Selbstbestimmung 1

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MODUL 2 Selbstbestimmung

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MODUL 2 Selbstbestimmung

Inhalt ..................................................................................................................................... 4 ʹǤͳ Ú .......................................................................... 5 ....................................................................................................................... 5 ʹǤͳǤͳǤ Ú ............................................................................................. 5 ............................................................................................................................ 8 ʹǤͳǤʹǤ ............................................................................................................... 8 ....................................................................................................................... 8 ʹǤͳǤ͵Ǥ Ú ................................................. 8 .......................................................................................................................... 10 2.1.4. Wie gehen Sie mit Konflikten um? (Selbsteinstufungstest) .......................................... 10 ʹǤͳǤͷǤ o ................................................................................... 15 ʹǤͳǤ͸Ǥ ¡ ................................................... 15 ʹǤͳǤ͹Ǥ Ú ò ................................................................................................ 19 ʹǤͳǤͺǤ Ú ȋ Ȍ .................................................................... 20 ʹǤʹǤ ........................................................................................................ 22 ..................................................................................................................... 22 2.2.1. Grundlagen der Entscheidungsfindung ......................................................................... 22 ʹǤʹǤʹǤ ...... 27 .......................................................................................................................... 45 ʹǤʹǤ͵Ǥ ¡ ȋ ò Ȍ ......................................... 45 ..................................................................................................................... 47 .......................................................................................................................... 50 ʹǤʹǤͶ ȋ ò Ȍ .................................................................................... 50 ʹǤʹǤͷ o ............................. 54 ʹǤʹǤ͸Ǥ Ú ȋ ò Ȍ ................................................................. 57 ʹǤʹǤ͹Ǥ ǫ ȋ Ȍ ................................................................ 57 ʹǤ͵ ................................................................... 58 ʹǤ͵Ǥͳ ......................................................................................... 58 .......................................................................................................................... 59 ʹǤ͵ǤʹǤ ò ................................................................... 59 2


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.......................................................................................................................... 64 ʹǤ͵Ǥ͵Ǥ ò Ú ǡ ȋ Ȍ ........................................................................... 64 ʹǤ͵ǤͶǤ ò ò Ȁ Ú ò ........................................................................................................................... 66 ..................................................................................................................... 69 ʹǤ͵ǤͷǤ ǡ ò ................................................................... 69 ʹǤͶ Ú .................................................................................................... 73 ..................................................................................................................... 73 ʹǤͶǤͳǤ Ú ǫ ................................................. 73 .......................................................................................................................... 75 ʹǤͶǤʹǤ o Ú ..................................... 75 ʹǤͶǤ͵Ǥ o ǡ ................................................................................................................................... 76 ʹǤͶǤͶǤ o ò ................................................ 77 ..................................................................................................................... 79 ʹǤͶǤͷǤ .................................................................................................................... 79 .......................................................................................................................... 83 ʹǤͶǤ͸Ǥ Ú ȋ ò Ȍ ..................................................................... 83

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Einleitung Dieses Modul richtet sich an Eltern, die ihre Beziehung zu ihren Familienmitgliedern mit und ohne Behinderung stärken wollen. Das

Modul

widmet

sich

den

Entscheidungsfindung.

Wir

haben

Themen

Konfliktmanagement,

versucht,

zahlreiche

Problemlösung

praktische

Aktivitäten

und zur

Selbstreflexion, praktische Übungen, Selbsteinstufungstests und strukturierte Tipps für Sie zusammenzustellen. Obwohl wir uns mit diesem Modul hauptsächlich an die Eltern richten, werden auch Familienmitglieder mit Behinderung Abschnitte finden, die sie dabei unterstützen können, ein noch selbstbestimmteres Leben zu führen. Bitte betrachten Sie die Vorschläge, Erläuterungen, Fallstudien und Übungen als Ausgangspunkt zur Selbstreflexion und passen Sie sie an Ihre Bedürfnisse an. Die theoretischen Teile stützen sich auf sorgfältige Untersuchungen von PsychologInnen und ExpertInnen in der Arbeit mit Menschen mit Behinderung; die praktischen Teile basieren auf der praktischen Arbeit mit Menschen mit Behinderung und ihren Angehörigen. Somit bietet Ihnen das Modul eine große Palette an Erfahrungen, aus denen Sie schöpfen können, wenn Sie wollen. Sollten Sie weitere Informationen oder Unterstützung wünschen, so wenden Sie sich bitte an die entsprechenden ExpertInnen in Ihrer Nähe.

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2.1 Konfliktmanagement und Problemlösung Theoretischer Teil 2.1.1. Konfliktlösungsstrategien Es gibt Situationen, in denen die Interessen zweier Seiten (zwei Menschen, zwei Organisationen, usw.) unvereinbar scheinen. Das Verhalten der jeweiligen Parteien in einer solchen Situation kann in den beiden Dimensionen Durchsetzungsvermögen und Bereitschaft zur Zusammenarbeit beschrieben werden. x

Unter Durchsetzungsvermögen versteht man den Grad, in dem eine Partei versucht, die eigenen Bedürfnisse und Anliegen zu erfüllen.

x

Unter der Bereitschaft zur Zusammenarbeit versteht man den Grad, in dem eine Partei

selbstsicher

bereit ist, den Interessen und Anliegen der anderen Partei zu entsprechen.

KONKURRENZ Selbstbehauptung

ZUSAMMENARBEIT

nicht selbstsicher

KOMPROMISS

VERMEIDUNG

nicht kooperativ

ANPASSUNG

Wille zur Zusammenarbeit

kooperativ

Abb. 2.3 Konfliktlösungsstrategien

Basierend

auf

den

Dimensionen

Durchsetzungsvermögen

und

Bereitschaft

zur

Zusammenarbeit, kann man fünf Möglichkeiten zum Umgang mit Konflikten beschreiben:

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Die Konkurrenzstrategie ist gekennzeichnet von sehr hoher Durchsetzungsfähigkeit und geringe Kooperationsbereitschaft. Eine Seite verfolgt ihre eigenen Interessen und Anliegen auf Kosten der anderen Seite. Dieser Konfliktlösungsansatz ist sehr zwangs- und machtorientiert. Die Parteien versuchen mit Hilfe ihrer Position und Macht (die Fähigkeit, zu argumentieren und zu diskutieren sowie sich selbst, sie soziale Stellung, die wirtschaftlichen Möglichkeiten usw. zu behaupten) die jeweils andere Seite zu besiegen. Die Kooperationsstrategie ist gekennzeichnet von hoher Durchsetzungsfähigkeit und hoher Bereitschaft zur Zusammenarbeit. Dabei handelt es sich um das genaue Gegenteil von Vermeidung. Dabei versucht man, eine Lösung für das Problem zu finden, die für beide Seiten vorteilhaft ist. Das heißt, unter Berücksichtigung und Analyse des Problems die tiefliegenden Interessen beider Seiten festzustellen und Alternativen zu finden, die beide zufriedenstellen. Die

Kompromissstrategie

ist

gemäßigt

in

den

Dimensionen

Durchsetzung

und

Zusammenarbeit. Sie zielt darauf ab, eine akzeptable Entscheidung zu finden, die beide Seiten teilweise zufriedenstellt. Um eine Entscheidung zu erreichen, geht jede Seite einen Kompromiss ein bzw. gibt etwas für etwas anderes zurück. Sie steht zwischen Konkurrenz und Anpassung. Bei der Kompromissstrategie gibt man mehr auf als bei der Konkurrenzstrategie, aber weniger als bei der Anpassungsstrategie. Diese Strategie ermöglicht es beiden Parteien, dem Problem direkter zu begegnen als bei der Vermeidungsstrategie, wobei das Problem nicht so eingehend untersucht wird wie bei der Kooperationsstrategie. Die Vermeidungsstrategie ist gekennzeichnet durch niedrige Durchsetzungsfähigkeit und niedrige Kooperationsbereitschaft. Die Parteien verfolgen und befriedigen weder ihre eigenen Interessen oder Anliegen noch die der anderen Seite. Es wird nicht versucht, mit dem Konflikt umzugehen. Die Anpassungsstrategie zeichnet sich durch geringes Durchsetzungsvermögen aus und ist sehr zusammenarbeitsbetont. Sie ist das Gegenteil der Konkurrenzstrategie. Eine Seite vernachlässigt ihre eigenen Bedürfnisse und Interessen, um der der anderen Seite gerecht zu werden. Wir alle nutzen alle fünf Strategien im Umgang mit Problemen und Konflikten. Es gibt keine universellen oder richtigen Antworten in Bezug auf das Verhalten in solchen Situationen. Alle 6


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fünf Strategien können - für Menschen mit und ohne Behinderung - in jeder Situation eingesetzt werden. Es gibt die unterschiedlichsten Sichtweisen, wie beispielsweise "Vier Augen sehen mehr als zwei" (Zusammenarbeit), "Mach deinen Feind zum Freund" (Anpassung), "Geteiltes Leid ist halbes Leid" (Kompromiss), "Wer die Macht hat, hat das Sagen" (Wettbewerb) und "Aus Schaden wird man klug" (Vermeidung). Dennoch nutzen einige von uns einen bestimmten Ansatz häufiger oder besser als andere. Somit ist das Konfliktverhalten das Ergebnis aus persönlichen Eigenschaften und situationsabhängigen Anforderungen.

KONFLIKTSTILE 1. Anpassen (ich verliere - du gewinnst) 2. Vermeiden (ich verliere - du verlierst) 3. Zusammenarbeiten (ich gewinne - du gewinnst) 4. Konkurrieren (ich gewinne - du verlierst) 5. Kompromiss finden (Win-win oder VerlustVerlust)

Abb. 2.4 Konfliktstrategien

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Praktischer Teil 2.1.2. Selbstreflexion Welche der oben genannten Strategien haben Sie bereits in Konfliktsituationen mit Ihren Familienmitgliedern angewandt? Wissen Sie, warum? Haben Sie diese Strategie vorsätzlich oder spontan gewählt? Glauben Sie, dass es einen anderen Weg gegeben hätte, die Konfliktsituation zu lösen? Wie haben Sie sich nach der Lösung des Konflikts gefühlt? Haben Sie anderen Menschen über Ihre Gefühle erzählt?

Theoretischer Teil 2.1.3. Konfliktlösungstipps professioneller MediatorInnen Hier sind einige praktische Tipps von professionellen MediatorInnen, die dabei helfen können, persönliche Konflikte zu lösen:

Definieren Sie das Problem und bleiben Sie dabei. Definieren Sie das Problem genau und bleiben Sie während der Diskussion beim Thema. Konflikte werden noch stärker, wenn das Problem, das den Konflikt ausgelöst hat, in einem Meer von bösen Worten, alten Problemen oder Verletzungen untergeht. Bleiben Sie bei sich. Bevor Sie sich mit den Fehlern und Mängeln anderer beschäftigen, kümmern Sie sich um Ihre eigenen. Gestehen Sie sich auch ein, wie Sie zum Problem beigetragen haben. Planen Sie den Zeitpunkt für die Diskussion. Planen Sie die Zeit für das Treffen mit der anderen Person so, dass Sie beide ausgeruht und voraussichtlich in der Lage sind, in Liebe auf die Bedenken der anderen Person zu reagieren. Wenn Sie müde, gestresst und mit anderen Aufgaben abgelenkt sind, gehen solche Gespräche selten gut. Bekräftigen die Beziehung. Bekräftigen Sie die Beziehung, bevor Sie das Problem definieren. Zum Beispiel: "Unsere Beziehung ist mir wichtig. Wenn du mich nicht zurückrufst, fühle ich 8


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mich abgelehnt und unwichtig." Vermeiden Sie es, der/dem anderen die Schuld zu geben, wie in diesem Beispiel: "Durch dich fühle ich mich..." Stattdessen könnten Sie sagen: "Wenn du 'A' machst, fühle ich mich 'B'." Hören Sie aufmerksam zu. Sobald Sie Ihre Gefühle ausgesprochen haben, hören Sie sich den Blickwinkel der/des anderen an. Seien Sie einfühlsam und präsent. Eine der leistungsfähigsten Kommunikationstechniken, die wir kennen, ist das Zuhören. Achten Sie auch darauf, dass Ihre Körpersprache vermittelt, dass Sie für die andere Sicht offen sind. Geben Sie der/dem anderen zurück, was Sie glauben, gehört zu haben. Zum Beispiel: "Ich habe gehört, dass du glaubst, dass ich etwas von dir erwarte. Ist das richtig? " Verzeihen Sie. Verzeihen ist sowohl ein Ereignis als auch ein Prozess. Verzeihen können Sie mit vier Versprechungen konkretisieren: x

Ich verspreche, ich werde das in Zukunft nicht mehr erwähnen oder versuchen, es gegen dich zu verwenden.

x

Ich verspreche, ich werde es nicht in meinem Herzen und meinem Geist behalten.

x

Ich werde nicht mit anderen Menschen darüber sprechen.

x

Ich werde es nicht zwischen uns stehen oder damit unsere persönliche Beziehung belasten lassen.

Schlagen Sie eine Lösung vor. Denken Sie daran, dass die Beziehung wichtiger ist als das Problem. Denken Sie bei der Erarbeitung einer Lösung daran, dass Sie beide nicht nur Ihre eigenen Interessen verfolgen sollten, sondern auch die Interessen der/des anderen. Suchen Sie Lösungen, die alle Interessen im Auge behalten.

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Praktischer Teil 2.1.4. Wie gehen Sie mit Konflikten um? (Selbsteinstufungstest) Alle Menschen sind hin und wieder mit Konfliktsituationen konfrontiert. Stellen Sie sich eine Gesprächssituation vor, in der Sie feststellen, dass Ihre Meinungen und Ansichten sich von denen Ihrer Gesprächspartnerin/Ihres Gesprächspartners unterscheiden. Hier sind einige Aussagen, die Handlungsmöglichkeiten in dieser Situation beschreiben. Kreuzen Sie bitte jeweils die Aussage ("A" oder "B") an, die besser zu Ihrem Verhalten passt. Möglicherweise spiegelt weder "A" noch "B" Ihr typisches Verhalten wider. Wählen Sie bitte trotzdem die Antwort, die am ehesten passt.

Nr. 1.

2.

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4.

5.

6.

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A/B ʤ

ANTWORTEN Es gibt Situationen, in denen ich die Verantwortung, Probleme zu lösen, an andere abgebe.

B

Statt die Dinge, die zu Meinungsverschiedenheiten führen, zu besprechen, konzentriere ich mich auf die, bei denen wir uns einig sind.

ʤ

Ich versuche, eine Kompromisslösung zu erkennen.

B

Ich versuche, alle Interessen beider Seiten zu berücksichtigen.

ʤ

In der Regel folge ich genau den gesetzten Zielen.

B

Ich versuche, die Emotionen der anderen Seite zu beruhigen und ein freundschaftliches Verhältnis aufrechtzuhalten.

ʤ

Ich versuche, eine Kompromisslösung zu finden.

B

Ich opfere manchmal meine Wünsche wegen der Wünsche der anderen Seite.

ʤ

Ich suche bei der Entscheidungsfindung ständig nach Hilfe von der anderen Seite.

B

Ich versuche, das zu tun, was notwendig ist, um unnötigen Stress zu vermeiden.

ʤ

Ich vermeide es, Probleme zu verursachen.

B

Ich versuche, in der Siegerposition zu sein.

ʤ

Ich versuche, mich erst dann dem Problem zu stellen, wenn ich Zeit habe, darüber nachzudenken.

B

Zugunsten der/des anderen gebe ich in einigen Punkten nach.

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18.

ʤ

In der Regel folge ich genau den gesetzten Zielen.

B

Ich versuche immer, alle Probleme und Interessen offenzulegen.

ʤ

Ich glaube nicht, dass Unterschiede etwas sind, das es wert ist, sich ständig Sorgen darüber zu machen.

B

Ich bemühe mich, meinen eigenen Weg zu folgen.

ʤ

Ich folge genau den gesetzten Zielen.

B

Ich versuche, eine Kompromisslösung zu finden.

ʤ

Ich versuche immer, alle Probleme und Interessen offenzulegen.

B

Ich versuche, die Emotionen der anderen Seite zu beruhigen und ein freundschaftliches Verhältnis aufrechtzuhalten.

ʤ

Ich vermeide es manchmal, die Position einzunehmen, die Widerspruch erzeugt.

B

Ich stimme den Perspektiven der/des anderen zu, wenn sie mit einigen von mir übereinstimmen.

ʤ

Ich schlage Entscheidungen vor, die zwischen zwei Extremen liegen.

B

Ich übe Druck aus, um die gesetzten Ziele zu erreichen.

ʤ

Ich erzähle der/dem anderen von meinen Vorstellungen und ich frage sie/ihn um ihre/seine.

B

Ich versuche, der/dem anderen die Logik und den Wert meiner Position aufzuzeigen.

ʤ

Ich versuche, die Emotionen der anderen Seite zu beruhigen und ein freundschaftliches Verhältnis aufrechtzuhalten.

B

Ich versuche, das zu tun, was notwendig ist, um unnötigen Stress zu vermeiden.

ʤ

Ich versuche, die Gefühle der/des anderen nicht zu verletzen.

B

Ich versuche, die/den anderen von den Vorteilen meiner Position zu überzeugen.

ʤ

In der Regel folge ich genau den gesetzten Zielen.

B

Ich versuche, das zu tun, was notwendig ist, um unnötigen Stress zu vermeiden.

ʤ

Ich erlaube es der/dem anderen, ihren/seinen Standpunkt zu behalten, wenn es sie/ihn glücklich macht.

B

Ich stimme den Perspektiven der/des anderen zu, wenn sie mit einigen von mir übereinstimmen.

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ʤ

Ich versuche immer, alle Probleme und Interessen offenzulegen.

B

Ich versuche, mich erst dann dem Problem zu stellen, wenn ich Zeit habe, darüber nachzudenken.

ʤ

Ich versuche sofort, unsere Unterschiede zu bearbeiten.

B

Ich versuche, eine gerechte Kombination zwischen Gewinn und Verlust für beide Seiten zu finden.

ʤ

Zu Beginn mancher Gespräche versuche ich, die Wünsche der/des anderen zu berücksichtigen.

B

Ich bin immer bereit, das Problem direkt zu besprechen.

ʤ

Ich versuche, eine Position zu finden, die zwischen beiden Extremen liegt.

B

Ich setze mich für meine Wünsche ein.

ʤ

Ich befasse mich sehr oft damit, alle Wünsche der/des anderen zufriedenzustellen.

B

Es gibt Situationen, in denen ich die Verantwortung zur Problemlösung an die andere/den anderen abgebe.

ʤ

Wenn die Position der/des anderen für sie/ihn wirklich sehr wichtig zu sein scheint, überlasse ich es ihr/ihm das zu tun, was sie/er möchte.

B

Ich versuche, eine Kompromisslösung zu erkennen.

ʤ

Ich versuche, der/dem anderen die Logik und den Wert meiner Position aufzuzeigen.

B

Zu Beginn mancher Gespräche versuche ich, die Wünsche der/des anderen zu berücksichtigen.

ʤ

Ich biete eine Entscheidung an, die zwischen beiden Extremen liegt.

B

Ich befasse mich sehr oft damit, alle Wünsche von mir und der/dem anderen zufriedenzustellen.

ʤ

Ich vermeide es manchmal, die Position einzunehmen, die Widerspruch erzeugt.

B

Ich erlaube es der/dem anderen, ihren/seinen Standpunkt beizubehalten, wenn es sie/ihn glücklich macht.

ʤ

In der Regel folge ich genau den gesetzten Zielen.

B

In der Regel suche ich die Hilfe der/des anderen bei der Erarbeitung einer Entscheidung.

ʤ

Ich biete eine Entscheidung an, die zwischen beiden Extremen liegt.

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30.

B

Ich glaube nicht, dass Unterschiede etwas sind, das es wert ist, sich ständig Sorgen darüber zu machen.

ʤ

Ich versuche, die Gefühle anderer Menschen nicht zu verletzen.

B

Ich erzähle der/dem anderen immer von meinem Problem, um es gemeinsam zu lösen.

ANTWORTEN UND ERGEBNISSE Bitte kreisen Sie die Buchstaben ein und schreiben Sie am Ende jeder Spalte die Summe auf. So erhalten Sie Ihr Profil. Schreiben Sie Ihre Ergebnisse in die untenstehende Tabelle. Die Ergebnisse in jeder Spalte können von 0 (ziemlich selten verwendeter Problemlösungsansatz) bis 12 (oft verwendeter Problemlösungsansatz) reichen. Notieren Sie sich die Summe Ihrer Punkte für jede Spalte. Vergleichen Sie Ihre Ergebnisse mit jeder der fünf Problemlösungsstrategien und stellen Sie fest, welche Sie am häufigsten verwenden. Es gibt keine guten oder schlechten Ergebnisse verschiedene Situationen erfordern unterschiedliche Ansätze.

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Nr.

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Konkurrenz

Zusammenarbeit

Kompromiss

B

ʤ

Vermeidung

Anpassung

ʤ

B

ʤ

B B

ʤ ʤ B B ʤ B ʤ

B ʤ ʤ

B ʤ B ʤ

B B

B B ʤ

ʤ

ʤ B

B ʤ

B B ʤ ʤ B

B

ʤ B

B ʤ ʤ

ʤ

B B

ʤ B

ʤ B

ʤ ʤ

ʤ

B

B ʤ

B

B

Konkurrenz

ʤ ʤ

Zusammenarbeit

ʤ

Kompromiss

Vermeidung

Anpassung

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2.1.5. Übung zum Umgang mit Stress Die Progressive Entspannung ist eine Technik zur Entspannung bestimmter Muskelgruppen und des ganzen Körpers. Die progressive Entspannung ist eine Bewältigungstechnik. Bei diesem Prozess wird jeweils eine andere Muskelgruppe angespannt und dann wieder entspannt. Diese Technik basiert auf der Vorstellung, dass, sobald unsere Muskeln entspannt sind, wir das auch als psychisch entspannend empfinden. Dies führt zu einer verringerten Stresswahrnehmung. Experimente zeigen, dass der Einsatz der progressiven Entspannung den Blutdruck senken und Kopfschmerzen verringern kann. Dies ist der Ablauf in einer progressiven Entspannung: 1. Setzen Sie sich hin und nehmen Sie eine bequeme Haltung ein. 2. Schließen Sie die Augen. 3. Entspannen Sie alle Muskeln - beginnend mit den Füßen, weiter nach oben, bis in das Gesicht. Bleiben Sie entspannt. 4. Atmen Sie durch die Nase. Sagen Sie beim Ausatmen das Wort "eins" still für sich. Zum Beispiel: Ausatmen "Eins" und einatmen - ausatmen und so weiter. Atmen Sie leicht und natürlich. 5. Machen Sie das etwa zehn bis 20 Minuten. Sie können Ihre Augen öffnen, um die Zeit zu überprüfen, aber verwenden Sie keinen Wecker. Nachdem Sie fertig sind, sollten Sie für einige Minuten ruhig sitzen bleiben - zunächst mit geschlossenen und dann mit geöffneten Augen. Bleiben Sie einige Minuten sitzen. 6. Keine Sorge, wenn Sie zunächst kein zufriedenstellendes Ergebnis mit der Übung erreicht haben. Bleiben Sie bei Ihrer passiven Einstellung und lassen Sie die Entspannung in ihrem eigenen Tempo wirken. Wenn beunruhigende Gedanken auftauchen, versuchen Sie, sie zu ignorieren, indem Sie das Wort "eins" zu wiederholen beginnen. Sie werden voraussichtlich einige Versuche benötigen, bis eine Wirkung eintritt. Üben Sie diese Technik ein- oder zweimal täglich, aber nicht innerhalb von zwei Stunden vor einer Mahlzeit.

2.1.6. Bewältigungsmechanismen bei Stresssituationen Manchmal sehen Menschen eine Situation in Schwarz und Weiß und nutzen eindeutige Worte. Für andere kann eine solche Ausdrucksweise unlogisch und irrational sein. Laut Albert Ellis ist

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das Verhalten vieler Menschen durch Vorannahmen geprägt. Wir sind der Ansicht, dass wir absolut kompetent, angemessen und zufrieden sein müssen, und wir denken, dass es einfach schrecklich ist, wenn die Dinge nicht den gewünschten Verlauf nehmen.

Um Ihre Gefühle und Ihre Reaktionen in bestimmten Situationen besser zu verstehen, beantworten Sie bitte die folgenden Fragen mit Ja oder Nein. JA

NEIN

1. Ist Ihnen schon einmal passiert, dass Sie Gedanken so aufgeregt haben, dass Sie nicht mehr ruhig bleiben konnten? 2. Hat Sie schon einmal ein "ruheloser Gedanke" gequält, der Ihnen nicht aus dem Kopf ging? 3. Ist es möglich, Sie schnell von etwas abzubringen? 4. Glauben Sie, dass man sich auf Ihr Wort verlassen kann? 5. Ist es Ihnen möglich, Ihre aktuelle Arbeit mal gemütlich zur Seite zu legen und etwas anderes in angenehmer Gesellschaft zu genießen? 6. Kommt es oft vor, dass Sie eine Entscheidung zu spät treffen? 7. Glauben Sie, dass Ihre Arbeit Teil Ihres Alltags ist? 8. Mögen Sie Arbeit, die Ihre volle Konzentration und Aufmerksamkeit erfordert? 9. Sprechen Sie gerne über Ihre Vergangenheit? 10. Fällt es Ihnen schwer, an einem belebten Ort Ihre Pflichten zu vergessen? 11. Wurden Sie schon einmal von Gedanken und Bildern gequält, die Sie nicht schlafen haben lassen? 12. Zeigen Sie Interesse für die Arbeit Ihrer Angehörigen, wenn Sie sehr mit Ihrer eigenen Arbeit beschäftigt sind? 13. Kommt es oft vor, dass Sie sich alleine fühlen? 14. Sind Sie der Meinung, dass Sie glücklich sind? 15. Fühlen Sie sich in Anwesenheit von VertreterInnen des anderen Geschlechts verlegen? 16. Fühlen Sie sich durch Schuldgefühle beunruhigt? 17. Sind Sie schon einmal zu spät zur Arbeit oder zu einer Verabredung gekommen? 18. Finden Sie es schwierig, von einer Arbeit zu einer anderen zu wechseln? 19. Fühlen Sie sich oft einsam? 16


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20. Verbringen Sie viel Zeit damit, über die guten alten Zeiten aus Ihrer Vergangenheit nachzugrübeln? 21. Bleiben Sie auf einer Party lieber unbemerkt? 22. Fühlen Sie sich oft unzufrieden? 23. Machen Sie eher eine bestimmte Aufgabe fertig, bevor Sie die nächste beginnen, auch wenn diese noch interessanter ist? 24. Sind Sie der Ansicht, dass Arbeit für Sie das Wichtigste im Leben ist? 25. Fällt es Ihnen schwer, Ihre Lieblingsgewohnheiten und -routinen zu durchbrechen? 26. Grübeln Sie gerne über Ihre Vergangenheit nach? 27. Sehen Sie sich selbst als glücklichen Menschen, der alles im Leben mit Leichtigkeit macht? 28. Ist es einfach, Sie in unterschiedlichen Situationen zu beleidigen und zu beschimpfen? 29. Sind Sie anfällig für schnelles und entschlossenes Handeln? 30. Denken Sie immer, dass Sie auch anders handeln hätten können, nachdem Sie bereits gehandelt haben? 31. Wechseln Sie leicht von einer Arbeit zur anderen? 32. Haben Sie manchmal das Gefühl der Einsamkeit? 33. Arbeiten Sie manchmal, als ob Ihr Leben davon abhinge? 34. Können Sie eine bereits begonnene Arbeit unterbrechen und sofort mit einer anderen weitermachen?

Sie können Ihre Angst, Ihre Extraversion, die sich in der Offenheit der Kommunikation und Interaktion mit anderen zeigt, und Ihre Flexibilität im Verhalten beurteilen. Angst ist das Erleben von emotionalem Unbehagen, das mit einem erwarteten Misserfolg und den Gefühlen von Nervosität und Besorgnis in Zusammenhang steht. Extrovertiertheit bedeutet Offenheit; man richtet die Aufmerksamkeit auf andere und stellt leicht Kontakte her. Man zeigt Extrovertiertheit durch eine optimistische Lebenseinstellung anderen und sich selbst gegenüber. Starrheit ist ein Mangel an Flexibilität bei der Problemlösung. Es fällt schwer, den Gedanken eine andere Richtung zu geben, die Absichten zu wechseln und sich situationsabhängig zu verhalten.

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Angst 1 Punkt für "JA"-Antworten auf die Fragen 1, 2, 4, 10, 11, 16, 23, 25, 29, 31, 34 und für "NEIN"Antworten auf die Fragen 5, 7, 14, 15, 17, 22, 28. Ängstliche Menschen haben ein Ergebnis von über 9 Punkten. Hohe Angst kann die Leistung stören und führt zu höherem Stress.

Extravertiertheit 1 Punkt für "JA"-Antworten auf die Fragen 6, 8, 9, 13, 19, 20, 21, 27, 33 und für "NEIN"Antworten auf die Frage 30. Wenn Ihr Ergebnis bei über fünf Punkten liegt, scheinen Sie eher introvertiert zu sein. Das bedeutet, dass Sie sich in Situationen besser fühlen, in denen es keine Kontakt-, Kommunikations- und Interaktionsmöglichkeiten mit anderen Menschen gibt. Wenn Ihr Ergebnis unter fünf Punkten liegt, scheinen Sie eher extrovertiert zu sein. Sie kommunizieren sehr stark mit Menschen und knüpfen gerne neue Kontakte.

Starrheit 1 Punkt für "JA"-Antworten auf die Fragen 18, 24, 26 und für "NEIN"-Antworten auf die Fragen 3, 12, 32, 35. Eher starre Menschen erzielen eine Punkteanzahl von vier oder mehr; flexible Menschen haben eine Punktezahl von drei oder darunter. Menschen mit einer starren Persönlichkeit werden eine Arbeit mit klaren und präzisen Anforderungen und Regeln bevorzugen. Änderungen im Verhalten und ihren Reaktionsweisen sind ihnen fremd. Flexible Menschen können eher mit Herausforderungen und neuen Situationen umgehen, die nicht über klare Regeln für bestimmte Verhaltensweisen und Maßnahmen verfügen. Sie reagieren entsprechend der jeweiligen Umstände und zeigen bei der Problemlösung und dem Umgang mit Problemsituationen Flexibilität und Ideenreichtum. 18


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2.1.7. Problemlösungsübung Der Elternteil und der Mensch mit Behinderung spielen zwei verschiedene Rollen; beide haben die Aufgabe, eine Collage mit Bildern aus Zeitschriften zu gestalten. Beide erhalten einige Magazine. Eine/einer von ihnen hat die eine Hälfte der benötigten Werkzeuge (Schere), die/der andere hat den Rest (Kleber, Pinsel, Marker). Um ihre Aufgaben lösen zu können, müssen die beiden zusammenarbeiten und eine Reihenfolge aufstellen, in der sie die Werkzeuge benutzen.

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2.1.8. Schritte zur Problemlösung (Reflexion) Beantworten Sie die folgenden Fragen so ehrlich wie möglich:

Was ist das Problem? ...........................................................................................................................................

Welche Lösungsalternativen gibt es? ...........................................................................................................................................

Welche Ressourcen stehen zur Verfügung? ...........................................................................................................................................

Analyse der Alternativen ...........................................................................................................................................

Umsetzung der gewählten Lösung ...........................................................................................................................................

Beurteilung der Entscheidung: Ist sie wirkungsvoll, warum ist sie wirkungsvoll, warum nicht? ...........................................................................................................................................

Beginnen Sie mit der Notwendigkeit, die verschiedenen Probleme, denen wir im Alltag gegenüberstehen, zu lösen. Während Sie die Materialien austeilen, sollten sich die TeilnehmerInnen überlegen, welche Probleme sie in den letzten Tagen gelöst haben und welche Probleme sie in naher Zukunft lösen müssen. Dann werden die bei der Problemlösung verwendeten Schritte gekennzeichnet und niedergeschrieben.

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Beschreibung der Schritte Was ist das Problem? Eines der schwierigsten Dinge bei der Problemlösung besteht darin, genau festzustellen, was das Problem ist. Welche Lösungsalternativen (verfügbare Ressourcen) gibt es? Nachdem das Problem festgestellt wurde, erstellen Sie eine Liste mit Alternativen (einschließlich der Ressourcen Finanzierung, Freunde, Talent usw.), die bei der Problemlösung helfen könnten. Analyse der Alternativen: Jede Alternative wird getrennt betrachtet, die beste wird gesucht. Wahl der Alternativen. Entscheidung und deren Umsetzung. Beurteilung der Entscheidung. Die Auswahl und Umsetzung der gewählten Lösung ist nicht das Ende des Prozesses. Jetzt müssen Sie herausfinden, ob die gewählte Lösung wirkungsvoll ist.

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2.2. Entscheidungsfindung Theoretischer Teil 2.2.1. Grundlagen der Entscheidungsfindung

Abb. 2.6 Entscheidungsfindungsmatrix an der Tafel: Alternativen | Unsicherheiten | risikoreiche Konsequenzen | zwischenmenschliche Probleme | Komplexität

Im Rahmen dieses Moduls definieren wir Entscheidungsfindung als das Ausdrücken von Wahlmöglichkeiten und Vorlieben und die Fähigkeit, diesbezüglich zu handeln. Für Menschen mit Behinderung bedeutet das auch die Möglichkeit, Hilfsmittel auszuwählen, die es ihnen ermöglichen, Entscheidungen zu treffen und ein selbstbestimmtes Leben zu führen. Wie meistens im Leben, sind den Entscheidungen auch hier Grenzen gesetzt. Auch die jeweiligen Umstände eines Menschen beeinflussen die Wahlmöglichkeiten. Dazu zählen Faktoren wie Umwelt, Finanzen, Fertigkeiten, Vorbereitung und Zeit. 22


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Menschen mit und ohne Behinderung sollten... ͻ

die gleichen Freiheiten, Möglichkeiten und Erfahrungsspielräume haben;

ͻ

die eigenen Entscheidungen selbstständig und frei treffen können;

ͻ

angemessene, barrierefrei zugängliche und korrekte Informationen über ihre gesetzlichen Rechte und Pflichten in Bezug auf die Entscheidungsfindung erhalten;

ͻ

notwendige Unterstützung, Ausbildungen und Ressourcen erhalten, um ihre Rechte und Pflichten zu verstehen;

ͻ

mit Würde, Respekt, Rücksicht und Sensibilität behandelt werden.

Mehr dazu finden Sie auch in der UN-Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung: http://www.un.org/disabilities/default.asp?navid=13&pid=150 Laut der Konvention über die Rechte von Menschen mit Behinderung resultiert Behinderung erst aus der Interaktion zwischen Menschen mit Beeinträchtigungen und einstellungs- und umweltbedingten Barrieren, die deren volle und gleichberechtigte Teilhabe an der Gesellschaft erschweren.

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Abb. 2.7 Finden Sie die Antworten wer | was | wo | wie | wann | warum | ?

Abb. 2.8 Entscheidungen

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Familienmitglieder, ExpertInnen und Dienstleister sollten... ͻ

in Übereinstimmung mit den Rechten von Menschen mit Behinderung handeln;

ͻ

die einschlägigen Rechtsvorschriften und Richtlinien verstehen und in Bezug darauf auf dem Laufenden sein;

ͻ

Menschen mit Behinderung dabei unterstützen, ihre Rechte und Pflichten zu kennen und zu verstehen.

Jeder Mensch mit Behinderung sollte die Freiheit haben, ... ͻ

Entscheidungen selbst zu treffen, die sie/ihn betreffen;

ͻ

Entscheidungen zu einem Zeitpunkt und an einem Ort zu treffen, der ihr/ihm angenehm ist;

ͻ

Entscheidungen zu treffen, mit denen andere Menschen nicht einverstanden sind;

ͻ

respektiert werden in Bezug auf... o

Entscheidungen, die sie/er getroffen hat;

o

die Entscheidungsfindung und die dafür notwendigen Anforderungen und Informationen;

o

die Art und Weise, wie Entscheidungen kommuniziert werden;

o

die Tatsache, dass ein Mensch ihre/seine Meinung ändern kann.

Menschen mit Behinderung sollten gleich behandelt werden und in der Lage sein... ͻ

Entscheidungen zu treffen, egal, wer sie sind, wo sie leben oder welche Fähigkeiten sie haben.

Ihnen sollte die Würde zugestanden werden, ... ͻ

Entscheidungen zu treffen, ohne die Erlaubnis anderer einzuholen;

ͻ

Entscheidungen zu treffen, ohne anderen über ihre persönlichen Angelegenheiten erzählen zu müssen;

ͻ

in vollem Umfang an den sie betreffenden Entscheidungen mitzuwirken.

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MODUL 2 Selbstbestimmung

Tatsächlich ist der Auswahlprozess Teil des Entscheidungsfindungsprozesses. Um eine Wahl zu treffen, muss man... -

die wichtigsten Optionen kennen;

-

die Auswirkungen von zu realisierenden Handlungen bewerten können;

-

die Möglichkeit, dass sie sich entwickeln, in Betracht ziehen;

-

die relative Bedeutung (Wert oder Bequemlichkeit) der Folgen feststellen können;

-

den Wert und die Möglichkeit integrieren, um den interessantesten Weg bestimmen zu können.

Viele Menschen mit Behinderung haben nicht die Möglichkeit, den Auswahlprozess zu erlernen. Daher ist es unabdingbar, Menschen mit Behinderung in diese Prozesse einzuschließen und sie daran teilhaben zu lassen.

Abb. 2.11 Wie man die beste Entscheidung trifft...

Darüber hinaus ist es sehr wichtig festzustellen, dass in jüngster Zeit einige Forscher wie Fischhoff und Loewenstein die Auswirkungen von Umwelt, gesellschaftlichem Umfeld und emotionalen Einflüssen auf die Entscheidungsfindung hervorgehoben haben.

26


MODUL 2 Selbstbestimmung

Alle praktischen Schritte sollten es Menschen mit Behinderung erlauben, an Maßnahmen zum Schutz ihrer Interessen teilzuhaben. Zum Beispiel gibt es Dienstleister für behinderte Menschen, die den betroffenen Menschen miteinbeziehen sollten, wenn es zu Streitigkeiten mit anderen, wie etwa der Familie oder anderen Anbietern, kommt, oder wenn es um Entscheidung und Dienstleistungen für den betreffenden Menschen geht. Um die Beteiligung eines Menschen mit Behinderung zu maximieren, ist es wichtig, den Entscheidungsprozess auf die Bedürfnisse des jeweiligen Menschen abzustimmen. Bei einem Menschen mit einer kognitiven Einschränkung umfasst der geeignete Ansatz etwa die folgenden Bereiche:

Gestalten Sie den Ort des Treffens ungezwungen und frei von Ablenkungen.

Zeigen Sie dem Menschen noch vor dem Treffen den Raum.

Erklären Sie dem Menschen vorab den Prozess in für sie/ihn angemessener Sprache.

Nutzen Sie dafür Audioformate.

Nehmen Sie sich zu Beginn des Treffens etwas mehr Zeit.

So kann sich der Mensch mit der Umgebung und der Atmosphäre vertraut machen.

Stellen Sie sicher, dass die gesamte Kommunikation beim Treffen ohne Hast und Eile und in angemessener Sprache abläuft.

Vermeiden Suggestivfragen; vermeiden Sie soweit möglich Abstraktionen; behandeln Sie ein Thema nach dem anderen.

Wenn der Schwierigkeiten Gedächtnis hat, ...

Mensch dem

... versuchen Sie, Fragen dann zu behandeln, wenn der Mensch an sie denkt (Fokusgruppe der Kommission des Sozialdienstes).

Überprüfen Sie im Verlauf des Treffens, ...

... ob der Mensch den Prozess und das Gesprochene versteht; machen Sie regelmäßig Pausen.

mit

auch

Bild-,

Film-

oder

Abb. 2.12 Tabelle basierend auf Material von Spice Consulting (1997)

2.2.2. Sieben Prinzipien im Entscheidungsprozess von Menschen mit Behinderung Die folgende Abbildung stellt die Unterstützungsniveaus von Menschen bei der Entscheidungsfindung - von Beratung, Unterstützung und informellen Vereinbarungen bis hin zu eher formalen Vereinbarungen und letztlich zur ersatzweisen Entscheidungsfindung - dar. 27


MODUL 2 Selbstbestimmung

Selbstständige Entscheidungsfindung x x x

mit Familienmitgliedern, FreundInnen, anderen TeilnehmerInnen, ExpertInnen usw. Sprechen in Broschüren, Medien, Internet usw. Recherchieren Dinge ausprobieren und experimentieren

Unterstützende Entscheidungsfindung x x x x

maßgeschneiderte Informationen/Formate Assistenz bei der Kommunikation zusätzliche Zeit & Besprechung der Optionen Nutzung von Technologie

Unterstützte Entscheidungsfindung x x x

formal organisiert (z. B. VertreterInnen/Unterstützungsvereine) Familie/FreundInnen treffen Entscheidungen zum Wohle u. im Interesse der Person auf Grundlage bekannter Einstellungen und Wünsche Vertretung in Gesundheitsfragen

Stellvertretende Entscheidungsfindung Abb. 2.13 Ein Mensch trifft eine Entscheidung

Dieses Kapitel basiert auf den sieben Prinzipien der Entscheidungsfindung, die wiederum die Grundlage für Überlegungen hinsichtlich der breiten Palette von Entscheidungen und Umstände eines Menschen mit Behinderung bilden.

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MODUL 2 Selbstbestimmung

Jede/jeder hat das Recht, über die Dinge, die sie/ihn betreffen, zu entscheiden

Menschen haben das Recht, Entscheidungen gegen den Willen anderer zu treffen

Es wird von der Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, ausgegangen

Menschen haben das Recht, ihre Meinung zu ändern

Menschen haben das Recht, aus Erfahrungen zu lernen

Es sollte alles unternommen werden, um eigene Entscheidungen zu unterstützen

Die Entscheidungsfähigkeit ist entscheidungsabhängig

Abb. 2.14 Sieben Prinzipien der Entscheidungsfindung

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MODUL 2 Selbstbestimmung

Entscheidungsprinzip 1 Jede/jeder hat das Recht, über die Dinge, die sie/ihn betreffen, zu entscheiden Welche Art von Entscheidungen meinen wir damit? Menschen mit Behinderung haben das Recht, Entscheidungen zu treffen, die Auswirkungen auf ihr Leben haben, soweit sie dazu in der Lage sind. Dazu gehören: ͻ

Entscheidungen, von denen man auch annehmen würde, dass sie ein Mensch ohne Behinderung treffen würde, und

ͻ

Entscheidungen, die spezifisch für die jeweilige Behinderung und deren Hilfsmittel sind.

Zu den Entscheidungen, die Menschen mit Behinderung möglicherweise treffen müssen, gehören u. a. die folgenden: Alltag: Wahl der Kleidung, des Essens, der Zubettgeh- und Aufstehzeiten. Lebensführung und Freizeit: Familie und Freundschaften, Beziehungen und Sexualität, Beteiligung

an

kulturellen

und

religiösen

Veranstaltungen, Fitness, Einkaufen, Nutzung des

Internets,

Rauchen/Trinken,

Gasthaus/Café/Kino

gehen,

Reisen

ins und

Tagesausflüge machen. Beschäftigung, Aus- und Weiterbildung: Wahl des

Arbeitsbereiches,

Hochschulausbildung,

Stellenbewerbung, Arbeitsplatz-

/Ausbildungswechsel. Lebensweise: Mit wem und wo man leben möchte, Art der Unterkunft, von zuhause weggehen, umziehen, Wohnung dekorieren oder verändern. Abb. 2.15 Entscheidungsfindung

30


MODUL 2 Selbstbestimmung

Zugang zu Dienstleistungen: Wahl der Dienstleister, Wahl der Tagesbetreuung und der Anwesenheitszeiten, Wahl der AssistentInnen. Gesundheit

und

Medizin:

Routinemäßige

medizinische

und

zahnmedizinische

Untersuchungen, Notfallversorgung, Logopädie, Physiotherapie, Krankenhausbesuche und Operationen, Verweigerung von medizinischer Versorgung. Finanzen: Bankgeschäfte, Artikel des täglichen Bedarfs kaufen, teure Gegenstände kaufen, Kredite aufnehmen, Rechnungen zahlen. Rechtliches: Verträge unterschreiben, Zustimmungen erteilen, Vollmachten ausstellen, Heirat/Scheidung, Testamente und Immobilienverwaltung.

Die Entscheidungsfreiheit ist nicht unbegrenzt. Nur wenige Menschen haben unbegrenzte Wahlmöglichkeiten im Leben. Die jeweiligen Umstände eines Menschen schränken ihre/seine Wahlmöglichkeiten ein. Faktoren wie Finanzen, Ausbildung und Fertigkeiten, Vorbereitung, Umfeld und Zeit können die Optionen begrenzen. Menschen reagieren in unterschiedlicher Weise auf Einschränkungen. So sind beispielsweise bestimmte Auslandsreisen teuer und es gibt Menschen, die bereit sind, so lange zu sparen, bis sie sich die Reise leisten können. Andere wieder entscheiden sich dafür, dass sie das Geld nicht sparen wollen oder können, und machen etwas anderes damit. Menschen mit Behinderung unterliegen den gleichen Einschränkungen in Bezug auf Entscheidungen und Lebensweise wie Menschen ohne Behinderung. Doch einige Menschen brauchen eventuell Hilfe beim Umgang mit Faktoren, die ihre Aktivitäten und Entscheidungen einschränken, etwa Beratung in Bezug auf ihre Finanzen. Möglichkeiten, auf diese Einschränkungen einzugehen, sollten als Bestandteil aller Entscheidungen

berücksichtigt

werden,

um

eine

größere

Auswahlmöglichkeit

zu

gewährleisten.

31


MODUL 2 Selbstbestimmung

Unterstützung sollte im Bedarfsfall zur Verfügung gestellt werden. Manchmal benötigen Menschen auch zusätzliche Unterstützung dabei, ihre Entscheidungen zu verstehen und zu kommunizieren. Dies könnte beispielsweise heißen: Informationen in unterschiedlichen Kommunikationshilfen,

Formaten, Übersetzungen

oder

längere Zeiträume. Die Methoden, die Menschen brauchen, sowohl um ihre Entscheidungen zu verstehen als auch um sie zu kommunizieren, wirken sich nicht auf ihr Recht aus, Entscheidungen zu treffen. Die Menschen haben das Recht auf alle Informationen oder Unterstützungen, die sie benötigen, um ihre Entscheidungen zu treffen und zum Ausdruck zu bringen.

Abb. 2.16 Die richtige Entscheidung zu treffen, könnte eine Herausforderung sein

Die Eltern von Menschen mit Behinderung könnten... ͻ

ihre Kinder daran erinnern, dass sie ein Recht haben, Entscheidungen zu treffen.

ͻ

ihre KollegInnen, LehrerInnen, MitarbeiterInnen usw. daran erinnern, dass Menschen mit Behinderung das Recht haben, Entscheidungen zu treffen.

ͻ

mithelfen, Situationen zu schaffen, in denen ihre Kinder echte Wahlmöglichkeiten haben.

ͻ

den Kindern helfen, die Informationen einzuholen, die ihnen dabei helfen, Entscheidungen zu treffen.

ͻ

ihre Kinder an eine Expertin/einen Experten verweisen, wenn sie spezielle Hilfe oder Unterstützung benötigen.

ͻ

sich ausreichend Zeit zur Ergründung der eigenen Gedanken und Gefühle nehmen.

32


MODUL 2 Selbstbestimmung

ͻ

verstehen, dass es schwierig ist, Entscheidungen in Bezug auf bestimmte Fragen zu treffen, und dass es normal ist, nicht sofort eine Antwort parat zu haben.

ͻ

die Kinder dazu ermutigen, sich eine eigene Meinung zu bilden.

ͻ

sich Zeit nehmen, die Kinder nach ihrer Meinung zu fragen, und nicht einfach davon ausgehen, ohnehin zu wissen, was sie wollen.

ͻ

sich zu Wort melden und handeln, wenn ihnen auffällt, dass ihren Kindern das Recht verweigert wird, Entscheidungen zu treffen.

ͻ

ihren Kindern helfen, sich zu beschweren, wenn ihnen das Recht auf eigene Entscheidungen verweigert wird.

Entscheidungsprinzip 2 Es wird von der Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, ausgegangen Menschen mit Behinderung... ͻ

sollte grundsätzlich die Fähigkeit zugesprochen werden, eigene Entscheidungen zu treffen.

ͻ

sollten in Bezug auf die Beurteilung ihrer Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, beraten werden.

ͻ

sollten Zugriff auf Berichte und Unterlagen im Zusammenhang mit ihrer Entscheidungsfähigkeit haben.

Während das Recht von Menschen mit Behinderung, Entscheidungen zu treffen, zunehmend anerkannt wird, erhalten viele Menschen mit Behinderung nicht die Möglichkeit, sich an der Entscheidungsfindung in vollem Umfang zu beteiligen. Ein Grund dafür könnte sein, dass man von

Menschen

mit

Behinderung

annimmt,

dass

sie

nicht

die

Fähigkeiten

zur

Entscheidungsfindung besitzen. Diese Annahme ist oft das Ergebnis eines Mangels an Verständnis in Bezug auf diese Fähigkeiten und deren Bedeutung für die Menschen. Vielleicht hängt das auch damit zusammen, dass es unterschiedliche Ansichten darüber gibt, was Fähigkeit bedeutet.

Was man als Elternteile berücksichtigen sollte:

33


MODUL 2 Selbstbestimmung

Was ist die Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen? Die Fähigkeit eines Menschen, Entscheidungen zu treffen, beschreibt seine Fähigkeit, Entscheidungen über die Dinge zu treffen, die seinen Alltag betreffen.

Das bedeutet normalerweise, dass Menschen in der Lage sind... ͻ

die Situation und die erforderliche Entscheidung zu verstehen.

ͻ

zu

verstehen,

welche

Wahlmöglichkeiten sie haben. ͻ

die Folgen ihrer Wahl abzuwägen.

ͻ

zu verstehen, wie die Folgen sie beeinflussen werden.

ͻ

ihre Entscheidung zu kommunizieren. Abb. 2.17 Dinge, die man beachten sollte

Die Entscheidungsfähigkeit von Menschen hängt nicht damit zusammen, ob sie... ͻ

Hilfe benötigen, das oben genannte teilweise oder gänzlich alleine umzusetzen.

ͻ

mehr Zeit zum Nachdenken benötigen.

ͻ

mehr Erklärungen in Bezug auf das Problem benötigen.

ͻ

Schwierigkeiten beim Kommunizieren ihrer Entscheidung haben.

34


MODUL 2 Selbstbestimmung

Warum sollten wir von der Fähigkeit, sich zu entscheiden, ausgehen? Wenn man Menschen die Entscheidungsfähigkeit abspricht, ... ͻ

versagt man ihnen das Recht, Entscheidungen über die Dinge zu treffen, die sie betreffen, und

ͻ

diskriminiert man sie.

Indem wir von der Fähigkeit von Menschen, sich zu entscheiden, ausgehen, behandeln wir sie mit Respekt und anerkennen das Recht von Menschen mit Behinderung auf Chancengleichheit.

Entscheidungen werden selten isoliert getroffen. Es ist wichtig, daran zu denken, dass Entscheidungen selten isoliert getroffen werden. Alle Menschen treffen Entscheidungen mit Hilfe zur Verfügung stehender Informationen. Dazu gehört auch Rat und Unterstützung von FreundInnen, PartnerInnen, Familie und anderen wichtigen Menschen im eigenen Leben. Selbst Menschen, die ein sehr selbstbestimmtes Leben führen, nutzen enge FreundInnen, das Internet, das Fernsehen und andere Medien dazu, sich in Bezug auf ihre Entscheidungen zu informieren. Man sollte nicht davon ausgehen, dass Menschen mit Behinderung die Entscheidungsfähigkeit fehlt, weil sie bei Entscheidungen Unterstützung von anderen Menschen benötigen!

Fähigkeiten können sich ändern. Man kann Fähigkeiten abhängig von einer Reihe von Faktoren vorübergehend oder dauerhaft verlieren oder wiedererlangen. Dazu zählen: ͻ

der aktuelle Gesundheitszustand - einschließlich der psychischen Gesundheit oder den Auswirkungen von Drogen und Alkohol;

ͻ

der Stresslevel oder traumatische Ereignisse;

ͻ

die Zeitvorgabe der Entscheidung;

ͻ

die Vertrautheit mit dem Thema und die Angemessenheit der verfügbaren Informationen;

ͻ

das physische Umfeld und Ablenkungen.

Wenn man grundsätzlich von der Fähigkeit zu entscheiden ausgeht, so respektiert man die individuellen Umstände eines Menschen und schafft einen Ausgangspunkt für die oben genannten Faktoren. 35


MODUL 2 Selbstbestimmung

Entscheidungsprinzip 3 Es sollte alles unternommen werden, um jemanden dabei zu unterstützen, eigene Entscheidungen zu treffen Ein großes Hindernis in Bezug auf die Entscheidungsfreiheit für Menschen mit Behinderung ist die Wahrnehmung von anderen, dass zu viel Zeit und Aufwand erforderlich wäre, um den jeweiligen Menschen mit Behinderung in den Entscheidungsprozesse einzubeziehen. Gibt man den Menschen jedoch von Beginn an die notwendige Unterstützung, die Entscheidung zu verstehen und auszudrücken, so spart das Zeit und Aufwand. Manche Menschen können sich nur mit Hilfe dieser Unterstützung voll und ganz an der Entscheidungsfindung beteiligen. Die Menschen haben in Bezug auf ihre Entscheidungsfreiheit das Recht, so unterstützt zu werden, wie es ihre Bedürfnisse erfordern.

Gemeinsamkeiten Es gibt einige Faktoren, die generell die Fähigkeit Entscheidungen zu treffen beeinflussen können. Die meisten davon können sich jedoch individuell auswirken und sollten situationsabhängig angesprochen werden. Dazu zählen u. a.: ͻ

die Art der zu treffenden Entscheidung: Das reicht von alltäglichen (Wahl der Kleidung oder des Menüs) bis zu wichtigeren Entscheidungen (Wahl des Lebensmittelpunkts).

ͻ

der Zeitpunkt: Die meisten Menschen haben eine Tageszeit, zu der sie besonders agil sind. Man sollte also herausfinden, wann jemand für kognitive Aufgaben empfänglich ist. Wenn die Entscheidung nicht dringend ist, sollte ein Zeitpunkt abgewartet werden, der für alle Beteiligten gut passt.

ͻ

die Komplexität der Entscheidung: Entscheidungen zu komplexen Themen erfordern eventuell mehr Informationen und mehr Zeit. Man sollte den Menschen die Zeit geben, die sie benötigen, um zu verstehen, was von ihnen verlangt wird.

ͻ

die Dringlichkeit der Entscheidung: Manche Entscheidungen müssen sehr rasch fallen - etwa wenn man ein Abgabedatum einhalten muss. Es ist wichtig,

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MODUL 2 Selbstbestimmung

den Zeitrahmen zu erklären und aufzuzeigen, was passiert, wenn die Entscheidung nicht getroffen wird. ͻ

die Aktualität der Entscheidung: Manche Menschen planen gerne im Voraus, andere sind spontan und erledigen die Dinge dann, wenn sie geschehen. Überlegen Sie, ob eine Entscheidung sofort oder erst in der Zukunft notwendig ist und ob jemand lieber spontan oder geplant handelt.

ͻ

die Verfügbarkeit von Informationen: Dazu zählen auch Beratung und Unterstützung von anderen, Informationen aus den Medien oder erinnerte Einzelheiten aus früheren Erfahrungen. Überlegen Sie, welche Informationen jemand bereits hat und was sonst noch bei der Entscheidungsfindung helfen könnte. Erkundigen Sie sich nach offenen Fragen oder danach, ob spezielle Informationen benötigt werden.

ͻ

die Physische Umgebung: Laute und unruhige Orte können die Konzentration eines Menschen beeinflussen. Menschen können sich in bestimmten Umgebungen auch verängstigt oder unter Druck gesetzt fühlen. Achten Sie darauf, ob sie bei jemandem Anzeichen dafür entdecken. Wenn möglich, bieten Sie die Möglichkeit an, den Ort zu wechseln, oder versuchen Sie es später.

ͻ

die Sensibilität der Entscheidung: Persönliche Probleme können den Wunsch nach Hilfe und Rat anderer beeinflussen. Es ist wichtig, die Privatsphäre einer Person zu respektieren. Wenn es bei einer Entscheidung auch um private Angelegenheiten geht, fragen Sie, ob es jemanden gibt, die/der zur Unterstützung hinzugezogen werden sollte.

ͻ

die persönlichen Probleme der Person: Krankheit (einschließlich psychischer Probleme), Medikamente oder Stress können die Entscheidungsfindung behindern. Es kann sein, dass jemand Hilfe für die Lösung anderer Probleme braucht, bevor sie/er eine bestimmte Entscheidung treffen kann.

Alle Menschen haben die Möglichkeit zu kommunizieren, aber nicht alle kommunizieren auf die gleiche Weise. Kommunikation beinhaltet mehr als nur Worte. Es ist ein Irrtum

37


MODUL 2 Selbstbestimmung

anzunehmen, dass Menschen nicht kommunizieren können, weil sie nicht sprechen können. Menschen können über eine Reihe unterschiedlicher Methoden kommunizieren.

Entscheidungsprinzip 4 Die Entscheidungsfähigkeit ist entscheidungsabhängig Wenn es jemandem schwerfällt, bestimmte Entscheidungen zu treffen, heißt das nicht, dass sie/er generell Schwierigkeiten hat, Entscheidungen zu treffen. Wie in allen Lebensbereichen, gilt auch hier: Manche Dinge liegen einem mehr als andere. Man kann Fähigkeiten und Fertigkeiten auch verlieren und/oder wiedererlangen. Die Art, wie jemand sich entscheidet, kann sich täglich ändern. Während es manchen Menschen immer leichter fällt, Entscheidungen zu treffen, wird es für andere möglicherweise schwieriger. Daher ist es wichtig, die Entscheidungsfähigkeit als entscheidungsspezifisch zu sehen. Das bedeutet, dass jede Entscheidung individuell betrachtet werden sollte und man keine unangemessenen Verbindungen zu anderen Entscheidungen herstellen sollte.

Verstehen Sie den Kontext der Entscheidung. Keine Entscheidung wird isoliert getroffen. Alle Entscheidungen sind in einem Kontext eingebettet.

Einige Menschen werden etwa nervös, wenn sie einer neuen Erfahrung

gegenüberstehen, und benötigen zusätzliche Zeit oder Informationen. Ebenso kann man, wenn es um bereits einmal getroffene Entscheidungen geht, die Menschen daran erinnern, wie es das letzte Mal bei dieser Entscheidung war. Dies bedeutet nicht, dass man sich wieder gleich entscheiden soll; die Erinnerung könnte trotzdem bei der neuen Entscheidung helfen.

Nicht alle Entscheidungen sind gleich. Für manche Menschen ist es etwa schwierig, finanzielle Entscheidungen zu treffen, obwohl sie genau wissen, was sie glücklich macht und was sie mit ihrem Geld machen wollen.

38


MODUL 2 Selbstbestimmung

Fähigkeiten

und

Fertigkeiten

können

abhängig von den jeweiligen Umständen verloren gehen oder wiedererlangt werden. Manche

Menschen

entscheiden

sich

vielleicht leichter, während es anderen schwerer fallen kann - vorübergehend oder dauerhaft. Achten Sie auf Veränderungen in den Umständen eines Menschen und darauf, wie es sich auf den Umgang mit der aktuellen Situation auswirkt. Wenn in naher Zukunft wichtige Entscheidungen anfallen, planen Sie im Voraus. Arbeiten Sie mit dem Menschen zusammen

und

dokumentieren

Sie

Ansichten, Meinungen und Ideen, die wichtig sein könnten.

Abb. 2.18 Der Entscheidungskontext Familie | Karriere | Spiritualität | Liebesleben | Gemeinschaft | Gesundheit

39


MODUL 2 Selbstbestimmung

Was können Sie als Elternteil tun?

Abb. 2.19 Eine Mutter entscheidet: ja | nein | vielleicht

Holen Sie Informationen über die Person und die Entscheidung ein, um bei Bedarf Unterstützung geben zu können. Dazu können Sie sich etwa folgende Fragen stellen: ͻ

Hat sie/er schon einmal eine ähnliche Entscheidung getroffen?

ͻ

Was sind ihre/seine Stärken und Schwächen?

ͻ

Hat sich für sie/ihn etwas verändert, dessen Sie sich bewusst sind?

40


MODUL 2 Selbstbestimmung

Entscheidungsprinzip 5 Menschen haben das Recht, aus Erfahrungen zu lernen Menschen mit Behinderung sollten... ͻ

ihre Werte und Einstellungen durch Aktivitäten ihrer Wahl erforschen, sich dazu äußern und entsprechend handeln können.

ͻ

Informationen und Unterstützung erhalten, die es ihnen ermöglichen, ihre Interessen zu erkunden.

ͻ

ausprobieren und experimentieren können, um dann Entscheidungen zu treffen.

ͻ

empfundene oder tatsächliche Risiken eingehen können.

Die persönliche Erfahrung kann ein wichtiger Faktor bei der Entscheidungsfindung sein. Menschen sind für Entscheidungen besser gerüstet, wenn sie selbst bereits Ähnliches erlebt haben. Manchmal haben Menschen mit Behinderung vielleicht noch nicht viele Möglichkeiten gehabt, Erfahrungen zu sammeln und ihre Interessen aktiv zu erkunden. Gründe dafür könnten zugangs- und mobilitätsbezogene Probleme sein, oder begrenzte Möglichkeiten, Menschen mit ähnlichen Interessen zu treffen. Manchmal können Menschen mit Behinderung nur wenige Erfahrungen sammeln, weil andere Menschen sich Sorgen um ihre Sicherheit machen. Zwar gibt es Aktivitäten, die ein gewisses Maß an Risiken in sich bergen, doch kann man das Sammeln neuer Erfahrungen unterstützen, indem man die Risiken und mögliche Folgen abschätzt und mit ihnen arbeitet.

Neue Dinge auszuprobieren, kann eine Herausforderung darstellen. Speziell neue Umgebungen und neue Menschen können schwierig werden, wenn man nicht an Veränderungen gewöhnt ist. Es ist wichtig, den Menschen die Informationen und die Zeit zu geben, die sie brauchen, um sich in neuen Situationen wohlzufühlen. Dazu können etwa andere Menschen von ihren Erfahrungen berichten, oder man kann sich über das Internet und andere Quellen informieren. Größere und wichtige Entscheidungen benötigen eventuell mehr Vorbereitung. Wenn man etwa umziehen möchte, so wird man sich verschiedene Wohnungen anschauen, mit potenziellen MitbewohnerInnen treffen und viel Zeit an neuen Orten verbringen. Unabhängig vom Ergebnis des Ausprobierens: Menschen können aus Erfahrungen lernen und dann entscheiden, ob sie die Dinge noch einmal machen wollen, oder nicht. 41


MODUL 2 Selbstbestimmung

Als Elternteile können Sie mit Ihrem Angehörigen mit Behinderung Verschiedenes besprechen: ͻ

Was würden sie gerne machen?

ͻ

Machen sie genug von dem, was sie gerne tun?

ͻ

Finden sie noch Gefallen an den Aktivitäten, die sie machen?

ͻ

Gibt es neue Dinge, die sie gerne versuchen möchten?

ͻ

Hält sie etwas davon ab, neue Dinge auszuprobieren?

ͻ

Gibt es Informationen, die Sie zur Verfügung stellen können?

ͻ

Gibt es Aktivitäten, die mit langfristigen Zielen in Zusammenhang stehen?

Ein wertvolles Ergebnis davon, Menschen dabei zu unterstützen, etwas Neues auszuprobieren, ist es, Menschen mit gleichen Ansichten und Interessen zu treffen. Dadurch kann man Freundschaften schließen und auf ganz natürliche Art und Weise soziale Netzwerke entwickeln. Menschen mit ähnlichen Ansichten und Erfahrungen können einen oft besser verstehen und auch bei Entscheidungen unterstützen.

Abb. 2.20 Familie mit Kind mit Behinderung

42


MODUL 2 Selbstbestimmung

Wenn es um Entscheidungen bei Menschen mit Behinderung geht, so taucht oft das Problem des Risikos auf. Auch Menschen mit Behinderung sollten in der Lage sein, Dinge mit einem gewissen Maß an Risiko durchzuführen. Dies wird manchmal als Würde des Risikos bezeichnet. Man geht davon aus, dass jemand das Für und Wider einer Entscheidung oder Erfahrung (einschließlich der Möglichkeit eines persönlichen Verlusts oder einer Verletzung) untersucht hat, versteht und trotzdem weitermachen möchte. Man muss auch daran denken, dass das Risiko selbst eine Erfahrung darstellen kann. Risiko zu untersuchen, zu verstehen und Wege zu finden, ihm zu begegnen, kann eine Herausforderung darstellen, aber auch sehr lohnend sein. Dem Risiko sollte man positiv gegenüberstehen und gemeinsam mit dem jeweiligen Menschen und eventuell ihren/seinen UnterstützerInnen begegnen. Das bedeutet, dass wir zusammenarbeiten, um die Art der potenziellen Risiken zu verstehen, um kreative Maßnahmen zur Risikominimierung zu finden und um entsprechende Maßnahmen festzulegen. Alle Maßnahmen sollten der Größe des Risikos und der Aktivität angemessen sein. Entscheidungsprinzip 6 Menschen haben das Recht, ihre Meinung zu ändern Menschen mit Behinderung sollten... ͻ

ihre Meinung in Bezug auf Entscheidungen aus ihnen wichtigen Gründen ändern können und

ͻ

Entscheidungsänderungen rechtzeitig und mit Erklärung bekanntgeben, vor allem, wenn es um Verträge oder langfristige Verpflichtungen geht.

43


MODUL 2 Selbstbestimmung

Abb. 2.21 Mutter mit ihrem Kind

So, wie Menschen das Recht haben, Entscheidungen über ihr Leben zu treffen, haben sie auch das Recht, ihre Meinung über ihre Entscheidungen zu ändern. Dies kann passieren, weil neue Informationen verfügbar sind, oder einfach, weil sich eine Entscheidung als nicht praktikabel herausgestellt hat. Es gibt Fälle, in denen es schwierig ist, Entscheidungen zu ändern oder gar von neuem anzufangen. Wenn es beispielsweise um Verträge geht, kann es bestimmte Folgen geben. Trotzdem sollte es Menschen mit Behinderung möglich sein, Entscheidungen ohne die Angst zu treffen, dass Änderungen in der Zukunft gegen sie verwendet werden.

Es gibt keine richtigen oder falschen Entscheidungen. Die Entscheidungsfindung ist ein sehr persönlicher Prozess und Definitionen von richtig und falsch sind nicht universell. Eine 'falsche' Entscheidung ist nicht nur eine Entscheidung, die offensichtlich negative Folgen hat. Eine Entscheidung kann auch "falsch" sein, weil sie sich für den Menschen, den sie betrifft, nicht richtig anfühlt. In diesem Fall ist es nur natürlich, dass jemand ihre/seine Meinung revidieren möchte. Während die Menschen immer hoffen, dass ihre Entscheidungen positive Ergebnisse nach sich ziehen, können bestimmte Einflussfaktoren auch Entscheidungen herbeiführen, die später bereut werden. Das Urteil über die "Richtigkeit" 44


MODUL 2 Selbstbestimmung

einer Entscheidung kann nur im Nachhinein getroffen werden. Wenn jemand seine Meinung ändert, ist es nicht unbedingt ein Zeichen dafür, dass sie/er unentschlossen oder nicht in der Lage ist, Entscheidungen zu treffen.

Praktischer Teil 2.2.3. Warum wir unsere Meinung ändern (Reflexionsübung) Es gibt viele Gründe dafür, warum jemand ihre/seine Meinung in Bezug auf eine Entscheidung ändert. Dazu zählen die folgenden: ͻ

Das Ergebnis war nicht wie erhofft: Manchmal tritt nach einer Entscheidung nicht das geplante Ergebnis ein. Manche Entscheidungen können einen negativen Einfluss auf die persönlichen Umstände eines Menschen (z. B. die Gesundheit, die Fähigkeit, selbstständig zu leben, oder der Druck auf FreundInnen und Familie) haben. Auch gut geplante Entscheidungen können zu unbefriedigenden Ergebnissen führen. Das macht die ursprüngliche Entscheidung nicht falsch - es bedeutet nur, dass unser Leben nicht immer nach Plan verläuft.

ͻ

Bedenken: Oft haben Menschen Bedenken in Bezug auf ihre Entscheidungen. Das hängt häufig mit den Umständen zusammen, unter denen Entscheidungen getroffen werden. Wenn man Menschen zu etwas drängt, sie nicht klar denken können oder im Moment der Entscheidung mitgerissen werden, treffen sie manchmal Blitzentscheidungen, die sie später bereuen.

ͻ

Neue Informationen: Entscheidungen basieren in der Regel auf Informationen, die zum Zeitpunkt der Entscheidung verfügbar sind. Manchmal erhält man jedoch nach der Entscheidung neue Informationen, aufgrund derer man die ursprüngliche Entscheidung ändern möchte.

Menschen mit Behinderung benötigen eventuell Unterstützung dabei, die Folgen genau zu verstehen. Es kann Fälle geben, in denen es problematisch ist, Entscheidungen zu ändern oder von vorne zu beginnen. Das kann beispielsweise mit bestimmten Konsequenzen oder zusätzlichen Kosten 45


MODUL 2 Selbstbestimmung

zusammenhängen. Unter diesen Umständen ist es wichtig, dass den Menschen so viele Informationen wie möglich zur Verfügung stehen und sie angemessen unterstützt werden, um die Folgen für sie und andere zu verstehen.

Es ist nie zu spät. Manchmal traut man sich nicht zuzugeben, dass man seine Meinung geändert hat. Vielleicht, weil viel organisatorische Arbeit dahinter steckt oder weil die Folgen einer Veränderung groß und beängstigend scheinen. Manche Menschen scheuen sich davor, ihre Meinung zu sagen oder anderen Menschen Probleme zu bereiten. Es gibt aber auch Menschen, die nicht wissen oder verstehen, dass sie ihre Meinung ändern können.

Abb. 2.22 Glückliche Familie

Für Elternteile eines Menschen mit Behinderung: Halten Sie Ausschau nach Signalen. x

Ist die Person glücklich?

x

Scheint sie/er glücklich zu sein? 46


MODUL 2 Selbstbestimmung

x

Wissen Sie, worauf Sie achten müssen?

Fragen Sie! Ermutigen Sie die Person, zu beschreiben, wie es ihr mit den jüngsten Ereignissen geht. Sorgen Sie für Zeit! Schaffen Sie Möglichkeiten, um offen darüber zu sprechen, wie sie/er sich fühlt. Stellen Sie sicher, dass sie/er versteht, dass sie/er frei sprechen kann. Verstärken Sie ihre/seine Rechte! Erinnern Sie sie/ihn daran, dass sie/er das Recht hat, (gegebenenfalls) ihre/seine Meinung zu ändern.

Theoretischer Teil Entscheidungsprinzip 7 Menschen haben das Recht, Entscheidungen gegen den Willen anderer zu treffen Menschen mit Behinderung sollten... ͻ

Entscheidungen entsprechend ihrer eigenen Werte und Einstellungen treffen und dann danach handeln können.

ͻ

mit ihren Einstellungen, Werten und Entscheidungen respektiert werden.

ͻ

ihre eigenen Ansichten in Bezug auf ein empfundenes oder tatsächliches Risiko in Verbindung mit ihren Entscheidungen feststellen können.

ͻ

die Auswirkungen ihrer Entscheidungen und Handlungen auf andere im Rahmen ihrer Entscheidungsfindung prüfen.

ͻ

Verantwortung für ihre Entscheidungen übernehmen.

47


MODUL 2 Selbstbestimmung

Abb. 2.23 Gl端ckliche Familie (2)

48


MODUL 2 Selbstbestimmung

Obwohl alle Menschen das Recht haben, Entscheidungen über etwas, das einen selbst betrifft, selbst zu treffen, kann es vorkommen, dass BegleiterInnen und/oder Angehörige mit bestimmten Entscheidungen nicht einverstanden sind. Trotzdem sind die Ansichten, Werte und Entscheidungen des Menschen mit Behinderung zu achten; die eigenen Werte oder Einstellungen dürfen nicht auf den Menschen mit Behinderung übertragen werden. Bei Meinungsverschiedenheiten in Bezug auf ein etwaiges Risiko oder einen potentiellen Schaden, sollte man sich darauf konzentrieren, Informationen zur Verfügung zu stellen, die es dem Menschen mit Behinderung ermöglichen, das Risiko und etwaige Möglichkeiten zur Risikominderung einzuschätzen. Bestehen Uneinigkeiten in Bezug auf wichtige Entscheidungen (z. B. zwischen dem Menschen mit Behinderung und den Eltern), können unabhängige MediatorInnen hinzugezogen werden. Bei der Entscheidungsfindung kommt es oft darauf an, was sich in Bezug auf die eigenen Werte und Einstellungen richtig anfühlt. Das Vertrauen in Entscheidungen basiert auf dem Verständnis davon, was sich für den einzelnen Menschen richtig oder falsch anfühlt. Bei der Unterstützung eines Angehörigen mit Behinderung ist es wichtig, ... ͻ

sich zu bemühen, dessen Werte und Einstellungen zu verstehen und

ͻ

dessen Werte und Einstellungen zu respektieren, auch wenn sie von den eigenen abweichen.

49


MODUL 2 Selbstbestimmung

Praktischer Teil 2.2.4 Fallstudien (Reflexionsübung) Fallstudie 1 Lucys Entscheidung Lucy ist 19 Jahre alt. Sie lebt bei ihrer Mutter, ihrem Vater und ihrer 17-jährigen Schwester Rachel, die auch ihre beste Freundin ist. Lucy hat eine kognitive Beeinträchtigung und kann nur eingeschränkt verbal kommunizieren. Sie hat die Schule im letzten Jahr abgeschlossen, aber beschlossen, sich eine Auszeit zu nehmen, bevor Sie mit einem neuen Kurs beginnt. Prinzip 1: Jeder hat das Recht, Entscheidungen über eigene Angelegenheiten zu treffen Lucy sagte ihren Eltern, dass sie vor dem Studium etwas Geld verdienen und einen Teilzeitjob finden wolle. Beim Abendessen sprach die Familie über Lucys Wünsche. Rachel machte Scherze darüber, dass Lucy Einkaufen mehr mochte als Arbeiten. Lucy erzählte, wie sehr ihr die Arbeit im Schulgarten gefallen hatte, und ihr Vater meinte, Lucy könnte vielleicht einen Job in einer Gärtnerei bekommen. Lucy war begeistert und sagte ihrer Familie, dass es genau das war, was sie tun wolle. Alle waren sich darüber einig, Lucy dabei zu unterstützen, mehr darüber herauszufinden, um ihre Ideen verwirklichen zu können. Prinzip 2: Es muss von der Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, ausgegangen werden Pete, ein Freund des Vaters, war Landschaftsgärtner. Ihn würde der Vater fragen, ob Lucy mit ihm arbeiten könne. Leider war Pete nicht sehr hilfreich. Er meinte, er glaube nicht, dass Lucy verstehen würde, was alles zur Arbeit in einem Garten gehöre, und dass sie nicht wirklich im Freien arbeiten wolle - vor allem im Winter. Pete sagte, ihr Vater solle Lucy sagen, sie solle sich um einen leichteren Job, vielleicht in einem Geschäft, umsehen. Der Vater sagte Pete, dass Lucy darüber bereits nachgedacht und sich entschlossen hatte, es trotzdem auszuprobieren. Pete war immer noch nicht überzeugt und sagte, er könne nicht behilflich sein. Lucy war verärgert, aber alle versicherten ihr, dass sie sie weiterhin unterstützen würden. Prinzip 3: Es sollte alles unternommen werden, um jemanden dabei zu unterstützen, eigene Entscheidungen zu treffen Rachel half Lucy, im Internet und in der Zeitung nach Stellenanzeigen zu suchen. Die Mutter besuchte

mit

Lucy

zwei

Gärtnereien

in

der

Nähe.

Die

Mutter

erklärte

den

Geschäftsführerinnen, wie Lucy kommunizierte, und eine von ihnen lud sie zu einem

50


MODUL 2 Selbstbestimmung

Vorstellungsgespräch für ein paar Stunden Arbeit pro Woche ein. Lucy war sehr aufgeregt, als sie zuhause anrief und erzählte, dass sie Erfolg gehabt hatte. Prinzip 4: Die Entscheidungsfähigkeit ist entscheidungsabhängig Die Gärtnerei war zu weit von ihrem Zuhause entfernt, um zu gehen, und zunächst fuhr ihre Mutter Lucy zur Arbeit und holte sie wieder ab. Doch bald beschloss Lucy, dass sie unabhängiger sein wolle, und sie sagte ihrer Mama, dass sie die Straßenbahn nehmen wolle. Der Vater erinnerte Lucy an die Probleme, die sie in den Straßenbahnen gehabt hatte, als sie jünger war. Er meinte, es sei keine gute Idee. Lucy hatte einmal die falsche Bahn genommen und er hatte sie an der Endstation abholen müssen. Lucy und Rachel meinten, ihr Vater mache sich zu viele Sorgen. Lucy sagte, sie sei nun älter und mit ihrem neuen Handy würde alles gutgehen, auch wenn etwas passieren sollte. Prinzip 5: Menschen haben das Recht, aus Erfahrungen zu lernen Lucy begann damit, mit der Straßenbahn zur Arbeit zu fahren. Sie und Rachel hatten auf der Karte die beste Route ausgearbeitet und Lucy war zuversichtlich, dass sie wusste, mit welcher Straßenbahn sie fahren und wo sie umsteigen musste. Zunächst war sie ein bisschen nervös, aber nach ein paar Tagen wurde es ganz normal für sie. Sie genoss es besonders, dass sie nun auf dem Heimweg nach der Arbeit selbst bummeln gehen konnte. Schließlich machte sich auch der Vater keine Sorgen mehr. Prinzip 6: Menschen haben das Recht, ihre Meinung zu ändern Einige Monate verstrichen und Lucy hatte große Freude an der Arbeit in der Gärtnerei. Sie fühlte sich als Teil des Teams. Als allerdings der Winter kam und es früher dunkel wurde, meinte Lucy, dass sie nicht an kalten und nassen Straßenbahnhaltestellen warten wolle. Sie sagte ihrer Mutter, dass sie gerne im warmen Auto zur Arbeit gebracht und wieder abgeholt werden wolle. Die Mutter verdrehte die Augen und der Vater sagte: "Ich habe es dir ja gesagt!" Aber die Mutter stimmte zu, Lucy abzuholen, wenn sie konnte. Prinzip 7: Menschen haben das Recht, Entscheidungen gegen den Willen anderer zu treffen Nach fast einem Jahr war es nun an der Zeit, dass Lucy mit dem Studium beginnen sollte. Lucy freute sich auf das Studium, aber sie liebte auch ihre Arbeit in der Gärtnerei. Sie hatte erkannt, wie sehr sie das Leben im Freien und die Arbeit mit den Pflanzen liebte. Sie entschied sich, den ursprünglichen Kurs zu wechseln und stattdessen Gartenbau zu studieren. Leider war es zu spät, um sich für das kommende Semester für Gartenbau einzuschreiben. Lucy würde bis zum 51


MODUL 2 Selbstbestimmung

nächsten Anmeldetermin warten müssen bevor sie ihr Studium beginnen könnte. Die Mutter war nicht erfreut und wollte, dass Lucy den ursprünglichen Kurs trotzdem macht. Sie könnte ja später zu Gartenbau wechseln. Lucy war aber hartnäckig und blieb dabei, dass sie nur Gartenbau studieren wolle. Der Vater meinte, dass sie durch ein weiteres Jahr Arbeit in der Gärtnerei noch besser für ihr Studium vorbereitet wäre und dabei mit einer Arbeit, die ihr sehr gefiel, noch Geld verdienen könne. Die Mutter war besorgt, meinte aber, dass es Lucys Entscheidung sei. Lucy spart jetzt ihr Geld für einen Urlaub mit Rachel und hat bereits ihre Chefin gefragt, ob sie im nächsten Jahr ihre Schichten ändern könne, sodass sie auch während ihres Studiums weiter arbeiten könne.

Fallstudie 2 Ashs Entscheidungen Ash ist 25 Jahre alt. Er lebt in einer Wohngruppe mit drei Männern, die alle älter sind als er. Außer einem Bruder, der in Kanada lebt, hat er keine weiteren Familienmitglieder. Ash liebt Musik und die Freitagabende in seiner Stammkneipe, wo jede Woche Bands spielen. Er geht mit Rod, einem seiner Betreuer, in die Kneipe. Ein paar Leute in der Kneipe kennen Ash, sie grüßen ihn, aber meistens bleiben er und Rod für sich und beobachten die Bands. Eines Tages bemerkten Ash und Rod eine neue Gruppe, die nun auch jeden Freitagabend in die Kneipe kam. Rod fiel auf, dass Ash eine der Frauen in der Gruppe auffiel. Eines Abends begann Rod, nachdem er seine anfängliche Schüchternheit überwunden hatte, ein Gespräch mit der Gruppe und auch Ash beteiligte sich am Gespräch. Ash fand heraus, dass die Frau, die ihm gefiel, Claire hieß und dass ihr die gleiche Art von Musik gefiel wie ihm. Ash hatte bisher nicht viele Möglichkeiten gehabt, sich privat mit Frauen zu unterhalten, aber am Ende des Abends fühlte sich Ash sehr wohl mit Claire, die sich offensichtlich auch gerne mit ihm unterhielt.

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Prinzip 1: Jeder hat das Recht, Entscheidungen über eigene Angelegenheiten zu treffen Nach einigen Freitagen in der Kneipe war klar, dass Ash und Claire einander mochten. Claire schlug vor, sich außerhalb der Kneipe zu treffen, und mit Rods Hilfe vereinbarten sie einen Kinobesuch und beschlossen, anschließend in ein Café zu gehen. Beide genossen die gemeinsame Zeit. Als Ash nach Hause kam, war er sehr glücklich. Er erzählte Rod, dass er viel über Claire nachgedacht hatte und sie zu sich einladen wolle, um etwas Zeit allein mit ihr zu verbringen. Prinzip 2: Es muss von der Fähigkeit, Entscheidungen zu treffen, ausgegangen werden Rod erzählte seinen Kolleginnen und Kollegen von Ashs Entscheidung, aber sie waren alle der Meinung, dass das eine schlechte Idee sei. Einer sagte, dass er nicht glaube, Ash verstehe, was er da mache und wie er handeln solle, vor allem in Bezug auf jemanden, für den er vielleicht Gefühle habe. Ein anderer Kollege meinte, sie sollten bei allen anderen im Wohnbereich bleiben. Prinzip 7: Menschen haben das Recht, Entscheidungen gegen den Willen anderer zu treffen Ash hörte das alles und wurde sehr ruhig. Er zog sich von den anderen zurück. Als Rod kam, sah er, wie unglücklich Ash war. Rod wies die anderen darauf hin und erinnerte sie daran, dass es sich um Ashs Zuhause handelte und er ein Recht hatte, zu entscheiden, ob er jemanden einladen wolle. Die anderen waren nicht glücklich, waren sich aber einig, dass, wenn Rod dort war, er die Situation im Griff habe. Rod gab Ash sein Handy und so konnte Ash Claire anrufen und sie zum Abendessen einladen. Claire sagte, sie würde gerne sehen, wo Ash lebt, und etwas Zeit mit ihm verbringen. Ash war wirklich glücklich und er und Rod erzählten den anderen über den bevorstehenden Besuch Claires. Ash sprach mit Rod über das Essen, das die beiden vorbereiten wollten. Prinzip 3: Es sollte alles unternommen werden, um jemanden dabei zu unterstützen, eigene Entscheidungen zu treffen Das Essen lief sehr gut. Claire kam, lernte Ashs Mitbewohner und die anwesenden Assistenten kennen. Sie aßen zusammen und alle fanden, dass Ash sehr gut gekocht hatte. Es wurde viel gesprochen und alle meinten, Claire könne gerne wieder auf Besuch kommen. Nach dem Essen bot Rod an, den Abwasch zu machen; Claire und Ash könnten etwas Zeit alleine in seinem Zimmer verbringen. 53


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Prinzip 6: Menschen haben das Recht, ihre Meinung zu ändern Etwa eine halbe Stunde später kam Claire aus Ashs Zimmer und sagte Rod, dass sie wohl gehen solle. Sie verabschiedete sich von allen und ging. Rod ging zu Ash und fragte, was passiert sei. Ash war sehr traurig und ruhig und erzählte Rod, dass er nicht gewusst hatte, worüber er mit Claire reden sollte, als sie alleine gewesen waren. Er sagte, es sei nicht das gleiche gewesen wie zuvor, als sie alle bei Tisch gesessen waren. Ash sagte, er sei ein wenig verlegen gewesen und hatte Claire gebeten, zu gehen. Prinzip 5: Menschen haben das Recht, aus Erfahrungen zu lernen Rod sagte zu Ash, er solle sich nicht zu viele Sorgen machen. Er erklärte Ash, dass es manchmal schwierig sein kann, wenn man mit jemand anderes alleine ist, etwas zu finden, worüber man sprechen kann. Er meinte, Ash hätte über die Musik sprechen können, die sie beide mochten, und Claire seine Musiksammlung zeigen können. Ash sagte, er sei zu schüchtern und nervös gewesen, um daran zu denken. Er wünschte sich, er könnte es noch einmal versuchen. Rod meinte, dass Ash Claire anrufen und versuchen könne, ihr die Situation zu erklären. Prinzip 4: Die Entscheidungsfähigkeit ist entscheidungsabhängig Als Rods Kollegen hörten, was geschehen war, meinten sie, dass sie vorhergesagt hatten, dass so etwas passieren würde. Rod erinnerte sie daran, dass es Ashs Entscheidung war, Claire einzuladen, und dass er es noch einmal versuchen wolle. Die Kollegen sagten, dass es nicht richtig von Rod sei, Ash zu bestärken, da er nur wieder verletzt würde. Ash kam aus seinem Zimmer, um Rod sein Handy zurückzugeben, und hörte, was die anderen sprachen. Er erzählte ihnen, dass er sich bei Claire entschuldigt hatte und dass sie über ein neues Treffen sprechen würden, wenn sie sich am kommenden Freitag in der Kneipe treffen würden. Ash sagte ihnen, dass er sich in Bezug auf die Gespräche mit Claire nun besser fühle und dass Rod ihm geholfen habe, darüber nachzudenken, wie er die Dinge beim nächsten Mal besser machen könne. Ein paar Wochen später kam Claire wieder und dieses Mal lief alles sehr gut. Sie bestellten Pizza, die sie in Ashs Zimmer aßen, während sie Musik hörten, und sie sprachen den ganzen Abend. Als sich Claire verabschiedete, gingen sie zu Rod und sagten ihm, dass sie Hilfe bei ihrer nächsten Entscheidung brauchen würden - ein Wochenendausflug zu einem Musikfestival!

2.2.5 Spielerisches Üben mit dem Familienmitglied mit Behinderung

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MODUL 2 Selbstbestimmung

Abb. 2.24 Spielen wir ein Spiel

Kleines Geschäft Einkaufen kann gleich mehrere Lektionen in Sachen Entscheidungsfindung beinhalten. Anstatt einen Menschen mit Behinderung einfach vor alle Optionen und Entscheidungsmöglichkeiten in einem Geschäft zu stellen, kann man zuhause einen "kleinen Laden" einrichten und so Entscheidungen üben. Legen Sie fünf oder sechs kleine Dinge auf den Tisch und versehen Sie sie mit verschiedenen Preisschildern. Geben Sie Ihrem Kind einen bestimmten Betrag und bieten Sie ihm/ihr an, mit dem Geld "einzukaufen". Vielleicht kauft sie/er sich ja zwei oder drei günstigere Produkte oder nur ein teureres... Fragen Sie ihn/sie, warum?

Machen Sie eine Speisekarte Bitten Sie den Menschen mit Behinderung, eine einfache Mahlzeit zusammenzustellen. Sie/er könnte

sich

dafür

entscheiden,

eine

Mahlzeit

aus

ihren/seinen

Lieblingsspeisen

zusammenzustellen oder sie/er könnte sich für neue Gerichte entscheiden. Wenn sie/er sich beispielsweise für einen Obstsalat entscheidet, unterstützen Sie sie/ihn bei der Auswahl der Obstsorten. Wenn sie/er einen Nachtisch möchte, sprechen Sie über verschiedene Optionen und wählen Sie etwas besonders Ansprechendes. Nachdem das Menü feststeht, kaufen Sie mit ihr/ihm die notwendigen Zutaten ein und bereiten Sie das Essen gemeinsam zu.

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Schokoladenspiel Die Schokolade in Nachbars Garten schmeckt immer ein wenig süßer... Jedes Familienmitglied kann aus zwei braunen Säckchen mit Schokolade-Chips auswählen. Ein Säckchen beinhaltet die doppelte Menge an Schokoladenstückchen. (Natürlich weiß niemand, wie viel in welchem Säckchen ist.) Ein Mitglied (eventuell auch das Kind mit Behinderung) darf nun ein Säckchen auswählen. Nachdem sie/er gewählt hat, hat er/sie noch einmal die Möglichkeit, sich anders zu entscheiden. Was macht er/sie? Warum? Dies könnte der Beginn einer großartigen Diskussion über Entscheidungen, über Gewinnen und Verlieren, und über die Zufriedenheit damit, was man hat, sein.

Ultimatum In diesem Spiel macht eine Spielerin/ein Spieler ein Angebot, das die andere Spielerin/der andere Spieler akzeptieren (alle SpielerInnen bekommen das, was vorgeschlagen wird) oder ablehnen kann, wobei in diesem Fall keine/keiner der beiden etwas bekommt. Letzte Woche, als wir auf einen Arzttermin gewartet haben, bat ich mein Kind, sich vorzustellen, sie solle sich 20 Schokolade-Chips auf diese Art und Weise mit ihrer Schwester teilen. Sie erwiderte sofort, dass sie ihr zehn Schokoladenstückchen anbieten würde, weil das gerecht sei. Dann fragte ich sie, was sie tun würde, wenn ihre Schwester ihr nur eines von 20 anbieten würde. Nachdem sie die Frage der Gegenseitigkeit für sich geklärt hatte, akzeptierte sie, weil es ihr klar wurde, dass ein Stückchen Schokolade besser war als keines. Beachten Sie, dass das Spiel je nach Anzahl der Runden unterschiedlich gespielt wird.

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MODUL 2 Selbstbestimmung

2.2.6. Probleme selbst lösen (Reflexionsübung) Besprechen Sie die folgenden Situationen mit dem Menschen mit Behinderung: 1. "Es ist der Geburtstag deiner Mitbewohnerin/deines Mitbewohners und du würdest ihr/ihm gerne ein Geschenk kaufen, aber du hast kein Geld: Was würdest du tun?" 2. "Du bist gerade auf dem Weg zum Bus, um zur Arbeit zu fahren. Jemand sagt dir, dass gestreikt wird und keine Busse fahren: Was würdest du tun?" 3. "Du triffst dich mit einer Freundin/einem Freund im Sportzentrum, aber du weißt nicht, wie du hinkommst: Was würdest du tun?"

2.2.7. Welche Entscheidung ist die beste? (Test)

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2.3 Mit den eigenen Emotionen umgehen lernen

Abb. 2.25 Die eigenen Emotionen

2.3.1 Emotionale Selbstkontrolle Es lebte einmal ein alter Mann, der verschiedene Tierarten hielt. Sein Enkelsohn war vor allem von zwei Tigern fasziniert, die zusammen in einem Käfig lebten. Die Tiger hatten unterschiedliche Temperamente: einer war ruhig und selbstbeherrscht, während der andere unberechenbar, aggressiv, gewalttätig und bösartig war. "Kämpfen sie jemals, Großvater?", fragte der Junge. "Gelegentlich, ja.", gab der Alte zurück. "Und welcher von beiden gewinnt?" "Nun, das hängt davon ab, welchen ich am meisten füttere."

Die Möglichkeit, seine Emotionen zu kontrollieren, hängt teilweise davon ab, wie sehr man eine bestimmte Emotion füttert: Wie sehr konzentrieren wir uns darauf, wovor wir Angst haben, was uns wütend macht oder was uns deprimiert? Aber das ist nicht alles. Gute "emotionale Intelligenz" heißt, unsere eigenen Stimmungen zu verstehen, zu erkennen, wann

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und warum wir aufgebracht sind, und reale Strategien zu besitzen, um die Art und Weise zu beeinflussen, wie wir uns fühlen.

Unter emotionaler Selbstkontrolle bzw. der Kontrolle von Gefühlen versteht man die Fähigkeit, auf die gegenwärtigen Anforderungen einer Erfahrung mit der Reihe von Emotionen in einer Weise zu reagieren, die sozial verträglich und ausreichend flexibel ist, um spontane Reaktionen zuzulassen oder, sollte das notwendig sein, sie zu verzögern. Man kann sie auch als extrinsische und intrinsische Prozesse definieren, die für die Überwachung, Bewertung und Modifizierung emotionaler Reaktionen verantwortlich sind. Die emotionale Selbstkontrolle gehört zu einem breiteren Spektrum von emotionalen Kontrollprozessen, zu denen die Kontrolle der eigenen Gefühle und die Kontrolle der Gefühle anderer Menschen zählen.

Wenn Sie sich also jemals hilflos in einem hysterisch stürmischen Meer der Emotionen wiederfinden und zumindest Ihre Segel richten wollen, um sich wieder zu ruhigeren Gewässern aufzumachen, dann lesen Sie die folgenden Tipps im praktischen Teil.

Praktischer Teil 2.3.2. Tipps zur Kontrolle der eigenen Gefühle 1) Kontrollieren Sie Ihre Emotionen, indem Sie vorausblicken Sehr intensive Gefühle verstellen uns den Blick auf die Zukunft. Wenn wir unglaublich wütend oder ängstlich sind, können wir kurzzeitig tatsächlich vergessen, dass es eine Zukunft gibt. Hier ist ein kurzer Denkanstoß: Es war einmal ein Mann, der in einer großen Firma arbeitete. Eines Tages geriet er so außer sich, dass er seinem Chef eine Tüte Eis ins Gesicht stopfte. Diese momentbezogene Tat hatte große und andauernde Auswirkungen auf das Leben des Mannes speziell in Bezug auf seine Finanzen. Wir haben alle schon einmal etwas gesagt oder getan, was wir später bereuten, weil wir unsere Gefühle über unsere Handlungen bestimmen haben lassen. Wenn Sie wütend werden, denken Sie kurz nach: "Wie werde ich mich morgen fühlen, wenn ich meine Würde verliere und diesem Menschen (den ich jeden Tag treffe) sage, dass er ein Gesicht wie ein Kuhfladen 59


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hat?" Wenn Sie sich über eine unmittelbar bevorstehende Situation sorgen machen, sagen Sie zu sich selbst: "Wow, wie werde ich mich morgen/nächste Woche fühlen, wenn ich auf diese Situation zurückblicke?" Sehen Sie über das Unmittelbare hinaus: Sie werden das größere Ganze zu sehen bekommen und ruhig werden.

2) Lernen Sie sich selbst kennen Lernen Sie, Ihre eigenen Einstellungen und emotionalen Höhen und Tiefen zu beobachten. Ein wichtiger erster Schritt zur Kontrolle der Gefühle ist es, zu wissen, wann wir emotional werden und warum. Wenn Sie feststellen, dass Sie in Bezug auf ein Thema unerwartet starke Gefühle haben, fragen Sie sich, warum. Wenn man seine Gefühle kontrollieren möchte, heißt das nicht, so zu tun, als wären sie nicht da. Wenn Sie eifersüchtig, wütend, traurig, verbittert oder gierig sind, benennen Sie es auch so: "Okay, es gefällt mir nicht, dass ich mich so fühle, aber ich bin gerade sehr neidisch!" So haben Sie es vor sich selbst zugegeben. Im nächsten Schritt stellen Sie fest, warum Sie sich so fühlen: "Ich hasse es zuzugeben, aber ich bin neidisch auf Bob, weil er gerade für seine Arbeit gelobt wurde, und ich nicht!" Wenn Sie in der Lage sind, so ehrlich zu sich selbst zu sein, brauchen Sie nicht dasselbe machen, was ein großer Teil der Menschheit tut: Sie brauchen nicht zu "begründen". Wir begründen, indem wir uns selbst betrügen. Wir sagen uns, dass wir auf jemanden nicht böse sind, weil sie/er für ihre/seine Arbeit gelobt wurde, sondern wegen "ihrer/seiner Haltung uns gegenüber" - oder aus einem anderen erfundenen Grund. Zu wissen, was Sie fühlen, und stark genug zu sein, die Wahrheit in Bezug auf die Gründe dafür festzustellen, bringt Sie sehr viel näher dazu, etwas dagegen zu tun.

3) Verändern Sie Ihre Stimmung: Machen Sie etwas anderes Wir neigen zu der Annahme, dass uns Stimmungen "einfach passieren" und dass es das Beste ist, zu warten, bis sie wieder vorübergezogen sind. Aber im Gegensatz zu Stürmen können wir unsere Stimmungen beeinflussen - und sogar verändern. Und das geht auch ohne ungesunde Mittel wie Alkohol oder Drogen. In der Lage zu sein, die eigenen Gefühle handzuhaben und zu beeinflussen, ist ein Zeichen guter Gesundheit und emotionaler Reife.

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Eine Möglichkeit, seine Stimmung zu verändern, besteht darin, sofort etwas anderes zu tun. Wenn Sie sich beispielsweise müde und gelangweilt fühlen, wird sich diese Stimmung verstärken, wenn Sie weiterhin uninteressante Fernsehsendungen ansehen. Wenn Sie aber den Fernseher ausschalten und einen Spaziergang machen, wird sich Ihre Stimmung unweigerlich verändern. Wenn Sie verärgert sind, konzentrieren Sie sich ganz bewusst auf drei Dinge in Ihrem Leben, für die Sie dankbar sind. Wenn Sie besorgt sind, stellen Sie sich vor, dass das, was Ihnen Sorgen bereitet, bereits geschehen und viel besser gelaufen ist als erwartet. Das Wichtigste ist, etwas anderes zu tun oder zu denken. Lassen Sie sich nicht passiv von der Stimmung hinwegspülen. Am schnellsten funktioniert das, wenn Sie sich einfach vorstellen, nicht das zu fühlen, was Sie gerade fühlen. Wenn Sie sich gestresst fühlen, können Sie einfach ein paar Momente Zeit nehmen, die Augen schließen und vorstellen, dass Sie entspannt, bequem und in einer guten Stimmung sind. Das wird zumindest die schlechte Laune neutralisieren und kann Sie sogar in eine gute Stimmung versetzen. Nächstes Mal, wenn Sie schlecht gelaunt sind, hören Sie sich die kostenlose Audio-Einheit unten an und beobachten Sie, in wie weit Sie Ihre Stimmung verändern können.

4) Beobachten Sie, wie andere effektiv mit ihren Emotionen umgehen Wir können sehr viel von anderen lernen (solange wir uns die richtigen Leute aussuchen). Wie gehen andere "emotional geübte" Menschen mit ihrer Frustration und ihren Schwierigkeiten um? Sie könnten sie sogar fragen: "Wie machen Sie das, dass Sie so entspannt bleiben, wenn Sie vor all diesen Menschen eine Präsentation halten müssen? Warum macht Sie das nicht wütend? Wie können Sie nach solchen Rückschlägen noch lächeln?" Die Antworten könnten tatsächlich Ihr Leben verändern, wenn Sie damit beginnen das Gelernte anzuwenden.

5) Ändern Sie Ihre Physiologie Einige Leute glauben, dass sich Gefühle nur "im Kopf abspielen". Tatsächlich sind Emotionen körperliche Reaktionen. Wut erhöht die Herzfrequenz und den Blutdruck, weshalb ein cholerisches Naturell Einfluss auf Herzkrankheiten hat. Angst hat ebenfalls viele körperliche Veränderungen zur Folge und Depressionen unterdrücken das Immunsystem.

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Somit müssen Sie, wenn Sie Ihren Gefühlszustand verändern wollen, sich auch mit körperlichen Veränderungen beschäftigen. Körperliche Veränderungen basieren auf der Art und Weise, wie wir atmen. Wut und Angst etwa "funktionieren" nur, wenn wir schneller und flacher atmen. Probieren Sie diese Übung: Halten Sie Ihren Atem fünf Sekunden lang an (um den Atem "zurückzusetzen"). Atmen Sie nun langsam (und konzentrieren Sie sich auf das Zwerchfell), bis Ihre Lungen mit Luft gefüllt sind. Dann atmen Sie noch langsamer aus (und während Sie das machen, stellen Sie sich vor, dass Sie reine Erholung und Entspannung in ihre Hände einatmen). Machen Sie weiter so und denken Sie daran, dass es das Ausatmen ist, das alles beruhigt.

6) Verwenden Sie Ihre „Birne“ Stellen Sie sich Gefühle als ein starkes, aber dummes Wesen vor, dass manchmal Ihre Führung und Anleitung braucht. Wir brauchen Emotionen, um uns zu motivieren; aber es muss die richtige Emotion zur richtigen Zeit auf die richtige Art und Weise sein. Je mehr emotionaler wir werden, desto dümmer werden wir. Dies liegt daran, dass unsere Emotionen möchten, dass wir blind und körperlich reagieren, anstatt zu denken oder objektiv und rational zu sein. Aus evolutionärer Sicht wäre es nicht gut gewesen, bei einem Angriff eines Löwen eine objektive und rationale Haltung einzunehmen, da uns das langsam gemacht hätte. Aber unser modernes Leben verlangt meist ruhige und besonnene Gedanken anstatt blinder und schlampiger emotionaler Reaktionen. Wenn Sie den denkenden Teil Ihres Gehirns dazu zwingen, zu arbeiten, wenn Sie emotional werden, können Sie den randalierenden emotionalen Teil schwächen und unterwerfen. Das können Sie ganz einfach machen, indem Sie sich zwingen, an drei Namen von ehemaligen MitschülerInnen zu denken, oder indem Sie in Gedanken das Alphabet durchgehen. Probieren Sie es aus - es funktioniert wirklich.

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7) Schaffen Sie freie Kapazitäten in Ihrem Leben Kontraproduktive Emotionen können unterschiedliche Gründe haben. Vielleicht haben wir nie gelernt, uns zu kontrollieren, oder vielleicht macht es unsere Lebensführung wahrscheinlicher, dass wir mit emotionalen Problemen konfrontiert sind. Jeder Organismus, von der Amöbe bis zur Antilope und von der Glockenblume bis zum Blauwal, hat Bedürfnisse. Das gilt auch für Sie. Wenn diese Bedürfnisse nicht zufriedengestellt werden, leidet der Organismus. Sie haben sehr grundlegende Bedürfnisse nach Nahrung, Schlaf, Schutz und Wasser: erfüllen Sie diese Bedürfnisse nicht in angemessener Weise, werden Sie sich ohne Zweifel emotionaler fühlen. Sie haben aber auch emotionale Bedürfnisse. Um emotional gesund zu sein, muss... x

man sich sicher und wohl fühlen; die Emotionen brauchen ein sicheres Gebiet.

x

regelmäßig Aufmerksamkeit geben und empfangen.

x

das Gefühl haben, sein Leben beeinflussen und kontrollieren zu können.

x

sich als Teil einer größeren Gemeinschaft fühlen.

x

Freundschaften, Spaß, Liebe und Intimität mit anderen Menschen genießen können.

x

ein Gefühl für Status entwickeln; grundsätzlich geht es darum, eine erkennbare Rolle im Leben auszufüllen. Dies hängt auch mit einem Gefühl von Kompetenz und Leistung zusammen.

x

sich nach vorne gerichtet, jedoch nicht gehetzt fühlen, um Stagnation und Langeweile zu vermeiden und das Selbstwert- und Statusgefühl zu stärken.

Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, empfinden wir, dass unser Leben Sinn und Zweck hat. Werden diese Grundbedürfnisse nicht erfüllt, empfinden wir unser Leben als sinnlos und bedeutungslos; wir sind dann besonders offen für emotionale Probleme. Wenn Sie so leben, dass die oben genannten Bedürfnisse zur Gänze oder zu einem Großteil erfüllt sind, werden Sie eine größere emotionale Stabilität und Kontrolle genießen. Zu wissen, was Sie im Leben brauchen, ist der erste Schritt zur Schaffung von "Kapazitätsreserven", um über Ihre Gefühle hinaus zu blicken. Sie werden auch sehen, dass es emotionale Probleme verursachen kann, den Bedarf an Sicherheit und Aufmerksamkeit nicht zu erfüllen, oder sich nicht mit den Menschen um Sie herum zu verbinden. Denken Sie über diese Bedürfnisse nach und setzen Sie nach und nach Schritte, die Ihnen dabei helfen, sie zu erfüllen. 63


MODUL 2 Selbstbestimmung

Auf diese Weise werden Sie beginnen, den richtigen Tiger mit der richtigen Menge an richtigen Lebensmitteln zu füttern.

Praktischer Teil 2.3.3. Wie Sie Ihr Familienmitglied mit Behinderung dabei unterstützen können, die Emotionen zu kontrollieren (Diskussion) Planen Sie eine Diskussion mit Ihrem Familienmitglied mit Behinderung und beginnen Sie folgendermaßen: Elternteil/AngehörigeR: "Seine Gefühle zu kontrollieren, heißt nicht, sie zu ignorieren. Es heißt, sie anzuerkennen und auf sie zu reagieren, wenn notwendig, und nicht zufällig und unkontrollierbar wann immer es einem danach ist. Kontrolliere dein Leben, indem du deine Gefühle kontrollierst."

verärgert

traurig

glücklich

überrascht angeekelt verlegen Abb. 2.26 Kontrolliere deine Gefühle

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MODUL 2 Selbstbestimmung

Elternteil/AngehörigeR: "Ich rate dir, deine Gefühle zu kennen. Es gibt eine Million verschiedene Möglichkeiten, wie du dich fühlen kannst. Eifersucht ist beispielsweise eine Manifestation von Angst - Angst, dass du nicht "so gut" wie jemand anderes bist, Angst davor, verstoßen zu werden, weil du nicht "perfekt" oder "die/der Beste" bist.“ Denken Sie darüber nach, welche Situationen zu welchen Emotionen führen, und erklären Sie Ihrem Familienmitglied mit Behinderung den Unterschied zwischen Wut und Angst. Manchmal können mehrere Emotionen gleichzeitig auftreten und der Mensch mit Behinderung ist vielleicht nicht in der Lage, sie zu unterscheiden.

Elternteil/AngehörigeR: "Gefühle tauchen nicht einfach aus dem Nichts auf. Oft sind wir ganz unbewusst von der Gnade unserer Emotionen abhängig. Wenn es dir gelingt, deine Emotionen bewusst zu erkennen, kannst du sie besser kontrollieren. "

Elternteil/AngehörigeR: "Du kannst dich den ganzen Tag lang immer wieder fragen: "Wie fühle ich mich jetzt?" Werde zum "Eigentümer" deiner Emotionen. Gib nicht anderen Menschen die Schuld dafür. Finde heraus, wenn du versuchst, andere Menschen für deine Gefühle verantwortlich zu machen, und lasse es nicht zu, dass dir dein Verstand diesen Streich spielt. Sobald du die volle Verantwortung für deine Gefühle übernimmst, wird dir das dabei helfen, sie besser zu kontrollieren."

Elternteil/AngehörigeR: "Frag dich einmal: "Wie könnte man die Situation rationeller und ausgeglichener sehen, als ich sie zuvor gesehen habe?" Erforsche die unterschiedlichen Möglichkeiten. Wenn du dir andere mögliche Interpretationen überlegst, wird dir das auch verschiedene Szenarien aufzeigen, und du wirst erkennen, dass es problematisch ist, voreilige Schlüsse zu ziehen."

Elternteil/AngehörigeR: "Schau' dir deine Möglichkeiten an. Jetzt weißt du, mit welchen Gefühlen du zu tun hast. Lass dir mindestens zwei verschiedene Möglichkeiten einfallen, wie du reagieren kannst. Deine Emotionen kontrollieren dich, wenn du davon ausgehst, dass es nur eine Möglichkeit gibt, zu reagieren. Aber du hast immer die Wahl. Wenn dich zum Beispiel jemand frustriert und du Zorn verspürst, könnte deine Antwort sein, sie/ihn auch zu ärgern. 65


MODUL 2 Selbstbestimmung

Aber egal, von welchem Gefühl wir sprechen: Es gibt immer mindestens zwei Alternativen und vielleicht fallen dir ja auch mehr ein: x

Reagiere nicht. Tu nichts. Dieser Ansatz ist besonders gut, wenn du weißt, dass dich jemand absichtlich zu ärgern versucht. Gib nicht auf. Wenn du keine emotionale Reaktion zeigst, wird die Person, die dich ärgern möchte, frustriert sein und schließlich damit aufhören.

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Entspanne dich. Das ist leichter gesagt, als getan, aber es gibt verschiedene Möglichkeiten, sich zu entspannen, die keine große Ausbildung, viel Erfahrung und starke Willenskraft benötigen. Wenn wir uns ärgern oder aufregen, pressen wir unsere Kiefer gegeneinander und spannen uns an. Tief Luft zu holen, ist eine einfache und effektive Möglichkeit, die emotionale Anspannung zu verringern. Das wird die Wut zwar nicht ganz zerstreuen, aber es kann sie etwas nach unten bringen und wir werden nicht etwas sagen oder tun, was wir später bereuen könnten.

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Mach einfach einmal das Gegenteil von dem, was du normalerweise tun würdest.“

Elternteil/AngehörigeR: "Entscheide dich. Wenn du dich entscheidest, was du tun möchtest, ist es wichtig sicherzustellen, dass es eine bewusste Entscheidung ist und keine Reaktion auf ein anderes, konkurrierendes Gefühl. Stell dir zum Beispiel vor, es ärgert dich jemand und du tust nichts: Ist das dann deine Entscheidung, oder ist es die Antwort auf deine Angst vor Konfrontation?"

Elternteil/AngehörigeR: " Denke daran: Niemand kann in allem, was sie/er im Leben tut, perfekt sein. Hast du dir schon jemals gesagt: Ich muss in jeder Hinsicht perfekt sein, um wertvoll zu sein? - Wenn du glaubst, dass du die Erfolglosigkeit in Person bist, wenn du nicht in jeder Hinsicht perfekt bist, kannst du dich darauf einstellen, stets unglücklich zu sein."

Anm.: Als Elternteil werden Sie den Kommunikationsstil so wählen, dass er für Ihr Familienmitglied mit Behinderung angemessen ist. Das Wichtigste ist es jedoch, die Botschaft der obigen Übungen zu vermitteln.

2.3.4. Nützliche Tipps sowohl für Eltern/Angehörige als auch für Menschen mit Behinderung 66


MODUL 2 Selbstbestimmung

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Überlegen Sie, wie Sie Ihre Reaktion in fünf Jahren beurteilen werden. Werden Sie stolz auf sich sein, mit Würde weggegangen zu sein, oder werden Sie zurückblicken und daran denken, wie Sie zerbrochen sind? Wählen Sie jetzt.

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Wenn Sie merken, dass sich Ihre Stimmung Abstand

verändert, von

Stimmungswechsel

nehmen

Sie

was

den

verursacht

hat,

dem,

nehmen Sie einige tiefe Atemzüge und überlegen Sie, was getan oder gesagt wurde, sodass Sie sich aufregten, und finden Sie eine andere Möglichkeit damit umzugehen, als sich aufzuregen! Fragen Sie sich auch, ob es sich lohnt. Abb. 2. 27 Lächelnde Glühbirne

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Egal, wozu Sie sich entscheiden, es ist wichtig, dass Sie die Emotion weiterhin erkennen. Nur weil Sie nicht auf eine Emotion reagieren, bedeutet das nicht, dass die Emotion nicht existiert.

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Gehen Sie nicht davon aus, dass sich alles um Sie dreht, wenn unerwartet etwas mit jemandem nicht richtig läuft. Manchmal haben Menschen einfach nur einen schlechten Tag. Oder Sie haben sie/ihn zum falschen Zeitpunkt erwischt.

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Bestimmte Erlebnisse wie ein Film, ein Ton oder ein Geschmack (sensorischer Input) können gute Gefühle auslösen oder bewirken. Je mehr gute Sie erkennen, beachten und sich ihrer bewusst sein können, desto einfacher ist es, sich in eine bestimmte Stimmung zu versetzen. Es ist viel einfacher, aus einem ärgerlichen oder traurigen Gefühlszustand zu entkommen, wenn man weiß, wie sich ein glücklicher oder fröhlicher Gemütszustand anfühlt.

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Manchmal ist es hilfreich, eine Mappe mit liniertem Papier zu Hilfe zu nehmen. Vor dem Einschlafen im Bett können Sie dann all Ihre Gedanken und Gefühle niederschreiben. 67


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Lassen Sie sich nicht von der Angst aus der Vergangenheit von Ihrer Zukunft ablenken.

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Lernen Sie, die "Schalter" zu erkennen und vorauszusehen, die bei Ihnen bestimmte Gefühle auslösen können.

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Machen Sie es zu Ihrem obersten Ziel, einen kühlen Kopf zu bewahren - zumindest in der Öffentlichkeit. Seien Sie sich der Tatsache bewusst, dass Sie, sobald Sie alleine sind, mit Ihren Emotionen machen könne, was Sie wollen.

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Versuchen Sie, eine Liste mit einigen Gefühlen aufzuschreiben, die Sie bewusst fühlen oder vermeiden wollen. Markieren Sie jeden Tag, bei welchen Gefühlen Sie ihr Ziel erreicht bzw. nicht erreicht haben.

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Denken Sie daran, dass in Zukunft, wenn es Ihnen gelingt, Ihre Emotionen zu kontrollieren, nicht einfach jeder alles mit Ihnen machen kann.

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MODUL 2 Selbstbestimmung

Theoretischer Teil 2.3.5. Kindern helfen, Selbstkontrolle zu üben

Abb. 2.28 Vater mit seiner Tochter

Sie sollten sich bewusst sein, dass jedes Kind mit und ohne Behinderung verschiedene Entwicklungsstadien durchmacht. Die Behinderung selbst kann beeinflussen, wie weit Ihr Kind mit

Behinderung in verschiedene

Aktivitäten in Zusammenhang mit ihrer/seiner

Kommunikation mit anderen, mit der Sozialisation und dem persönlichen Wohlbefinden integriert ist. Wenn Kinder in einem belebten Geschäft, bei einem Abendessen mit der Großfamilie oder zu Hause "ausrasten", kann das sehr frustrierend sein. Aber Eltern können den Kindern Selbstkontrolle beibringen und ihnen zeigen, wie man auf Situationen reagiert, ohne jedem Impuls nachzugeben. Ihren Kindern die Fertigkeit der Selbstkontrolle beizubringen, ist eines der wichtigsten Dinge, die Eltern für ihre Kinder tun können, denn es handelt sich hierbei um eine der wichtigsten Fähigkeiten für den Erfolg im späteren Leben. Durch das Erlernen von Selbstkontrolle können Kinder angemessene Entscheidungen treffen und auf belastende Situationen so reagieren, dass die Ergebnisse positiv sind. Wenn Sie etwa sagen, dass es erst nach dem Abendessen Eis gibt, wird Ihr Kind vielleicht weinen, betteln oder schreien und dabei hoffen, dass Sie nachgeben. Mit Selbstkontrolle aber kann Ihr Kind verstehen, dass ein Wutanfall bedeutet, dass es gar kein Eis bekommt, und dass es klüger ist, geduldig zu warten.

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Hier sind einige Vorschläge, wie man Kinder dabei unterstützen kann, ihr Verhalten zu kontrollieren (Stamatov, Sariyska, 2014):

Bis zu 2 Jahren Säuglinge und Kleinkinder empfinden durch die große Lücke zwischen dem, was sie tun wollen, und dem, was sie in der Lage sind zu tun, Frustration. Sie reagieren oft mit Wutanfällen. Sie können versuchen, solche Wutausbrüche zu verhindern, indem Sie Ihr Kind mit Spielzeug oder anderen Aktivitäten ablenken. Bei etwa zweijährigen Kindern kann man einen kurzen Zeit-Aus-Bereich, z. B. einen Stuhl in der Küche oder die unterste Stufe auf einer Treppe, definieren, um die Folgen von Wutausbrüchen zu zeigen und dem Kind beizubringen, dass es besser ist, einige Zeit alleine mit sich selbst zu verbringen, als dem Wutanfall nachzugeben.

3 bis 5 Jahre Sie können weiterhin Zeit-Aus-Bereiche nutzen. Geben Sie dem Kind aber keine bestimmte Zeit vor, sondern beenden Sie das Zeit-Aus, sobald Ihr Kind sich beruhigt hat. Das hilft den Kindern, ihr Gefühl für Selbstkontrolle zu schärfen. Und loben Sie Ihr Kind dafür, wenn es in frustrierenden oder schwierigen Situationen die Kontrolle über sich selbst behält.

6 bis 9 Jahre Wenn Kinder in die Schule kommen, verstehen sie besser, was Konsequenzen bedeuten und dass sie zwischen gutem und schlechtem Verhalten wählen können. Es kann Ihrem Kind helfen, ein Stoppzeichen einzuführen, dem es gehorcht und das es dazu bringt, über eine Situation nachzudenken, bevor es reagiert. Ermutigen Sie Ihr Kind, sich einige Minuten aus einer frustrierenden Situation zurückzuziehen, um sich "abzukühlen", anstatt in einen Wutausbruch zu verfallen.

10 bis 12 Jahre Ältere Kinder verstehen ihre Gefühle in der Regel besser. Ermutigen Sie sie, darüber nachzudenken, wodurch sie die Kontrolle verlieren, und analysieren sie das dann gemeinsam. Erklären Sie dem Kind, dass Situationen, die auf den ersten Blick verstörend zu sein scheinen, 70


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sich manchmal als nicht so schlimm herausstellen. Bitten Sie das Kind, nachzudenken, bevor es auf eine Situation reagiert.

13 bis 17 Jahre Mittlerweile sollten die Kinder in der Lage sein, die meisten ihrer Handlungen zu steuern. Erinnern Sie die Jugendlichen, auch an langfristige Folgen zu denken. Bitten Sie sie, innezuhalten, um unangenehme Situationen zu bewerten, bevor sie reagieren, und über Probleme zu sprechen, anstatt die Kontrolle zu verlieren, Türen zuschlagen oder schreien. Unterstützen Sie bei Bedarf Ihr Kind, indem Sie ihr/ihm bestimmte Privilegien entziehen. So verstärken Sie die Botschaft, dass Selbstkontrolle eine wichtige Fertigkeit ist.

Wenn Kinder außer Kontrolle geraten So schwierig es auch sein mag, widerstehen Sie dem Drang zu schreien, wenn Sie Ihre Kinder erziehen. Seien Sie stattdessen bestimmt und sachlich. Wenn Ihr Kind einen Wutanfall bekommt, bleiben Sie ruhig und erklären Sie, dass Schreien, Wutanfälle und Türenschlagen inakzeptable Verhaltensweisen sind, die Folgen haben - und sagen sie auch, was diese Folgen sind. Ihre Aktionen sollten zeigen, dass Wutanfälle nicht die Oberhand bekommen sollten. Wenn sich Ihr Kind beispielsweise im Supermarkt aufgeregt, nachdem Sie ihm erklärt haben, warum Sie keine Süßigkeiten kaufen können, geben Sie nicht auf. Das zeigt ihm dann, dass der Wutanfall weder akzeptabel noch wirkungsvoll war. Überlegen Sie auch, mit den LehrerInnen Ihres Kindes über Vorkommnisse in der Schule und über angemessene Verhaltensweisen zu sprechen. Fragen Sie nach, ob die Kinder in der Schule über Problemlösung lernen. Und zeigen Sie auch selbst, was gute Selbstkontrolle heißt. Wenn Sie sich in der Gegenwart Ihres Kindes in einer schwierigen Situation befinden, erklären Sie, warum Sie frustriert sind und besprechen Sie dann mögliche Lösungen für das Problem. Wenn Sie etwa Ihre Schlüssel verlegt haben, regen Sie sich nicht auf, sondern sagen Sie Ihrem Kind, dass die Schlüssel fehlen, um dann gemeinsam nach ihnen zu suchen. Wenn sie nicht auftauchen, machen Sie den nächsten konstruktiven Schritt, wie z. B. darüber nachzudenken, wann sie die Schlüssel das letzte

Mal

gehabt

haben.

Machen

Sie

vor,

dass

gute

Selbstkontrolle

und

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Problemlรถsungsfertigkeiten die besten Mittel sind, mit einer schwierigen Situation umzugehen.

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2.4 Durchsetzungsvermögen Theoretischer Teil 2.4.1. Was versteht man unter Durchsetzungsvermögen? Unter Durchsetzungsvermögen versteht man die Fähigkeit, für seine Rechte einzustehen und seine Weltsicht zum Ausdruck zu bringen, ohne davon auszugehen, dass das die einzig gültige Wahrheit ist. Durchsetzungsvermögen umfasst auch die Anerkennung und Achtung von Gleichheit, Rechten und Wahrheiten anderer Menschen. Beispiel John, mir gefällt nicht, wie du das gesagt hast. Ich möchte heute Abend zu Hause bleiben. Ich denke, dass Jane sich nicht damit wohlfühlt, wie du sie ansiehst. Dieses Verhalten drückt Gefühle, Gedanken und Bedürfnisse offen aus; Selbstbehauptung, ohne dabei die Rechte, Gefühle und Bedürfnisse anderer zu ignorieren. Dieses Verhalten zeigt Offenheit in Bezug auf die Gefühle anderer Personen und auf mögliche Veränderungen, Verhandlungen, und Aufgabe, ohne seine Rechte und Würde zu verletzen.

1)

Durchsetzungsvermögen wird häufig mit aggressivem Verhalten verwechselt. Durchsetzungsvermögen schließt jedoch nicht ein, andere körperlich oder emotional zu verletzen.

2)

Durchsetzungsvermögen zielt auf den Ausgleich von Machtverhältnissen ab und nicht darauf, "die Schlacht zu gewinnen", indem man die andere Person unterwirft oder hilflos macht.

3)

Durchsetzungsvermögen heißt auch, die eigenen legitimen Rechte als Individuum auszudrücken. Sie haben das Recht, Ihre eigenen Wünsche, Bedürfnisse, Gefühle und Vorstellungen auszudrücken.

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4)

Denken

Sie

daran:

Andere

Menschen

haben

das

Recht,

auf

Ihr

Durchsetzungsvermögen mit ihren eigenen Wünschen, Bedürfnissen, Gefühlen und Vorstellungen zu reagieren. 5)

Bei einer von Durchsetzungsvermögen geprägten Begegnung mit einer anderen Person kann es um die Aushandlung eines angemessenen Kompromisses gehen.

6)

Indem Sie sich durchsetzungsfähig verhalten, öffnen Sie den Weg für ehrliche Beziehungen zu anderen.

7)

Durchsetzungsvermögen hat nicht nur damit zu tun, was Sie sagen, sondern wie Sie es sagen.

8)

Von Durchsetzungsvermögen geprägte Worte und Körpersprache machen Ihre Botschaft klarer und wirkungsvoller.

9)

Zu Körpersprache, die von Durchsetzungsvermögen geprägt ist, gehört das Folgende: a. Direkten Blickkontakt aufrechthalten. b. Eine aufrechte Haltung aufrechthalten. c. Deutlich und laut sprechen. d. Sicherstellen, dass Ihre Stimme nicht weinerlich klingt. e. Die Worte mit Mimik und Gestik unterstreichen.

10) Durchsetzungsvermögen ist eine Fähigkeit, die man durch häufiges Üben erlernen und beibehalten kann.

Durchsetzungsvermögen ist die direkte Kommunikation der eigenen Bedürfnisse, Wünsche und Meinungen, ohne andere zu bestrafen, zu bedrohen oder zu unterdrücken. Es bedeutet auch, für die eigenen legitimen Rechte einzustehen, ohne die Rechte anderer zu verletzen und ohne dabei übermäßig ängstlich zu sein. Sich durchsetzen heißt, seine Gefühle und Meinungen angemessen auszudrücken. Durchsetzungsvermögen ist nicht angeboren, es ist eine Fertigkeit, die man erwirbt. Menschen, die lernen sich durchzusetzen, berichten von größerem Selbstvertrauen, von positiven Reaktionen anderer, von weniger Angst in sozialen Umfeldern, von verbesserter Kommunikation mit anderen sowie von weniger Kopfschmerzen und Magenproblemen. Menschen, die Schwierigkeiten haben, sich auszudrücken, berichten von geringem Selbstwertgefühl, von Depressionen und Angstgefühlen in zwischenmenschlichen/sozialen 74


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Situationen. Sie sagen, sie fühlen sich unbeachtet und von den anderen für selbstverständlich genommen. Menschen setzen sich oft nicht durch, weil sie in der Vergangenheit dafür entweder körperlich oder verbal bestraft wurden - entweder von den Eltern, den LehrerInnen oder von anderen Menschen. Frage: Wurden Sie als Kind dafür bestraft, Ihre Meinung zu sagen, besonders wenn andere damit nicht einverstanden waren? Wenn ja, werden Sie sich vielleicht jetzt unwohl oder angespannt fühlen, wenn Sie für sich und Ihre Meinung eintreten wollen. Deshalb lassen wir das oft bleiben oder verhalten uns nicht selbstbewusst.

Praktischer Teil 2.4.2. Übung zur Sensibilisierung des Durchsetzungsvermögens x

Die Auswirkungen von Durchsetzungsvermögen verstehen.

x

Die Unterschiede zwischen selbstsicheren und nicht selbstsicheren Reaktionen in verschiedenen Situationen verstehen.

Eine selbstsichere Reaktion verbindet die Verteidigung der eigenen Position und der eigenen Rechte mit der Akzeptanz der Positionen und Rechte anderer.

ARBEITSBLATT - SELBSTSICHERES UND NICHT SELBSTSICHERES VERHALTEN

Passives Verhalten Passives Verhalten ist eine Form, die eigenen Gedanken, Gefühle und Bedürfnisse indirekt auszudrücken. Passivität ist eine Position der Unterordnung, bei der man die eigenen Bedürfnisse ignoriert und die Anliegen der anderen nicht zurückweist. Passives Verhalten zeigt sich durch stockende und unklare Sprache, die Augen blicken nach unten und es werden Phrasen wie "Weißt du...", "Ich bin nicht sicher..." oder "Ich sollte das nicht sagen, aber...", verwendet. Es liegt am anderen, zu erraten, was ich will. Die Stimme zittert und schwankend.

Aggressives Verhalten

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Dieses Verhalten ist eine Form des offenen Ausdrucks der eigenen Gedanken, Gefühle und Wünsche, aber auf Kosten der Rechte und Gefühle anderer. Wenn wir nicht bekommen, was wir wollen, greifen wir an, üben Druck aus und schieben Schuld zu. Aggressives Verhalten erkennt man durch die Ausdrucksweise selbst, die meistens mit "Du..." oder "Sie..." beginnt. Dann folgen verschiedene Schimpfnamen, die von Verallgemeinerungen wie "nie" und "immer" begleitet werden, die andeuten, dass wir besser sind und Recht haben. Dieses Verhalten steht für ein Gefühl von Überlegenheit und Macht. Manchmal wird dieses Verhalten als kalt, abweisend und ironisch empfunden oder nimmt die Form "kalten Schweigens" an. Der Hauptwunsch dahinter ist, den eigenen unveränderlich richtigen Standpunkt zu beweisen.

2.4.3. Übung, um sich die Folgen passiven und aggressiven Verhaltens bewusst zu machen x

Die Folgen passiver und aggressiver Reaktionen verstehen.

x

Das Bewusstsein in Bezug auf passive und aggressive Reaktionen erhöhen.

Das Bewusstsein und die Erfahrung in Bezug auf nicht selbstbewusste Verhaltensweisen sind eine Voraussetzung dafür, sie in die Grenzen zu weisen; das wiederum hilft dabei, das selbstbewusste Verhalten zu stärken.

ARBEITSBLATT - PASSIV REAGIEREN Beschreibung Stellen Sie sich vor, dass Sie sehr abhängig sind. Sie stehen gebückt und blicken nach unten. So sagen Sie: "Was immer du sagst, ich bin damit einverstanden. Ich tue das, was du sagst. Ich befolge all deine Anweisungen. Ich schaffe das nicht selbst und so bin ich dir dankbar, wenn du mich führst. Es tut mir leid, wenn ich dir Unannehmlichkeiten bereitet und dich Zeit gekostet habe. Ich will meine eigene Meinung nicht sagen oder die Initiative ergreifen, weil ich nicht viel wert bin." Sprechen Sie drei Minuten lang auf diese Art und Weise.

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ARBEITSBLATT - AGGRESSIVES VERHALTEN Beschreibung Stellen Sie sich nun vor, Sie sind in der Rolle des aggressiven Chefs/der aggressiven Chefin, der/die mit einem Mitarbeiter/einer Mitarbeiterin spricht. Sprechen Sie mit lauter, anklagender Stimme und deuten Sie mit dem Zeigefinger: "Sie machen die Dinge nie so, wie Sie sollten. Ständig machen Sie dumme Sachen. Sie kommen zu spät. Alles, was Sie machen, machen Sie nur halbherzig; Sie sind nicht mit Herz und Seele bei der Arbeit. Was machen Sie eigentlich genau? Ich bin der einzige, der Sie noch toleriert. Sie machen wirklich nie etwas richtig." Überlegen Sie danach, wie erschöpft Sie davon sind, diese Rolle zu spielen, was Sie gefühlt haben - ob Sie sich ängstlich, angespannt, traurig, verletzlich, abhängig, unaufrichtig, unbedeutend, frustriert, eigenartig und voller Ressentiments gefühlt haben. Der Schwerpunkt liegt auf der Tatsache, dass wir nicht die Verantwortung für unsere Gefühle und Bedürfnisse übernehmen müssen, dass wir sie auf andere übertragen; dass wir versuchen, Kollisionen zu vermeiden.

2.4.4. Übung für den Aufbau selbstbewusster Reaktionen Selbstbewusste Reaktionen erfordern den klaren und sicheren Ausdruck der eigenen Gefühle, Gedanken und Bedürfnisse, ohne andere anzugreifen. Machen Sie das folgende Arbeitsblatt gemeinsam mit Ihrem Familienmitglied mit Behinderung durch und unterstützen Sie sie/ihn dabei, selbstbewussten Verhalten aufzubauen.

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ARBEITSBLATT - SELBSTBEWUSSTES VERHALTEN

Es besteht aus den folgenden Komponenten: x

Das Verständnis für die Situation durch den Menschen mit Behinderung.

x

Die situationsbezogenen Gefühle des Menschen mit Behinderung.

x

Die daran beteiligten Wünsche und Bedürfnisse.

Eine selbstbewusste Aussage enthält keine Wertungen. Die Situation sollte objektiv dargestellt werden, die Fakten werden aufgezeigt: Was ist passiert und was wurde getan? Die zum Ausdruck gebrachten Gefühle, ob positiv oder negativ, werden als Gefühle des Menschen mit Behinderung dargestellt, für die sie/er auch die Verantwortung übernimmt (denken Sie an diese Fähigkeit). Das Anliegen ist spezifisch.

Beispiele: Vater/Mutter: "Wenn du über die bevorstehende Präsentation (z. B. ein Gedicht aufsagen, ein Stück auf einem Instrument vorspielen, die Arbeit präsentieren usw.) nachdenkst, fühlst du dich verlegen, weil du versprochen hast, es auf der bevorstehenden Veranstaltung zu präsentieren. Das gibt dir ein ungutes Gefühl. Denke an etwas, das dich glücklich und ruhig macht. Zum Beispiel an einen erlebnisreichen Urlaub am Meer oder an das letzte Mal, wo du ein Kompliment bekommen hast."

Eine weitere Möglichkeit ist es, an beispielsweise die folgende Situation zu denken: Vater/Mutter: "Es war eine wunderbare Nacht. Ich denke, wir haben so viel gemeinsam. Es war sehr schön, den Abend mit dir zu verbringen. Ich würde dich gerne besser kennenlernen und am Wochenende wieder mit dir ausgehen."

Eine weitere Übung sowohl für den Elternteil als auch für das Familienmitglied mit Behinderung könnte folgendes sein:

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ARBEITSBLATT - WIE MAN EINE SELBSTSTICHERE BOTSCHAFT FORMULIERT x

Definieren Sie genau, was Sie wollen oder nicht wollen, denken Sie an die Gefühle und Gedanken, die Situation und Ihre Rechte.

x

Stellen Sie Ihr Anliegen auf konkrete und verständliche Weise und wenn möglich in einem Satz vor. Entschuldigen Sie sich nicht und geben Sie keine Erklärungen ab. Vermeiden Sie Sätze wie "Ich kann nicht...", und ersetzen Sie sie mit "Ich will nicht...". Lassen Sie alles weg, das anderen dabei helfen würde, deren Anliegen zu unterstützen.

x

Wiederholen Sie Ihr Anliegen offen, ruhig und sicher, bis die/der andere die Botschaft empfangen hat und versteht, dass Sie Ihre Meinung nicht ändern werden.

x

Hören Sie aktiv zu, um zu zeigen, dass Sie die Gefühle der/des anderen zu verstehen; gehen Sie jedoch nicht von Ihrer Position ab.

Wenn Sie denken, dass das Gespräch vom Thema abweicht, über das Sie reden wollen, dann zeigen Sie auf, was zwischen Ihnen beiden passiert - sprechen Sie über die Gedanken und Gefühle, die Sie gerade jetzt haben.

Theoretischer Teil 2.4.5. Das schwierige Verhalten Ihres Familienmitglieds mit Behinderung verstehen und darauf reagieren Beim Heranwachsen entwickeln junge Menschen typischerweise auch Verhaltensweisen, die ihre Eltern als schwierig empfinden. Es gibt viele Gründe dafür, warum Menschen schwierige Verhaltensweisen annehmen, und es gibt viele Möglichkeiten, wie Eltern und BetreuerInnen helfen können. Der erste Schritt ist es, den möglichen Grund für das Verhalten zu verstehen.

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Warum tritt das schwierige Verhalten auf? Entwicklung Im Allgemeinen sind sehr junge Kinder impulsiv und haben noch nicht gelernt, wie sie ihr Verhalten kontrollieren können. Sie halten nicht inne und denken darüber nach, was richtig oder was falsch ist. Aufgrund ihrer eingeschränkten sprachlichen Fertigkeiten handeln Kinder, um zu bekommen, was sie wollen. In diesem Entwicklungsstadium ist es auch typisch für die Kinder, die Welt aus nur einer Perspektive zu sehen, nämlich aus ihrer. Dies macht es ihnen schwierig, die Sichtweisen anderer Menschen anzuerkennen und zu teilen. Es erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass Kindern Verhaltensweisen wie Schlagen, Greifen, Treten oder Beißen zeigen, um das zu bekommen, was sie brauchen oder wollen, und um das zu verteidigen, was ihrer Meinung nach ihnen gehört. Menschen mit geistiger Behinderung benötigen oft mehr Zeit, um die Fertigkeiten zu erlangen, die es ihnen erlauben, ihre Impulsivität zu steuern und ein Verständnis der Sichtweisen anderer Menschen zu entwickeln. Auch benötigen sie eventuell zusätzliche Hilfe, um die starken Emotionen zu identifizieren und zu verstehen, ihre Bedürfnisse zu kommunizieren oder um herauszufinden, wie man Probleme lösen kann. Mit dem Heranwachsen des Kindes nehmen im Allgemeinen die schwierigen Verhaltensweisen ab. Kommunikation Manchmal nutzen Menschen mit Behinderung schwierige Verhaltensweisen, weil sie nicht wissen, wie sie anderen mitteilen sollen, was sie wollen, und weil sie nicht verstehen können, was von ihnen erwartet wird. Dies wird häufig bei Menschen mit geistiger Beeinträchtigung beobachtet. Beinahe jede verbale Botschaft kann durch den Einsatz schwieriger Verhaltensweisen kommuniziert werden. Dazu zählen die folgenden: ͻ ͻ ͻ ͻ

Anderen sagen, dass man etwas möchte, wie z. B. Nahrung oder eine bevorzugte Aktivität. Einem sensorischen Bedürfnis gerecht werden, weil das Verhalten sich gut anfühlt oder interessante Sinnesempfindungen hervorruft. Sozialen Kontakt initiieren oder Aufmerksamkeit erregen. Dinge, die man als unangenehm, schwierig oder beängstigend empfindet, vermeiden.

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ͻ

Gefühle ausdrücken, von denen sie noch nicht gelernt haben, wie sie auf andere Weise ausgedrückt werden können, beispielsweise Frustration oder Wut.

Kommunikationsschwierigkeiten können auch dazu beitragen, dass das Kind es schwierig empfindet, Anweisungen auszuführen. Anweisungen, die zu viele Schritte haben oder nicht ohne Weiteres vom Menschen mit Behinderung verstanden werden können, führen dazu, dass sich das Kind frustriert fühlt und mit schwierigem Verhalten reagiert. Es gibt viele Möglichkeiten, wie man Kommunikationsfertigkeiten entwickeln kann, und sie können u. a. mit den folgenden Mitteln gefördert und unterstützt werden: Sprachförderung, visuelle Tools, Kommunikationskarten, Objekte und Gesten. Unbeabsichtigte Belohnungen Menschen mit Behinderung lernen viel von ihrer Umgebung. Sie entdecken schnell, dass ihr Verhalten einen Einfluss auf die Handlungen anderer haben kann. Manchmal gibt es unbeabsichtigte oder versteckte Belohnungen für ihr Verhalten. Wenn auf ein bestimmtes Verhalten ein wünschenswertes Ergebnis folgt, wird man das Verhalten wahrscheinlich wiederholen. Auf diese Weise lernt der Mensch über das Verhalten zu kommunizieren. Unbeabsichtigte Belohnungen können Aufmerksamkeit, materielle Belohnungen, Aktivitäten oder Leckereien sein. Wenn sich jemand angemessen verhält, ist das eine gute Möglichkeit und die richtige Zeit für eine Belohnung. Denken Sie daran, Ihr Familienmitglied mit Behinderung zu belohnen. Sie/er lernt so, was von ihr/ihm erwartet wird und wird das Verhalten wiederholen. Umfeld Alle Menschen profitieren von einem Umfeld, das von Routinen und Struktur aufweist. Das gilt besonders auch für Menschen mit geistiger Beeinträchtigung. Ein Mangel an Routine und Struktur kann zu Verwirrung und Ängsten und schließlich auch zu schwierigem Verhalten führen. Inkonsequente Grenzziehungen können die Menschen verwirren, weil sie nicht genau wissen, was von ihnen erwartet wird. Sie können sich dadurch unsicher in Bezug auf sich selbst und ihr Umfeld fühlen. Es kann auch vorkommen, dass sich ein Mensch mit Behinderung langweilt und nicht weiß, wie er eine neue Tätigkeit beginnen soll. Dann kann es passieren, dass er so genannte Ersatzhandlungen vornimmt, wie z. B. an der Kleidung nesteln. Manche Menschen mit geistiger Beeinträchtigung können sich von einem lauten oder überfüllten Umfeld überwältigt fühlen und sie empfinden Angst. Sie setzen dann eventuell bestimmte Verhaltensweisen ein, um entweder zu verhindern, dass sie zu diesen Orten gehen müssen, oder um von ihnen wegzukommen. Auch schlechte Schlafmuster können zu 81


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schwierigem Verhalten führen, weil sich Müdigkeit auf die Toleranzgrenze und die Fähigkeit, mit emotionalen Herausforderungen umzugehen, auswirkt. Gesundheit Während man viele Kinderkrankheiten ganz offensichtlich erkennen kann, gibt es körperliche Zustände, die nicht so einfach diagnostiziert werden können. Einige Menschen mit geistiger Beeinträchtigung haben Schwierigkeiten dabei, körperliche Veränderungen wie Schmerzen oder Beschwerden festzustellen und zu kommunizieren. In solchen Fällen ist eine Verhaltensänderung oft das einzige Anzeichen für Schmerzen oder Krankheit. Deshalb kann es klug sein, bei Veränderungen im Verhalten ärztlichen Rat einzuholen. Manchmal benötigen Menschen mit Behinderung Medikamente wie Grippe- und Erkältungstabletten, Hustensaft oder Medikamente gehen einen Anfall. Diese Medikamente können sich auch darauf auswirken, wie sie sich fühlen. Besprechen Sie mögliche Nebenwirkungen und Verhaltensänderung mit dem Arzt. Wohlbefinden der Familie Menschen mit Behinderung greifen Spannungen in ihrem Umfeld oft auf. Auch das Wohlbefinden ihrer Eltern oder ihrer BetreuerInnen beeinflusst ihr Verhalten oft stark. Wenn Beziehungen angespannt sind und es zuhause Spannungen und Konflikte gibt, können sich Menschen mit Behinderung unsicher fühlen und in der Folge aggressiv, ängstlich oder depressiv werden. Wenn ein Elternteil oder eine Betreuerin/ein Betreuer angespannt ist, kann es schwierig sein, mit den eigenen Gefühlen fertigzuwerden. Das kann zu Reizbarkeit, Ungeduld und inkonsequenten Reaktionen auf das Verhalten des Familienmitglieds mit Behinderung führen. In diesen Fällen empfiehlt es sich, wenn die Eltern oder BetreuerInnen Unterstützung bzw. professionelle Hilfe in Anspruch nehmen. Andere Einflüsse Menschen mit Behinderung werden von ihren Beziehungen zu Gleichaltrigen und davon, was andere tun, beeinflusst. Wenn sie sehen, dass andere aggressiv und unruhig sind, kann es sein, dass sie dieses Verhalten kopieren oder imitieren. Zu weiteren Einflüssen auf ihr Verhalten zählen Filme, Fernsehprogramme, Zeitungen und Comics oder Computerspiele.

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Verhaltensauffälligkeiten Verhaltensauffälligkeiten ist ein Begriff, der oft verwendet wird, um Verhaltensweisen zu beschreiben, durch die Menschen mit Behinderung oder andere Menschen einem Verletzungsrisiko oder einer Gefahr ausgesetzt oder von Tätigkeiten ausgeschlossen werden. Diese Verhaltensweisen treten mit einer solchen Intensität und Dauer auf, dass sie die Fähigkeit des Menschen, zu lernen und an Alltagsaktivitäten teilzunehmen, beeinflussen. Sie stellen in der Regel eine größere Herausforderung für Familien und BetreuerInnen dar als typische schwierige Verhaltensweisen. Zu Verhaltensauffälligkeiten zählen beispielsweise: ͻ ͻ ͻ ͻ

aggressive Sprache; selbst- oder fremdverletzendes Verhalten wie z. B. Schlagen, Beißen und Haareziehen; Dinge beschädigen oder zerbrechen; Stehlen.

Praktischer Teil 2.4.6. Was Sie tun können (Reflexionsübung) Es ist wichtig, daran zu denken, dass sowohl schwieriges Verhalten als auch herausforderndes Verhalten ihre Funktion und ihren Zweck haben. Es gibt Verschiedenes, das Sie unterstützen kann, wenn ein Kind schwieriges oder herausforderndes Verhalten an den Tag legt. Dazu zählt beispielsweise Folgendes: ͻ ͻ

ͻ ͻ ͻ

Überprüfen Sie den Gesundheitszustand des Menschen mit Behinderung. Überprüfen Sie, ob man am Umfeld etwas verändern kann. Ist es beispielsweise sehr laut oder überfüllt? Ist es zu kalt oder zu warm? Braucht der Mensch ein wenig Abwechslung? Sorgen Sie für reichlich positive soziale Interaktion, wenn sich der Mensch mit Behinderung angemessen verhält. Nutzen Sie eine angemessene Ausdrucksweise, damit Sie das Familienmitglied mit Behinderung verstehen kann. Sorgen Sie für klare Strukturen und Routinen

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ͻ

ͻ

Wenn es sinnvoll und möglich ist, bieten Sie dem Menschen mit Behinderung Entscheidungsmöglichkeiten wie "Möchtest du den blauen oder den roten Pullover tragen?", an. Sorgen Sie für konsequente Grenzen und Reaktionen.

Manchmal kann herausforderndes Verhalten so häufig und intensiv vorkommen, dass andere Persönlichkeitsaspekte übersehen werden. Auch wenn es schwierig sein kann, ist es wichtig, auch die positiven Dinge in Bezug auf das Familienmitglied mit Behinderung zu sehen.

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