanken an. Die unbekannte ferne Stadt Paris übte schon in seinen frühen Jahren eine große Anziehungskraft auf Schöffer aus. Er träumte schon als Kind von dieser Stadt, die damals das wichtigste Zentrum der Künste in Europa war. In seinem Hinterkopf musste die Absicht schon gereift sein, irgendwann nach Paris zu übersiedeln, als er seine universitären Studien in Budapest begann. Es gibt eine sehr schöne und persönliche Erzählung von Eleonore de Lavandeyra Schöffer auf der Nicolas Schöffer Archiv-Webseite zu finden, worauf ich mich später nochmals beziehen werde, die über diese Absichten erklärt: „Er kam in Paris mit zwei großen ‚Fetischen‘ an, mit Gemälden, die er ausstellte und deren Fotos aufbewahrt blieben: ‚Die Stadt Paris‘, so wie er sie sich in seinem Traum vorgestellt hatte …- ab dem Alter von zwei Jahren sagte er, dass er nach Paris gehen würde – und ‚Der Prophet‘, ein anderer Traum, der sich, wie eine Vorahnung, tief in seinem Gedächtnis einprägte, worüber er mir am Ende seines Lebens erzählte …“ [Eleéonore de Lavandeyra Schöffer]16

16

"Il était cependant arrivé à Paris avec deux grands tableaux ‘fétiches’ qu'il avait exposés et dont il reste des photos : ‘La ville de Paris’, telle qu'imaginée en rêve ... - dès l’âge de deux ans il disait qu’il irait à Paris - et ‘le Prophète’, un autre rêve qui l'avait marqué au plus profond, comme un songe prémonitoire, qu'il me raconta à la fin de sa vie …"[Eléonore de Lavandeyra Schöffer, Leonardo Archive Homepage, www.olats.org, Stand : 31. August 2017, 12:00 Uhr]


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3.3. Universitätsstudien in Budapest 3.3.1. Jurastudium Schöffer verließ die Stadt Kalocsa nach dem Abschluss des Studiums bei den Jesuiten, aber einige Jahre mussten noch vergehen, bevor er seinen Traum erfüllen konnte. Dem Wunsch seines Vaters folgend, der bezweifelte, dass man mit der Kunst einen Lebensunterhalt verdienen kann, absolvierte Schöffer zuerst ein Jurastudium an der Universität in Budapest. Er war später sehr dankbar für die Entscheidung seines Vaters und betonte oft lobend die Bedeutung dieses Studiums. Er meinte, dass das strenge und logische System des Römischen Rechtes ihm geholfen hätte, eine komplexe und konstruktive Denkweise zu entwickeln, die während seiner künstlerischen Karriere unentbehrlich war. Interessant ist in dieser Hinsicht die Parallele zwischen Recht und Kybernetik, die Blandine Kriegel zieht: „Das Recht ist ein Feedback-Mechanismus, der lange vor der Kybernetik geschaffen wurde, um die menschlichen Beziehungen zu regulieren.“ 17 [Blandine Kriegel]

3.3.2. Kunststudium Schöffer studierte auch an der Akademie der bildenden Künste in Budapest, ohne dieses Studium zu beenden. 1932 beteiligte er sich an der Budapester Winterausstellung mit zwei Ölgemälden und mit dem schon erwähnten, mit Temperafarbe ausgeführten Bild Der Prophet. Es war sein einziger öffentlicher Auftritt vor dem Krieg in Ungarn.

3.4. Umsiedlung nach Paris 1936 übersiedelte Schöffer nach Paris. Er lebte und arbeitete bis zu seinem Tod in dieser Hochburg der Künste. Er wurde mit der französischen Version seines Namens als Nicolas Schöffer bekannt. Zur Zeit der Umsiedlung kannte er weder die französische Sprache noch die Stadt. Er erahnte vage die künstlerische Bedeutung von Paris, aber die vielen Schichten der Pariser Kunstszene musste er noch entdecken. In Paris lebten damals viele wichtige Vertreter jener Avantgarde Künstlergruppen, Schulen und Strömungen, deren Gedanken er später zum Teil weiterverfolgte, zum Teil selbst neu formulierte, aber Schöffer hatte damals keine Kenntnis

17

"Le droit est un mécanisme en feed back, inventé longtemps avant la cybernétique, pour régir les relations humaines." [Blandine Kriegel, Philosophie de la République (p. 104), Plon Ed., 1998]


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davon genommen. Diese Künstler aus den Kreisen von De Stilj, russischer Konstruktivismus und Bauhaus waren damals fern von dem Milieu, in dem sich Schöffer bewegte. Sie waren andererseits in Paris zu dieser Zeit relativ unbekannt, denn die Galerien vertraten hauptsächlich die Stilrichtungen Kubismus und Surrealismus. Schöffer begab sich mit großer Euphorie, Begeisterung und Neugier in das Treiben und Trubel des Lebens in Paris. Er äußerte sich über die ersten Erlebnisse in Paris und über die Auswirkungen seiner ungarischen Abstammung folgendermaßen: „Ich glaube nicht, dass meine ungarische Abstammung meine Forschung direkt beeinflusst hätte. Im Gegenteil, paradoxerweise wage ich zu sagen, dass meine Ankunft in Paris, meine plötzliche Transplantation in eine Umgebung, derer außergewöhnliche Bedeutung ich nur vage erahnt hatte, brachten in mir einen starken Impuls hervor, um meinen Horizont zu erweitern, und haben meinen Appetit geschärft, um zu wissen, zu suchen und zu sehen, viel mehr wie, wenn ich hier geboren wäre. Ich habe so meinen Kurs mit zehnfacher Energie begonnen, der mich über meine ursprünglichen Fähigkeiten heben sollte, ohne die aktuellen überschätzen zu wollen. Dieses anfängliche Potenzial wurde sicherlich durch die seltsame Chemie der Differenzen in der Kultur und der Umgebung ausgelöst, die sich manchmal als widersprüchliche Gegensätze manifestierten. Dieses Gemisch von Erfahrungen stimulierte mich und trieb mich an – und bleibt immer noch spannend für mich. Diese innere Regung verschonte mich von dem bedauerlichen Handikap derjenigen, die durch die ständig verfügbaren, leicht zugänglichen Gaben ihrer Umgebung verwöhnt sind, sich bequem zurücklehnen, und von dem Reichtum ihrer Möglichkeiten apathisch und gleichgültig werden. Ich muss auf der anderen Seite erwähnen, dass das Regime, das zu dieser Epoche in Ungarn herrschte, die Juden und die Linksorientierten verfolgte und sie in allen Aktivitäten verhinderte, die ihnen erlaubt hätte, sich zu entwickeln und dann ihre Talente in der Kultur frei zu entfalten. Dieses System und die von ihm geschaffenen Bedingungen veranlassten ihre Flucht ins Ausland, wo sie die, für die Entwicklung und Ausübung ihrer Talente so wesentliche Freiheit, finden konnten.


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Paris war schon immer eine jener Hochburgen, die prädestiniert dafür waren, diese hungrigen Flüchtlinge willkommen zu heißen. Sei ihr dafür herzlich gedankt!“ [Schöffer]18

3.5. Die Pariser Kunstszene der dreißiger Jahre Das ohnehin bunte Kunstleben der französischen Hauptstadt bekam weitere Farbtöne und Schattierungen, als sich der Schwerpunkt der abstrakten und avantgardistischen Künste auf Grund von ungünstigen politischen Umwälzungen nach Westen verlagerte. Die Machtübernahme von Stalin löste eine Fluchtwelle der Künstler der russischen Avantgarde aus. Im Deutschen Reich wurde die avantgardistische Kunst nach Hitlers Machtübernahme ab 1933 durch die Nationalsozialisten als Entartete Kunst bekämpft. Künstler der Avantgarde wurden verfolgt, ihre Kunstwerke wurden als ‚verjudet‘ beschlagnahmt, teilweise sogar zerstört. Jüdische Künstler, die Deutschland nicht rechtzeitig verlassen konnten, wurden im Holocaust ermordet. Die freie Atmosphäre und sprudelnde Kunstszene der französischen Hauptstadt lockten die fliehenden Künstler an. Die meisten trafen hier ein und bereicherten weiter die Farbpalette der Pariser Kunst. Mondrian, Antoine Pevsner, Naum Gabo, Theo van Doesburg, Auguste Herbin, Georges Vantongerloo, Kandinsky, Chagall, Miro, Magnelli, Max Ernst und Brancusi sind einige der bekanntesten Namen, die in Paris lebten. Die großen Erfahrungen der Jahre 1920-1930 profitierten in erster Linie aus dem Beitrag der abstrakten Malerei. Die soziale Rolle der abstrakten Kunst der Zwischenkriegszeit war ein Schlüsselelement in der Entwicklung von individuellen Experimenten zur kollektiven 18

„Je ne crois pas que mon origine hongroise ait directement influencé mes recherches. Par contre, d'une façon antinomique, si j'ose dire, mon arrivée à Paris, mas brusque transplantation dans un milieu culturel dont je n'avais que vaguement soupçonné l'exceptionnelle importance, provoquèrent en moi une forte impulsion ver l'élargissement de mon horizon et aiguisèrent mon appétit de voir de connaître, de chercher, probablement beaucoup plus que si j'étais né ici. C'est ainsi qu'avec une énergie décuplée je commençais la course en avant qui devait me mener au-delà de mes capacités initiales, sans vouloir d'ailleurs surestimer celles-ci. Cette potentialité de départ a certainement été déclenchée par l'étrange chimie des différences, parfois contradictoires, culturelles et environnementales. Celles-ci, en se mélangeant brusquement, provoquèrent un bouillonnement intérieur -il continue d'ailleurs d'être passionnant- qui m'épargna le fâcheux handicap de ceux qui, baignant depuis toujours dans les données constamment offertes, donc facilement accessibles de leur environnement, s’y installent confortablement et deviennent blasés de tant de riches possibilités. D'autre part, je dois mentionner que le système régnant en Hongrie à l'époque persécutait les juifs et les hommes de gauche, les excluant de toute activité qui aurait pu leur permettre de développer d'abord et d'exercer ensuite librement leur talent dans les secteurs culturels avancés. C'est donc ce système et les conditions créées par lui qui encouragèrent leur fuite vers l'étranger où ils trouvèrent la liberté indispensable au développement et à l'exercice de leur talent. Paris a toujours été un de ces hauts-lieux prédestinés à accueillir ces fugitifs assoiffés. Grâce lui soit rendue! "[Nicolas Schöffer, Schrift aus dem Archiv der Schöffer Sammlung in Kalocsa]


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Schöpfung. Zwischen den Avantgarden Strömungen der niederländischen Gruppe De Stijl (1917-1932), dem russischen Konstruktivismus (1917-1932) und dem deutschen Bauhaus (1919-1933) gibt es viele Ähnlichkeiten. Sie haben eine starke Orientierung an der Idee des Fortschritts gemeinsam und zeichnen sich durch besondere Radikalität gegenüber bestehenden politischen Verhältnissen oder vorherrschenden ästhetischen Normen aus. Für die Avantgarde ist unter anderem konstitutiv, dass nicht mehr Einzelkünstler im Mittelpunkt stehen, sondern das Kollektiv zunehmend an Bedeutung gewinnt. Die Avantgarde verstand sich dezidiert als Angriff auf die Vorstellung des klassischen Künstlergenies und der Boheme. Ebenfalls bezeichnend ist das manifesthafte Auftreten. Es kann sich dabei um ein konkretes niedergeschriebenes Manifest oder aber auch einfach um eine Haltung handeln, die zeigt, dass diese Künstler für eine bestimmte Ästhetik und gegen die bestehende Gesellschaft und den offiziellen Kunstmarkt stehen. Die Negation bestehender Werte kann zu einem Neuanfang vom Punkt Zero führen. Die Gesetzmäßigkeiten des Kunstbetriebs werden in Frage gestellt. Das wichtigste Bestreben der Avantgarde ist es aber, die Trennung zwischen Kunst und Leben aufzuheben und dadurch ein Zusammenfallen von Kunst und Lebenspraxis zu bewirken. Dabei wurde ein auf allen Bereichen der Kunst geltendes Gestaltungsprinzip ausgearbeitet, das die verschiedenen Gattungen zusammenfasst und ihre Vollendung in der Architektur findet. Es muss auch vorweggenommen werden, dass die Avantgarde zwar meist, aber nicht immer automatisch progressiv, in einer humanistischen und emanzipatorischen Form nach vorne weisend sind. Als Gegenbeispiel dient der Futurismus, im Zuge dessen auch dem Krieg, als Teil des großen maschinellen Fortschritts, gehuldigt wurde. Zudem hat es in der Avantgarde immer auch esoterische Tendenzen gegeben. Mondrian, einer der wichtigsten Vertreter des Künstlerkreises rund um das De Stijl Magazin, siedelte im Jahr 1919 nach Paris um und lebte dort bis 1938. Mondrian entwickelte und veröffentlichte im Magazin De Stijl die Prinzipien einer neuen völlig abstrakten Formensprache, die auf der Variation von wenigen elementaren Prinzipien der bildnerischen Gestaltung beruhte. Er bezeichnete seinen theoretischen Grundsatz mit dem Terminus nieuwe beelding, der auf Deutsch nur sehr schlecht mit neue Plastik oder Neo-Plastizismus übersetzt wird. Die Elemente dieser Bildsprache waren die Gegensatzpaare waagerecht/senkrecht, groß/klein, hell/dunkel und die Reduktion von Farben auf die drei Primärfarben: Rot, Gelb und Blau sowie die Nichtfarben: Schwarz, Grau und Weiß.


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Bild 18. (links) Mondrian: Komposition mit Rot, Gelb, Blau und Schwarz, 1921, Gemeentemuseum Den Haag Bild 19. (rechts) Nicolas Schöffer: Sans titre, sculpture spatiodynamique, 1953

Dieselben Prinzipien wendete Schöffer bei seinen spatiodynamischen Skulpturen im Raum an. Obwohl sowohl Schöffer als auch Mondrian zwei Jahre lang zwischen 1936 und 1938 gleichzeitig in Paris lebten, trafen sie sich nie. Vor dem Zweiten Weltkrieg kannte Schöffer die in Paris lebenden Avantgarde Künstler nicht. Sie waren trotz einer Ausstellung mit dem Titel De Stijl, die im Jahr 1930 in der Galerie Rosenberg stattfand, in Paris relativ unbekannt. Schöffer entdeckte Mondrian mit sehr großer Wahrscheinlichkeit durch die Vermittlung von Albert Jean Gorin, der zusammen mit Mondrian Mitglied von derselben wichtigen Künstlervereinigungen war und nicht nur treu zu Mondrians Prinzipien blieb, sondern diese, ähnlich wie Schöffer wesentlich später, auch in drei Dimensionen ausarbeitete. Er führte diagonale Linien und Kreise in diese Bildersprache ein und es sind Elemente, die Schöffer in der Folge auch verwendete. Sowohl Schöffer als auch Jean Gorin waren Mitglieder der 1951 von André Bloc gegründeten Groupe Espace, deren Zielsetzung war, die Prinzipien des Konstruktivismus und des Neoplastizismus in die Urbanistik und in den sozialen Raum einzuführen.


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Bild 20. (links) Albert Jean Gorin (1899–1981) im Jahr 1977 Bild 21. Albert Jean Gorin: Composition Spatio-Temporelle Multivisuelle No. 37, 1967

Der Kunsttheoretiker und Schöffers spätere Kunstkritiker Michel Seuphor und der Mahler Torres-Garcia gründeten 1929, in Reaktion auf die ständige Präsenz des Surrealismus, die Gruppe Cercle et Carré, die Künstler mit konstruktivistischen Tendenzen wie Mondrian, Kandinsky, Pevsner, Vantongerloo und Moholy-Nagy zusammenführte. Die Gruppe Cercle et Carré förderte die neuen Entwicklungen und Arbeiten auf dem Gebiet der Abstrakten Kunst und gab drei Ausgaben einer gleichnamigen Kunstzeitschrift heraus. Die kosmopolitische Künstlervereinigung bestand nur ein Jahr, aber organisierte eine nennenswerte Ausstellung, die 1930 in der Galerie 23 in der Pariser Rue La Boétie stattfand. Insgesamt nahmen 46 Künstler teil. Die Ausstellung gilt als die erste internationale Gruppenausstellung für Abstrakte Kunst. 19 Nach dem Ausscheiden von Seuphor gründete Vantongerloo am 15. Februar 1931 eine neue Gruppe mit dem Namen Abstraction Création, welche die meisten Mitglieder der Gruppe Cercle et Carré übernahm und die Ideen weiterführte, die von der Vorgänger Gruppe entwickelt worden waren. Abstraction Création war ein Forum in dem Vertreter der konkreten, konstruktivistischen und geometrischen Kunstrichtungen zusammentrafen. Sie organisierten Ausstellungen, Lesungen, Diskussionsrunden und leisteten sehr viel theoretische und methodische Vorarbeit für die ungegenständliche Kunst. Die Künstler beschäftigten sich 19

Vgl. Wikipedia: Cercle et Carré Teilnehmende Künstler waren unter anderem: Wassily Kandinsky, Piet Mondrian, Joaquín Torres García, Fernand Léger, Walter Gropius, Luigi Russolo, Antoine Pevsner, Georges Vantongerloo, Hans Arp, Kurt Schwitters, Le Corbusier, Willi Baumeister, Sophie Taeuber-Arp, Enrico Prampolini, Pierre Daura, Albert Jean Gorin, Alberto Sartoris, Michel Seuphor


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mit Farbstudien, bei denen physikalisch-optische Phänomene erforscht wurden, welche Auswirkungen auf das Sehvermögen des Betrachters haben. Dazu gehören zum Beispiel Flimmereffekte und raumplastisches Farbsehen. Die inhaltliche und öffentlichkeitswirksame Arbeit von Abstraction-Création und ihre Ausstellungen trugen erheblich zur Steigerung der gesellschaftlichen Anerkennung der abstrakten Kunst bei. Die Gruppe wuchs schnell und bestand bis 1937.20 Viele ehemalige Mitglieder der Gruppe nahmen erfolgreich an der Documenta I., II. und III. in Kassel teil. Im Jahr 1939, noch vor dem Zweiten Weltkrieg, organisierten der Kunsthändler und Sammler Frédo Sidès und der Kunstkritiker Yvanohé Rambosson gemeinsam eine Réalités Nouvelle betitelte Ausstellung in der Pariser Galerie Charpentier.21 Die Ausstellung präsentierte hauptsächlich Werke von Künstlern, die zur Gruppe Abstraction-Création gehörten. Die offizielle Gründung einer Künstlervereinigung, derer Name zum Titel dieser Ausstellung zurückgreift, erfolgte nur nach dem Krieg im Jahr 1946. Der Salon des Réalités Nouvelles löste 1946–1947 die Vereinigung Abstraction-Création als Form für abstrakte Tendenzen in der bildenden Kunst ab. Bei der Gründung wurde die von der Gruppe vertretene Kunstrichtung definitiv als Abstrakte, konstruktive, nicht figurative Kunst bestimmt. Fredo Sidès, der diese Entwicklung bestimmte, blieb Vorsitzender bis zu seinem Tod im Jahr 1953. Schöffer beteiligte sich nach dem Krieg in den Jahren 1948, 1949, 1950 und 1951 an den Ausstellungen des Salons und kam so mit vielen bedeutenden Künstlern der klassischen Avantgarde in Kontakt. 22 Wie es von einem erhalten gebliebenen Brief an die Kommission des Salons ersichtlich ist, war Schöffer später mit den Entwicklungen der Gruppe unzufrieden und erwartete mehr Tatkraft. „(…) Wenn sich das Komitee entscheidet, zu handeln, dann sehe ich andere Lösungen, die effektiver und konstruktiver sind. Ich wünsche, dass sich dieses Komitee verändert 20

Einige wichtige Mitglieder: Wassily Kandinsky*, František Kupka, Piet Mondrian*, Katherine Sophie Dreier, Auguste Herbin, Theo van Doesburg, Robert Delaunay, Alexandra Povòrina, Antoine Pevsner*, Georges Vantongerloo*, Hans Arp*, Theodor, Kurt Schwitters*, Josef Albers, Willi Baumeister*, Sophie Taeuber-Arp*, El Lissitzky, Naum Gabo, Wladyslaw Strzeminski, Ben Nicholson, István Beöthy, Alexander Calder, Katarzyna Kobro, Friedrich Vordemberge-Gildewart, Lucio Fontana, Kurt Seligmann, Barbara Hepworth, Jean Hélion, Leon Tutundijan, Max Bill, Théo Kerg, Taro Okamoto (mit * gekennzeichnet sind die Künstler, die schon bei der Vorgänger Gruppe dabei waren) 21

22

76 rue du Faubourg Saint-Honoré

Ausstellungsteilnehmer im Jahr 1939: Theo van Doesburg († 1931), Kasimir Malevitsch († 1935), Jean Arp, Robert und Sonia Delaunay, Marcel Duchamp, Auguste Herbin, Otto Freundlich, Naum Gabo, Wassily Kandinsky, František Kupka, El Lissitzky, Alberto Magnelli, Piet Mondrian, Antoine Pevsner, Kurt Schwitters, Georges Vantongerloo, Francis Picabia, César Domela, Jean Gorin, Jean Hélion und Jeanne Kosnick-Kloss.


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(...). Seine Aufgabe wäre es, einen bestimmten Aktionsplan, Propagandaplan und Aufbauplan für drei oder fünf Jahre zu entwickeln. (...) Ich bin überzeugt, dass die Ära der Staffelmalerei vorbei ist, und dass die aktuelle Krise ihre Ursachen in den mangelnden praktischen Anwendungen von abstrakten Werken hat. Obwohl, in der modernen Welt gibt es mehrere Möglichkeiten, die nicht ausgenutzt werden. Flughäfen, Bahnhöfe, Krankenhäuser, Fabriken und andere öffentliche Gebäude brauchen Dekoration aller Art von einem kühnen, neuen und dynamischen Konzept.“ [Nicolas Schöffer]23

Schöffer äußerte sich mehrmals über die Bedeutung dieser kunsthistorischen Vorläufer und anerkannte die vielen Berührungspunkte mit seinen eigenen Ideen. Er deklarierte: „Ich kann das Konzept meiner Recherche nicht als beispiellos betrachten. “24 [Schöffer] „Natürlich erkenne ich den Beitrag dieser Vorläufer. (...) Aber meiner Meinung nach, die großen Verantwortlichen des Bruchs bleiben Duchamp, Mondrian, Dada, die Surrealisten und Breton. Sie haben alles zerschlagen, was ein traditionelles, klassisches oder Bourgeois Konzept in der Kunst war und die Beziehung zwischen Kunst und Gesellschaft schlagartig geändert.“25 [Schöffer] Im weiteren Verlauf dieser Diplomarbeit werde ich die Berührungspunkte zwischen Schöffers Oeuvre und dem Gedankengut der klassischen Avantgarde erörtern, aber ich erwähne hier schon skizzenhaft einige wichtige Punkte. Der radikale Neuanfang im Laufe der Karriere, das Bestreben auf eine Einigung von Kunst und Leben, die zukunftsorientierte, kritische Haltung gegenüber bestehenden Verhältnisse im Politik, Gesellschaft und Kunstmarkt sind klare Berührungspunkte. Die Architektur und Stadtplanung wird sowohl von

23

„ (...) Si le comité est décidé d'agir, je vois d'autres solutions plus efficaces, plus constructives. Je souhaiterais que notre comité se transforme (...). Son rôle serait d'élaborer un plan précis, de trois ou cinq ans, d'action, de propagande et de construction. (...) Je suis convaincu que l'ère du tableau de chevalet est passée, et que la crise actuelle à ses causes par le manque d'applications pratiques des œuvres abstraites. Pourtant dans le monde moderne, il y ’ a des occasions multiples qui ne sont pas exploitées. Des aérodromes, des gares, des hôpitaux, des usines, et d'autres édifices publics auraient besoin de décoration de toutes sortes, d'une conception hardie, nouvelle et dynamique “[Nicolas Schöffer, Brieffragment aufbewahrt im Schöffer Atelier, Villa des Arts Paris, und zitiert in dem Schrift Maude Ligier: La rupture dans l’œuvre du Nicolas Schöffer, Seite 27]

24

„Je ne peux pas considérer mes recherches comme étant inédites sur le plan conceptuel“. [Sers Philippe, Entretiens avec Nicolas Schöffer, éditions Pierre Belfond, Paris, 1971, p. 21.]

25

„Bien entendu je reconnais l'apport de ses précurseurs. (...) Cependant, à mon avis les grands responsables de la rupture restent Duchamp, Mondrian, Dada, les Surréalistes, Breton. Ils ont porté un coup considérable à tout ce qui était tradition, concept classique où bourgeois de l'art, rapport entre art et société, (...) “ [Nicolas Schöffer, in Sers Philippe, Entretiens avec Nicolas Schôffer, éditions Pierre Belfond, Paris, 1971, p. 25.]


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der klassischen Avantgarde als auch von Schöffer als Vollendung und Mutter aller Künste betrachtet. Schöffer lehnt ebenfalls die Figur des Boheme-Künstlers ab und bevorzugt die im Team streng wissenschaftlich arbeitende Künstlerfigur. „Die Ära der verrückten, alkoholisierten, mehr oder weniger vagabundierenden Künstlerfigur, die in ständigem Konflikt mit seiner Umgebung und mit der Gesellschaft steht,

[ist vorbei](...)

Im Gegenteil: Die neue Künstlerfigur kann nicht

ignorieren was um sie herum passiert. Sie interessiert sich direkt für alle wichtigen Fakten in den verschiedenen Bereichen.“[Schöffer]26 Die Türme von Suchov und Tatlin könnten mit den Türmen von Schöffer verglichen werden. Auf ähnliche Weise könnte man die Leistungen von Moholy-Nagy und Kepes mit Schöffers Anwendung des Lichtes als künstlerisches Medium vergleichen. Man kann auch den Einfluss des Suprematismus bei den letzten Bildern der ersten Schaffensperiode und des Neoplastizismus bei den spatiodynamischen Skulpturen erkennen. Um die Kontinuität der Entwicklungen im Bereich der abstrakten, konstruktiven und nicht figurativen Kunst in Paris aufzuzeigen, die vom Cercle et Carré über Abstraction Création zum Salon des Réalités Nouvelles führte, musste ich in diesem Absatz kurz in die Zeit bis zum Anfang der 50er Jahre vorgreifen. Ich finde es wichtig, klar zu stellen, wie sich Schöffers Gesamtwerk in diese Kontinuität einfügt. Jetzt kehre ich zur Zeitspanne zurück, als Schöffer in Paris ankam. In den 30er Jahren war die geflohene internationale Avantgarde in Paris aktiv und gestaltete die Zukunft, aber diese Szene wurde vor dem Krieg von Schöffer nicht wahrgenommen. Er beschäftigte sich mit einem eher klassischen Studium. Er entdeckte das Oeuvre der betroffenen Künstler erst nach dem Zweiten Weltkrieg, als viele von ihnen Paris schon verlassen hatten. Die Künstler des Salons Réalités Nouvelles, sowie zum Beispiel Albert Jean Gorin, inspirierten Schöffer zu zahlreichen neuen Ideen. Viele gehörten später zum Kreis der Galerie Denis Rene, dem sich 1958 auch Schöffer anschloss.

26

„L'ère de l'artiste fou, alcoolique, plus ou moins clochard, en constant conflit avec son entourage et avec la société (...) Au contraire : L'artiste nouveau ne peut ne doit pas ignorer ce qui se passe autour de lui; il est en effet directement intéressé par tous les faits significatifs dans les divers domaines“ [Arts at sciences, in Le nouvel esprit artistique, édition Denöel-Gonthier, Paris, 1970, p. 108.]


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3.6. Das Studium in Paris Nach seiner Ankunft in Paris studierte Schöffer im von Atelier Fernand Sabatté an der École Nationale Supérieure des Beaux-Arts. Er beteiligte sich 1937 an dem Salon d’Automne und 1938 an dem Salon des Indépendants.

Bild 22. Salon d’Automne 1937, Paris, Plakat und Katalog der Ausstellung, Quelle: Salon d’automne Homepage

3.7. Ein weiterer wichtiger Einfluss: die Weltausstellung 1937 Das Jahr 1937 hatte eine besondere Bedeutung für Schöffers Laufbahn. Der Besuch der Weltausstellung (Exposition internationale Arts et Techniques dans la Vie moderne), die in diesem Jahr in Paris stattfand, weckte Schöffers Interesse an der wissenschaftlichen Forschung und an den technischen Erneuerungen. Die große Attraktion der internationalen Ausstellung, der Palast der Entdeckungen im Westflügel des Grand Palais, wurde vom Physiker und Nobelpreisträger Jean Perrin und dem Biologen und Schriftsteller Jean Rostand gegründet. Im Vergleich zu anderen großen Wissenschaftsmuseen in Europa, wie dem Deutschen Museum in München und dem Science Museum in London, lag hier der Schwerpunkt in den Naturwissenschaften

Physik, Mathematik, Chemie, Biologie,

Geowissenschaften, Astronomie und Astrophysik. Schöffer, begeistert von seinem Besuch und seinen Erfahrungen, begann sich zu informieren, und über die aktuellen wissenschaftlichen und technischen Entwicklungen zu lesen. Dank diesem Interesse stieß er etwas mehr als ein Jahrzehnt später auf das Buch von Norbert Wiener, das seine Laufbahn verändern sollte.


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Bild 23.: Lageplan der Weltausstellung 1937 (Exposition internationale Arts et Techniques dans la Vie moderne), Quelle : Wikiwand

3.8. Kriegsjahre und Wiederaufbau 1940, während des Zweiten Weltkrieges, zog sich die französische Regierung vor den nach Paris anrückenden deutschen Truppen über Tours nach Bordeaux zurück. Tausende Einwohner flüchteten aus Paris. Am 14. Juni 1940 zogen Wehrmachtsverbände kampflos in das menschenleer wirkende Paris ein. Schöffer flüchtete nach Süd-Frankreich und verbrachte die Zeit bis seine Rückkehr nach der Befreiung von Paris in der Gegend von Aveyron. Er lernte während dieser Periode seine erste Frau, Marie Rose Marguerite Orlhac kennen. Er heiratete sie am 22. Februar 1945 in Capdenac. Nach dem Krieg kehrte Schöffer nach Paris zurück. Er wohnte mit seiner ersten Frau im Haus 12 in der rue de Paris in Clichy. Marie Rose Marguerite Orlhac beschäftigte sich mit Antiquitäten. Ihre erste Firma Comptoir Artistique de Paris wurde am 12. Oktober 1946 gegründet. Ihre Antiquitäten Geschäft wurde in der Folge erfolgreich und bekannt, so sicherte sie ihnen einen gewissen finanziellen Freiraum. Der Anfang nach dem Krieg war trotzdem schwierig, und Schöffer arbeitete für den Lebensunterhalt der Familie 1947—48 fünf Monaten lang in der Firma Urika Poupée d’Art, welche künstlerisch gestaltete Puppen verkaufte. Schöffer experimentierte zwischen 1945 und 1949 mit Malerei und Grafik, bis er das schon erwähnte Buch Cybernetics or Control and Communication in the Animal and the Machine von Norbert Wiener und damit die Prinzipien der Kybernetik kennenlernte und seinen neuen Weg fand, der ihn über Skulptur, Architektur und Urbanistik bis zur Formulierung seiner Vorstellungen bezüglich der kybernetischen Stadt der Zukunft führte.


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Bild 24. Poster der Firma Urika Poupées d‘Art

Der künstlerische Durchbruch gelang ihm in den 50er Jahren. Das Gedankengut seiner aktivsten Jahre bis 1986 ist von dem Geist der entsprechenden Ära nicht zu trennen. Fasziniert von der Welt, in der er lebte, und sensibel für alle Probleme und Bedürfnisse unserer Gesellschaft und Zivilisation, war er fest davon überzeugt, dass in allen Bereichen der menschlichen Tätigkeit, auf allen Ebenen der Gestaltung und Umsetzung, nur die Kunst als „Voraussetzung“ in der Lage ist, die Menschheit durch jene radikalen Transformationen zu führen, welche die wissenschaftlichen Entdeckungen und der materielle Fortschritt auslösen.

3.9. Die 60er Jahre Im Jahr 1945 endete der Zweite Weltkrieg, aber die noch nie zuvor gesehene Zerstörung und vor allem der schreckliche Atomschlag gegen Hiroshima und Nagasaki haben die Welt traumatisiert und gelähmt. Jeder

Krieg

bringt

erhöhte

Anstrengungen

auf

strategisch

wichtigen

Forschungsgebieten mit sich. Die Angst konnte nach dem Krieg noch lange nicht überwunden werden. Die konkurrierenden Großmächte führten nach dem Ende des Krieges den Wettkampf weiter. Jeder wollte sich die Möglichkeit eines ersten atomaren Schlages sichern. Die Sehnsucht der Menschen nach Normalität bewirkte doch Wunder. Die Wissenschaftler erholten sich zuerst. Die Menschheit sah in den 60er Jahren die Sicherung der Zukunft in den Händen der Wissenschaftler und dementsprechend genossen sie so hohes Ansehen und so hohe Freiheit wie nie zuvor. Es bildeten sich interdisziplinäre Gruppen, an


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denen nicht nur Wissenschaftler, sondern auch Techniker und Künstler beteiligt waren. Es war in diesem Sinne ein Höhepunkt der Entwicklungsbahn der Menschheit. Der Glaube an die Leistungsfähigkeit des menschlichen Geistes war enorm groß. Es ist nicht zu leugnen, dass die zweite Hälfte des 20. Jahrhunderts grundlegende Umwälzungen auf allen Gebieten des Lebens mitbrachte. Viele der gesellschaftlichen, sozialen, politischen, wirtschaftlichen, wissenschaftlichen oder technischen Veränderungen gehen auf die 60er Jahre zurück. Es ist kein Zufall, dass das Adjektiv legendär an diesem Jahrzehnt haftet. Diese Zeitspanne kann mit dem Höhepunkt des Optimismus einerseits, aber auch mit dem Höhepunkt der Spannung und mit der bestehenden Gefahr einer Eskalation gleichgesetzt werden. Die Ergebnisse der militärischen Forschungen begannen langsam in die zivile Sphäre hineinzufließen. Sprunghafte Entwicklungen gab es auf den Gebieten von Kommunikation und Verkehr. Ein Traum der Menschheit wurde Wirklichkeit. Am 12. April 1961 absolvierte Jurij Gagarin mit dem Raumschiff Wostok1 seinen spektakulären Raumflug und umrundete dabei in 108 Minuten einmal die Erde. Am 21. Juli 1969 um 2:56:20 Uhr (UTC) betraten Neil Armstrong gefolgt von Edwin Aldrin als erste Menschen die Mondoberfläche. Die Euphorie war unbeschreiblich. Es wurde damals als ein Sieg über das Weltall gesehen. Der Optimismus durchdrang die Menschheit. Trotz des sehr ernsthaften Konfliktes der Kuba-Krise im Jahr 1962 begann sich die Welt einigermaßen von dem Trauma des Zweiten Weltkrieges zu erholen.

Bild 25. Juri Gagarin - der erste Mensch im All, Foto: Blanche Shone/laif Bild 26. Edwin Aldrin auf der Mondfläche fotografiert von Neil Armstrong, Quelle: NASA


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Bewegungen für Frieden und Menschenrechte begannen den Weg in Richtung einer besseren Zukunft zu bahnen. Der Glaube an Fortschritt wurde immer stärker. Science Fiktion als literarische Gattung kam in Mode. Die menschliche Fantasie versuchte die Zukunft zu ergründen. Obwohl die Bewegungen der ausgehenden 60er Jahre ziemlich unterschiedlich waren, wurden die Aufstände nicht zu dem Zweck materieller Vorteile geführt. Unter dem Schlagwort der 68er-Bewegung werden die folgenden meist linksgerichteten Studenten- und Bürgerrechtsbewegungen zusammengefasst, die mehr oder weniger zeitlich parallel seit Mitte der 60er Jahre stattfanden: - Friedensbewegung: Proteste gegen den laufenden Vietnamkrieg - Jugendbewegung: Kampf gegen Autorität insbesondere in Bildung und Erziehung - Kampf für die Gleichstellung von Minderheiten - Sexuelle Revolution: Propaganda für mehr sexuelle Freiheiten - Schwulenbewegung für die Anerkennung von gleichgeschlechtlichen Paaren - Flower power und Hippie-Bewegung - Prager Frühling - Black Power - Free speech movement etc. Schöffers Zukunftsvisionen waren eine Interpolation dieser laufenden Bewegungen. Was er nicht voraussehen konnte, ist der Fakt, dass gerade die gewonnene erste Phase der Revolution, nämlich die Einführung der Konsumgesellschaft, eine turbokapitalistische Phase erreichen und letztendlich riesige Massen in ein noch größeres Elend treiben wird. Das Ausmaß der Frustration, die heute riesige Massen erleben, konnte nicht erahnt werden. Kaum jemand hat das Populationswachstum der kommenden Jahrzehnte erahnt. Niemand hat sich Gedanken über die Verschwendung von Ressourcen und Energie oder über die Umweltverschmutzung gemacht. Die ersten Anzeichen einer negativen Entwicklung waren ab dem Anfang der 70er Jahre zu sehen und die Probleme haben sich dann während der ersten und zweiten Ölkrise langsam herauskristallisiert. Nicolas Schöffer bewertete in seinem Buch Die kybernetische Stadt die Bewegungen der ausgehenden 60er Jahre als eine zweite Phase des revolutionären Prozesses. Die erste Phase begann nach seiner Auffassung 1789 in Paris als eine Revolution der Quantität für die Quantität. Die unterdrückten Massen wurden plötzlich ihrer Quantität bewusst und der Macht, die sie darstellte. Sie forderten für sich die Quantität an materiellen Gütern. Als sich die Waage zu ihren Gunsten neigte, führten sie den Weg in die Richtung der Konsumgesellschaft.


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Die zweite Phase wäre der Kampf der Quantität für die Qualität. Als jene Stufe erreicht ist, auf der ein Überfluss an materiellen Gütern ein Leben ohne grundlegende Not ermöglicht, wird der Kampf für andere Dinge geführt: um kulturelle und ästhetische Güter, um Qualität des intellektuellen Niveaus. Nikolas Schöffers künstlerische Tätigkeit fügte sich in diese zweite Phase des revolutionären Prozesses ein. Als linksorientierter Denker identifizierte er sich mit den oben genannten Bewegungen und kämpfte für eine Zukunft, in der ästhetische und intellektuelle Güter für die breiten Massen zugänglich sind. Die wissenschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklungen lösten in den 60er Jahren einen zukunftsorientierten Optimismus aus, der sich auch in der literarischen Gattung der Science-Fiction widerspiegelte, die zu dieser Zeit in Mode kam. Millionen waren von Stanislaw Lems überbordendem Ideenreichtum begeistert. Es waren aber nicht nur die Schriftsteller, die ihrer Fantasie freien Lauf ließen. Experimentelle Architektengruppen beschäftigten sich mit urbanen Visionen. Um nur einige Beispiele zu nennen: Constant Anton Nieuwenhuys entwickelte zwischen 1959 und 1969 als Gegensatz zur utilitaristischen Gesellschaft das utopische Projekt New Babylon, den Entwurf einer Infrastruktur für eine postindustrielle Gesellschaft eines neo-nomadischen homines ludentes. Das Projekt Walking City entstand 1964 als Vision der britischen Archigram Architektengruppe. Im Spiegel des Zeitgeistes wird auch die übliche Kritik an den utopischen Zügen von Schöffers Überlegungen schwächer und seine zügellose Fantasie verständlich.

3.10. Anerkennungen Während seiner Laufbahn erreichte Schöffer viele der Ziele, von denen jeder Künstler träumt. Zahlreiche persönliche Ausstellungen wurden ihm in renommierten Institutionen gewidmet. Er war Teilnehmer der Documenta II (1959) und der Documenta III (1964) in Kassel. Er nahm 1968 an der Biennale in Venedig Teil und wurde mit dem Grand Preis ausgezeichnet. Ihm wurde sowohl internationale Präsenz in den Medien als auch institutionelle Anerkennung zuteil. Mehr als 2500 Artikeln erschienen, die seine künstlerische Tätigkeit in der internationalen Presse priesen. Im Jahr 1982 wurde er, als Anerkennung seines reichen Schaffens, zum Mitglied der Französischen Akademie der schönen Künste gewählt. Er wurde 1983 in den Rang eines Offiziers in der Légion d’Honneur befördert. Er wurde 1985 in den Rang eines Offiziers in der Ordre des Arts et Lettres befördert. Die Verleihung des Grades eines Kommandeurs in der Ordre National du Mérite folgte in der Reihe der Auszeichnungen im Jahr 1990.


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3.11. Die späten Jahre Im Jahr 1986 erlitt der Künstler eine Gehirnblutung und konnte sich nicht mehr erholen. Während der letzten sieben Jahre seines Lebens war er auf dem Rollstuhl gewiesen. Er konnte noch zwei große Projekte beenden, aber diese Periode seines Lebens war von der Krankheit geprägt. Er starb im Jahr 1992. Dank der Tätigkeit von Eléonore de Lavandeyra Schöffer, der Witwe des Künstlers, wurden die Kunstwerke jahrzehntelang im ursprünglichen Atelier aufbewahrt und Schöffers geistige Hinterlassenschaft gepflegt. Die Reihe der wichtigen Ausstellungen bricht nicht ab, das Programm wird sogar von Jahr zu Jahr dichter. Eléonore de Lavandeyra Schöffer strengt sich an, den Schicksal der Sammlung in einer musealen Umgebung zu sichern. Es ist ihr Wunsch, dass die Sammlung zusammengehalten bleibt und dem Publikum zugänglich gemacht wird. Schöffer wird heute als einer der wichtigsten Künstler der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts geehrt. Die Archive des Ateliers und des Museums in Kalocsa beherbergen viel Material, das von Kunsthistorikern bisher noch nicht bearbeitet wurde. Abschnitte der künstlerischen Laufbahn zeichnen sich ab, aber die Einteilung wird durch die Analyse dieses Materials sicherlich noch verfeinert.


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4. Abschnitte der künstlerischen Laufbahn Schöffers künstlerische Laufbahn lässt sich durch zwei klare Wendepunkte in drei große Perioden teilen, die sich noch weiter unterteilen lassen. Er experimentierte und suchte systematisch seine eigene künstlerische Position während des ersten Abschnittes seiner Karriere. Es war ein langer Denkprozess, während dessen er versuchte, seine künstlerische Identität, wie ein Porträt aus Mosaiksteinen, zu definieren. Er setzte die wesentlichen Gedanken seines künstlerischen Credos zusammen. Die Suche des eigenen Weges ist eine natürliche und fast unentbehrliche Phase am Anfang einer künstlerischen Laufbahn. Jeder Künstler durchläuft diesen Abschnitt, welcher bei manchen kurz, bei anderen lang dauert. Es gibt aber kaum einen anderen Künstler, der diese Phase so abrupt, so klar und mit einem derartigen Bruch mit der eigenen vorangegangenen Produktion abschließt. Die vollständige Umwälzung seiner künstlerischen Grundprinzipien setzte den ersten großen Meilenstein gegen Ende des Jahres 1948, als er den letzten Mosaikstein, den er brauchte, nämlich die Kybernetik fand. Die aktivste Periode der künstlerischen Laufbahn begann mit dem rupture, wie Schöffer selbst diesen Wendepunkt nannte. Die meisten kunsthistorischen Texte beschäftigen sich fast ausschließlich mit dieser Periode, die zwei grafischen Perioden werden meist nur beiläufig gestreift. Die zweite Zäsur wurde von einem plötzlichen Schlag des Schicksals eingeführt. Nach einer Gehirnblutung blieb die rechte Körperseite des Künstlers gelähmt. Er war während der letzten sieben Jahre seines Lebens an den Rollstuhl gebunden. Wegen des verschlechterten Gesundheitszustandes war er nicht mehr in der Lage, große Projekte alleine abzuwickeln. Es wurden zwar zwei schon angefangene Projekte beendet, aber es entstanden keine neuen Kunstwerke auf städtischen Maßstab mehr. Während dieser letzten Periode entstanden grafische Arbeiten, die er mit der linken Hand oder mit dem Computer ausführte. Es war dies keine Rückkehr zum Gedankengut der ersten Periode, die auch durch grafische und malerische Arbeiten kennzeichnet ist, sondern eher eine Synthese der gesamten Laufbahn. Es musste ein schmerzlicher Denkprozess gewesen sein, in dem er trotz der körperlichen Behinderung sein geistiges Bedürfnis für Kreativität mit großer Seelenkraft befriedigte, und sich rückblickend nochmal auf seine Grundprinzipien konzentrierte.


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4.1. Die erste Periode — Grafik, Malerei, Zeichnungshefte Schöffer beschäftigte sich am Anfang seiner Karriere mit Malerei und Grafik. Er begann sehr früh regelmäßig zu zeichnen und wurde schon während seinen Kinderjahren in Kalocsa unterrichtet. Die Werke dieser frühen Jahre sind verschwunden. Weder die Zeichnungen der Kinderjahre, noch die Werke, die während des Studiums an der Akademie der bildenden Künste in Budapest entstanden, wurden aufbewahrt. Schöffer hinterließ, mit Ausnahme von den schon erwähnten zwei Bildern, alles im Elternhaus in Ungarn, als er 1936 nach Paris übersiedelte. Die Mutter wurde während des Zweiten Weltkrieges deportiert und sie hatte keine Möglichkeit, ihre Habseligkeiten in Sicherheit zu bringen. Sie hat zwar den Krieg überlebt, aber fremde Leute besetzten das Haus. Die Zeichnungen und Gemälde sind verschwunden. Sie wurden wahrscheinlich zerstreut und vernichtet. Trotz der Turbulenz der Kriegsjahre sind einige Fotos geblieben, die Schöffer in Kalocsa zeigen, als er malt. Diese Fotos erwähnt die Witwe des Künstlers in ihrer Erzählung: „Einige Fotos zeigen ihn auf der Straße auf einem niedrigen Hocker vor seiner Leinwand sitzend, als er einen hohen Mann mit bunten Farben malt. Auf anderen Fotos erscheint seine Großmutter als Model, neben dem Porträt, das ihr bewundernswert ähnelt."27[Eléonore de Lavandeyra Schöffer] Die Werke, die in Paris zwischen 1936 und 1940 entstanden, sind ebenfalls verschollen. Schöffer teilte gewiss das Schicksal der zahlreichen ungarischen Künstler, die in den 30er Jahren nach Paris übersiedelten und in den ersten Jahren den Launen des Schicksals ausgesetzt waren, bis sie Fuß fassten und eine gewisse finanzielle Sicherheit schaffen konnten. Er wohnte zuerst in einem Hotel in der Rue de l'Abbé de l'Epée. Das Atelier am Quai Voltaire, wo er ab 1937 wohnte, war seine zweite Adresse in Paris. Er wohnte vor seiner Flucht von Paris nach Süd-Frankreich auf Grund der deutschen Besetzung in demselben Haus am Quai Voltaire wie der ungarische Komponist Joseph Kozma, Autor des populären Chansons Les feuilles mort. Weshalb die Werke dieser Periode verschollen sind, darüber gibt Schöffers eigene Erzählung den Hinweis.

27

„Quelques photos le montrent dans la rue, assis sur un tabouret bas, devant sa toile et peignant un personnage haut en couleurs. Sa grand-mère pose aussi sur quelques photos, à côté de son portrait sculpté, admirablement ressemblant. " [Eleonore de Lavandeyra Schöffer : L’œuvre peint et dessine de Nicolas Schöffer, Nicolas Schöffer Archiv homepage, www.olats.org, Stand : 31. August 2017, 12:00 Uhr]


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„Nein, alles wurde verloren, was vor dem Krieg entstand, als ich das Haus Voltaire verließ, in dem ich wohnte, um nach Auvergne zu fliehen ... Oben wohnte Joseph Kozma. Er ließ mich seine neuesten Melodien hören und ich zeigte ihm meine Zeichnungen. Von dieser Zeit ist alles verloren. " 28 [Schöffer] Die zuverlässigsten Quellen für diese Periode sind Schöffers eigene Erzählungen. Obwohl keine Werke erhalten geblieben sind, lässt er in groben Zügen wissen, womit er sich beschäftigte. Er teilte seine Zeit zwischen der Entdeckung der neuen Umgebung und dem Kunststudium auf. Im ersten Jahr musste er auch die französische Sprache erlernen. Er begann sein Studium an der Academy des Beaux Arts im darauf folgenden Jahr. Er hatte zu dieser Zeit keinen Kontakt zu dem Kreis der Avantgarde Künstler, er interessierte sich für die klassische Kunstszene. Paris bedeutete für ihn trotzdem eine neue und freie Welt. „Das Gefühl der Freiheit, das ich in Paris empfand, füllte mein Herz mit einer Art von Glück, dass ich vorher nie erlebt hatte. Bis 1939 war ich buchstäblich betrunken von der Freude, frei zu sein, umgeben von all der Schönheit, die Paris anbot. Ich begann mich an dieses neue Klima, an diese andere Umgebung und andere Atmosphäre, und auch an diese andere Sprache anzupassen, die ich vorher nicht sprechen konnte. Von Schritt zu Schritt versuchte ich mich in diesem Milieu zu integrieren, die Gewohnheiten anzueignen, die ich so andersartig und gleichzeitig wunderbar fand. Paris war für mich ähnlich wie das Paradies für einen Christen. Fast ein Jahr lang tat ich nichts anderes als zu Fuß durch die Stadt zu wandern. Ich habe ganz Paris zu Fuß entdeckt, ich wanderte und bewunderte. Ich war glücklich ...“29 [Schöffer] Er studierte an der Academy des Beaux Art im Atelier Sabatté. Das klassische Kunststudium an der Akademie mit den üblichen Aufgaben begeisterte ihn weniger. Er interessierte sich eher für den Schaffensprozess selbst und wollte wissen, wie ein künstlerisches Konzept entsteht und realisiert wird. Er verbrachte viel Zeit im Louvre, um die Werke und vor Allem die Arbeitsweise und Methodologie alter Meister kennenzulernen.

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„Non, d'avant la guerre tout a été perdu quand je suis parti de la maison de Voltaire où j'habitai, pour me réfugier en Auvergne… Au-dessus de chez moi, il y avait Joseph Kozma. Il me faisait entendre ses derniers airs et je lui montrais mes dessins. De cette époque tout a été perdu." [Schöffer, Leonardo Archiv Homepage, www.olats.org, Stand 31. August 2017] 29

„ (...) la sensation de liberté, ressentie à Paris m'a procuré une forme de bonheur que je n'ai jamais éprouvé depuis. Jusqu'en 1939, j'ai été littéralement saoulé par ma joie d'être libre, entouré par toutes les beautés que Paris offrait. J'ai commencé à m'adapter, à cet autre climat, à cet autre environnement, à cette autre atmosphère, aussi à cette autre langue que je ne parlais pas encore. Et petit à petit j'ai essayé de m'intégrer au milieu, aux coutumes, différents mais merveilleux pour moi. Paris, c'était pour moi un peu comme le paradis pour un chrétien. Pratiquement pendant un an je n'ai fait que de marcher à pied, j'ai fait tout Paris à pied, j'ai marché, j'ai regardé. J'étais heureux… “ [Schöffer, Ferrier Jean Louis, Entretien avec Nicolas Schöffer, nicht veröffentlicht, 1974 Seite. 98.]


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„Ich war auf der Suche nach dem Material (...). Ich verbrachte fast ein Jahr im Louvre, wo ich vor allem die Techniken der alten Meister studierte, nicht um sie zu kopieren, sondern um zu verstehen, wie sie ihre Werke entwickelt haben.“30 [Schöffer] Die deutsche Besetzung von Paris zwang Schöffer, aus der Stadt nach Süd-Frankreich zu fliehen. Die Kriegsjahre brachten auch finanzielle Schwierigkeiten mit sich. Jeder kämpfte um das Überleben. Leinwand, Pigmente und Ölfarben waren knapp. Aus dieser Periode sind Zeichnungsblöcke und karierte Hefte mit Aufzeichnungen und Grafiken erhalten geblieben. Schöffer skizzierte und fasste seine Ideen auch schriftlich zusammen. Diese wurden später gemalt oder gezeichnet, aber die chronologischen Zusammenhänge sind unklar, weil kaum dokumentiert. Schöffer musste sich mit dürftigen Mitteln begnügen. Er zeichnete mit Bleistift, Kohle und Tinte auf Leinwand oder Ölmalpapier. Die Umstände vereitelten die volle Entfaltung seiner kreativen Energien. Auf Grund der unterdrückten Kreativität baute sich ein innerer psychischer Drang auf, die künstlerischen Ideen bei der ersten Gelegenheit nach dem Krieg möglichst schnell auszuleben. Darin liegt die wahre Bedeutung der Kriegsjahre, das dieser Drang Schöffer dazu veranlasste, eine schnelle Schaffensmethode zu suchen, die mit der Geschwindigkeit seines Gehirns schritthalten konnte. Er arbeitete zwischen 1945 und 1949, nach seiner Rückkehr nach Paris, einen großen Teil seiner skizzierten Ideen aus. Parallel entstanden auch neue Ideen, die er auch ausführen wollte. Er klagte oft, dass seine Hände nicht schnell genug waren um die Ideen seiner Fantasie zu verwirklichen. Er suchte eine schnelle kreative Methode. Letztendlich lieferte die Kybernetik während der zweiten Schaffensperiode die wahre Lösung auf dieses Problem. Schöffer hatte nur den Algorithmus aufzustellen, die Parameter und die kreativen Schritte zu bestimmen, um eine sich nie wiederholenden Reichtum an visuellen Erfahrungen zu produzieren. Die Kybernetik war die endgültige Lösung, aber dazu gelang er erst durch frühere experimentelle Schritte. Er versuchte zuerst den Schaffensprozess zu mechanisieren, in dem er bei seinen Grafiken einen Pendel und später eine Pistole einsetzte. Auffallend ist die stilistische Vielfalt, welche die erste Schaffensperiode kennzeichnet. Diese kommt von dem Wunsch, verschiedene Techniken und Themen auszuprobieren. Schöffer experimentierte und suchte den eigenen Weg. Die Kategorisierung der Werke ist schwierig. Eine chronologische Methode liefert kein ausreichendes Ergebnis, weil die Werke sporadisch datiert wurden und sich die verschiedenen Phasen überlappen. Einen gewissen 30

„J'étais á la recherche de la matière (...).J'ai passé pratiquement un an au Louvre, où j'ai étudié surtout les techniques des anciens, pas pour les refaire mais pour voir comment ils ont élaboré leur œuvre. “[Nicolas Schöffer, zitiert in Ligier Maude: La rupture dans l’œuvre du Nicolas Schöffer, Seite 39.]


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Leitfaden zur chronologischen Reihenfolge liefern die diversen Signaturen und die Dokumentation der Ausstellungen. Die Werke lassen sich thematisch besser in Kategorien einteilen. Es ist auch möglich eine Unterteilung entsprechend der Technik vorzunehmen. Die Kunsthistoriker unterscheiden figurative, abstrakte und spatiodynamische Grafiken der ersten Periode, die im Allgemeinen in zirka fünfzehn thematischen Kategorien unterteilt werden können. Die Reihenfolge der genannten Hauptkategorien spiegelt eine künstlerische Entwicklungslinie vom figurativen zur abstrakten Produktion und weg von der Fläche hin zum Raum wider. Die Entstehungszeit der zu diesen Kategorien gehörenden Werke entspricht nur

in

groben

Zügen

dieser

Entwicklungslinie.

Es

gibt

Überlappungen

der

Entwicklungsphasen und manchmal werden später ausgearbeitete Ideen vorweggenommen. Es kommen zum Beispiel einige abstrakte Arbeiten schon während der Kriegsjahre in den Zeichnungsblöcken und Zeichnungsheften vor.

4.1.1. Figurative Periode Cézanne Pastelle, Klassische Arbeiten, Türkische Arbeiten, Gesichter, Surrealistische Arbeiten, Witzige Cartoons (selten) Die Themenwahl der figurativen Werke bietet einige Überraschungen. Die geringe Breite des Spektrums lässt die Bilder dieser Periode in einige gut umschriebene Kategorien teilen. Kathedrale, Jesus Darstellungen, Gesichter, türkisch anmutende Akt Szenen und Männerporträts, charakteristischen

surrealistische Merkmalen

Wesen

mit

dargestellten

Doppelgesicht, Tiere,

diverse

etliche Stillleben

nur

mit

und

den

seltene

humoristischen Zeichnungen sind im Repertoire zu finden, welches noch von einer speziellen Werkgruppe der Pastellzeichnungen ergänzt wird. Die letztere Serie wurde mit den Pastellkreiden von Cézanne gezeichnet. Nicolas Schöffer entdeckte Cézanne und Van Gogh noch vor dem Zweiten Weltkrieg in Auvers-sur-Oise durch die Sammlung von Doktor Paul Gachet. Gachet studierte Medizin und spezialisierte sich für Nervenkrankheiten. Er behandelte viele Künstler, unter anderem Cézanne, Corot, Daumier, Dupré, Geoffroy, Guillaumin, Manet, Oudinot, Pissaro, Renoir und Vincent van Gogh. Er war auch ein begeisterter Maler und Kunstsammler. Sein Haus wurde durch zahlreiche befreundete Künstler besucht. Schöffer konnte ihn persönlich nicht kennenlernen, weil er 1909 starb, aber er wurde in diese Kreise durch den Sohn und durch seine Bekanntschaft mit Emile Bernard eingeführt, mit der beide befreundet waren. Emile Bernard führte eine intensive Korrespondenz mit Vincent van Gogh, Paul Gauguin und Paul Cézanne und seine Schriften zählen zu den kunstgeschichtlichen Hauptquellen des


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ausgehenden 19. Jahrhunderts. Schöffer konnte dank dieser Umstände die Pastellkreiden von Cézanne im Haus von Doktor Gachet kaufen. In der Folge entstand die oben erwähnte Serie von Pastellzeichnungen.

Bild 27. Nicolas Schöffer: Stillleben aus der Serie ‚Cézanne Pastelle‘, Quelle: Observatoire Leonardo des Arts et des Techno-Sciences Nicolas Schöffer Archive Homepage Bild 28. Paul Cézanne: Äpfel und Orangen, um 1899, Öl auf Leinwand, H. 74; B. 93 cm, Paris, Musée d'Orsay

Die Darstellungen von Kathedralen gehören zu den früheren Werken dieser figurativen Periode und sind mit hoher Wahrscheinlichkeit noch während des Krieges in Auvergne entstanden. Was könnte die künstlerische Absicht sein? Die Bilder zeigen Kathedralen in Frontansicht und sind jenen Gemälden von Claude Monet gespenstisch ähnlich, die die Kathedrale von Rouen in verschiedenen Jahreszeiten und Tageszeiten darstellen. Es legt den Gedanken nahe, dass Schöffer diese Bilder als Fingerübung und als Teil des Lernprozesses betrachtete. Es ist möglich, dass er von dem großen Meister des Impressionismus erlernen wollte, wie der Maler das Spiel der Farben nutzen kann, um atmosphärische Effekte zu vermitteln. Monet zeigt aber die Kathedrale nicht in der vollen Frontansicht. Auf Grund der leichten, kaum bemerkbaren Verschiebung des Blickpunktes gewinnt die Fassade eine wunderbare Plastizität. Schöffers Darstellungen sind im Vergleich schematisch und flach. Er konzentrierte sich offensichtlich nur auf die Farbeffekte und wollte keinesfalls die Bilder von Monet übertreffen.


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Bild 29. Nicolas Schöffer: Drei Darstellungen einer Kathedrale mit verschiedenen Farbstellungen, Quelle: Archive Webseite

Bild 30. (links) Claude Monet: Kathedrale von Rouen Braune Harmonie Musée d'Orsay in Paris (Mitte) Claude Monet: Kathedrale von Rouen, Fassade, Pola Museum of Art in Hakone (rechts) Claude Monet: Kathedrale von Rouen, das Portal im Sonnenlicht, Sterling and Francine Clark Art Institute in Williamstown

Die obige Theorie scheint zu erklären, warum trotz der jüdischen Abstammung Schöffer eine Kathedrale malte, aber es war nicht das einzige christliche Thema während dieser Periode. Zahlreich sind die Darstellungen verschiedener Christusköpfen und des Leidenswegs Christi. Da Schöffer bei den Jesuiten studierte, war dieses Thema ihm nicht fremd, aber auch nicht unbedingt von einem wahren religiösen Gefühl ernährt. Vielmehr ist es wahrscheinlich, dass Schöffer den Leidensweg Christi mit dem Leiden der Menschen während des Zweiten Weltkrieges verglich. Der Schrecken der Nazi-Besetzung und der Horror des Krieges haben tiefen Spuren in Schöffers Seele gelassen und diese emotionale Belastung spiegelt sich in den Werken dieser Periode wider. Er malte und zeichnete diese Bilder mit düsteren grauen und braunen Tönen. Sein Stil ist nicht ausgereift, die Christusköpfe zeigen immer noch seine Experimentierfreude.


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Schöffer war in dem Chaos und der Unsicherheit des Krieges gezwungen zu fliehen und sich zu verstecken. Seine jüdische Herkunft hätte ihn jeder Zeit in Gefahr bringen können. Vielleicht war es auch eine Art Selbstverteidigungsstrategie, seine Wurzeln mit der Wahl von christlichen Themen zu tarnen.

Bild 31. Nicolas Schöffer: Drei Christuskopf Darstellungen, Quelle: Schöffer Archive Webseite

Es ist schwieriger die Absicht des Künstlers bei der sogenannten Les turks Werkgruppe, also bei den türkisch inspirierten Bildern zu ergründen. Woher die Idee kam, türkische Männer mit Turban zu zeichnen, wissen wir nicht. Es ist kaum nachvollziehbar, den Grund in der ungarischen Geschichte zu suchen. Zwar war Ungarn hundertfünfzig Jahre lang von den Türken besetzt, aber das Land wurde 1686, also Jahrhunderte zuvor, befreit. Die türkische Besetzung von Ungarn hatte zu Schöffers Zeit keine Aktualität. Vielleicht beeindruckte Schöffer die andersartige Einstellung des Islams gegenüber der Sexualität und gegenüber der Beziehung zwischen Frau und Mann. Die Sexualität und ihre Rolle in der Stadt der Zukunft war ja ein zentrales Thema in dem späteren Werk von Schöffer. Bemerkenswert ist in diesem Sinne auch, dass bei einigen Aktbildern zwei Frauenkörper zu sehen sind. Vielleicht interessierte sich Schöffer für den Islam selbst, weil er für jede andere spirituelle Einstellung offen stand. In seinem späteren Werk, in der kybernetischen Stadt der Zukunft, stellte er eine universale Religion, eine Art Synthese von verschiedenen Religionen, vor. Es ist auf jeden Fall eine merkwürdige Bilderserie. Der kubistische Einfluss von Picasso lässt sich bei manchen Bildern spüren. Der Übergang von einer Ansicht zum anderen ist aber, im Unterschied zu Picassos Bildern, sanft und weich, wie es bei dem Männerkopf mit drei Nasen ersichtlich ist. Schöffer interpretiert den Grundgedanken des Kubismus neu. Bei ihm handelt es sich eher um eine sanfte, nahtlose Verschiebung, Verdopplung oder Multiplizierung.


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Bild 32. Nicolas Schöffer: Drei Bilder aus der Serie ‚Les Turcs‘, Quelle: Schöffer Archive Homepage

Die stilistische Vielfalt kennzeichnet auch die Bilderserie, die männliche und weibliche Gesichter darstellt. Bei zahlreichen Bildern werden die Nase, die Augen oder vereinzelt auch das ganze Gesicht verdoppelt. Bei anderen Bildern wird nur eine der beiden Augen aus der Achse höher verschoben. Manchmal sind die Gesichtszüge mager und eckig, manchmal rund und weich. Unter den vielen mit düsteren grauen und braunen Farben gezeichneten Bildern kommen seltener auch buntfarbige vor. Erotische Gedanken lassen sich vereinzelt auch ablesen.

Bild 33. Nicolas Schöffer: Drei Männerköpfe aus der Serie ‚Gesichter‘, Quelle: Schöffer Archive Homepage

Bild 34. Nicolas Schöffer: Drei Frauenköpfe aus der Serie ‚Gesichter‘, Quelle: Schöffer Archive Homepage


53 Schöffer suchte offensichtlich seine Position und die eigene künstlerische Identität. Dabei gab es viele Engpässe, Unsicherheiten und Krisen. Nach dem Treffen mit André Breton ging seine Kunst in eine neue Richtung. Beeindruckt von dem Oeuvre des Künstlerkollegen griff Schöffer die Gedanken des Surrealismus auf und zeichnete eine Serie von surrealen Doppelwesen. Aus einem deformierten Körper wachsen zwei menschliche oder tierische Gesichter. Es sind schizophrene Visionen, die sich von den Erlebnissen des Krieges nähren. Die Erfahrung, dass in den extremen Bedingungen eines bewaffneten Konfliktes der durchschnittliche, sonst vernünftige Bürger zu unfassbare Bosheiten fähig ist, kommt in diesen Bildern zum Vorschein. Zwei Wesen wohnen in einem Körper: das Gute und das Böse, der Mensch und das Tier. Schöffer bewertete die Bedeutung seiner surrealistischen Phase als eine Befreiung von den Einschränkungen seiner eigenen Persönlichkeit.

„Sagen wir, dass meine kurze surrealisante Periode (sic.) eine Entwicklungsstufe darstellte, die es mir mit einem befreienden Akt erlaubte, aus der Sackgasse zu entkommen, mich frei zu setzen und meine eigene Persönlichkeit loszuwerden. Es war wie eine Art Zerstörung meines Egos als eine individuelle Entität. Das hat die Vernichtung meiner Vergangenheit begünstigt.“31

Bild 35. Nicolas Schöffer: Drei Bilder aus der von dem Surrealismus inspirierten Serie, Quelle: Schöffer Archive Homepage

Von 1946 frequentierte Schöffer auch die Künstlergruppe, die sich um Jean-Michel Atlan bildete. Jedes neue Erlebnis diente als Inspirationsquelle für Schöffer. Er ließ sich auch von Atlan inspirieren, um sich alles, was bei ihm zu lernen war, anzueignen, und dann gleich auf seinem eigenen Weg weiterzuschreiten.

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„Disons que ma brève période surréalisante (sic.) représente un palier qui, dans un mouvement libérateur, m'a permis de sortir de l'impasse, de m'affranchir, de me débarrasser de ma propre personnalité. C'était comme une sorte de destruction de soi, en tant qu'entité individuelle. Cela a favorisé la destruction de mon passé“. [Nicolas Schöffer Zitat in Sers Philippe, Entretiens avec Nicolas Schöffer, éditions Pierre Belfond, Paris, 1971, p. 24.]


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Bild 36. (links) Nicolas Schöffer: Surrealistische Darstellung eines Hahnes, Quelle: Schöffer Archive Homepage Bild 37. (rechts) Jean-Michel Atlan: Surrealistische Darstellung eines Hahnes

Schöffer nahm mit seinen früheren figurativen Werken in den Jahren 1945 und 1946 an den von der G.A.J.E.F. (Group des Artistes Juif en France / Gruppe der in Frankreich lebenden jüdischen Künstler) organisierten Ausstellungen teil. Im Jahr 1947 nahm Schöffer an der Ausstellung des französisch-ungarischen Verbandes teil, welcher die Werke der Mitglieder unter dem Motto Pariser Schule ausstellte. Im März 1948 zeigte die Galerie Breteau die vom Surrealismus inspirierten Werke von Schöffer.

4.1.2. Abstrakte Periode Arbeiten mit Malpendel, Farbpistole Bilder, Schmirgelleinen Arbeiten , lyrische Abstraktion, geometrische Abstraktion Einige abstrakte Zeichnungen erschienen schon in den Heften, die während des Weltkrieges in Auvergne entstanden. Schöffer schrieb 1944: „Ich mache einen großen Schritt in meiner künstlerischen Befreiung. Ich entdecke die spirituelle Struktur der Gemälde, ausgedrückt durch eine reine Harmonie von Farben, Linien, Tönen und Volumen, die ohne jeden Einfluss die reine künstlerische Idee darstellen.“ 32 [Schöffer, Heft Nr.2. von Auvergne] Nach der Rückkehr nach Paris entwickelte sich Schöffer schnell. Die kurze surrealistische Phase befreite seine Kunst. Die Loslösung von der Realität öffnete seinen Weg

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„Je fais un grand pas dans ma libération artistique. Je découvre la structure spirituelle des tableaux, exprimée par une pure harmonie des couleurs, lignes, tons et volumes qui représentent sans aucune influence, l'idée artistique pure“. [Nicolas Schöffers Notiz am 18. Oktober 1944. im Heft Nr.2. von Auvergne, aufbewahrt im Atelier in Paris]


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in Richtung der Abstraktion. Er konzentrierte auf den geistigen kreativen Prozess und wollte die Ausführung der Werke beschleunigen und die Arbeit der Hände verringern. „Ich habe 1947—48 verstanden, dass Kunst nicht mit Händen und Muskeln gemacht wird. Vielmehr auf dem Niveau des Gehirns, des Kortexes. Und ich habe auch verstanden, dass die traditionellen Techniken veraltet und absolut ungeeignet sind, sowohl für meine Bedürfnisse als auch für die Bedürfnisse der sozialen Umgebung.“33 [Schöffer]

Schöffer experimentierte mit einem Malpendel und mit Farbpistole. Die Schleifen der vom Pendel gezeichneten kurvigen Linien wurden mit den Grundfarben Rot, Blau, Gelb und mit verschiedenen Grautönen ausgefüllt. Mit der Farbpistole entstanden Werke, die den Tachismus vorwegnahmen, noch bevor der Begriff entstand. Schöffer war auch bezüglich des Tragmaterials sehr innovativ. Er zeichnete und malte nicht nur auf Papier oder Leinen, sondern auf alles was er dazu brauchbar fand, auf Schmirgelleinen, auf Eternit Platten oder auf Wachstuch. Sein Spektrum umfasste sowohl lyrische als auch geometrische Abstraktion. Er beteiligte sich mit seinen abstrakten Bildern an den Ausstellungen La rose des vent (1948) und Éloquence de la ligne (1949) in der Galerie des Deux Iles.

Bild 38. Nicolas Schöffer: Zeichnungen aus dem Heft von Auvergne Diese Zeichnungen nehmen während der Kriegsjahre die späteren abstrakten Arbeiten vorweg.

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„J'ai compris cela en 1947-1948, qu'on ne faisait pas de l'art avec les mains et les muscles. Mais au niveau du cerveau, du cortex. Et j'ai compris aussi que les techniques traditionnelles étaient périmées et absolument inadaptées aussi bien à mes besoins qu'aux besoins sociaux environnants. “[Nicolas Schöffer, Interview erschienen in dem Magazin l’Express 7-13 Juli 1969, mit dem Titel L’Express va plus loin avec Nicolas Schöffer, Seite 83.]


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4.1.3. Spatiodynamische Periode Gouache, Gemälde, Relief Gemälde Schöffers Interesse für den Raum erweckte sich in dem letzten Abschnitt der ersten Schaffensperiode. Während der spatiodynamischen Periode befreite sich der Künstler allmählich von der zweidimensionalen Ebene. Der erste Schritt war das Denken in drei Dimensionen. Er stellte eine abstrakte dreidimensionale Konstruktion vor und zeichnete ihre Projektion auf die Fläche des zweidimensionalen Trägermaterials, sei es Papier, Leinwand oder ähnliches. Schöffer äußerte sich mehrmals darüber, dass er sich diese Werke in drei Dimensionen ausdachte. Der Hintergrund sollte nicht mehr als ein solcher betrachtet werden, sondern als der Raum, in dem die dargestellten Objekte dreidimensional existieren. Das Bild ist nur ihre Projektion auf die Bildfläche. Es ist wahrscheinlich nicht zufällig, dass diese Grundgedanke der Theorie des Suprematismus von Malewitsch so nahe steht. Malewitsch beteiligte sich im Jahr 1939 an der Ausstellung Réalités Nouvelle. Schöffer kam relative früh mit der 1946 gegründeten Gruppe Réalités Nouvelle in Kontakt und informierte sich mit großer Wahrscheinlichkeit über den geschichtlichen Hintergrund. Er stellte seine Arbeiten in den Jahren 1948, 1949 und 1950 anlässlich des Salons des Réalités Nouvelle aus. Der zweite Schritt war es, die dreidimensional vorgestellten Konstruktionen in drei Dimensionen als Reliefbilder auszuführen. Bei den Reliefbildern gibt es noch eine Hauptansicht und die Teile heben sich nur mäßig aus der Fläche. Eine rückseitige Fläche stützt das Relief. Bei diesen Reliefbildern lässt sich schon der Einfluss von Mondrians Neoplastizismus spüren. Mit dem nächsten Schritt schloss Schöffer endgültig seine erste grafische Schaffensperiode ab. Die stützende rückseitige Fläche des Reliefs verschwindet und es entstehen rein skulpturale Werke. Schöffer gab nach einigen ersten skulpturalen Werken die betonte Hauptansicht auf und schuf Skulpturen, bei denen alle Ansichten gleich bedeutend waren. Er arbeitete die umfangreiche Theorie des Spatiodynamismus aus. Dieser dritte Schritt markiert die Wende der Karriere, die Schöffer mit dem französischen Begriff rupture34 bezeichnete. Das französische Wort bezeichnet ein jähes, schlagartiges Ereignis, abrupt war aber nur der Entschluss, mit der eigenen künstlerischen Vergangenheit zu brechen und die Absichten für die zukünftige künstlerische Produktion zu formulieren. Die Wende selbst war das Resultat einer nachvollziehbaren Entwicklung, die sich mit der Wende nicht abschloss. 34

Zur Erklärung des französischen Wortes siehe den Eintrag im Glossar


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Die dreidimensionalen skulpturalen Werke zählen auf jeden Fall schon zu der zweiten Schaffensperiode. Obwohl Schöffer schon zu dieser Zeit die Absicht formulierte, die Kybernetik in den Dienst der Kunst zu stellen, dauerte es noch einige Jahre bis er im Jahr 1956 CYSP1, die erste kybernetische Skulptur der Welt, erschuf. Es gab eine graduelle künstlerische Entwicklung, eine fortschreitende Vervollkommnung, auch nach der Wende, die ich im weiteren Verlauf nachvollziehe.

4.2. La Rupture — Die abrupte Wende Es kann auf der einen Seite eine schrittweise Entwicklung aufgezeigt werden, Schöffer nimmt aber auf der anderen Seite einen Moment seiner Karriere als eine abrupte Wende (rupture) wahr. Schöffer betonte während Interviews regelmäßig seine plötzliche Entscheidung, seine vergangene künstlerische Praxis zu beenden. Um die Analyse dieses wichtigen Meilensteins mit einer wirklich authentischen Quelle durchzuführen, lasse ich in diesem Abschnitt öfters Schöffer selbst seine Gedanken dazu erklären. Entsprechende Zitate lassen sich zahlreich zu finden, aber das Interview, das im Juli 1969 in dem Magazin L‘Express mit dem Titel L’Express va plus loin avec Nicolas Schöffer erschien, wirft Licht auf viele Fragen. Es wird erklärt, wie Schöffer die eigene künstlerische Tätigkeit vor der Wende bewertete, welche Meinungen er über die Großleistungen der Kunstgeschichte hatte, welche Grundgedanken zur Wende führten und welche Absichten er für seine zukünftige Produktion hatte. Es ist nicht weit hergeholt, die Wende bildhaft darzustellen: Schöffer steht auf der Zeitleiste um den Punkt 1949 und dreht sich, um nicht mehr in die Richtung der Vergangenheit, sondern in die Richtung der Zukunft zu blicken. Schöffer interessierte sich vor dem rupture für die Kunstgeschichte und studierte sie gründlich. Beginnend mit der klassischen Kunst arbeitete er sich systematisch durch das Material bis zu seiner Zeit. Er gab offen zu die großen Meister zu imitieren: „…Ich studierte leidenschaftlich die Vergangenheit, die wunderbaren Bücher der Kunstgeschichte. Ich war von den prestigeträchtigsten Künstlern begeistert, ich habe versucht, sie zu imitieren. Es dauerte ziemlich lange. [...] Ich habe wirklich mit syrischer, ägyptischer und griechischer Kunst angefangen, was auch immer, und ich bin bis in das Mittelalter gekommen, als ich ein bisschen erwachsen wurde. Von dort wandte ich mich der Renaissance zu, dem 18. Jahrhundert, und so weiter. Und es ging


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weiter bis Van Gogh und Cézanne. Dann bin ich zum Surrealismus gelangt. Im Grunde genommen folgte ich der Kunstgeschichte.“35

[Schöffer, Magazin L‘Express]

Es ist also kein Zufall, dass viele Werke der ersten grafischen Periode mit Werken anderer Meister der Kunstgeschichte verglichen werden können. Schöffer kopierte nicht, sondern imitierte absichtlich andere Künstler, um ihren Schaffensprozess zu verstehen, weiterzudenken und Werke mit dieser Attitüde zu schaffen. Es war ein Lernprozess. Er war auf der Suche, aber war mit dem Ergebnis nicht zufrieden. Er hatte mehrere kreative Krisen während des ersten Abschnittes der Karriere. Er fand die Realisierung der Ideen zu langsam und zudem entsprach das realisierte Bild nicht seiner Vorstellung, also dem Bild, das er mit seinen geistigen Augen sah. In dem oben erwähnten Interview nennt er sich sogar einen schlechten Maler: „N. Schöffer: ... Ich habe immer eine Technik gesucht, die es mir erlaubt, den kreativen Prozess in der Fantasie mit der Ausführung zu koordinieren. Ich verstand eines Tages, dass ich mit den Techniken, die mir zur Verfügung standen, niemals realisieren konnte, was ich mir vorgestellt hatte. L'Express: Ist es das Material, was Sie stört? N. Schöffer: Nicht nur das Material, sondern die Langsamkeit der Ausführung, das Ergebnis. L'Express: Sie waren vielleicht kein guter Maler. N. Schöffer: Sicherlich, ich war ein sehr schlechter Maler. Übrigens, ich habe meine Werke praktisch zerstört.“ 36 [Schöffer, Magazin L’Express] Nach vielen Experimenten gelang Schöffer zu der Erkenntnis, dass zur Innovation nicht nur neue Techniken und Technologien nötig seien, sondern auch eine völlig neue Denkweise. Er erkannte die generelle Dialektik der Entwicklung und die Unabwendbarkeit

35

„… j'étais passionné par le passé, par tous ces merveilleux albums de l'histoire de l'art. J'étais obnubilé par les artistes les plus prestigieux, j'essayais de les imiter. Ça a même duré assez longtemps. […] J'ai commencé vraiment par l'art syrien, égyptien, grec, tout ce qu'on veut, et je suis arrivé au Moyen Age quand je suis devenu un peu adulte. De là, j'ai viré vers la Renaissance, le XVIIIe, etc. Et ça a continué jusqu'à Van Gogh, Cézanne. Puis, je suis arrivé jusqu'au surréalisme, Au fond, j'ai suivi l'histoire. “ [Nicolas Schöffer, Interview erschienen in dem Magazin l’Express 7-13 Juli 1969 mit dem Titel L’Express va plus loin avec Nicolas Schöffer, Seite 82.] 36

„ N. Schöffer : ... J'ai toujours cherché une technique qui me permette d'accorder la création dans l'imagination avec l’exécution. J'ai compris, un jour, qu'avec les techniques qui étaient à ma disposition, je n'arriverais jamais à réaliser ce que j'imaginais. L'Express: C'est la matière qui vous gênait ? N. Schöffer: Pas seulement la matière, la lenteur de l'exécution, le résultat. L'Express: Vous n'étiez peut-être pas un bon peintre. N. Schöffer: Sûrement un très mauvais peintre. D'ailleurs, j'ai détruit pratiquement mes œuvres. “ [Nicolas Schöffer, Interview erschienen in dem Magazin l’Express 7-13 Juli 1969 mit dem Titel L’Express va plus loin avec Nicolas Schöffer, Seite 82.]


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regelmäßig auftretenden Krisen auf Grund der Ausschöpfung der Möglichkeiten der alten Denkweise. „Die Zäsur ist ein historisches Phänomen, das ständig in verschiedenen Sektoren auftritt. Überall wo die Sättigung und Ausschöpfung zur Trägheit führen. Diese Situation der Schwäche erlaubt das plötzliche Auftreten eines neuen Phänomens, welches das verschwindende Phänomen ersetzt und seine schnelle Beseitigung erleichtert.“37 [Schöffer, Magazin L’Express] Schöffer änderte seine Meinung zu dieser Zeit über die Malerei radikal und dachte, dass die traditionellen künstlerischen Medien ausgeschöpft waren. Im Jahr 1944 schrieb er noch begeistert: „... die einzige Kunst, die übermenschlich sein kann, weil sie über die menschliche Vernunft hinausgehen kann, ist die Malerei.“ 38 [Schöffer] Diese Begeisterung ist bis 1948 abgeklungen. Er hielt im weiteren Verlauf seiner Laufbahn die Eselmalerei für ausgelaugt und überholt. Er schätzte das Oeuvre von Malewitsch und Mondrian gerade, weil „sie die Malerei zerstörten“. Auf der anderen Seite vertrat er die Ansicht, dass die Kunst eine führende Rolle in der humanen Entwicklungsgeschichte spiele und es wären die Wissenschaft und die Technologie im Dienst der Kunst und nicht umgekehrt. Schöffer unternahm keine kleinere Aufgabe, als mit seiner künstlerischen Tätigkeit der Motor der Entwicklung zu sein. Er hatte die Absicht, die Kunst zu sozialisieren und in den urbanen Raum überall Kunstwerke einzusetzen, um eine hohe Dichte an ästhetischen Erlebnissen zu sichern. Die Ästhetisierung des urbanen Raumes sollte, seiner Meinung nach, zur Vervollkommnung der Gesellschaft führen. „Wenn es ein Phänomen gibt, welches die menschliche Evolution wirklich dominiert, und die Entwicklungsrichtung der Geschichte bestimmt, dann ist es die Kunst. Dieses Phänomen ist sogar der treibende Motor. Heute erleben wir eine außergewöhnliche Periode, wenn durch eine besondere Chance in der Geschichte, die nicht ewig dauern

37

„ La rupture est un phénomène historique qui intervient constamment dans différents secteurs. Partout où la saturation, l'épuisement amènent l’inertie. Cette situation de faiblesse permet l’apparition soudaine d'un phénomène nouveau qui peut supplanter le phénomène disparu en facilitant son élimination rapide. “[Nicolas Schöffer, Interview erschienen in dem Magazin l’Express, 7-13 Juli 1969 mit dem Titel L’Express va plus loin avec Nicolas Schöffer, Seite 82.] 38

„… le seul art qui peut être surhumain, parce qu'il peut dépasser la raison humaine, est la peinture. “[Nicolas Schöffers Notiz im Heft Nr. 2 von Auvergne, Essay Peinture et libeté, das Heft ist im Atelier Schöffer in Paris aufbewahrt.]


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wird, Wissenschaft und Technik einen vorherrschenden Platz haben. Aber ... es ist eine Ausnahme. In Wirklichkeit ist es immer die Kunst, die das Spiel führt. “39 [Schöffer] Schöffer brauchte in einer sich immer schneller entwickelnden, dynamischen Welt neue Methoden, neue Instrumente und Werkzeuge, um sein Ziel zu erreichen. Durch einen glücklichen Zufall fand er Norbert Wieners Buch und damit die Kybernetik, die allen seinen Erwartungen entsprechen konnte. „Ich kaufte sein Buch ‚Kybernetik und Gesellschaft‘ im Jahre 1949. Ich verstand, dass diese lächerlichen Gegenstände, die Kunstwerke, welche damals vor zwanzig oder dreißig Jahren konzipiert wurden, keine Daseinsberechtigung mehr hatten in einer Gesellschaft, die beweglich wurde. [...] Als ich Wiener las, habe ich mich sofort entschlossen, von diesem Moment an kybernetische Werke zu schaffen."40[Schöffer] Schöffer war im Jahr 1949 zu einem Neuanfang bereit. Alle späteren Gedanken warteten schon darauf, wie der Sprössling in einer Nussschale, entfaltet zu werden. Er räumte seine früheren Werke auf den Dachboden weg, um sie zu vergessen und wandte sich der Zukunft zu.

"Ich denke, dass die Analyse der künstlerischen oder ästhetischen Vergangenheit keinen Bezug zu mir hat. Es gibt keine Veränderung, keine Erneuerung, es gibt einen Anfang von Null."41 [Schöffer]

39

„ S'il existe un phénomène qui domine vraiment l’évolution humaine et qui détermine le sens de l'histoire, c'est bien l'art. C'est même un phénomène moteur. Aujourd'hui, nous vivons une période exceptionnelle, où, par un hasard extraordinaire dans l'histoire, qui ne va pas durer éternellement, les sciences et la technologie ont une place prédominante. Mais... c'est un accident. En réalité, c'est toujours l'art qui mène le jeu. “ [Nicolas Schöffer, Interview erschienen in dem Magazin l’Express 7-13 Juli 1969 mit dem Titel L’Express va plus loin avec Nicolas Schöffer, Seite 81.]

40

„ J'ai acheté son livre, "Cybernétique et Société", en 1949. J'ai compris que ces objets dérisoires que sont des œuvres d'art telles qu'on les concevait à l'époque, c'était il y a vingt ou trente ans, n'avaient plus de raison d'être dans une société devenue mouvante. […] Quand j'ai lu Wiener, j'ai pris immédiatement la décision de créer désormais des œuvres cybernétiques. “ [Nicolas Schöffer, Interview erschienen in dem Magazin l’Express 7-13 Juli 1969 mit dem Titel L’Express va plus loin avec Nicolas Schöffer, Seite 86.] 41

"Je considère que l'analyse du passé artistique ou esthétique ne me concerne pratiquement pas. Il n’y a ni changement, ni rénovation, il y a un commencement à partir de zéro." [Sers Philippe, Entretiens avec Nicolas Schöffer, éditions Pierre Belfond, Paris, 1971, p. 24.]


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4.3. Die zweite künstlerische Periode 4.3.1. Einleitung zur zweiten Periode Schöffers Hauptleistungen entstanden während der zweiten Schaffensperiode. Als Einleitung fasse ich seine Zielsetzungen hier zusammen, um sie dann detailliert zu erklären. Die schnelle Ausführung der Idee, also die Erhöhung der Geschwindigkeit, war ein zentrales Anliegen. Schöffer strebte nach der radikalen Reduzierung der Handarbeit, auf die Demanualisation (Schöffers Ausdruck) des kreativen Prozesses. Die Kybernetik ermöglichte die Automatisierung des Schaffensprozesses und eine zufriedenstellende Geschwindigkeit der künstlerischen Produktion. Schöffer war der Meinung, dass der immer schneller werdenden Dynamik der gesellschaftlichen Entwicklungen die Dynamik des Kunstwerkes entsprechen sollte. Er strebte nach Bewegung und Dynamik nicht nur durch motorisierte Kunstwerke, sondern auch durch Einbeziehung des Rezipienten. Zum Teil plante er von dem Betrachter bewegte Kunstwerke, zum Teil sah er die Bewegung des Rezipienten vor, weil sich die Erfahrung des Kunstwerkes mit der Position des Betrachters änderte. Wie bei den kinetischen Künstlern im Allgemeinen war für Schöffer die Wahrnehmung des Betrachters für das Konzept der Werke eine zentrale Frage. Er widmete sich der Forschung der Wahrnehmungsprozesse. Zum Beispiel, die Microtemps Serie ist das Ergebnis dieser Überlegungen. Schöffer blieb seinem experimentellen Ansatz treu, aber er experimentierte nicht mehr mit traditionellen künstlerischen Techniken, sondern war auf der Suche nach neuen Tendenzen, neuen Technologien und neuen wissenschaftlichen Ergebnissen. Er strebte nach einer harmonischen Verbindung von Kunst, Technik und Wissenschaft. Das obige Anliegen setzt eine Teamarbeit und eine kollektive Produktion voraus. Schöffer stellte dem individuellen Künstlergenie die im Team streng wissenschaftlich arbeitende Künstlerfigur entgegen. Damit verzichtete er auf einen Teil des Schaffensprozesses und ließ diesen Teil von anderen Mitgliedern des Teams ausführen. Er ließ aber einen Teil des kreativen Prozesses nicht nur den Kollegen über. Einerseits arbeitete er meist lediglich den Algorithmus und die Regeln aus und ließ das Programm das Kunsterlebnis hervorzaubern. Auf der anderen Seite sah er auch eine partizipative Kunst vor, in der der Rezipient das Kunstwerk ändert, umgestaltet und damit auch selbst Schöpfer des Werkes wird.


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Eine wesentliche Zielsetzung von Schöffer war die Befreiung der Kunstgattungen von ihrer traditionellen Begrenztheit. Er befreite die Skulptur durch Mobilisierung von der räumlichen Begrenztheit. Während seiner musikalischen Forschungen stellte er sowohl die räumliche als auch die zeitliche Begrenzung von Musik in Frage. Schöffer betonte die dominante Rolle der geistigen Arbeit gegenüber der Ausführung. Das Kunstwerk entsteht im Kortex, meinte er. Wenn es aber so ist, dann sollte die Materialität des Kunstwerks in den Hintergrund treten. Um sein Ziel zu erreichen, arbeitete er mit immateriellen künstlerischen Medien, wie Raum, Licht und Zeit und strebte nach Entmaterialisierung. Klang, Klima und olfaktorische Reize waren ebenfalls in seinem Arsenal zu

finden.

Er

arbeitete

die

Theorien

der

Spaziodynamismus

(1950—1957),

Luminodynamismus (1957—1959) und Chronodynamismus (1959—) aus. Die Entheiligung der Künstlerfigur ging bei Schöffer mit der Profanierung des Kunstwerkes Hand in Hand. Er schreckte nicht davor zurück, einige seiner Kunstwerke seriell herstellen zu lassen. Seine Zielsetzung war die Sozialisierung der Kunst, die er auf zwei verschiedenen Weisen erreichen wollte. Einerseits wollte er seine Kunstwerke dem Publikum durch serielle Herstellung erschwinglich machen, andererseits wollte er eine große Dichte an Kunstwerken in dem urbanen Raum erreichen und den urbanen Raum ästhetisieren. Es handelte sich nicht um eine Kunstproduktion für den traditionellen Kunstmarkt, die durch Galerien vertrieben wird. Er stellte die traditionelle Funktion der Kunst in Frage. Letztlich sollen die spielerischen und spektakulären Aspekte seiner Kunst erwähnt werden. Schöffer war selbst ein Homo Ludens und forderte den Homo Ludens in den Rezipienten seiner Kunstwerke heraus. „Ich habe das Konzept aufgegeben, etwas zu schaffen, damit es betrachtet wird, um zum Begriff der Faszination zu gelangen, das heißt zu der Konditionierung durch Programmierung, die zunehmend an die Wahrnehmung auf neuronalen Ebene gerichtet ist, und immer weniger an die Wahrnehmung durch das Retina.“42 [Schöffer] Die zweite Periode ist sehr reichhaltig. Schöffers Theorien der Spatiodynamik, Luminodynamik und Chronodynamik prägen die zeitlichen Abschnitte. Die Vielseitigkeit von Schöffers Tätigkeit lässt eine Kategorisierung in Skulptur, Architektur, Spektakel, konkrete Musik, Urbanistik, Kunsttheorie und Pädagogie etc. zu. 42

„J’ai dépassé la notion de donner à voir pour en venir à la notion de fascination, c’est-à-dire de conditionnement par des programmations qui s’adressent de plus en plus à la perception neuronienne et, de moins en moins, à la perception rétinienne. “ [Schöffer zitiert in Philippe Sers, Entretiens avec Nicolas Schöffer, Paris, Belfond, 1971, p.130]


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Diese Vielfältigkeit spiegelt sich in der großen Anzahl an herausragenden Werken und an Werkgruppen. Spezielle Position haben in Schöffers Oeuvre die Skulpturen CYSP1 und SCAM1, La maison a cloison invisible und seine kybernetischen Türme. Die Werkgruppen Spatiodynamik, LUX und Chronos markieren die drei Phasen der Beschäftigung mit immateriellen Medien. Musiscope, Mircotemps, Lumino, Boite á effet, Varetra, Vartap, Mur lumiére, Graphilux und Prisma sind verwirklichte Werke und Werkgruppen. In den letzten Jahren seines Lebens plante Schöffer weitere Werkgruppen, die in seinen Lebzeiten nicht mehr realisiert werden konnten: die Basculante, hydrothermochronos Fontaine, Soleolsols und Percussonors blieben im Planungsstadium. Diese Palette wurde durch Video- und Theaterexperimente bereichert. Er arbeitete auf einer unglaublich breiten Skala, die sich kaum zusammenfassen lässt.


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4.3.2. Die fünf Topologien Nach der rupture beschäftigte sich Schöffer mit der Dynamisierung des Raumes. Dann erweiterte sich sein Interesse und ab 1957 gerät das Licht, ab 1959 die Zeit in den Fokus seines Interesses. Die Theorien Spatiodynamik, Luminodynamik und Chronodynamik fassen die Ergebnisse dieser Perioden zusammen. Schöffer diskutierte in seiner theoretischen Arbeit auch die akustischen und klimatischen Effekte und arbeitete in der Praxis mit den immateriellen künstlerischen Medien Klang und Klima. Diese Themen sind zum Teil in den obigen Theorien ausgearbeitet, zum Teil in seinen Büchern und verschiedenen Artikeln ausführlich erörtert. Schöffer sprach über die fünf Topologien: Raum, Licht, Zeit, Klang und Klima. Er benutzte das Wort Topologie, welches in diesem Kontext schwierig zu verstehen ist. Es war auf jeden Fall eine unübliche und innovative Nutzung des Wortes. Was könnte er damit meinen? Der Begriff Topologie wird in verschiedenen Wissenschaftsgebieten verwendet. Die mathematische Definition ist sehr abstrakt. Die Topologie, als Teilgebiet der Mathematik, beschäftigt sich mit den Eigenschaften mathematischer Strukturen, die unter stetigen Verformungen erhalten bleiben. Dabei ist der Begriff Stetigkeit auch in abstrakter Form definiert. Mathematisch nicht präzise, aber anschaulich, geht es um Eigenschaften, die bei Deformationen wie Strecken, Eindrücken oder Biegen erhalten bleiben. Zerreißen oder Zusammenkleben sind nicht erlaubt. Es wird analysiert, ob mathematische Strukturen aus topologischer Sicht ähnlich (homöomorph) oder unterschieden sind. Die Topologie in der Chemie beschäftigt sich mit der räumlichen Anordnung der Teilstrukturen von Makromolekülen. Die geographische Topologie bezieht sich auf die Lagebeziehungen zwischen Geoobjekten. In der Elektronik geht es um die theoretische Struktur einer Schaltung. Die philosophische Topologie ist die Theorie des Ortes bzw. Feldes. Zusammengefasst, geht es bei den verschiedenen Wissenschaftsgebieten generell weniger um den Raum als um die räumliche Struktur. Schöffer definiert die Topologie folgendermaßen: „Die Topologie ist die Untersuchung der Wirksamkeit der Abläufe durch die Optimierung der Trassen, welche die Kommunikationsnetze im Boden, in den Flüssen, im Meer und auf dem Meeresboden, sowie in dem Raum bestimmen; es ist auch die Untersuchung aller möglichen Kombinationen und Kreuzungen zwischen diesen unterschiedlichen Trassen.


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Diese Netzwerke vermitteln Einzelpersonen, Gruppen, Lebewesen im Allgemeinen, Festkörper, Flüssigkeiten, Gase, Energie und Information, zum Zwecke der Lagerung (Konservierung), Verteilung (Verbrauch), Beseitigung (Abbau) oder der Produktion — durch Transformation, durch Montage oder durch eine andere Behandlung. Diese Verbindungswege können öffentlich benutzt und für alle verfügbar sein oder auf bestimmte Produkte, auf bestimmten Betreiber und auf bestimmten Verbraucher beschränkt sein, entweder mit oder ohne Nutzen; sie können technischer, funktionaler, ästhetischer und kultureller Natur sein. Alle diese Kurse sind sowohl in ihrer Entstehung, als auch im Bezug auf ihren Betrieb Programmelemente, die mit der auf diese Weise entstandenen Topologie ständig wandelnde und bezüglich Expansion und Regression diverse Interferenzen bewirken."43 Diese Definition ist ziemlich allgemein und es ist vielleicht immer noch schwierig zu begreifen, was Schöffer zum Beispiel mit der Formulierung „le topologie du son“ (die Toplogie des Klanges) ausdrücken wollte. Zwei Punkte sind auf jeden Fall klar: er benutzt den gleichen Ansatz bei anscheinend sehr verschiedenen Gebieten und das Hauptanliegen ist die Optimierung der Struktur, um eine effiziente Funktionsweise zu sichern. 4.3.2.1 Der Raum – Spaziodynamismus (1950—1957) Es war Schöffers Hauptidee, dass die beiden grundlegenden Möglichkeiten, die Welt zu entdecken, die wissenschaftliche und die künstlerische Methode sind. Er reduzierte alles auf Schlüsselbegriffe und die drei entscheidenden künstlerischen Medien sind Raum, Licht und Zeit. Er arbeitete mit diesen Medien wie andere Künstler mit Materialien. Er betonte, dass die Kunst entmaterialisieren sollte, die Materialität dürfe die Entfaltung der Idee nicht 43

„La topologie est l’étude de l’efficacité des parcours par l’optimisation des tracés qui déterminent des réseaux de communication au niveau du sol, des cours d’eau, de la mer et des fonds sous-marins, ainsi que dans l’espace ; elle est aussi l’étude de toutes les combinaisons et intersections possibles entre ces différents tracés. Ces réseaux véhiculent des individus, des groupes, des vivants en général, des solides, des liquides, des gazeux, de l’énergie et des informations, à des fins de stockage (conservation), de distribution (consommation), d’élimination (suppression) ou de production - par transformation, par assemblage ou par tout autre traitement. Ces parcours peuvent être à usage collectif, disponibles à tous, et à usage limité à certains produits, à certains exploitants ou à certains consommateurs, l’un et l’autre avec ou sans prestations ; ils peuvent être techniques, fonctionnels, esthétiques et culturels. Tous ces parcours constituent des éléments de programmes, tant au niveau de leur création qu’au niveau de leur exploitation, provoquant des interférences mouvantes et diversifiées en expansion ou en régression, dans le complexe topologique ainsi créé. " [Nicolas Schöffer: Definition der Kybernetik, Quelle: Observatoire Leonardo des Arts et des Technosciences Nicolas Schöffer Archive Homepage, www.olats.org, Stand: 31. August 2017, 12:00 Uhr]


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behindern. In Übereinstimmung mit dieser These hat er die Zeit nie als ein Symbol der Vergänglichkeit betrachtet. In den Jahren 1950—1957 beschäftigte sich Schöffer in erster Linie mit der Dynamisierung des Raumes. Schöffer vertrat ein geometrisch-technisches Gestaltungsprinzip mit Farbflächen, Achsen und geometrischen Grundformen. Die ersten skulpturalen Werke erinnern noch an die malerische und grafische Vergangenheit. Sie haben eine Hauptansicht und sind flach von der Seite betrachtet. Sie haben noch keinen inneren Raum. Schöffers Handschrift ist in dem Sinne erkennbar, dass es auch bei diesen Werken eine Tragstruktur gibt, die verschiedene quadratische oder runde Elemente trägt. Obwohl die Achsen der Tragstruktur bei den ersten Werken noch in eine Ebene liegen, wurde in der weiteren Folge die Tragstruktur komplexer. Die Zahl der Achsen steigerte sich und eine räumliche Konstruktion mit inneren Räumen entstand. Die Organisation der Achsen unterlag immer strikteren Regeln. Bei den frühen Skulpturen kommen noch schräge Achsen vor, aber bald arbeitete Schöffer ausschließlich mit horizontalen und vertikalen Achsen und derer Anordnung wurde streng nach den Regeln des goldenen Schnittes bestimmt. Die applizierten geometrischen Grundformen waren volle oder perforierte, quadratische oder runde Scheiben aus Plastik oder Metall. Schöffer arbeitete anfänglich mit den Grundfarben Rot, Blau, Gelb und mit verschiedenen Graustufen. Bei den späteren Arbeiten verschwand die Farbe und die Ästhetik des Werkes wurde von der matten oder polierten Fläche des Metalls bestimmt. Schöffer verwendete Aluminium, Stahl, Messing und Kupfer.

Bild 39.: Nicolas Schöffer: Spatiodynamique1 (links), Spatiodynamique2 (Mitte) und zwei Skizzen (rechts). Die ersten spatiodynamischen Arbeiten wurden von industriellen Aufgaben inspiriert, in diesen Fällen von Semaphoren.

Die ersten skulpturalen Werke haben einen funktionalistischen Ansatz. Schöffer nahm, ähnlich den russischen Konstruktivisten, industrielle Aufgaben als Inspirationsquelle. Er plante Semaphore, Verkehrssignale, Signalanlagen der Flugkontrolle am Flughafen, Uhren, Pylone der Stromleitung etc. Seine Skizzen zeigen diese skulpturalen Industrieformen in der


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entsprechenden Umgebung platziert. Er zeichnete verschiedene Variationen. Sie befinden sich entlang den Schienen der Eisenbahn oder auf der Seite der Straße. Er zeichnete sogar die Stromleitung auf den

Pylonen.

Ein

im

Jahr 1951 gebautes

Modell

für eine

Hochspannungsleitung ist immer noch in Schöffers ehemaligem Atelier aufbewahrt. Schöffer wollte offensichtlich mit der Industrie zusammenarbeiten. Er hatte die Absicht diese funktionalen Einheiten zu ästhetisieren und sie überall zu verwenden. Das von André Bloc 1955 gegründete Journal Aujourd’hui: Art et Architecture publizierte in 13 Ausgaben mit dem Titel Art, Science et Technique einen Gedankenaustausch zwischen Guy Habasque und Nicolas Schöffer, in dem Schöffer seine Absichten ausführlich erklärte.

Bild 40. Nicolas Schöffer: Spatiodynamische Pylone, Villa des Arts Paris, Atelier Schöffer

Bild 41. Nicolas Schöffer: Spatiodynamische Skulptur, ausgestellt 2015 in der Kunsthalle (Műcsarnok) in Budapest

Die Pylonen haben bereits vier Achsen und damit einen inneren Raum. Der Raum ist ein abstraktes Konzept, das erstellt wurde um die relative Position der physischen Objekte und Ereignisse zu beschreiben. Zum Zweck einer exakten Definition wurde ein mathematisches Modell erstellt, ein Bezugssystem mit drei oder mehreren Dimensionen. Zeit ist im Allgemeinen als die vierte Dimension zu betrachten, die zusammen mit den drei räumlichen Koordinaten jenes Bezugsystem bildet, in dem die genaue Lage und der zeitliche Ablauf von Ereignissen spezifiziert werden können. Es impliziert, dass im Allgemeinen die Aufmerksamkeit auf jenen Teil des Raumes gerichtet wird, welcher mit einem Gegenstand gefüllt wird. Diese Einstellung prägte Jahrhunderte lang die Geschichte der Skulptur. Unter Skulptur verstand man ein geschlossenes, mit Material gefülltes, Volumen. Das Interesse für den leeren Raum erweckte erst Anfang des 20. Jahrhunderts. Schöffer und seine Zeitgenossen, wie zum Beispiel Naum Gabo und Antoine Pevsner, haben bewusst den leeren, negativen Raum der Skulpturen modelliert.


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Bild 42. Károly Tamkó Sirató: Dimenzionist Manifest

Im Jahr 1936 verfasste der ungarische Dichter und Kunstphilosoph, Károly Tamkó Sirató, in Paris das Dimensionist Manifest. Das Manifest reagierte auf die moderne Konzeption von Raum und Zeit, die dank den Entwicklungen in Mathematik und Physik entstand und stellte ein Programm der Dimensionserhöhung für die verschiedenen Kunstgattungen auf. Laut des Textes sollte sich die Literatur aus der Gefangenschaft der Linie befreien und mit Hilfe von Kaligramme, Figurengedichte etc. die Ebene erobern. Ähnlich sollte die Malerei aus der Ebene treten und in den Raum hinausreichen. Das Manifest fordert die Bildhauerei auf, die geschlossenen und immobilen Formen, die sich in den Euklidischen Raum entwickelten, zu verlassen und den dem Minkowski-Diagramm entsprechenden vierdimensionalen Raum-Zeit-Komplex zu erobern. Tamkó Sirató bestimmt die Stufen der Entwicklung folgendermaßen: die erste Stufe sei die Bildhauerei des vollen Volumens, gefolgt von der Bildhauerei des Volumens mit Hohlraum. Die dritte Stufe sei das offene Volumen. Die Bewegung kennzeichnet die vierten und fünften Stufen. Beide Stufen weisen kinetische oder kybernetische Skulpturen auf. Bei der fünften Stufe entsteht die eigentliche Skulptur, also das wahrgenommene Volumen, erst durch die Bewegung und es existiert im Ruhezustand nicht. Das Manifest wurde von Hans Arp, Francis Picabia, Vaszilij Kandinszkij, Robert Delaunay, Marcel Duchamp, Sonia Delunay-Terk, Sophie Taeuber-Arp und zahlreichen anderen Künstler unterschrieben. Alexander Calder, Joan Miro und László Moholy-Nagy schlossen sich später an. Die fünf Entwicklungsstufen nahm Moholy-Nagy unverändert in seinen Lehrplan an.


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Reconnais-toi

La Colombe poignardée et le Jet d’eau

Le Cheval

Bild 43. Guillaume Apollinaire Figurengedichte, die Literatur befreit sich aus der Gefangenschaft der Linie

Bild 44. Marcel Duchamp: Roue de bicyclette; Die eigentliche Skulptur entsteht durch die Bewegung

Schöffers spatiodynamische Skulpturen entsprachen mit weniger Ausnahmen der dritten Stufe. Die meisten bewegten sich nicht, nur einige, wie zum Beispiel Spatiodynamik 7, 13, 17, 18 hatten einen Motor. Die Skulptur Horloge spatiodynamique avec mouvements électriques war ein Symbol der Zeit, aber auch eine funktionsfähige Uhr, deren Uhrwerk der Ingenieur Perlstein realisierte. Dennoch war die Bewegung der Skulptur bei den spaziodynamischen Skulpturen nicht im Fokus des Interesses. Die dynamische Wirkung entstand durch die Bewegung des Rezipienten.


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Bild 45. Eléonore de Lavandeyra Schöffer mit der spatiodynamischen Uhr in der Kunsthalle (Műcsarnok) Budapest anlässlich der retrospektiven Nicolas-Schöffer-Ausstellung von Oktober 2015 bis Jänner 2016, Foto: Imre Földi

Schöffer konnte sich schon 1950 in seiner neuen Rolle als Bildhauer dem Publikum präsentieren. Die Galerie des deux Iles organisierte eine Ausstellung mit dem Titel Schöffer Plasticien, die Galerie Harriet Hubbard Ayer präsentierte die Arbeiten von Schöffer und J.M. Savage mit dem Titel Les mobiles de l’Amour. 1951 beteiligte sich Schöffer an dem Salon de la Jeune Sculpture. 1952 zeigte die Galerie Mai dem Publikum eine Ausstellung, deren Titel (Schöffer Oeuvres Spatiodynamic) schon den Ausdruck Spatiodynamic enthält. Zur Ausstellung verfasste Michel Seuphor einen Text, der gerade den selten betonten spielerischen Aspekt von Schöffers Oeuvre heraushob: „... Glasperlenspiel, das Spiel mit Kugeln aus Glass. Die Glasperlen meines Freundes Schöffer sind Aluminiumstäbe und Scheiben, von denen er elegante, schlanke Konstruktionen baut, an deren Spitze reine Farben ausbrechen, wie ein Gelächter. Das Lachen eines Kindes, das Meccano spielt.“44 14.

November

1951

hatte

Schöffer

die

Gelegenheit,

seine

Theorie

des

Spatiodynamismus dem Paul Valéry Kreis vorzutragen. Er erklärte seine Ansichten drei Jahre 44

„ …Glasperlenspiel, le Jeu des Perles de Verre. Les perles de verre de mon ami Schöffer sont des barres et des disques en aluminium dont il fait des constructions élégantes, élancées, au sommet desquelles des couleurs pures éclatent comme des rires. Rires d'un enfant qui joue au Meccano. “ [Michel Seuphor: Text zur Ausstellung Schöffer — Œuvre Spatiodynamique 1952 in der Galerie Mai, Quelle: Observatoire Leonardo des Arts et des Technosciences Nicolas Schöffer Archive Homepage, www.olats.org, Stand: 1. April 2017]


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später45 in den Räumlichkeiten der Société Française d'Esthétique erneut. 1955 erschien Schöffers Buch mit dem Titel Le Spatiodynamisme. Beim Lesen des Buches hat man zwar das Gefühl, dass es sich um ein Manifest handelt, es ist aber eine nachträgliche und dementsprechend ausgereifte Zusammenfassung der Gedanken, die während der spatiodynamischen Periode entstanden sind. Die Einleitung kündigt eine neue Ära an, wenn die Kunst aufhört die Natur zu imitieren und beginnt eine gleichwertige, parallele und synthetische Welt aufzubauen. Der Künstler wird vom Imitator zu Kreator. Schöffer definiert die Regeln des Spatiodynamismus. Der rechte Winkel, die strikte Konstruktionsprinzipien auf der Basis des Goldenen Schnittes, die Gleichwertigkeit der Betrachtungswinkel und die Bewegung des Rezipienten sind betont. In den nächsten Kapiteln bestimmt Schöffer die Rollen des Spatiodynamismus, des Bildhauers, der Skulptur und insbesondere der spatiodynamischen Skulptur. Die Beschreibung der spatiodynamischen Skulptur beinhaltet im Kern schon alle späteren Entwicklungsstufen und bezeugt, dass Schöffer zu dieser Zeit schon ganz feste Pläne für seine zukünftige Arbeit hatte. Die spatiodynamische Skulptur gewinnt in der Folge durch Bewegung und durch die Programmierung der beweglichen Teile eine neue Qualität, sie wird zum Spektakel. Sie nimmt im urbanen Raum den Platz der Kathedralen ein und dominiert die visuelle Erfahrung. Schöffer betrachtet das Skulptur-Spektakel als das grundlegende Organisationsprinzip der Stadt. Die Architektur sei nur die Erweiterung und räumliche Fortführung dieses Spektakels. Diese neuen ästhetischen Qualitäten sollen das Leben positiv beeinflussen.

Bild 46. Nicolas Schöffer Spatiodynamique 22, installiert im Jahr 1980 in dem Hakone Open Air Museum, Japan; Bei den späteren spatiodynamischen Arbeiten verschwanden die Farben und die Ästhetik des Werkes wurde von der matten oder polierten Fläche des Metalls bestimmt. Schöffer verwendete Aluminium, Stahl, Messing und Kupfer. Foto: Eric Koh

45

19. Juni 1954


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Im zweiten Teil des Buches definiert Schöffer den Begriff Plasticosoziologie. Die Plasticosoziologie untersucht die Auswirkungen der künstlichen Umgebung auf das menschliche Verhalten. Schöffer analysiert die physischen, psychischen, energetischen und morphologischen Auswirkungen. Damit schafft er ein umfangreiches Gedankengut, welches bei allen späteren Arbeiten den Grundstein liefert, auf dem er baut. Dasselbe grundlegende Konzept entdeckt man, egal ob es sich um Arbeiten im Bereich der Architektur, Musik, Skulptur oder anderer Sparten der Kunst handelt. Mit

der

Publikation

des

Buches

wurden

die

Ergebnisse

dieser

Periode

zusammengefasst und damit näherte sich diese Phase der künstlerischen Forschung dem Ende.

Spatiodynamik

27,

auch

CYSP0

genannt,

war

die

letzte

Skulptur

der

spatiodynamischen Serie. Das Buch Le Spatiodynamisme ist eine sehr bedeutende Schrift, aber nicht der einzige Höhepunkt dieser Periode. Als Finale brachte diese Phase der künstlerischen Laufbahn die entscheidendste Leistung mit sich, jene die Schöffers Alleinstellung und Position in der Kunstgeschichte sicherte. Schöffer schuf im Jahr 1956 CYSP1, die erste kybernetische Skulptur der Welt. Es ist eine schwierige Entscheidung über dieses Werk nicht gleich hier detailliert zu schreiben, aber die Skulptur hatte ein eigenes Leben und eine eigene Geschichte. Die Logik der Erzählung fordert, dass die Beschreibung der fünf Topologien (Raum, Licht, Zeit, Klang, Klima) nicht unterbrochen wird. Ich werde im weiteren Verlauf auf dieses Schlüsselwerk zurückkehren (Kapitel Kybernetische Hauptwerke) und in demselben Teil dieser Schrift auch noch weitere kybernetische Hauptwerke in das Rampenlicht stellen.

Bild 47. Nicolas Schöffer: SP27, auch CYSP0 genannt

Bild 48. Nicolas Schöffer: CYSP1, 1956


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4.3.2.2. Das Licht – Luminodynamismus (1957—1959) Von 1957 Schöffers Interesse wurde bifokal. Neben dem Raum übte ein zweites immaterielles künstlerisches Medium, das Licht, große Faszination auf ihn aus. In den Jahren 1957—59 arbeitete er die Theorie des Luminodynamismus aus. Licht ist das für das menschliche Auge sichtbare, schmale Spektrum der elektromagnetischen Strahlung, welches die Wellenlängen von etwa 380 nm bis 780 nm umfasst. Der exakten und objektiven physikalischen Beschreibung steht die subjektive Wahrnehmung des Lichtes entgegen, welche zum Teil von der individuellen Empfindlichkeit des Auges, aber auch von kognitiven Prozessen und Umgebungsfaktoren abhängig ist. Es wäre ohne Lichtstrahlen unmöglich, die Welt wahrzunehmen. Wir nehmen das, von den Objekten reflektierte, Licht als Farbe und Textur wahr. Das Spiel von Licht und Schatten lässt die dreidimensionale Form von Objekten erkennen. Es ist andererseits durch die Imititation von Licht- und Schattenverhältnisse möglich, die Augen zu verwirren und eine räumliche Ausdehnung bei zweidimensionalen Objekten vorzutäuschen. Das Licht spielte immer eine entscheidende Rolle in der Kunst. Im weitesten Sinne versteht man unter Lichtkunst jede gezielte Einsetzung von Lichteffekten zu ästhetischen Zwecken. Solche Effekte konnte man mit Hilfe von Feuer, Kerzenlicht, Schwarzpulver oder durch gefärbte Glasfenster auch vor der Entdeckung der Elektrizität erzielen. Im engeren Sinn kann man von Lichtkunst erst seit dem 19. Jahrhundert sprechen, da seit dieser Zeit fortgeschrittene Beleuchtungstechniken zur Verfügung stehen um eventuellen künstlerischen Zwecken zu dienen. Die technische Entwicklung erzielt immer erstaunlichere und eindrucksvollere Effekte, aber das Streben nach einer spektakulären Wirkung war immer präsent, wie es zum Beispiel sowohl bei dem Feuerwerk als auch bei den Glasfenstern einer Kathedrale evident ist. „Je sculpte de la lumière“ – „Ich gestalte aus Licht“, schrieb 1892 die Tänzerin Loïe Fuller (Bild 49.) über ihr Debüt in den Pariser Folies Bergère. Sie tanzte in ein überdimensioniertes weißes Tuch aus Crêpe de Chine eingehüllt auf der Bühne. Der Bewegungsradius der Arme wurde mit Aluminiumstäben unter den Stoff verlängert. Der scharfe Strahl einer im Bühnenboden eingelassen Lichtbogenlampe ließ ein sich transformierendes lebendiges Lichtskulptur aus fließenden und wirbelnden Stoffbahnen erscheinen, welche den zärtlichen Körper der Tänzerin weit überragte. Eine in den Exzess steigerte visuelle Orgie entzückte das Publikum.


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Bild 49. Loïe Fuller in den Folies Bergère

Dank

der

Entwicklung

der

Technologie

gerät

die

Komplexität

des

Wahrnehmungsprozesses am Ende des 19. Jahrhunderts in den Fokus der künstlerischen Forschung. László Moholy-Nagy fasste 1928 seine Erfahrungen mit einer sich entwickelnden Fotografie zusammen. Es ging ihm weniger um die Fotografie als künstlerische Sparte, sondern vielmehr um ein Neues Sehen, um eine technische Kunst und um das Licht als Medium. Im Zeitraum 1920—1930 entwickelte László Moholy-Nagy ein Licht-RaumModulator (Bild 15. und 50.). Das Werk zählt zu den Hauptwerken der Lichtkunst. Drei bewegliche, auf einer rotierenden Scheibe angeordnete Konstruktionen aus Metall bzw. Glas bildeten das Herzstück des Licht-Raum-Modulators, das im Zusammenspiel mit farbigem und weißem Licht spektakuläre Schattenbildungen in einem abgedunkelten Raum hervorbrachte. Die rotierenden Teile waren zum Teil aus durchsichtigem Material, zum Teil aus quadratischem Gitter und perforierten runden Scheiben. Die Glühlampen leuchteten, einem vorbestimmten System entsprechend, in einem Wechselspiel auf verschiedenen Stellen auf. Das

Werk

wurde

zum

ersten

Mal

im

Rahmen

des

deutschen

Beitrags

zur

Werkbundausstellung 1930 in Paris gezeigt. Die Künstler der Op-Art und kinetischen Kunst steigerten die sinnliche Affizierung des Rezipienten ins Exzessive. Sie operierten mit heftigen Effekten, Verzerrungen, optischen Täuschungen, illusionistischen Irritationen und Nachbildern. Die Überforderung der Sinnesorgane verunsichert den Rezipienten und verhindert zunächst die Reflexion, um in der Folge ein Bewusstsein für die Flüchtigkeit, den Wandel und die Ambivalenz der Erscheinungen zu erzeugen. Die künstlerischen Experimente weisen auf die Abhängigkeit der Bedeutungszuschreibung von dem rezipierenden Subjekt und vom jeweiligen Kontext hin.


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Die Op-Art kalkulierte mit der Bewegung des Betrachters und provozierte es um die intendierten Wirkungen zu erreichen. Die kinetischen Künstler ließen ihre Werke bewegen.

Bild 50. Moholy-Nagy Licht-Raum-Modulator, 1922—30, Foto: Rainer K. Wick

Bild 51. Victor Vasarely: Vega 200, Acryl auf Leinwand, 1968, optische Vortäuschung eines dreidimensionalen Bildes

Nicolas Schöffers Lichtexperimente knüpfen an diese Vorläufer an. Schöffer benutzt das Licht, ähnlich wie Loïe Fuller, um seiner Schöpfungen eine neue gesteigerte optische Dimension zu geben. Mit ausgeschalteten Lichtquellen erfährt der Rezipient die materiellen Dimensionen der Skulptur. So erfährt der Betrachter die kybernetischen Türme im städtischen Raum tagsüber. Ein Spektakel entsteht, sobald die Lichter aufleuchten und die optischen Dimensionen des Werkes übertreffen um ein Vielfaches seine materiellen Dimensionen. Schöffer arbeitet bei den kybernetischen Türmen wesentlich komplexer mit dem Licht, als die einfache Steigerung der Wirkung und das Licht bekommt dabei neue Qualitäten. Es wird einerseits zum Informationsträger, andererseits zum Symbol. Die verschiedenen farbigen und weißen Lichtquellen dienen als Buchstaben einer Sprache, die dann durch Gruppierung und Programmierung der Intervalle, in denen sie aufleuchten, die Wörter und Sätze dieser Sprache bilden. Diese Lichtsprache informiert die Bewohner über die Umgebungsfaktoren und über die Lebensabläufe der Stadt, beispielsweise über die Tageszeit, über das Wetter, über den Verkehr in der Stadt und am Flughafen, oder über den Börsenindex. Dieser dichte Informationsstrom, dieses unglaubliche, pulsierende, ästhetische Phänomen, unterstreicht den urbanen Charakter der Stadt. Das Lichtspiel wird zum Symbol der geistigen Macht des humanen Gehirns und der Zukunft.


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Das Grundkonzept der Lux Serie ist ähnlich zu jenem des Licht-Raum-Modulators von Moholy-Nagy, aber der Aufbau der Skulptur unterscheidet sich. Die Skulptur besteht aus einer Konstruktion mit horizontalen und vertikalen quadratischen Profilen und aus den darauf fix montierten Scheiben und Platten. Die Struktur basiert auf dem Goldenen Schnitt. Die Konstruktion wird von farbigen und weißen Lichtquellen beleuchtet und das Schattenspiel auf den Wänden ist Teil des Werkes. Schöffer verwendete auch einen halbtransparenten Schirm. Eine mehrfache Lesung des Werkes entstand damit. Schöffer reichte das Grundprinzip am 14. Dezember 1956 im Patentamt ein und es wurde 25. August 1958 als Patent eingetragen. Eine Zeichnung zeigt einen quadratischen, diagonal auf die Spitze gestellten Schirm. Auf einer anderen Zeichnung hängt der Schirm auf einen Ständer. Einige LUX Skulpturen sind auf einem sich rotierenden Plattform montiert. Bild 52. Nicolas Schöffer: Grundprinzip der am 14. Dezember 1956 im Patentamt eingereichten Patentes zur Lichtprojektion. Die Kombination von zwei Skulpturen, die sich je auf einem Sockel mit unterschiedlichen Geschwindigketen um

die

vertikale

Achse

drehen,

erhöht

die

Dynamismus des projizierten Schattenbildes.

Schöffer beschäftigte sich auch mit Fragen der Wahrnehmungstheorie. Die Microtemps (1960-1966) Serie entstand schon während des dritten Abschnittes der zweiten großen Schaffensperiode, wobei Schöffers Spektrum von immateriellen künstlerischen Medien neben den Raum und das Licht auch schon die Zeit umfasste. Die Serie ist aber weniger wegen ihrer kinetischen Eigenschaften als wegen der wahrnehmungstheoretischen Bezüge wichtig. Die Serie Microtemps thematisierte die Grenzen des menschlichen Sehvermögens und forderte die kognitiven Kapazitäten der Bildverarbeitung heraus. Dreißig Tausendstel einer Sekunde vergeht zwischen den Momenten, wenn die Lichtstrahlen aus einer Szene die Augen erreichen und das Bild bewusst wahrgenommen wird. Während dieser Micro-Zeit selektiert das menschliche Gehirn die wichtigen Informationen aus und entscheidet, was wahrgenommen wird. Das menschliche Gehirn ist ein komplexes Netzwerk von Nervenzellen. Die meisten Quellen gehen aus einer Anzahl von 100 Milliarden Neuronen aus, obwohl eine aktuelle Studie diese Zahl um 15 Milliarden reduziert. Die Neuronen haben durchschnittlich zehntausend Verbindungen zu anderen Neuronen. Nur einen Bruchteil der Neuronen ist aktiv. Es scheint, dass das Gehirn große schlafende Reserven hat. Diese Reserven wollte Schöffer aktivieren. Als er über physikalische Experimente mit dem Teilchenbeschleuniger

las,

inspirierte

ihn

das.

Er

stellte

die

Microtemps

als

Teilchenbeschleuniger auf der neuronalen Ebene vor. Die Microtemps sind kleine Kästen,


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deren innere Seite entweder schwarz oder weiß bemalt, oder mit einem reflektierenden Material gekleidet ist. Verschiedene Scheiben, Schalen und Platten aus Edelstahl werden in dem Inneren des Kastens durch einen programmierten Motor in Bewegung gesetzt. Die Geschwindigkeit ihrer Drehungen wurde der Wahrnehmungsgeschwindigkeit eines Bildes, also dem dreißig Tausendstel einer Sekunde, so angepasst, dass es eine Herausforderung für die kognitiven Kapazitäten des Rezipienten darstellte. Die Microtemps haben keinen Schirm, wie die sonst ähnliche Luminos, die ersten seriell hergestellten Kunstwerke für den Haushalt. Der Rezipient kann die sich drehenden Teile unbehindert sehen. Die Motoren und die sich drehenden Teile produzieren laute Geräusche. Diese audiovisuelle Herausforderung hätte die schlafenden Neuronen wecken sollen. Schöffer verglich diese Wirkung zu einer erfrischenden geistigen Massage. Er war der Meinung, dass die immer schneller werdende Entwicklung zur Verstärkung des Informationsstromes führe und die jüngeren Generationen ihre schlafende Neuronen aktivieren müssen, um den Schritt mit den Anforderungen dieser modernen Gesellschaft halten zu können.

Bild 53. Nicolas Schöffer: LUX 10, Foto Jennifer Braun

Bild 54. Nicolas Schöffer Microtemp, Foto: László Ördög

Die oben erwähnten Luminos waren seriell hergestellte Kunstwerke, mit dem Ziel, in den Familienheimen eine entspannte, wohltuende Atmosphäre durch Lichteffekte zu erzeugen. Sie sahen wie ein kleiner Fernseher aus. Sie wurden auch gerne zu psychiatrischen Zwecken verwendet. Bei den Microtemp, Lumino und Boît à Effet Serien einem mechanisch vorgegebenen Ablauf entsprechend verändert sich zeitlich das Spektakel. Der nächste Schritt der Entwicklung war die Programmierung der Abläufe. Die Topologie der Zeit gerät in den Fokus.


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4.3.2.3. Die Zeit – Chronodynamismus (1959-) 4.3.2.3.1. Wahrnehmung der Zeit durch die Informationsdichte Schöffer definierte die Topologie der Zeit folgendermaßen: „Die Zeit ist die messbare und erfassbare Grundlage des Lebens in ihrer Entfaltung; Sie ist ein linearer Strom mit kontinuierlicher Progression, der wie ein Fluss die Schaufeln des existentiellen Antriebsrades bewegt, welche sich um die Achse des universellen und individuellen Bewusstseins dreht. Es ist durch die in dem Fluss treibenden Informationen, die durch die Schaufeln des Rades mit Hilfe seiner Achse vermittelt und übermittelt werden, das heißt durch das Bewusstsein, dass sie sich qualifizieren und quantifizieren lässt."46 „Die Zeit:- Die Organisation der Dichte der visuellen und akustischen Ereignisse."47 Die Zeit ist eine grundlegende gerichtete physikalische Größe mit einer vordefinierten Maßeinheit, die es ermöglicht, Ereignisse auf einer Skala von der Vergangenheit über die Gegenwart in die Zukunft hin zu organisieren. Es erlaubt die Festlegung der Dauer der Ereignisse oder die Messung der Intervalle, die zwischen ihnen verstreichen. Schöffers obige Definition weist darauf hin, dass unser Zeitempfinden von der Informationsdichte abhängig ist. Obwohl schon früher einige Skulpturen entstanden, die sich bewegten, ab 1959 beschäftigte sich Schöffer schwerpunktmäßig mit der Rhythmisierung und Dynamisierung der Zeit und mit der Programmierung des Spektakels. Er arbeitete die Grundsetze der Theorie des Chronodynamismus aus. Die zeitliche Koordinierung der verschiedenen Ereignisse wurde zu einem Schlüsselinstrument in Schöffers Kunst. 4.3.2.3.2. Kinetische versus kybernetische Werke Schöffer arbeitete oft mit aus Waschmaschinen demontierten Programmiereinheiten und verwendete zwei oder mehrere solche Geräte zu einer Skulptur. Jede Programmiereinheit

46

„Le temps est la base mesurable et saisissable de la vie dans son déroulement; c’est un flux linéaire à progression continue entrainant, comme une rivière, les pales de la roue motrice existentielle, qui tourne autour de l’axe de la conscience universelle et individuelle. C‘est à travers et par les informations véhiculées par la rivière et transmises par les rayons de la roue au moyen de son axe, c’est à dire à la conscience, qu’il se trouve qualifié ainsi que quantifié." [Nicolas Schöffer, Quelle : Observatoire Leonardo des Arts et des Technosciences Nicolas Schöffer Archive Homepage, www.olats.org, Stand : 31. August 2017] 47

" Le temps :- L’organisation de la densité des événements visuels et sonores" [Nicolas Schöffer, Quelle : Observatoire Leonardo des Arts et des Technosciences Nicolas Schöffer Archive Homepage, www.olats.org, Stand : 31. August 2017]


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steuerte

bestimmte

Funktionsgruppen

wie

Lichtquellen,

Motoren,

etc.

Da

die

Programmiereinheiten mit verschiedenen Perioden arbeiteten, ergab sich eine große, aber keineswegs unendliche Anzahl von Kombinationen. Der Rezipient bemerkte es im Allgemeinen nicht, aber das Spektakel begann sich nach gewisser Zeit zu wiederholen, weil die Skulptur in diesem Fall ein geschlossenes System, eine rein kinetische Skulptur war.

Bild 55. Nicolas Schöffer: Detailaufnahmen einer Skulptur im Atelier, Villa des Arts, Paris; zeitliche Koordinierung der Ereignisse mit aus Waschmaschinen demontierten Programmiereinheiten; Foto: László Ördög

Die Programmierung von sich zyklisch wiederholenden Ereignissen befriedigte aber den Künstler nicht. Er wollte die Reihenfolge der Ereignisse, den Zeitpunkt des Auftretens und die Dauer der Wirkung so bestimmen, dass ein sich nie wiederholendes Spektakel entstehe. Es gelingt, wenn die Skulptur mit Sensoren ausgestattet ist und auf Reize aus der Umwelt reagiert. Die Reize aus der Umwelt wirken als ein Zufallsgenerator und weisen keine Periodizität auf. Die Skulptur ist in diesem Fall ein offenes System, ein kybernetisches Werk. Dieser Unterschied zwischen der kinetischen und kybernetischen Kunst ist sehr wichtig, aber ist sogar für viele Kunstinteressierte nicht ganz klar. Die Anfänge der kinetischen Kunst reichen einige Jahrzehnte weiter zurück, aber die kybernetische Kunst beginnt mit Nicolas Schöffer. Um Schöffers Position in der Architektur- und Mediengeschichte zu bestimmen, fasse ich kurz die wichtigsten Meilensteine der Entwicklung zusammen. 4.3.2.3.3. Darstellung zeitlichen Ablaufe in der Kunst Zahlreiche Kunstgattungen, wie zum Beispiel Filmkunst, Literatur und Tanz, können zeitliche Abläufe ohne Schwierigkeiten wiedergeben oder sogar auf der Zeitleiste vorwärts und rückwärts Sprünge vollziehen. Es ist wesentlich komplizierter über Handlungen und Ereignissen mit einem einzigen stillen Bild zu erzählen. Die Bewegung liegt nicht in der


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Natur der Malerei, Grafik oder Skulptur. Jahrhundertelang repräsentierten diese Kunstgattungen sogar die heftigsten Ereignisse mit Momentaufnahmen und haben nicht einmal versucht verschiedene Augenblicke oder ganze Abläufe zu erfassen. Es war die Aufgabe des Rezipienten, aus dem stillen Bild auf Grund seiner Erfahrung und Vorstellungskraft das Geschehen in seinem Gehirn zu rekonstruieren.

Darstellung bewegter Szenen durch einen charakteristischen Augenblick

Bild 56. Lakoon und seine Söhne, Marmor, Nachbildung aus hellenistischem Original von 200 v.Chr., gefunden auf dem Esquilin in Rom im Jahr 1506., Vatikanische Museen

Bild 57. Joseph Mallord William Turner: Schiffbruch des Minotaurus, um 1810, Calouste Gulbenkian Museum

Die Experimente der Fotopioniere in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts weckten das Interesse für die Darstellung von Bewegung auch in den Kunstgattungen, die mit stillen Bildern arbeiten. Der Anstoß kam aus wissenschaftlichem Gebiet. Étienne-Jules Marey war ein Pionier der wissenschaftlichen Fotografie und der Kinematografie. Er war an der Physiologie des Kreislaufs und der Entwicklung zuverlässiger Untersuchungstechniken interessiert. Später erweiterte er seine medizinisch-wissenschaftlichen Forschungen in die Richtung technischer Erfindungen zum Studium biologischer Bewegungsphänomene bei Tieren und Menschen. Er benutzte rotierende fotografische Platten in einer gewehrähnlichen Kamera.

Mit

seiner

chronofotografische

Flinte

waren

sogar

dreidimensionale

Rekonstruktionen von Bewegungsabläufen möglich. Die Serienfotografien von Eadweard Muybridge dienten ebenfalls dem Studium des menschlichen und des tierischen Bewegungsablaufs und halfen Fragen zu klären, die vorher mit dem bloßen Auge nicht zu entscheiden waren. Ebenfalls bedeutend waren die Zyklogrammen von Frank B. Gilbreth. Er war im Zuge seiner Forschungen für die Industrie bemüht, die Bewegungsabläufe bei der Fließbandarbeit zu erfassen und zu optimieren. Er ließ die Bewegungsabläufe mit einer


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Lampe in der Hand im Dunkeln ausführen. Die weiße Lichtspur der Lampe zeichnete ein abstraktes Liniengefüge, die die Analyse der Bewegung ermöglichte. Auf viele zeitgenössische Künstler übten diese Bewegungsstudien, die die verschiedenen Phasen einer Bewegung in einem einzigen Bild darstellten, eine magische Faszination aus. Sie weckten das Interesse der Futuristen, die davon träumten, das Rauschen der Motoren und die Geschwindigkeit der vorbei rasenden Automobile in ihren Bildern festzuhalten. Giacomo Balla führte mit seinen Gemälden Dynamik eines Hundes an der Leine (1912) und Der Hand eines Violinisten (1912) den Begriff der Dauer ins Bild ein. Mit der Darstellung von verschiedenen Phasen des Bewegungsablaufs auf einem Gemälde verbildlichte er den Ablauf einer Bewegung. Ganz andere Ziele verfolgte Duchamp. Die sequenzielle Gestaltungsweise charakterisiert auch sein 1912 fertiggestelltes Bild mit dem Titel Nu descendant un escalier. Duchamp reduzierte die Figur des herabschreitenden Aktes auf kubistische Formen und konzentrierte auf den Mechanismus des Hinabschreitens. Er thematisierte weniger die Dauer, sondern eher die Motorik der Bewegung.

Bild 58. Eadweard Muybridge: Woman Walking Downstairs aus: The Human Figure in Motion, um 1887

Bild 59. Étienne-Jules Marey (1830-1904), Bewegungsfotografie, Geometrische Chronofotografie eines Mannes in schwarzem Anzug, 1883, Chronofotografische Flinte, 1882


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Bild 60. Étienne-Jules Marey: Chronofotografie eines Pelikanflugs, um 1882

Bild 61. Giacomo Balla: Dynamism of a Dog on a Leash, Öl auf Leinwand, 95.57 x 115.57 cm, 1912, Albright–Knox Art Gallery, New York

Bild 62. Giacomo Balla: Die Hand eines Violinisten

Marcel Duchamps Ready-made Roue de bicyclette (Bild 44.) ist im Jahr 1913 entstanden und markiert einen neuen Schritt der Entwicklung. Es geht hier nicht mehr um die Darstellung der Bewegung, sondern die reale Bewegung konstituiert das Kunstwerk. Duchamp fixierte das Vorderrad eines Fahrrades mit der Fahrradgabel an einen Küchenhocker. Die Drehung der Speichen erzeugt eine optische Wirkung und lässt ein virtuelles, immaterielles Bild erscheinen, welche die Vorstellung von Geschwindigkeit erweckt. Die Bewegung des Rades wird manuell durch den Betrachter erzeugt. Das Werk Demi-sphère rotative war im Gegensatz motorisiert. Es bestand aus einer Halbkugel, in dem eine Spirale aufgezeichnet wurde. Die Halbkugel wurde mit einem Motor zum Drehen


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gebracht. Durch die Geschwindigkeit der rotierenden Scheibe erzeugte das abstrakte Muster eine virtuelle Tiefe und damit einen fiktiven optischen Raum. Die zwei Pioniere der kinetischen Kunst, Naum Gabo und sein Bruder Anton Pevsner, haben die Darstellung der Beziehungen von Raum und Zeit zum Ziel gesetzt. Ihrer Auffassung nach seien Kunstwerke, die Bewegung, Raum und Licht thematisieren, Träger des modernen Geistes. Sie haben die Grundprinzipien ihres künstlerischen Credos 1920 in dem Manifeste Réaliste verfasst: „Wir erkennen in der bildenden Kunst ein neues Element, die kinetischen Rhythmen, als Grundformen unserer Wahrnehmung der realen Zeit.“ [Manifeste Réaliste]48 Naum Gabo gestaltete 1920 ein Objekt, das aus einer vertikal stehenden Drahtnadel bestand, die durch einen im Sockel versteckten Motor angetrieben wurde. Die schnellen Drehungen ließen eine virtuelle Plastik entstehen. Ein virtuelles Volumen wurde umgeschrieben, als der sich rotierende Draht eine stehende Welle erzeugte. Das Werk mit dem Titel Stehende Welle war damit nur durch die Bewegung erfahrbar. Die eigentliche Plastik existierte nur bei eingeschaltetem Motor. In den 20er Jahren häuften sich die kinetischen Experimente und immer mehr Künstler konzentrierten sich auf die Bewegung. Die Wurzeln der kinetischen Kunst sind in dem Futurismus, Kubismus und Suprematismus zu finden. Dem Futurismus ist die Ästhetik der Geschwindigkeit und der mechanischen Bewegung zu danken. Der Kubismus betonte den mobilen Charakter der Wahrnehmung und die Simultanität der Sichtpunkte. Der Suprematismus trägt mit der Idee der kosmischen Bewegung und der Vibration universelle bei. Innerhalb des russischen Konstruktivismus experimentierten unter anderem Alexander Rodtschenko, Naum Gabo und Anton Pevsner gezielt mit der Kinetik. In den 1930er Jahren trug Alexander Calder mit seinen Mobiles wesentlich zur Popularisierung der kinetischen Kunst bei. Eine neue Blütezeit erlebte die Kunstform nach dem Zweiten Weltkrieg. Auf der Suche nach neuen künstlerischen Ausdrucksformen entstanden vor allem in den 50er Jahren Objekte, die sich selbst bewegten oder bei denen sich einzelne Teile bewegen ließen.

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Original Text : “ We proclaim a new element in plastic arts: the kinetic rhythms, which are essential forms of our perception of real time . . .” [Naum Gabo und Anton Pevsner]


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Bild 63.: Denis René, renommierte Pariser Galeristin der kinetischen Kunst.

In ihrer Galerie fand die erste Ausstellung der kinetischen Kunst mit dem Titel ‚Le Mouvement‘ statt.

Große internationale Beachtung fand die Tätigkeit der Galeristin Denis René wegen ihres Engagements im Bereich der kinetischen Kunst. Die Galerie Denis René wurde 1945 gegründet. Die erste Ausstellung zeigte Arbeiten von Victor Vasarely, der auch Geschäftspartner war. Die erste, in Kunstkreisen weltweit beachtete Ausstellung kinetischer Kunst wurde von der Galerie Denis René 1955 mit dem Titel Le Mouvement organisiert und präsentierte sowohl etablierte Künstler als junge Talente. Ausstellende Künstler waren Jacoov Agam, Josef Albers, Pol Bury, Marcel Duchamp, Bo Ek, Karl Gerstner, Heinz Mack, Frank Malina, Enzo Mari, Bruno Munari, Man Ray, Dieter Roth, Jésus Rafael Soto, Jean Tinguely und Victor Vasarely

Bild 64. Victor Vasarely, Pontus Hulten, Roger Bordier: Manifest Jaune, verfasst anlässlich der ersten Ausstellung der kinetischen Kunst mit dem Titel Le Mouvement in der Galerie Denis René, Paris

Vasarely verfasste mit Pontus Hulten und Roger Bordier anlässlich der Ausstellung Le Mouvement ein Manifest mit identischem Titel. Das Manifest wurde jedoch wegen seiner Farbe als Manifeste Jaune (Gelbes Manifest) bekannt. Das Manifest und die Ausstellung markieren den offiziellen Beginn der kinetischen Bewegung. Der Begriff kinetische Kunst erscheint jedoch erst 1960 zum ersten Mal anlässlich der Ausstellung Multiple Art Transformable-Art cinétique im Kunstgewerbe Museum in Zürich, die von dem Künstler Daniel Spoerri organisiert wurde.


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In den 60er Jahren bildeten sich verschiedene Gruppen der kinetischen Kunst, wie die G.R.A.V. (Groupe de Recherche d’Art Visuel) in Paris, Gruppe T in Mailand, Gruppe Zéro in Düsseldorf, Gruppe Nul in den Niederlanden, Gruppe Dvizhenie in Moskau und die Gruppe Anonima in Cleveland. Nicolas Schöffer war Mitglied der G.R.A.V. Internationale Beachtung finden auch die zwei von Pontus Hulten organisierten großangelegten Ausstellungen der kinetischen Kunst. Die Exposition Rörelse i Konsten fand 1961 in dem Stockholmer Moderna Museet statt. Die Ausstellung The Machine as Seen at the End of the Mechanical Age präsentierte 1968 Werke kinetischer Künstler im MoMA New York.

Bild 65.: Exposition Rörelse i konsten, Moderna Museet, Stockholm, 1961. Photo: Herbert Lindgrén.

Nur ein Jahr nach der ersten bedeutenden Ausstellung der kinetischen Kunst Le Mouvement folgte die Geburtsstunde der kybernetischen Kunst. Nicolas Schöffer präsentierte 1956 die erste kybernetische Skulptur CYSP1. 4.3.2.3.4. Die Kybernetik Die Wurzeln der wissenschaftlichen Kybernetik sind in den 40er Jahren zu finden und sind eng mit dem Namen Norbert Wiener und mit den Macy-Konferenzen verknüpft. Man hat Gemeinsamkeiten und Schnittstellen verschiedener Einzeldisziplinen gesucht, die Themen wie menschliches Verhalten, Nachrichtenübertragung, Regelung, Entscheidungs- und Spieltheorie und statistische Mechanik betrachten. Die Konferenzen beschäftigten sich mit dem Thema zirkulare und kausale Rückkopplung in biologischen und sozialen Systemen. Maßgeblich für die Entwicklung des Fachgebietes waren die von Heinz von Foster ab den 50er Jahren herausgegebenen Tagungsbände Cybernetics der Macy-Konferenzen der Josiah Macy Stiftung.


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Bild 66. Kybernetische Seance, Konferenz 3. Mai 1947 Um den Tisch (von links nach rechts): Rafael Lorente de Nó, Margaret Mead, Kurt Lewin, Warren S. McCulloch, Paul Lazarsfeld, Arturo Rosenblueth, Gregory Bateson, Ralph W. Gerard, John von Neumann, Heinz von Foerster, Lawrence K. Frank, Norbert Wiener, Heinrich Klüver, Molly Harrower.

Der Begriff Kybernetik leitet sich von dem griechischen Wort für Steuermann ab und erschien zum ersten Mal in gedruckter Form 1948 in einem Buch mit dem Titel Kybernetik, Regelung und Nachrichtenübertragung im Lebewesen und in der Maschine von Norbert Wiener. Die Kybernetik ist ein interdisziplinäres Gebiet der Wissenschaft. Die Kybernetik ist die Wissenschaft von Steuerung und Regelung. Sie beschäftigt sich mit den allgemeinen Regeln der Informationsverarbeitung und Kommunikation. Charakteristisch für ein kybernetisches System ist eine geschlossene Signalschleife. Aktionen des Systems verursachen Veränderungen in der Umgebung und diese Veränderungen beeinflussen wiederum durch eine Rückkopplung die Weise, wie das System weiter funktioniert. Die Rückkopplung löst ein Adaptationsmechanismus im System aus, das sich auf interaktiver Weise an die neuen Bedingungen anpasst. Diese im Kreis laufende kausale Beziehung, diese Rückkopplungsschleife, ist notwendig für eine kybernetische Perspektive. Ein wichtiger Begriff ist die Homöostase, welche die Aufrechterhaltung eines Gleichgewichtszustandes eines offenen dynamischen Systems durch einen internen regelnden Prozess bezeichnet. Sie ist damit ein Spezialfall der Selbstregulation von Systemen. Ein System in Homöostase ist ein Homöostat. Die beiden Seiten der Wechselwirkung zwischen dem kybernetischen System und der Umgebung sind die Regulierung und das Feedback. Das System übt seinen Einfluss auf die Umwelt durch Effektoren aus, die auch Aktoren genannt werden. Die Regulierung und Kontrolle wurde aufgrund der Entwicklung der Technologie bisher in den verschiedensten Formen umgesetzt. Die anfängliche mechanische Steuerung der Elemente wurde zuerst durch elektromechanische Regulierung, später durch moderne elektrische oder elektronische Steuerung ersetzt. Inzwischen haben sich die theoretischen Grundlagen kaum verändert.


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Die Rückkopplung kompensiert die störenden Auswirkungen der Umwelt und ermöglicht dem System, sich den Umweltveränderungen anzupassen und im Gleichgewicht zu bleiben. Die Rückkopplung erfordert die Wahrnehmung von Umweltsignalen mit Hilfe von Sensoren und die Fähigkeit des Systems diese Informationen zu bearbeiten. Im Zuge der Rückkopplung werden die Ausgangssignale des Systems (Output) in unveränderter oder modifizierter Form dem gleichen System als Eingangssignale (Input) zurückgeleitet. Die Sensoren sind mechanische, elektrische oder andere Geräte, welche die charakteristischen Werte einer physikalischen Eigenschaft oder deren Änderungen messen und erkennen können. Ein gemeinsames Merkmal der Sensoren ist es, dass sie die Messwerte der chemischen, physikalischen oder biologischen Daten in elektrische Signale umwandeln, die im weiteren Verlauf in numerische Daten umgewandelt und in dieser Form vom Computer verarbeitet werden. Als Sensoren können zum Beispiel Fotozellen, Mikrofone, Thermometer, Windgeschwindigkeitsmesser etc. eingesetzt werden. Schöffer definierte die Kybernetik folgendermaßen: „Kybernetik ist das Bewusstwerden des lebenswichtigen Prozesses, welcher das Gleichgewicht in der Gesamtheit aller Phänomene aufrechterhält. Es ist die Wissenschaft der Wirksamkeit, Effizienz und der Regelung durch die organisierte Kontrolle über alle relevanten Informationen, die im Zusammenhang mit Perturbationen jeglicher Art auftreten, um eine optimale Regelung jeder Phänomene zu erreichen, seien sie organischer, physikalischer oder ästhetischer Natur. Dies resultiert in einer fließenden Beständigkeit, in ein flexibles Gleichgewicht, wobei jedes Auftreten von einer Tendenz zur Periodizität oder Stagnation die Intervention einer adäquaten Perturbation bewirkt, so dass die Offenheit und der aleatorische Charakter jedes Evolutionsprozesses erhalten bleiben.“49 Nicolas Schöffer hatte einen umfassenden Ansatz, welcher alle wichtigen Prozesse des Lebens in der Stadt in Betracht zog, um die Funktionsweise seiner kybernetischen Werke zu programmieren. Die monumentalsten kybernetischen Werke sind die Türme. Er hat seine kybernetischen Türme als Zentralgehirne der Stadt vorgestellt, welche die Lebensprozesse der Stadt registrieren und regulieren, um ein störungsfreies Gleichgewicht aufrechtzuerhalten. Der Rhythmus der urbanen Prozesse und die zeitliche Koordinierung der Ereignisse werden von 49

" La cybernétique est la prise de conscience du processus vital qui maintient en équilibre l’ensemble des phénomènes. C’est la science de l’efficacité et du gouvernement par le contrôle organisé de toutes les informations y compris celles qui concernent les perturbations de toute nature, en vue de leur traitement pour parvenir à la régulation optimale de tout phénomène organique, physique ou esthétique. Il en résulte une permanence fluide, en équilibre souple, où chaque apparition d’une tendance à la périodicité ou à la stagnation provoque l’intervention des perturbations adéquates pour conserver l’ouverture et le caractère aléatoire de tout processus évolutif. " Nicolas Schöffer Archive Hompage www.olats .org


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diesen kybernetischen Türmen bestimmt, die als architektonische Skulptur oder skulpturale Architektur auf den Hauptplätzen der Stadt aufragen. Die Zeit spielt in Schöffers Oeuvre nicht nur bezüglich des Werkes eine Rolle, sondern umfasst auch die zeitlichen Abläufe in der Umgebung des Werkes. Die kybernetischen Werke sind Hauptwerke von Schöffer und werden in dem Kapitel Kybernetische Hauptwerke einzeln behandelt. 4.3.2.4. Der Klang Schöffer hatte, dank seiner musikalischen Erziehung, eine besondere Neigung zu der Welt der Klangerlebnisse. Er interessierte sich nicht nur für Musik in engerem Sinne, sondern hatte eine Sensibilität sowohl für die menschliche Stimme, als auch für nicht musikalische Klangereignisse. Als er Ungarn verließ, hörte für ihn der regelmäßige Musikunterricht auf und er spielte lange Zeit nicht mehr Klavier. Trotzdem blieb sein Interesse für Musik immer erhalten und bekam einen neuen Schwung, nachdem er seine zweite Frau Eléonore de Lavandeyra Schöffer kennenlernte. Eléonore beschäftigte sich mit orientalischer Musik und spielte die Tanpura, die indische Langhalslaute. Sie besuchte spezielle Musik Vorlesungen und Kurse an der Universität und im Centre d'Etudes des Musiques Orientales, um ihr Wissen bezüglich der neuesten Entwicklungen der Musikforschung zu erweitern. Sie weckte Schöffers Interesse nicht nur für die traditionelle orientalische Musik, sondern auch für die psychologischen Auswirkungen und eventuelle Heilwirkung von Musik. Die Musiktherapie war in den sechziger Jahren noch eine ganz neue und angefochtene Idee. Pioniere in diesem Gebiet waren Jacques Porte und Alfred A. Tomatis. Tomatis praktizierte als HNO-Arzt und entwickelte die Audio-Psycho-Phonologie, die häufig auch Tomatis-Therapie genannt wird. Diese beruht auf Behandlungen mit speziell aufbereiteter Musik und Stimme, wobei der Simulation des pränatalen Horcherlebens mit Hilfe der entsprechend modifizierten Mutterstimme eine zentrale Bedeutung beigemessen wird. Die Methode soll bei einer großen Anzahl von Verhaltensauffälligkeiten und Lernstörungen helfen, deren Ursache nach Tomatis oft Hör- bzw. auditive Wahrnehmungsstörungen seien. Von der wissenschaftlichen Medizin wird die Methode bis heute weitgehend angefochten, aber die Forschung von Tomatis inspirierte Eléonre de Lavandeyra Schöffer, die Heilwirkung von Musik durch eigene Experimente zu testen. Schöffer lernte durch seine Frau viele Musiker kennen, die einen großen Einfluss auf ihn ausübten und in Schöffers Atelier für Musikabende zusammenkamen, wie zum Beispiel Djamshid Chemirani und Dariouch Safvate. Sitar, Zarb, Tanpur und andere persische und


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indische Musikinstrumente ertönten zu diesen Anlässen im Atelier. Schöffer war auch von der Tätigkeit von Iégor Reznikoff sehr beeindruckt, der als Spezialist und Forscher der antiken Musik und Intonation bekannt war und an der Heilwirkung des menschlichen Gesanges glaubte. In den 70er Jahren kaufte Schöffer eine Yamaha Orgel und nach mehr als drei Jahrzente Pause spielte er wieder Musik. Er interessierte sich für Elektroakustik und begann seine musikalischen Forschungen in dem Institut de Recherche et Coordination Acoustique/Musique (Forschungsinstitut für Akustik/Musik) um 1980. Das Institut befindet sich im Pompidou Center, wo 1978 in dem damals ganz neuen Gebäude ein Experimentiersaal mit einer Fläche von 375 Quadratmetern und variablen akustischen Eigenschaften eröffnet wurde. Der Komponist Pierre Boulez war an der Gründung des Instituts maßgeblich beteiligt. Das Institut hatte die Zielsetzung, Forschungen in allen Bereichen der Akustik und Musik zu fördern, mit besonderem Schwerpunkt auf Elektroakustik und Elektronik. Die theoretische Reflexion über die kompositorischen Möglichkeiten des elektroakustischen Materials stand im Vordergrund. Es ging aber auch um die innovative Verwendung traditioneller Mittel. Der Umfang der Forschungstätigkeit implizierte, dass die Arbeit nur durch ein Kollektiv von Komponisten, Technikern und Wissenschaftlern durchgeführt werden konnte. Es war ein multidisziplinäres Projekt im Spannungsfeld

von

Linguistik,

Informationstheorie,

Kommunikationswissenschaft,

Elektrotechnik, Musik und Kunst. Von 1978 stand der digitale Klangprozessor 4C zur Verfügung des Teams. Ab 1981 kam auch der Prototyp der von Giuseppe di Giugno entwickelten 4X-Maschine zur Verwendung. Im Jahr 1988 wurde eine grafische Entwicklungsumgebung für Musik und Multimedia, die erste Version von Max, eingesetzt. Es war von Miller Puckette entwickelt. Vorteilhaft war, dass der Anwender eine interaktive Software für Max selbst erstellen konnte und es auf diese Weise möglich war, von den ästhetischen Vorgaben kommerzieller Produkte unabhängig zu sein. Schöffer komponierte seine Variationen auf 600 in diesem Institut mit der Verwendung der 4X Maschine. Er entwickelte dabei eine eigenständige und neue Notation. Schöffer wurde während seiner eigenen Arbeit von einer breiten Skala an Erfahrungen inspiriert, die von antiker und orientalischer Musik, bis hin zu den modernen elektroakustischen Experimenten reichte. Die Klänge der Natur und die Geräusche der Maschinen gehörten auch zu seinem Arsenal. Laut Schöffers Theorie ist die Topologie der Sound

ein

Klangraum,

wo

künstliche,

natürliche,

ästhetische

und

musikalische

Klangerlebnisse in optimierten Verhältnissen auftreten. Schöffer näherte sich den fünf


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immateriellen Medien (Raum, Licht, Zeit, Klang und Klima) mit derselben Denkweise an und nutzte den gleichen planerischen Ansatz bei diesen anscheinend sehr verschiedenen Gebieten. Sein Hauptanliegen war die Optimierung der Struktur, um eine effiziente Funktionsweise zu sichern. Im folgenden Verlauf dieses Abschnittes wird auf diese Aspekte näher eingegangen. Die Zeitung Le Monde publizierte am 2. August 1982 einen Artikel von Jean Mandelbaum mit dem Titel Nicolas Schöffer à la recherche de l'art total. Es ist im Wesentlichen ein Interview, während dessen Schöffer zahlreiche Fragen beantwortet. Ein kurzer Abschnitt dieses Artikels legt offen, wie kohärent Schöffer die Zeit und die akustische und visuelle Welt betrachtete. Er zitiert Stravinsky und mit dem Zitat erläutert die enge Beziehung von Zeit und Musik und legt seinen eigenen Schwerpunkt in der Musik auf den Rhythmus. Er betrachtet die Musik als ein improvisierter oder vororganisierter Wechsel von isolierten oder gruppierten Tönen und Stillen. Beim Komponieren bestimmt er die entsprechenden Funktionsgruppen, die in diesem Fall Töne und Tongruppen sein können, und programmiert die Zeitpunkte des Ertönens und die Länge der entsprechenden Zeitintervalle. Mit identischer Programmierungsmethode arbeitet der Künstler an dem visuellen Spektakel. Er bestimmt die Funktionsgruppen (Beleuchtung, Motoren etc.), die Zeitpunkte, wenn die Effekte antreten, und wie lange die Zeitintervalle dauern. Er würde nur die Funktionsgruppen austauschen, um aus einem akustischen Werk ein optisches Spektakel zu generieren oder umgekehrt ein optisches Erlebnis zu einem akustischen zu konvertieren. Der erwähnte Abschnitt des Artikels lautet folgendermaßen: „…mein Hauptmaterial ist die Zeit. Strawinsky sagte: ‚Musik ist nicht die Kunst des Sounds, es ist die Kunst der Zeit‘.

Als ich den Umgang mit der Zeit auf der

ästhetischen und visuellen Ebene entwickelt hatte, wurde mein Interesse auf die Musik gelenkt, was mich dazu gebracht hat, Klangstrukturen auf die gleiche Weise zu schaffen wie visuelle Strukturen. Mit Hilfe der komplexen elektronischen Mitteln schaffe ich Klangstrukturen, die auf dem gleichen Rahmen gebaut sind, wie meine visuellen Strukturen, deren Pläne auch in Schall umgewandelt werden können.“

50

[Nicolas Schöffer, Le Monde 02.08 1982]

50

„ …mon matériau principal, c'est le temps. Stravinsky disait : "La musique ce n'est pas l'art des sons, c'est l'art du temps." Dès que j'ai développé le maniement du temps sur le plan esthétique et visuel, j'ai été conduit à m'intéresser à la musique, ce qui m'a conduit à créer des structures sonores, au même titre que des structures visuelles. Avec des moyens électroniques complexes, je réalise des structures sonores bâties sur la même trame que mes structures visuelles dont les plans peuvent être aussi convertis en sons. “ [Jean Mandelbaum : Nicolas Schöffer à la recherche de l'art total, Le Monde 02.08 1982. Seite 91.]


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Die größte Herausforderung in der künstlerischen Praxis ist die Befreiung der verschiedenen künstlerischen Ausdrucksformen von ihrer traditionellen Begrenzungen, um die ästhetische Qualität zu steigern. Die Skulptur oder die Malerei sind traditionell zeitlich nicht begrenzt, aber sie sind ortsgebunden und der Raum, in dem sie rezipiert werden können ist deswegen limitiert. Es ist besonders zutreffend bei Werken, die in Museen ausgestellt sind. Monumentale Skulpturen mit einem architektonischen Maßstab wirken in einem wesentlich größeren Raum, aber keineswegs unbegrenzt. Die Musik ist traditionell sowohl zeitlich als auch räumlich limitiert. Musikstücke werden üblicherweise in Konzertsälen vorgetragen mit dem soziokulturellen Effekt, dass die qualitätsvolle Live-Musik nur für die privilegierte zugänglich, also eine mangelnde Ressource ist. Die Zielsetzung von Nicolas Schöffer war, die Musik sowohl von der zeitlichen als auch von der räumlichen Einschränkung zu befreien. Wenn aber die Musik keinen Anfang und kein Ende mehr hat, sondern ein unendliches, sich nicht wiederholendes Klangerlebnis wird, dann ändern diese neuen Qualitäten ihr Natur solchermaßen, dass sie nicht mehr als Musik bezeichnet werden kann. Dementsprechend bezeichnete Schöffer seine Kompositionen nicht mit dem Wort Musik. Er sprach in diesem Zusammenhang über Klangstrukturen oder Soundstrukturen. Er wollte eine sozio-kulturelle Revolution, die Sozialisierung der Musik, in Gang setzen. Schöffer stellte Städte vor, bei denen das audiovisuelle Erlebnis ein überall und ständig zugänglicher organischer Teil des urbanen Raumes ist. „Es gibt nicht nur einen Anfang und ein Ende, aber die Sozialisierung der Musik ist durch die Verfügbarkeit von Konzertsälen, dem Radio und dem Fernseher limitiert. Man hat noch nie eine Programmierung von Sounderlebnissen in den Städten eingeführt. Mein Ziel ist es, kybernetische — ähnlich, wie ich es mit den visuellen Parametern getan habe — Klangstrukturen in der Stadt einzuführen, welche ermöglichen, die extrem schädliche Geräusche zu ersetzen, denen wir ausgesetzt sind. Diese Klangstrukturen werden selbstverständlich in Harmonie mit der Umwelt sein und die Soundemission wird entsprechend der Funktion dieser Umgebung programmiert.“51 [Nicolas Schöffer, Le Monde 02.08 1982]

51

„Non seulement il y a un commencement et une fin, mais la socialisation de la musique est limitée par l'existence des salles de concert, de la radio et de la télévision. On n'a jamais introduit la programmation des sons dans l'espace urbain. Mon objectif est d'introduire cybernétiquement, comme je le fais avec des paramètres visuels, des structures sonores qui permettront de remplacer les sonorités extrêmement malfaisantes que nous captons dans la ville. Ces structures sonores seront bien entendu, en harmonie avec l'environnement et leur émission sera programmée en fonction de ce dernier. “ [Jean Mandelbaum: Nicolas Schöffer à la recherche de l'art total, Le Monde 02.08 1982]


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Der urbane Raum in der kybernetischen Stadt ist gleichzeitig ein Klangraum. Die Topologie der Sound, als Theorie, beschäftigt sich mit der Struktur dieses urbanen Klangraumes und mit derer Optimierung. In Zeiten, in denen die schädlichen Wirkungen der Lärmbelästigung die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit noch nicht weckten, plante Schöffer die Reduzierung des Geräuschpegels und die Ästhetisierung des Klangraumes. Er sah stille Zonen in der Stadt vor, wo die Funktion des Raumes es verlangte. Außerdem wollte er die unangenehmen Geräusche unterdrücken und mit Klangeffekten ersetzen, die positive Emotionen auslösen und für das menschliche Ohr angenehm sind. Er interessierte sich für die Psychologie der Soundwahrnehmung und verwendete auf Grund solcher Überlegungen oft die Geräusche aus der Natur, wie Vogelzwitschern, das Rauschen der Blätter, Sausen des Windes oder das Plätschern des Wassers. Die meisten Werke von Schöffer werden von einem Klangerlebnis begleitet, wenn sie in Funktion gesetzt sind. In vielen Fällen sind nur die Geräusche der Motoren und der sich bewegenden Teile zu hören, aber es handelt sich auch in diesen Fällen um einen geplanten Klangeffekt. Bei der Microtemps Serie zum Beispiel sind diese Geräusche absichtlich lauter, wie bei anderen Werken, um die Herausforderung der menschlichen Wahrnehmung, welche durch sehr dichte und schnelle Lichteffekte erzielt wurde, weiter zu verstärken. Vor allem bei den monumentalen Werken, wie die kybernetischen Türme, war auch eine komponierte elektroakustische Musik oder Soundstruktur als Teil des Werkes geplant. Beim Komponieren wurden sowohl musikalische Töne als auch registrierte Geräusche der Skulptur und natürliche Geräusche verwendet. „Die Klangstruktur der spatiodynamischen Skulpturen kann auf eine einfache und harmonische Weise komponiert werden, indem man die Geräusche der einzelnen Teile registriert und nutzt. Diese können dann sortiert, verstärkt und gemischt werden, um anschließend eine Anzahl von verschiedenen harmonischen Tönen zu erzeugen, welche auf dem Magnetband oder anderem geeigneten Mittel registriert werden. Es ist wieder ein Homeostat, welches die Töne auf eine zufallsbedingte Weise generiert und eine totale Synthese zwischen Skulptur und Klang realisiert, so dass wir sagen können, dass es die Skulptur ist, welche die eigene Musik mit dem eigenen Tonmaterial und mit maximaler Flexibilität komponiert, indem sie sich unverzüglich zu jede Veränderung der Umgebung anpasst.“52 [Nicolas Schöffer: Le Spatiodynamique]

52

"La sonorisation des sculptures spatiodynamiques est possible d'une façon simple et harmonieuse en extrayant et utilisant des sons des différents éléments qui composent la sculpture. Ces sons pourront être triés, amplifiés et malaxés par la suite pour produire un certain nombre de sons harmonique, variés, lesquels seront enregistrés sur bande magnétique ou par n'importe quel autre moyen approprié. C'est de nouveau un homéostat qui ferait fonctionner ces sons d'une façon toujours


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Obwohl Schöffers Absicht war, alle monumentale kybernetische Türme mit kybernetisch gesteuerten Klangstruktur zu versehen, aber es ist ihm nicht immer gelungen. Der 1954 anlässlich der Ausstellung der öffentlichen Arbeiten in St. Cloud realisierte 50 m hohe spatiodynamische Turm wurde mit der Musik von Pierre Henry präsentiert, dem es gelungen war, die zu dieser Zeit noch als Tollkühnheit geltende Meisterleistung zu vollziehen, eine Musik auf sechs Tonspuren zu komponieren. Zum kybernetischen Turm von Liège komponierte Henri Pousseur die Klangstruktur, die später wegen der Erfahrungen vor Ort geändert werden musste. Ursprünglich wurde zur Komposition auch Vogelgezwitscher verwendet und der Turm lockte deswegen die Vögel in eine tödliche Falle. Spätere Türme wurden wegen eines der folgenden zwei Gründe ohne Klangstruktur realisiert: entweder fehlten die finanziellen Mittel zur Ausführung der Pläne oder die Stadt lehnte die Realisierung wegen Erfahrungen des Publikums mit den schon realisierten Türmen mit Klangeffekten ab. Dem durchschnittlichen Bürger schien die elektroakustische Musik jener Zeit zu modern und dissonant. Viele empfanden es als unangenehm und störend. Mehr Erfolg hatten die Spektakel, die von Musik begleitet wurden, wie zum Beispiel 1963 die Ausstellung im Pavillon Marsan, als verschiedene Balletttänzer das Publikum unterhielten. Schöffer arbeitete mit zahlreichen Musikern regelmäßig zusammen, wie Pierre Henry, Pierre Schäffer, Pierre Barbaud und Henri Pousseur. 4.3.2.5. Das Klima Schöffer beschäftigte sich in seiner theoretischen Arbeiten mit einer fünften Topologie, wobei die klimatische Struktur des Raumes im Fokus seines Interesses stand. Die Theorie der fünften Topologie beschäftigte sich mit klimatischen Ereignissen und Effekten und mit der Optimierung der klimatischen Verhältnisse entsprechend der Funktionen der verschiedenen Raumsegmente. Es handelte sich um planerische Überlegungen auf zwei verschiedenen Maßstäben. Schöffer plante einerseits klimatische Zonen in Gebäudetypen mit bestimmten Funktionen, andererseits zog er bei der Planung auf städtischem Maßstab klimatische Erscheinungen in Betracht. Das extremste Beispiel eines Gebäudes mit geregelten klimatischen Zonen, das von Schöffer geplant wurde, wurde 1957 anlässlich des Internationalen Salons BATIMAT der Öffentlichen Bauarbeiten in Saint-Cloud bei Paris gezeigt. Das Haus mit unsichtbaren Trennwänden (Maison à cloisons invisibles) könnte auch als „Haus der Gegensätze“ imprévue réalisant une synthèse totale entre la plastique et le son, de telle sorte que nous pouvons dire que c'est la sculpture qui composera sa propre musique avec sa propre matière sonore et avec le maximum de souplesse en s'adaptant immédiatement à tout changement d'ambiance." [Nicolas Schöffer: Le Spatiodynamique]


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bezeichnet werden und gilt als ein Experiment mit dem Ziel, die manchmal sehr abweichenden Ansprüche der Bewohner in ein und demselben Haus zu befriedigen, ohne sie zu isolieren.

Bild 67. Maison à cloisons invisibles (Hauses mit unsichtbaren Trennwänden), Salons BATIMAT der Öffentlichen Bauarbeiten in Saint-Cloud bei Paris, Plan 1956

Die Zielsetzung der internationalen Ausstellungen der Baubranche war es, innovative Wohnformen zu präsentieren, die besser an dem modernen Lebensstil passen konnten, als der typische Altbau mit seinen wenig differenzierten und sich ineinander öffnenden Raumen, in denen die Familienmitglieder aufeinander Rücksicht nehmen mussten und ihre eigenen Ansprüche

nur

bedingt

befriedigen

konnten.

Die

Entwicklung

ging

Richtung

Funktionstrennung. Die Befriedigung der individuellen Ansprüche gerät in den Vordergrund.

Bild 68. Maison tout en plastiques, Salon des Arts ménagers, Paris, 1956 Gemeinsame Räumlichkeiten befinden sich im Zentralbau, die individuellen Zimmer um den kreisförmigen Kern.

Es lohnt sich, Schöffers Experiment mit einer anderen innovativen Lösung aus derselben Zeit zu vergleichen, welche schon ein Jahr früher im Jahr 1956 anlässlich des Salons des Arts Ménagers (Salon der Haushaltskunst) präsentiert wurde. Die Häuser La


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maison à cloisons invisibles von Nicolas Schöffer und La maison tout en plastique von Ionel Schein sind auf den ersten Blick formal sehr ähnlich, aber sie geben abweichende Antworten auf die Frage der Funktionsteilung. Schöffers Lösung ist wesentlich waghalsiger, aber das Haus von Ionel Schein war auch sehr innovativ zu jener Zeit. Sowohl Nicolas Schöffer als auch Ionel Schein waren Mitglieder der Groupe Espace. Die Gruppe wurde von André Bloc 1951 mit dem Ziel gegründet, die konstruktivistischen und neoplastizistischen Ideen in der Urbanistik anzuwenden. Vor dem Bau der oben genannten Häuser arbeiteten Nicolas Schöffer und Ionel Schein mit Claude Parent an den Plänen einer Radiosendestation zusammen. Es ist also kein Zufall, dass sie sich mit ähnlichen Fragestellungen beschäftigten. Ihre Antworten sind aber sehr unterschiedlich. Das Haus La maison tout en plastique war das Ergebnis einer Teamarbeit. Die Architekten René Coulon und Ionel Schein arbeiteten mit dem Dekorateur Alain Richard, dem Konstrukteur Raymond Camus und dem Ingenieur Yves Magnant zusammen. Die Planung begann 1955. Die Architekten trennten die Räumlichkeiten, die von der ganzen Familie benutzt wurden, von den individuell benutzten Zimmern. Diese Trennung konnte auch von außen abgelesen werden. Die gemeinsam benutzten Räumlichkeiten, wie Bad, Küche, Esszimmer und Wohnraum, befanden sich in einem Zentralbau mit kreisförmigem Grundriss, der von den individuell benutzten trapezförmigen Räumlichkeiten umgeben war. Das Haus konnte, entsprechend den Ansprüchen der Familie, mit weiteren solchen Räumlichkeiten vergrößert werden. Der modulare Aufbau ermöglichte die flexible Anpassung des Grundrisses an die Änderungen der Familiengröße und der Lebensgewohnheiten. Innovativ war nicht nur der Grundriss und der modulare Aufbau, sondern vor allem die Materialwahl. Das Haus war ausschließlich aus Kunststoff gebaut.53 Schöffer begann mit der Planung des Hauses mit unsichtbaren Trennwänden ebenfalls 1955. Seine Zielsetzung war zwar zum Teil ähnlich, aber doch sehr unterschiedlich. Er wollte hier auch die verschiedenen Ansprüche aller Familienmitglieder befriedigen, aber nicht durch individuell benutzbare Räumlichkeiten, sondern in ein und demselben Raum ohne materielle oder optische Trennung. Er ging von der Beobachtung aus, dass sich die älteren Generationen im Allgemeinen in stillen, kühleren Räumen mit einem gedimmten diffusen Licht wohlfühlen würden, während die Jugendlichen helle und warme Räumlichkeiten bevorzugen und sich auch von ohrenbetäubenden Lautstärke nicht gestört fühlen. Wie wäre es möglich, so verschiedene Ansprüche bezüglich Temperatur, Lichtstärke und Lautstärke in ein und 53

Vgl. Frac Centre Homepage, Collection Art et Architecture, Ionel Schein, La maison tout en plastique


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demselben Raum zu befriedigen, so dass die Familie ihre Freizeit zusammen verbringen könne, ohne einander zu stören? Diese Fragestellung beschäftigte Schöffer und er wandte sich an die Firma Philips, wo damals die besten Techniker arbeiteten und seine Ambition unterstützten. Sie stellten die neuesten Entwicklungen der Technologie in den Dienst des Projektes, um eine Lösung zu finden. Das Haus mit unsichtbaren Trennwänden (Bild 67.) bestand aus einem runden und einem trapezförmigen Teil, die voneinander im Inneren des Hauses nicht getrennt waren. Von oben betrachtet ähnelte der Grundriss einem Schlüsselloch. In dem runden Teil war die Temperatur heiß (35 °C – 40 °C) und es war sehr hell und laut. Die herrschenden Farbtöne waren Rot und Orange. In dem trapezförmigen Teil hingegen war die Temperatur kühl (18 °C – 20 °C) und die herrschenden Farben waren dementsprechend kühle blaue Farbtöne. Dieser Raumteil war still und die Beleuchtung war gedimmt. Zwischen den zwei gegensätzlichen Raumteilen gab es keine sichtbare physische Trennung. Ein Schritt durch die Grenzlinie zwischen den zwei Raumteilen führte die Besucher in eine völlig andere Atmosphäre. Viele Besucher ahnten zuerst einen Betrug, bis sie verstanden, wie diese Magie funktionierte. Der Trick wurde zum Teil durch die spezielle Bekleidung der Wände und der Inneneinrichtung erreicht. Eine wesentliche Rolle spielten die thermisch isolierenden und die Schallabsorbierenden Eigenschaften der Bekleidung. Die Luftzirkulation wurde sorgfältig geplant und durch eine Klimaanlage reguliert. Die Wärme im runden Raumteil war durch einen Infrarotvorhang gespendet, dessen Wirkung nur lokal zu spüren war. Die Beleuchtung wurde auch durch die Firma Phillips geplant und ausgeführt. Im kühlen Raumteil wurden blau fluoreszierende Aktinische-Leuchtkörper eingesetzt. Die Form des Hauses leitete sich aus akustischen Überlegungen ab. Die scheinbare Ähnlichkeit der Grundrissformen der zwei verschiedenen Projekte leitete sich dementsprechend aus sehr abweichenden Überlegungen ab und ist eher Zufall. Das Haus bezauberte zwanzigtausend Besucher, musste aber nach der Ausstellung, wie alle anderen Ausstellungsprojekte, abgebrochen werden. Schöffer plante verschiedene Gebäudetypen für die kybernetische Stadt und seine Überlegungen bezogen sich auf alle klimatischen Faktoren. Er kontrollierte kybernetisch die Temperaturverhältnisse, die Luftfeuchtigkeit, die Luftqualität, den Luftstrom und die olfaktorischen Reize. Diese Faktoren wurden an die Funktion des Gebäudes angepasst. In dem Centre Loisir Sexuel (Zentrum für sexuelle Erholung) der kybernetischen Stadt beabsichtigte der Künstler die Parameter speziell einzustellen, um dadurch die sexuelle Erregung zu steigern. Er wollte dafür neben der angenehmen Wärme auch Dufteffekte und


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beruhigende Musik einsetzen. Er wählte warme Farben wie Rot und Rosa. Die kybernetische Regelung der Parameter sorgte für die Anpassung an die jeweilige Situation. Auf städtischen Maßstab ging es dem Künstler nicht nur um die Regulierung der klimatischen Verhältnisse, sondern auch um die Informierung der Bewohner über klimatische Ereignisse. Außerdem stellte Schöffer die Kräfte der Natur in den Dienst des visuellen und akustischen Spektakels, mit denen er die urbane Umgebung ästhetisieren wollte. Er plante kybernetische Türme im Zentrum der größeren Stadtteile. Nach den Plänen hätten die Sensoren der kybernetischen Türme Änderungen der Windgeschwindigkeit, der Temperatur, der Luftfeuchtigkeit, des Luftdrucks, der Lichtverhältnisse etc. wahrnehmen sollen und die Stadtbewohner über die Ergebnisse informieren. Nach den Vorstellungen des Künstlers hätten die gemessenen Werte dem Zentralgehirn des Turms als Input dienen sollen. Es war die Aufgabe des Zentralgehirns, die gemessenen Werte in Parametern umzuwandeln und die visuellen und akustischen Funktionsgruppen entsprechend zu steuern. In diesem Kapitel wurden die Grundgedanken des Künstlers zusammengefasst. Die kybernetische Steuerung und Optimierung der fünf Topologien beruht auf derselben Methode: nach der Bestimmung der Funktionsgruppen werden die Aktivierungszeiten und Aktivitätsintervalle so programmiert, dass es Rückkopplung zwischen Werk und Umgebung zustande kommt. In dem folgenden Kapitel werden die einzelnen kybernetischen Hauptwerke vorgestellt.


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4.3.3. Kybernetische Hauptwerke 4.3.3.1. CYSP1 Das

bedeutendste

Schlüsselwerk

des

Künstlers

entstand

gegen

Ende

der

spatiodynamischen Periode, die ab der Wende bis 1957 dauerte und die Dynamisierung des Raumes zum Ziel hatte. CYSP1 war das erste kybernetische Kunstwerk der Welt und Schöffer

verewigte

sich

mit

dieser

autonom

tanzenden

Robot-Skulptur

in

der

Kunstgeschichte. Es ist eine alte Bestrebung der Menschheit, weitgehend autonom arbeitende Maschinen, sozusagen künstliche Wesen, herzustellen. Zahlreiche mechanisch verwirklichte, frühere Versuche könnten erwähnt werden, von Edisons sprechende Puppe bis George Moors Steam Man. Die technische Entwicklung, die durch den Rüstungswettlauf der Kriegsjahre angetrieben neue Höhen erreichte, hatte zweifach dazu beigetragen, dass das Interesse für die Robotik nicht nur in Fachkreisen, sondern auch bei den durchschnittlichen Bürgern enorm angestiegen war. Einerseits öffnete die Kybernetik neue bahnbrechende Möglichkeiten, weil die Roboter durch Rückkopplung auf die Umweltsignale autonom reagieren konnten und dadurch die Funktionsweise ein Zufallselement beinhaltete. Andererseits lösten die neuen wunderbaren Ergebnisse der Wissenschaft einen zukunftsorientierten Optimismus aus. Science-Fiction kam in die Mode und die zügellose Fantasie der Schriftsteller und Filmregisseure führte die Menschen auf fremde Planeten, wo Roboter die Macht übernahmen.

Bild 69.: Walter Grey

Bild 70.: Walter Gray: Elmer und Elsie zur Simulation der Pawlowschen Reflexe

Während der Pionierzeit der kybernetischen Robotik beschäftigten sich die Wissenschaftler mit der Simulation der Pawlowschen Reflexe. In den 50er Jahren konstruierten zahlreiche Wissenschaftler zu diesem Zweck kybernetische Tiere. Die ersten kybernetischen Roboter waren zwei Schildkröten, Elmer und Elsie, die 1948 von Grey


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Walter konstruiert wurden. Sie waren liebevoll Schildkröten genannt, obwohl ihr metallener Panzer kaum eine Ähnlichkeit mit dem Panzer von Schildkröten aufwies. Inspirierend wirkten sie trotzdem, weil bereits ein paar Jahre später schon zahlreiche Forschungsgruppen an ähnlichen Projekten arbeiteten.

Bild 71. “Tinius” die kybernetische Schildkröte – Rice University (America), 1950

Bild 72. Paul-Alain Amouriq: Kybernetische Schildkröte, 1951, Foto: P.A .Amouriq 2009

1950 die Rice Universität in Houston, Texas präsentierte eine kybernetische Schildkröte, die Tinius hieß. Im Jahr 1951 war Paul-Alain Amouriq, ein erst siebzehn Jahre alter französischer Student, fähig, eine kybernetische Schildkröte zu konstruieren und machte damit Schlagzeilen. In Schöffers Heimatland Ungarn konstruierte 1957 Dániel Muszka an der Universität von Szeged einen kybernetischen Marienkäfer, der Weltruhm erlangte und auch heute noch regelmäßig Exponat der internationalen Kybernetik Ausstellungen ist. Diese Beispiele repräsentierten verschiedene Entwicklungsstufen. Der Marienkäfer hatte schon ein kompliziertes Verhaltensmuster, eine künstliche „Persönlichkeit“. Der Käfer konnte sich zum Beispiel „beleidigt fühlen“ und jede Reaktion verweigern, bis man ihn streichelte, um ihn zu versöhnen. Alle erwähnten Beispiele hatten einen wissenschaftlichen Zweck und keinen Anspruch auf künstlerische Qualitäten. Die erwähnten kybernetischen Tiere beinhalteten eine Roboterschaltung. In den Texten aus dieser Zeit liest man oft die Wörter elektronisches Gehirn, Zentralgehirn oder Zentralhirn. Große Computer waren in den 50er Jahren ganz neu und Mini-Computer wurden noch nicht erfunden. Diese elektronischen Gehirne unterscheiden sich sehr von modernen digitalen Computern. Ihre Funktionsweise war analog. Die damals übliche Definition des elektronischen Gehirns stellte die Grundelemente der Roboterschaltung mit Teilen des


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menschlichen Körpers in parallel. In der Realität funktionierten die elektronischen Organe oft sehr unterschiedlich von den menschlichen oder tierischen Äquivalenten.

Bild 73.: Dániel Muszka mit dem kybernetischen Marienkäfer, Universität Szeged, 1957

Bild 74.: Dániel Muszka: kybernetischer Marienkäfer, Universität Szeged, 1957

Eine Roboterschaltung besteht aus vier Grundelementen: das Sinnesorgan, das Nervensystem, das Gehirn und die Muskeln. Diese Elemente können in einigen Schaltungen höher entwickelt werden als in anderen oder sie können spezialisiert für bestimmte Zwecke sein, aber sie kommen grundsätzlich in allen Roboterschaltungen vor. 1. Sinnesorgan: ist jener Teil der Schaltung, welcher in der Lage ist, verschiedene Reize wahrzunehmen und sie in elektrischen Strom oder elektrische Spannung umzuwandeln. Dementsprechend gibt es viele verschiedene Arten von Sinnesorganen. Die Skala reicht von rudimentären bis hin zum hochempfindlichen Sensoren. Sie sind manchmal minderwertig, manchmal gleich und in vielen Fällen überlegen menschlicher Sinnesorganen. 2. Nervensystem: ist jener Teil der Schaltung, der den Strom oder die Spannung modifiziert, zum Beispiel verstärkt, damit es für weitere Verwendung geeignet ist. Obwohl elektronische Nervensysteme mit den menschlichen Nerven vergleichbar sind als Transporteur von Informationen bezüglich Geschwindigkeit und Genauigkeit, können sie in keiner Maschine die gleiche Komplexität erreichen. 3. Gehirn: ist jener Teil der Schaltung, welcher vor der Übertragung an die Muskeln die von dem Nervensystem transportierten Daten sortiert, verarbeitet und speichert. Elektronische Gehirne, ohne die Gabe des kreativen Denkens, sind nur mit dem Teil des menschlichen Gehirns vergleichbar, der die Reflexe und instinktiven Handlungen regelt, die ohne Nachdenken durchgeführt werden. Die elektronische Erinnerungsfähigkeit ist der menschlichen überlegen, was die Zuverlässigkeit und Speicherkapazität betrifft, aber die


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Vielfalt der von dem menschlichen Gehirn gespeicherten Informationen kann nicht erreicht werden. 4. Muskeln: sind jene Teile des Systems, welche die gewünschte Reaktion auf die Reize, die von den Sinnesorganen wahrgenommenen wurden, hervorbringen. Roboter sind auf bestimmte Aufgaben spezialisierte Maschinen und ihre Leistung kann in diesen Aufgaben weit über die menschliche Leistung hinausgehen. Diese Tatsache macht sie unentbehrlich. Die obige kurze Zusammenfassung54 lieferte einen schnellen Einblick in den technischen und wissenschaftlichen Hintergrund zu jener Zeit, als Schöffer den ersten kybernetischen Roboter mit künstlerischem Anspruch, die Skulptur CYSP1, schuf. Bezüglich der Form hatte CYSP1 einen Vorläufer. CYSP0 war die letzte Skulptur der spatiodynamischen Serie, auch SP27 genannt. CYSP0 kann als der noch nicht motorisierte Prototyp von CYSP1 betrachtet werden. Die Form und der Aufbau wurden schon mit der Absicht im Hinterkopf ausgearbeitet, eine kybernetische Skulptur zu realisieren. Schöffer arbeitete mit der Firma Philips zusammen. Der Direktor Marcel Jolly unterstützte öfters Schöffers Projekte. Der Ingenieur François Terny realisierte Schöffers Vorstellungen. Der Stand der Technik ermöglichte zwar die Ausführung der Pläne, aber es war eine komplizierte Aufgabe und François Terny musste anfänglich bei jeder Präsentation anwesend sein, um eventuelle Störungen abzuwenden. In den ersten Jahren wurde die Skulptur deswegen seltener dem Publikum gezeigt. Spätere Verbesserungen ermöglichten dann ein zuverlässigeres Funktionieren. Die kybernetische Skulptur CYSP 1 ist ein Homöostat auf Rädern, ein sich selbst regulierendes technisches System, das mittels Rückkopplung innerhalb bestimmter Grenzen in einem stabilen Zustand bleiben kann. Der Name CYSP 1 wurde von den ersten zwei Buchstaben der Wörter CYbernetics und SPatiodynamics gebildet. CYSP1 ist eine Raumkomposition in Stahl und Duraluminium mit 16 drehbaren polychromen Platten. Sie nimmt Reize der Umgebung anhand von Mikrofonen und Fotozellen wahr. Die Sensoren liefern elektrische Signale entsprechend der wahrnehmbaren Effekte, die verstärkt einem durch François Terny entwickelten Elektronengehirn weitergegeben werden. Dort werden sie bearbeitet und das Elektronengehirn liefert die resultierenden Bewegungsbefehle an die Motoren. 54

Bei der Beschreibung der Roboterschaltung und der ersten kybernetischen Robotern habe ich mich an die Angaben der Homepage Cyberneticzoo, a history of cybernetic animals and early robots gestützt.


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Bild 75. Nicolas Schöffer: CYSP 0 (1956), schwarzer Stahl, polychrome Aluminium, Höhe 2 m

Bild 76. Nicolas Schöffer: CYSP1

CYSP 1 hatte mehrere Bewegungsfreiheiten: Vorwärts- und Rückwärtsgänge, Rotation um die Drehachse, exzentrische Rotation und Drehung der Platten. Alle Bewegungen konnten mit zwei verschiedenen Geschwindigkeiten ausgeführt werden. CYSP 1 beschleunigte die Translationen und Rotationen, wenn die Sensoren die Farbe Blau, eine stille Umgebung oder Dunkelheit signalisiert haben. Umgekehrt, die Farbe Rot, Lärm und ein helles Licht lösten eine Beruhigung der Bewegungen aus. Aus den Kombinationen der wahrnehmbaren Effekte entstand ein Schauspiel. Es gab auch eine Fernbedienung, um Unfälle mit dem Publikum zu vermeiden. Im Sockel wurde eine Fotozelle eingebaut, die dazu diente, die Bewegungen der Skulptur in Grenzen zu halten. Auf dem Boden wurden diese Grenzen mit einer dicken schwarzen geschlossenen Kurve aufgezeichnet, die dann von der Fotozelle wahrgenommen wurde. Die von der Fotozelle gesendeten Signale veranlassten die Skulptur, sich umzudrehen. Die Skulptur wurde zum ersten Mal 1956 im Theater Sarah Bernhardt in Paris während der Nacht der Poesie präsentiert. Im selben Jahr, anlässlich des Festivals der Avantgarde Kunst, haben die Tänzer des Ballettensembles von Maurice Béjart ein Ballett mit


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CYSP1 auf der Terrasse des Baukomplexes Cité Radieuse von Le Corbusier in Marseille aufgeführt. Die Skulptur reagierte auf die Bewegungen der Tänzer. Das Spektakel wurde von der konkreten Musik55 von Pierre Henry begleitet. Weitere Aufführungen folgten im Atelier des Künstlers in der Villa des Arts. Die Spaziergänge von CYSP1 auf den Straßen von Paris begeisterten die Passanten am Place de la Concorde, am Trocadero oder auf der Avenue de l’Opera. Im Jahr 1957 fand ein Experimentelles Spatiodynamisches Kybernetisches Spektakel im Theater d’Evreux statt. CYSP1 erschien in dem Film Sculptures, projections, peintures von Jacques Brissot und spielte 1958 in dem Film Spatiodynamisme von Henri Langlois et Tinto Brass die Hauptrolle. CYSP1 wurde in den folgenden Jahren in vielen bedeutenden Museen und Institutionen der Welt ausgestellt, sogar der Sultan von Marokko ließ die Skulptur nach Rabat in seinen Palast liefern, um sie seinem Sohn zeigen zu können. CYSP1 nahm 1968 an der ersten großangelegten Ausstellung der kybernetischen Kunst in London teil. Die Ausstellung mit dem Titel Cybernetic Serendipity präsentierte Werke, deren Idee zufällig während der wissenschaftlichen Forschung aus dem Kopf seiner Schöpfer entsprang. Es war natürlich eine sehr große Herausforderung so viele Ausstellungen mit nur kleineren Reparaturen durchzuhalten. Der zur Zeit der Erschaffung des Werkes aktuelle Stand der Technik wurde mit der Zeit überholt. Ersatzteile waren immer schwieriger zu bekommen. Die erste größere Restaurierung erfolgte bei dem Société Philips Anfang der 80er Jahre. Während einer Ausstellung im Jahr 2012 fiel ein Sensor aus und CYSP1 rammte gegen die Wand. Die Restaurierung wurde das Thema einer Doktorarbeit, die später doch nicht realisiert wurde. Einige Jahre wurden verstrichen, bis die Restaurierung wirklich erfolgte, diesmal bei Les Ateliers Laumonier. 4.3.3.2. SCAM1(1973) Skulpturen waren traditionell ortsgebundene Kunstwerke. Jahrhundertelang war der Kunstgattung der Skulptur jegliche Bewegung fern, aber spätestens die kinetischen Künstler Anfang des 20. Jahrhunderts haben die starre Form aufgelöst: sie schufen Skulpturen deren Teile sich bewegten. Die ganze Skulptur hatte sich aber auch dann nicht von seinem Platz fortbewegt. Schöffer strebte darauf, die verschiedenen Kunstgattungen von ihrer traditionellen Begrenztheit zu befreien, um eine totale künstlerische Freiheit zu erlangen. In diesem Geist wollte er auch die Ortsgebundenheit der Skulptur auflösen. CYSP1 war schon eine Skulptur auf Rädern, was eine gewisse Bewegungsfreiheit ermöglichte. Sie war aber immer noch nicht 55

Musique concrète: Musik, die durch Tonbandaufnahmen von alltäglichen, sozusagen konkreten, Geräuschen, wie Straßenund Industrielärm u. a., und von musikalischen und natürlichen Klängen, wie Musikinstrumente und Vogelstimmen, entsteht und über Lautsprecher wiedergegeben wird.


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schnell genug, um das Element eines ästhetischen und visuellen Spektakels in den städtischen Raum effizient einzuführen. Schöffer wollte Elemente der Überraschung und heilsamer ästhetischer Störung in die Monotonie des städtischen Lebens bringen und plante motorisierte und fliegende kybernetische Skulpturen, um diese Funktion zu erfüllen. So entstand im Jahr 1973 SCAM1, die erste Skulptur mit einem Autofahrwerk.

Bild 77. SCAM1 unterwegs bei dem Tour Eiffel

Bild 78. Ördög Noémi: digitale Rekonstruktion von SCAM1 für den Film ‚Die wunderbare Welt von Nicolas Schöffer‘

SCAM1 bestand aus zwei Teilen, das Automobil und die Skulptur, die durch eine rotierende Plattform zusammengebunden waren. Das Automobil mit der drehbaren Plattform wurde von der Pariser Galeristin Denis René finanziert und von der Autohersteller Firma Renault ausgeführt. Schöffer wollte seine künstlerische Freiheit nicht durch einen fertigen Anpassungsrahmen begrenzen und ließ deswegen kein existierendes Automobil umbauen, sondern verlangte ein speziell für diesen Anlass geplantes und angefertigtes Modell. Das Automobil hatte eine niedrige Tragstruktur auf vier Rädern. Die Form der Karosserie mit den eingebauten Scheinwerfern war, im Einklang mit der Skulptur, von rechten Winkeln bestimmt und hatte eine Höhe von 97 cm. Der Antriebsmotor wurde mit einem Generator verbunden. Die Fahrerkabine hatte zwei Sitze und beinhaltete die wichtigsten Steuerelemente. Das Armaturenbrett wies verschiedene Bedienfunktionen auf. Die chronodynamische Skulptur selbst war eine vom Goldenen Schnitt abgeleitete Konstruktion mit horizontalen und vertikalen Elementen aus quadratischem Duraluminium


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Profil, die mit den üblichen Teilen einer kybernetischen Skulptur (Energieversorgung, Zentralgehirn, Sensoren und Effektoren) ausgestattet war. Die Effektoren waren 25 kreisförmige, von Elektromotoren mit unterschiedlichen Geschwindigkeiten bewegte Spiegel und fünfzehn teilweise farbige Lichtquellen. Die Gesamthöhe von SCAM1 war 3,93 m. Es war eine regelrechte Sensation als SCAM1 im Jahr 1973 auf den Straßen von Mailand und Paris an dem normalen Alltagsverkehr teilnahm. Das herrliche farbige Lichtspiel und seine Reflexionen in den sich drehenden Spiegeln hatten einen enormen Überraschungseffekt. Dieses Spektakel lenkte die Aufmerksamkeit der anderen Fahrer ab und verursachte ein gewisses Chaos im Verkehr. Nach den langfristigen Plänen von Schöffer hätten viele ähnliche mobile und fliegende Skulpturen die Städte bevölkern sollen, aber SCAM1 blieb ein Experiment ohne Fortsetzung. Einerseits kam eine dauerhafte Zulassungsbescheinigung wegen der Unfallgefahr nicht in Frage, andererseits verursachte das Parken enorme Probleme. SCAM1, die mobile kybernetische Skulptur, passte in keine übliche Garage. Es war wegen der hohen Mietpreise in Paris unmöglich einen Aufbewahrungsort zu finden und das Kunstwerk musste demontiert werden. Im Jahr 2015 fand in Mailand eine Welt Expo statt. Die ungarische Regierung wollte anlässlich der Expo SCAM1 rekonstruieren lassen. Leider konnte dieser Plan nicht realisiert werden, weil die italienischen Organisatoren kein motorisiertes Verkehrsmittel auf dem Gelände zuließen. Zu diesem Anlass wurde ein Film mit dem Titel Die wunderbare Welt von Nicolas Schöffer realisiert, der Schöffers Oeuvre präsentiert. Um auch nicht realisierte oder schon verloren gegangene Werke zeigen zu können, wurden einige Hauptwerke digital in 3D aufgebaut und die Modelle animiert. Alle digitalen Rekonstruktionen und die Filmschnitte waren von Noémi Ördög realisiert.

Bild 79. Niko de la Faye mit M2B bei der Pyramide von Louvre

Bild 80. Niko de la Faye M2B während der Nacht


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Schöffers Ideen inspirieren nach vielen Jahrzehnten immer noch die zeitgenössischen Künstler. Ich erwähne hier ein besonders naheliegendes Beispiel, um zu zeigen, wie weit die Fäden reichen, wenn man bestimmte Aspekte von Schöffers Oeuvre nicht vom Kontext getrennt, sondern im Zusammenhang mit den entsprechenden Vorgängerprojekten und späteren Folgen diskutieren möchte. Niko de la Faye ist ein in Beijing ansässiger französischer Künstler. Sein Werk M2B ist ein poetischer Eingriff in das Chaos des chinesischen zeitgenössischen Lebens, um in einer Zeit und Umgebung, in der Entwicklung und Produktivität so stark im Fokus stehen, eine kontrastierende Mahnung vor Augen zu halten. Auf einem traditionellen chinesischen Dreirad platzierte der Künstler eine würfelförmige Rahmenkonstruktion, in dem er eine, nach seinen Vorstellungen vereinfachte, Darstellung des Universums hineinbaute. Im Frühjahr 2012 fuhr der Künstler mit seiner kinetischen Skulptur M2B innerhalb von fünf Wochen 1660 km von Peking nach Shanghai. Im Frühjahr 2013 setzte er seine Reise bis Hong Kong fort. Insgesamt fuhr er 3400 km in 80 Tagen mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 15 km/h. Er fuhr auch während der Nacht. Tagsüber drehten und bewegten sich die geometrischen Elemente seines Universums. Nach Einbruch der Dunkelheit bedeckte er die Rahmenkonstruktion mit einer Leinwand und beleuchtete das Innere. Das Werk verwandelte sich dadurch in einem Schattenspiel. Um auf die Quelle seiner Inspiration zu verweisen, ließ sich der Künstler in Paris auf demselben Ort und aus demselben Blickwinkel fotografieren, wo einst SCAM1 fotografiert war.

Bild 81. Nicolas Schöffer: SCAM1 (1973) und Niko de la Faye: M2B (2014) vor dem Arc de Triomphe in Paris


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4.3.3.3. Tour Lumière Cybernétique – TLC

Nicolas Schöffer war ein zukunftsorientierter Visionär seiner Zeit. Er beobachtete aufmerksam die Änderungen im Gefüge der Gesellschaft und interpolierte sie in die Zukunft. Er identifizierte die Probleme der zeitgenössischen Gesellschaft und suchte neue Lösungen. Seine Überlegungen umfassten fast alle Bereiche des städtischen Lebens, von den Beziehungen zwischen den zwei Geschlechtern und der Institution der Ehe bis zum Thema der Spiritualität und Religion der Zukunft. Seine Gedanken spiegelten eine linksorientierte Einstellung wider und die klare Absicht, einen revolutionären Prozess in Gang zu setzen. Die Notwendigkeit der Revolution leitete er von der Tatsache ab, dass die Massen zwar ihre materiellen Ansprüche in der Konsumgesellschaft befriedigen konnten, sie aber auf der intellektuellen Ebene mediokrisiert blieben. Der Begriff Mediokrisierung gehört zum selbst erstellten Vokabular des Künstlers und drückt den Prozess aus, in dem den breiten Massen Zugang nur zu minderwertigen Informationen und zum Wissen auf einem niedrigen Niveau gewährleistet ist. Der revolutionäre Prozess sollte zur Informations- und Wissensgesellschaft führen — das war Schöffers Vorstellung. Diese Zielsetzung bewegte den Künstler bei seinen Anstrengungen, die Kunst zu sozialisieren, also für die breiten Massen täglich erlebbar zu machen. SCAM1 war auf diesem Weg ein großer Schritt. Die motorisierte Beweglichkeit der Skulptur bedeutete eine wesentliche Effizienzerhöhung. SCAM1 konnte in der Stadt hin und her fahren und dabei ein großes Publikum erreichen, aber sie konnte nicht ständig unterwegs sein und der Spektakel blieb temporär. Schöffer hatte größere Pläne. Er wollte ein sich ständig bewegendes, von überall sichtbares Spektakel realisieren. Mit dieser Absicht plante er seine monumentalen kybernetischen Türmen, von denen leider der größte, wichtigste und komplexeste nie realisiert wurde. Trotzdem gelten die Pläne des kybernetischen Turms, den er für den Stadtteil La Défance plante, als ein Hauptwerk des Künstlers. Zahlreiche kleinere Türme wurden in Städten in Europa und Amerika realisiert. Der erste 25 m hohe spatiodynamische Turm wurde 1950 in Biot (Frankreich) im Rahmen der Exposition du groupe Espace aufgebaut. Der erste spatiodynamische, kybernetische und akustische Turm wurde 1954 anlässlich der internationalen Ausstellung für öffentliche Arbeiten im Parc de Saint Cloud bei Paris realisiert und ragte 50 m in die Höhe. Die Klangstruktur wurde von Pierre Henry komponiert. Diese ersten Türme wurden nach der Ausstellung demontiert.


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Bild 82. Nicolas Schöffer: spatiodynamischer Turm, Biot, 1950

Bild 83. und 84. Nicolas Schöffer: spatiodynamischer und kybernetischet Turm Parc de Saint Cloud, 1954

Der bisher höchste Turm ist 52 m hoch und wurde 1961 in Liège vor dem Kongresspalast gebaut. Gleichzeitig realisierte Schöffer auf der Fassade des Kongresspalastes eine 1500 m2 große Lichtfassade, die sich in der Wasseroberfläche des Flusses Meuse spiegelte. Seit 1998 gehören der Turm und die Lichtfassade zum historischen Denkmalerbe der Region Wallonien. Die Restaurierung des Turmes wurde 2015 fertiggestellt.

Bild 85.: Nicolas Schöffer: Der kybernetische Turm in Liège, 1961

Bild 86.: Nicolas Schöffer: Der kybernetische Turm in Liège (1961) und die Lichtfassade während der Nacht

Weitere Türme folgten 1968 in Washington (Spatiodynamique 17), 1969 in Montevideo (Chronos 8), 1974 in San Francisco bei dem Embarcadero Center (Chronos 14), 1977 in Bonn (Chronos 15), 1980 in München (Chronos 10B), in Paris (Chronos 10), 1982 in


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Kalocsa (Chronos 8), 1988 Tour d’Ain bei Pont d‘Ain (Lux 16) und Lyoneon in Lyon. Der Turm in San Francisco funktionierte nicht mit Motoren, sondern mit Pressluft. LUX10, der jüngste Turm, wurde im Jahr 2016, fünfundzwanzig Jahre nach dem Tode des Künstlers, in der südkoreanischen Stadt Busan gebaut und wurde im Herbst 2016 geweiht. Die gebauten Türme unterscheiden sich von dem Turm, der für den Stadtteil La Défance geplant wurde, nicht nur bezüglich ihrer Größe, sondern vor allem bezüglich ihrer Gattungszugehörigkeit. Die Höhe der gebauten Türme variierte zwischen 5,5 m (Washington) und 52 m (Liège). Als die Türme immer höher wurden und mehr Funktionen dazukamen, wurde die Schwelle zwischen Skulptur und architektonischen Skulptur überschritten. Die architektonische

Skulptur

charakterisiert

sich

durch

eindeutig

identifizierbare

Architekturmerkmale. Entscheidend ist der Sinngehalt und nicht die einfache formale Nachahmung architektonischer Einzelelemente oder Systeme. Es geht um die Bereicherung der Ausdrucksmöglichkeiten, indem das Vokabular des Künstlers mit Elementen der Architektursprache erweitert wird. In diesem Fall impliziert die Verwendung der architektonischen Form eines Turmes, dass alle abstrakten Konzepte, die sich während Jahrhunderten mit diesem architektonischen Typus verbunden haben, automatisch in den Sinngehalt des Werkes einbezogen werden. Der Turm als architektonischer Typus hat während der Architekturgeschichte verschiedene Erscheinungsformen gehabt und diverse Funktionen erfüllt, aber er war und ist immer eng mit den abstrakten Konzepten Macht, Überwachung und Kontrolle verbunden. Die größeren Türme, wie der Turm von Liège oder Kalocsa, sollten auf jeden Fall als architektonische Skulpturen betrachtet werden, die einerseits die intellektuelle Macht der Menschheit symbolisieren, andererseits ihre Umgebung überwachen und die Bewohner über die gemessenen Daten informieren, also traditionelle Funktionen des Turmes tatsächlich erfüllen. Die Architekturmerkmale der architektonischen Skulptur treten gegenüber realen Architekturmerkmalen in der Regel in mehr oder weniger ausgeprägter künstlerischer Verwandlung auf. In diesem Fall wurde die Form nicht strikt von der Funktion abgeleitet, sondern aus der mehrfachen Verwendung des Goldenen Schnittes. Aus dem Goldenen Schnitt kann die Spirale abgeleitet werden. Es ist eine Form, die in der Natur, sogar überall im Universum in den Galaxien, häufig vorkommt. In diesem Sinne betrachtete Schöffer seine Türme als Abbildungen des Universums. Es handelt sich also um eine künstlerische Absicht. Nichtsdestotrotz, können diese Türme nicht, wie Gebäude im Allgemeinen, betreten werden. Folglich überwiegen bei diesen Türmen die skulpturalen Merkmale im Gegensatz zu den architektonischen. In diesem Sinne kristallisiert sich der


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abstrakte Sinngehalt der architektonischen Merkmale heraus, weil ihnen die nützliche Funktion entzogen wird. Bei dem TLC verschob sich die Balance Richtung Architektur. Der große kybernetische Lichtturm für La Défence kann eher als skulpturale Architektur kategorisiert werden. Schon die Dimensionen des Turmes implizieren, dass hier architektonische und statische Überlegungen im Vordergrund stehen mussten. Die Höhe des Turmes variierte bei den verschiedenen Planvarianten zwischen 324 und 347 m. Es handelte sich in diesem Fall um einen betretbaren Bau. Schöffer sah sieben Besucherplattformen vor, die über Aufzüge und Treppen zu erreichen waren. Er plante auf den Plattformen Restaurants, Signalanlagen, Fernsehsender, Konzertsäle mit einer Orgel, ein Postamt, eine Drogerie und weitere Geschäfte. Die Besucher hätten Zugang zu den Räumlichkeiten der Betriebsüberwachung haben sollen und hätten die Erklärungen der Funktionsweise mit Hilfe einer auf Magnetband registrierten Führung anhören können. Von den Zwischenplattformen aus hätte man ein doppeltes Schauspiel genießen können: den Blick über die ganze Stadtregion Paris und das Spektakel des Turmes in voller Aktivität. Der Turm hätte gleichzeitig die Funktionen eines Informationszentrums, Kunst- und Kulturraumes, Leuchtturms, Flugnavigationsturms, Wetterdienstturms, Aussichtsturms und Medienturms erfüllen sollen. Der TLC hätte außerdem bestimmten Dienstleistungsstellen Platz bieten sollen. Alle diese Anforderungen hätten erfüllt werden sollen, ohne die ästhetische und symbolische Funktion zu beeinträchtigen. Der Turm war in erster Linie als Symbol der Macht des Intellektes und des geistigen Fortschrittes geplant. Es kann als ein Höhepunkt der Karriere des Künstlers betrachtet werden, wobei er alle Ergebnisse seiner theoretischen Forschung anwendete: die Spatio-, Lumino- und Chronodynamismus, die Plasticosociologie und die Prinzipien der Entmaterialisierung des Kunstwerkes. Es ist ein Totalkunstwerk. Schöffer begann die Planung von TLC im Jahr 1961 und setzte seine Arbeit bis zu seinem Tod im Jahr 1992 fort. Ein 1:100 Modell wurde schon 1963 durch die eigenen Hände des Künstlers gefertigt und anlässlich der von André Malraux organisierten retrospektiven Ausstellung im Pavillon de Marsan dem Publikum präsentiert. Im Jahr 1973 erschien das Buch La Tour Lumière Cybernétique. Zehn große französische Firmen nahmen an dem Projekt teil und arbeiteten nach Schöffers Vorstellungen die verschiedenen detaillierten Fachpläne aus.


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Bild 87. Nicolas Schöffer: Tour Lumière Cybernetique, geplant für den Stadtteil La Défence in Paris. Die Artikel erschien in der Zeitung ‘Paris Match’ im Juli 1967


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Die Pläne zeigen eine Konstruktion aus quadratischem Stahlprofil mit den Dimensionen 2 m x 2 m, alle in vertikaler oder horizontaler Lage. Alle Teile dieses Gerüstes hätten mit rostfreien Stahlfolien belegt werden sollen. Bei einem durchschnittlichen Umfang von 59 m hätte der geplante Turm eine Höhe von 324 m bis 347 m erreicht und trotzdem einen luftigen Eindruck erwecken sollen. Zum Vergleich ist der 10.000 Tonnen schwere Eiffel Turm ohne die Fernsehantenne 300 m hoch. Die 200 quer liegenden Arme ergeben auf der Grundlage des Goldenen Schnittes eine asymmetrische Form mit spezifischem Rhythmus. Im Gegensatz zu den statischen Erwartungen ist der Turm oben ausladend und unten schmal, um das Gefühl der Leichtigkeit zu erwecken. Auf dieser Konstruktion sollten 14 Hohlspiegel, 363 Spiegel, 144 drehbare Achsen mit Elektromotoren, 2085 Elektronenblitze, 2250 zum Teil farbige Scheinwerfer, Thermometer, Hygrometer und Windmesser montiert werden. An der Spitze des Turmes wurden 15 Lichtkanonen geplant, deren Licht die optischen Dimensionen des Turmes um zwei Kilometer in die Höhe vergrößert hätte. Durch die vielen Spiegel hätte sich der Turm optisch in seiner Umgebung aufgelöst und seine wahren Dimensionen wären durch die Lichter vervielfacht. Die Lichtstärke hätte sich mit der Entfernung verringert und die Materialität des Turmes sich dadurch allmählich aufgelöst. Das Projekt hatte zahlreiche Befürworter. Charles de Gaulle, von Januar 1959 bis April 1969 Präsident der fünften Republik, unterstützte die Pläne. Sein Nachfolger Georges Pompidou, der ab 1969 bis zu seinem Tod am 2. April 1974 regierte, war ebenso begeistert von dem Projekt. Weitere Befürworter waren André Malraux, Minister für kulturelle Angelegenheiten,

M.

Prothin

Direktor

von

EPAD

(L'Établissement

public

pour

l'aménagement de la région de la Défense), Marcel Jolly Direktor und M. van den Putten, Präsident der Firma Philips. Die Finanzierung wollte die Bank von Suez mit privatem Kapital sichern. Für die Lage wurden mehrere Vorschläge im Stadtteil La Défance ausgearbeitet. Zuerst hätte der Turm auf dem Grundstück der RATP (Régie autonome des transports Parisiens) aufgebaut werden sollen. Ein Platz vor dem Le Corbusier Museum kam auch in Frage. Neue Lagen wurden in der Nähe der Autobahn A14 und 1 km östlich von C. N. I. T. (Centre of New Industries and Technologies) gewählt. Der Turm wurde leider nie verwirklicht, weil der größte Unterstützer George Pompidou starb und die beiden Ölkrisen die Finanzierungsgrundlagen erschütterten. Die Prinzipien der nachhaltigen Planung veränderten die Akzeptanz von Projekten mit hohem Energiebedarf. Der Plan wurde trotzdem bis heute nicht aufgegeben. Die Witwe des Künstlers hofft immer noch auf eine spätere Realisierung und tut auch alles in ihrer Macht stehendes, um dieses Ziel zu erreichen. Die Pläne wurden zu dem heutigen Stand der Technik adaptiert und während des Wettbewerbes für die


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Neubebauung des Ground Zero in New-York eingereicht — leider ohne Erfolg. Der Turm wurde vor ein paar Jahren auf Veranlassung von Eléonore de Lavandeyra Schöffer in der virtuellen Welt von Second Life von den Künstlern des Diabolus Art Space aufgebaut und eine Zeit lang mit verschiedenen Theaterstücken, Ausstellungen und weiterem Programm bespielt. Es ist ein kleiner Erfolg, aber doch ein großer Schritt im Vergleich zu Schöffers Zeiten. Die Reichweite des Turmes SL TLC übertraf alle Vorstellungen von Schöffer, weil er an allen Teilen der Welt gesehen und besucht werden konnte und damit die Ortsgebundenheit eines architektonisch-skulpturalen Werkes völlig und endgültig aufgelöst wurde.56

Bild 88. Nicolas Schöffer: Tour Lumière Cybernetique eingereicht für den Ground Zero Wettbewerb von der Architektenbüro Alternativ Espaces, Foto: Ágota Nagy

56

Bild 89. Nicolas Schöffer: Tour Lumière Cybernetique Rekonstruktion in Second Life, Art Space Diabolus, Foto : László Ördög

Die Informationen in diesem Kapitel stammen von zahlreichen Artikeln und von dem Buch Tour Lumière Cybernetique. Ich konnte mich weiters auch auf die Erzählungen von Madame Schöffer stützen. Die Höhe des Turmes und die Zahl der Funktionseinheiten variierten in den Artikeln abhängig davon, welche Planvariante aktuell war, als der Artikel erschien. Diese Artikel sind im Literaturverzeichnis aufgelistet.


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4.3.3.4. Die kybernetische Stadt 4.3.3.4.1. Stadtplanerisches Umfeld der Epoche Es mag überraschend wirken, dass ein Künstler, der am Anfang seiner Laufbahn mehr als zwölf Jahre lang ganz traditionell als Maler arbeitete, am Ende seines Lebens den visionären Plan einer zukunftsorientierten Stadt hinterließ, aber wenn man einerseits die energische Persönlichkeit des Künstlers, seine alle Bereiche des Lebens umfassende Wissensdurst und Kreativität kennt und andererseits den Geist des Zeitalters, in dem er lebte, versteht, dann scheint es eine logische Folge einer kontinuierlichen und natürlichen Entwicklung zu sein. Die stürmische Geschichte der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts inspiriert heute noch dazu, grundlegende Fragen der menschlichen Existenz durchzudenken; wie vielmehr schockierend musste es gewesen sein, die Kriege aus nächster Nähe zu erleben! Wie traumatisierend musste es gewesen sein, verfolgt zu sein, fliehen zu müssen und das Maß der Zerstörung zu sehen! Dann kamen die Jahre des Wiederaufbaus, die zuerst langsame Erholung von der Krise und die später rasanten Entwicklungen im Bereich der Technologie und Wissenschaft. Es verstrichen kaum zwanzig Jahre nach dem Ende des Krieges, als die Menschheit das Weltall eroberte. Aus dieser Hinsicht ist die Euphorie der 60er Jahre verständlich. Die Menschheit blickte mit Optimismus und voller Erwartung in die Zukunft und versuchte sie sich vorzustellen und zu planen. Aus dieser Perspektive sind die utopischen Züge der kybernetischen Stadt, die Schöffer plante, weniger überraschend, als aus heutiger Sicht. Es war in jenen Jahren keine Seltenheit in großen Maßstäben über die Zukunft zu träumen. Was uns heute überrascht, ist eher die Vielfalt der Aspekte von Schöffers Vorstellungen, die seitdem in unser städtisches Leben eingegliedert wurden. Der Kern der späteren Gedanken ist schon in dem ersten Buch des Künstlers zu lesen. Schöffers Forschung im Bereich der Architektur und des Städtebaus begann in dem Kontext des Wiederaufbaus der Nachkriegszeit und gleichzeitig zur Entstehung vieler internationaler Forschungsgruppen. Die Entwicklung der Industrie lockte die Menschen in die Städte und verschärfte die große Wohnungsnot, die nur mit billigen, standardisierten und reizlosen Wohnungen befriedigt werden konnte. Die allgemeine Unzufriedenheit mit der Städteplanung war überall zu spüren. Aussagekräftig war eine Rede von Asger Jorn, dem Begründer der Bewegung für ein imaginistisches Bauhaus und späteres Mitglied der Situationistischen Internationale, anlässlich einer internationalen Konferenz in Mailand 1954, als er folgendermaßen gegen die geistlosen Wohnviertel des Wiederaufbaus protestierte:


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„Die Architektur gilt als die Mutter der Künste. Aber wenn eine Mutter beginnt, ihre Kinder routinemäßig zu töten, dann ist sie keine Mutter, sondern ein Monster. Die heutige Architektur ist ein Monster.“ /Asger Jorn/ Raoul Vaneigem, einer der einflussreichsten Theoretiker der Situationistischen Internationale, äußerte nicht weniger scharfe Kritik: „Wenn die Nazis die zeitgenössischen Urbanisten gekannt hätten, so hätten sie die KZ’s in Sozialbauwohnungen verwandelt. (…) Der Urbanismus ist die vollkommenste konkrete Verwirklichung eines Alptraums.“[ Raoul Vaneigem] Die besten Denker der Zeit haben sich in verschiedenen interdisziplinären Arbeitsgruppen gesammelt, um den Bedürfnissen des modernen Lebens entsprechende neue Architekturformen auszuarbeiten und Prinzipien einer zeitgemäßen Stadtplanung zu entwickeln. Die ausgearbeiteten Konzepte lehnten sich zum Teil an die Ergebnisse früherer Experimente an, aber es gab auch ganz neue Ansätze, wie zum Beispiel New Babylon von Constant Nieuwenhuys (1960) oder La Ville Spatiale von Yona Friedman.

Bild 90. Constant Nieuwenhuys mit dem Model von New Babylon

Bild 91.: Constant Nieuwenhuys New Babylon Skizze

Es gab Vernetzungen zwischen den diversen Forschungsgruppen. Einige Mitglieder nahmen mit einem Zeitunterschied an der Arbeit von mehreren Gruppen Teil, wie zum Beispiel Yona Friedman, der Mitglied der Gruppen GIAP und auch Archigram war. Es führte zu einem gewissen Ideenaustausch. In dem Versuch, eine dem Zeitgeist entsprechende und zukunftsorientierte Stadt zu planen, bauten die neuen Denker oft zum Teil auf alte Fundamente und schöpften Ideen aus früheren Experimenten der Urbanistik. Die Referenzen reichten bis zum frühen 19. Jahrhundert zurück, so dass auch die Funktionsteilung im


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Phalanstère von Charles Fourier als Beispiel genommen wurde. Die Trennung der Arbeitsbereiche von den Wohnanlagen ermöglichte es, die Wohnviertel von den ungünstigen Auswirkungen der schlechten Luftqualität und des Lärms fernzuhalten. Die Entfernung war gleichzeitig optimiert, da der Weg zum Arbeitsplatz nicht mehr unnötig viel Zeit raubte. Der zentrale Flügel der großen Wohnanlage übernahm öffentliche Funktionen, dort fand man den Speisesaal, die Bibliothek oder den Wintergarten. In den Seitenflügeln waren Werkstätten und eine Herberge untergebracht. Die Funktionsteilung und die Organisation der Versorgung dienten hier als Beispiele und Ausgangspunkt für die neuen Planungen. Einen großen Einfluss übten auch die futuristischen Pläne von dem jung verstorbenen, italienischen Architekten Antonio Sant’Elia aus.

Bild 92. Yona Friedman: La Ville Spacial, Tinte und Filz auf Papier

Bild 93. Antonio Sant‘Elia: La città nuova

Es gab auch zeitgenössische großangelegte Projekte, die einen Einfluss auf die neuen Denker ausübten. Es wird oft auf die Planungsstadt Chandigarh hingewiesen. Chandigarh ist ein wichtiges Beispiel, weil sich hier die Möglichkeit einer kompletten Neuplanung ergab. Le Corbusier musste keine alten Strukturen berücksichtigen. Im Sommer 1947 wurden Indien und Pakistan aus dem britischen Kolonialreich in die Selbständigkeit entlassen, was mit einer neuen Grenzziehung zwischen beiden Staaten verbunden war. Daraufhin beschloss Indien die Errichtung eines neuen Regierungssitzes für den indischen Teil des Punjabs. Chandigarh wurde nach den Plänen Le Corbusiers als neue Hauptstadt errichtet. Der Grundstein wurde 1952 gelegt. Die Stadt ist durch die strenge Funktionsteilung geprägt. Chandigarh ist in Sektoren aufgeteilt, die ein Geflecht von entmischten Zonen mit verschiedenen städtischen


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Funktionen aufweisen. In diesen wird entweder gewohnt, Handel getrieben oder gearbeitet. Es gibt in der Stadt großzügige freigelassene Flächen. Schöffer nahm oft eine weitere zeitgenössische Stadt als Musterbeispiel einer modernen Metropole. Er lobte die Stadt Brasilia vor allem für das schnelle und großzügige Verkehrsnetz und für das umfassende Kunstkonzept. Er hielt Brasilia für ein Beispiel, wo die künstlerische Planung Oberhand über die Spekulation gewann. Trotz der Begeisterung für Brasilia blieb der Künstler unvoreingenommen und bemerkte auch die unvermeidlichen Planungsfehler. Er war zum Beispiel mit den formalistischen Zügen nicht einverstanden, die während der Stadtplanung auftauchten. Im Vergleich mit der mittelalterlichen Struktur von Paris bevorzugte er aber auf jeden Fall die moderne Metropole. „Ich mache eine Ausnahme: Brasilia. Es gilt schick Brasilia zu kritisieren, aber ich persönlich denke, dass es nicht das Versagen ist, vorüber man sprechen soll, auch wenn ich mit dem Formalismus des Konzeptes, der während des Schöpfungsprozesses herrschte, überhaupt nicht einverstanden bin. Letztendlich wurde hier eine Stadt der Kunst realisiert, die jetzt auf gutem Weg ist, von der Immobilienspekulation erstickt zu werden, es ist die berühmte Macht der Banken. Wir haben gerade über die Stille gesprochen. Es wurde in Brasilia ein konzeptioneller Fehler begangen, der furchtbare Auswirkungen hat: die offenen Gräben, die von den Autos benutzt werden, um zu zirkulieren, haben schräge Wände. Verständlicherweise, sobald zwei Autos unterwegs sind, hört man die Resonanz des Lärms der Motoren in der ganzen Stadt! Trotzdem ist Brasilia sehr schön und vor allem, was wichtig ist, sie ist meines Wissens die erste Erfahrung auf dem Gebiet der Stadtplanung, die aus einer zwingenden künstlerischen Voraussetzung ausgeht und keine Priorität auf die Rentabilität setzt. Es ist eine einzigartige Ausnahme. “ 57 [Schöffer] Wie viele andere Künstler und Architekten, vernetzte sich auch Schöffer in den 60er Jahren mit den wichtigsten Denkern der Zeit. 1963 organisierte Michel Ragon die Ausstellung

57

„ Je fais une exception: Brasilia. Il est de bon-ton de critiquer Brasilia, je considère personnellement que ce n'est pas l'échec que l'on veut bien dire, tout en n'étant absolument pas d'accord avec les concepts et le formalisme qui ont présidé à sa création. Mais enfin, on a fait une ville d'art, que la spéculation foncière est en train de noyer d'ailleurs, c'est le fameux pouvoir des banques! Nous parlions du silence tout à l'heure. Il y a, à Brasilia, une erreur de conception qui a des conséquences terribles: les tranchées ouvertes qu'utilisent les voitures pour circuler ont des parois obliques. Si bien que dès qu'il y a deux voitures qui roulent, toute la ville résonne du bruit de leurs moteurs! Malgré cela, Brasilia, c'est très beau, et surtout, ce qui est important, c'est qu'à ma connaissance, c'est la première expérience de création urbaine à partir d'un préalable artistique impératif, sans priorité à la rentabilité. C'est une exception unique. “[Nicolas Schöffer in Marion Tournon-Branly : Entretiens avec Nicolas Schöffer, Cybernetique et Architecture]


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„Où vivrons nous“, an der auch Nicolas Schöffer teilnahm. Michel Ragon war zwar Autodidakt, aber zu dieser Zeit schon ein anerkannter Kunst- und Architekturkritiker. Im März 1965 wurde unter dem Vorsitz von Michel Ragon die Internationale Gruppe Prospektiver Architektur (Groupe International d'Architecture Prospective - GIAP) gegründet. Die Gründungsmitglieder waren Nicolas Schöffer, Ionel Schein, Yona Friedman, Paul Maymont, Georges Patrix, Michel Ragon und später schloss sich auch der Schweizer Walter Jonas der Gruppe an.58 Die Gründungsmitglieder beabsichtigten alle aktiven Fachmänner, die sich mit zukünftigen Konzepten von Architektur, Städtebau und Design beschäftigten, auf einer internationalen Ebene zu versammeln. Sie wollten weitere Mitglieder gewinnen und erstellten eine erste Liste der führenden zeitgenössischen Architekten und Künstler, die sie kontaktieren und einladen wollten. Das GIAP-Präsidium überlegte, in einzelnen Ländern nationale GIAP-Zellen zu initiieren. Für die internationalen Zellen waren Kenzō Tange und Akira Kurosawa in Japan, Arthur Quarmby in England, Frei Otto in Deuschland, Mathias Goeritz in Mexiko und Manfredi Nicoletti in Italien verantwortlich. Das Manifest der Gruppe fasste die Faktoren zusammen, die die früheren Wohnformen und Stadtstrukturen sprengten und die Notwendigkeit einer zukunftsorientierten Planung implizierten: „Die demografische Explosion, die spektakuläre technische und wissenschaftliche Entwicklung, die andauernde Erhöhung des Lebensstandards, die Sozialisation der Zeit, des Raumes und der Kunst, die wachsende Bedeutung der Freizeit die wachsende Bedeutung der Faktoren Zeit und Geschwindigkeit in der Kommunikation sprengen die traditionellen Strukturen der Gesellschaft. Unsere Städte, unser Gebiet sind nicht mehr an diese Veränderungen angepasst. Es ist dringend notwendig die Zukunft zu planen und zu organisieren, anstatt sie zu erleiden. 58

Nicolas Schöffer hatte freundschaftliche Beziehungen mit den anderen Gründungsmitgliedern und diese Freundschaften überlebten auch die spätere Auflösung der Gruppe. Yona Friedman stammte auch aus Ungarn. Mit Ionel Schein arbeitete Schöffer schon 1952 für die Planung eines Radiosenderzentrums zusammen, wodurch sein erstes Architekturmodel entstand. Schöffer lehrte von 1969 bis 1971 in der École d’Architektur UP7, wo Paul Maymont sein Kollege war.


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Die GIAP zielt darauf ab, all jene Techniker, Künstler, Soziologen und andere Spezialisten zusammenzubringen, welche auf der Suche nach neuen städtebaulichen und architektonischen Lösungen sind.

Die GIAP will eine Verbindung zwischen Forschern aller Länder sein, auch wenn ihre Argumente manchmal gegensätzlich sind. Die GIAP hat im Augenblick keine andere Doktrin als die architektonische Voraussicht. 

gegen eine retrospektive Architektur.

für eine prospektive Architektur

Unterschrieben 1965 in Paris von Yona Friedman, Walter Jonas, Paul Maymont, Georges Patrix, Michel Ragon, Ionel Schein, Nicolas Schöffer“59 [Internationale Gruppe der Prospektiven Architektur: Manifest] Schöffer hielt sich während der Planung der kybernetischen Stadt alle im Manifest aufgereihten Faktoren, welche die Richtung der voraussichtlichen Entwicklung definierten, vor Augen. Die städtebaulichen Vorstellungen von Nicolas Schöffer umfassten alle entsprechenden Aspekte des städtischen Lebens. Es handelte sich im Wesentlichen um keine Modernisierungen bestehender Städte, sondern um eine komplette Neuplanung. Nicht zufällig fällt einem die Fiktion der hygienischen Stadt France-Ville ein, die der französische Arzt Doktor Sarrasin in dem Roman Die 500 Millionen des Begums von Jules Verne, bauen lässt. Schöffers Buch Die kybernetische Stadt beschreibt, wie eine gut organisierte und einwandfrei funktionierende Stadt der Zukunft aussehen sollte. 4.3.3.4.2. Funktionsteilung Wie schon erwähnt, der Gedanke der Funktionsteilung ist nicht neu. Es ist dies auch bei den Plänen von Schöffer aufzufinden. Die kybernetische Stadt besteht aus drei Teilen, die miteinander in vielen Hinsichten eng verbunden sind. Man könnte sagen, dass es drei Städte in einer Stadt sind, die durch die kybernetische Zentrale koordiniert werden. Ein Teil ist der Arbeit und Konzentration gewidmet, davon getrennt sind die Wohnviertel und der Stadtteil für die Freizeit. Einige bedeutende Aspekte der kybernetischen Stadt sind aber völlig neu.

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Französischer Text des Manifets: Wikipedia, Groupe International d’Architecture Prospective, https://de.wikipedia.org/wiki/Groupe_International_d%E2%80%99Architecture_Prospective, Stand: 1. September 2017, 12:00 Uhr


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Schöffer unterscheidet zwei Ebenen der Stadt: eine soft city und eine hard city, die zusammen die kybernetische Stadt ausmachen. Es ist ähnlich unseren Begriffen, wenn wir über software und hardware sprechen, die zusammen den Computer ergeben. Nach Schöffers Auffassung mache erst das kybernetisch gesteuerte Zusammenwirken und Equilibrium der Teile die Gesamtheit der Stadt erfolgreich. 4.3.3.4.3. Funktionale und formale Überlegungen Ein weiterer wichtiger Punkt ist, dass Schöffer die führende Rolle der Kunst in dem Prozess der Stadtplanung betont, alles andere soll den künstlerischen Überlegungen unterworfen sein. Die Stadt ist die Erweiterung der Skulptur. Es bedeutet trotzdem auf keinen Fall, dass Schöffer den Formalismus bevorzugt — im Gegenteil — er war darüber überzeugt, dass die gute künstlerische Planung und die Harmonie der Teile die Funktion am besten erfüllen könne. Schöffer nimmt in der Kontroverse zwischen Funktionalisten und Formalisten auf keiner der Seiten Stellung. Bei ihm gehen formale und funktionale Überlegungen Hand in Hand. Die formale Überlegung kommt bei ihm immer aus dem Goldenen Schnitt60 hervor. Er war, auf der anderen Seite, davon überzeugt, dass eine funktionale Lösung nur dann entstehen kann, wenn die Harmonie der Teile gesichert ist. In diesem Sinne ist die formale Überlegung bei Schöffer funktional. Er bezieht sich bei der Planung immer auf die Umgebung und die Funktion. Er will aber die Funktion so erfüllen, dass eine hohe ästhetische Qualität gewährleistet ist. 4.3.3.4.4. Urbanistik der fünf Topologien Ein dritter wesentlicher Aspekt ist es, dass — im Gegensatz zu den meisten Stadtplanern — Schöffer die Stadt nicht mit harten Materialien (wie Ziegel, Beton usw.) gestaltet. Seiner Auffassung nach sind es die immateriellen Faktoren, die vor allem zu gestalten sind. Elektrizität und Elektronik sollen während der Planung im Vordergrund stehen und der Planer soll die Zeit, den Raum und das Licht gestalten. Die fünf Topologien sollen geplant und optimiert werden, nur so entsteht eine qualitätsvolle Umgebung, welche die Zufriedenheit der Stadtbewohner sichert.

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Etienne Béothy : La série d'or Matila Ghyka : Esthétique des proportions dans la nature et dans les arts Diese Bücher befinden sich im Atelier, und bestimmte Abschnitte sind in Nicolas Schöffers Heften referenziert


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„…nach der Gestaltung mit schweren Materialien, jetz kommen die Elektrizität und die Elektronik, die Gestaltung von leichten und immateriellen Medien wie Raum, Licht und Zeit.“61 [Schöffer] 4.3.3.4.5. Kybernetik und Demokratie Als vierter wichtiger Punkt soll noch erwähnt werden, dass nach Schöffers Meinung die Kybernetik das ernsthafteste Versprechen der Demokratie bedeutet. Von dem Augenblick an, in dem jedes Individuum seine Wünsche und Ansprüche ausdrücken kann und an den kollektiven Entscheidungen durch die kybernetische Kommunikation teilnehmen kann, sind die Massen in der Lage ihre Anforderungen auch geltend zu machen. „Die Kybernetik ist die Spitze der Demokratie: alle Kontrollen, alle Regulierungen werden immer durch die Aktionen der Mehrheit durchgeführt. Von dem Moment an, in dem es eine Mehrheit gibt, um einen Wunsch in einer kybernetischen Stadt auszudrücken, kann diese Mehrheit sofort ihre Wünsche interpretieren und sie in die Realität umsetzen. “62 [Nicolas Schöffer Interview mit Marion Tournon-Branly] Schöffer plante interaktive Kommunikationsstellen im Stadtraum, wo die Bewohner den Kontakt mit der Zentrale hätten aufnehmen können, um ihren Beitrag zur kollektiven Steuerung der Stadt zu leisten. Die Zentrale wiederum hätte alle wichtigen Abläufe in der Stadt durch Sensoren wahrnehmen können. Es gibt hier einen Punkt, an dem Schöffer gelegentlich kritisiert wird. Es wird ihm manchmal vorgeworfen, dass er so sehr an die guten Absichten im Menschen glaubte, dass er nie ernsthaft in Erwägung zog, dass dieselbe kybernetische Kontrolle, die das einwandfreie Funktionieren der Stadt ermöglichte, auch totalitären und diktatorischen Zwecken hätte dienen können. Schöffer war sich zwar dieser Gefahr bewusst, versuchte aber nie ernsthaft darauf eine Antwort zu geben. „Im kollektiven Raum ist es notwendig, dass jedes einzelne Individuum an der Programmierung seiner Umgebung auf allen Ebenen teilnehmen kann und es gibt dazu keine andere Lösung, als ein kybernetisches System der Kontrolle und Regulierung. Jedoch variirt der technische Erfolg dieser kybernetischen Organisation

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„ ... après le modelage des matières lourdes, voici l'électricité et l'électronique, le modelage des matières légères et immatérielles, tels que l'espace, la lumière et le temps. “ [Schöffer] 62 „… la cybernétique, c'est le summum de la démocratie: tous ces contrôles, toutes ces régulations se font toujours par des opérations majoritaires. Dès le moment qu'il y a une majorité quelque part pour exprimer un désir dans une ville cybernétique, cette majorité peut immédiatement faire interpréter ses désirs et leur donner une réalité“ [Nicolas Schöffer in Marion Tournon-Branly : Entretiens avec Nicolas Schöffer, Cybernetique et Architecture]


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entsprechend dem Bewusstseinsgrad der Gruppe und jedes Sektors. “63 [Nicolas Schöffer Interview mit Marion Tournon-Branly]

4.3.3.4.6. Die Stadt der Arbeit Nicolas Schöffer definiert den Stadtteil der Arbeit als ein Ort der Produktion und der Begegnungen. Es ist ein Ort, an dem sich menschliche Energien einem vordefinierten Zeitplan entsprechend konzentrieren und an dem physische, geistige oder beide Arten von Anstrengungen stattfinden, um bestimmte produktive, utilitäre oder instruktive Ziele zu erreichen. Es ist ein funktionaler Stadtteil, wo der Konzentration der menschlichen Energien eine Konzentration der Struktur entsprechen soll. Schöffer plante eine vertikale Stadt mit öffentlichen Gebäuden, die eine Höhe von 1000 m bis 1500 m erreichen konnten. Die Gebäude bestehen aus verschiedenen Raumeinheiten, die in einer luftigen Anordnung auf eine Stahlkonstruktion montiert sind. Die Grundfläche dieses Stadtteils wird weitgehend frei gelassen. Die Entfernung zwischen den Gebäuden ist auch sehr freizügig, so können Grünflächen entstehen. Die breiten Straßen ermöglichen den Verkehr ohne jeglichen Stau. Die kybernetische Zentrale befindet sich auch in diesem Stadtteil. Es ist die Aufgabe dieser Zentrale, alle wichtigen Daten zu sammeln, die nötig sind, um die Versorgung der Bewohner zu organisieren, um die Lebensprozesse der Stadt zu regeln, um die Informationsdienstleistungen zu gewährleisten und um die ästhetischen Funktionseinheiten zu kontrollieren. Die erhalten gebliebenen Darstellungen des Künstlers zeigen administrative Zentren, ein Forschungszentrum und ein Universitätsgebäude mit ihrer Umgebung. Der Künstler arbeitete verschiedene formale Lösungen aus. Die Funktionseinheiten sind von außen ablesbar. Sie sind auf eine Stahlkonstruktion gehängt oder stützen sich auf die Aufzugsschächte, die als Gebäudekern funktionieren. Ein kybernetischer Turm wurde in das Verwaltungszentrum eingegliedert und Schöffer sah Projektionen auf der gewölbten Fassade vor.

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„Dans l'espace collectif il est nécessaire que chaque individu puisse participer à la programmation de son espace sur tous les plans, et là il n'y a pas d'autres solutions qu’un système de contrôle et de régulation genre cybernétique: Seulement, la réussite technique de cette organisation cybernétique varie selon la prise de conscience de chaque groupe et de chaque secteur. “ [Nicolas Schöffer in Marion Tournon-Branly : Entretiens avec Nicolas Schöffer, Cybernetique et Architecture]


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Bild 94. Die Kybernetische Stadt

Bild 95. Die Kybernetische Stadt

Bild 96. Die Kybernetische Stadt

Verwaltungszentrum

Administrative Zentrale

Wissenschaftliches Forschungszentrum

Das Universitätsgebäude greift auf den architektonischen Typus des Turmes als Symbol der Wissensmacht zurück. Es ist ein luftiger, spatiodynamischer Turm, der die energetischen Kräfte des Raumes dynamisiert. Die Vortragssäle befinden sich in der Mitte des Gerüstes und sind mit Laboratorien und kleineren Räumlichkeiten umgeben. Die administrative Abteilung befindet sich im unteren Geschoss und die Direktion der Universität im obersten Geschoss.

Bild 97. Nicolas Schöffer: Die kybernetische Stadt, Universität

Bild 98. Edouard Albert, Projet de Tour arborescente, Place de la Résistance, Paris 7e, 1963-1964. Maquette

Das Universitätsgebäude kann mit einem Projekt von Edouard Albert verglichen werden. Edouard Albert ist wegen seines relativ frühen Todes weniger bekannt als Jean Prouvé, aber er ist einer der bedeutendsten französischen Architekten des 20. Jahrhunderts.


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Nach einem Praktikum in einer Fabrik der Maschinenbauindustrie studierte Édouard Albert Architektur an der École Nationale Supérieure des Beaux-Arts in Paris und diplomierte im Jahr 1937. Von 1959 bis seinem Tod im Jahr 1968 war er Professor und Atelierleiter eben dort. Er beschäftigte sich mit Vorfertigungstechniken, synthetischen Materialien und Kunststoffen, vorgespanntem Beton und Rohrkonstruktionen. Er plante 1963—64 einen Turm für den Place de la Résistance in Paris. Die 120 m hohe Konstruktion bestand nach seinen Plänen aus zwanzig Stahlprofilen mit einem Durchmesser von 40 cm unten und 20 cm oben und aus fünf Aufzugsschächten. Diese Konstruktion trug 22 Raumeinheiten. Der Bau weckte das Gefühl der Leichtigkeit. 90 % des umgeschriebenen Gesamtvolumens war frei. Das erste Stockwerk lag in 19 m Höhe. Die 22 schalenförmigen Einheiten waren Villen, die sich auf vier verschiedene Weisen orientieren konnten und so montiert waren, dass sie sich auf einer spiralförmigen Bahn bewegen konnten. Über jeder solchen Einheit gab es einen hängenden Garten. Unten hatten sie eine spiegelnde, reflektierende Beschichtung, damit sich die Konstruktion von unten gesehen auflöste und ein großartiges Spektakel bot. Es handelte sich um einen kybernetischen, skulpturalen Turmbau, der nie realisiert wurde. Die Ähnlichkeit zwischen dem baumartigen Turm von Edouard Albert und dem Universitätsgebäude von Schöffer ist auffallend, aber wahrscheinlich kein Wunder. Sie bewegten sich in denselben Kreisen und waren demselben Informationsfluss ausgesetzt. Eduard Albert war in der Redaktion der Zeitschrift L‘Achitecture d‘Aujourd’hui tätig. Der Zeitschrift wurde 1930 von André Bloc gegründet und publizierte öfters Artikel über Schöffers Arbeit. Schöffer war auch Mitglied der von André Bloc gegründeten Groupe Espace. Edouard Albert starb im Jahr 1968. Schöffer folgte ihm im Institut unmittelbar nach. Es kann nachgewiesen werden, dass im Jahr 1969 und in den nächsten Jahren Nicolas Schöffer den Kurs Art et Programmation an der École Nationale Supérieure des Beaux-Arts Section Architecture leitete. Ein Ideenaustausch zwischen Edouard Albert und Schöffer kann auf Grund der mir bekannten Dokumente zwar nicht bestätigt werden, ist aber auf jeden Fall nicht auszuschließen. Die kybernetische Stadt von Schöffer ist eine Idealvorstellung und unterscheidet sich zwangsmäßig von den heutigen natürlich gewachsenen großen Metropolen. Jede Stadt ist anders, jede große Metropole hat individuelle Charakteristiken, aber eine gewisse Funktionsteilung ist in den meisten heutigen Metropolen zu erkennen. Von den drei Stadtteilen, die Schöffer plante, kommt der Stadtteil der Arbeit am nächsten an der wirklichen Entwicklung heran. Viele große Metropolen haben eine Innenstadt, wo die meisten Bürogebäude und die administrative Einheiten zu finden sind. Es ist ein stark verdichtetes Gebiet, wo die Wolkenkratzer die Skyline der Stadt definieren. Die Metropolen der Welt


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wetteifern darum, ihre Vorrangstellung auch durch Projekte von Stararchitekten zu sichern und wollen sich gegenseitig mit immer höheren Wolkenkratzern übertreffen. Die von Schöffer geplanten 1000 m bis 1500 m hohen Gebäude sind heute kein unerreichbarer Traum mehr. Die neuesten Planungen für Wolkenkratzer erreichen bereits die unteren Grenzen dieses Höhenbereichs. Der 1008 m hohe Jeddah Tower in Saudi-Arabien wird voraussichtlich 2020 fertiggestellt. Mit dem Bau wurde schon begonnen. Im Augenblick ist der Burj Khalifa in Dubai mit 828 m Höhe der höchste Wolkenkratzer der Welt. In dem heutigen Informationszeitalter ist die Innenstadt eine soft City, in der Informatik die Hauptrolle spielt. Von diesen Informatikzentren aus werden nicht nur die Stadt, sondern auch die internationalen Beziehungen mit weiten Teilen der Welt kontrolliert. Sinnhaft ausgedrückt, befindet sich in diesem Stadtteil das Gehirn der Stadt. Im Unterschied zu Schöffers Idealvorstellungen sind die Entfernungen zwischen den Wolkenkratzer in der City der realen Städte möglichst klein, um eine hohe Dichte zu erreichen. Diese Dichte trägt zur Optimierung des Wegnetzes bei und ermöglicht kurze und schnelle physische Verbindungen zwischen den Bürogebäuden. Die weiträumige Planung von Schöffer kann die heutigen Erwartungen an der Schnelligkeit der Verkehrsverbindungen nicht erfüllen. Eine reale Funktionsteilung kann auf der anderen Seite nicht zu streng sein. Hotels, Restaurants, Cafés und Erholungsbereiche sind in der City unentbehrlich. Es ist auch naheliegend, dass Luxusgeschäfte die Nähe der City suchen, wo die Leute mit hohem Kaufkraft zu finden sind. Reale Städte weisen zwar eine Funktionsteilung auf, sowie Einkaufstraßen, Wohnviertel, Unterhaltungsviertel, City, Universitätsviertel, Regierungsviertel etc., diese sind aber entweder wenig ausgedehnt, oder auch andere Funktionen mischen sich mit der Hauptfunktion. 4.3.3.4.7. Die Wohngebiete der kybernetischen Stadt Nach Schöffers Plänen sollte die ideale kybernetische Stadt 10 000 bis 500 000 Einwohner haben. Schöffer fasste die Stadt als ein Relief auf, welches künstlerisch so zu gestalten ist, das die Teile in einem harmonischen Verhältnis zueinander stehen. Im Kontrast zu dem Stadtteil für die Arbeit sind die Wohngebiete der geplanten, kybernetischen Stadt vom Horizontalität dominiert. In den Wohngebieten der Stadt wird das Relief hauptsächlich von den bandartigen Gebilden der großen Wohnblöcke dominiert, deren harmonisch ausbalancierte Verteilung mancher Ort durch kybernetische Türme durchsetzt ist. Um die


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Monotonie zu brechen und die ästhetische Qualität der Gestaltung zu sichern, sind die Höhen und Längen der Wohnblöcke unterschiedlich. Die kybernetischen Türme beinhalten die administrativen Einheiten, dienen der Kommunikation und sorgen um das einwandfreie Funktionieren der Lebensprozesse des Stadtteils, wie zum Beispiel die Kontrolle der Versorgung mit Konsumgütern. Schöffer schlussfolgerte folgendermaßen: der Mensch arbeitet in einer vertikalen Position und die vertikale Körperhaltung fördert die Konzentration, deswegen passt die Vertikalität zu der Stadtteil für die Arbeit am besten. Diese Vertikalität und die daraus folgende Höhenlage mit allen entsprechenden psychologischen Effekten inspirieren und helfen die menschlichen Energien zu entfalten. Der Mensch ruht sich demgegenüber in einer liegenden Position aus, deswegen ist die Horizontalität naheliegend für die Wohnviertel. Schöffer war der Meinung, dass die Horizontalität den psychologischen Effekt hätte, die Entspannung zu fördern. Schöffer entwickelte Pläne für die Wohngebäude in Zusammenarbeit mit Claude Parent aus, der Schöffer anlässlich einer Ausstellung in der Galerie Mai entdeckte, wo die spatiodynamischen Reliefs ausgestellt waren. Schöffer stellte bandartige Wohnblöcke mit bis zu 250 Wohneinheiten vor, die auf Pilotis in einer Höhe von zirka 15-20 m über das Gelände standen. Damit befanden sich die Wohnungen über den Baumkronen, wo die Luft rein war. In dieser Höhe gestaltete Schöffer lichtdurchflutete Wohnungen, die sich über maximal zwei Etagen erstreckten. Die vom Haus abgetrennten Korridore dienten dem horizontalen Verkehr, so dass die Vorbeigehenden die Bewohner in den Wohnungen nicht störten. Der vertikale Verkehr wurde nach den Plänen mit Aufzügen abgewickelt. Die Wohneinheiten wurden als vorgefertigte Wohnblöcke geplant, die auf eine Grundkonstruktion montiert sein sollten. Es gab mehrere Varianten mit flexibel gestaltbaren Grundrissen, um die Ansprüche jeder Familie befriedigen zu können.

Bild 99. Nicolas Schöffer, Claude Parent: Alpha d’Abitat, Grundriss einer Wohneinheit, 1954—55

Bild 100. Nicolas Schöffer, Claude Parent: Alpha d’Abitat, Perspektive einer Wohneinheit


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Bild 101. Nicolas Schöffer, Claude Parent: Alpha d’Abitat, Verteilung der Wohneinheiten

Bild 102. Nicolas Schöffer, Claude Parent: Alpha d’Abitat, Wohnblock,

Die vorgefertigten Wohneinheiten wiesen verschiebbare, drehbare oder klappbare Wände auf. Nur die Küche, das Bad und die Toilette waren fix montiert, weil sie an das Versorgungssystem

mit

Wasser

und

Gas

angeschlossen

werden

mussten.

Die

Wohnungsgrößen hatten eine menschliche Dimension. Sie waren nicht klein, sondern ermöglichten, dass sich alle Familienmitglieder frei fühlten. Der Stadtteil selbst war räumlich auch ziemlich freizügig gestaltet. Im Sinne der Pläne blieb das Terrain unten für Parkanlagen, Agrikultur und Wälder frei. Die Pilotis ermöglichten die Anpassung der Pläne für verschiedene geografische Formationen. Der Plan war weitgehend unabhängig vom Relief des Terrains. Die beträchtliche Entfernung zwischen den Wohnblöcken wurde mit Hilfe von Helikoptern überwunden. Sowohl das automatische Verteilungssystem der Konsumgüter als auch den Autoverkehr stellte sich Schöffer unterirdisch vor. Schöffer sah Le Corbusier als sein Vorbild an und übernahm seine Grundprinzipien: die Pilotis, die freie Gestaltung des Grundrisses, die Verwendung des Goldenen Schnittes bei der Planung und den Dachgarten. Schöffer plante, ähnlich Le Corbusier, große Wohnblöcke mit einem Versorgungsystem, welches sich aus dem Gedankengut der Kommunen des 19. Jahrhunderts nährte. In ähnlicher Weise wie Le Corbusier, stellte Schöffer seine Pläne überall auf der Erde ohne Adaptierung zu den örtlichen Verhältnissen anwendbar vor. Es ist ein Punkt, wo beide zu Recht kritisiert werden können. 4.3.3.4.8. Stadtteile für die Freizeitgestaltung Nicolas Schöffer unterschied zwei Typen von Stadtteilen für die Freizeitgestaltung: einerseits jene lokale Freizeitgestaltungskomplexe, die in den Stadtteilen für die Arbeit oder in den Wohngebieten integriert waren und andererseits die weiter ausgedehnten, unabhängigen Unterhaltungsgebiete, die wie ein autonomer Stadtteil funktionierten. Schöffer


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legte großen Wert auf die Gestaltung der Freizeit und auf ihre effektive Verwendung, weil nach seiner Meinung dadurch die psychische Gesundheit und Zufriedenheit der Menschen gesichert werden konnte. Er war überzeugt, dass die Menschen durch die Automatisierung und kybernetische Steuerung immer mehr Freizeit haben werden, weswegen die Befriedigung der Ansprüche in der Freizeit eine zentrale Frage bei der Planung der kybernetischen Stadt spielte. Unter Klammern könnte man bemerken, dass Schöffer sich in Anbetracht der Entwicklung seit den 50er Jahren bis heute geirrt zu haben scheint. Aus seiner linksorientierten Perspektive konnte der Künstler die aktuelle turbokapitalistische Phase der Entwicklung nicht voraussehen, die die Freizeit der durchschnittlichen Bürger immer mehr raubt. Auf der anderen Seite hatte Schöffer Recht, einen großen Wert auf die Frage der Freizeitgestaltung zu legen, weil wir in unserem schnelllebigen Zeit das Maximum aus den wenigen freien Stunden herausausholen möchten. Jedes Wohnviertel und Arbeitsviertel verfügte in der kybernetischen Stadt über ein Freizeitzentrum, um unnötigen Verkehr und Zeitverschwendung zu vermeiden. In den Wohnvierteln nannte Schöffer sie ‚centre stimulant‘. Es waren also Zentren, in denen die Leute stimulierende Erlebnisse erfahren und sich auffrischen konnten. In den Arbeitsvierteln dienten diese Zentren der Entspannung. Schöffer nannte sie ‚centre de déconnection‘. Der autonome Stadtteil der Unterhaltung erfüllte jede Ansprüche sowohl an die aktive Freizeitgestaltung als auch an die Entspannung. Die Gebäudehöhen variierten. Die Freizeitzentren konnten sowohl vertikale als auch horizontale Baukörper aufweisen. Dieser Stadtteil bot auch Platz für verschiedene Sportanlagen. Neben den konventionellen Unterhaltungsangeboten, gab es einige originelle Gebäudetypen, die von Schöffer konzipiert wurden. Schöffer war der Überzeugung, dass die Sexualität im Leben eine zentrale Rolle spiele. Er meinte, dass sich der Stadtplaner vor Augen halten sollte, Orte zu schaffen, wo die Menschen ihre Sexualität ausleben. Er wollte, im Kontrast zu den meisten Stadtplaner jener Zeit, diese Funktionen in der Stadt nicht verstecken, sondern zentrale öffentliche Räume schaffen, wo die Menschen ihren Gefühlen freien Lauf lassen könnten. Er plante dafür ein ‚Centre Loisir Sexuel‘, ein der Sexualität gewidmetes Freizeitzentrum. Dieser Gebäudetyp war der Ausdruck der von der sexuellen Revolution geänderten, neuen Auffassung über die Sexualität und über die Beziehung zwischen den zwei Geschlechtern. Ähnlich dem Freudenhaus Oikema von Ledoux offenbarte schon die äußere Erscheinung des Gebäudes seine Funktion. Solange Oikema von oben betrachtet ein phallisches Symbol aufwies, sah das


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Gebäude Centre Loisir Sexuel von Schöffer wie ein nach oben gerichteter weiblicher Busen aus. Die dominante Farbe war sowohl außen als auch innen Rosa. Die beiden Gebäude unterschieden sich aber maßgeblich in der Funktion. Das Freudenhaus Oikema war ein traditionelles Bordell und damit Ausdruck der alten Auffassung über Sexualität. Es war ein Ort für die grobe, rücksichtslose Ausbeutung der weiblichen Körper. Das Zentrum Loisir Sexuel von Schöffer demgegenüber entsprach der Ära der sexuellen Revolution. Wäre es gebaut geworden, dann wäre es ein Ort gewesen, an dem die zwei Geschlechter ihre Sexualität gleichberechtigt hätten ausleben können. Das Gebäude war nicht der brutalen, tierischen Sexualität, sondern der freien Liebe gewidmet.

Bild 103. Nicolas Schöffer: Centre Loisir Sexuel innen

Bild 104. Nicolas Schöffer: Centre Loisir Sexuel außen

Im Inneren des Gebäudes, entlang der äußeren Wände führt nach den Plänen ein spiralförmiger, breiter Korridor mit sanfter Neigung durch den Raum, welcher mit einem sehr komplexen Spektakel bespielt wird. In diesem Gebäude werden alle fünf menschlichen Sinnesorgane verwöhnt und gereizt. Das Innere ist mit weichen Materialien bekleidet, die sich beim Kontakt angenehm samtig fühlen lassen. Die kybernetisch gesteuerte hohe Temperatur ist optimal entsprechend der Funktion eingestellt. Wohltuende Düfte reizen die Sinne. Auf die Wände werden farbige, abstrakte, geometrische Formen in Bewegung projiziert. Das audiovisuelle Lichtspiel wird mit dem Ballett einer Tanzgruppe kombiniert. Alles trägt zur Stimulierung der sexuellen Funktionen bei. Unten erwarten ein Restaurant und ein Hotel die Liebespaare. Das Spatiodynamische Theater ist ein anderes spezielles Gebäude, welches von Schöffer für den Stadtteil der Freizeitgestaltung konzipiert wurde. Es ist ein kybernetisches Theater, wo das Spektakel keinen Anfang und kein Ende hat, sondern kontinuierlich,


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entsprechend der Rückmeldungen des Publikums, abläuft. Vergleichen könnte man das Spatiodynamische Theater mit den heutigen Einkaufs- und Unterhaltungskomplexen. In diesen Komplexen ist, wie bei Schöffers Gebäude, die spiralförmige Wegeführung üblich. Es gibt in vielen solchen Komplexen nicht nur traditionelle Kinos, sondern verschiedene Showprogramme, die gelegentlich im Fernsehen live übertragen werden. Die Besucher können vom Reporter angesprochen werden und an der Show teilnehmen. Das Konzept von diesen Komplexen kommt der Grundidee von Schöffer nahe. 4.3.3.4.9. Aktuelle Präsentationsbespiele. Die kybernetische Stadt ist eine Zukunftsvision, eine Idealvorstellung, welche nicht als Plan für eine unmittelbare Realisierung gedacht war. Die vorgestellten speziellen Gebäude wären zwar realisierbar, wurden aber bisher in dieser Form nie gebaut. Erhalten geblieben sind Zeichnungen des Künstlers und Modelle in kleinem Maßstab. Die Kuratoren der Ausstellungen greifen bei Rekonstruktionen zu neuen Techniken, um den hohen Ansprüchen der heutigen Museumsbesucher zu entsprechen. Eine virtuelle 3D Rekonstruktion könnte diese Pläne bei einer musealen Präsentation dem Publikum näher bringen. Anlässlich der großen retrospektiven Ausstellung in Műcsarnok (Kunsthalle) Budapest, die seine Tore im Oktober 2015 dem Publikum öffnete, wurde das Zentrum Loisir Sexuel mit Hilfe einer 3D Software virtuell aufgebaut, und während der Ausstellung präsentierte ein Video das 3D Model dem Publikum. Eine immersive und interaktive Präsentation in einer VR Umgebung war wegen der hohen Besucherzahl in diesem Fall nicht möglich. Das virtuelle 3D Model wurde vom Pariser Architekt Guillaume Richard aufgebaut. Er war auch einer der Kuratoren der Ausstellung. Die Kuratoren hatten 2016 anlässlich einer Ausstellung im Zeitgenössischen Kulturzentrum von Barcelona (Centre de Cultura Contemporània de Barcelona) die Absicht, Schöffers Plan für das Centre Loisir Sexuel dem Publikum erlebbar zu machen. In einem zylindrischen Raum von 8 m Durchmesser konnten die Besucher einen Eindruck darüber bekommen, welche Atmosphäre hätte das Gebäude bieten können, wäre es gebaut geworden. Der Innenraum wurde Rosa verkleidet. Der Raum wurde mit verschiedenen Werken von Schöffer eingerichtet: unter anderem waren Lux 10B, Spatiodynamique 16 und 19 und zwei große und vier kleinere boites à effets ausgestellt. Die Rekonstruktion einer verschollenen Skulptur von der Serie Mobil d’Amour wurde anlässlich der Ausstellung fertiggestellt. Ein großer zylindrischer Spiegel, fünf Videoprojektoren und drei Spots wurden eingesetzt. Die Besucher konnten sich auf Kissen ausruhen und die Parfümdüfte einatmen. Die Projektionen


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im Inneren zeigten die schon erwähnte dreidimensionale digitale Rekonstruktion gemischt mit Szenen aus dem kybernetischen Theaterstück Kyldex1. Für den musikalischen Hintergrund wählten die Kuratoren die Musik, welche damals die erotischen Szenen von Kyldex1 begleitete. Die Idee dieser Präsentation stammt vom Pariser Architekt Guillaume Richard.

Bild 105. Guillaume Richard: Installation von dem Centre Loisir Sexuel im Zeitgenössischen Kulturzentrum von Barcelona, 2016

Es ist offensichtlich, dass bei solchen Präsentationen Schöffers Grundideen von den Kuratoren der Ausstellung frei interpretiert werden. Es ist eine wichtige Frage, wie weit man auf diesem Weg gehen darf, aber solange es klargestellt ist, was Schöffers original Material und was ein Produkt der Fantasie der Kuratoren ist, ist es vielleicht akzeptabel zu solchen Mittel zu greifen. Denn man kann durch diese Anstrengung einer jungen Generation, die noch vor ihren Schuljahren den Umgang mit einem Computer erlernt, die Gedanken aus der Anfangszeit der Computerära vermitteln. 64

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Ich hatte mehrmals die Gelegenheit Guillaume Richard zu treffen. Ich sammelte das Material zu diesem Kapitel während unserer Gespräche, und ich stützte mich auch auf die Angaben, die auf dem Homepage seines Achitekturbüros zu finden sind. Datoo Architektenbüro Homepage, http://www.datoo.fr/index.php?/installationse/1000-m-de-desirs/, Stand: 1. September 2017, 12:00


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4.3.3.4.10. Werkgruppen zur Ästhetisierung der kybernetischen Stadt Schöffer stellte sich in der kybernetischen Stadt sowohl ortsgebundene als auch mobile Kunstwerke vor. Die kybernetischen Türme sind ortsgebunden, aber das Spektakel, das sie liefern, ist meist von einer relativ großen Entfernung erlebbar. Der große kybernetische Lichtturm, welcher in dem Stadtteil La Défense hätte aufgebaut werden sollen, wäre von einer Entfernung von 30 km sichtbar gewesen. Zahlreiche kybernetische Türme wurden in verschiedenen Städten der Welt verwirklicht, wie in Liège, San Francisco, München, Bonn, Washington, Kalocsa, Lyon, Paris und Busan. SCAM1 wurde als Prototyp des mobilen Spektakels vorgestellt. Der Künstler plante auch fliegende kybernetische Skulpturen, die im Planungsstadium geblieben sind. Es gibt eine ganze Reihe von leider nie und nirgendwo realisierten Plänen des Künstlers, deren Aufgabe gewesen wäre, die ästhetische Qualität der städtischen Umgebung zu steigern. Es sind meist Pläne und Ideen, die in der späteren Phase der künstlerischen Laufbahn unmittelbar vor der schweren Krankheit des Künstlers entstanden sind und wegen des verschlechterten Gesundheitszustandes nicht weiterentwickelt werden konnten. Nicolas Schöffer hatte meist eine Grundidee so ausgearbeitet, dass es eine ganze Serie von zusammengehörenden Werken entstand. Die Namen dieser Werkgruppen hat der Künstler vom Grundkonzept abgeleitet.

Bild 106. Nicolas Schöffer: 600 m hoher Tour Soleil geplant für die Olympische Spiele 1984 in Los Angeles

Bild 107. Nicolas Schöffer: Sonnenturm geplant 1985 für den Wettbewerb in Newark


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1979 war das Entstehungsjahr der Skulpturen Delta und der ersten Sonnentürme (Les tours-soleils). Nicolas Schöffer plante die ersten Sonnentürme für Venezuela. Diese monumentalen Skulpturen bestanden aus Sonnenreliefs, die auf eine vertikale Achse montiert wurden und sich um diese Achse auf einer spiralförmigen Bahn bewegen konnten. Sie speicherten die Energie der Sonne während des Tages, um sie in der Nacht zu verwenden. Die Innovation war in diesem Fall die Verwendung der Sonnenenergie, um die Lichtquellen und Motoren der Skulptur mit Strom zu versorgen. Die natürliche Energie der Sonne wurde umgewandelt, um den Raum durch die Bewegungen der Skulptur zu dynamisieren. Die Skulptur war ein göttliches Symbol der Quelle des Lebens. Nicolas Schöffer hatte Pläne von Sonnentürmen für verschiedene Wettbewerbe eingereicht. Die Pläne eines 600 m hohen Sonnenturms wurden für Bild 108 Nicolas Schöffer: Tour Soleil, 1983

die olympischen Spiele 1984 in Los Angeles fertiggestellt.

Die Pläne des Künstlers, welche er für einen Wettbewerb in Newark im Jahr 1985 einreichte, wurden 2011 von dem Architekturbüro Datoo in Paris wieder aufgegriffen, um einen 30 m hohen Sonnenturm in Belfort bei der TGV Bahnstation zu realisieren. Leider scheinen die Verhandlungen mit dem Conseil Général de Belfort steckengeblieben zu sein. Die erhalten gebliebene Dokumentation des Künstlers war spärlich, so bestand die Aufgabe vor allem aus Recherche und Rekonstruktion. Es verlangte auch viel Kreativität, vor allem was die Funktionsweise betrifft. Entsprechend der rekonstruierten Pläne hatte das kybernetische System verschiedene Input-Gruppen. Die Sensoren nahmen einerseits die natürlichen Kräfte, wie Sonnenstrahlung, Wind und Niederschlag wahr. Die Skulptur maß die Dichte des Verkehrsstroms und die Funktionsweise wurde von den Zügen, Bussen und Autos beeinflusst. Die Beobachter interagieren mit der Skulptur. Die Skulptur nahm die Anwesenheit von Menschen wahr und die Menschen konnten mit der Skulptur Kontakt aufnehmen und die Funktionsweise beeinflussen. Die Skulptur bekam zusätzliche Informationen aus der lokalen Umgebung und aus weiten Teilen der Erde. Die Input Signale und Daten wurden umgewandelt, um die Farbeffekte, das Lichtspiel und die Bewegung der Teile zu kontrollieren. Elemente der Serie Les basculantes (1982-83) (Umkippende Skulpturen) sind kybernetische Skulpturen, welche in jedem Moment ähnlich dem Turm von Pisa schief stehen, aber die Richtung und Neigung ihrer Schiefstellung kontinuierlich ändern.


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Bild 109. Nicolas Schöffer: Einige Skizzen aus der Serie‚ Les Basculantes‘


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Der Grundgedanke war es, in die Monotonie der Baublöcke, die während des Wiederaufbaus mit sparsamen finanziellen Mitteln serienmäßig aufgebaut wurden, ein Element der Überraschung einzuführen, welches die horizontalen und vertikalen Linien der Gebäude bricht und mit Hilfe von Diagonalen einen dynamischen Eindruck im urbanen Raum hervorruft. Nicht jede Stadt hat einen schiefen Turm, wie Pisa, aber die sich umkippenden Skulpturen von Schöffer hatten das Ziel, ein ähnliches Spektakel zu bieten. Sie würden jeden Augenblick das Gefühl erwecken, dass sie gleich umkippen, aber sie würden sich bald aufrichten, um sofort in eine andere Richtung zu neigen. Die Oszillation zwischen den Richtungen und Neigungswinkeln hätte die kybernetische Zentrale reguliert.

Bild 110. Nicolas Schöffer: Zeichnung einer

Bild 111. Nicolas Schöffer: Zeichnung einer

Hydro-Thermo-Chronos Fontäne

Hydro-Thermo-Chronos Fontäne

Die Hydro-Thermo-Chronos Fontäne sind ebenfalls eine Idee aus dem Jahr 1983. Bei diesen Fontänen wären Wasser, Feuer und Laser eingesetzt worden, um auf einen monumentalen Maßstab ein Spektakel hervorzurufen, welches mit starken Klangeffekten begleitet worden wäre. Laut der Erklärung des ehemaligen Mitarbeiters Lajos Dargay, war die Idee während einer Fernsehsendung entstanden. Diese Erzählung lässt einen Einblick in die Schaffensmethode des Künstlers erhaschen. Es ist interessant, wie ein kleiner Funken seine kreativen Energien entzünden konnte. Das französische Fernsehen präsentierte eine Sendung über den Mittelatlantischen Rücken, wo am Meeresboden Lava mit unglaublicher Kraft aus dem Erdinneren herausdringt und aufs Wasser trifft. Schöffer stand inspiriert von den gezeigten Bildern vom Sessel auf und verschwand. Nach einer halben Stunde kehrte er mit einigen Zeichnungen von Hydro-Thermo-Chronos Fontänen zurück, bei denen Wasser und Feuer aufeinander trafen. In diesem Augenblick kümmerte sich Schöffer nur um die Idee und ließ sich durch Gedanken bezüglich der technischen Verwirklichung nicht stören. Solche Überlegungen wären für ihn nur in einer wesentlich späteren Phase relevant gewesen. Die


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meisten der Hydro-Thermo-Chronos Fontänen blieben eine Grundidee, aber eine Fontäne wurde für den Opera-Wettbewerb in Paris detailliert ausgearbeitet. Die ungarische Regierung wollte eine Hydro-Thermo-Chronos Fontäne von Schöffer anlässlich der Welt Expo 2015 in Mailand realisieren, aber das Projekt scheiterte an mehreren Hindernissen. Bei dem von Schöffer geplanten Maßstab wäre das Triebwerk eines JetFlugzeugs nötig gewesen, um das Wasser so mit Feuer zu beschießen, dass dabei Dampf entsteht, wie es Schöffer für die Lasershow vorsah. Das visuelle Erlebnis wäre durch ohrenbetäubende Klangeffekten begleitet worden. Die italienischen Organisatoren hatten auf dem Gelände die Verwendung von offener Flamme verboten. Es gab außerdem Bedenken wegen

der

Verletzungsgefahr

durch

heiße

Dämpfe,

weswegen

letztendlich

eine

Rekonstruktion zu diesem Anlass nicht in Frage kam. Noémi Ördög hat virtuell mehrere Fontänen für den Film Die wunderbare Welt von Nicolas Schöffer in 3D aufgebaut, um mit Hilfe von Renderings zu zeigen, welchen Eindruck diese unbekannten Pläne ausgeübt hätten, wenn sie gebaut worden wären.

Bild 112. Noémi Ördög: Digitale Rekonstruktion einer Hydro-Thermo-Chronos Fontäne von Nicolas Schöffer

Les Percussonor (1984-85) sind Skulpturen, die mit dem Ziel geplant wurden, den Vandalismus herauszufordern. Der Name ist eine Zusammensetzung aus den französischen Wörtern percuter (schlagen, rammen) und sonore (schallend, klingend). Es sind partizipative Kunstwerke, bei denen das Publikum den Klangeffekt durch Schlagen der Teile selber hervorrufen kann.


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Bild 113. Nicolas Schรถffer: Les Percussonor, Seite aus dem Dossier Percussonor


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Schöffer meinte, dass in den Großstädten die Aggression ständig präsent ist. Diese könnte zu einem bestimmten Maß unterdrückt werden, aber der psychische Druck wächst dabei und hat negative Effekte. Schöffer hatte die Absicht, den Jungen eine Möglichkeit zu schaffen, ihre Aggression ausleben zu können und in Schönheit und ästhetische Qualität zu verwandeln. Er plante Skulpturen, deren metallene Teile den Schock kräftiger Schläge widerstehen konnten. Den Plänen zu Folge, hätte jeder Teil anders klingen sollen, wenn er geschlagen worden wäre. Die Töne hätten von Mikrofonen registriert worden und die kybernetische Zentrale hätte sie in ein Lichtspiel und Bewegung der Teile umgewandelt. Die Skulpturen wurden auf einem monumentalen urbanen Maßstab geplant, damit sie die Jungen anlockten, die voller Energie in der Stadt herumlaufen. Die Skulptur sollte sie provozieren, auf ihre Teile zu schlagen. Die Skulptur wäre durch Schlagen und Klopfen richtig zum Leben geweckt worden und dieses audiovisuelle Erlebnis hätte nach Schöffers Absichten die Aggression der Jungen in Schönheit verwandeln sollen. Oft waren auch Sonnenreliefs in dieser Serie vorgesehen. Es waren späte Arbeiten, aber viele frühe Gedanken des Künstlers tauchten hier wieder auf. Die Werke der Serie Soleolson (sculptures SOLaires, ÉOLiennes et SONores) sind noch komplexer. Sie nahmen sowohl die Sonnenenergie, als auch die äolische Kräfte wahr, um Klangeffekte und ein Spektakel von Licht und Bewegung hervorzurufen. Die Werke der erwähnten Serien wurden für die öffentlichen Plätze der kybernetischen Stadt geplant, aber es waren unabhängige Pläne, die auch in realen Städten realisierbar gewesen wären. Die schwere Krankheit des Künstlers hat ihre Verwirklichung verhindert, aber es ist immer noch möglich, dass jemand die Grundidee aufgreift und ausarbeitet, wie es das Beispiel der Weltausstellung 2015 in Mailand oder der vor kurzem gebaute Turm nahelegt. Ein kybernetischer Turm wurde im Jahr 2016, mehr als zwei Jahrzehnte nach dem Tod des Künstlers, in Busan in Süd-Korea aufgebaut.

Bild 114.: Einweihung der LUX 10K im Jahr 2016 in Busan, Südkorea, Höhe 14 m


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4.3.4. Architektur Wettbewerbe Nicolas Schöffer nahm während seiner Lebensbahn immer mehr die Rolle eines Architekten an. Obwohl er in dieser Funktion die meiste Zeit an den utopischen Plänen der Kybernetischen Stadt arbeitete, die nicht für eine unmittelbare Realisierung gedacht waren, nahm er zusammen mit Architekten auch an zahlreichen Architektur Wettbewerben teil, um reale Projekte zu verwirklichen. Seine realisierten Architekturprojekte sind aber sehr selten, weil diese Wettbewerbe von anderen Teilnehmern gewonnen wurden. In diesem Kapitel erwähne ich zuerst die wenigen gebauten Pläne des Künstlers, um dann das Thema der nicht realisierten Wettbewerbsprojekte kurz zu streifen. Die Gelegenheit, ein Projekt auf architektonischem Maßstab zu realisieren, ergab sich für Schöffer im Jahr 1953 anlässlich des VIII. Internationalen Kongresses der Geodäten (VIIIe Congrès International des Géomètres), als er mit der Planung und dem Aufbau der Installation der Ausstellung beauftragt wurde. Die Ausstellung fand im Gebäude der Universität Sorbonne statt. Schöffer baute eine innere Hülle in die Eingangshalle, die wie ein zweiter Raum im Raum funktionierte. Es war, mit den damaligen Standards gemessen, eine sehr innovative und gewagte Konstruktion aus schwarzen Metallröhren mit Vitrinen für die Objekte und farbenfrohen Holztafeln für die Dokumente, welche die Atmosphäre der renommierten Institution bis zur Unerkennbarkeit veränderte. Die Installation schirmte die altehrwürdigen Wände der Institution ab und hatte einen modernen, industriellen Charakter. Die aus horizontalen und vertikalen Metallröhren bestehende Konstruktion, die auch die schon erwähnten Türme von Biot (1950) und St. Claude (1954) charakterisierten, funktionierte in diesem Fall als Gerüst.

Bild. 115. Nicolas Schöffer: Installation der Ausstellung VIIIe Congrès International des Géomètres Sorbonne (Paris, 1953)


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Das nächste realisierte Projekt, das im Jahr 1957 gebaute La maison à cloison invisible, wurde schon im Kapitel Das Klima detailliert erklärt. Ich hebe hier nur den gewagten experimentellen Ansatz des Projektes hervor, welcher auch die Pläne des Voom Voom Nachtclubs in Saint-Tropez und Juan les Pins charakterisiert. Der Nachtclub und die Disco stellten in den 60er und frühen 70er Jahren für die Neo-Avantgarde Architekten dieser Zeit viel mehr als ein einfaches Architekturprogramm dar. Die Architekten setzten sich einer Entfremdung der Gesellschaft entgegen und schlugen psychotrope, multisensorielle öffentliche Räume vor, die einerseits auf die Leute, die sich drinnen aufhielten, als eine architektonische Antidepressivum und geistige Massage wirkten und die andererseits die Keimzellen einer zukünftigen emanzipatorischen Gesellschaft hätten sein sollen. Für Nicolas Schöffer bedeutete die Disco Voom Voom in Saint-Tropez eine Art Vorbereitung oder sogar Generalprobe für die Pläne des Stadtteils der Unterhaltung in der Kybernetischen Stadt. Das Projekt wurde von Félix Girault, dem Architekten Paul Bertrand und Nicolas Schöffer vollbracht. Der Innenraum war von Schöffer eingerichtet und war einem vergrößerten Effektkasten (Boîte à effet) ähnlich. Ein großes Prisma aus Spiegeln und eine Lichtwand wurden als Elemente des Spektakels eingesetzt. Die Wände des Raumes waren außer der Lichtwand gekrümmt und mit Spiegeln verkleidet. Ein Elektronengehirn steuerte das Spektakel. Der Andrang der Gäste war so groß, dass täglich mehrere hunderte Menschen nicht hineingelassen werden konnten, so wurde bald eine neue Voom Voom Disco in Juan le Pins gebaut.

Bild. 116. Paul Bernard: Pläne der Disco Voom Voom von Juan les Pins, eingezeichnet ist eine Lichtwand von Schöffer hinter dem Orchester


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Gebaut wurden weltweit noch zahlreiche kybernetische Türme, die ich schon aufgelistet habe. Weitere realisierte Architekturprojekte des Künstlers sind mir nicht bekannt, er nahm aber mit Architekten zusammen an zahlreichen Architektur Wettbewerben ohne Erfolg teil. Im Jahr 1971 nahm Schöffer an dem Beaubourg Wettbewerb teil. Die Zeichnungen und das Modell zeigen einen Gebäudekomplex auf einer ellipsenförmigen Plattform, die aus drei Teilen besteht: ein großer zylindrischer Baukörper beinhaltet das Museum. Die Bibliothek befindet sich in einem Baukörper, der wie ein umgedrehter Kegelstumpf aussieht. Ein weiterer kleinerer Baukörper wurde für die kybernetische Zentrale geplant.

Bild.117. Beaubourg Wettbewerb 1971

Bemerkenswert ist das Konzept von beweglichen Minieinheiten. Im Museumsgebäude befanden sich Minimuseen, welche als selbstständige Einheiten das Gebäude verlassen konnten, um eine Wanderausstellung ins Land schicken zu können. Ähnlich konnten Minibibliotheken das Bibliotheksgebäude verlassen und als mobile Bibliotheken im Lande funktionieren. Der Gebäudekomplex hatte einen erweiterten Wirkungsbereich nicht nur durch die mobilen Teile, sondern auch durch die kybernetische Zentrale, welche eine intensive Kommunikation mit anderen, weit entfernten Institutionen ermöglichte. Bemerkenswert ist auch das Fassadenkonzept des Museums. Ein Vorläufer der Idee ist das experimentelle luminodynamische Haus (Maison Expérimental Lumino-Dynamique), dessen Pläne Schöffer 1952 ausarbeitete. Das Haus wurde nie gebaut. Der Baukörper war ein Zylinder auf einem runden Sockel in 4 m Höhe. Die gekrümmte Außenwand bestand aus Spiegellamellen, die sich einerseits um eine vertikale Achse drehen, andererseits, nach der


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Befreiung der oberen Kante und sich um der unteren Kante als horizontale Achse drehend, eine Schrägstellung aufnehmen konnten. Sie bewegten sich im letzteren Fall wie eine Zugbrücke. Die Spiegel wurden zusätzlich durch Projektoren bespielt. Das Spektakel hatte damit zwei Elemente: einerseits die Spiegelungen der Innen- und Außenwelt, andererseits die Projektionen. Nach den Plänen hätte das Museumsgebäude mit mehreren Reihen von solchen Spiegeln bekleidet werden sollen, welche die ganze Fassade hätten bedecken sollen.

Bild. 118. Nicolas Schöffer Maison Expérimental Lumino-Dynamique 1952

Les Halles war der zentrale Markt von Paris, im Herzen der Stadt gelegen. Die schönen Glass- und Eisenkonstruktionen der Markthallen wurden Mitte des 19. Jh. von Victor Ballard geplant. Sie waren nach hundert Jahren, Mitte des 20. Jh. schon sanierungsbedürftig und konnten den Ansprüchen der neuen Wirtschaft nicht entsprechen, deswegen wurden sie 1971 abgerissen. Damit verschwand das farbenfrohe Ambiente.

Bild. 119. Victor Baltard: Les Halles, Visualisierung des Plans, 1863

Bild. 120. Nicolas Schöffer: Les Halles Wettbewerbsprojekt, 1975


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Mehrere Jahre lang stand die Baugrube, die am Platz der abgerissenen Gebäude entstand, als Schandfleck in unmittelbarer Nähe der historischen Kirche Saint-Eustache. Nicolas Schöffer nahm an der 1975 ausgeschriebenen Wettbewerb zur Bebauung der Grube teil. Er plante ein negatives Relief. Er ließ die Grube offen und legte dort einen Park mit Sportanlagen und Bühne an. Die Wände der Grube sollten auch bepflanzt und durch ein Netzwerk von Treppen und Wegen für die Spaziergänger bespielt werden. Schöffer plante mehrere hydro-thermo-chronos Fontänen im Areal. Eine Brücke überspannte die Grube und führte zu einem Meditationszentrum. Es war als ein Ort der Reflexion und der Andacht in der Gesellschaft der Zukunft geplant.

Bild:121. Nicolas Schöffer: Modell des Meditationszentrums, "Grand Centre de Réflexion Polyèdrique"

1983 nahm Nicolas Schöffer an dem Wettbewerb Tête de la Défense teil. Sein Beitrag war in diesem Fall eine Skulptur Soleil, eine künstliche Sonne, welche eine zentrale Position in den Plänen der Architekten bekam. An der Planung der Gebäude nahm er nicht teil.

Bild 122. Ágota Nagy, Mária Nagy und László Fodor: Pläne der Opera de La Basille Wettbewerb


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Im selben Jahr arbeitete Schöffer an den Plänen für den Architektur-Wettbewerb Opera de La Bastille mit den ungarischen Architekten Ágota Nagy, Mária Nagy und László Fodor zusammen. Anlässlich dieses Wettbewerbs wurde eine hydro-thermo-chronos Fontaine in Detail ausgearbeitet. Nicolas Schöffer war schon erkrankt, als er mit dem Architekten Pierre André Dufétel an dem Wettbewerb Triparcom teilnahm. Das publizierte Material ist spärlich. Das noch nicht bearbeitete Material des Archivs im Atelier des Künstlers mag noch viele wertvolle Informationen bezüglich der erwähnten Wettbewerbsprojekte liefern.

Bild 123. Nicolas Schöffer, Ágota Nagy, Mária Nagy und László Fodor: Visualisierung der Hydro-Thermo-Chronos Fontaine für den Wettbewerb Opera de La Bastille Quelle: Mit Genehmigung aus dem Archiv von Ágota Erzsébet Nagy

Bild 124. Pierre André Dufétel, Nicolas Schöffer: Frankreich-Japan Triparcom Wettbewerb Quelle: Mit Genehmigung aus dem Archiv von Ágota Erzsébet Nagy


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4.3.5. Von Grafik bis Urbanistik — Zusammenfassung Ich behandelte bisher in zahlreichen Kapiteln die Entwicklungslinie der künstlerischen Laufbahn, die von grafischen Arbeiten durch Zwischenstationen bis die Urbanistik führte. Nicolas Schöffer begann seine Karriere mit figurativen Bildern und wandte sich dann zu lyrischer und geometrischer Abstraktion zu. Durch die geometrische Abstraktion führte sein Weg zu dreidimensionalen Werken. Der Austritt aus der Fläche begann mit geometrischen Reliefbildern. In einem nächsten Schritt verschwand die rückseitige Stützfläche des Reliefs und es entstanden Skulpturen mit einer Hauptansicht, die von der Seite gesehen noch ziemlich flach waren. Bei den spatiodynamischen Werken entfaltet sich die Dreidimensionalität der Skulptur und es sind schon alle Ansichten gleich wichtig. Die dynamische Wirkung entstand durch die Bewegung des Rezipienten. Die Skulpturen dieser Serie waren mit wenigen Ausnahmen statisch und sie selbst bewegten sich nicht. Die LUX Serie thematisierte die Lichteffekte, aber die Skulpturen selbst wiesen keine Lichtquellen auf, sie waren von externen Lichtquellen beleuchtet. Die Bewegung der Skulptur spielte hier schon eine wichtige Rolle. Die Skulptur wurde auf eine sich rotierende Plattform gestellt, aber die runden und quadratischen Teile, die auf die Grundkonstruktion montiert waren, bewegten sich bei der LUX Serie noch nicht. Der nächste Schritt brachte die volle Entfaltung der künstlerischen Idee mit sich. Auf die Grundkonstruktion wurden auch Lichtquellen montiert, alle auf die Grundkonstruktion montierten Teile bewegten sich und die Bewegungen wurden kybernetisch gesteuert. Die Dimension der Werke wuchs in der Folge und damit ändert sich die Gattungszugehörigkeit von Skulptur zu architektonische Skulptur und letztendlich zu skulpturale Architektur bei der Tour Lumière Cybernétique für den Stadtteil La Défense. Mit den kybernetischen Türmen arbeitete der Künstler schon auf dem städtischen Maßstab. Sein Interesse breitete sich auf alle wichtige Aspekte des städtischen Lebens aus und er entwarf den utopischen Plan einer kybernetischen Stadt der Zukunft. Es handelte sich um eine kontinuierliche Entwicklung, wie es aus der obigen Zusammenfassung ersichtlich ist. Die Komplexität der Werke wuchs entlang der Entwicklungsbahn. Es gab doch einen Moment während der Karriere, welchen Nicolas Schöffer als eine abrupte Wende interpretierte, die zu seiner Entscheidung führte mit der Vergangenheit abzurechnen und einen Neuanfang einzuleiten. Dieser Moment hatte enorme Bedeutung, trotz der Tatsache, dass es noch Jahre dauerte, bis sich die neuen Ideen entfalten konnten. Die Entscheidung hat dem Künstler unmittelbar keine Flügel geschenkt, um die nötigen Stationen seiner eigenen Entwicklungsbahn zu überfliegen.


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Diese Wende zu neuen Gedanken und Konzepten wurde durch die Begegnung mit der Kybernetik ausgelöst, einem neuen Wissenschaftszweig, den Schöffer durch Norbert Wieners Buch kennenlernte. Diese Begegnung hat Schöffers Leben völlig verändert. Eine ähnlich frenetische Wirkung hatte die Begegnung mit Norbert Wiener auch im Leben von Andrew Gordon Speedie Pask. Pask hatte eine äußerst vielseitige Ausbildung und besaß drei Doktortitel. Er war Autor, Erfinder, Konversationstheoretiker, Kybernetiker und Psychologe und er führte einen kontinuierlichen Dialog mit den bildenden und darstellenden Künsten. Seine Lebensbahn lief in vielen Hinsichten parallel zu jener von Schöffer. Da es mein Anliegen in dieser Schrift ist, Verbindungen zu ähnlichen Projekten zu suchen und Schöffers Oeuvre in dem Kontext seiner Epoche zu zeigen, kann ich an Gordon Pask nicht vorbeigehen, aber es führt mich schon zum nächsten Thema, zum kybernetischen Theater.

4.3.6. Theater Als ich den breiten Bogen der Entwicklungslinie von den grafischen Arbeiten bis zur Urbanistik zeichnete, erwähnte ich schon einige Theaterauftritte des Künstlers mit CYSP1, aber ich war bisher auf diese Aspekte der künstlerischen Laufbahn noch nicht weiter eingegangen und sie mögen als sporadische Nebenprodukte der künstlerischen Tätigkeit erscheinen, sie sind es aber nicht. Sie sind Stationen auf dem Bogen einer anderen Entwicklungslinie. Dieser Bogen beginnt mit kurzen Auftritten auf der Bühne anlässlich verschiedener Veranstaltungen, führt durch die Planung vom Bühnenbild für Theaterstücke und Modeschauen bis hin zu einer eigenständigen kybernetischen Theateraufführung, die den ganzen Abend füllte. Der Höhepunkt der Experimente des Künstlers im Theater war bestimmt KYLDEX 1, die Realisierung einer Theateraufführung, welche auf kybernetischen Prinzipien beruhte. Der Gedanke eines kybernetischen Theaters erscheint auch beim Gordon Pask wenn auch ohne eine großangelegte, spektakuläre Realisierung, wie die Präsentation von KYLDEX1 in der Staatsoper von Hamburg. Bevor ich zu Schöffers wesentlichsten Theaterprojekten komme, mache ich einen kleinen Abstecher zu Gordon Pask. Andrew Gordon Speedie Pask war sechzehn Jahre jünger als Schöffer. Er wurde im Juni 1928 in Derby geboren. Er starb aber relativ jung im Alter von 68 Jahren im März 1996 in London, also nur vier Jahre nach Schöffer. Er wurde zuerst als Bergbauingenieur an der Liverpool Polytechnic ausgebildet und studierte Geologie an der Bangor Universität. Er erwarb einen MA in Naturwissenschaften in Cambridge und promovierte 1964 in Psychologie an der Universität von London. Von 1949 bis 1953 studierte Pask Physiologie in Downing College in Cambridge, wohin während dieser Zeitspanne Norbert Wiener eingeladen wurde


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einen Gastvortrag zu halten. Glücklicherweise wurde durch einen Zufall gerade Pask beauftragt, sich um den Gast zu kümmern und ihm zu assistieren. Pask entdeckte, dass Wiener die Wissenschaft genau beschrieb, nach der er sich gesehnt hatte, aber nicht gewusst hatte, wie er sie nennen sollte. Er begann sich mit Kybernetik zu beschäftigen und er wurde in der Folge eine der wichtigsten und originellsten Figuren in der Geschichte der Kybernetik. Er war noch Student, als er begann die Maschine namens Musicolour zu konstruieren. Der Grundgedanke, die Möglichkeit synästhetischer Interferenzen zwischen Licht und Klang zu erforschen, war sehr ähnlich zu Schöffers Anstreben bei seinem Musiscope. Die Verbindung von Musik mit Lichteffekten konnte auf eine Anwendung im Theater zielen. Musicolour war ein Gerät, das den Klang einer musikalischen Darbietung nutzte, um eine Lichtshow zu steuern. Bei Musicolour konnten die kybernetischen Prinzipien der Kopplung und Rückkopplung erkannt werden. Die Musik wurde durch ein Mikrofon in ein elektrisches Signal umgewandelt. Dieses Signal war als Input für Musicolour angewendet. Es war in der Maschine durch eine Reihe von Filtern geleitet, die auf verschiedene Frequenzen und auf den Takt der Musik empfindlich waren. Letztlich steuerte das Output der Filter verschiedene Lichter. Die internen Parameter der Schaltung von Musicolour waren nicht konstant. In Analogie zu biologischen Neuronen waren Lichtquellen nur dann aktiviert, wenn das Output des entsprechenden Filters einen bestimmten Schwellwert überschritt und diese Schwellwerte änderten sich mit der Zeit entsprechend der Entwicklung der Leistung und des vorherigen Verhaltens von Kondensatoren. So konnte die Maschine ‚Langweile simulieren‘. Bei zu vielen Wiederholungen desselben musikalischen Musters verschoben sich die Schwellwerte nach oben und Musicolour hörte auf zu reagieren, was den Darsteller ermutigte, etwas Neues zu spielen. Die Musiscope von Schöffer hatte keine ähnlichen „Verhaltensweisen“. Die Musiscope hatte eine Klaviatur, auf der keine Musik, sondern ein Lichtspektakel gespielt wurde. Bei jedem Tastendruck leuchteten die entsprechenden Lichtquellen auf. Es war aber möglich auf der Klaviatur die Tastenkombinationen eines Musikstücks zu spielen und gleichzeitig dasselbe Musikstück auf anderen Instrumenten vorzutragen. So konnte ein Spektakel entstehen, bei dem Musik und Lichtspiel aufeinander gestimmt waren. Die Musiscope entstand 1959 unter Mitwirkung von Ingenieur Julien Leroux und der Firma Philips. Sie wurde 1961 im Théâtre de France in Paris mit der Musik von Pierre Jansen dem Publikum gezeigt. Der Dirigent war Pierre Boulez.65

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Vgl. Wikipedia Gordon Pask und Universität München Homepage History of Computer Art, II.3 Cybernetic Sculptures, II.3.1.1 Gordon Pask´s "Musicolour System"


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Zur Zeit der Entstehung von Musicolour und Musiscope wussten Gordon Pask und Schöffer voneinander wahrscheinlich nichts. 1960 hatte Schöffer eine Ausstellung in dem Institute of Contemporary Art in London, es ist aber mir nicht bekannt, ob Gordon Pask diese Ausstellung besuchte oder nicht. Sie hatten aber bestimmt im Jahr 1968 anlässlich der großangelegten Ausstellung Cybernetic Serendipity die Gelegenheit, sich gegenseitig kennenzulernen. Die Ausstellung war von Jasia Reichardt organisiert und zeigte künstlerisch inspirierte Arbeiten, die während der kybernetischen Forschung als Zufallsprodukte entstanden. Ein zeitgenössisches Foto zeigt einen Blick in den Ausstellungsraum, wo Nicolas Schöffers CYSP1 und Gordon Pasks Colloquy of Mobiles nebeneinander zu sehen sind.

Bild 125. Gordon Pask: The Colloquy of Mobiles, 1968 Rechts ist Nicolas Schöffers CYSP1 zu sehen.

Colloquy of Mobiles war ein reaktives, lernfähiges, computerbasiertes System, welches aus komplizierten elektromechanischen Robotern mit zwei verschiedenen geschlechtsspezifischen Verhaltensweisen bestand. An der Decke hingen zwei männliche und drei weibliche Roboter, die über Lichter und Geräusche miteinander kommunizierten. Die Kommunikation zwischen den Robotern wurde unmissverständlich auf eine sexuelle Analogie konzipiert. Nach einer Phase der Inaktivität begannen die Weibchen aus Fiberglas stärker zu leuchten und die Männchen sandten einen Lichtstrahl aus. Als der Lichtstrahl auf den Spiegel in dem Körper des Weibchens eintraf, versuchte sie ihn durch die Drehung des Spiegels an den frei hängenden Lichtsensoren über und unter dem Aluminiumkörper des


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Männchens zurückzulenken. Das Ziel der Kommunikation war es, diesen Moment der Befriedigung zu erreichen. Danach begann sich der Trieb wieder aufzubauen und das Spiel wiederholte sich, aber die Roboter lernten, ihr Verhalten so weit zu optimieren, dass dieser Zustand der Zufriedenheit mit möglichst wenig Energie erreicht werden konnte. Die Weibchen waren in dem Sinne adaptiv, dass sie lernen konnten, einzelne Männchen zu identifizieren und sich an ihre Eigentümlichkeiten zu erinnern. Mit Hilfe von Taschenlampen und Spiegeln konnten die Ausstellungsbesucher die Rollen der Roboter übernehmen und das Spiel beeinflussen. Sowohl die Roboter von Pask, als auch CYSP1 waren mit Mikrofone und Lichtsensoren ausgestattet und die Ausstellungsbesucher konnten sich mit ihnen in ein interaktives Spiel einwickeln. Gordon Pasks Idee eines kybernetischen Theaters entstand während eines Gesprächs mit Joan Littlewood, der einflussreichen britischen Theater- und Filmregisseurin der 50er und 60er Jahre. Littlewood zog eine experimentelle Form des Theaters vor, die sich mit zeitgenössischen sozialen und politischen Konflikten beschäftigte und gründete mit ihrem Mann eine Theatergruppe, die zuerst Theater of Action, später Theater Union und zuletzt ab1945 Theater Workshop genannt wurde. In dem oben erwähnten Gespräch ging es darum, ob eine Geschichte anders enden kann, wie es entsprechend der Situation der sozialen Schichten zu erwarten ist. Gordon Pask griff die Idee eines unüblichen Endes auf. Er ging so weit, sich eine Geschichte mit mehreren Verzweigungen vorzustellen, bei der die Handlung des Theaterstücks durch Entscheidungen des Publikums entsteht. Bestimmte Zuschauer konnten in Schlüsselmomenten das Spiel des zugeordneten Schauspielers beeinflussen. 1964 verfasste Gordon Pask eine dreißigseitige Schrift, in dem er dieses auf Kopplung und Rückkopplung

zwischen

Zuschauer

und

Schauspielern

basierende

Prinzip

eines

kybernetischen Theaters erklärt. Pask schlug experimentelle Aufführungen im Rahmen der Theater Workshop vor. Die Unbestimmtheit und Zufälligkeit der Handlung charakterisierte dieses Theaterkonzept, welches letztendlich von Schöffer in Hamburg tatsächlich realisiert wurde. Kybernetik spielte eine doppelte Rolle bei Schöffers Theaterexperimenten. Kybernetische Kunstwerke waren Hauptbestandteile des Bühnenbildes. Die Bühne wurde von Robotern, kybernetischen Türmen, Prismen und Boîte à Effet (Lichteffekt Kasten) bevölkert. Ihre Operationen wurden kybernetisch gesteuert. Durch die wahrgenommenen Licht- und Klangeffekte hängte die Steuerung auch von einem Zufallselement ab. Beim Kyldex1 bestand eine kybernetische Kopplung und Rückkopplung zwischen Zuschauer und Schauspieler. Die


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Theaterstücke Hilfe! Hilfe! Die Globolinks und Kyldex1 stellen die Höhepunkte der Experimente des Künstlers im Theater dar. 4.3.6.1. Hilfe! Hilfe! Die Globolinks Hilfe, Hilfe, die Globolinks ist eine Science Fiktion Oper für Kinder und solche, die im Herzen Kinder geblieben sind. Das originale Libretto in englischer Sprache wurde von Gian Carlo Menotti geschrieben. Er komponierte auch die Musik. Für die deutsche Übersetzung des Textes ist Kurt Honolka zu danken. Gian Carlo Menotti bekam den Auftrag von Rolf Liebermann, der damals die Hamburger Staatsoper leitete. Die Oper hatte nur einen Akt mit vier Szenenbildern und dauerte circa 71 Minuten, deswegen sie meist mit einer anderen kurzen Oper im Programm dargeboten wurde. Die Uraufführung in deutscher Sprache fand nach Menottis bekannter Weihnachtsoper Amahl und die nächtlichen Besucher am 21. Dezember 1968 in der Hamburger Staatsoper statt. Die erste Aufführung in englischer Sprache fand in der Santa Fe Opera in den USA am 1. August 1969 statt, dieses Mal gekoppelt mit der Oper Der Nachtigall von Stravinsky. Die New-York City Opera präsentierte die Oper dem Publikum im Dezember 1969. Eine Filmversion wurde nach der Aufführung in Hamburg mit denselben Schauspielern gedreht. Nicolas Schöffer nahm an der Konzipierung der Szenenbilder bei der Uraufführung in Hamburg teil. Mehrere luminodynamischen Skulpturen erschienen auf der Bühne.

Bild 126. Zwei Szenen aus dem Film Hilfe, Hilfe, die Globolinks

Die Oper wurde vom Mondprogramm der USA inspiriert. Das pädagogische Ziel der Oper war es, die Musik den Kindern näher zu bringen und ihre Aufmerksamkeit auf die Wichtigkeit der Musik im Leben zu lenken. Das Thema ist eine Invasion von außerirdischen Lebewesen, von den Globolinks. Die Globolinks sind gefährlich und können die Menschen durch eine Berührung in Globolinks verwandeln. Sie hassen aber die Musik. Die einzige Möglichkeit sie abzuschrecken ist, ihnen Musik zu spielen.


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Eine Gruppe von Studenten kehrt mit dem Bus von dem Urlaub zurück und sie durchqueren gerade einen Wald, als die Invasion beginnt. Emily ist die einzige unter ihnen, die ihr Musikinstrument, eine Geige mitgebracht hat. Sie alleine muss die Gruppe retten. Sie beginnt die Geige zu spielen und verlässt die Gruppe um Hilfe zu holen. Inzwischen streitet die Musiklehrerin mit dem Direktor der Schule, weil er sich für die Musik nicht interessiert und nicht singen kann. Die Globolinks sind schon da und eine von ihnen berührt den Direktor. Ihm bleiben nur noch einige Stunden, bevor er sich in ein Globolink verwandelt. Die Musiklehrerin beklagt sich, dass die Kinder ihre Musikinstrumente in der Schule zurückgelassen haben, weil auch sie kein Interesse für Musik zeigten. Jetzt rüstet sie die Kollegen mit diesen Musikinstrumenten auf und sie gehen, um die Kinder zu suchen und zu retten. Sie finden die Kinder, nur Emily fehlt. Sie ist in großer Gefahr, weil sie zu müde und in den Schlaf gesunken war. Ihre Geige wurde während dessen von einem Globolink zerschlagen. In der letzten Minute kann endlich auch sie gerettet werden. Das happy end wird nur dadurch gestört, dass sich der Direktor endgültig zu Globolink verwandelt. Die Kostüme der Globolinks wurden von Alwin Nicolais geschaffen. Es gab zwei Arten von Globolinks, die weiblichen schienen Avantgarde Ballerinen zu sein und die männlichen trugen einen komischen, Schlauch ähnlichen Anzug. Die spektakulärste Szene war sicherlich, als Emily den Wald durchquerte, welcher von Schöffers Lichttürmen bevölkert war. Bei der Charakterisierung der Globolinks verwendete Menotti auch elektronische Klänge. Die elektronischen Effekte waren die Arbeit von Eckhard Maronn. Die Mischung der elektronischen und tonalen Musik war ein bewusstes Stilmittel. Die Atmosphäre der Oper ist unheimlich mit einem Hauch von Humor. Parodistischen Einlagen und die drei Avantgarde Künstler, Alwin Nicolais, Nicolas Schöffer und Eckhard Maronn sicherten den Erfolg. 4.3.6.2. Kybernetisches Luminodynamisches Experiment: KYLDEX1 Nach der Zusammenarbeit mit dem Team der Hamburger Staatsoper während der Inszenierung der Oper Hilfe, Hilfe, die Globolinks bekam Schöffer einen neuen Auftrag, und er hatte dank dieses Auftrags die Gelegenheit die kybernetischen Prinzipien der Kopplung und

Rückkopplung

auch

im

Theater

anzuwenden.

Sein

KYbernetisches

und

LuminoDynamisches Theater EXperiment, KYLEDX1 wurde im Jahr 1973 in der Hamburger Staatsoper an zehn aufeinander folgenden Abenden präsentiert und jedes Mal füllte das Publikum lückenlos das Haus. Nach Schöffers Auffassung war KYLDEX1 kein Theaterstück und keine Oper, sondern eine plastische, skulpturale Manifestation. Das Ziel des Künstlers


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war nicht nur seine Zeit aufzustören und eine Innovation ins Theater zu bringen, sondern hauptsächlich die Kunst zu sozialisieren. Schöffer arbeitete mit seinen üblichen immateriellen künstlerischen Materialien: Licht, Raum und Zeit, die er programmierte. Er schuf fünfzehn rein abstrakte audiovisuelle Sequenzen ohne Handlung, ohne Orchester und ohne Sänger, um durch Licht- und Klangkombinationen ein aleatorisches Spektakel hervorzuzaubern. Das Publikum wurde ins Spiel gezogen. Bei einem Dutzend ausgewählten Zuschauer wurde der Herzschlag gemessen und als Input des Zentralgehirns angewendet. Jede Person im Publikum bekam fünf Farbkellen, mit denen, entsprechend der Entscheidung der Mehrheit, die Anwesenden den Ablauf des Spektakels beeinflussen konnten. Die Zuschauer konnten die Wiederholung der Sequenz verlangen, die Geschwindigkeit des Spektakels verlangsamen oder beschleunigen, sie konnten die Aufführung stoppen und Fragen stellen. Es gab fünf Mitarbeiter, deren Aufgabe es war, die aufgezeigten Farbkellen auszuwerten und die Ergebnisse dem Zentralengehirn weiterzuleiten. Es war, den Wünschen des Publikums entsprechend, sowohl ein frühzeitiges Ende als auch eine Verlängerung des geplanten Programms um eine Stunde vorstellbar. Es war sogar eine kollektive Feier zum Schluss vorgestellt, wenn das Publikum auf die Bühne hätte kommen dürfen, um die angewendete Technik zu bewundern und mit den Autoren zu diskutieren.

Bild 127.: Augenblicke der KYLDEX1 Aufführung im Hamburger Staatsoper

KYLDEX1 war das Resümee von Schöffers vorangegangenen audiovisuellen Experimenten. Die Show machte sich nicht nur die Bühne, sondern auch den Zuschauerraum zu Nutze, so dass auch die Zuschauer Elemente des Entscheidungsprozesses wurden und eine direkte Kommunikation und kontinuierliches Dialekt zwischen den sorgfältig strukturierten aleatorischen Serien der audiovisuellen Sequenzen und den Zuschauern entstand. Die Zuschauer konnten die Weiterführung, die Beschleunigung oder die Verlangsamung des Spektakels verlangen. Sie konnten es anhalten, um eine Erklärung anzufordern.


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Das Spektakel entstand durch die Programmierung der sechs Parametergruppen. Die räumlichen Parameter stellten zum Teil die fünf 6,5 m hohen Skulpturen des Typs Chronos 8B dar, welche auf Sockeln mit Rädern montiert wurden. Die Sockel beherbergten die Elektronik, welche das Manövrieren durch Fernsteuerung, durch Programmierung und auch manuell durch Bedienungsteile ermöglichte. Die Skulpturen konnten die Translation und Rotation um die Achse mit zwei Geschwindigkeiten ausführen. Die Rotation der 45 kreisförmigen Spiegel konnte auch verlangsamt oder beschleunigt werden. Die fünf Chronos 8B Skulpturen erschienen auf der Bühne einzeln oder in Gruppen und waren die Hauptdarsteller der Show. Weitere räumliche Parameter stellten die drei erotischen Skulpturen aus aufblasbarem Kunststoff mit einer Spannweite von 2 bis 4 m dar. Es waren die Theaterrequisiten für die erotischen Sequenzen, bei denen je zwanzig Stripper und Stripperinnen auf der Bühne erschienen und tanzten. Diese Sequenz stellte einen Kontrast und eine psychologische Intervention im Ablauf des Spektakels dar. Die vierzig Tänzer trugen hautenge weiße oder schwarze Ganzkörper-Bodysuits. Die Parametergruppe der Beleuchtung und das Lichtspiel bestand einerseits aus fünfundzwanzig farbigen Scheinwerfern, fünfzig Strahlern, 350 elektronischen Blitzen, zwei Stroboskopen und andererseits aus 5 fünf Projektoren für Diapositiven, vier Projektoren für Filme und einem Eidophor. Das Eidophor System war das erste Verfahren zur großflächigen Projektion von Fernsehbildern. Mit Hilfe des Eidophors wurden Teile der Show vergrößert auf die Projektionsflächen projiziert, so dass das Publikum die Tänzer des Solotanzes auch in Nahansicht sehen konnte. Es wurden außerdem Rauchbomben, fünfunddreißig Kunstwerke aus der Serie Boites à Effets Lumineux (Lichteffekt Kasten) des Künstlers und ein schimmernder Vorhang eingesetzt. Die Parametergruppe der Projektionsflächen bestand aus drei transluziden KunststoffBildschirmen, zwei Tüll Vorhängen, mehreren kleineren aufgehängten Plexiglas Bildschirmen und ein mit Spiegeln ausgestattetem Dreieckprisma mit der Seitenlänge von 10 m. Die Audioparameter waren zweiartig: einerseits die elektronische konkrete Musik von Pierre Henry, andererseits menschliche Stimmen entsprechend einer Wort-Partitur. Das Vokabular bestand aus den Wörtern, die Schöffers künstlerischen Forschungsgegenstand beschrieben. Es waren einerseits von Schöffer erfundene Begriffe und andererseis Elemente des allgemeinen Sprachgebrauchs. Die Wörter wurden zuerst in französischer, deutscher und englischer Sprache registriert. Sie wurden von Gruppen oder Einzelpersonen ausgesprochen und nicht gesungen. Die Skala umfasste alle drei Stimmlagen sowohl der männlichen als auch


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der weiblichen Stimme (Tenor, Bariton, Bass und Sopran, Mezzosopran, Alt). Nach der Registrierung wurde die Wort-Partitur auf Grund von visuellen Überlegungen ähnlich einem Architekturplan auf Millimeterpapier komponiert. Die Parametergruppe der menschlichen Interventionen stellten die Tänzer und die Kommentatoren dar. Der Hauptkommentator des Theaters konnte von Nicolas Schöffer, Pierre Henry, Alwin Nikoläis oder dem Direktor des Theaters begleitet werden, um Fragen der Zuschauer zu beantworten. Die sechste Parametergruppe bestand aus olfaktorischen Reizen. Verschiedene Düfte wurden in den Zuschauerraum während der Show verbreitet. Mit diesen Parametergruppen wurden fünfzehn diverse Sequenzen präzise vorprogrammiert, so dass entsprechend der Dominanz von ein oder mehr ausgewählten Gruppen jede eine spezielle Charakteristik hatte. Zum Beispiel gab es eine Sequenz, in der das Eidophor die Hauptrolle spielte, bei einer anderen Sequenz stand die gesamte Tanzgruppe im Fokus. Die Dauer der Sequenzen variierte zwischen 3 und 15 Minuten. Von diesen Sequenzen konnten zwei Programmtypen mit einer Dauer von 120 Minuten zusammengestellt werden. Die Show startete mit einem der zwei Programme. Der weitere Verlauf wurde von den Reaktionen des Publikums bestimmt. KYLDEX1 stellt in diesem Sinne einen Meilenstein in der Theatergeschichte dar. 66

4.3.7. Film Ähnlich innovativ war die Tätigkeit des Künstlers im Bereich der Filmkunst. Es gibt eine Reihe von Videos, die vom Künstler realisiert wurden. Er gilt als Pionier der Videokunst. Die Auflösung der archivierten Videoaufnahmen entspricht ihrem Alter. Im Internet sind heutzutage meist nur Videos mit niedriger Auflösung zu finden. Der erste Film des Künstlers wurde mit Jacques Brissot im Jahr 1956 gedreht. Es war der 16 mm Film Sculpture, Projections, Peinture, der eine Länge von 6:30 Minuten hatte und ohne Ton war. Der Film zeigte eine Skulptur mit Schatten und Lichtspiel, alles war hauptsächlich in schwarz-weiß. Der zweite Film mit Jacques Brissot, Fer Chaud, folgte im darauf folgenden Jahr mit Musik von Yannis Xenakis und Pierre Schaeffer. Im Jahr 1958 drehte Henri Langlois den Film Spatiodynamisme. Im selben Jahr drehte Henri Gruel den Film Mayola mit Musik von Tinto Brass. Der Film Luminodynamics präsentierte CYSP1 im Jahr 1960. Gruel dirigierte einen Film, der 1961 den neuen kybernetischen Turm von Liége

66

Das Archiv in Kalocsa beinhaltet originale Pläne und Beschreibungen von KYLDEX1. Ich konnte mich auf dieses Material stützen.


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präsentierte. Im darauf folgenden Jahr nahm Schöffer an der Realisierung des Films Le propre de l’homme von Claude Lelouche teil. Der Film Astronomie wurde im Jahr 1968 gedreht. Die Choreografie des Balletts war die Arbeit von Sparambeck, die Musik wurde von Pierre Henry komponiert und Tänzer waren Nanon Thibon und Cyril Atanazoff. Filme wurden gedreht im Pavillon de Marsan (1963), im Hamburger Theater anlässlich der Aufführung des Theaterstücks Kyldex1 und in Schöffers Atelier. Bedeutend sind die Filme Variation Luminodynamiques 2, 3, 4, die im Jahr 1974 mit Musik von Pierre Lejeune entstanden.

Bild 128. Bilder aus den Filmen Spatiodynamique und Variations Luminodynamiques

Im Jahr 1966 wurde die erste luminodynamische Disco in Saint-Tropez eröffnet. Schöffer gestaltete die Innenarchitektur der Disco mit luminodynamischen Skulpturen und einem Prisma. Brigitte Bardot war Stammgast. In dieser Disco wurde Bardos Videoclip ‚Contact‘ mit Texten von Serge Gainsbourg gedreht. Es ist eine Typische science fiction Space Age Geschichte. Bardot ist eine außerirdische Frau, die von einem Meteor verletzt wurde, und danach eine Quecksilber-Transfusion braucht, um sich zu erholen. Deswegen sucht sie einen Kontakt mit Ärzten auf der Erde. Sie trägt ein metallenes Kleid, welches von Paco Rabanne konzipiert wurde, dem berühmten Modedesigner der Raumfahrt-Ära. Die drei Hauptfiguren der space age Mode waren André Courrèges, Yves Saint Laurent und Paco Rabanne. Eine Modeschau von Paco Rabanne fand 1967 im Museum der Modernen Künste in Paris mit den luminodynamischen kybernetischen Skulpturen von Nicolas Schöffer statt, die auch gefilmt wurde. Paco Rabanne arbeitete im Allgemeinen mit Metall, Leder, Kunststoff und Papier. Kleine rechteckige oder kreisförmige Teile hatte er mit Hilfe von Draht und Lötkolben zusammengefügt. Die metallenen Kleider der Kollektion von 1967 reflektierten die Lichter der Skulpturen und steigerten den Effekt des Spektakels


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wesentlich. Ein Prisma war auch eingesetzt, um die Modeschau ins Unendliche zu multiplizieren.

Bild 129.: Licht und Bewegung, Paco Rabanne Modeschau im Museum der Modernen Künste Paris, 1967. Die Modeschau war mit einem Spektakel verbunden. Nicolas Schöffer richtete den Laufsteg mit seiner Skulpturen ein. Einzelbild der Videoaufnahme

Nicolas Schöffer machte Exkursionen auch in die Werbeindustrie. 1961 machte er für Total und 1962 für Dubonnet Werbung.

4.4. Die dritte Schaffensperiode Ich möchte die letzte Periode der künstlerischen Laufbahn nur sehr kurz zusammenfassen, nicht zuletzt deshalb, weil ich den Kampf des Künstlers mit der Krankheit als zu persönlich empfinde. Die Lähmung nach seinem Schlaganfall hat Schöffer an dem Rollstuhl gefesselt. Er war nicht mehr in der Lage, große Projekte alleine abzuwickeln. Zwei angefangen Türme wurden noch fertiggestellt (1987 Tour d’Ain, 1988 Lyoneon), anschließend gab es keine Realisierungen in städtischem Maßstab mehr. Aus dieser Periode stammen aber zahlreichen grafischen Arbeiten, die von den Kunsthistorikern in die Gruppen Choréographiques, Ordigraphics (MacIntosh SE), Colléographics und Ordicols kategorisiert wurden. Die Titel sprechen für sich selbst. Es handelt sich um abstrakte, geometrische Arbeiten, bei denen die Farbpalette den Prinzipien des Neoplastizismus entspricht. Schöffer zeichnete sowohl mit der linken Hand, als auch mit


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dem Computer: er schuf zahlreiche Kollagen aus handgezeichneten und computergenerierten Elementen. Es folgen einige Worte über den Stand der Technik im Bereich der Computergrafik jener Zeit. Ich erwähne einige ausgewählte Projekte, um zu zeigen, was damals auf diesem Feld überhaupt möglich war. In den 50er Jahren war nur eine grobe Grafikdarstellung mit Matrixdrucker möglich und es gab eine computergesteuerte Kathodenstrahlröhre. Die ersten Computer, die mit einem Bildschirm ausgestattet waren, erschienen in diesen Jahren. Die erste Computergrafik ist dem Mathematiker und Künstler Ben Laposky zu verdanken, der 1950 mit Hilfe von Oszilloskopen, die von analogen Computern gesteuert wurden, abstrakte Figuren zeichnete. Im Jahr 1953 veröffentlichte er eine Arbeit mit dem Titel Electronic Abstractions und zeigte im Sanford Museum in Cherokee fünfzig Oszillogramm Bildern, die er Oscillons nannte.

Bild 130. Ben Laposky: Oscillons, Electronic Abstraction 27

In den 60er Jahren kamen die ersten grafischen Computersysteme auf den Markt, die aber äußerst kostspielig waren. Sie wurden erst gegen Ende des Jahrzehnts durch erschwingliche Geräte ersetzt. Mitte der 60er Jahre gab es bereits einige Forschungsgruppen die sich mit Computergrafik beschäftigten. Ein Lichtgriffel ist ein Computer-Zeigegerät für direktes Arbeiten auf einem Röhren-Bildschirm. Er wurde 1955 am Lincoln Laboratory im Massachusetts Institute of Technology entwickelt. 1963 verfasste Ivan Sutherland seine Dissertation mit dem Titel Sketchpad - A Man Machine Graphical Communication System und die erste CAD-Anwendung Sketchpad mit Lichtgriffel wurde vorgestellt.


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1963 entwickelte Ken Knowlton at Bell Labs die Programmiersprache BEFLIX (Bell Flicks) für computergesteuerte Bitmap-Filme. Er arbeitete mit einem IBM 7094-Computer. Die Frames wurden mittels eines Stromberg-Carlson 4020-Mikrofilmrekorders registriert. Die Auflösung der Frames war 252x184 Pixel, wobei jedem Pixel eine von acht Grautönen entsprach. 1966 experimentierten Knowlton und Leon Harmon mit Fotomosaik aus kleinen Typografischen Symbolen und produzierten große Drucke. Sie scannten ein Foto mit einer Kamera und wandelten die analogen Spannungen in Binärzahlen, denen typografische Symbole zugeordnet wurden. Auf diese Weise entstand ein Mosaikbild, welches die Tänzerin Deborah Hay nackt liegend darstellte. Am 11. Oktober 1967 war das erste Mal, als dieses Bild auf dem Titelblatt der zweiten Sektion erschien, dass das Time Magazin in New York das Bild einer nackten Frau publizierte. Ken Knowltons Arbeit wurde während zwei bahnbrechenden Ausstellungen von Computer Kunst gezeigt. 1968 hat sowohl die Ausstellung Cybernetic Serendipity in London als auch die Ausstellung The Machine as Seen at the End of the Mechanical Age im Museum of Modern Art in New York City das Bild präsentiert.

Bild 131. Ken Knowlton, Leon Harmon: Computer Nude (Studies in Perception I), 1967

1951 begann das Forschungslabor von General Motors zu prüfen, welche Rolle künftige CAD-Systeme spielen könnten. 1964 entstand der erste Automobil Entwurf mit Hilfe von Computern bei General Motors. Im selben Jahr erstellte William Fetter First Boeing Man, das erste 3D-Model eines Menschen. Dieses computergenerierte Menschmodell ist auch im Hintergrund des Bildes 115 zu sehen, welches auch einen Blick in die Räumlichkeiten der Ausstellung Cybernetic Serendipity gewährt. Willam Fetters First Boeing Man öffnete den Weg zu den heutigen hoch entwickelten digitalen Ergonomie Software Systemen, mit deren


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Hilfe sowohl fertige Konstruktionen als auch Konstruktionen in der Planungsphase mit auch ergonomischen Aspekten analysiert werden können.

Bild 132. William Fetter: First Boeing Man, © Boeing

Doug Engelbart ersetzte 1965 den Lichtgriffel mit der Computermaus, die er seit 1963 als X-Y-Positions-Anzeiger für ein Bildschirmsystem am Stanford Research Institut entwickelte. Betriebsfertige Komplettsysteme, die den Anwender von Softwaredetails abschirmten, erschienen in den 1970er Jahren. Seit 1980 waren auf dem Markt Apple Macintosh und IBM PCs mit Bitmap-Grafik und Maus erhältlich. In den 1980er Jahren stieg die Computerleistung derartig an, dass auch PC-Anwender Computergrafiken selbst herstellen konnten. 67 Es könnten zahlreiche künstlerische Projekte aus der frühen Periode der Computergrafik erwähnt werden, von den Ästhetischen Kurven (KAES) von Herbert Franke und Peter Henne bis zu den Computergrafiken von Frieder Nake oder Michael Noll und vielen mehr. Die weitere Ausarbeitung des Themas würde den Rahmen vorliegender Arbeit sprengen und könnte die Aufgabe von Kuratoren einer Ausstellung sein, welche Schöffers grafische Arbeiten im Kontext der damaligen computergenerierten Kunstproduktion zeigt. In Bezug auf die Grafiken der späten Jahre lohnt es sich, solche zeitgenössische Projekte anderer Künstlern zu zeigen, um die Vielfalt der Ideen und die funkelnde geistige Atmosphäre der Ära jener Zeit hervorzuheben. Schöffer konnte auch dank dieser inspirierenden künstlerischwissenschaftlichen Umgebung seine Kreativität trotz seiner Krankheit bewahren.

67

vgl. Wikipedia : Geschichte der Computergrafik, Stand 21:00 Uhr , 2. Dezember 2017


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Es ist bei den Choréographiques kein Zufall, dass man in dem Titel die Wörter Choreografie und Grafik entdeckt. Die rechte Hand des Künstlers wurde gelähmt, weshalb er mit der linken Hand zeichnen lernen musste. Er fasste diese Zeichnungen als ein Tanz der linken Hand auf. Er ließ seine Hand tanzen, um ihre Koordinierung zu verbessern. Eléonore, die Witwe des Künstlers, erzählte mir, wie oft sie gebeten wurde, mit ihren eigenen Händen das zu zeichnen, was sich der Künstler vorstellte, der es sebst nicht mehr ausführen konnte. Er gab leise seine Anweisungen und Eléonore zeichnete, bis die Zeichnung seinen Vorstellungen entsprach. Der Name Ordigraphics kommt vom französischen Wort für Computer: Ordinateur. Schöffer zeichnete mit dem ersten MacIntosh SE. Oft fertigte er dann Kollagen sowohl von den Handzeichnungen als auch von den digitalen Drucken an. Nach sieben Jahren im Rollstuhl starb Nicolas Schöffer am 8. Jänner 1992.

Bild 133. Nicolas Schöffer: Grafiken aus der letzten Periode der künstlerischen Laufbahn


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4.5. Das Netzwerk: Galerien, Künstler- und Forschungsgruppen, Konferenzen Nicolas Schöffer zeichnete sich auch durch seine organisatorischen Fähigkeiten aus und konnte ein riesiges Netzwerk an Kontakten mit bedeutenden Figuren seiner Ära ausbauen. Dieses Kapitel gibt einige Hinweise zu dem ‚Schöffer Universum‘.68 Die ‚kartografische Darstellung‘ dieses Netzwerkes, die Entdeckung seiner Verbindungen kann ein sehr nützliches Mittel sein, wenn der Kurator oder Kunsthistoriker auf ein tieferes Verständnis des Lebenswerkes zielt. Manchmal können Inspirationsquellen entdeckt werden, ein anderes Mal können Kunstwerke gefunden werden, bei denen der Einfluss von Schöffers Projekten ersichtlich ist. Oft arbeitete Schöffer im Team mit anderen Mitgliedern seiner Künstler- und Forschungsgruppe. Findet man kein Material im Archiv seines Ateliers zu einem bestimmten Projekt, dann ist es immer noch möglich, dass Material im Archiv der anderen Teammitglieder zu finden ist. Nicolas Schöffer war Mitglied und auch Gründungsmitglied mehrerer Künstler- und Forschungsgruppen. Er hatte, wie bereits darüber berichtet wurde, zu einigen Galerien und Salons dauerhaften Kontakt. Als Schöffer nach Paris übersiedelte, begann er in der neuen Umgebung Kontakte zu knüpfen, um sich in den künstlerischen Kreislauf der Hauptstadt einbinden zu können. Wegen des Krieges dauerte es eine Weile, bis er zum ersten Mal in Paris ausstellen konnte. Er hat während des Zweiten Weltkrieges Paris verlassen und kehrte erst 1945 wieder zurück. Er schloss sich der Groupement des Artists Juif en France (G.A.J.E.F.) an und stellte mit dieser Gruppe in den Jahren 1945 bis 1948 aus. Im Jahr 1946 beteiligte sich Schöffer an dem XXIIIème Salon der Tuileries im Musées des Beaux Arts de la ville de Paris. Im darauf folgenden Jahr konnte er im Rahmen der Association France-Hongrie ausstellen. Ab 1948 sind jährlich mehrere Ausstellungen registriert. Die Galerie René Breteau schenkte 1948 Schöffers Werk so große Aufmerksamkeit, dass die Galerie eine Zwei-Personen-Show mit dem Titel Les oeuvres récent de Bokhros Birman sculpteur et de Schöffer peintre zeigte. Im selben Jahr begann Schöffer im Rahmen des Salons des Réalités Nouvelle auszustellen. Die Geschichte des Salons des Réalités Nouvelle wurde im Kapitel Die Pariser Kunstszene der dreißiger Jahre detailliert erzählt. In den Fußnoten Nr. 16, 17 und 19 vorliegender Arbeit finden sich auch Künstlernamen der Vorgänger Gruppen Cercle et Carré und Abstraction Creation. Einige von ihnen wurden auch Mitglieder des Salons des Réalités Nouvell, die auch

68

Eléonore Schöffer bezeichnet dieses Netzwerk von wichtigen Kontakten mit dem Ausdruck ‚Schöffer Universum‘, und die Archiv Homepage beinhaltet eine Seite mit diesem Titel, welche einige der engsten Freunden und Mitarbeitern listet.


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hier Ideen von anderen Mitgliedern der Vorgänger-Gruppen den Mitgliedern der neunen Gruppe vermittelten. Ein Beispiel ist, wie Schöffer Mondrians Neoplatizismus durch Jean Gorin kennenlernte. Schöffer hatte die Gelegenheit im Rahmen des Salons viele wichtige Künstler kennenzulernen, die vielleicht damals noch wenig bekannt waren, die aber heute zu den herausragenden Figuren dieser Periode zählen. Schöffer stellte mehrmals auch im Rahmen des Salons de la Jeune Sculpture aus, der 1948 von Denys Chevalier und Pierre Descargues gegründet wurde, um neue Tendenzen zu zeigen. Die Galerie des Deux Iles stellte Schöffers Arbeiten mehrmals aus. 1948 die Ausstellung La rose des vent zeigte eine internationale Auswahl von nonfigurativen Werken der folgenden Künstler: Bandeira, Boumeester, Gear, Loubchansky, Marc, Sauer, Schöffer, Selim, Russel, Wykeham. Im darauf folgenden Jahr beteiligte sich Schöffer an der Ausstellung Eloquence de la ligne in der Galerie. 1950 hatte Schöffer eine Soloshow in der Galerie mit dem Titel Schöffer plasticien, wo die ersten spaziodynamischen Werke gezeigt wurden. Die Ausstellung Schöffer Oeuvres Spatiodynamiques in der Galerie Mai brachte Schöffer 1952 mit seinen späteren Mitarbeitern in Kontakt. Claude Parent und Ionel Schein waren damals Studenten an der École des Beaux Artes, die in der rue Bonaparte in der Nähe der Galerie wohnten. Sie besuchten die Ausstellung und waren begeistert. Claude Parent hatte André Bloc schon früher im Jahr 1951 kennengelernt, der die Groupe Espace gegründet hatte. Durch diese Begegnungen wurde auch Schöffer Mitglied dieser Gruppe und nahm mit der Gruppe mehrmals auch an der Documenta in Kassel teil. In dieser Groupe Espace begann sich Schöffer mit Architektur zu beschäftigen und er fertigte seine ersten Architekturmodelle an. Mit Ionel Schein und Claude Parent arbeitete Schöffer an mehreren Architekturplänen zusammen. Claude Parent nahm auch an der Ausarbeitung der Pläne für die Wohngebiete der kybernetischen Stadt teil. Schöffers Interesse für Architektur entfaltete sich während der folgenden Jahre. Er war Gründungsmitglied von der GIAP (Groupe International d’Architecture Prospective), einer Gruppe, in der die originalsten Vorstellungen zur Stadt der Zukunft geboren wurden. Über dieses Thema schrieb ich detailiert im Kapitel Stadtplanerisches Umfeld der Epoche. Über Schöffers Arbeit im Institut de Recherche et Coordination Acoustique/Musique habe ich bereits im Kapitel Klang geschrieben. Schöffer hatte ausgedehnte Kontakte mit Musikern der Epoche. Er arbeitete regelmäßig mit Pierre Henry, Pierre Schaeffer, Henry Pousseur und Pierre Barbeaud zusammen.


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Die Galerie Denise René war die wichtigste Galerie der kinetischen und kybernetischen Tendenzen jener Zeit. Schöffer hatte einen dauerhaften Kontakt zur Galerie und die Galerie vertrat den Künstler auch noch nach seinem Tod. Schöffer hatte hier die Gelegenheit, viele wichtige Künstler der Epoche kennenzulernen. Denise René starb 2012, aber die Galerie wurde danach von der Societé Nouvelle Galerie Denise René weitergeführt. Ich halte die Ausstellung Cybernetic Serendipity im Jahr 1968 in London für sehr wichtig, weil Schöffer hier Gelegenheit hatte, die wichtigsten Figuren der frühen Geschichte der Kybernetik kennenzulernen. Ich möchte hier noch zwei weitere wichtige Knotenpunkte des Netzwerkes erwähnen: Nicolas Schöffer beteiligte sich an dem Sigma Festival von Bordeaux und an den Konferenzen des Clubs 44 in La Chaux-de-Fonds in der Schweiz. In La Chaux-de-Fonds erschienen so wichtige Persönlichkeiten wie Charles de Gaulle, der Befürworter des Projektes Tour Lumière Cybernétique wurde.

Bild 134. Expositions Art et cybernétique et Nouvelle scénographie, Nicolas Schöffer und Roger Lafosse, Galerie des Beaux-Arts de Bordeaux, Sigma 1, 1965


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Das Sigma Festival war dreißig Jahren lang, von 1965 bis 1996, der wichtigste Treffpunkt der Avantgarde-Künstler. Es war eine Bühne für die neuesten Experimente in den Bereichen Theaterkunst, Tanz, Musik und der visuellen Künste. Das Festival dauerte jedes Jahr eine Woche und provozierte eine Schockwelle in der Stadt und darüber hinaus. Initiator des Projektes war Roger Lafosse. Sein Ziel war die Aufmerksamkeit auf die neuesten Entwicklungen in der Kunst zu lenken, wie zum Beispiel auf Happening und Performance. "Ich habe Sigma nicht ins Leben gerufen, um Revolution zu machen. Ich habe es getan, weil ich den Eindruck hatte, neue Empfindlichkeiten, abweichende Einstellungen, Risse im künstlerischen Diskurs wahrzunehmen, und ich dachte, dass es nicht möglich war, dass Bordeaux an diesen vorbeigeht."69 [Roger Lafosse]

Der Club 44 wurde 1944 von dem Industriellen Georges Braunschweig (1892-1975) in La Chaux-de-Fonds gegründet. Durch diese private Initiative zielte Georges Braunschweig darauf

ab,

Rahmen

für

Reflexionen

und

Debatten

über

Veränderungen

und

Herausforderungen der zeitgenössischen Welt zu schaffen. Mit der Eröffnung dieses Konferenzzentrums wollte er den Bewohnern der Region auch die Möglichkeit schaffen, Zugang zu objektiven Informationen über die Welt zu bekommen. Nach dem Tod des Gründers setzte sein Sohn Philippe Braunschweig die Arbeit fort und organisierte 1978 eine drei-tägige Konferenz mit dem Titel L'aménagement du temps, an dem auch Schöffer teilnahm. Schöffer organisierte auch in Kalocsa Konferenzen, die ähnlichen Themen behandelten. Die Kartografierung des Netzwerkes kann fortgesetzt werden. Jeder Knotenpunkt und die daraus ausgehenden Verbindungslinien liefern neue Informationen, welche bei der Zusammenstellung von Ausstellungsmaterialien behilflich sein können.

69

" Je n’ai pas fait Sigma pour faire la révolution. Je l’ai fait parce que je croyais avoir perçu de nouvelles sensibilités, des attitudes différentes, des fêlures dans le discours artistique et que je me disais que ce n’était pas possible que Bordeaux passe à côté de ça " [Roger Lafosse]


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5. Nicolas Schöffer und die Rezeption seines Oeuvres Von einer zügellosen Neugierde und Erfindergeist getrieben hat Schöffer die neuesten Entwicklungen der Wissenschaft schnell aufgenommen und in seine künstlerische Tätigkeit einfließen lassen. Er hat sehr gut verstanden wie von der Verknüpfung der verschiedensten Gebieten und Medien die Avantgarde der Kunst entstehen kann. Durch diese Verknüpfungen verbreiterte sich das Feld seines Interesses und überbrückte zahlreiche Sparten der kreativen Professionen. Dieses grenzenlose Interesse für alles Neues, und die Suche von originalen Kombinationen gehören zum Wesen von Schöffers Oeuvre, und sind der Schlüssel zur Präsentation seiner Werke heute. Es ist keine leichte Aufgabe diese enorme Vielseitigkeit der künstlerischen Tätigkeit dem Publikum so zu zeigen, dass sowohl die Entwicklungslinie der künstlerischen Laufbahn, als auch die kunsthistorischen Zusammenhänge klar übermittelt werden. Es gibt einen großen Spalt zwischen der tatsächlichen, großartigen und international anerkannten Leistung des Künstlers, und der Informationsgrad der Ausstellungsbesucher darüber. Es ist keine leichte Aufgabe diesen Spalt zu überbrücken. Es ist demgegenüber leicht zu erklären, warum die Bekanntheit des Künstlers hinter seiner Bedeutung zurückbleibt. Diverse Faktoren spielen eine Rolle. Die großen Leistungen des Künstlers sind einer theoretischen Natur, und der Interessierte muss viel lesen, um alles verstehen zu können. Der Künstler beschäftigte sich mit vielen Kunstgattungen. Um die Werke in dem historischen Kontext bewerten zu können, soll man in vielen Kunstgattungen die Vorläufer und Nachfolger kennen. Es handelt sich um eine Informationsmenge, die für das Publikum aber auch für Fachleute schwierig zu bewältigen ist. Das entsprechende zeitliche Umfeld ist aber äußerst wichtig bei Werken, die den aktuell neuesten Stand der Technik verwenden. Was heute eine Sensation ist, kann ja morgen schon überholt, unzeitgemäß, oder sogar rückständig erscheinen. Gerade auf dem Gebiet der Informatik und Kommunikation waren die Entwicklungen so rasant, dass wir unsere Gesellschaft Informationsgesellschaft nennen. Unsere Gegenwart war für Schöffer eine Zukunft worüber er während derer Pionierzeit träumte; eine Zukunft, deren Leistungen er erahnte, aber eine Zukunft, die wahrscheinlich seine wildesten Träume überschreitet. Eine weitere Schwierigkeit der Präsentation ist es, dass zahlreiche Werke nicht über das

Planungsstadium

weiterentwickelt

werden

konnten.

Geblieben

sind

Skizzen,

Architekturpläne und Modelle. Architekturpläne können die Laien nicht unbedingt lesen.


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Andere Werke wurden realisiert aber existieren nicht mehr, wie zum Beispiel SCAM1, und so können nicht mehr gezeigt werden. Die kinetischen und kybernetischen Skulpturen wurden mit Hilfe der damals vorhandenen Technik verwirklicht. Die Lebensdauer dieser technischen Lösungen war begrenzt. Schöffer setzte zum Beispiel aus Waschmaschinen demontierte Einheiten ein, die heute nicht mehr ersetzbar sind. Die damals üblichen analogen Robot-Schaltungen bestanden aus technischen Elementen, die heute ebenfalls nicht oder nur sehr schwierig zu bekommen sind. Was heute zu bekommen ist funktioniert meist mit den alten Teilen nicht mehr zusammen, weshalb wegen eines kleinen Ersatzteiles oft eine komplette Restaurierung nötig ist. Im Ausstellungsbetrieb haben diese technischen Schwierigkeiten große Auswirkungen. Man muss sich vor Augen halten, dass es von den drei zusammenhängenden Begriffen Idee, Objekt und Wirkung, der zweite war, welcher für Schöffer am wenigsten wichtig, nahezu unwichtig war. Er wollte die Materialität des Objektes verschwinden lassen, um nur auf die Wirkung, auf die Schatten und Reflexionen konzentrieren zu können: „Das Objekt ist für mich nicht interessant, ich versuche es loszuwerden, es zu verschwinden lassen, um nur sein Schatten und Spiegelbild zu behalten…“70 [Schöffer] Was man aber im ausgestalteten Zustand der Werke sieht, ist gerade dieses Unwesentliche, nämlich das Objekt. Trotzdem können während der Ausstellung die Werke gar nicht kontinuierlich angeschaltet sein. Es gibt sehr strenge Regeln, wie lange sie laufen dürfen und wie lange Pausen zwischen zwei Spektakeln eingehalten werden müssen. Wie ist es so möglich, die Essenz und das Wesen von Schöffers Oeuvre effektiv zu übermitteln? Bei Reparaturen, Restaurierungen oder posthumen Realisierungen sind die Anweisungen der Witwe, Eléonore de Lavandeyra Schöffer maßgebend. Sie zielen darauf, eher den Erfindergeist des Künstlers weiterzuführen, nicht unbedingt einen den 50er oder 60er Jahren entsprechenden Zustand wieder herzustellen. Es wird, wenn es nötig erscheint, auf die Verwendung authentischer und dem damaligen Zeitalter entsprechender Ersatzteile verzichtet, um dem Geist treu zu bleiben, der immer das neueste gesucht hat. Die Werke haben einen hohen Wert und jede Reparatur ist zusätzlich kostspielig und so immer eine heikle Aufgabe. Dementsprechend sind die Versicherungskosten für Transporte und während der

70

„ L’objet ne présente aucun intérêt à mes yeux, je cherche à m’en débarrasser, à le supprimer, pour n’en conserver que l’ombre et le miroitement…“ [Schöffer]


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Ausstellungen sehr hoch. Viele Institutionen werden dadurch abgeschreckt, die eigentlich die Werke gerne ausstellen würden. Jedes Jahr gibt es weltweit mehrere Ausstellungen, in denen Besucher einige ausgewählte Werke von Nicolas Schöffer sehen können. Aber für eine alle Perioden und Tätigkeitsbereiche umfassende große Gesamtschau seiner Werke, gibt es heute nur zwei Möglichkeiten: entweder besucht der Interessierte das Museum in seiner Geburtsstadt Kalocsa, oder er versucht in der Villa des Arts in Paris Einlass ins Atelier des Künstlers zu bekommen. Die glücklichen Ausnahmefälle sind seltene großangelegte retrospektive Ausstellungen, wie jene letzte von Oktober 2015 bis Ende Januar 2016 in der Kunsthalle (Műcsarnok) Budapest. Kalocsa ist eine kleine Stadt an der Donau im Süden Ungarns, die für große Touristenströme wenig vorbereitet ist, weil die vielen anderen Touristenattraktionen im Land, wie jene in der Hauptstadt, am Plattensee oder in der nord-östlichen Gebirgsregion Ungarns, die Turisten von Kalocsa ablenken. Es gibt auch kaum ausländische Touristen, die spontan Kalocsa als Zielpunkt einer Reise wählen. Es lohnt sich aber dennoch sehr, das Museum zu besuchen. Die Sammlung besteht aus vierzig Werken und präsentiert Beispiele jeder bedeutender Werkgruppe. Die Sammlung im Atelier des Künstlers in Paris ist demgegenüber wesentlich größer und reicher. Die Witwe Eléonore de Lavandeyra Schöffer bewahrte seit dem Tod des Künstlers bis heute alles sorgfältig auf. Mit unglaublicher Energie leitet sie die Arbeit und organisiert jährlich zahlreiche Ausstellungen. Es gab über Jahre auch regelmäßig Atelierbesuche für Gruppen. Im Jahr 2016 gab es zudem noch verschiedene weitere Anlässe, zu denen das Atelier besucht werden konnte. Wegen des hohen Alters der Witwe und wegen ihrer Krankheit werden solche Events jedoch jetzt immer seltener. Sie versucht aber weiterhin zu gewährleisten, dass die Werke irgendwo noch ein neues Museumsgebäude bekommen werden, um sie für das Publikum auch in der Zukunft zugänglich zu machen. Es gab diesbezüglich schon Verhandlungen in Belfort, später dann in Liège. Die Werke hätten nach der Ausstellung in Budapest im Januar 2016 schon nicht mehr ins Atelier, sondern nach Liège zurückkehren sollen. Dort hätten sie aufbewahrt werden sollen, bis zur Eröffnung des neuen Museumsgebäudes. Dieses Vorhaben scheiterte jedoch. Stattdessen wurden die Werke nach Paris wieder ins Atelier zurückgebracht. Die Zukunft der Sammlung scheint derzeit (Februar 2018) noch unsicher zu sein. Solange die im Atelier beherbergte Sammlung dem Publikum


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nur sehr beschränkt zugänglich ist, was derzeit der Fall ist, spielt das Museum in Kalocsa eine Hauptrolle. Im Jahr 2015 gab es bemerkenswerterweise eine besondere Aktivität um Schöffers künstlerisches Werk. Es wurde ein Film gedreht. Zurzeit gibt es bereits ungarische, italienische und englische Versionen dieses Films. Im Rahmen dieser Arbeit wurden mehrere Werke virtuell rekonstruiert. Zudem gab es jene bereits erwähnte retrospektive Ausstellung in Budapest zu seinem Schaffen. Das Museum in Kalocsa bekam im gleichen Jahr ein neues Museumsgebäude und der Turm in Kalocsa wurde restauriert. Zusätzlich gab es eine weitere, kleinere Ausstellung in Budapest. Auch wurde das Projekt eines neuen Turmbaus in Busan, Korea eingeleitet und der Turm wurde im Herbst 2016 einweiht. Es gab weitere Ausstellungen 2015 in der Galerie Odalys in Madrid und 2016 in Museo de Arte Contemporáneo de Caracas. Im Folgenden wende ich mich diesen Ereignissen zu. 5.1. Der Film ‚Die wunderbare Welt von Nicolas Schöffer‘ Den Auftrag für die Realisierung des Films Die wunderbare Welt von Nicolas Schöffer erteilte die ungarische Regierung anlässlich der Welt Expo 2015 in Mailand. Der Film war eine Koproduktion der Firma ViVeTech und des Dada Filmstudios. Die Firma ViVeTech (Virtual Verification Technology) arbeitet im VR (Virtual Reality) Bereich und beschäftigt sich mit der digitalen Unterstützung und Kontrolle von Konstruktionsentwicklungen vor allem aus ergonomischer Hinsicht. Die Firma ist technisch bestens ausgerüstet, um Arbeitsabläufe in riesigen Industrieanlagen virtuell zu simulieren. Dieses Arsenal war auch nötig, um einige von Schöffers nicht mehr existierenden oder nie gebauten Werke virtuell zu rekonstruieren. Noémi Ördög modellierte dafür die Werke im virtuellen Raum und stellte die digitalen Sequenzen der Film fertig. Projektmanager war László Ördög und der Filmdirektor war Sándor Gerebics, der die Dreharbeiten im Schöffer Museum in Kalocsa leitete. Text und Drehbuch des Films waren meine Arbeit. Der Film war einerseits ein Beitrag zum Image des Landes anlässlich der Welt Expo, andererseits hatte er auch die Aufgabe, eine Lücke zu füllen. Im ungarischen Fernsehen wurde im Jahr 1980 ein Dokumentarfilm gezeigt, der Nicolas Schöffer anlässlich der Eröffnung des Museums in Kalocsa vorstellte. Im Jahr 1981 wurde dann der Film von János Egri im Fernsehen ausgestrahlt. 1983 fand im Pompidou Center eine Projektion des Films Von Kalocsa nach Paris (Nicolas Schöffer) statt, Filmregisseur war Gábor Takács. Seitdem wurden keine weiteren Dreharbeiten ausgeführt. Der letzte Dokumentarfilm lag also mehr als dreißig Jahre zurück. Eléonore Schöffers Team in Paris drehte 2015 noch ein Video im


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Atelier anlässlich der retrospektiven Ausstellung in der Kunsthalle Budapest, aber in dieser Videoarbeit wurde nicht der Künstler selbst und sein Gedankengut vorgestellt, der Film zeigte nur dessen Werke im Atelier. Die Möglichkeiten des Teams in Budapest waren durch die zeitlichen Vorgaben begrenzt, sowohl was die Länge des Films als auch den Zeitrahmen, der für die Arbeit zur Verfügung stand, betrifft. Der Film musste exakt 25 Minuten lang sein, denn es ist die zur Verfügung stehende Zeit zwischen zwei Werbeblocks im Fernsehen. Die Dreharbeiten wurden im Juli begonnen, obwohl die Welt Expo schon am 1. Mai eröffnet worden ist. Die Projektion des Films im ungarischen Pavillon fand schließlich im letzten Monat der Expo statt, im Oktober. Für den Film war außerdem verlangt, dass dieser auch die Stadt Kalocsa mit Erzbistum, Volkskunst und Paprika Industrie vorstellen sollte. Wertvolle Sekunden wurden geopfert, um diesem Wunsch nachzukommen. Das Team musste wegen der zeitlichen Vorgaben und weiteren Bedingungen nur auf die wesentlichsten Aspekte von Schöffers Kunst konzentrieren. Nicolas Schöffers bedeutendste Leistung war die Anwendung der kybernetischen Prinzipien in der Kunst. Unser Ziel war es, diese Prinzipien verständlich zu erklären und die bedeutendsten kybernetischen Werke des Künstlers vorzustellen. Jedes dieser Werke war ein Meilenstein sowohl in seiner Karriere, als auch in der Kunstgeschichte, mit Ausnahme der fünf virtuell rekonstruierten Hydro-Thermo-Chronos Fontänen, die von Schöffer nie realisiert wurden. Es gibt verschiedene Gründe, warum diese Fontänen in den Film inkludiert wurden. Ein Hauptthema des ungarischen Pavillons in Mailand war das Wasser, so gerieten die Fontänen in den Fokus der Aufmerksamkeit. Wir wollten andererseits im Film auch wenig bekannte Projekte zeigen. Zielsetzung des Teams war es, die Kontinuität der Entwicklung von Schöffers kybernetischen Experimenten bis zur Gegenwart aufzuzeigen und einen Einblick in den heutigen Stand der Technik zu bieten, der ihre Wurzeln in der Pionierzeit der Kybernetik findet. Die VR Technologie der ViVeTech Firma ermöglichte diesen Einblick. Die virtuellen Modelle wurden in 3D aufgebaut und — wegen Zeitmangel — die Renderings nur für ein Auge fertiggestellt. Für die aktuelle Aufgabe war auch nichts mehr verlangt. Ein langfristiges Ziel ist es aber, die Renderings auf für das andere Auge fertigzustellen, um die Modelle in einer interaktiven VR Umgebung präsentieren zu können. Eine dreidimensionale Präsentation von den nie realisierten oder schon verloren gegangenen Werken des Künstlers war auch das Thema der Diplomarbeit von Noémi Ördög an der Akademie der angewandten Künste in


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Wien im Jahr 2016. Solche virtuellen 3D Rekonstruktionen könnten die geplante, aber nie realisierte Teile des Oeuvres dem Publikum näher bringen können. Es gibt sicherlich Kritikpunkte, wie immer, wenn ein Team unter Zeitdruck arbeiten soll. Beim Schneiden des Films durften nicht alle Teammitglieder anwesend sein, um Diskussionen zu vermeiden und um die Arbeit dadurch schneller abschließen zu können. So wurden vom Filmdirektor einige wichtige Filmsequenzen weggelassen, gerade jene, deren Aufgabe es war, die aktuelle Entwicklungen zu zeigen, derer Wurzeln bis Schöffer zurückreichen. Es wurde eher auf die spektakulären Lichteffekte der Skulpturen konzentriert, auf den Aspekt, der das Wesen von Schöffers Oeuvre wirklich am besten übermittelt. Der Film war nicht nur zeitlich begrenzt. Es gab keine Möglichkeit, Dreharbeiten auch im Atelier in Paris auszuführen. So zeigt der Film nur einen Teil der erhalten gebliebenen Arbeiten. Es gab keine Möglichkeit ein Interview mit der Witwe des Künstlers zu machen, obwohl ihre Rolle sehr wichtig ist. Der große Traum von einigen wohlwollenden Verehrern des Künstlers ist es heute, einen wesentlich längeren Film zu realisieren, der sowohl die Sammlung des Museums in Kalocsa und des Ateliers zeigt, als auch den Künstler mit Eléonore Schöffer und ihr Team vorstellt. Ob es nur ein Traum bleibt, ist eine offene Frage. 5.2. Die retrospektive Ausstellung 2015 in der Kunsthalle Budapest Die erste und bis 2015 die letzte, umfangreiche Nicolas Schöffer Ausstellung in Ungarn fand 1982 in der Kunsthalle (Műcsarnok) statt. Der Künstler wurde im selben Jahr mit der Bronze Medaille der Fahnenorden der Ungarischen Volksrepublik ausgezeichnet. Im nächsten Jahr waren das große Prisma und die Skulptur Chronos 5 im Szépművészeti Múzeum (Museum für bildende Künste) ausgestellt. Von 1983 bis 2015 gab es keine Ausstellungen des Künstlers mehr in bedeutenden Instituten von Ungarn, außer dem Museum in Kalocsa. Der großangelegten Ausstellung von 2015 ging eine mehrjährige Planung voran. Die Ausstellung war eine seltene und vielleicht nie wiederholbare Gelegenheit, so viele Werke auf einem Ort zu sehen. Die Ausstellung war sehr gut organisiert — mehr kann man von einem Institut und von einer Ausstellung nicht erwarten. Das Material war so umfangreich und der Informationsstrom so dicht, dass die durchschnittlichen Besucher mehr Informationen auf einmal wahrscheinlich nicht hätten aufnehmen können. Es ist bei einer so umfangreichen retrospektiven Ausstellung unmöglich, auch den kunstgeschichtlichen Kontext bei jeder Kunstgattung zu zeigen, die von Schöffer während seiner Tätigkeit berührt wurde. Dazu


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wären mehrere, parallel organisierte und auf ein ausgewähltes Thema spezialisierte Ausstellungen an diversen Orten nötig, welche von den Interessierten an verschiedenen Tagen besucht werden könnten, um ein noch umfangreicheres Bild zu bekommen, und zwar nicht nur über Schöffers Tätigkeit, sondern auch über die Kunst der Zeit, in dem er lebte. Dazu wäre eine Zusammenarbeit von mehreren Institutionen nötig. Eine alternative Möglichkeit wäre, in demselben Institut Filme an aufeinander folgenden Tagen in einem dazu geeigneten Raum zu zeigen, welche je ein Thema ausarbeiten würden. Diese Filme müssten allerdings zuvor erst entstehen, was natürlich zunächst eine Finanzierung voraussetzt. Ohne die Präsentation von entsprechenden Nachfolgeprojekten kann dem Besucher die Relevanz von Schöffers Oeuvre für unser Zeitalter nicht erklärt werden. Der Besucher ist bei seinem Denkprozess alleine gelassen, wenn er drauf neugierig ist, welche heutigen Entwicklungen ihre Wurzeln in Schöffers Oeuvre haben. Schöffer ist heute immernoch sehr aktuell, aber die Verbindungen zwischen seiner Tätigkeit und den neuesten Entwicklungen sind ein getrenntes und breites Forschungsthema. Der einzige Kritikpunkt lag bei einigen seltenen, bösartigen Zeitungsartikeln hier, dass die Ausstellung die Aktualität des Oeuvres nicht hergehoben hätte. Es mag haarspalterisch wirken, aber Lajos Dargay, der ehemalige Direktor des Schöffer Museums in Kalocsa, übte sogar Kritik wegen der Verwendung des Adjektivs retrospektiv im Pressetext der Ausstellung, weil jede Art von Rückblick der Persönlichkeit des Künstlers entgegensteht. Schöffer hatte seit seinem Neuanfang kein Interesse an der Vergangenheit, er interessierte sich nur für die Zukunft. Vielleicht ist es übertrieben, die Verwendung des Adjektivs retrospektiv auszusetzen, es ist ja üblich bei Ausstellungen, welche einen Überblick der Karriere präsentieren, es gab aber noch Schlimmeres. Es mag schon wirklich ein Sakrileg sein, dass der Text auf der Homepage der Kunsthalle die Werke als futurisztikus-retro bezeichnete, was so international klingt, dass keine Übersetzung auf Deutsch nötig ist. Der Ausdruck wurde leider in der Presse aufgegriffen und mehrfach wiederholt, aber ohne das Sakrileg dabei wahrzunehmen. Der kritische Empfang der Ausstellung war im Allgemeinen doch sehr gut. Die seltenen kritischen Stimmen unterstützen meine Auffassung, dass es bei der Präsentation des Lebenswerkes sehr wichtig ist, zu zeigen, welche Inspirationsquellen Schöffer hatte und welchen Einfluss er auf Zeitgenossen und spätere Generationen ausübte. Es ist eine schwierige Aufgabe, weil der Rahmen sowohl finanziell als auch räumlich meist begrenzt ist, aber mit kurzen Verweisen gelöst werden kann.


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Die lineare Verbindung der Räumlichkeiten in der Kunsthalle gibt den Weg und die Reihenfolge vor, wie die Besucher die einzelnen Werke betrachten können. Der Aufbau der Ausstellung folgte der zeitlichen Entwicklung der Karriere. In der ersten kleinen Vorhalle gab der Film, der im Atelier gedreht wurde, einen Eindruck darüber, was in den nächsten Räumen zu erwarten ist. Im ersten größeren Raum links von der Eingangstür und von dem Türflügel geschirmt zeigte ein Monitor die frühen grafischen und malerischen Arbeiten. Es war eine geschickte und vernünftige Lösung, um zwei widersprüchliche Wünsche zu erfüllen. Schöffer hatte um 1948 diese Periode seiner Tätigkeit abrupt und endgültig abschließen wollen. Diese Arbeiten wurden auf dem Dachboden abgelagert. Schöffer wollte sie nie mehr zeigen. Auf der anderen Seite gehören diese Werke zum Oeuvre und die Neugierde des Publikums verlangt ein volles Bild über die Tätigkeit des Künstlers zu bekommen. Es war auch sehr gut gelöst, dass auf den Wänden des ersten großen Raumes die wichtigsten Begriffe und Gedanken mit großen Buchstaben übermittelt wurden. Die Begriffe erschienen in Dreiergruppen: 

Spatiodynamisme, Chronodynamisme, Luminodynamisme

Espace, Lumière, Temps,

Idées, Objet, Effets

Cybernetique, Perturbation, Socialisation

Rigueur, Programme, Information

Es waren auch wichtige Zitate zu lesen, wie der schon erwähnte Gedanke über die Unwichtigkeit des Objektes. Ein weiteres Zitat bezog sich auf die Rolle des Künstlers: „Die Rolle des Künstlers ist nicht mehr ein Werk, sondern die Schöpfung selbst zu schaffen. Er ruft die Kreativität und den Geist der Forschung zum Leben.“ 71 [Schöffer] In diesem Raum waren die frühesten spatiodynamischen Werke zu sehen. Im nächsten Raum wurden spatiodynamische Reliefs, spatiodynamische Skulpturen und Elemente der Lux Serie ausgestellt. Im weiteren Verlauf konnten die Besucher unter Anderem das Prisma, die Chronos Türme, die Skulptur Delta und die Skulptur Soleil bewundern. Im innersten Raum waren die Modelle und Zeichnungen von zahlreichen 71

„Le rôle de l’artiste n’est plus de créés une œuvre, mais de créer la création. Il crée la créativité et l’esprit de recherche“ [Schöffer]


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Architekturprojekten zu sehen und ein Monitor zeigte die Rekonstruktion des Zentrums für sexuelle Freizeitgestaltung (Centre Loisir Sexuelle). Die Werke konnten nicht kontinuierlich eingeschaltet sein, aber es war in jedem Augenblick irgendwo etwas los. Bei den spektakulärsten Licht- und Schattenspielen versammelten sich die Zuschauer, aber die Säle in der Kunsthalle waren räumig genug, um zu enge Situationen zu vermeiden. Es gab während der Ausstellungsperiode mehrere Führungen und Tanz Performance Events, um dem Geist des Künstlers treu zu bleiben. Ein schöner Katalog wurde zu diesem Anlass auch publiziert. Parallel zu dieser großangelegten Ausstellung organisierte die Artezi Galerie in Budapest eine kommerzielle Ausstellung aus Grafiken und Serigrafien des Künstlers. Kleinere Ausstellungen, die gleichzeitig mit großangelegten Ausstellungen auf verschiedenen Orten der selben Stadt organisiert werden und die Schöffers Oeuvre aus einem speziellen Blickwinkel zeigen, um zusätzliche Informationen zu liefern, wären zu begrüßen, aber gerade eine kommerzielle Ausstellung kann dem Geist des Künstlers kaum entsprechen. Schöffer war gegen die Spekulation mit Kunstwerken. Er ließ seine künstlerische Tätigkeit von kommerziellen Überlegungen nicht beeinflussen. Der Fakt, dass die Sammlung im Atelier trotz aller Schwierigkeiten über die Jahre bewahrt werden konnte, ist zum Teil auch derselben Überzeugungen von Eléonore de Lavandeyra Schöffer zu danken. Ohne ihre Zielbewusstheit und Ausdauer wäre die Sammlung schon längst zerstreut. 5.3. Das Schöffer Museum in Kalocsa Das Schöffer Museum in Kalocsa hat ganz andere Möglichkeiten als die Kunsthalle in Budapest. Zum Teil hat das Museum einen größeren Spielraum, weil es eine Dauerausstellung ist, solange die Kunsthalle nur mit temporären Ausstellungen arbeitet. Es gibt in Kalocsa einen Saal für temporäre Ausstellungen, welche die Dauerausstellung ergänzen können. Andererseits, kann das Museum mit der Kunsthalle nicht wetteifern, was die Besucherzahlen betrifft. Kalocsa ist im Vergleich mit der Zweimillionenstadt klein und dementsprechend verteilen sich auch die Touristenbesuche. Das Museum in Kalocsa bekam ein neues Gebäude im Jahr 2015. Das alte Geburtshaus des Künstlers mit Nebengebäuden wurde abgebrochen und ein den internationalen Standards entsprechendes neues Museum aufgebaut. Es gibt einen Konferenzraum und einen Beschäftigungsraum für Kindergruppen. Die Direktorin organisiert


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mit großer Begeisterung und Ausdauer mehrere Programme jährlich. Trotzdem kann sie nur ein oder zwei Dutzend InteressentInnen hereinlocken. Das Leben bringen eigentlich nur die Kindergruppen ins Gebäude. Für die ältere Generation vor Ort ist im Allgemeinen Schöffer zu modern und nicht verständlich. Die Dauerausstellung besuchen die Bewohner der Stadt meist nur einmal im Leben oder nie. Es ist eine unglückliche Situation, welche aus der Struktur des Landes folgt. Die Hauptstadt Budapest ist für das Land zu groß und wie ein Schneeball, welcher auf dem Schneefeld rollt und wächst, zieht sie alles vom Lande an. Es war eine bedeutende Stadt der Österreich-Ungarischen Monarchie, die heute das größte Land in Europa wäre, wären die Grenzen von 1914 zurückgestellt. Die Hauptstadt Budapest verlor mit dem Vertrag von Trianon den größten Teil des Landes, welchem sie urbanes Zentrum war. Daher kommt der ungesunde Gleichgewichtsverlust. Natürlich hätte das Schöffer Museum in Budapest wesentlich mehr Besucher als in Kalocsa und könnte sich so auch besser in den internationalen Kreislauf einschalten, aber auf der andern Seite würde es den Gleichgewichtsverlust nur verstärken, wenn nun auch diese Sammlung noch nach Budapest umgesiedelt würde. Es muss eine andere Lösung gefunden werden, um das Museum aufrechterhalten zu können. Von den Eintrittskarten kann nicht einmal einen Bruchteil der Kosten für die Heizung und Kühlung des Gebäudes gedeckt werden, weitere Kosten sollen gar nicht erst erwähnt werden.

Bild 2.: Stammbaum des Gesamtwerkes von Nicolas Schöffer, Quelle: Nicolas Schöffer Archiv Webseite

Ich wiederhole hier ein Bild, welches in der Einführung schon vorgekommen ist, damit der Leser nicht so weit zurückblättern muss. Es zeigt den genealogischen Baum, welches Schöffers Tätigkeit zusammenfasst. Jeder Ast, jeder Zweig präsentiert bestimmte, zusammenhängende Forschungsgebiete und die Ergebnisse des Künstlers auf dem jeweiligen


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Feld. Es ist aber, präziser ausgedrückt, kein Baum, sondern nur das zweidimensionale Bild eines Baumes. Dieser Baum dehnt sich in der Wirklichkeit in alle Richtungen aus und hätten wir es aus anderen Richtungen betrachten können, würden wir Vorgänger- und Nachfolgeprojekte, das heißt den ganzen kunst-, architektur- und mediengeschichtlichen Kontext sehen können. Dieser dreidimensionale Baum gibt reichlich Material für Forschungsprojekte. Die Ergebnisse der jeweiligen Forschungen könnten das Programm des Museums mehrere Jahre lang mit interessanten Veranstaltungen füllen. Einige Aspekte des Lebenswerkes werde ich im nächsten Kapitel erwähnen, die für temporäre Ausstellungen weiter recherchiert und ausgearbeitet werden könnten. Wozu aber der große Aufwand, wenn zur Veranstaltung kaum einer kommt? Zuerst sollte ein Programm aufgestellt werden, welches eine größere Besucherzahl sichert. Was kann getan werden? In erster Linie soll man feststellen, dass Nicolas Schöffer ein international anerkannter Künstler ist und das Museum könnte sich zu Recht einem internationalen Publikum zuwenden. Dazu sollte die Webseite des Museums wenigstens auf drei bis vier weiteren Sprachen lesbar sein (z. B. English, Deutsch, Französisch und Russisch). Zurzeit ist es nur auf Ungarisch zu lesen. Das Archivmaterial im Museum wartet auch darauf, digitalisiert zu werden. Kalocsa hat die historische Chance, ein Zentrum für innovative, interdisziplinäre Kunstprojekte zu werden, wo Wissenschaftler, Techniker und Künstler zusammentreffen. Diese Chance muss nur ergriffen werden. Es gibt jedes Jahr ein mehrwöchiges Künstlertreffen und Workshop in Kalocsa, wo meist dieselben Künstler aus der Umgebung teilnehmen. Diese Veranstaltung könnte international für einen breiteren Kreis angekündigt werden und den Kern darstellen, aus dem sich etwas Neues entwickelt. Das Museumsgebäude ist für internationale Konferenzen geeignet, die nicht nur im Sommer, sondern auch während anderen Jahreszeiten Leben ins Museum hauchen könnten. Es würde eine neue Entwicklung auch für die Stadt einleiten, welche sich, trotz des wissenschaftlichen Weltbildes des 21. Jahrhunderts, derzeit immer noch zu sehr hauptsächlich auf ihre religiöse Vergangenheit stützt. Die Hoffnung liegt in der jungen Generation. Kindergruppen besuchen regelmäßig das Museum und kommen schon in frühen Jahren in Berührung mit der Kunst. Es ist eine Freude, ihre Begeisterung zu sehen, wenn sie das Lichtspektakel zum ersten Mal erblicken. Sie können auch ihre Kreativität während Workshops entfalten. Nachdem die Gruppenleiterin über Schöffer erzählt und die Werke erklärt, versuchen sich die Kinder selber ähnliche


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Kunstwerke vorzustellen und diese dann zu zeichnen. Sie bauen mit ihren eigenen Händen kleine Modelle. Die Kinder lernen dadurch nicht nur den Künstler kennen, sondern auch das Land, in dem er lebte. Es wurde zum Beispiel 2017 anlässlich der französischen Tage ein Zeichnungswettbewerb organisiert. Die Studenten mehrerer Schulen stellten zeichnerisch dar, was ihnen die französische Hauptstadt bedeutet. Die besten Arbeiten wurden mit Preisen ausgezeichnet.

Bild 135. Kinder bewundern das große Prisma im Schöffer Museum in Kalocsa

Bild 136. Ausstellung der eingereichten Arbeiten für den Wettbewerb ‚Wie ich mir Paris vorstelle‘


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Das wichtigste ist es, den Geist des immer das Neue suchenden, wissensdurstigen Künstlers den neuen Generationen weiterzugeben. Seine Tätigkeit soll als Beispiel dienen und zeigen, wie eine Verbindung zu anscheinend fernen Gebieten zu großen Ergebnissen führen kann. Hoffentlich werden einige unter den Kindern in Kalocsa nach den zahlreichen Museumsbesuchen Lust haben, diesem Beispiel zu Folgen. Ein Eintrag im Gästebuch hegt diese Hoffnung: „Ich werde auch Nicolas Schöffer sein“

Bild 137. Eintrag eines Kindes im Gastbuch

Es ist die Aufgabe des Museums, die Begeisterung der Kinder aufrechtzuerhalten und ihr Interesse immer mit neuen Informationen zu nähren. Schöffers Oeuvre ist so vielseitig, dass sich ein ganzes Universum für das junge Publikum öffnet, wenn die zahlreichen Aspekte der künstlerischen Tätigkeit Schritt für Schritt recherchiert und ausgearbeitet werden. Der intellektuelle Horizont der Jungen kann erweitert werden, wenn bei den einzelnen Themen die entsprechenden kunst- und kulturhistorischen Zusammenhänge und auch relevante Arbeiten anderer Künstler miteinbezogen werden. Das Museum kann so einen wesentlichen und unschätzbaren Beitrag zur kulturellen Angebot der kleinen Stadt Kalocsa leisten. Die Begabungen der kleinen Museumsbesucher und Workshopteilnehmer sind genauso vielseitig wie das Oeuvre von Schöffer. Es ist eine Museumspädagogische Aufgabe, diese Begabungen zu aktivieren. Dazu können die vielen Aspekte von Schöffers Tätigkeit als Inspirationsquelle und Ausgangspunkt dienen. Es ist möglich, das Interesse der Kinder durch das Lebenswerk von Schöffer für Themen auf einem sehr breiten Spektrum zu wecken. Ich denke hier nicht nur an so offensichtliche Bereiche dieser Skala wie Zeichnung, Malerei, Architektur, Musik, Film oder Theaterkunst. Ich bin überzeugt, dass die Kinder von Schöffer auch soziale Kompetenzen, Teamfähigkeit und Selbstmanagment erlernen können. Sie bekommen den Geheimtipp zum Lebenserfolg. Ich möchte im nächsten Kapitel diesen Gedanken näher erläutern.


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6. Temporäre Ausstellungsideen, Forschungsthemen Ich erwähne in diesem Kapitel einige Aspekte des Lebenswerkes, die als Thema einer Ausstellung, Vorlesung oder Diskussionsabend im Museum dienen könnten. Ich beschreibe, worauf man meiner Meinung nach bei der Präsentation achten sollte, um bei der Analyse eines Teilbereiches den Überblick nicht zu verlieren. Ich weise auch darauf hin, welche Kompetenzen die Jungen in Kalocsa bei den einzelnen Themen entwickeln können. Schöffers Karriere begann mit grafischen Arbeiten und mit Malerei. Während der letzten künstlerischen Periode kehrte er zur Grafik zurück. Die Versuchung mag groß sein, ausschließlich die Grafiken und Gemälden der ersten und dritten künstlerischen Periode als Thema einer Ausstellung zu wählen und die Ähnlichkeiten und Unterschiede zu analysieren. Es ist sogar möglich, Ausstellungsbeispiele zu nennen, in denen nur die Werke der ersten Periode gezeigt wurden, oder wo sich ausschließlich auf die Grafiken der dritten Periode fokussiert wurde. Ich habe im Kapitel 4.1. mehrere Ausstellungen erwähnt, welche die Arbeiten der ersten Periode zeigten. Zu jener Zeit repräsentierten die gezeigten Werke ausreichend das künstlerische Schaffen von Schöffer, weil es die späteren Hauptwerke noch nicht gab. Würde eine Ausstellung heute dieselben Werke mit demselben Konzept zeigen, dann wäre die Tätigkeit des Künstlers dem Publikum verzerrt vermittelt. Der Überblick wäre verloren. Der Besucher, der Schöffer noch nicht kennt, würde ihn auch in der Ausstellung nicht kennenlernen. Die schon erwähnte Ausstellung der Artesi Galéria in Budapest, die 2015 stattfand, und ausschließlich Grafiken der dritten Periode zeigte, kann nur damit gerechtfertigt werden, dass es eine zur großen retrospektiven Ausstellung parallel organisierte Ausstellung war und dass das Publikum die Gelegenheit hatte, Schöffer in der Kunsthalle gründlich kennenzulernen. Es gab außerdem zahlreiche Artikel in den wichtigsten Zeitungen und Kunstzeitschriften zu jener Zeit, die Schöffer dem Publikum vorstellten. Sollte sich eine Ausstellung heute wirklich nur auf die grafischen Arbeiten Schöffers fokussieren, dann dürften, meiner Meinung nach, die Grafiken der zweiten künstlerischen Periode nicht fehlen. Sie sind zwar anderer Natur, weil es sich bei ihnen um angewandte Grafik, um Architekturpläne, Skizzen und Visualisierungen handelt, aber durch diese Zeichnungen und Grafiken kann das Publikum den wesentlichsten Teil von Schöffers Oeuvre kennenlernen. Damit kann ein ausgewogenes Bild der künstlerischen Laufbahn vermittelt werden.


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Es ist gerade die so verschiedene Natur der Grafiken und Gemälde, die so lehrreich ist und welche die Interessen sowohl von künstlerisch als auch technisch orientierten Betrachter zu wecken ermöglicht. Es lässt sich auch von den Experimenten der ersten Periode viel lernen. Die Karriere von Schöffer zeigt zudem, wie weit man durch Ausdauer, Übung und Experimentieren von den ersten Versuchen gelangen kann, denn bei seinen ersten Versuchen ließ sich sein späteres Talent noch nicht erahnen. Nach der plötzlichen Entscheidung, die erste grafische und malerische Phase der Karriere abzuschließen, wurde Schöffers Interesse für den Raum geweckt. Er beschäftigte sich mit Skulptur und Architektur. Sein Gestaltungsprinzip beruhte auf dem goldenen Schnitt. Er verwendete dasselbe Prinzip auch bei seinen musikalischen Kompositionen. Es wäre interessant, seine Werke aus diesem Betrachtungswinkel zu analysieren. Die Rolle des goldenen Schnittes in der Kunst und Architektur ist ein sehr breites und spannendes Thema für Workshops. Ein noch breiteres und spannenderes Thema wäre für mathematisch begabte junge Menschen die Rolle der Mathematik in Kunst und Architektur. CYSP1 war der erste kybernetische Roboter in der Kunstgeschichte. Wie entwickelte sich die Robotik seit Schöffers Zeiten? Welche künstlerischen Anwendungen der Robotik gibt es seit den Anfängen der kybernetischen Kunst? Es ist ein breites Forschungsthema, die Nachwirkungen von Schöffers Lebenswerk aus dem Blickwinkel der Robotik auszuarbeiten. Schöffer verzichtete auf einen Teil des kreativen Prozesses. Einerseits arbeitete er oft im Team, andererseits ließ er den Computer das Kunsterlebnis hervorzaubern, er legte lediglich den Algorithmus fest. Er ging auch so weit, eine Serie von Skulpturen zu schaffen, bei denen der Betrachter die Skulptur selber zusammenstellen konnte, ihm wurden beim Kauf die Elemente der Skulptur ohne Montage übergeben. Bei der Serie S.E.C. bereitete Schöffer nur die Grundkonstruktion vor und gab die Teile mit, die dazu vorgesehen waren, auf diesen Rahmen montiert zu werden. Er ließ den Rezipienten diese Teile selber montieren oder anders ausrichten. Das Thema des individuellen künstlerischen Schaffensprozesses versus die kollektive kreative Arbeit könnte aus dem Blickwinkel eines Schöffer Museums behandelt werden. Es ist interessant, einen Vergleich mit dem Künstler Tinguely zu machen. Die Werke von Tinguely stehen in einem spannenden Kontrast mit den Werken von Schöffer. Solange Schöffer im Team arbeitete und viele seiner Werke in einer Werkstatt von Fachmännern realisiert wurden, arbeitete Tinguely alleine und fertigte alles mit seinen eigenen Händen an.


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Die Skulpturen von Tinguely wecken den Eindruck von lebendigen Strukturen, ganz im Gegensatz zu Schöffers strikten rechtwinkligen Konstruktionen. Das Jüdische Museum in New York präsentierte eine Ausstellung vom 23. November 1965 bis 2. Januar 1966 mit dem Titel 2 kinetic sculptors: Nicolas Schöffer and Jean Tinguely. Zur Ausstellung gab es einen Katalog, welcher von Jean Cassou editiert wurde. Ich habe im Kapitel Theater schon auf die spannende parallele Karriere von Gordon Pask und Nicolas Schöffer und auf die Berührungspunkte hingewiesen. Solche Vergleiche mit Künstlerkollegen können wegen des Kontrastes einige Eigenschaften von Schöffers Werken noch besser hervorheben. Schöffer nahm schon in den fünfziger Jahren an der Arbeit von Architektenteams teil. Es handelt sich dabei um sehr verschiedene experimentelle oder großangelegte Projekte. Die Dokumentation dieser Projekte ist auch im Schöffers Atelier lückenhaft, aber mag im Archiv anderer Teammitglieder noch vorhanden sein. Das ist jedoch ein eigenes, weiteres Forschungsthema. Schöffer gelangte in die Bereiche der Architektur durch die schrittweise Erhöhung der Dimensionen und der Komplexität seiner Skulpturen. Sein kybernetischer Lichtturm TLC für den Statteil La Défence ist schon eindeutig Architektur. Der Turm hat in der architektonischen Sprache spezielle Bedeutungen und Funktionen, die sich architekturhistorisch mit der Zeit modifizierten. Eine Ausstellung könnte die Funktion des Turmes und die Änderungen dieser Funktion ausarbeiten und sowohl historische Türme als auch Türme der klassischen Avantgarde mit Nicolas Schöffers Türmen vergleichen. Der Turm zu Babel, die Geschlechtertürme in San Gimignano, Kirchentürme, Lichttürme, Radiosender-Türme, der Turm von Tatlin oder Suhov, die heutigen Bürotürme und so weiter. Es gibt eine lange Reihe von historischen und aktuellen Architekturbauten, welche mit dem Tour Lumière Cybernetique verglichen werden könnten, um seine Komplexität aufzuzeigen. Die verschiedenen realisierten Türme von Schöffer könnten dem Publikum gezeigt und miteinander verglichen werden. Ein weiteres Thema ist die Bewertung der Sanierungsarbeiten in Liège und Kalocsa. Es kann erklärt werden, zu welchem Maße und warum der rekonstruierte Turm anders ist, als der originale Turm. Der Bau des Turmes in Busan mehrere Jahrzehnte nach dem Tod des Künstlers wirft auch interessante Fragen auf. Es kann jedenfalls darüber diskutiert werden, ob solche Realisierungen authentische Schöffer Werke sind.


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Bild 138.: Nicolas Schöffer: Mur Lumière anlässlich des Autosalons 1966

Nicolas Schöffer ist ein Pionier auf dem Gebiet der Lichtfassaden. Das bedeutendste Beispiel ist sein Mur Lumière, die 1961 in Liège realisiert wurde, aber es gibt weitere Projekte und er setzte solche Spektakel auch bei einer Autoshow zu Werbezwecke ein. Im Inneren des Gebäudes erfüllten seine Lichtteppiche der Werkgruppe VARTAP eine ähnliche Aufgabe. Es wäre interessant, die Entwicklungslinie der Kunst von Schöffers experimentellen Realisierungen bis zur Gegenwart, bis zu heutigen Lichtfassaden zu verfolgen. Das Wort Amour (Liebe) stand mit großen Buchstaben unter den wichtigsten Begriffen auf der Wand des ersten großen Saales der retrospektiven Ausstellung in der Kunsthalle Budapest. Liebe und Sexualität spielten eine große Rolle in Schöffers Kunst und Leben. Er beschäftigte sich auch mit den gesellschaftlichen Veränderungen im Zuge der sexuellen Revolution. Die Ausstellung der Galerie Harriet Hubbard Ayer in Paris zeigte vom 13. Juni bis 3. Juli 1950 Arbeiten von Nicolas Schöffer und J.M. Savage mit dem Titel Les Mobiles des Amour. Wie schon erwähnt, die Szenenbilder von Kyldex1 präsentierten auch erotische Skulpturen. Das Centre Loisir Sexuell thematisiert natürlich am komplexesten dieses Thema. Die Liebe und Erotik in Schöffers Oeuvre ist ein umfangreiches Forschungsthema. Das Centre Loisir Sexuell kann mit anderen, der Sexualität gewidmeten Architekturbauten verglichen werden. Es gibt auch Anlass, das Thema der Liebe, der Erotik und Sexualität in der Kunst und in der Gesellschaft im Rahmen eines Diskussionsabends im Museum zu besprechen. Solche Diskussionen sind gerade für junge Leute wichtig, die in diesem Alter dabei sind, ihre Wertvorstellungen auf diesem Gebiet zu formulieren.


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Nicolas Schöffer hat die Veränderungen der Gesellschaft und die revolutionären Prozesse der 60er Jahre mit großer Sensibilität und großem Interesse beobachtet und in seiner Kunst darauf reagiert. Ein spannendes Thema ist, wie die revolutionären Gedanken der 60er Jahre Schöffers Oeuvre prägten, wie aktuell diese Gedanken heute sind, ob die Entwicklung die von Schöffer prognostizierte Bahn nahm. Das Museum in Kalocsa kann ausgehend von Schöffers Oeuvre ein reiches Programm auch dem Publikum bieten, das sich eher für die dartselleneden Künste interessiert. Schöffer beschäftigte sich sowohl mit traditioneller orientalischer Musik als auch mit der damals aktuellsten elektronischen Musik. Wie prägten die musikalischen Abende mit Freunden im Ateiler seine eigenen Kompositionen? Welche Rolle spielten die Musik und der Klang im Allgemeinen in der kybernetischen Stadt? Welche Ansätze gibt es heute, ähnliche Vorstellungen zur Sonorisierung der Umgebung zu verwirklichen? Es wäre möglich, ein Workshop nur dem Thema Musik und Tanz zu widmen. Wie fügen sich die zwei großen Theaterprojekte Hilfe, Hilfe, die Globolinks und Kyldex1 in die Theatergeschichte ein? Es wäre ein Vergleich zum Beispiel mit der Oper Sieg über die Sonne interessant, welche das Ergebnis einer interdisziplinären Kollektivarbeit der russischen Künstler Alexej Krutschonych (Libretto), Welimir Chlebnikow (Prolog), Michail Matjuschin (Musik) und Kasimir Malewitsch (Lichtregie, Kostüme und Bühnenbild) war. Kyldex1 war ein herausragendes Experiment und Theaterstücke mit kybernetischen Prinzipien sind seitdem immer noch selten. Ein Beispiel dafür wäre die Emotikon Show von Noémi Ördög in der virtuellen Welt von Second Life. Die Ausstellung 2016 im Museo De Arte Contemporáneo De Caracas fokussierte auf Kyldex1 mit auch Videoarbeiten. Die Ausstellung stellte Schöffer als ein Künstler der audiovisuellen Kunst vor. Das Museum in Kalocsa könnte ebenfalls Veranstaltungen diesem Thema widmen. Ein weiteres interessantes Forschungsgebiet wäre die Geschichte von den Galerien, Festivals, Organisationen zu erkunden, mit denen Schöffer regelmäßig zusammen arbeitete. Welche Einflüsse übten diese auf ihn aus, mit welchen anderen Künstlern knüpfte er bei diesen Anlässen Kontakt? Die Galerie Denis René war die bedeutendste Galerie der kinetischen und kybernetischen Kunst. Das Sigma Festival von Bordeaux, der Club 44, der Salon des Réalités Nouvelle und der Salon de la Jeune Sculpture sind nur einige Beispiele, derer Geschichte das Schöffer Museum in Kalocsa im Rahmen einer Ausstellung zeigen könnte. Es kann sich dabei auch darauf fokussiert werden, wie Schöffer sein Netzwerk von Kontakten ausgebaut hat und wie seine soziale Kompetenz und Teamfähigkeit zu seinem


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Erfolg beitrugen. Seinem Beispiel folgend könnten die jungen Besucher des Museums ihre eigene Karriere vorantreiben. Das Netzwerk von entsprechenden Kontakten ist ja heute ein wesentlicher Schlüssel zum Erfolg in der Kunstwelt. Es gibt also zahlreiche weitere Möglichkeiten, sich auf bestimmte Aspekte des Oeuvres zu fokussieren. Es gibt somit reichlich Arbeit für die nächsten Jahre.


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7. Konklusion Nicolas Schöffer war einer der bedeutendsten Künstler der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts. Wer sich die Mühe gibt, sein Oeuvre kennenzulernen, der findet eine unglaublich große Vielfalt an den damals aktuellsten Ideen. Um die fortschrittliche Natur seiner Gedanken zu verstehen, muss aber der damalige Stand der Dinge in vielerlei Hinsicht bekannt sein. Der Stand der Technik, die aktuellen Kunstströmungen, gesellschaftliche Prozesse und viele weitere Aspekte sind dazu wichtig. Ich stellte in meiner Schrift einige bedeutsame Zusammenhänge, die ich im Folgenden kurz nochmals zusammenfasse, ins Rampenlicht. Es wurde erklärt, in welchem geschichtlichen Kontext der Künstler seine Tätigkeiten entfaltete und wie der damalige Zeitgeist diese beeinflusste. Er erlernte im Elternhaus die Musik, die Kunst und die rationale Denkweise zu lieben. Die gleichzeitige christliche und jüdische Erziehung haben zu seiner Offenheit für Spiritualität und für andere Religionen geführt, die dann in der Planung der kybernetischen Stadt widerspiegelte. Die konservative Atmosphäre und die spürbare Judenfeindlichkeit in der Geburtsstadt haben dazu beigetragen, dass er 1936 nach Paris übersiedelte. Diese Stadt war damals der Hochburg der Künste. Die neue, andersartige Umgebung prägte Schöffers weitere Entwicklung. Während des Zweiten Weltkrieges musste der Künstler fliehen und Paris für eine Zeit verlassen. Die schockierenden Erfahrungen des Krieges spiegeln sich in der vom Surrealismus inspirierten Serie seiner Gemälde wider. Nach dem Krieg begann der Wiederaufbau. Die Wohnungsnot veranlasste die Architekten Fragen der Stadtplanung neu zu überlegen. Schöffer war Gründungsmitglied der GIAP und er arbeitete in den folgenden Jahrzehnten die Pläne einer kybernetischen Stadt der Zukunft aus. In den 50er Jahren begannen die Ergebnisse der militärischen Forschung in die zivile Sphäre hinauszuströmen. Schöffer beobachtete mit großem Interesse die technische, technologische und wissenschaftliche Entwicklung und wendete viele der Ergebnisse in seiner künstlerischen Tätigkeiten gleich an. Als ein neuer Zweig der Wissenschaft, die Kybernetik, geboren wurde, Schöffer erkannte dessen Bedeutung gleich. Die Kybernetik wurde ein zentrales Element seiner Kunst. Die 60er Jahre brachten revolutionäre gesellschaftliche Prozesse mit sich. Schöffer eignete das Gedankengut der wichtigen Bewegungen dieser Zeit an, die ich schon im Kapitel


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Leben und Zeitalter aufgelistet habe, und reagierte auf sie in seiner künstlerischen Tätigkeiten. Der Optimismus dieser Jahre und der Glauben an der Macht des menschlichen Geistes spiegeln sich in seinem Oeuvre wider. Die Ölkrisen der 70er Jahre vereitelten die Realisierung seines Hauptwerkes, des kybernetischen Lichtturmes für Paris, aber er gab die Pläne bis seines Todes nicht auf. In den 80er Jahren nahm er an der Arbeit des Institut de Recherche et Coordination Acoustique/Musique teil und leistete seinen Beitrag zur Entwicklung der computergenerierten elektronischen Musik. Diese kleine Zusammenfassung zeigt, wie sensibel Schöffer in seiner Kunst auf alle Aspekte seiner Umgebung reagierte. Ich habe in der vorliegenden Schrift detailliert erklärt, wie Schöffer von den Strömungen der klassischen Avantgarde, aber auch vom Kubismus und Surrealismus inspiriert wurde. Er eignete das Gedankengut der russischen Konstruktivisten, des Bauhaus und der Gruppe De Stilj an und weiterentwickelte es. Er wurde auch von seinem Vorbild Le Corbuser beeinflusst. Er beteiligte sich an der Arbeit von zahlreichen Künstler-, Musiker- und Architektengruppen und war oft Gründungsmitglied dieser Gruppen. Es zeigt seine Teamfähigkeit und soziale Kompetenz. Ich habe während der Beschreibung der Schaffensperioden die Entwicklungslinie des Künstlers vorgezeichnet und auch noch dazu Schöffers Motivationen erklärt. Dabei habe ich gezeigt, dass zwar Schöffer einen Moment der Karriere als ein abrupter Bruch interpretierte, seine Entwicklung erfolgte graduell durch logisch aufeinander folgende Schritte. Abrupt war nur seine Entscheidung sich nicht mehr mit der Vergangenheit, sondern mit der Zukunft, zu beschäftigen und sich von seiner vorangegangenen künstlerischen Produktion zu distanzieren. Ich habe seinen Weg von der Anwendung der kinetischen bis hin zur Anwendung der kybernetischen Prinzipien in seiner Kunst beschrieben. Dabei kristallisierte sich die Essenz seiner

Methode

aus:

dass

er

bei

den

verschiedenen

Kunstgattungen

dieselben

Gestaltungsprinzipien verwendete. Er bestimmte die Funktionsgruppen und programmierte die Ereignisse. Der Algorithmus kontrollierte, wann bestimmte Funktionsgruppen in Aktion treten sollten und wie lange diese Aktion dauern sollte. Er musste nur die Funktionsgruppen austauschen, um zum Beispiel aus einem visuellen Spektakel eine Klangstruktur abzuleiten. Bei der Gestaltung der Verhältnisse der verschiedenen Teile des Werkes, aber auch noch bei dem Aufeinanderabstimmen der Abläufe, ging er immer aus dem goldenen Schnitt aus. Schöffers Gesamtwerk wird oft ohne Verweise auf den geschichtlichen Hintergrund und ohne eine Genealogie der entsprechenden Kunstgattungen behandelt, weil das Thema alleine schon Umfangreich genug ist. Der geschichtliche Hintergrund ist aber sehr wichtig,


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um uns ein klares Bild über Schöffers Tätigkeiten zu schaffen. Es wird hier sowohl an Kunst-, Architektur und Mediengeschichte, als auch an die Geschichte der Technik und Wissenschaft gedacht. Ich bin der Meinung, dass diese vom Kontext getrennte Behandlung des Gesamtwerkes nicht angemessen ist. Es ist der Grund warum ich so oft, wie in dem Rahmen einer Diplomarbeit möglich ist, vergleichbare Vorgänger- und Nachfolgeprojekte zeigte, um das Oeuvre Schöffers im Diskurs zu Architektur und Kunst zu verorten und zu kontextualisieren. Diese Vergleiche ergaben, dass er in mehreren Gebieten eine bahnbrechende Arbeit leistete. Ich habe in der vorliegenden Schrift über die unglückliche Situation der Schöffer Sammlung in Kalocsa geschrieben und erklärt, dass trotz des großen Wertes der Sammlung die Besucherzahlen gering sind und die Möglichkeiten, die die Museumsgebäude bietet, nicht ausgenutzt werden. Kalocsa ist eine kleine Stadt, in der das kulturelle Angebot mit denen von großen Städten nicht wetteifern kann. Deswegen ist es wichtig, dass das Museum ein lebendiger Ort der Kultur wird. Ich habe in dem letzten Teil dieser Arbeit einige Ideen aufgelistet, die Themen einer Ausstellung, eines Diskussionsabends oder eines Workshops im Museum sein könnten. Dabei hatte ich die Absicht ein breites Spektrum von Themen zusammenzustellen, damit alle Besucher des Museums, die offensichtlich völlig verschiedene Interessen haben können, etwas finden, das sie anspricht. Ich bin überzeugt, dass sich das Museum zu einem internationalen Zentrum für Kunstströmungen entwickeln kann, die die Anwendung der Ergebnisse der Technik, Technologie und Wissenschaft im Fokus stellen. Ich hoffe, dass die Zusammenhänge, die ich behandelte, für Kuratoren aber auch für Kunstliebhaber als Beispiel dienen können, um weitere Zusammenhänge zu entdecken. Ich habe nur Wege gezeigt, die in die Weite hinausführen, und der eine und der andere dieser Wege selber angefangen zu begehen. Ich hoffe, dass einige meiner Leser Lust haben werden, auf diesen Wegen weiterzugehen und ich wäre besonders froh, wenn eine Auswahl meiner Ideen vom Museum in Kalocsa aufgegriffen werden könnte, um das Programm des Museums zu bereichern.


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8. Anhang I. Nicolas Schöffer- Bücher und Filme 8.1. Nicolas Schöffers Bücher Le Spatiodynamisme, AA Verlag, Boulogne sur Seine, 1955. La Ville cybernétique, Tchou Verlag, Paris, 1969 Le Nouvel esprit artistique, Denoël-Gonthier Verlag, Paris, 1970, (Einführung : Philippe Sers) La Tour lumière cybernétique, Denoël-Gonthier Verlag, Paris, 1973. La nouvelle charte de la ville, Denoël-Gonthier Verlag, Paris, 1974. Perturbation et chronocratie, Denoël-Gonthier Verlag, Paris, 1978. La Théorie des miroirs, Pierre Belfond Verlag Paris, 1981. Surface et espace, Capitales Verlag, Paris, 1990.

8.2. Film Sculptures, Projections, Peintures, 1956 Fer Chaud, Filmdirektor Jacques Brissot, Musik: Pierre Schaeffer, Produktion von Service de la Recherche, 1957, 16 mm, 15’ Spatiodynamisme, 1958 Mayola, 1958 Le Tour de Liège, 1961 Variation Luminodynamique 1. Filmdirektor Jean Kerchbron, (1961), 16mm, 30’ Pavillon de Marsan, 1963 Le GIAP, 1965 Tout voir, Filmdirektor Charles Chaboud, 1966, 16mm, Schwaz-Weiss, 25’ Astronomie (Balett, Filmdirektor Guy Job, Musik Pierre Henry, Choreografie Sparambreck, Tanz, Nanon Thibon und Atanazoff), 1968, 16mm, 26’ Tour Lumière Cybernetique, FilmdirektorAdam Saulnier, 1971, 16mm, 10’ Kyldex 1., Klaus Lindemann, 1973, Magnetoskope, 2 Stunden 30’ N. Schöffer, 1973 Variation Luminodynamique, 1974 Le grand Prisme de la Sorbonne, 1974 N. Schöffer, 1983 Sík és Tér, 1991 Schöffer Lebenswerk, Manifest, une histoire paralléle Académie Amiens, 1992 Raum, Licht, Zeit, Filmdirektor: Bernard Vincent, 1994.


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9. Anhang II. Bild- und Literaturverzeichnis 9.1. Liste der Bilder Bild 1.: Nicolas Schöffers Porträt hängt auf der Seite des großen Prismas in seinem Atelier in der Villa des Arts, Paris 6. Juli 2010., Foto: Klára Gehér Bild 2.: Stammbaum des Gesamtwerkes von Nicolas Schöffer, Quelle: l‘Observatoire Leonardo des Arts et des Technosciences, Nicolas Schöffer Archiv Webseite, www.olats.org, Stand 26. Julia 2017, 12:00 Uhr Bild 3.: Eléonore de Lavandeyra Schöffer führt uns durch das Atelier während unseres Visits, und erklärt die Grundprinzipien von Schöffers Kunst, Foto: László Ördög Bild 4.: Das Atelier Schöffer, 27. Oktober 2012, Foto: László Ördög Bild 5.: Der Salon in der Villa des Arts, 27. Oktober 2012, Foto: László Ördög Bild 6.: Das Atelier Schöffer, 27. Oktober 2012, Foto: László Ördög Bild 7.: Das Atelier Schöffer, 27. Oktober 2012, Foto: László Ördög Bild 8.: Das Atelier Schöffer, 27. Oktober 2012, Foto: László Ördög Bild 9.: Das Atelier Schöffer, 27. Oktober 2012, Foto: László Ördög Bild 10.: Der alte Gebäudekomplex der Sammlung Nicolas Schöffer. Rechts das Geburtshaus auf der Hauptstraße (Szent István király utca); links das später von der Stadt zugebaute neue Haus in der Arany János Gasse, Quelle: Építészfórum, Nem csak a hímzés kalocsai - a Schöffer Múzeum megújítása, 13. Juni 2014, http://epiteszforum.hu/nem-csak-a-himzes-kalocsai-a-schoffer-muzeum-megujitasa Bild 11.: Das neue Gebäude der Sammlung Nicolas Schöffer, Fassade und Innenhof, Foto: László Ördög, rechts oben Visualisierung des gesamten Gebäudes, Quelle: Építészfórum /Architektenforum, Nem csak a hímzés kalocsai - a Schöffer Múzeum megújítása, 13. Juni 2014, 12:00 Uhr http://epiteszforum.hu/nem-csak-a-himzes-kalocsai-a-schoffer-muzeum-megujitasa Bild 12.: Eszter Tamás, Direktorin der Sammlung Nicolas Schöffer in Kalocsa mit Klára Gehér in dem alten Museumsgebäude, Foto: László Ördög Bild 13.: Lajos Dargay, ehemaliger Mitarbeiter von Nicolas Schöffer, erster Direktor der Sammlung Schöffer in Kalocsa, Einzelbild aus dem Film ‚Die wunderbare Welt von Nicolas Schöffer‘, Filmdirektor: Sándor Gerebics Bild 14.: Deckblatt einiger Bücher, in denen Nicolas Schöffer seine Theorien zusammenfasste Bild 15.: Moholy-Nagy, László: Licht-Raum Modulator, Quelle: Design Museum Budapest, http://designmuzeum.webceruza.hu/stilusok/bauhaus, Stand 31. August 2017, 12:00 Uhr Bild 16.: György Kepes: Deformation, Silberdruck, 1942, Quelle: http://www.1fmediaproject.net, Stand 31. August 2017, 12:00 Uhr Bild 17.: Nicolas Schöffer SCAM1 automobile kybernetische Skulptur (1973) virtuelle Rekonstruktion von Noémi Ördög (2015)


193 Bild 18.: Piet Mondrian Komposition mit Rot, Gelb, Blau und Schwarz, 1921, Gemeentemuseum Den Haag Bild 19.: Nicolas Schöffer: Sans titre, sculpture spatiodynamique, 1953 Bild 20.: Albert Jean Gorin (1899–1981) im Jahr 1977, Quelle: Wikipedia Bild 21: Jean Albert Gorin: Composition Spatio-Temporelle Multivisuelle No. 37, 1967, Quelle: Artnet, www.artnet.de, Stand. 31. August, 2017, 12:00 Uhr Bild 22.: Salon d’Automne 1937, Paris, Plakat von Georges Dufrénoy und Katalog der Ausstellung, Quelle: Salon d’automne Homepage, http://www.salon-automne.com, Stand: 1. September 2017 Bild 23.: Lageplan der Weltausstellung 1937 (Exposition internationale Arts et Techniques dans la Vie moderne), Quelle : Wikiwand, http://www.wikiwand.com, Stand: 1. September 2017, 12:00 Uhr Bild 24.: Poster der Firma Urika Poupées d’Art, Quelle: Par Amour des Poupées Homepage, http://www.paramourdespoupees.com, Stand: 1. September 2017, 12:00 Uhr Bild 25.: Juri Gagarin - der erste Mensch im All, Foto: Blanche Shone/laif Bild 26.: Edwin Aldrin auf der Mondfläche fotografiert von Neil Armstrong, Quelle: NASA Bild 27.: Nicolas Schöffer: Stillleben aus der Serie ‚Cézanne Pastelle‘, Quelle: Observatoire Leonardo des Arts et des Technosciences Nicolas Schöffer Archive Homepage, Historique de l’œuvre graphique et peint, http://www.olats.org/schoffer/archives/peintur1.htm, Stand: 1. April 2017 Bild 28.: Paul Cézanne: Äpfel und Orangen, um 1899, Öl auf Leinwand, H. 74; B. 93 cm, Paris, Musée d'Orsay Bild 29:. Nicolas Schöffer: Drei Kathedralendarstellungen mit verschiedenen Farbstellungen, Quelle: Observatoire Leonardo des Arts et des Technosciences Nicolas Schöffer Archive Homepage, Historique de l’œuvre graphique et peint, http://www.olats.org/schoffer/archives/peintur1.htm, Stand: 1. April 2017, 12:00 Uhr Bild 30.: (links) Claude Monet: Kathedrale von Rouen Braune Harmonie Musée d'Orsay in Paris (Mitte) Claude Monet: Kathedrale von Rouen, Fassade, Pola Museum of Art in Hakone, (rechts) Claude Monet: Kathedrale von Rouen; Das Portal im Sonnenlicht, Sterling and Francine Clark Art Institute in Williamstown Bild 31.: Nicolas Schöffer: Drei Christuskopf Darstellungen, Quelle: Observatoire Leonardo des Arts et des Technosciences Nicolas Schöffer Archive Homepage, Historique de l’œuvre graphique et peint, http://www.olats.org/schoffer/archives/peintur1.htm, Stand: 1. April 2017, 12:00 Uhr Bild 32.: Nicolas Schöffer: Drei Bilder aus der Serie ‚Les Turcs‘, Quelle: Observatoire Leonardo des Arts et des Technosciences Nicolas Schöffer Archive Homepage, Historique de l’œuvre graphique et peint, http://www.olats.org/schoffer/archives/peintur1.htm, Stand: 1. April 2017, 12:00 Uhr Bild 33.: Nicolas Schöffer: Drei Männerköpfe aus der Serie ‚Gesichter‘, Quelle: Observatoire Leonardo des Arts et des Technosciences Nicolas Schöffer Archive Homepage, Historique de l’œuvre graphique et peint, http://www.olats.org/schoffer/archives/peintur1.htm, Stand: 1. April 2017, 12:00 Uhr Bild 34.: Nicolas Schöffer: Drei Frauenköpfe aus der Serie ‚Gesichter‘, Quelle: Observatoire Leonardo des Arts et des Technosciences Nicolas Schöffer Archive Homepage, Historique de l’œuvre


194 graphique et peint, http://www.olats.org/schoffer/archives/peintur1.htm, Stand: 1. April 2017, 12:00 Uhr Bild 35.: Nicolas Schöffer: Drei Bilder aus der von dem Surrealismus inspirierte Serie, Quelle: Observatoire Leonardo des Arts et des Technosciences Nicolas Schöffer Archive Homepage, Historique de l’œuvre graphique et peint, http://www.olats.org/schoffer/archives/peintur1.htm, Stand: 1. April 2017, 12:00 Uhr Bild 36.:Nicolas Schöffer: Surrealistische Darstellung eines Hahnes, Quelle: Observatoire Leonardo des Arts et des Technosciences Nicolas Schöffer Archive Homepage, Historique de l’œuvre graphique et peint, http://www.olats.org/schoffer/archives/peintur1.htm, Stand: 1. April 2017, 12:00 Uhr Bild 37.: Jean-Michel Atlan: Surrealistische Darstellung eines Hahnes, Quelle: Pinterest Bild 38.: Nicolas Schöffer: Zeichnungen aus dem Heft von Auvergne. Diese Zeichnungen nehmen während der Kriegsjahre die späteren abstrakten Arbeiten vorweg. Das Heft ist im Atelier in dem Villa des Arts aufbewahrt. Bild 39.: Nicolas Schöffer: Spatiodynamique 1(links), Spatiodynamique 2(Mitte) und zwei Skizzen. Die ersten spatiodynamischen Arbeiten wurden von industriellen Aufgaben inspiriert, in diesen Fällen von Semaphoren. Quelle: Observatoire Leonardo des Arts et des Technosciences Nicolas Schöffer Archive Homepage, Sculptures de Nicolas Schöffer, http://www.olats.org/schoffer/archives/peintur1.htm, Stand: 1. April 2017, 12:00 Uhr, Quelle der Skizzen: Archive der Nicolas Schöffer Sammlung in Kalocsa Bild 40.: Nicolas Schöffer: Spatiodynamische Pylone, Villa des Arts Paris Schöffer Atelier, Quelle: Observatoire Leonardo des Arts et des Technosciences Nicolas Schöffer Archive Homepage, Sculptures de Nicolas Schöffer, http://www.olats.org/schoffer/archives/peintur1.htm, Stand: 1. April 2017, 12:00 Uhr Bild 41.: Nicolas Schöffer: Spatiodynamische Skulptur, ausgestellt 2015 in der Kunsthalle (Műcsarnok) in Budapest, Foto: Ágota Nagy Bild 42.: Tamkó Sirató Károly: Dimenzionist Manifest, Quelle: Keserü Katalin: Tamkó Sirató Károly: A Dimenzionista manifestum Története, Artportal, www.artpool.hu, Stand:3. September 2017, 12:00 Uhr Bild 43.: Guillaume Apollinaire Figurengedichte, die Literatur befreit sich aus der Gefangenschaft der Linie, Quelle: Wikipedia Bild 44.: Marcel Duchamp: Roue de bicyclette; Die eigentliche Skulptur entsteht durch die Bewegung, Quelle: Wikipedia Bild 45.: Eléonore de Lavandeyra Schöffer mit der spatiodynamischen Uhr in der Kunsthalle (Műcsarnok) Budapest anlässlich der retrospektiven Nicolas Schöffer Ausstellung von Oktober 2015 bis Jänner 2016, Foto: Imre Földi Bild 46.: Nicolas Schöffer Spatiodynamique 22, installiert im Jahr 1980 in dem Hakone Open Air Museum, Japan; Bei den späteren spatiodynamischen arbeiten verschwanden die Farben, und die Ästhetik des Werkes wurde von der matten oder polierten Fläche des Metalls bestimmt. Schöffer verwendete Aluminium, Stahl, Messing und Kupfer. Foto: Eric Koh, Quelle: www.panoramio.com/photo/130687254, Stand: 3. September 2017, 12:00 Uhr Bild 47.: Nicolas Schöffer: SP27, auch CYSP0 genannt, Quelle: Observatoire Leonardo des Arts et des Technosciences Nicolas Schöffer Archive Homepage, www.olats.org, Stand: 1. April 2017, 12:00 Uhr


195 Bild 48.: Nicolas Schöffer: CYSP1, 1956, Quelle: Observatoire Leonardo des Arts et des Technosciences Nicolas Schöffer Archive Homepage, www.olats.org, Stand: 1. April 2017, 12:00 Uhr Bild 49.: Loïe Fuller in den Folies Bergère Foto und Poster¸ Quellen: Pinterest, Wikipedia Bild 50.: Moholy-Nagy Licht-Raum-Modulator 1922-30, Foto: Rainer K. Wick, Quelle. http://musenblaetter.de, Stand. 3. September, 2017, 12:00 Uhr Bild 51.: Victor Vasarely: Vega 200, Acryl auf Leinwand, 1968; Optische Vortäuschung eines dreidimensionalen Bildes; Quelle: http://www.opticalart.ch, Stand. 3. September, 2017, 12:00 Uhr Bild 52.: Nicolas Schöffer: Grundprinzip der am 14. Dezember 1956 im Patentamt eingereichten Patentes zur Lichtprojektion, Quelle: Katalog der Nicolas Schöffer Ausstellung von 12 November 2015 bis 7. Jänner 2016 in der Galerie Odalys, Madid Bild 53.: Nicolas Schöffer. LUX 10, Quelle: Lichtrouten 2013, Foto Jennifer Braun, http://lichtrouten.com, Stand. 3. September, 2017, 12:00 Uhr Bild 54.: Nicolas Schöffer Microtemp, Foto: László Ördög Bild 55.:Nicolas Schöffer: Detailaufnahmen einer Skulptur im Atelier, Villa des Arts, Paris; Zeitliche Koordinierung der Ereignisse mit aus Waschmaschinen demontierten Programmiereinheiten; Foto: László Ördög Bild 56.: Lakoon und seine Söhne, Marmor, Nachbildung aus hellenistischem Original von 200 v.Chr., gefunden auf dem Esquilin in Rom im Jahr 1506., Vatikanische Museen Bild 57.: Joseph Mallord William Turner: Schiffbruch des Minotaurus, um 1810, Calouste Gulbenkian Museum Bild 58.: Eadweard Muybridge: Woman Walking Downstairs aus: The Human Figure in Motion, um 1887, Quelle: Wikipedia Bild 59.: Étienne-Jules Marey: Bewegungsfotografie, Geometrische Chronophotographie eines Mannes in schwarzem Anzug, 1883; Chronofotographische Flinte, 1882, Quelle: Berkley University of California, http://www.berkeley.edu/, Stand: 4. September 2017, 12:00 Uhr Bild 60.: Étienne-Jules Marey: Chronofotografie eines Pelikanflugs, um 1882, Quelle: Wikipedia Bild 61.: Giacomo Balla: Dynamism of a Dog on a Leash, Öl auf Leinwand, 95.57 x 115.57 cm, 1912, Albright–Knox Art Gallery, New York Bild 62.: Giacomo Balla: Die Hand eines Violinisten, Quelle: Wikipedia Bild 63.: Denis René, renommierte Pariser Galeristin der kinetischen Kunst. In ihrer Galerie fand die erste Ausstellung der kinetischen Kunst mit dem Titel ‚Le Mouvement‘ statt. Quelle: Galerie Denis René Homepage: https://www.deniserene.fr/denise-ren%C3%A9/, Stand: 4. September 2017 Bild 64.: Victor Vasarely, Pontus Hulten, Roger Bordier: Manifest Jaune, verfasst anlässlich der ersten Ausstellung der kinetischen Kunst, mit dem Titel Le Mouvement, in der Galerie Denis René, Paris Bild 65.: Exposition Rörelse i konsten, Moderna Museet, Stockholm, 1961. Photo: Herbert Lindgrén, Quelle: Stockholmskällan, https://stockholmskallan.stockholm.se, Stand: 4. September 2017


196 Bild 66.: Kybernetische Seance. Konferenz 3. Mai 1947, Um den Tisch (von links nach rechts): Rafael Lorente de Nó (Neurophysiologe), Margaret Mead (Anthropologe), Kurt Lewin (Psychologe), Warren S. McCulloch (Neuropsychiater), Paul Lazarsfeld (Soziologe), Arturo Rosenblueth (Physiologe), Gregory Bateson (Antropologe), Ralph W. Gerard (Neurophysiologe), John von Neumann (Mathematiker), Heinz von Foerster (Elektroingenieur), Lawrence K. Frank (Sozialwissenschaftler), Norbert Wiener (Mathematiker), Heinrich Klüver (Psychologe), Molly Harrower (Psychologe). Bild 67.: Maison à cloisons invisibles (Hauses mit unsichtbaren Trennwänden), Salons BATIMAT der Öffentlichen Bauarbeiten in Saint-Cloud bei Paris, 1956, Quelle: Observatoire Leonardo des Arts et des Technosciences Nicolas Schöffer Archive Homepage, www.olats.org, Stand: 1. April 2017 Bild 68.: Maison tout en plastiques, Salon des Arts ménagers, Paris, 1956 ; Gemeinsame Räumlichkeiten befinden sich im Zentralbau, die Individuellen Zimmer um den kreisförmigen Kern, Quelle : Frac Centre Homepage, Stand 1. September 2017, http://www.frac-centre.fr/collection-artarchitecture/schein-ionel/maison-tout-plastiques-salon-des-arts-menagers-paris64.html?authID=171&ensembleID=554 Bild 69.: Grey Walter, Quelle: Cyberneticzoo, a history of cybernetic animals and early robots, http://cyberneticzoo.com/cyberneticanimals, Stand:4. April, 2017 Bild 70.: Walter Gray: Elmer und Elsie zur Simulierung der Pawlowschen Reflexe, Quelle: Cyberneticzoo, a history of cybernetic animals and early robots, http://cyberneticzoo.com/cyberneticanimals, Stand: 4. April, 2017 Bild 71.: “Tinius” the Cybernetic Turtle – Rice University (America), 1950, Quelle: Cyberneticzoo, a history of cybernetic animals and early robots, http://cyberneticzoo.com/cyberneticanimals, Stand: 4. April, 2017 Bild 72.: Paul-Alain Amouriq: Kybernetische Schildkröte, 1951, Foto: P.A .Amouriq 2009, Quelle: Cyberneticzoo, a history of cybernetic animals and early robots, http://cyberneticzoo.com/cyberneticanimals, Stand:4 April, 2017 Bild 73.: Dániel Muszka mit dem kybernetischen Marienkäfer, Universität Szeged, 1957, Quelle: Sulinet, http://tudasbazis.sulinet.hu/hu/informatika, Stand: 8 August 2017 Bild 74.: Dániel Muszka: kybernetischer Marienkäfer, Universität Szeged, 1957, Quelle: Sulinet, http://tudasbazis.sulinet.hu/hu/informatika, Stand: 8 August 2017 Bild 75.: Nicolas Schöffer: CYSP 0 (1956), schwarzer Stahl, polychrome Aluminium, Höhe 2m, Quelle: Observatoire Leonardo des Arts et des Technosciences Nicolas Schöffer Archive Homepage, www.olats.org, Stand: 9. April 2017 Bild 76.: Nicolas Schöffer: CYSP1, Quelle: Múseum, a magyar múzeumok honlapja, http://www.museum.hu, Stand:5. September 2017 Bild 77.: SCAM1 unterwegs bei dem Tour Eiffel, Quelle: Observatoire Leonardo des Arts et des Technosciences Nicolas Schöffer Archive Homepage, www.olats.org, Stand: 9. April 2017 Bild 78.: Ördög Noémi: digitale Rekonstruktion von SCAM1 für den Film ‚Die wunderbare Welt von Nicolas Schöffer‘ Bild 79.: Niko de la Faye mit M2B bei der Pyramide von Louvre, Quelle: Niko de la Faye Homepage, http://www.nikodelafaye.com/, Stand: 3. August 2017, 12:00 Uhr


197 Bild 80.: Niko de la Faye M2B während der Nacht, Quelle: Niko de la Faye Homepage, http://www.nikodelafaye.com/, Stand: 3. August 2017, 12:00 Uhr Bild 81.: Nicolas Schöffer: SCAM1 (1973) und Niko de la Faye: M2B (2014) vor dem Arc de Triomphe in Paris, Niko de la Faye Facebook, https://www.facebook.com/ndelafaye, Stand: 3. August, 2017, 12:00 Uhr Bild 82.: Nicolas Schöffer: spatiodynamischer Turm, Biot, 1950, Quelle: Busson, Nathalie: Nicolas Schöffer (1912-1992): De l’Objet à l’Urbaniisme, Diplomarbeit, Université de Provence Aix – Marseille, 1998-1999, Seite 79. Bild 83. und 84.: Nicolas Schöffer: spatiodynamischer und kybernetischet Turm, Parc de Saint Cloud, 1954, Quelle: Jean-Noël Montagné : 50 ans d'Art Interactif — La naissance de l'art interactif, 2004, http://www.artsens.org/cinquanteans.html, Stand : 6. September 2017, 12:00 Uhr Bild 85.: Nicolas Schöffer: Der kybernetische Turm in Liège, 1961, Quelle: La tour cybernétique, cette «antenne GSM» qui fait la fierté de Liège, http://www.lavenir.net/cnt/dmf20141213_00573250, Stand : 1. September 2017, 12:00 Uhr Bild 86.: Nicolas Schöffer: Der kybernetische Turm in Liège (1961) und die Lichtfassade in der Nacht, Quelle: Observatoire Leonardo des Arts et des Technosciences Nicolas Schöffer Archive Homepage, www.olats.org, Stand: 9. April 2017 Bild 87.: Nicolas Schöffer. Tour Lumière Cybernetique, geplant für den Stadtteil La Défence in Paris. Die Artikel erschien in der Zeitung ‘Paris Match’ im Juli 1967 Bild 88.: Nicolas Schöffer Tour Lumière Cybernetique eingereicht für den Gound Zero Wettbewerb vom Architektenbüro Alternativ Espaces, Foto: Ágota Nagy Bild 89.: Nicolas Schöffer: Tour Lumière Cybernetique Rekonstruktion in Second Life, Art Space Diabolus, Foto : László Ördög Bild 90.: Constant Nieuwenhuys mit dem Model von New Babylon, Quelle: Buitenbeeldinbeeld, beelden in de (semi) openbare ruimte, http://www.buitenbeeldinbeeld.nl/Constant/Fragment.htm , Stand: 7. September 2017, 12:00 Uhr Bild 91.: Constant Nieuwenhuys New Babylon Skizze, Quelle: Designscience: Constant’s New Babylon, https://medium.com/designscience , Stand: 7. September 2017, 12:00 Uhr Bild 92.: Yona Friedman: La Ville Spacial, Tinte und Filz auf Papier, Quelle: Archipass Homepage, http://archispass.org/yona-friedman-la-ville-spatial/, Stand: 7. September 2017, 12:00 Uhr Bild 93.: Antonio Sant‘Elia: La città nuova Quelle: https://curiator.com/art/antonio-santelia, Stand: 7. September 2017 Bild 94.: Nicolas Schöffer: Die Kybernetische Stadt, Verwaltungszentrum mit spatiodynamischem Turm und Projektionen auf einer gewölbten Fassade. Quelle: Sous les jupes de la metropole, Les urbanités de Nicolas Schöffer, https://souslesjupesdelametropole.wordpress.com/2013/11/25/les-urbanites-de-nicolas-schoffer/, Stand: 1. September 2017 Bild 95.: Nicolas Schöffer: Die Kybernetische Stadt, Administrative Zentrale, Quelle: Sous les jupes de la metropole, Les urbanités de Nicolas Schöffer, https://souslesjupesdelametropole.wordpress.com/2013/11/25/les-urbanites-de-nicolas-schoffer/, Stand: 1. September 2017, 12:00 Uhr


198 Bild 96.: Nicolas Schöffer: Die Kybernetische Stadt, Wissenschaftliches Forschungszentrum, Quelle: Sous les jupes de la metropole, Les urbanités de Nicolas Schöffer, https://souslesjupesdelametropole.wordpress.com/2013/11/25/les-urbanites-de-nicolas-schoffer/, Stand: 1. September 2017, 12:00 Uhr Bild 97.: Nicolas Schöffer: Die kybernetische Stadt, Universität, Quelle: Observatoire Leonardo des Arts et des Technosciences Nicolas Schöffer Archive Homepage, www.olats.org, Stand: 9. April 2017 Bild 98. Edouard Albert: Projet de Tour arborescente, Place de la Résistance, Paris 7e, 1963-1964, Quelle: Expo Revue, Maquette, http://www.exporevue.com/magazine/fr/albert.html, Stand: 5. Mai 2017, 12:00 Uhr Bild 99.: Nicolas Schöffer, Claude Parent: Alpha d’Abitat, Grundriss einer Wohneinheit, 1954-55, Zeichnung auf Transparentpapier, 34cm x 65cm, © François Lauginie, Frac Centre Collection Art et Architecture, http://www.frac-centre.fr/collection-art-architecture/schoffer-nicolas/projets-spatiodynamiques64.html?authID=253&ensembleID=575, Stand: 5. Mai 2017, 12:00 Uhr Bild 100.: Nicolas Schöffer, Claude Parent: Alpha d’Abitat, Perspektive einer Wohneinheit, Zeichnung auf Papier, 54.1 x 71.7 cm, © François Lauginie, Frac Centre Collection Art et Architecture, http://www.frac-centre.fr/collection-art-architecture/schoffer-nicolas/projets-spatiodynamiques64.html?authID=253&ensembleID=575, Stand: 5. Mai 2017, 12:00 Uhr Bild 101.: Nicolas Schöffer, Claude Parent: Alpha d’Abitat, Verteilung der Wohneinheiten, Tinte auf Transparentpapier, 45 x 62 cm, © François Lauginie, Frac Centre Collection Art et Architecture, http://www.frac-centre.fr/collection-art-architecture/schoffer-nicolas/projets-spatiodynamiques64.html?authID=253&ensembleID=575, Stand: 5. Mai 2017, 12:00 Uhr Bild 102.: Nicolas Schöffer, Claude Parent: Alpha d’abitat, Wohnblock, Tinte auf Transparentpapier, 1957, 36.5 x 44.5 cm, © François Lauginie, Frac Centre Collection Art et Architecture, http://www.frac-centre.fr/collection-art-architecture/schoffer-nicolas/projets-spatiodynamiques64.html?authID=253&ensembleID=575, Stand: 5. Mai 2017, 12:00 Uhr Bild 103.: Nicolas Schöffer Centre Loisir Sexuel innen, Quelle: Kalocsa Archiv Bild 104.: Nicolas Schöffer Centre Loisir Sexuel außen, Quelle : Kalocsa Archiv Bild 105.: Guillaume Richard: Installation von dem Centre Loisir Sexuel im Zeitgenössisches Kulturzentrum von Barcelona, 2016, Quelle: Datoo Architektenbüro Homepage, http://www.datoo.fr/index.php?/installationse/1000-m-de-desirs/, Stand: 1. September 2017 Bild 106.: Nicolas Schöffer: 600m hoher Tour Soleil geplant für die Olimpische Spiele 1984 in Los Angeles, Fotomontage von Bernard Vincent, für den Katalog der Ausstellung „Kunst und Wissenschaft im Dienste der Ausbildung: Lichter von Nicolas Schöffer“, die im Jahr 1994 unter der Schirmherrschaft der UNESCO in Amiens stattfand, Quelle: Observatoire Leonardo des Arts et des Technosciences Nicolas Schöffer Archive Homepage, www.olats.org, Stand: 9. April 2017 Bild 107.: Nicolas Schöffer Sonnenturm für den Wettbewerb in Newwark 1985, Quelle: Datoo Architektenbüro Homepage www.datoo.fr , Stand 1. September 2017, 12:00 Uhr Bild 108.: Nicolas Schöffer Tour Soleil, 1983, Quelle: Schöffer Sammlung Archiv, Kalocsa


199 Bild 109.: Nicolas Schöffer: Einige Skizzen aus der Serie ‚Les Basculantes‘, Quelle: Schöffer Sammlung Archiv, Kalocsa Bild 110.: Nicolas Schöffer: Zeichnung einer Hydro-Thermo-Chronos Fontäne, Quelle: Observatoire Leonardo des Arts et des Technosciences Nicolas Schöffer Archive Homepage, www.olats.org, Stand: 9. April 2017, 12:00 Uhr Bild 111.: Nicolas Schöffer: Zeichnung einer Hydro-Thermo-Chronos Fontäne, Quelle: Observatoire Leonardo des Arts et des Technosciences Nicolas Schöffer Archive Homepage, www.olats.org, Stand: 9. April 2017, 12:00 Uhr Bild 112.: Noémi Ördög: Digitale Rekonstruktion einer Hydro-Thermo-Chronos Fontäne von Nicolas Schöffer Bild 113.: Nicolas Schöffer: Les Percussonor, Seite aus dem Dossier Percussonor, Quelle: Archiv der Schöffer Sammlung in Kalocsa Bild 114.: Einweihung der LUX 10K in Busan, Südkorea, Höhe 14m, Foto: Guillaume Richard Bild. 115.: Nicolas Schöffer Installation der Ausstellung VIIIe Congrès International des Géomètres Sorbonne (Paris, 1953), Quelle : Nicolas Schöffer Archiv Homepage, http://www.olats.org/schoffer/archives/arch0058.htm, Stand: 12. Dezember 2017, 12:00 Uhr Bild. 116:. Paul Bernard: Pläne der Disco Voom Voom von Juan les Pins, eingezeichnet ist eine Lichtwand von Schöffer hinter dem Orchester, Quelle: Anne-Marie Fèvre: La discothèque, architecture des flux, http://delibere.fr/discothequearchitecture-des-flux/, Stand : 12.12.2017, 18 :00 Uhr Bild.117.: Beaubourg Wettbewerb 1971, Quelle: Katalog der Ausstellung Nicolas Schöffer, Retrospektive von 2015 Oktober bis 2016 Januar in der Kunsthalle (Műcsarnok) Budapest, Herausgeber: Műcsarnok Nonprofit Kft. 2015 Bild. 118.: Nicolas Schöffer Maison Expérimental Lumino-Dynamique 1952 Quelle: Katalog der Ausstellung Nicolas Schöffer, Retrospektive von 2015 Oktober bis 2016 Januar in der Kunsthalle (Műcsarnok) Budapest, Herausgeber: Műcsarnok Nonprofit Kft. 2015 Bild. 119.: Victor Baltard: Les Halles, Visualisierung des Plans, 1863 Quelle: Wikipedia, Les Halles (En), Stand: 1. September 2017, 12 :00 Uhr Bild. 120.: Nicolas Schöffer: Les Halles Wettbewerbprojekt, 1975 Quelle: Mit Genehmigung aus dem Archiv von Ágota Erzsébet Nagy Bild:121. Nicolas Schöffer: Modell des Meditationszentrums, "Grand Centre de Réflexion Polyèdrique" Quelle: Katalog der Ausstellung Nicolas Schöffer, Retrospektive von 2015 Oktober bis 2016 Januar in der Kunsthalle (Műcsarnok) Budapest, Herausgeber: Műcsarnok Nonprofit Kft. 2015 Bild 122. Ágota Nagy, Mária Nagy und László Fodor: Pläne der Opera de La Basille Wettbewerb Quelle: Mit Genehmigung des Archivs von Ágota Erzsébet Nagy Bild 123.: (links) Nicolas Schöffer, Ágota Nagy, Mária Nagy und László Fodor: Visualisierung der Hydro-Thermo-Chronos Fontaine für den Wettbewerb Opera de La Bastille Quelle: Mit Genehmigung des Archivs von Ágota Erzsébet Nagy


200 Bild 124: (rechts) Pierre André Dufétel, Nicolas Schöffer: Frankreich-Japan Triparcom Wettbewerb Quelle: Mit Genehmigung des Archivs von Ágota Erzsébet Nagy Bild 125.: Gordon Pask: The Colloquy of Mobiles, 1968, Quelle: Media Art Net http://www.medienkunstnetz.de/assets/img/data/3760/full.jpg, Stand: 2. Dezember 2017, 14:00 Uhr Bild 126.: Zwei Szenen aus dem Film Hilfe, Hilfe, die Globolinks Quelle: Die, Danger, Die, Die, Kill! Bolgspot. http://diedangerdiediekill.blogspot.hu/2017/05/help-help-globolinks-west-germany-1969.html, Stand: 19. September 2017, 14:00 Uhr Bild 127.: Augenblicke der KYLDEX1 Aufführung im Hamburgischen, Einzelbilder aus der Videoaufnahme, Quelle: Archiv Nicolas Schöffer Bild 128. Bilder aus den Filmen Spatiodynamique und Variations Luminodynamiques, Quelle: Katalog der Ausstellung Nicolas Schöffer in der Galerie Odalys von 12 November bis 7. Jänner in Madrid. Bild 129.: Licht und Bewegung, Paco Rabanne Modeschau im Museum der Modernen Künste Paris, 1967. Die Modeschau war mit einem Spektakel verbunden. Nicolas Schöffer richtete den Laufsteg mit seinen Skulpturen ein. Einzelbild der Videoaufnahme, Quelle: British Pathé, https://www.britishpathe.com/video/cinetic-fashions-aka-paco-rabanne-way-outfashions/query/Paco+Rabanne, Stand: 1.September 2017, 14:00 Uhr Bild 130.: Ben Laposky: Oscillons, Electronic Abstraction 27, Quelle: http://spalterdigital.com/artworks/electronic-abstraction-27/Bild, Stand: 1. December 2017, 21:00 Uhr Bild 131.: Ken Knowlton, Leon Harmon: Computer Nude (Studies in Perception I), 1967, Quelle: https://hanneshuybrechts.wordpress.com/2015/03/07/ken-knowlton/, Stand:1. December 2017, 21:00 Uhr Bild 132.: William Fetter: First Boeing Man, © Boeing, Quellen: http://www.boeingimages.com/archive/William%20Fetter's%20Boeing%20Man-2F3XC5YCZNC.html http://dada.compart-bremen.de/item/artwork/996, Stand:. December 2017, 21:00 Uhr1 Bild 133.: Nicolas Schöffer: Grafiken aus der letzten Periode der künstlerischen Laufbahn, Quelle: Nicolas Schöffer Archiv Bild 134.: Expositions Art et cybernétique et Nouvelle scénographie, Nicolas Schöffer und Roger Lafosse, Galerie des Beaux-Arts de Bordeaux, Sigma 1, 1965, © DR Bild 135. Kinder bewundern das große Prisma im Schöffer Museum in Kalocsa, Foto: Klára Gehér Bild 136. Ausstellung der eingereichten Arbeiten für den Wettbewerb ‚Wie ich mir Paris vorstelle, Foto: Klára Gehér ‘ Bild 137. Eintrag eines Kindes im Gastbuch, Foto: Mácsainé Iván Éva Bild 138.: Nicolas Schöffer: Mur Lumière anlässlich des Autosalons 1966, Quelle: Archiv Nicolas Schöffer


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9.2. Literaturverzeichnis 9.2.1. Liste der Quellen von Zitaten S3./3. Habasque, Guy: Katalog der Ausstellung Nicolas Schöffer in Musée des Arts Décoratifs, Paris im Jahr 1963, Seite 13. S4./4. Schwarz, Michael: Eine kurze Geschichte der Lichtkunst im öffentlichen Raum, http://www.michaelschwarz.org/pdf/geschichte-der-lichtkunst.pdf, Stand: 22.02.2018, 12:30 Uhr S4./5. Denis René Galerie Homepage, sch%C3%B6ffer/, Stand: 22.02.2018, 12:30 Uhr

https://www.deniserene.fr/artistes/nicolas-

S5./8. Faré, Michel: Katalog der Ausstellung Nicolas Schöffer in Musée des Arts Décoratifs, Paris im Jahr 1963, Seite 3. S13./13. Collin, Jean-Damien: Zitat aus dem Buch Nicolas Schöffer, Les Press du Réel, 2004, Seite 10. S14./14. Sers, Philippe: Zitat aus dem Buch Nicolas Schöffer, Les Press du Réel, 2004, Seite 10 S19./15. Schöffer, Eléonore de Lavandeyra: Leonardo Archive Homepage, Le nouvel esprit artistique, https://www.olats.org/schoffer/archives/linouesa.htm, Stand: 31. August, 2017. 20:00 Uhr S27./16. Schöffer, Eléonore de Lavandeyra: Leonardo Archive Homepage, Nicolas Schöffer inconnu, https://www.olats.org/schoffer/archives/cataltxt1.htm, Stand 1. Sept. 2016. 12:00 S28./17. Kriegel, Blandine: Philosophie de la République (p. 104), Plon Ed., 1998 S29-30./118. Schöffer, Nicolas: Schrift aus dem Archiv der Schöffer Sammlung in Kalocsa S34-35./23. Schöffer, Nicolas: Brieffragment aufbewahrt im Schöffer Atelier, Villa des Arts Paris, und zitiert in dem Schrift Maude Ligier: La rupture dans l’œuvre du Nicolas Schöffer, Seite 27. S35./24. Nicolas Schöffer, zitiert in Sers, Philippe: Entretiens avec Nicolas Schöffer, éditions Pierre Belfond, Paris, 1971, p. 21 S35./25. Nicolas Schöffer, zitiert in Sers, Philippe: Entretiens avec Nicolas Schöffer, éditions Pierre Belfond, Paris, 1971, p. 25


203

S36./26. Arts at sciences, in Le nouvel esprit artistique, édition Denöel-Gonthier, Paris, 1970, p. 108 S45./27. Schöffer, Eleonore de Lavandeyra: L’œuvre peint et dessine de Nicolas Schöffer, Nicolas Schöffer Archiv homepage, https://www.olats.org/schoffer/archives/cataltxt1.htm, Stand: 31. August 2017 S46./28. Schöffer, Eleonore de Lavandeyra: L’œuvre peint et dessine de Nicolas Schöffer, Nicolas Schöffer Archiv homepage, https://www.olats.org/schoffer/archives/cataltxt1.htm, Stand: 31. August 2017 S46./29. Nicolas Schöffer, zitiert in Ferrier, Jean Louis: Entretien avec Nicolas Schöffer, nicht veröffentlicht, 1974, Seite. 98, S46./30. Nicolas Seite 39.

Schöffer, zitiert in

Ligier, Maude: La rupture dans l’œuvre du Nicolas Schöffer,

S53./31. Nicolas Schöffer, zitiert in Sers, Philippe: Entretiens avec Nicolas Schöffer, éditions Pierre Belfond, Paris, 1971, p. 24. S54./32. Schöffer, Nicolas: Notiz am 18. Oktober 1944. im Heft Nr.2. von Auvergne, aufbewahrt im Atelier in Paris S55./33. Schöffer, Nicolas: Interview erschienen in dem Magazin l’Express 7-13 Juli 1969, mit dem Titel L’Express va plus loin avec Nicolas Schöffer, Seite 83 S57-58./35. Schöffer, Nicolas: Interview erschienen in dem Magazin l’Express 7-13 Juli 1969, mit dem Titel L’Express va plus loin avec Nicolas Schöffer, Seite 82. S58./36. Schöffer, Nicolas: Interview erschienen in dem Magazin l’Express 7-13 Juli 1969, mit dem Titel L’Express va plus loin avec Nicolas Schöffer, Seite 82. S59./37. Schöffer, Nicolas: Interview erschienen in dem Magazin l’Express 7-13 Juli 1969, mit dem Titel L’Express va plus loin avec Nicolas Schöffer, Seite 82. S59./38. Schöffer, Nicolas: Notiz im Heft Nr. 2 von Auvergne, Essay Peinture et libeté, das Heft ist im Atelier Schöffer in Paris aufbewahrt S59-60./39. Schöffer, Nicolas: Interview erschienen in dem Magazin l’Express 7-13 Juli 1969, mit dem Titel L’Express va plus loin avec Nicolas Schöffer, Seite 81. S60./40. Schöffer, Nicolas: Interview erschienen in dem Magazin l’Express 7-13 Juli 1969, mit dem Titel L’Express va plus loin avec Nicolas Schöffer, Seite 86


204

S60./41. Philippe, Sers: Entretiens avec Nicolas Schöffer, éditions Pierre Belfond, Paris, 1971, p. 24. S62./42. Nicolas Schöffer, zitiert in Sers, Philippe: Entretiens avec Nicolas Schöffer, Paris, Belfond, 1971, p.130 S64-65./43. Schöffer, Nicolas: Definition der Kybernetik, Quelle: Observatoire Leonardo des Arts et des Technosciences Nicolas Schöffer Archive Homepage, www.olats.org, Stand : 31. August 2017, 12:00 S70./44. Seuphor, Michel: Text zur Ausstellung Schöffer — Œuvre Spatiodynamique in der Galerie Mai, 1952, Observatoire Leonardo des Arts et des Technosciences Nicolas Schöffer Archive Homepage, www.olats.org, Stand: 1. April 2017 S78./46. und 47. Nicolas Schöffer, zitiert in Observatoire Leonardo des Arts et des Technosciences Nicolas Schöffer Archive Homepage, www.olats.org, Stand : 31. August 2017 S87./49. Schöffer, Nicolas: Definition der Kybernetik, Observatoire Leonardo des Arts et des Technosciences, Nicolas Schöffer Archive Homepage, https://www.olats.org/schoffer/archives/listdef.htm, Stand: 1. April 2017 S90./50. Mandelbaum, Jean: Nicolas Schöffer à la recherche de l'art total, Le Monde 02.08 1982. Seite 91. S91./51. Mandelbaum, Jean: Nicolas Schöffer à la recherche de l'art total, Le Monde 02.08 1982. Seite 91. S92./52. Schöffer, Nicolas: Le Spatiodynamique S117./57. Nicolas Schöffer, zitiert Cybernetique et Architecture

in

Tournon-Branly, Marion: Entretiens avec Nicolas Schöffer,

S121./62. Nicolas Schöffer, zitiert Cybernetique et Architecture

in

Tournon-Branly, Marion: Entretiens avec Nicolas Schöffer,

S121-122./63. Nicolas Schöffer, zitiert in Tournon-Branly, Marion: Entretiens avec Nicolas Schöffer, Cybernetique et Architecture

9.2.2. Verwendete Publikationen von Nicolas Schöffers Le Spatiodynamisme, AA Verlag, Boulogne sur Seine, 1955. La Ville cybernétique, Tchou Verlag, Paris, 1969 Le Nouvel esprit artistique, Denoël-Gonthier Verlag, Paris, 1970, (Einführung : Philippe Sers) La Tour lumière cybernétique, Denoël-Gonthier Verlag, Paris, 1973.


205

9.2.3. Weitere verwendete Texte von Nicolas Schöffer Discours de réception à l'Académie des Beaux-Arts, Institut de France, Paris, 1982. Sur l'aménagement du temps. Essai de Chronogénie. Denoël-Gonthier Verlag, Paris, 1974. Mit Beiträgen von Joël de Rosnay, Michel Serres, J.P. Dupuy, René Zazzo, Edgar Ascher, Jean Cloutier, E.J. Koelin. La Ville cybernétique, Revue Geometrie, Nr 4. Juni, 1966 Nicolas Schöffer über seine Herkunft, Text im Archiv der Nicolas Schöffer Sammlung, 2. 10, 1976 Dossier La tour cybernétique de Liège, Texte von Nicolas Schöffer, Maurice Bomersomme, Henry Pousseur, Jean Séaux, Archive der Nicolas Schöffer Sammlung, 31.07.1978 Schöffer, Nicolas: Sonic and Visual Structures: Theory and Experiment, Leonardo, Vol. 18. No. 2 pp 59-68, 1985, Kopie aus dem Archiv der Nicolas Schöffer Sammlung in Kalocsa

9.2.4. Gespräche, Interviews Sers, Philippe: Entretiens avec Nicolas Schöffer, Pierre Belfond Verlag, Paris, 1971 Ferrier, Jean-Louis: Entretiens avec Nicolas Schöffer, nicht veröffentlicht, 1974 Tournon-Branly, Marion: Entretien avec Nicolas Schöffer, Cybernetique & Architecture Sonic and Visual Structures: Theory and Experiment, Revue Leonardo, 1983

9.2.5. Monografien Cassou, Jean; Habasque, Guy; Menetier, Jaques: Nicolas Schöffer, Serie La sculpture de se siècle von Marcel Joray, Griffon Verlag, Neuchâtel, 1963 Aknai, Tamás: Nicolas Schöffer, Corvina Verlag, Budapest, 1975, 31+[52] pp.

9.2.6. Kataloge Hommage à Nicolas Schöffer 1912-1992, Centre NOROIT, Arras, 22. Januar - 17.April 1994, Text: Michel Ragon: Nicolas Schöffer, architecte et urbaniste Schöffer plasticien, Galerie des Deux Iles, Paris, 1950, Text: Raymond Bayer Schöffer, œuvres spatiodynamiques, Galerie Mai, Paris, 1952, Text: Michel Seuphor Schöffer, Galerie Denis René, Paris, 1958, Text : Marcel Brion und Nicolas Schöffer Schöffer, The Institute of contemporary Art, London, 1960, Sammlung Denis René, Paris, Text: Jean Cassou und Guy Habasque Schöffer, Palais des Beaux-Arts, Brüssel, 1961,Text: Jean Cassou und Jean Seaux Schöffer, Nicolas: Space, Light, Time, ed. Jean Cassou, trans. Haakon Chevalier, Neuchâtel: Griffon, 1963, 149 pp. Texte von Guy Habasque und Jacques Ménétrier. (Englisch) Schöffer, Nicolas: Ruimte, licht, tijd, ed. Jean Cassou, Amsterdam: Stedelijk Museum, 1964, [20] pp. (Holländisch) Schöffer, Nicolas: Microtemps, Paris: Galerie Denise René, 1966. , Text: Nicolas Schöffer Schöffer, Nicolas: Kinetische Plastik, Licht, Raum, Bewegung, ed. Karl Ruhrberg, Düsseldorf: Städtische Kunsthalle, 1968. (Deutsch) Mini effets, mini sculptures, Galerie Denis René, Paris, 1969


206 Spatiodynamisme, luminodynamisme, chronodynamisme, cybernétique. Recherches de 1948 à 1970, Paris: Denise René, 1970. (Französisch) Chronos 13, Galerie Denis René, Paris, 1974 SCAM 1, Galerie Denis René, Paris, 1974 Schöffer, Nicolas: Chronos 15, Bonn: Kunstmuseum, 1977. (Deutsch) Schöffer Gyüjtemény, Kalocsa, 1980 Nicolas Schöffer, 1912-1992, ed. Zoltán Rockenbauer, Budapest: Műcsarnok, 2015, 55 pp. (Ungarisch/Englisch) Nicolas Schöffer, Galería Odalys, Madrid , Text: Arnauld Pierre

9.2.7. Diplomarbeiten Busson, Nathalie: Mémoire de Maîtrise, Nicolas Schöffer (1912-1992) : De l’objet à l’Urbanisme, Professor : Claude Massu, Université de Provence Aix-Marseille 1, 1988-1999 Ligier, Maude: La rupture dans l’œuvre de Nicolas Schöffer, Professor: Serge Lemoine, Sorbonne, Paris, 2000 Dr. Magóné, Tóth Gyöngyi: A zsidóság története Kalocsán, Szegedi Tudományegyetem, Bölcsészettudományi Kar, Szeged, Professor: Dr. Pihurik Judit, 2004 Hangyel, Orsolya: Nicolas Schöffer munkássága, valamint a kinetikus és kibernetikus művészet magyarországi vonatkozásai, Eötvös Loránd Tudományegyetem, Budapest, 2005 Tamás, Eszter: Kinetikus törekvések a XX. Század második felének magyar művészetében, Pázmány Péter Katolikus Egyetem, Bölcsészettudományi kar, Művészettörténet tanszék, Professor: Révész Emese, 2007 Rovescalli, Andrea: The domestication of kinetic art, The Lumino by Nicolas Schöffer, Haute École d’Art et de Design, Genf, Professor: Daniel Pinkas, 2014 Ördög, Noémi Anna: Schöffer Holochron, Universität für Angewandte Kunst Wien, Institut Design, Klasse für Grafik-Design, Professor: Oliver Kartak, 2016

9.2.8. Artikels « L’aménagement du temps » au Club 44, Dans le cadre du symposium international de septembre, L’Express, 21.06, 1978, Seite 6. Symposium de chronogénie : un question de temps…, L’Express, 05.10, 1978, Seite 6 Bagarres et arrestation à Venise, Pout l’ouverture de la Biennale, L’Express, 19. 06. 1968, Seite 20. L’Express va plus loin avec Nicolas Schöffer, l’Express 7-13 Juli 1969, Seite 80.] Michel, Jacques: Les lumières sculptées de Nicolas Schöffer, Le Monde, 23. 5. 1974 Das Wird Ein Unglaubliches Fest — Nicolas Schöffer über die programmierte Kunst der Zukunft, Der Spiegel 7/1970, Online URL: http://www.spiegel.de/spiegel/print/d-45202705.html, Stand 8.02.2018, 20:00 KUNST / UTOPIEN An der Schwelle, Der Spiegel, Nr. 15/1968 Lonchampt, Jacques: Creation de « KYLDEX 1 » de Nicolas Schöffer et Pierre Henry, Le Monde, 25.2.1973 Nicoas Schöffer et l’affaire Dubuffet, Le Monde, 28. 6. 1977 KYLDEX 1, International Lighting Review, Vol. XXV. Nr.2. 1974


207 Cysp 1, danseuse étoile est un robot cybernétique, œuvre du sculpteur abstrait Nicolas Schoffer, Science et Vie, n° 468, September 1956, 4 Seiten Kunst fürs Volk, Der Elektrokonzern Philips macht’s möglich, Zeit Online, 13. September 1968, 7:00 Uhr Blaschke, Estelle; Nedo, Kito: Nicolas Schöffer // Elektroblitze über Paris, DeBug Elektronische Lebensaspekte Homepage, 25.8.2005, http://de-bug.de/mag/nicolas-schoffer-elektroblitze-uber-paris/, Stand: 8.2.2018, !3:00 Schöffer, Nicolas: Ce que sera la tour Schöffer, erschienen in der Revue Preuves im Oktober 1971, Online URL: http://slow.free.fr/clans/pages/litterature/schoffer_tour.htm, Stand: 8.2.2018., 13:00 Dagen, Philippe: L'art total de Nicolas Schöffer, chantre de la modernité, Le Monde, 12.05.2005, Online URL: http://www.lemonde.fr/culture/article/2005/05/12/exposition-l-art-total-de-nicolasschoffer-chantre-de-la-modernite_648937_3246.html, Stand: 8.2.2018., 13:00 Van de Wyngaert, Perle: Les urbanités de Nicolas Schöffer, Sous Les Jupes de la Métropole, 25.11. 2013, https://souslesjupesdelametropole.wordpress.com/2013/11/25/les-urbanites-de-nicolas-schoffer/, Stand: 8.2.2018., 14:00 Cottin, Gérard: “CYSP 1” danseuse-étoile est un robot, Science et Vie, September 1956, Online URL: http://cyberneticzoo.com/tag/nicolas-schoffer/, Stand: 8.2.2018., 14:00 Bodri, Ferenc: Autószobor és kockaszerkezet, XIX. Évfolyam, 5.szám, 1975. Február 1. Geri: Ha a férjem élne sírva fakadna, Délvidék, 1955. November 3. V. évfolyam 41. Szám Hanthy: Bezár-e a Schöffer Múzeum? — A kalocsai Önkormányzat nem bírja a terheket, Magyar Nemzet, Szombat, 1955. Október 14. Télen bezár a kalocsai Schöfffer Múzeum?, Népszabadság, 1995. Október 30. Hétfő Melegért küzd a múzeum — Kalocsa vezetése az anyagiakra hivatkozik, 1995. Október 9. Hétfő Baignères, Claude: Nicolas Schöffer - Pierre Henry - Alwin Nikolaïs - Le dernier spectacle à Hamburg, Kopie eines Artikels im Archiv des Schöffer Museums in Kalocsa, 1973 Art: Schöffer’s Chilly, Kinetic Works, New-York Times 27 Mai 1972 Saturday


208

10. Anhang III. Weiterführende Literatur für Kuratoren 10.1 Nicolas Schöfer Artiste Contemporain Hongrois: Nicolas Schöffer, Simon Hantai, Pierre Székely, Judit Reigl, Ervin Patkai, Herausgeber: Livres Groupe, Verlag: General Books LLC, 2010, ISBN: 1159689741, 192 Seiten9781159689742, 30 Seiten 2 Kinetic Sculptors: Nicolas Schöffer and Jean Tinguely, Mitwirkende: Jewish Museum New York, Jean Cassou, Verlag: Jewish Museum, 1965, 60 Seiten

10.2. Skulptur Seuphor, Michel: La sculpture de ce siècle; Dictionnaire de la sculpture moderne, Herausgeber: Éditions du Griffon, Neuchâtel, 1959, 373 Seiten M. Busch, Julia: A Decade of Sculpture: the New Media in the 1960s, The Art Alliance Press Philadelphia and Associated University Presses London, 1974. Burnham, Jack: Beyond Modern Sculpture: The Effects of Science and Technology on the Sculpture of This Century, Verlag: George Braziller Inc, Juni 1968, 416 Seiten, ISBN-10: 0807607150

10.3. Technologie und Kunst Popper, Frank: From Technological to Virtual Art, MIT Press, 2007 Popper, Frank: Art of the electronic age, Thames & Hudson, Juni 1997, ISBN-10: 0500279187,

10.4 Abstrakte Kunst Seuphor, Michel; Ragon, Michel: L’Art Abstrait 3. 1939-1970, Maeght, Paris, 1973

10.5. Bücher zum Thema Kinetische Kunst Popper, Frank: Die kinetische Kunst. Licht und Bewegung, Umweltkunst und Aktion, DuMont Buchverlag, 1975, ISBN:3770107683 Popper, Frank: Origins and Development of Kinetic Art, Littlehampton Book Services Ltd, ISBN-10: 0289795923, November 1968 Brett, Guy; Grandas, Teresa; Nash, Mark: Force Fields: Phases of the Kinetic, Hayward Gallery Publishing, ISBN-10: 1853322113, 1999, 336 Seiten Malina, Frank: Kinetic Art: Theory and Practice, Dover Publications Inc, 1974, ISBN-10: 048621284X, 253 Seiten Jenkins, Jim; Quick, Dave: Motion Motion Kinetic Art, Gibbs Smith Verlag, September, 1989, ISBN10: 087905185X Tovey, John: The technique of kinetic Art, Verlag: Batsford, 1971, 160 Seiten, ISBN-10: 0713425180


209

10.6. Participative Kunst Popper, Frank: Art action et participation, L'artiste et la crĂŠativitĂŠ aujourd'hui, Klincksieck, Paris, 1980


210

11. Glossar 11.1. Erklärung: Nicolas Schöffer hat zahlreiche Begriffe konzipiert. Er hat oft Wörter des allgemeinen Sprachverbrauchs in einem originalen Zusammenhang oder mit modifizierter Bedeutung verwendet. Er gab seiner Werkgruppen Namen, die oft aus den ersten Buchstaben der Wörter gebildet wurden, die diese Werke beschrieben. Zum Beispiel die SOLEOLSONs waren Skulpturen, die die SOLare und AEOlische (äolische) Kräfte der Natur nutzten und SONor, das heißt voll- und wohltönend klangvoll, waren. Mit den selbst erfundenen Begriffen konnte Schöffer seine Arbeiten schneller erklären und die Werke einfacher referenzieren. Dieses

Glossar

enthält

einige

Begriffe,

die

Schöffer

öfters

benutzte.

Bei

der

Zusammenstellung des Glossars habe ich mich zum Teil auf Schöffers Definitionen gestützt, die auf der Nicolas Schöffer Archive Homepage zu finden sind,72 andererseits finden sich Definitionen auch in den Heften, die anlässlich der Konferenzen ausgegeben wurden, die Schöffer in Kalocsa organisierte. Diese Hefte befinden sich in dem Archiv des Museums.

11.2. Glossar Einträge Befreiung

der

Kunstgattungen

von

ihren

traditionellen

Begrenztheiten:

Die

verschiedenen Kunstgattungen haben eine Entwicklungsgeschichte, in der sich bestimmte Konventionen entwickeln, welche die entsprechende Kunstgattung charakterisieren. Auf der anderen Seite schränken diese aber die Freiheit der Künstler ein. Mit der Zeit können sich diese Konventionen so fest etablieren, dass der Künstler die Einschränkungen nicht mehr bemerkt, sondern sie als natürliche Grundvoraussetzungen betrachtet. Offensichtliche Möglichkeiten der Innovation werden deswegen nicht entfaltet. Schöffer war der Meinung, dass die größte Herausforderung der künstlerischen Forschung sei, die maximale künstlerische Freiheit zu erreichen. Um die höchstmögliche Freiheit zu erreichen, ist es nötig, die Konventionen zu identifizieren und zu brechen. Nur so kann der Weg zu innovativen Kunstformen geöffnet werden. Ein Beispiel ist die Befreiung von Musik von der zeitlichen und räumlichen Begrenztheit. 72

Observatoire Leonardo des Arts et des Technosciences, Nicolas Schöffer Archive Homepage, Definitionen

https://www.olats.org/schoffer/archives/listdef.htm, Stand 09.09.2017, 13:00 Uhr


211

Musik ist eine improvisierte oder komponierte lineare Sequenz von isolierten oder gruppierten Tönen und Stillen, die sowohl einen Anfang, als auch eine Ende hat. Dadurch ergeben sich gleich zwei Befreiungsmöglichkeiten: einerseits kann die Endlichkeit der Dauer aufgehoben werden, andererseits kann die lineare Ordnung aufgebrochen werden. Schöffer beschäftigte sich mit unendlichen Klangstrukturen, bei denen die Auswahl der nächsten Klangsequenz — entsprechend einer Rückkopplungsschleife zwischen Werk und Umgebung — kybernetisch gesteuert wurde. Nach Schöffers Vorstellung hätten diese Klangstrukturen den ganzen städtischen Raum der kybernetischen Stadt füllen sollen. Damit wäre auch die räumliche Begrenztheit von der in Konzertsälen ertönenden Musik abgeschafft. Jeder Bruch mit einer etablierten Konvention in der Kunst bedeutet eine Befreiung, welche zur Geburt von innovativen Kunstwerken beitragen kann. Schöffer suchte bewusst die Chance, solche Konventionen zu brechen. Chronodynamismus: ist die letzte, vollkommenste und komplexeste Theorie von Nicolas Schöffer, in der alle seine früheren Gedanken, die er mit den Theorien von Spatiodynamismus und Luminodynamismus formulierte, einfließen. Von 1959 beschäftigte sich Schöffer schwerpunktmäßig mit der Rhythmisierung und Dynamisierung der Zeit, mit der Programmierung des Spektakels. Er arbeitete auf einer breiten Skala der immateriellen künstlerischen Medien: Licht, Raum, Zeit, Klang und klimatische Effekte. Lichtquellen, wie weiße und farbige Spotlampen, Reflektoren, Lichtkanonen, und Spiegel wurden auf einer Grundkonstruktion so montiert, dass sie durch Motoren in Bewegung gesetzt werden konnten. Die Motoren wurden von einem kybernetischen Zentralgehirn gesteuert, wodurch eine sich nie wiederholende Kette von Lichtereignissen entstand. Dieses Lichtspektakel wurde von Klangstrukturen begleitet. Die Steuerung der Licht- und Klangereignisse basierte auf den Reizen aus der Umgebung, die von Sensoren wahrgenommen, in elektrische Signale umgewandelt und zur weiteren Verarbeitung dem Zentralgehirn geleitet wurden. Demanualisation: bezeichnet den Verzicht auf Handarbeit bei der Ausführung des Kunstwerkes. Der Begriff wurde von Nicolas Schöffer geprägt. Das Wort wurde aus dem lateinischen Wort manus (Hand) abgeleitet. Das Streben auf Demanualisation folgt einerseits aus dem Grundkonzept des Künstlers, dass die Idee und die Wirkung wichtiger sind als die materielle Verwirklichung des Kunstwerkes, andererseits aus der Suche nach einer schnellen Ausführungsmethode der künstlerischen Idee, welche mit der Schnelligkeit des kreativen Denkprozesses Schritt zu halten vermag. Dieses Streben wurde während seiner ersten grafischen

Schaffungsperiode

durch

die

Anwendung

von

mechanischen


212

Ausführungsprozessen, wie die Anwendung von Pendeln und Farbpistole, verwirklicht. In der zweiten Schaffungsperiode geriet der Spektakel in den Fokus von Schöffers Interesse. Die totale und schnelle Entfaltung der künstlerischen Grundidee wurde letztendlich durch die Kybernetik und die Programmierung der Ereignisse des Spektakels möglich, wobei der nötige Arbeitsaufwand aus purer geistiger Arbeit bestand. Entmaterialisierung: bezeichnet das Streben des Künstlers, ästhetische Wirkung im Idealfall ohne Materialien, in einer realen Situation aber mit Verwendung von geringster Menge an Materialien hervorzurufen. Der Künstler arbeitet mit Licht, Raum, Zeit, Klang und klimatischen Effekten. Diese werden als immaterielle künstlerische Medien betrachtet, obwohl sie natürlich Phänomene einer materiellen Welt sind. Die materiale Natur ist aber nur theoretisch beweisbar und nicht offensichtlich und greifbar. Die Idee der Entmaterialisierung hängt mit einem Paradigmenwechsel in der Kunstgeschichte zusammen. Die meisten kunsttheoretischen und ästhetischen Überlegungen haben bis ins 20. Jahrhundert das Kunstwerk als eine materielle Verkörperung der künstlerischen Idee betrachtet. Im Zentrum der Analyse waren im Wesentlichen Erscheinungsformen der Materie, und Fragen, wie und mit welchen Techniken der Künstler die Eigenschaften des Materials genutzt hat, um seine künstlerische Idee zu verwirklichen. Natürlich mussten Künstler während des Schaffungsprozesses immer die Auswirkungen der obigen Phänomene in Betracht ziehen, aber es kann doch als ein Quantensprung bezeichnet werden, das diese nun theoretisiert und auf den Rang eines eigenständigen, immateriellen künstlerisches Mediums erhoben wurden. In den Fokus der Analyse geriet damit die Wirkung des Kunstwerkes, anstatt seiner materiellen Erscheinungsform. Das Konzept der Entmaterialisierung kann mit dem Beispiel eines kybernetischen Lichtturmes erklärt werden. Die architektonisch-skulpturale Erscheinungsform ist nötig, um die Licht- und Klangeffekte hervorzuzaubern, aber es hat damit auch seinem Zweck gedient. Hier strebt der Künstler darnach, so wenig Material wie möglich einzusetzen. Das eigentliche Kunstwerk ist das Licht- und Klangspiel, weniger der Turm selbst, obwohl natürlich auch die Konstruktion des Turmes auf rigorosen künstlerischen Überlegungen basiert. Die visuellen Dimensionen des eigentlichen Kunstwerkes sind wesentlich größer als die Dimensionen des Turmes. Homöostase: ist die Tendenz eines Organismus oder eines offenen dynamischen Systems, einen

inneren

Gleichgewichtszustand

durch

einen

internen

regelnden

Prozess


213

aufrechtzuerhalten. Das Wort ist eine Zusammensetzung aus dem Lateinischen: homoios = gleich und stasis = bleibender Zustand. Kybernetische Stadt: ist Nicolas Schöffers utopische Entwurf einer feedbackgesteuerten Stadt. Das kybernetische Kontrollzentrum regelt die Topologien Zeit, Licht, Schall, Klima und Raum. Für das Wohlbefinden der Bewohner wird durch eine Kopplungs- und Rückkopplungsschleife mit akustischen, visuellen und olfaktorischen Reizen gesorgt. Langfristiges Ziel des Entwurfes von 1969 ist die Erschließung ungenutzter intellektueller Kapazitäten, die Aktivierung der schlafenden grauen Hirnmasse und die Vervollkommnung der Einwohner. Luminodynamismus: ist eine künstlerische Theorie, die Nicolas Schöffer in den Jahren 1957-59 entwickelte. Sie beschäftigt sich mit der Schaffung von dynamischen Lichtspektakeln, die durch die Projektion von einer oder zwei Skulpturen auf der Wand und auf einem transparenten Bildschirm entstehen. Schöffer reichte das Grundprinzip am 14. Dezember 1956 im Patentamt ein und es wurde 25. August 1958 als Patent eingetragen. Die Zeichnung der Anordnung bei der eingereichten Dokumentation weist außer den Lichtquellen und dem Bildschirm zwei Skulpturen auf, die sich je auf einer eigenen Plattform um ihre vertikale Achse drehen. Die verschiedene Drehgeschwindigkeit trägt zur Vielfalt des projizierten Bildes bei. Später wurden zwei weitere Ergänzungen zum Patent eingereicht. Das Grundkonzept ist ähnlich zu jenem des Licht-Raum-Modulators von Moholy-Nagy, aber der Aufbau der Skulptur unterscheidet sich. Die Skulptur besteht aus einer Konstruktion mit horizontalen und vertikalen quadratischen Profilen und aus den darauf fix montierten Scheiben und Platten. Die Struktur basiert auf dem Goldenen Schnitt. Die Skulptur wird von weißen oder farbigen Lichtquellen beleuchtet und die dadurch entstehende Schatten und Projektionen auf der Wand und auf dem Bildschirm werden als Teile des Kunstwerkes betrachtet. Mediokrisierung: ist der Prozess, während dessen große Massen von Menschen nur minderwertige Informationen bekommen und bewusst auf einem niedrigen intellektuellen Niveau gehalten werden, damit sie ihre eigenen Interessen nicht erkennen und ihre Unterdrücker nicht bekämpfen können. Spatiodynamismus: ist eine Theorie, die Nicolas Schöffer von 1950 entwickelte und anlässlich der von der Französischen Gesellschaft für Ästhetik organisierten Konferenzen im Juni 1954 im Turgot Amphitheater der Universität Sorbonne öffentlich zusammenfasste. Das Buch mit dem Titel Spatiodynamique wurde 1955 publiziert. Die Theorie behandelt das


214

Thema, wie Kunstwerke die dynamischen und energetischen Eigenschaften des Raumes offenlegen können. Schöffer beschreibt seine Vorstellungen über die Dynamik der Wechselwirkung von Skulptur und Raum. Er definiert in dem Buch die Rolle des Bildhauers und die Rolle der Skulptur im städtischen Raum neu. Er etabliert eine neue wissenschaftliche Disziplin, die Plasticosoziologie. Plasticosoziologie: ist ein von Nicolas Schöffer etabliertes wissenschaftliches Disziplin, deren Aufgabe es ist, die Auswirkungen der plastischen Umgebung auf das menschliche Verhalten zu studieren. Ziel dieser Analyse ist, durch die Vervollkommnung der visuellen Reize in der städtischen Umgebung die soziale Struktur der Stadt aufzuwerten. Es spiegelt die Überzeugung des Künstlers wider, dass in der Stadtplanung die wesentlichsten Überlegungen die künstlerischen sind, die auch den architektonischen Entscheidungen vorzuziehen sind, weil große Massen durch die Kunst aus ihren Mediokrität gehoben werden können. Rupture: Die deutsche Übersetzung des französischen Wortes rupture hängt vom Kontext ab. Es kann mit den Wörter ‚Bruch‘ oder ‚Riss‘ übersetzt werden, aber das Wort kann auch im übertragenen Sinn benutzt werden. Zur Übersetzung des Wortes in jenem Sinn, wie es von Nicolas Schöffer benutzt wurde, gibt die französische Erklärung changement brusque (abrupte Änderung) den Hinweis. Nicolas Schöffer bezeichnet mit dem Wort rupture die sehr ausgeprägte Wende im Laufe seiner Karriere. Es bezieht sich auf seine abrupte Entscheidung, seiner vorangegangenen künstlerischen Produktion den Rücken zu kehren, und mit einem völlig neuen künstlerischen Konzept vom Nullpunkt aus eine völlig neue und andere Bahn einzuschlagen. Sozialisierung der Kunst: bezeichnet den Prozess, deren Ziel eine Gesellschaft, in der die Kunst als kulturelles Gut jedem Menschen gleichberechtigt zur Verfügung steht — ähnlich den materiellen Gütern im Sozialismus. Schöffer meint, dass es nur durch die Sozialisierung der Kunst möglich sei, große Massen der Menschen aus ihrem mediokrisierten Zustand zu heben. Dieses ist Teil des revolutionären Prozesses, dessen verschiedenen Phasen Schöffer in seinem Buch Die kybernetische Stadt beschreibt. 

1. Phase: Revolution der Quantität für die Qualität In der ersten Phase fordert die große Quantität einer Gruppe eine immer größere Quantität von hauptsächlich materiellen Gütern.

2. Phase: Revolution der Quantität für die Qualität


215

In der zweiten Phase fordert die große Quantität einer Gruppe die immer stärker ausgeprägte Qualität der wirklichen kulturellen Güter, nachdem sie auf der materiellen und halbkulturellen Ebene mehr oder weniger gesättigt ist. 

3. Phase: Revolution der Qualität der Quantität für die Quantität der Qualität In der dritten Phase und Dank der zunehmenden Versorgung der Gruppe mit wirklichen kulturellen Gütern fordert eine immer größere Quantität dieser Gruppe, nachdem sie eine gewisse Qualität erreicht hat, eine immer größere Quantität der Qualität.73

73

vgl. Nicolas Schöffer: Die kybernetische Stadt


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