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Für diese Arbeit muss man fest am Boden stehen
„Für diese Arbeit muss man fest am Boden stehen!“
Im Alter von 56 Jahren noch einen Neuanfang wagen? Sabine Fröhlich hat sich für einen Wechsel aus der Gastronomie in den Bereich Behindertenarbeit entschieden.
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Karin Windpessl
Sabine Fröhlich sitzt an Gerhards Bettkante. Gerhard ist 40 Jahre alt, kann sich von Geburt an nicht bewegen, hat keine Lautsprache und ist bereits sein Leben lang auf die Pflege anderer angewiesen. Seit 22 Jahren wird er untertags in der Werkstätte Mühle begleitet. An diesem Tag kümmert sich Sabine um ihn, unterstützt ihn bei der Essenseinnahme. Ab und zu fallen Essensreste auf Gerhards Wange, Sabine wischt sie sofort weg: „Gerhard ist ein erwachsener Mann, er soll nicht so aussehen müssen.“
Sabine ist ein fröhlicher, ein offener Mensch, aber auch ein Mensch, der es spürt, wenn jemand Unterstützung braucht. Jahrelang kam ihr diese Eigenschaft in der Gastronomie zugute. Als sie sich dafür entschieden hat, den Bereich zu wechseln, waren viele ihrer Bekannten anfangs überrascht. Heute arbeitet die 56-Jährige in der basalen Begleitung von Menschen mit Behinderung und absolviert zurzeit die Ausbildung zur Behindertenbegleiterin an der SOB Gallneukirchen. Die Entscheidung hat sie seither nie bereut.
Ursprüngliche Form der Kommunikation
Was aber kann man sich unter basaler Begleitung überhaupt vorstellen? Reinhard Bauer erklärt den Fachbereich als Leiter der Werkstätte Mühle: „Basales Arbeiten bedeutet, sich auf eine ursprüngliche Form der Kommunikation einzulassen. Es geht darum, Begegnung durch Berührung, Spüren, Horchen, Fühlen - also über sinnliche Wahrnehmung zu ermöglichen. Achtsamkeit und Langsamkeit sind dabei zentrale Bestandteile, Reflexion und Eigenwahrnehmung ebenso. Um eine gute Qualität zu gewährleisten sind Mitarbeiter*innen mit hohem Verantwortungsbewusstsein, hoher fachlicher Expertise, Eigenmotivation und Einfühlungsvermögen Voraussetzung.“
Menschenwürde stärken
37 Klient*innen werden derzeit in drei Gruppen halb- oder ganztags betreut. All diese Personen sind mehrfach beeinträchtigt. Darunter befinden sich auch drei Klient*innen mit herausforderndem Verhalten, welche durch Einzelbetreuung in der Werkstätte begleitet werden. Das Angebot sollte den Fähigkeiten und Möglichkeiten entsprechen und sie als Menschen in ihrer Würde stärken. Das Konzept der Gemeinschaftswerkstätten sieht vor, dass Menschen mit unterschiedlichen Bedürfnissen in einer „gemeinsamen Werkstatt“ betreut werden und unterschiedliche Angebote erhalten. Auch wenn die Klient*innen großteils schwere Behinderungen haben, ist es doch möglich, mittels genau angeleiteter Routinetätigkeiten Produkte wie etwa Apfelchips herzustellen. Ein Produkt, das einen Nutzen hat und zusätzlich das Gefühl gibt, einen Beitrag leisten zu können.
Keine einfache Aufgabe hat sich Sabine Fröhlich für ihren zweiten Bildungsweg ausgesucht – das finden viele ihrer Verwandten und Bekannten. Trotzdem jeder Tag eine
neue Herausforderung ist, hat die 56-Jährige ihre mutige Entscheidung aber nicht bereut. Langfristig würde sie sich wünschen, nach der Ausbildung in der Mühle bleiben zu dürfen. Was hilft ihr bei der Arbeit? Viel Lebenserfahrung erklärt Fröhlich, denn: „Man muss mit beiden Beinen fest im Leben stehen.“