TANZPAKT RECONNECT Strukturen fördern, Tanz stärken!
TANZPAKT RECONNECT Strukturförderung
16,8 Mio. € Fördervolumen
242.500 Besucher:innen
4.700 Veranstaltungen
6.300 Projektbeteiligte
2 Förderrunden: 2020 / 2021
11
Bundesländer
146
Förderprojekte
Maximale Projektlaufzeit: 32 Monate
In unserer Kampagne EIN_Blicke auf Instagram @bureau_ritter haben wir viele der geförderten Projekte porträtiert.
Nach der Krise: Was der Tanz in Zukunft braucht
Madeline Ritter
Das Besondere war die Förderung in die Breite
Claudia Henne im Gespräch mit den Projektleiterinnen
Auszüge aus dem Evaluationsbericht von Culture Concepts
Cornelia Dümcke, Philipp Dümcke
Was ist eigentlich „Struktur“ im Tanz?
Teil 1
Grafik zur Strukturförderung im Tanz
Was ist eigentlich „Struktur“ im Tanz?
Teil 2
Übersicht: Profile der Projektträger:innen, Anzahl
der Projektbeteiligten & Gliederung nach Sparten, Anzahl und Verteilung der Projekte
Übersicht: Veranstaltungsformate Aus einem Positionspapier von Hildegard Kaluza
Entwicklungskapazitäten gestalten. Ein Rückblick
Phillip Koban
Planungshorizonte eröffnen
Sebastian Weber über Strukturen, Wirtschaftlichkeit und Perspektiven in der Förderung
Praktiken der Selbstermächtigung
Esther Boldt
Team & Impressum
146 Förderprojekte
Baden-Württemberg Seite 22
Bayern Seite 24
Berlin Seite 26
Brandenburg Seite 44
Bremen Seite 45
Hamburg Seite 46
Hessen Seite 56
Mecklenburg-Vorpommern Seite 58
Niedersachsen Seite 59
Nordrhein-Westfalen Seite 66
Sachsen Seite 70
Keine Förderprojekte in Rheinland-Pfalz, Saarland, Sachsen-Anhalt, Schleswig-Holstein und Thüringen
3 5 6 15 41 14
31 8
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9
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Nach der Krise: Was der Tanz in Zukunft braucht
Madeline Ritter
Was ist möglich, wenn nichts mehr möglich scheint? Wenn ein Tänzer nicht mehr zum täglichen Training ins Studio gehen kann, wenn eine Choreografin mitten im Probenprozess zu einem neuen Stück alles abbrechen muss, wenn alle Theater plötzlich geschlossen sind und die lange geplante Gastspieltournee nicht stattfinden kann? Wenn Verdienstmöglichkeiten in einem sowieso schon prekären Berufsfeld komplett entfallen? Vor diesen und vielen ähnlichen existenziellen Problemen stand die gesamte Tanzszene in Deutschland mit dem Ausbruch der Coronapandemie. Wir haben uns daher gefragt: Was können wir in dieser schwierigen Zeit ermöglichen? Die Frage war utopisch im wahrsten Sinne – niemand wusste, wie „die Welt nach Corona“ aussehen würde. Eine Antwort verlangte auch das Denken des Unmöglichen.
Mit der damaligen Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) Monika Grütters arbeiteten wir bereits vertrauensvoll zusammen.
Auf der Grundlage von Beschlüssen des Deutschen Bundestages und mit Unterstützung der BKM hatten wir 2017 in Kooperation mit dem Dachverband Tanz Deutschland unser mehrjähriges Matchfunding-Programm TANZPAKT Stadt-Land-Bund auf den Weg gebracht. In engem Austausch mit dem bei der BKM für Tanz zuständigen Referatsleiter Martin Eifler begannen wir schnell, eine Idee für das scheinbar Unmögliche zu entwickeln: ein Förderprogramm für Tanzstrukturen, das die Tanzschaffenden stärken sollte – und zwar über die Zeit der Pandemie hinaus. Wir nannten es TANZPAKT RECONNECT. Um kraftvolle Synergien zu generieren, haben wir unsere Strukturförderung mit den Förderprogrammen von JOINT ADVENTURES – Walter Heun (Produktionsförderung) und dem Dachverband Tanz Deutschland (Förderung für soloselbständige Tanzschaffende und Tanzschulen) abgestimmt und daraus eine umfassende Strategie für ein effektives, schnell umsetzbares „Hilfsprogramm Tanz“ entwickelt. Als die BKM dann im Sommer 2020 das millionenschwere Rettungs- und Zukunftsprogramm NEUSTART KULTUR lancierte, konnten wir direkt loslegen.
TANZPAKT RECONNECT baute auf der Erfahrung auf, die wir mit der Entwicklung und Umsetzung nachhaltiger Kulturförderstrategien erworben hatten, von Tanzplan Deutschland und Tanzfonds über Dance On bis zu TANZPAKT Stadt-Land-Bund. Nicht das einzelne künstlerische Projekt, sondern die längerfristige Förderung der Basis künstlerischer Arbeit wurde in den Blick genommen – eine wesentliche Bedingung für die wirkungsvolle Verankerung der Kunstform Tanz in der Gesellschaft.
Häufig werden wir bei Bureau Ritter gefragt, was eigentlich unter „Strukturen“ für den Tanz, dieser ephemeren, scheinbar so schwerelosen Kunstform, zu verstehen ist. Mit einem redaktionellen Beitrag und einer Grafik in dieser Publikation haben wir das komplexe Thema greifbarer gemacht. „Struktur ermöglicht, Struktur trägt“, sagt der Choreograf Sebastian Weber treffend. Für viele Tänzer:innen war diese Feststellung eine neue Einsicht. Ohne die Angst um die eigene Existenz und den üblichen Produktionsdruck hatten sie mit einem Mal die Zeit und die finanzielle Unterstützung, ihre Arbeitsbedingungen zu reflektieren und zu verändern. Solidarität, Demokratiesensibilisierung und das Teilen von Ressourcen waren in diesem Prozess des Neuaufstellens drängende Themen.
Esther Boldt wirft in ihrem Beitrag einen Blick auf Modellprojekte in Dresden und Hamburg, deren Beteiligte sich in den zwei Jahren der TANZPAKT RECONNECT-Förderung zu Kollektiven zusammengeschlossen haben, um Ressourcen gemeinsam zu nutzen. Phillip Koban, stellvertretender Leiter des Kulturamts Heidelberg, beschreibt, wie ein solidarisches Zusammenwirken von Tanzszene und kommunaler Verwaltung sowie eine neue Wertschätzung seitens der Heidelberger Bevölkerung für den Tanz entstanden.
Dass hinter den Strukturen Menschen stehen, versteht sich von selbst, wird aber gelegentlich vergessen. Die beiden Projektleiterinnen Riccarda Herre und Isabel Niederhagen gehen im Interview mit Claudia Henne darauf ein, welche Herausforderungen TANZPAKT RECONNECT sowohl für die Antragstellenden als auch für das Team von Bureau Ritter mit sich brachte.
„Die Unterstützung durch TANZPAKT RECONNECT war als Förderung visionär. Sie vollzog einen Paradigmenwechsel, da sie dazu beitrug, über die künstlerische Praxis, Produktion und ihre Entwicklung auf neue Weise nachzudenken.“
Das Zitat der Choreografin Eszter Salamon ist eine von vielen positiven Stimmen aus den geförderten Projekten und Initiativen. Sie kommen in der Evaluation des Programms durch das Büro Culture Concepts zu Wort, die in Auszügen in diese Publikation eingeflossen ist. Die Autor:innen bescheinigen dem Programm einen ganz wesentlichen Beitrag zum Erhalt der Vielfalt, Diversität und Qualität der Kunstform Tanz und heben den innovativen und zukunftssichernden Förderansatz hervor, der TANZPAKT RECONNECT auch weit über die Pandemie hinaus wirken lässt.
Dass das Programm eine solche verändernde Kraft entfaltete und Tanz zum Impulsgeber für ein solidarisches Miteinander wurde, hat unsere Erwartungen übertroffen! Doch wie geht es nun weiter?
TANZPAKT RECONNECT war mit einem Gesamtvolumen von 16,8 Mio. Euro kraftvoll aufgestellt und mit Einzelförderungen von bis zu 500.000 Euro eines der höchstdotierten Corona-Hilfsprogramme. Wir haben 146 ganz unterschiedliche Strukturen gefördert und über zweieinhalb Jahre in ihrer Existenz gesichert.
Nach
Aktuell ist der Tanz in Deutschland mit einer jährlichen Bundesförderung von insgesamt 3,6 Mio. Euro allerdings noch immer das Schlusslicht im Reigen der Kunstsparten. TANZPAKT Stadt-Land-Bund ist auf Bundes ebene weiterhin die einzige mehrjährige Strukturförderung für den Tanz. Tanzschaffende und Institutionen in allen Bundesländern, die von den Engpässen in den öffentlichen Haushalten betroffen sind, mahnen längere Förderzeiträume an. In den meisten Kommunen und Ländern gibt es nur Einzelprojektförderungen. Diese greifen zu kurz. Deshalb ist es absolut notwendig, das erprobte und mehrfach sehr positiv evaluierte Instrument der kooperativen Strukturförderung TANZPAKT Stadt-Land-Bund substanziell aufzustocken – damit Tanzkunst auf hohem Niveau für ein großes und diverses Publikum, und das vor allem auch in strukturschwachen Regionen, sichtbar und erlebbar wird.
Mit diesem Ziel engagieren wir uns gemeinsam mit dem Dachverband Tanz Deutschland, Nationales Performance Netz und explore dance in der INITIATIVE TANZ. Im Juli 2024 waren wir mit der Initiative zu einer Anhörung über die Situation des Tanzes in den Bundestag geladen. Wieder ein Möglichkeitsraum, der erkundet und gemeinsam gestaltet werden will – Ausgang offen.
Dass die Politik ein offenes Ohr für die Anliegen der Tanzschaffenden hat, war bei TANZPAKT RECONNECT einer der Gründe für den Erfolg des Programms. Ich danke den Kulturstaatsministerinnen Monika Grütters und Claudia Roth sehr dafür, dass sie uns ein weiteres Mal ihr Vertrauen in dieser Zusammenarbeit geschenkt haben. Mein besonderer Dank gilt dabei Martin Eifler und dem damaligen Referat K24, seiner engagierten Nachfolgerin, Caroline Waldeck, und André Vandercappelle, die uns eine unschätzbare Hilfe waren.
Große Förderprogramme aufzusetzen, ist ein Kraftakt, den man nicht alleine schultert. Daher gilt mein großer Dank dem gesamten Team von TANZPAKT RECONNECT: Riccarda Herre und Isabel Niederhagen haben als Projektleitung mit ihrer langjährigen und profunden Kenntnis der Tanzszene das Programm konzipiert und mit unglaublicher Ausdauer in die Tat umgesetzt. Claudia Engels, Lewon Hartz, Christian Koch und Tamara Bettemir haben die Projekte fortlaufend sachkundig und empathisch beraten. Rebekka Mauser hatte mit ihrer Sorgfalt und Fachkenntnis jederzeit die Übersicht über das große Finanzvolumen, flankierend unterstützt durch die Leiterin der Finanzverwaltung Constanze Meinhold. Nicht zuletzt bedanke ich mich bei dem Redaktionsteam, allen voran bei Franz Anton Cramer, der als Redaktionsleitung diese Publikation mit Kompetenz und Freundlichkeit zum Ziel gebracht hat, sowie bei allen Autor:innen.
Die Gestaltung des Möglichkeitsraums ist ein Abenteuer, das nur gemeinsam gelingen kann. Wir sind gespannt auf das nächste!
Madeline Ritter ist Gründerin, Künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin der Bureau Ritter gUG
Während der Pandemie konnte sich eine neue Solidarität in der Kunst und in der Kulturbranche entwickeln und Themen wie Carearbeit, Resilienz, Demokratiesensibilisierung rückten in den Vordergrund.
Simone Schulte-Aladag und Tina Meß, Tanzbüro München
Die Pandemie hat gezeigt, dass der gesamte Kulturbereich und auch die Kulturförderung vor einem großen Transformationsprozess stehen.
FLUX e. V. − Initiative freie Tanz- und Performancekünste Rhein-Neckar-Region
Die Unterstützung durch TANZPAKT RECONNECT war als Förderung visionär. Sie vollzog einen Paradigmenwechsel, da sie dazu beitrug, über die künstlerische Praxis, Produktion und ihre Entwicklung auf neue Weise nachzudenken.
Eszter Salamon, artist researcher, Choreografin, Filmemacherin und Performerin
Die TANZPAKT RECONNECTFörderung war eine wertvolle Ressource in einer unsicheren Zeit. Tanzende wurden ganzheitlicher wahrgenommen und in ihrem Selbstwert und ihrer Selbstwirksamkeit gestärkt. Das Programm würdigte die gesellschaftliche Bedeutung von Kultur.
Die Unterstützung durch TANZPAKT RECONNECT war der Vorgeschmack einer Utopie. Sie hat geholfen, eine Struktur zu etablieren, was wesentlich zur Qualität der Arbeit und zur Stärkung von Netzwerken beigetragen hat.
Sergiu Matis, Choreograf
TANZPAKT RECONNECT
bot die Möglichkeit, sinnvoll, nachhaltig und ressourcenschonend zu arbeiten und zu er fahren, wie Planungssicherheit künstlerische Horizonte öffnet.
Das Besondere war die Förderung in die Breite
Claudia
Henne im
Gespräch
mit den Projektleiterinnen
Claudia Henne (CH): 146 Projekte aus 11 Bundesländern, Fördervolumen knapp 17 Mio. Euro – das haben Sie beide als Co-Leiterinnen des Förderprogramms TANZPAKT RECONNECT in den vergangenen vier Jahren gewuppt. Wie geht es Ihnen, wenn Sie zurückschauen?
Riccarda Herre (RH): Während des ersten Lockdowns 2020 zeichnete sich sehr schnell ab, dass auf Bundesebene Programme zur Unterstützung der Kulturschaffenden in dieser Ausnahmesituation gestartet werden sollten. Wir haben dann Gespräche mit dem Dachverband Tanz Deutschland und mit JOINT ADVENTURES – Walter Heun geführt und überlegt, was für ein Programm für den Tanz sinnvoll wäre. Daraus entstand ein gemeinsames Konzept, in dem Bureau Ritter den Part der Strukturförderung übernahm – angelehnt an TANZPAKT Stadt-Land-Bund. Im Mai 2020 haben wir von der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM) die Zusage bekommen, dass TANZPAKT RECONNECT im Rahmen von NEUSTART KULTUR realisiert werden kann, und nun musste es sehr, sehr schnell gehen. Denn die Situation für Choreograf:innen und Tänzer:innen, überhaupt für alle Tanzschaffenden in der Coronazeit, war unglaublich prekär: keine Auftrittsmöglichkeiten, kein gemeinsames Training, kein Einkommen. Es ging nicht nur um die Sicherung von Strukturen, sondern vor allem auch um die in den Strukturen arbeitenden Menschen. Deswegen war es unser Anspruch, das Hilfsprogramm sehr rasch umzusetzen. Andere Träger haben zeitgleich Stipendienprogramme und Rechercheförderungen aufgelegt, außerdem gab es Unterstützung für den Berufseinstieg junger Tänzer:innen. Teilweise konnten die Künstler:innen bei mehreren dieser Hilfsprogramme Anträge stellen.
Isabel Niederhagen (IN): Wir sind ziemlich stolz, dass wir das „gewuppt“ haben mit unserem wirklich tollen Team. Wir haben sehr viel gearbeitet in dieser Zeit, und wir haben sehr viel gelernt. Der Druck war allerdings immens: Wir mussten ein unglaubliches Tempo vorlegen, und wir hatten die Verantwortung für ein enormes Förderbudget. Aber wir wurden auch bestätigt in unserer Arbeit als Doppelspitze. Zum Glück können wir uns gegenseitig absolut vertrauen, uns aufeinander verlassen, und wir ergänzen uns perfekt in unseren Expertisen. Wir haben festgestellt, dass wir auch nach zehn Jahren Zusammenarbeit und trotz
des Stresses immer noch miteinander lachen können, und das wollen wir uns bewahren. Ich denke, wir haben als Team in der Konzeption und Umsetzung von Förderprogrammen unseren Platz gefunden.
CH: Was war das Besondere an dem Programm TANZPAKT RECONNECT?
IN: Die ersten Hilfsprogramme, die für die Kultur aufgesetzt wurden, waren an Institutionen gerichtet. Es ging um Hygienemaßnahmen, um Kurzarbeit, um Organsatorisches. Aber in der Tanzszene sind fast alle Akteur:innen Soloselbständige und da gab es erst einmal gar nichts. NEUSTART KULTUR wendete sich mit sehr vielen Programmen direkt an die Kulturschaffenden. Das besondere an TANZPAKT RECONNECT war vor allen Dingen die Förderung in die Breite –auch hinsichtlich der Profile der Antragsteller:innen. Das waren nicht nur Tänzer:innen, Choreograf:innen, sondern auch Förderempfänger:innen aus dem Tanzjournalismus oder aus Produktionsbüros. Außerdem wollten wir auch geografisch in die Breite fördern, also nicht nur Vorhaben in den Tanzzentren unterstützen. Was die Förderinhalte anging, haben wir kaum Vorgaben gemacht. Man konnte Dinge beantragen, die ansonsten in einer Projektförderung nicht vorgesehen sind: Ausstattung von Räumen, Personal, Coachings, Archivierung, Dokumentation … Viele der Antragsteller:innen hatten vorher noch nie eine Bundesförderung erhalten! Unser Anspruch war, dass niemand durch das Raster fallen sollte. Deswegen gab es auch die Möglichkeit, den erforderlichen Eigenfinanzierungsanteil von 10 % ausschließlich durch unbare Eigenleistungen zu erbringen. Manche Akteur:innen haben ja null finanzielle Spielräume, aber auf diese Weise konnten sie einen regelkonformen Finanzierungsplan erstellen. Das war immens wichtig.
CH: Das bedeutet unglaublich viel Beratungsarbeit …
RH: Wir haben sehr, sehr viel beraten! Teilweise saßen wir am Telefon und sind mit den Antragsteller:innen Zeile für Zeile ihres Finanzierungsplans durchgegangen. Dazu mussten wir das Team aufstocken, neue Mitarbeiter:innen finden –und das, während wir alle im Homeoffice saßen. Wir brauchten auch neue, digitale Beratungsformate, denn wir konnten ja niemanden irgendwohin einladen. Also haben wir per Zoom Informationsveranstaltungen, Einzelberatungen und auch Sprechstunden angeboten. Später ging es dann auch darum, bei der Erstellung der Zwischen- und Verwendungsnachweise zu helfen. Das alles war eine große Umstellung für uns.
IN: Wir haben dafür aber auch ein extrem schönes Feedback von den Projekten bekommen, die sich sehr gut betreut gefühlt haben.
CH: NEUSTART KULTUR sollte ja nicht nur ein Rettungsprogramm sein, sondern auch ein Zukunftsprogramm. Wie geht es weiter nach fast vier Jahren?
RH: Wir haben den Fokus nicht nur auf einzelne Künstler:innen gerichtet, sondern auch auf Netzwerke, auf die Schaffung neuer Räume, die jetzt zum Teil auch
nach Corona auf Bundes-, auf Landes- bzw. kommunaler Ebene weiter finanziert werden. Es sind unglaublich viele Projekte des Teilens entstanden. Und auch im ländlichen Raum, abseits der Tanzzentren Berlin, Hamburg, Nordrhein-Westfalen, sind wichtige und nachhaltige Initiativen auf den Weg gebracht worden. Ich glaube, dass der Tanz als Kunstform dafür prädestiniert ist, Ressourcen zu teilen. Im Tanz geht es mehr als in anderen Kunstformen darum, die anderen mitzudenken. Das hat sich in diesem Ausnahmezustand nochmal verstärkt. Das bleibt für die Zukunft. Außerdem wurde in diesen vier Jahren deutlich, wie groß die tatsächlichen Bedarfe der Szene sind. Deshalb haben wir die INITIATIVE TANZ entwickelt.
IN: Ja, wir haben uns als Bureau Ritter wieder mit unseren Partnern Dachverband Tanz Deutschland und Nationales Performance Netz zusammengetan und diesmal auch noch das Netzwerk explore dance – Tanz für junges Publikum mit ins Boot geholt. Wir wollen gemeinsam erreichen, dass die Bundesförderung für den Tanz noch einmal aufgestockt wird, damit die neu entstandenen Netzwerke, Räume und Kompetenzen auch für die Zukunft erhalten bleiben. Einige TANZPAKT RECONNECT-Projekte haben mittlerweile den Sprung in das Programm TANZPAKT Stadt-Land-Bund geschafft. Und schon weit vor dem geplanten Beginn der nächsten Stadt-Land-Bund-Ausschreibung im Jahr 2025 erreichen uns erste Beratungsanfragen von neuen Antragsteller:innen. Wir haben in den letzten Jahren eine unheimliche Qualifizierungsarbeit in der Szene geleistet. Die Künstler:innen wissen jetzt, wie man gute Anträge schreibt. Langeweile droht also nicht!
Claudia Henne ist freie Autorin und Kulturjournalistin, Schwerpunkt Tanz, und lebt in Berlin. Sie engagiert sich seit 2020 mit anderen für ein Tanzarchiv in Berlin.
Riccarda Herre und Isabel Niederhagen sind Co-Leiterinnen der Förderfonds TANZPAKT Stadt-Land-Bund und TANZPAKT RECONNECT bei Bureau Ritter.
Profitraining der freien Tanzszene in Bremen, Landesverband freie darstellende Künste
24 Baden-Württemberg
9 Förderprojekte
Fördervolumen: 1.041.890 €
Ort Projektträger:in Projekttitel
Heidelberg
Edan Gorlicki / INTER-ACTIONS
Mannheim
FLUX e. V.
EinTanzHaus e. V.
Merzhausen /
Freiburg
Stuttgart
SHIBUI Kollektiv
dancersconnect – Ensemble
Netzwerk Tanz e. V.
Anika Bendel, Nadja Dias, Laurence Nagel, Aliki Schäfer GbR
Co-exisTANZ – mehr als ein Studio für die freie Tanzszene in Heidelberg
Re-enACT – mehr als Co-exisTANZ
Bühnenkunst zurück ins Bewusstsein holen und gemeinsame Netzwerke stärken
FLUX Connects: Forschen, Gestalten, Performen
Was braucht ihr?
Co-Creation-Ateliers und Tanzvermittlung für ein neues Zeitalter
Professionalisierung und Stärkung der Netzwerkstruktur
Büro für kreative Konzeption, Produktion und Distribution für die Darstellenden Künste mit Fokus Tanz in Baden-Württemberg, mit Sitz in Stuttgart
Ulm
ROXY gGmbH
Tanzlabor:Reloaded
TanzLabor 2022
Unterhaching
1.080.540 €
Ort Projektträger:in Projekttitel
Fürth
München
Tanzzentrale der Region Nürnberg e. V.
Playground GbR / Anna Konjetzky und Quindell Orton
Tanzzentrale – Moving On Up!
In-through-around
Fokus Tanz | Tanz und Schule e. V. THINK BIG! Reach Out
Reach Out
HochX Theater und Live Art e. V. Munich moves – Verbesserung der Tanzinfrastruktur am HochX
Jasmine Ellis Projects gUG OASIS – Tanzressourcen für München
Rat & Tat Kulturbüro GbR
Tanzbüro München – Simone Schulte-Aladag & Tina Meß GbR
Nina Hümpel-Borchert
Unterhaching
Taking care of business
Fast Forward I Fast Forward II
tanznetz.de Relaunch: Programmierung, Grafik und Sicherstellung, Aufarbeitung und Kontextualisierung des Archivs von 25 Jahren tanznetz.de
Ceren Oran “Company” in Progress
Berlin
Projektträger:in Projekttitel
Arnd Wesemann
Backbone Berlin GbR
Botschaft GbR / Eszter Salamon
tanz.dance – Lust auf Tanz
Backbone Berlin
Nachhaltigkeit der Arbeit, Entwicklung neuer Formate, Archivierung und Verbreitung von Wissen
The New Planet – Ökologie der Wissensproduktion, Inklusivität, Nachhaltigkeit: hin zu einer transdisziplinären Kunst
Berlin
Company Christoph Winkler GbR
Cranky Bodies GbR
Tanzcompagnie Rubato
Panzetti / Ticconi GbR
Eva Meyer-Keller
FELD Zentrale für junge
Performance e. V.
Gintersdorfer Yao GbR
Helena Waldmann
Hermann Heisig
Isabelle Schad
Jess Curtis / Gravity
Jubal Battisti
Julian Weber
Kareth Schaffer
Kat Válastur
LAKE Studios Berlin
Lea Moro
make up productions GbR
Meg Stuart
Umzug und Aufbau eines mobilen StudioLabs
Cranky Bodies Testing Ground
Common Practice
Raum für das Forschen
Raum für das Forschen – die Fortsetzung
ENTWICKLUNG NACHHALTIGER
STRUKTUREN: nach Innen & nach Außen
BLICKPUNKTE: Nachhaltige Netzwerke schaffen und auf der Grundlage von Austausch arbeiten
FELD Fusion
Dazwischen-Sein: Anbindung und Kontinuität für ein transnationales Tanzensemble in Deutschland
Teambuilding für innovative Tanzinterventionen
SCHALLGARTEN reconnected
keep on – SCHALLGARTEN reconnected
Empathisch, sozial, lokal: Tanz in Zeiten der Pandemie I
Empathisch, sozial, lokal: Tanz in Zeiten der Pandemie II
Audio Description Service – Weiterentwicklung
Audiodescription Service – building a community
Envisioning Dance on Camera
NEW FEARS – Galerie für Tanz und Transdisziplinarität
RepräsenTANZ
Plattform für Choreografinnen in Berlin und Weiterentwicklung der eigenen Tanzpraxis
Förderung und Archivierung der Tanzpraxis
Aufbau unterstützender Formate und Infrastruktur für den zeitgenössischen Tanz in den LAKE Studios Berlin
ABOUT DANCE / DIGITAL BODY
Arbeitsstrukturen stärken und neu denken, eine Verschränkung von Produktion – Dramaturgie –
Distribution / Touring und künstlerischer Praxis
20 Jahre Praxis der Partitur
zero point
Berlin
Martin Hansen
Offensive Tanz Berlin gUG
Public in Private GbR
Martin Hansen GbR
Tanz Sehen
Public in Private Radialsystem V GmbH
Encounters
Embodied Practices
Saša Asentić
Sergiu Matis
Sheena McGrandles
Something Great / Aires de Sousa Silveira & Wallisch GbR
Yotam Peled
Tanzerei – Stärkung von disability dance in Berlin
Future Histories
DURATIONAL AFFAIRS
Neue Schule – Pilotprojekt zum Erhalt von zeitgenössischem Tanz und darstellenden Künsten mit Sitz in Mecklenburg-Vorpommern
Yotam Peled & the Free Radicals: Restructuring and Outreach
Zeitgenössischer Tanz Berlin e. V. Archivkompliz:innen – Tanzarchive in Bewegung
Die TANZPAKT RECONNECTFörderung war eine großartige Möglichkeit, die Verbindung zu unserem Publikum neu zu denken, und ein einzigartiges Fördermodell, diesen Bedarf überhaupt zu realisieren.
Ballettstiftung Heinz Bosl
Auszüge aus dem Evaluationsbericht von Culture Concepts
Dr. Cornelia Dümcke
Dipl.-Designer Philipp Dümcke
Aufgabenstellung
Bureau Ritter hat im September 2023 eine Evaluation des Förderprogramms TANZPAKT RECONNECT beauftragt. Das Förderprogramm ist Teil des 2020 gemeinsam von Bureau Ritter (vormals DIEHL+RITTER), Dachverband Tanz Deutschland und Joint Adventures / Nationales Performance Netz entwickelten und koordinierten Hilfsprogramms für die deutsche Tanzszene im Rahmen des Rettungs- und Zukunftsprogramms NEUSTART KULTUR der Beauftragten der Bundesregierung für Kultur und Medien (BKM).
Ziel der Evaluation sind vor allem qualitative Bewertungen zu TANZPAKT RECONNECT. Diese sind gerichtet auf die Rahmenbedingungen des Förderprogramms, seinen Beitrag zur Strukturförderung sowie seine Wirkungen unter dem Aspekt der Nachhaltigkeit.
Methoden
Das Methodenset der Evaluation von TANZPAKT RECONNECT umfasst die Auswertung vorhandener empirischer Daten und Analysen zur Förderung von Tanz in Deutschland (Desk Research), die Durchführung von leitfadengestützten qualitativen Interviews mit relevanten Akteur:innen sowie die Auswertung der Datenbank von Bureau Ritter zu den geförderten Projekten im Programm TANZPAKT RECONNECT. Die Datenbank ist Excel-basiert und wertet aggregiert Daten und Informationen auf der Grundlage der Anträge und Verwendungsnachweise, inklusive qualitativer Erfolgskontrollen und Sachberichte, der geförderten Projekte aus.
Der Evaluationsbericht wurde im Zeitrahmen September 2023 bis Januar 2024 erstellt. Insgesamt wurden Interviews mit 39 Akteur:innen geführt. Redaktionsschluss des Berichts war der 15. Februar 2024.
Ergebnisse und Schlussfolgerungen
aus der Evaluation
Auf der Grundlage der Analysen und Interviews wird nachfolgend eine Auswahl von empirischen Ergebnissen zu TANZPAKT RECONNECT hervorgehoben:
Die Bilanz von TANZPAKT RECONNECT 2020–2023 beinhaltet über einen Zeitraum von ca. zweieinhalb Jahren eine Förderung von 146 Maßnahmen mit einer Fördersumme von insgesamt ca. 17 Mio. Euro. Dies bedeutet, dass 44 % der beantragten 334 Projekte eine Förderung erhalten haben. Die erste Ausschreibung von TANZPAKT RECONNECT im Jahr 2020 traf auf große Resonanz. Der Bedarf aus der Tanzszene war weitaus höher als das zur Verfügung stehende Fördervolumen. Aufgrund des begrenzten Budgets konnte die Jury nur rund ein Drittel der eingereichten Anträge zur Förderung empfehlen. Im Rahmen der zweiten Phase von NEUSTART KULTUR wurde TANZPAKT RECONNECT verlängert und finanziell aufgestockt. In der zweiten Ausschreibungsrunde im Jahr 2021 konnte so mehr als die Hälfte der beantragten Maßnahmen gefördert werden.
Neben der Unterstützung der für die Tanzsparte so wichtigen Ensembles lag ein besonderer Fokus auf der deutschlandweiten Verteilung der Fördermittel, mit der auch fragilere Strukturen jenseits der Tanzmetropolen gesichert werden konnten. Die geografische Reichweite des Förderprogramms TANZPAKT RECONNECT erstreckt sich über das ganze Bundesgebiet, von Großstädten über Klein- und Mittelstädte bis in den ländlichen Raum.
Im Rahmen der Förderung von TANZPAKT RECONNECT wurden insgesamt ca. 4.700 Veranstaltungen mit ca. 240 Tsd. Besucher:innen realisiert. Berücksichtigt man die zweieinhalbjährige Dauer der Durchführung des Programms, sind dies bei ca. 30 Monaten rein statistisch im Durchschnitt ca. 160 Veranstaltungen bundesweit pro Monat. Dabei wiesen die Formate der Veranstaltungen eine große Bandbreite auf.
TANZPAKT RECONNECT zeichnet sich durch eine große Vielfalt hinsichtlich des Profils der Antragsteller:innen aus: Das Spektrum reicht von Einzelkünstler:innen über Kollektive, Netzwerke, Produktionsorte bis hin zu Festivals. Es spiegelt die Spezifik der freien Tanzszene in Deutschland wider, die sich durch eine hohe Diversität ihrer künstlerischen Hintergründe, infrastrukturellen Voraussetzungen, Produktionsorte, Netzwerke und Vermittlungsformate in Bezug auf ihr Publikum auszeichnet.
Auszüge aus dem Evaluationsbericht
Die Zahl der beteiligten Akteur:innen in den TANZPAKT RECONNECTProjekten beläuft sich auf ca. 6.300. Mit ca. 45 % bilden erwartungsgemäß Tänzer:innen und Performer:innen den Hauptteil der Akteur:innen.
Der Nachweis von Beschäftigungen, die im Rahmen von TANZPAKT RECONNECT ermöglicht wurden, ist – auch wenn sie nur über einen begrenzten Zeitraum wirksam waren – wichtig für die Erfolgskontrolle.
Das Ziel der Existenzsicherung in Zeiten der Pandemie spielt dabei eine nicht zu vernachlässigende Rolle. Insgesamt wurden mit TANZPAKT RECONNECT ca. 1.900 Stellen geschaffen, davon waren ca. 1.800 bzw. 95 % mit Honorarkräften besetzt.
Die Erwartungen und Bewertungen der Akteur:innen an und zu TANZPAKT RECONNECT belegen, dass das Programm im Wissen um die Bedürfnisse der Zielgruppen und Akteur:innen im freien Tanz konzeptionell und operativ passgenau ausgerichtet worden ist. 98 % der Akteur:innen bewerten, dass das Programm auf ihre Bedürfnisse hin zugeschnitten war und ihnen in der Zeit der Pandemie geholfen hat.
Positive Bewertungen der Akteur:innen betreffen außerdem die mehrjährige Laufzeit des Programms sowie das vereinfachte Antragsverfahren.
Etwa die Hälfte der Antragsteller:innen in TANZPAKT RECONNECT haben Förderungen aus anderen Corona-Hilfsprogrammen in Anspruch genommen. Dies verdeutlicht zum einen die Bedürftigkeit der Szene unter den Bedingungen von Covid-19. Zum anderen wird die große Bedeutung der anderen Förderprogramme des Bundes im Rahmen von NEUSTART KULTUR erkennbar, die neben TANZPAKT RECONNECT in der Zeit von Covid-19 zum Überleben der Tanzszene und ihrer Akteur:innen beigetragen haben. Im Rückblick zeigt sich, dass sich die verschiedenen Programme gut ergänzt haben (z. B. Struktur- und Produktionsförderung).
Auf der Grundlage der Befunde der Evaluation werden zusammenfassend folgende Schlussfolgerungen hervorgehoben:
Die Ergebnisse der Evaluation von TANZPAKT RECONNECT verweisen auf einen innovativen Förderansatz sowohl in konzeptioneller Hinsicht als auch in der konkreten Umsetzung durch die mittelausreichende Stelle Bureau Ritter.
TANZPAKT RECONNECT hat eine hohe Wertschätzung bei seinen Zielgruppen erfahren: den Akteur:innen in den geförderten Projekten und den Partner:innen auf Ebene des Bundes, der Länder sowie der Kommunen.
Der Evaluationsbericht belegt mit Indikatoren und qualitativen Bewertungen, dass die Mehrzahl der 146 Förderprojekte positive Wirkungen
auf verschiedenen Ebenen erzielen. Der Bericht arbeitet im Resümee „Gelingensfaktoren“ für Lernprozesse heraus.
Mit Bezug auf die Rahmenbedingungen ist TANZPAKT RECONNECT eine klare Antwort auf den Erneuerungsbedarf der Förderpolitik für die freie Tanzszene in Deutschland. TANZPAKT RECONNECT ist diesbezüglich ein Modell für die strukturelle Förderung in der Breite, konsequent auf die Verbesserung der Fördersituation der Akteur:innen zielend.
TANZPAKT RECONNECT wurde zu Beginn der Coronapandemie in Anlehnung an das mehrjährige Exzellenzförderprogramm
TANZPAKT Stadt-Land-Bund aufgesetzt. Die in TANZPAKT
RECONNECT konzeptionell angelegte Strukturförderung war für viele Akteur:innen im freien Tanzbereich ein Ankerpunkt zum Überleben.
Mit Bezug auf das Kriterium der Nachhaltigkeit in TANZPAKT
RECONNECT wurden überzeugend klare Ergebnisse erzielt, z. B. durch die Übernahme der Finanzierung von Raummieten und anderer laufender Kosten durch die Kommune. Einige Projekte haben sich erfolgreich um eine Förderung im Rahmen von TANZPAKT
Stadt-Land-Bund beworben und können so ihre Arbeit fortsetzen oder sogar weiterentwickeln. Nachhaltigkeitskriterien werden aber auch erfüllt durch klimagerechtes Verhalten der Akteur:innen in Produktion, Konsumtion und Vermittlung oder durch die Ermöglichung der Professionalisierung ihrer Arbeit (u. a. durch Weiterbildung, Netzwerkausbau).
In Bezug auf die Programmdurchführung von TANZPAKT RECONNECT durch Bureau Ritter leitet die Evaluation ausnahmslos positive Er gebnisse ab. Die Evaluation attestiert Bureau Ritter hohe Professionalität und einen „Umgang auf gleicher Augenhöhe“ mit den Akteur:innen der Tanzszene.
Empfehlungen
Erstens: In den Interviews wurde ein großes Interesse an den Ergebnissen der Evaluation signalisiert. Der vorliegende Evaluationsbericht zu TANZPAKT RECONNECT sollte daher unter Akteur:innen der Tanzszene sowie unter politischen Entscheidungsträger:innen verbreitet und kommuniziert werden. Die Zielgruppen befinden sich auf Ebene des Bundes, der Länder und der Kommunen sowie in der Tanzcommunity in Deutschland und auch in Europa.
Zweitens: Empfohlen wird zum einen eine Anhörung im Ausschuss für Kultur und Medien des Deutschen Bundestages. Zum anderen sollte mit Blick auf die positiven Ergebnisse der Evaluation der Haushaltsausschuss des Bundestages für weitere Fördertatbestände im Hinblick auf den Gegenstand der Strukturförderung und der Nachhaltigkeit interessiert werden.
Auszüge aus dem
Drittens: In der postpandemischen Zukunft, d. h. mit den Erfahrungen aus der Coronapandemie, wird empfohlen, das existierende Kulturfördersystem insbesondere für den Tanz konzeptionell und strategisch weiter zu diskutieren. In den Interviews wird der Wunsch der Akteur:innen nach einer mehrjährigen Förderung zur Stärkung der Produktions- und Arbeitsbedingungen deutlich. Die Kulturpolitik sollte diese Forderung der Künstler:innen bei der Anpassung der bestehenden Fördermodelle berücksichtigen.
Viertens: TANZPAKT RECONNECT hat auf einen enormen Bedarf der Tanzszene hingewiesen. Auch nach Auslaufen des Förderprogramms im Sommer 2023 existiert dieser Bedarf weiterhin. Die positiven Ergebnisse der Evaluation, insbesondere im Hinblick auf die Effekte der Strukturförderung sowie der Nachhaltigkeit, geben eine klare Begründung für folgende Empfehlung zu TANZPAKT Stadt-Land-Bund: Vor dem Hintergrund des Auslaufens von TANZPAKT RECONNECT sollte der erprobte Förderfonds TANZPAKT StadtLand-Bund finanziell besser ausgestattet werden. Dies kann dazu beitragen, die Nachhaltigkeit der Förderung im Tanz zu stärken.
Die Umsetzung dieser Empfehlung kann ebenfalls dazu beitragen, Vielfalt und Regionalität im Tanz in Deutschland zu fördern und sichtbar zu machen. Unterstützt wird damit zugleich die Umsetzung der 2005er UNESCO-Konvention in Bezug auf die Bewahrung der Vielfalt künstlerischer Ausdrucksformen im Tanz, zu der sich Deutschland als einer der Unterzeichnerstaaten der Konvention verpflichtet hat (UNESCO 2005).
Fünftens: Eine über TANZPAKT RECONNECT hinausgehende Empfehlung berührt die empirischen Grundlagen, besser gesagt, die bestehenden Wissenslücken hinsichtlich der kulturpolitischen Fördersysteme für Tanz in Deutschland. Für eine Neuordnung der Förderpolitik sollten diese Lücken weiter geschlossen werden. Sie sind durch die zuständigen Verbände sowie dazu forschenden Institutionen bzw. Expert:innen zu bearbeiten. Die Rolle von Tanz in der heutigen Gesellschaft benötigt weitere Forschungen, insbesondere auch im Bereich von Wirkungsstudien.
Februar 2024
Die Langversion des Evaluationsberichts „TANZPAKT RECONNECT. Mehrjährige Strukturförderung für das professionelle Arbeiten im Tanz“ können Sie hier einsehen: https://bureau-ritter.de/foerderprogramm/tanzpakt-reconnect/
Die Pandemie hat mir gezeigt, dass professionelle Rahmenbedingungen existenziell für die Arbeit freischaffender Tänzer:innen sind.
Was ist eigentlich „Struktur“ im Tanz?
Teil 1
Tanz gibt es überall und in den verschiedensten Erscheinungen. Rave, Urban Dance, Gesellschaftstanz, Volkstänze, Hip Hop, Ballett und noch viele mehr. In einer großen Mehrzahl der Fälle benötigt solcher Tanz nur Tanzende und eine ausreichend große Fläche. Tanz ist aber auch eine Bühnenkunst. Als solche bringt er Tanz-Werke hervor, die von Tänzer:innen vor Publikum aufgeführt werden. Dieser Tanz lebt im einmaligen Moment der ästhetischen Wahrnehmung und wird in dieser Form geschätzt – und gefördert.
Damit es zur Aufführung überhaupt kommen kann, ist eine ganze Reihe von Schritten notwendig, die nicht nur auf der Bühne ausgeführt werden. Tanz als Kunst-Werk ist vor allem ein Artefakt; er muss gemacht, er muss erschaffen werden. Der Weg von einer choreografischen Idee bis zur öffentlichen Aufführung vor Publikum ist lang und oft auch kurvenreich. Nichts dabei ergibt sich von selbst, sondern alles muss planvoll entstehen und wachsen. Und für diese Entstehungsphase benötigt der Tanz ganz spezifische Rahmenbedingungen und Arbeitsumgebungen, die wir mit dem Begriff „Struktur“ fassen können. In besonderem Maße gilt das für die freie Szene, also Tanz, der nicht an städtischen oder staatlichen Theatern entsteht.
Diese Strukturvoraussetzungen betreffen die Bühnen und Räume, wo der Tanz sich zeigt. Sie sind die Grundvoraussetzung für seine Sichtbarkeit. „Struktur“ meint aber auch die beteiligten Personen und ihre Arbeitsbedingungen: Künstler:innen, Bühnentechnik, Management, Verwaltung. Die künstlerische Idee muss zunächst einmal verschriftet und budgetiert werden, um als Antrag auf Finanzierung und damit auf Förderung vorgelegt werden zu können. Danach wird das künstlerische Konzept diskutiert, ausgearbeitet, gestaltet und adaptiert in langen Probenprozessen, für die es wiederum Probenräume und Studios braucht –ebenfalls ein substanzieller Gegenstand der Strukturförderung. Zudem müssen die Tänzer:innen ausgebildet sein, sie trainieren täglich, erarbeiten ihre Rolle oder Partie in dem Tanzstück und halten sie abrufbar. Diese professionelle Umgebung aufrechtzuerhalten, benötigt viel Zeit, die noch weit vor der Aufführung und der öffentlichen Sichtbarkeit liegt.
Wenn die Choreografie auf der Bühne und für die Bühne eingerichtet wird, braucht es Beleuchtungsproben, technische Einrichtung, Soundcheck, ggf. die Anpassung der Bestuhlung und dementsprechendes Personal, das diese Schritte betreut. Zeitgleich muss die Aufführung im Programm des Theaters oder der Spielstätte angekündigt und beworben werden, damit das Publikum erfährt, wann und wo ein Werk aufgeführt wird und was es damit auf sich hat. Unter Umständen kommen hier auch spezifische Vermittlungsformate wie bewegte Einführungen
oder Nachgespräche ins Spiel, um die jeweilige künstlerische Handschrift zu erschließen.
Kommunikation ist damit ein zentraler Teil der künstlerischen Arbeit, sowohl vor wie auch nach der Premiere. Denn das Stück wird aufgeführt am PremierenAbend und an den Folgeterminen, vielleicht geht es auch ins Repertoire über (was sich freie Gruppen aber in der Regel nicht leisten können). Dann gilt es, Gastspiele zu akquirieren und für das Werk eine Tournee zu organisieren, um es auch andernorts sichtbar zu machen. Hierfür müssen Reisen gebucht und institutionelle Kooperationspartner wie Festivals, Theater, choreografische Zentren gefunden werden.
Für alle diese Aspekte sind „Strukturen“ nötig, zu denen auch das Erwerbseinkommen des künstlerischen und nicht künstlerischen Personals zählt sowie die Räume für Proben, für Aufführungen, für Lagerung von Material, für Büro und Buchhaltung. Gerade hinsichtlich der Räume gibt es in der Regel einen akuten Mangel, und es kommt der Moment, wo neue Räume erforderlich werden, die dann einmalige strukturelle Investitionen brauchen wie etwa barrierefreie Erschließung, Renovierung, Ausstattung mit technischem Gerät und Infrastruktur. Diese Kosten, die durchaus in erheblicher Höhe anfallen können, führen aber langfristig zu einer Sicherung der künstlerischen Arbeitsbedingungen und reduzieren zukünftige Förderkosten.
Die künstlerische Projektförderung – in der freien Szene die am meisten verbreitete Form der Unterstützung – vergütet (und verlangt!) die kreative Idee und deren Realisierung bis zur Aufführung. Dabei wird oft übersehen, was alles strukturell der Aufführung, dem Moment des ästhetischen Teilens, vorausgeht –und auch, was danach an Verpflichtungen kommt. So sollen die Werke dokumentiert werden, denn sie sind Teil des kulturellen Erbes und die Öffentlichkeit hat, gerade aufgrund der Finanzierung aus Steuergeldern, einen Anspruch auf lange Zugänglichkeit. Archive und Dokumentationszentren halten dieses Wissen vor, wenn die Werke selbst nicht mehr aufgeführt werden.
All das ist die „Struktur“, welche besonders gefördert werden muss, schon weil man, anders als im Stadt- und Staatstheaterbereich, oftmals bei null anfängt. Künstlerische Projekte können ohne strukturelle Rahmungen nicht realisiert werden, und wollen wir die künstlerische Arbeit im Tanz ermöglichen, sind auch Förderungen der Struktur unerlässlich.
Strukturförderung im Tanz
Sichtbarkeit und internationale Strahlkraft
Stärkung der Kunstform
Tanz in Metropolen und in ländlichen Räumen
Performances (Gastspiele, internationale Tourneen, Open Studio u. a.)
Festivals
Was wird realisiert?
Weiterentwicklung künstlerischer Qualität
Neue Räume für Tanz
Überregionale und internationale
Kooperationen
Was wird gefördert?
Laufende Kosten
Sachmittel (Bürobedarf, Printprodukte, Software, Transport u. a.)
Residenzen
Recherche
Bewahrung Kulturerbe Tanz
Veranstaltungs-, Proben-, Lager- und Büroräume (Miete, Betriebskosten, Telekommunikation, IT u. a.)
Dokumentation und Archivierung
Was wird bewirkt?
Professionalisierung
Zukunftssicherung
Workshops und Trainings für Profis
Erwerbseinkommen
Künstlerisches Personal (Choreografie, Tanz, Bühnenbild, Vermittlung u. a.)
Marketing Personal (Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, Dokumentation, Networking u. a.)
Einmalige Investitionen
Gebäudeinstandsetzung (Barrierefreiheit, Renovierung, Umbau u. a.)
Qualifizierung und Weiterbildung
Nachhaltige und innovative Arbeitsmodelle (flexibles Arbeiten, Ökonomie des Teilens u. a.)
Technisches Personal (Bühnentechnik, Beleuchtung, Ton u. a.)
Administratives Personal (Finanzverwaltung, Produktionsleitung, Management u. a.)
Ausstattung (Tanzboden, Ballettstangen, Mobiliar u. a.)
Vermittlungs- und Partizipationsformate
Weiterentwicklung inklusiver Strategien Kulturelle Teilhabe
Gewinnung neuer Publikumsgruppen (divers, inklusiv, generationsübergreifend u. a.)
Kommunikation und Marketing
Gesellschaftliche Integration und Dialog
Einbindung marginalisierter Gruppen
Was ist eigentlich „Struktur“ im Tanz?
Teil 2
Strukturförderung im Tanz ist keine Einbahnstraße. Sie ermöglicht nicht nur den Künstler:innen, ihrer Arbeit nachzugehen, sondern sie hat auch Folge-Effekte auf größere Bereiche der Gesellschaft und des Wirtschaftslebens. Zum einen ermöglicht Strukturförderung, Beschäftigung zu sichern und Erwerbseinkommen zu generieren, und zwar nicht nur unmittelbar für die Bereiche Tanz, Choreografie, Bühnenbild, Kostüm, Musik und so fort; vielmehr belebt sie auch mittelbar das Gewerbe, indem Handwerk (z. B. für Bau- und Installationsarbeiten) und Kreativwirtschaft (z. B. Grafik- und Webdesign, IT-Fachleute) Aufträge erhalten oder die örtliche Gastronomie höhere Umsätze machen kann. Auch Fitnesscenter, Masseur:innen oder Physiotherapeut:innen werden von den Tanzschaffenden in Anspruch genommen. Schließlich stellen sich auch Auswirkungen in Form von urbaner Belebung ein, etwa wenn sich Tanz-Orte in städtischen Räumen neu ansiedeln, die zuvor wenig frequentiert waren und nun über den Weg der Kunst nachbarschaftliche Aufwertung erfahren.
Der Tanz hat mehr als andere Formen der Darstellenden Kunst das Potenzial zu sozialem Engagement und gesellschaftlicher Wirkung. Als nicht sprachgebundene Form vermag er marginalisierte Gruppen einzubinden und stärkt so den gesellschaftlichen Zusammenhalt. Dies gelingt umso mehr, als die Tanzszene, vergleichbar allenfalls mit dem Musikbereich, durch selbstverständliche Internationalität geprägt ist. Auch Menschen mit Behinderung werden zunehmend als professionelle Tanzschaffende wahrgenommen. Sie durchbrechen die Vorstellung von normativen Körperbildern und zeigen ihre Körper selbstbewusst auf der Bühne. Viele Projekte und Institutionen arbeiten mit Audiodeskriptionen und öffnen sich für eine breitere Zuschauer:innenschaft.
Und nicht zuletzt sind in der Tanzszene flexibles Arbeiten, eine Ökonomie des Teilens und der Nachhaltigkeit tägliche Praxis. Kreativität und Innovation finden nicht nur im engeren künstlerischen Bereich statt, sondern betreffen auch Verbesserungen im Bereich der Zusammenarbeit, des Teilens von Ressourcen und der Kooperation im Sinne der Synergie und der Optimierung von künstlerischen, sozialen, kommunikativen und urbanen Prozessen.
Strukturförderung im Tanz ist daher keine entbehrliche Zusatzmaßnahme, sondern sie stärkt und erhält das „Ökosystem“ von Kunst und Kultur auf lokaler Ebene, aber mit überregionaler und internationaler Wirkung und Strahlkraft.
TANZPAKT RECONNECT hat eine Förderlücke geschlossen, infrastrukturelle Maßnahmen im Tanzbereich zu stärken, ohne dafür die begrenzten Mittel aus dem künstlerischen Etat abschmelzen zu müssen. Mit dem Auslaufen dieses wichtigen Förderinstrumentes entsteht jetzt eine eklatante Lücke in unserer Arbeit.
Anne-Cathrin Lessel, Künstlerische Leiterin und Geschäftsführerin LOFFT – DAS THEATER
Brandenburg
5 Förderprojekte
Fördervolumen: 701.510 €
Lunow-Stolzenhagen
701.510 €
Ort Projektträger:in Projekttitel
Letschin
Lunow-Stolzenhagen
MS Schrittmacher GbR BRUCHSTÜCKE
Ponderosa e. V.
Rural Research & Residencies Brandenburg Potsdam
fabrik moves gUG (haftungsbeschränkt)
DiR – Dance in Residence Brandenburg I
DiR – Dance in Residence Brandenburg II
Netzwerk Tanz für junges Publikum
47 Bremen
6 Förderprojekte
Fördervolumen: 913.080 €
913.080 €
Bremen
Ort Projektträger:in Projekttitel
Bremen
Landesverband freie darstellende
Künste Bremen e. V.
Landesverband TanzSzene Bremen e. V.
TanzRAUM Nord gUG
TANZ Bremen e. V.
tanzbar_bremen e. V.
tanz_netzwerk_bremen PROFESSIONAL
Moving Future
A company‘s survival – Ensemble Of Curious Nature
HYBRID ADVANCED – extended
HYBRID ADVANCED – Ein Festival zukunftsfähig machen
Tanzraum – Zukunft
Ort Projektträger:in Projekttitel
Hamburg
Antje Velsinger
Dachverband freie darstellende
Künste Hamburg e. V.
Jenny Beyer
Lea Connert
LIGNA GbR
Stiftung Kulturpalast Hamburg
RE_FORM
tanz.nord – Künstler:innen-Netzwerk Hamburg / Schleswig-Holstein
showcase.nord – Produzieren in Hamburg / Schleswig-Holstein
DAS OFFENE STUDIO – Begegnungen in Zeiten der Distanz
Beyond Local – Kreatives Produzieren in lokalen und internationalen Kontexten
Infrastrukturelle Maßnahmen
Pilot für digitale / analoge Qualifizierungsstrukturen für Nachwuchskünstler:innen (Urban Dance Style) & VA- / Vermittlungsformate
HipHop Stage Academy
STÜCKLIESEL Productions GbR EMPOWERING STRUCTURES & ARTISTS I EMPOWERING STRUCTURES & ARTISTS II
Ursina Tossi
Yolanda Gutiérrez
EXCESSIVE SHOWING
URSINA TOSSI & TEAM – Queerfeminist Sensoria – Strukturförderung II
SHAPE THE FUTURE 2021
SHAPE THE FUTURE 2022
Die Unterstützung durch TANZPAKT RECONNECT war eine einmalige Möglichkeit, unabhängig vom Druck des Zeitgeistes in einer Kleinstadt einen Raum für Austausch und künstlerisches Arbeiten zu schaffen.
deufert&plischke GbR
Profile der 114 Projektträger:innen*
Quelle: Datenbank TANZPAKT RECONNECT Bureau Ritter, Zusammenstellung aus Evaluationsbericht / CULTURE CONCEPTS 2024
Festival 5
Andere Profile 17 Anzahl der Projekte
Netzwerk 13
Produktionsort / Spielstätte 20
Quelle: Datenbank TANZPAKT RECONNECT Bureau Ritter, Zusammenstellung und Auswertung aus Evaluationsbericht / CULTURE CONCEPTS 2024
Einzelkünstler:in 35
Kollektiv / Ensemble 24
* Die insgesamt 146 geförderten Maßnahmen sind insgesamt 114 Projekten zuzuordnen. Die höhere Zahl von Maßnahmen gegenüber der Zahl von Projekten resultiert aus den Anschlussförderungen in der zweiten Förderrunde, die einige Projektträger:innen erhielten.
1.867 geschaffene Beschäftigungen
Quelle: Datenbank TANZPAKT RECONNECT Bureau Ritter, Zusammenstellung aus Evaluationsbericht / CULTURE CONCEPTS 2024, alle Zahlen gerundet Veranstaltungsformate
LAKE Studios Berlin Beispiele für sonstige
Panel Audiodeskription & Tanz im Rahmen von „Munich Moves –Verbesserung der Tanzinfrastruktur am HochX“
HochX Theater und Live Art e. V., Bayern
Labor „Digital Body“ im Rahmen von ABOUT DANCE / DIGITAL BODY
Choreografiertes Nachtkonzert „Dormi bene“ im Rahmen von „SOMMER WIE WINTER *TanzProduktionen und interdisziplinäre Festivalaktionen“
Verein zur Förderung zeitgenössischer Darstellender Kunst und Musik e. V., Sachsen
Zukunftslabore im Rahmen von „ID_Tanzhaus Frankfurt Rhein-Main“
ID_Frankfurt – Independent Dance and Performance e. V., Hessen
Impro-Formate im Rahmen von „Urban Empowerment –Stärkung und Sicherung von Strukturen für den urbanen Tanz in NRW“
tanzhaus nrw e. V., Nordrhein-Westfalen
Katalog im Rahmen von „New Fears –Galerie für Tanz und Transdisziplinarität“
Julian Weber, Berlin
Videoparcours im Rahmen von „Next Station“
Pascal Merighi + Thusnelda Mercy GbR, Nordrhein-Westfalen
Audiowalk im Rahmen von „BRUCHSTÜCKE“
MS Schrittmacher GbR, Brandenburg
Performance im Klassenzimmer im Rahmen von „Reach Out“ Fokus Tanz | Tanz und Schule e. V., Bayern
Offene Studios im Rahmen von „Das Offene Studio –Begegnungen in Zeiten der Distanz“
Jenny Beyer, Hamburg
8 Förderprojekte
Fördervolumen: 1.081.440 €
Frankfurt a. M.
1.081.440 €
Ort Projektträger:in Projekttitel
Frankfurt a. M.
Billinger / Schulz GbR
Hennermanns Horde GbR
Kassel
ID_Frankfurt – Independent Dance and Performance e. V.
Haptic Hide gUG
Work of Act GbR
Tanzwerk Kassel e. V.
(to) rebuild, develop & grow
Stadt Land Tanz – Kinder und Jugendliche tanzen weiter
Basislager Hennermanns Horde
ID_Tanzhaus Frankfurt Rhein-Main I
ID_Tanzhaus Frankfurt Rhein-Main II
HapticReconnect
WERKSTATT
UPGRADE – Strukturen schaffen
60 MecklenburgVorpommern
3 Förderprojekte Fördervolumen: 491.550 €
491.550 €
Ort Projektträger:in Projekttitel
Stralsund
Fahrenwalde
Perform[d]ance e. V. Neue Wege
Reconnecting the dots –TANZ IN BEWEGUNG IN MV
schloss bröllin e. V. movin' bröllin extended
2 Förderprojekte
Fördervolumen: 251.020 €
251.020 €
Braunschweig
Ort Projektträger:in Projekttitel
Braunschweig
Die Mehrjährigkeit von Förderungen wie bei TANZPAKT RECONNECT ist aus Sicht unserer Tanzszene grundsätzlich von zentraler Bedeutung. Über einen längeren Zeitraum planen zu können, ist für die Künstlerinnen und Künstler grundsätzlich sehr wertvoll. In einer Gewichtung kommt nach Einschätzung unseres Landesbüros Tanz NRW diesem Aspekt eine größere Bedeutung zu als einer quantitativ starken einjährigen Projektörderung.
TANZPAKT RECONNECT war für die Tanzförderung in NRW eine sinnvolle Ergänzung, um künstlerische Qualität und Strukturen weiter auszubauen und zu sichern. Wir würden eine Weiterführung dieses Bundesprogramms grundsätzlich begrüßen.
Es ist nicht in allen Fällen für uns perspektivisch leicht zu beurteilen, ob die Strukturförderungen auch über den Förderzeitraum von TANZPAKT RECONNECT hinaus wirksam bleiben werden, zugleich aber natürlich zu hoffen. Wie bereits beschrieben, ist eine Strukturförderung wie die durch TANZPAKT RECONNECT für die Stabilisierung und weitere Qualifizierung der Ensembles von großer Bedeutung.
Aus einem Positionspapier von Hildegard Kaluza, Abteilungsleiterin Kultur im Ministerium für Kultur und Wissenschaft MKW in NRW (2015–2024).
Entwicklungskapazitäten gestalten
Ein Rückblick
Phillip Koban
Die Coronazeit hatte eine gewaltige Zäsur gebracht: Tanzschaffende konnten zwar irgendwann unter Einhaltung der Hygienemaßnahmen weiterhin ein Studio nutzen, aber sie durften nicht mit Aufführungen nach außen gehen. Und genau da hat TANZPAKT RECONNECT geholfen, dass Künstler:innen weiter in Lohn und Brot standen. So konnten sie diese Zäsur auch nutzen, um ihr künstlerisches Schaffen zu reflektieren, zu überlegen, wie es weitergehen soll. Ganz konkret für die Heidelberger Akteur:innen konnte über TANZPAKT RECONNECT der Antrag für TANZPAKT Stadt-Land-Bund überhaupt erst vorbereitet werden. Denn Akteur:innen waren nicht nur produktionsbezogen, sondern über eine längere Zeit beschäftigt und dadurch in der Lage, die vielen Gespräche mit Kommune, Land, mit Fördermittelgeber:innen und Berater:innen auf Bundesebene zu führen. So konnte die Coronazeit genutzt werden, die nötige Struktur zu konzeptionieren für den Antrag bei TANZPAKT Stadt-Land-Bund.
Das war ein längerer Prozess. Die Kompanie Inter-Actions hat von Anfang an gesagt, wir wollen für die gesamte freie Szene denken. Unsere Struktur wird nicht alleine genutzt für unsere Produktionen, sondern kommt auch allen anderen freien Choreograf:innen zugute. Das Studio für „Co-exisTANZ –mehr als ein Studio für die freie Tanzszene in Heidelberg“ ist zunächst eine Zwischennutzung gewesen. Wir hatten als Stadt aus Eigenmitteln die Miete übernommen. Das war aber nur der Raum. Die Nutzung durch bis zu 20 Choreograf:innen, auch aus der ganzen Region, musste umfassend organisiert werden. Und das sind Effekte, die schließlich in den Antrag bei TANZPAKT Stadt-Land-Bund überführt werden konnten: die gesamte Infrastruktur, das Management, aber auch kooperative Produktionen, Bürgerbeteiligungsprozesse, die Tanzschaffende angestoßen haben, Audience Development und vieles mehr. Das alles hat die Stadt unterstützt.
Doch es war aufwendig, die erforderlichen Informationen so aufzubereiten, dass sie für jeden nachvollziehbar sind: Was ist das denn für eine Struktur, die da greifen soll? Wie hängen die Finanzen zusammen? Dass ein Bedarf besteht, konnten wir schnell deutlich machen. Aber wie lässt sich all dies wirklich
allen – auch den vielleicht weniger tanzversierten – Entscheidungsträger:innen plausibel vermitteln? Dafür brauchte es permanente Kommunikation.
Bei uns in Heidelberg haben wir jetzt durch diese Förderung eine deutlich stärkere Vernetzung innerhalb der Szene. Es gab einen Meta-Dialog, wie ich es nennen möchte, über einen gemeinsamen Plan für die nächsten Jahre. Wo sind Synergien, wo sind Bedarfe? Was kann jeder, jede Tanzschaffende, jede Institution einbringen, um diese Bedarfe synergetisch zu decken? Da spielen natürlich Befindlichkeiten und auch Ängste mit hinein. Das ist ein Moderationsprozess, den zu begleiten aufwendig ist. Wenn so ein Prozess durch TANZPAKT Stadt-Land-Bund begleitet werden könnte durch Expert:innen, die einmal im halben Jahr einen Workshop anbieten, um zu schauen, wo wir in unserem Reflexionsprozess stehen und was die nächsten Schritte wären –das könnte ich mir als sehr hilfreich vorstellen.
Ich würde mir auch wünschen, dass bei einer neuen Ausschreibung von TANZPAKT Stadt-Land-Bund die Wiederbewerbung von bereits geförderten Projekten möglich ist. Denn jetzt haben wir professionelle Strukturen gefunden. Wir hätten jetzt die Möglichkeit zu überlegen: Wie kann das Ganze partnerschaftlich auf lokaler, auf regionaler oder Landesebene weitergeführt werden? In den vergangenen Jahren sind viele neue, vielfältige Partnerschaften entstanden, etwa mit Hochschulen oder Tanztherapiezentren. Man hätte jetzt einen großen Kreis an Akteur:innen, um zu evaluieren: Was ist vielleicht zu viel, was brauchen wir vielleicht künftig nicht? Wo sind Ressourcen, die noch verfügbar wären in diesen verschiedenen Einrichtungen? Welche Synergien zeigen sich, die dann längerfristig ressourcenschonend genutzt werden können? Wie können Doppelstrukturen reduziert und verhindert werden, sodass man dann auch mit weniger öffentlicher Förderung zurechtkommt?
Jede Förderung erzeugt ja einen systemischen Mehrbedarf auf längere Sicht. Und irgendwann steht eine Kommune vor der Frage: Wann sagen wir eigentlich mal Stopp? Nichtsdestotrotz denke ich, dass der Kern der aktuellen Fragestellungen nicht unbedingt die Summen betrifft, die man an alle Tanzschaffenden ausschütten kann. Sondern vornehmlich, wie sich die bestehende Infrastruktur dergestalt bewahren lässt, dass ich als Künstler:in zumindest die Möglichkeit habe, diese mit zu nutzen. Für eine Basis-Arbeit im Sinne der künstlerischen Anwesenheit muss gesorgt sein.
Umgekehrt wirkt das in die Bürgerschaft hinein. Zum Beispiel mit offenen Proben-Formaten. Im Fall von Inter-Actions etwa das „Building-Actions“-Programm, bei dem Tanzinteressierte aktiv an der Produktion teilhaben können, weil sie in Movement Sessions oder Improvisationsworkshops mitarbeiten, die schon auf die Produktion hinlaufen. So werden aktive Publikums-Expert:innen ausgebildet. Das ist ein Zugang, der ein ganz anderes, breites Verständnis für Tanzkunst auf Publikumsseite gewährleistet und eine höhere Identifikation der Bürgerschaft mit den Tanzschaffenden vor Ort entstehen lässt – eine
tanzfreundliche Atmosphäre, die nicht nur auf Seiten der Geldgeber:innen, sondern auch in der Bevölkerung Einzug hält.
Phillip Koban ist stellvertretender Leiter des Kulturamts der Stadt Heidelberg und dortiger Ansprechpartner für den Bereich „Darstellende Kunst“. Entwicklungskapazitäten
Es wird ja oft und gern postuliert, Tanz sei nicht nur eine reine Bühnenkunst, sondern stehe für sozialen Austausch und wirke als nonverbale Kunst auch interkulturell und sogar in den Gesundheitsbereich hinein. Das gehört eindeutig zum Output dessen, was in Heidelberg durch die TANZPAKT RECONNECT-Förderung entstanden ist.
Nordrhein-Westfalen
Düsseldorf
Düsseldorf Wuppertal Oberhausen
Schwelm Essen
Münster Köln
Anne Kersting & Alexandra
Schmidt GbR
MEETING POINT DRAMATURGY. Eine Tanzdramaturgie Akademie in Kooperation mit K3 –Zentrum für Choreographie | Tanzplan Hamburg, Hellerau – Europäisches Zentrum der Künste Dresden, Sophiensaele Berlin
Düsseldorf
Ben J. Riepe Company e. V.
fabien prioville dance company
Maura Morales
Digitale Agora – Ben J. Riepe Team & Kollaborateur:innen
Streaming-Kanäle und Social-Media-Plattformen und deren Durchlässigkeit für den zeitgenössischen Tanz
Stärkung der Kompaniestruktur und Ausweitung der internationalen Recherche
Festigen, Fördern, Vermitteln – Stärkung der Kompaniestruktur und Erschließung neuer Vermittlungsfelder
Noema Dance Works e. V. REACH OUT
tanzhaus nrw e. V.
Essen
Polymer DMT Schallenberg Lo GbR
Köln
Münster
Aktion Tanz – Bundesverband Tanz in Bildung und Gesellschaft e. V.
Emanuele Soavi incompany GbR
IPtanz GbR
Urban Empowerment – Stärkung und Sicherung von Strukturen für den Urbanen Tanz in NRW
Das Choreografische Labor – ein Raum für Polymer DMT und die IG Tanz Essen space | lab Essen – Choreografisches Labor
reconnect participative dance connecting communities
VOR ORT und UNTERWEGS I
VOR ORT und UNTERWEGS II
Neuformulierung und Rekonstruktion von Strategie und Vernetzung
quabbe, tellmann, wittek GbR Virtual Academy – Online-Fortbildung von Tanzschaffenden für Tanzschaffende
MichaelDouglas Kollektiv
Participative networks of movement nrw landesbuero tanz e. V. internationale tanzmesse nrw – international dance meeting
Overhead Project
tanz.tausch – tellmann & schmidt GbR
TanzFaktur UG
DIN A 13 tanzcompany
Funky e. V.
Strukturförderung Zukunftsfähigkeit CircusDanceFestival
Strukturstärkung tanz.tausch – vom punktuellen Austausch zur kontinuierlichen Netzwerkarbeit
PARTICULAE ACCELERATIO
SPECTATORES LUMEN IN
DIN A 13 reloaded
Funky Reconnect
Oberhausen
Tanz-Arbeit Oberhausen GbR
Schwelm
deufert&plischke GbR
Wuppertal
Pascal Merighi + Thusnelda Mercy GbR
tanz.media e. v. – verein zur förderung des qualitätsjournalismus im tanz
Tanz-Arbeit Oberhausen I (Brauchse Jobb? Wir machen Tanz!)
Tanz-Arbeit Oberhausen II
Spinnerei Schwelm I
Spinnerei Schwelm II
Tanz Station – Barmer Bahnhof NEXT STATION
Futures of Dance Journalism – tanz.media tutorials
Futures of Dance Journalism – tanz.media tutorials II
Die Unterstützung durch TANZPAKT RECONNECT war der Schlüssel, neue Aufgaben und Verantwortungen im Zusammenspiel mit der freien Szene zu übernehmen und durchzuführen.
Ort Projektträger:in Projekttitel
Leipzig
4fT – Tanzplattform Leipzig e. V.
SEBASTIAN WEBER DANCE COMPANY
LOFFT – DAS THEATER
Dresden
euro-scene Leipzig e. V.
Verein zur Förderung
Zeitgenössischer Darstellender Kunst und Musik e. V.
Till&Lubich GbR
the guts company e. V.
TanzIMPULSE I
TanzIMPULSE II
GROUND CONTROL
GROUND CONTROL continued
Optimierung der künstlerischen und strukturellen Arbeit der FORWARD DANCE COMPANY
Optimierung der Produktionsbedingungen für die Arbeit der FORWARD DANCE COMPANY
euro-scene (reconnects with) Leipzig
SOMMER WIE WINTER *Tanz – Produktionen und interdisziplinäre Festival-Aktionen
new situations
Die Krise als Chance – UNIT II
Nach der Krise – MACHT#3
Villa Wigman für TANZ e. V. Schaffung nachhaltiger Strukturen für das Produktionshaus VILLA WIGMAN
Freundeskreis HELLERAU e. V. Eine flexible Bühne für den Kulturgarten HELLERAU
go plastic company GbR go plastic goes out go plastic: s_pacemaker
Planungshorizonte eröffnen
Sebastian Weber über Strukturen, Wirtschaftlichkeit und Perspektiven in der Förderung
Seit 2017 arbeitet die Sebastian Weber Dance Company unter dem aktuellen Namen sehr erfolgreich in Leipzig. Dem gingen fast dreißig Jahre künstlerischen Schaffens voraus. Doch erst in den letzten Jahren hat es einen enormen Schub gegeben in Bezug auf Sichtbarkeit, Reichweite und Gastspielfrequenz. Was war der Grund für diesen „Quantensprung“, wie Sebastian Weber es nennt? „Erfolg für meine Projekte habe ich mir natürlich auch vorher schon gewünscht. Aber erst, seit ich statt der unregelmäßigen Projektfinanzierung mehrjährige Förderung bekomme, stehen uns so viele Möglichkeiten offen. Und das bezieht sich insbesondere auf den Aspekt der Struktur. Denn wir sind in die Lage gekommen, längerfristig zu planen mit den dreijährigen Konzeptionsförderungen der Kulturstiftung des Freistaates Sachsen und des Fonds Darstellende Künste, dann auch von TANZPAKT Stadt-Land-Bund. Zuvor war es die neu geschaffene Konzeptionsförderung der Stadt Leipzig. Das war für uns ein Quantensprung. Bestimmte Schwellen können nur überschritten werden, wenn langfristige Planung möglich ist. Aus strukturellen Gründen sind große Projekte innerhalb einer Jahresfrist von der ersten Idee bis zur Premiere nicht umsetzbar. Und für jede Kooperation mit einem Stadttheater braucht es einen Planungshorizont über mehrere Jahre. Wenn ich einem / einer Intendant:in nicht glaubhaft machen kann, dass es mich in drei Jahren noch gibt, dann brauchen wir gar nicht erst anzufangen.“
Neben dem Aspekt der Planungshorizonte war TANZPAKT RECONNECT für die Company ein Gamechanger, weil die Förderung explizit für die Entwicklung von Strukturen als Grundlage für künstlerisches Arbeiten gedacht war. „Aus meiner Sicht betrifft Struktur zwei Bereiche“, so Weber. „Das eine ist die Hardware der Company, also Dinge wie Probenraum, Technik, Ausstattung. Das sind die materiellen Arbeitsmittel. Das andere ist das Personal, also eine Teamstruktur, Manpower. Das habe ich vorher total unterschätzt. Zur Manpower gehört nicht nur, Leute anzustellen, sondern Company-spezifische Kompetenzen zu entwickeln. Zum Beispiel hat ein Ensemble wie unseres mit zehn Tänzer:innen aus unterschiedlichen Nationen und vielen verschiedenen Förderprojekten pro Jahr eine extrem komplexe Finanzverwaltung. Dafür gibt es keine Lösungen, die man einfach so kaufen kann wie Steuersoftware. Wir haben zwei Jahre gebraucht, um mit externer Hilfe ein System dafür aufzustellen. Das war durch die TANZPAKT RECONNECT-Förderung
möglich.“ Im Gegensatz zu den dreijährigen Programmen der anderen Fonds sei aber seine einjährige Förderung durch TANZPAKT
RECONNECT mit ihrer überaus kurzen Bewerbungsfrist auch problematisch und kurzlebig gewesen.
Wenn Weber über Struktur und Planungshorizonte nachdenkt, spricht er nicht als Künstler, sondern als Geschäftsführer. Es sind unternehmerische Abwägungen, die die künstlerische Arbeit ermöglichen und absichern. In Zeiten knapper Kassen gehört für ihn auch die Wirtschaftlichkeit des Mitteleinsatzes zum Gesamtbild. Sebastian Weber stellt hier eine vereinfachte Modellrechnung auf: „Wenn eine Neuproduktion mit großem Ensemble 100.000 Euro kostet und innerhalb des geförderten Projekts fünfmal gezeigt wird, dann sind das 20.000 Euro pro Aufführung. Wenn das Stück einstudiert ist, kann eine Wiederaufnahme vielleicht schon für 5.000 Euro realisiert werden. Für den Einsatz von Fördermitteln gebietet die Wirtschaftlichkeit also, einen gewissen Anteil in Wiederaufnahmen und die Pflege von Repertoire zu investieren. Auch die Company wünscht sich typischerweise mehr Gelegenheiten, das einmal erarbeitete Stück zu präsentieren. Denn die Stücke wachsen nach der Premiere weiter und wenn man immer neue Stücke macht, um das Ensemble überhaupt zu finanzieren, dreht sich das Hamsterrad immer schneller. Deshalb haben wir uns das Ziel gesetzt, mehr Repertoire zeigen zu können. Tatsächlich sind wir schnell von acht oder zwölf Aufführungen im Jahr auf 25 und mehr gekommen.“
Allerdings bringt dieser Quantensprung auch neue Herausforderungen mit sich: „Man wird vom eigenen Erfolg überholt und braucht Hilfe. Denn fünfundzwanzigmal für zehn Leute Flüge und Übernachtungen buchen, Proben organisieren, einen Probenraum finden – das übersteigt die Möglichkeiten, die ich als Choreograf selbst habe. Also stelle ich einen / eine Touring Manager:in ein, mit einer halben Stelle, dotiert mit 2.000 Euro pro Monat. So habe ich auf einmal im Jahr 24.000 Euro Ausgaben, die ich vorher nicht hatte. Auch das nenne ich den Quantensprung: Es wird nicht graduell mehr, sondern schlagartig.“
Eine ähnliche Rechnung lässt sich für Probenräume aufmachen. Wenn die Company für die Proben aus verschiedenen Ländern nach Leipzig kommt, muss rund um die Uhr ein eigener Probenraum zur Verfügung stehen. „Das macht wieder 30.000 Euro pro Jahr mehr! Aber wo bilden sich die im Budget ab? Wir hatten uns bei TANZPAKT RECONNECT zum Ziel gesetzt, 30 Aufführungen pro Jahr hinzukriegen. Letztes Jahr waren wir bei 40, und damit sind wir schon in der Größenordnung einer kleinen Stadttheater-Company“, sagt Sebastian Weber. Und bilanziert: „Der Unterschied zwischen meinen letzten fünf Jahren und meinen ersten 25 ist genau das. Natürlich hoffe ich, als Choreograf auch ein bisschen besser geworden zu sein; aber das kann das nicht erklären. Der Erfolg ist auf unternehmerischer Seite, nicht auf künstlerischer. Struktur ermöglicht, Struktur trägt. Ich glaube, das nehmen viele Akteur:innen wahr. Es gibt immer wieder die Enttäuschung, dass die Saat nicht aufgeht. Da kommt eine vielversprechende neue Company, und nach ein paar Jahren ist sie wieder weg.
Das ist ein Problem der fehlenden Struktur und Nachhaltigkeit.“
Die Sebastian Weber Dance Company ist trotz vieler Widrigkeiten und Fährnisse von einer kleinen Projektgruppe mit zehn oder zwölf Gastspielen pro Jahr zur erfolgreichen Formation gewachsen – mit jährlich 40 Aufführungen im In- und Ausland, Schul- und Community-Projekten, erfolgreichen Tanzfilmen, öffentlicher Probebühne für die Leipziger Szene und vielem mehr. „Ein stärkeres Argument für eine strukturelle Förderung kann man gar nicht haben“, sagt Weber selbstbewusst.
Grundlage für diesen Beitrag ist ein Zoom-Gespräch zwischen Sebastian Weber und Franz Anton Cramer vom 3. Mai 2024. Die Textgestalt entstand kollaborativ durch E-Mail-Austausch und weitere Gespräche.
Sebastian Weber ist Tänzer, Choreograf und Künstlerischer Leiter der Sebastian Weber Dance Company. Er arbeitet in Leipzig und kooperiert regelmäßig mit Theatern in der Region, in Deutschland und international.
Praktiken der Selbstermächtigung
Esther Boldt
Drei Dresdner Tanzkompanien haben ein Modellprojekt der Zusammenarbeit entwickelt, um ihre Strukturen zu stärken. Und auch drei Hamburger Choreografinnen wollen künftig Energien und Ressourcen bündeln, um gemeinsam besser arbeiten zu können.
„Solidarität ist der größte Motor dieses Projekts“, sagt Susan Schubert. Schubert ist Dramaturgin bei der Dresdner go plastic company, die sich mit zwei anderen Tanzkompanien der Stadt zusammentat: go plastic, The Guts Company und Till / Lubich gründeten das Netzwerk Kompliz:innenschaft, ein Modellprojekt, bei dem die drei Kompanien sich Ressourcen teilen.
Dazu zählen einerseits ganz konkret zwei Mitarbeiter:innen für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie für Distribution. „In einer strukturschwachen Region ist es aufgrund der schlechten Auftragslage für die freie Szene gar nicht so leicht, Leute zu halten“, sagt Anna Till von Till / Lubich. Zusammen konnten sie attraktivere Angebote machen. Andererseits intensivierte und professionalisierte die Kompliz:innenschaft den bereits bestehenden informellen Austausch unter den dreien. Gefördert durch TANZPAKT RECONNECT, konnten sie ihr Modellprojekt von 2021 bis 2023 realisieren.
Und nicht nur in Dresden, sondern auch in anderen Städten und Regionen Deutschlands schließen sich Tanzschaffende zusammen. Diese Kollaborationen und Kooperationen sind Mittel zur Stärkung und der Selbstermächtigung einer Szene, die oft genug prekär aufgestellt ist. Sie dienen dem Austausch von Wissen wie von Ressourcen mit dem Ziel, kontinuierlicher und nachhaltiger arbeiten zu können.
Wo die freien darstellenden Künste lange in Form kleiner Zellen funktionierten (und vielfach noch funktionieren), wo solitäre Akteur:innen jeweils eigene personelle, räumliche und materielle Infrastrukturen schufen, ist heute eine gegenläufige Tendenz erkennbar: Da werden nicht nur Räume, Personal und Wissen geteilt, sondern auch Solidarität und ideelle Unterstützung. Somit reagieren diese neu entstehenden Netzwerke auch auf ein Desiderat, denn die gängige Förderpraxis setzt den Künstler:innen klare Grenzen. Öffentliche Förderungen, ob einmalig oder mehrjährig, werden
oft nur projektbezogen vergeben, sodass alle Tätigkeiten, die über die konkreten Projekte hinausgehen, unbezahlt erledigt werden müssen. Zudem geben diese Förderformen wenig Planungssicherheit, die längerfristige Entwicklung von Strukturen ist nur mit einem großen persönlichen Einsatz möglich.
Etablierten Künstler:innen böten diese Strukturen so gut wie keinen Raum für Wachstum, beschreibt die Hamburger Choreografin Ursina Tossi: „In gewisser Weise kann nicht ich darüber entscheiden, wie ich arbeiten möchte. Letztlich ist die Rahmung, die die Struktur in der freien Szene setzt, so eng, dass meine Entscheidungen nicht besonders weit reichen.“ Um diese Entscheidungen wieder stärker in die eigenen Hände nehmen zu können, wird derzeit auch in Hamburg eine Kompanie-übergreifende Struktur auf den Weg gebracht, die die beteiligten Künstlerinnen stärken und die Qualität ihrer künstlerischen Arbeit unterstützen soll.
Auch Ursina Tossi, Antje Pfundtner und Jenny Beyer hat die Förderung durch TANZPAKT Stadt-Land-Bund und TANZPAKT RECONNECT ermöglicht, anders zu arbeiten. „Wir konnten uns strukturell größer aufstellen und kontinuierlicher arbeiten,“ so Jenny Beyer. Um weiterhin auf diesem Niveau agieren zu können, um Ressourcen zu bündeln und zu teilen, den Umgang mit Strukturen neu zu denken und die Parameter ihres Arbeitens selbstbestimmter gestalten zu können, haben die drei etablierten Hamburger Choreografinnen das Konzept „Shared Leadership in Dance“ entwickelt. Wie die Dresdnerinnen wollen auch sie die notwendigen Veränderungen nicht in Konkurrenz zueinander vorantreiben, sondern gemeinsam. „Wir wollten es von vornherein anders denken. Statt einzeln bei der Kulturbehörde anzuklopfen, machen wir es zusammen. Das passt auch zu vielen Arbeitsweisen, die uns verbinden“, erzählt Jenny Beyer. In ihren Projekten ebenso wie in ihrer künstlerischen Praxis sind bei allen dreien das Teilen und die Kollaboration zentral: beispielsweise bei Antje Pfundtners „Tischgesellschaften“, einem Format künstlerischen Teilens, oder in den „Offenen Studios“ von Jenny Beyer, zu denen sie regelmäßig ihr Publikum einlädt, ebenso wie in ihrem Netzwerk Sweet&Tender Collaborations.
„Für mich ist Shared Leadership eine logische, notwendige Konsequenz, fast eine natürliche Entwicklung aus unserer bisherigen Arbeit mit der Formation Antje Pfundtner in Gesellschaft“, findet Antje Pfundtner. Dabei wollen es die drei Choreografinnen recht weit treiben mit dem Teilen: Dies könnte Fördergelder ebenso umfassen wie Arbeitsräume und Netzwerke, kontinuierliche Infrastrukturen, Presse- und Öffentlichkeitsarbeit sowie Distribution – und nicht zuletzt ihre Publika. Um monetäre Einsparungen geht es dabei allerdings nicht, sondern vielmehr um eine Vermehrung, nicht zuletzt an Wissen. Bislang haben sie ihr Projekt für sechs Jahre beantragt, die Zusage der Hamburger Kulturbehörde steht noch aus.
Auch die Dresdnerinnen setzen auf Transparenz statt auf Konkurrenz. „Wir haben uns bewusst entschieden, uns nicht gegeneinander ausspielen zu lassen“, Praktiken
sagt Susan Schubert, „und setzen dem kapitalistischen Ansatz der Konkurrenz Verbindung, Verschwisterung, Unterstützung entgegen.“ Für sie fällt das Resümee durchweg positiv aus: Dank des Mitarbeiters für Presse- und Öffentlichkeitsarbeit, der für alle drei Kompanien arbeitete, waren sie wesentlich besser als zuvor über die Vorhaben der anderen informiert. Und für die gemeinsame Distribution stellten alle drei ihre Kontakte zur Verfügung, um eine größere Reichweite und Sichtbarkeit zu erreichen. Allerdings seien hier, merkt Anna Till an, zwei Jahre viel zu wenig gewesen: „Da konnten wir gerade erst anfangen, das Feld zu bestellen.“
Viele Praxen, die sie in der Kompliz:innenschaft etabliert haben, führen sie auch nach dem Auslaufen der Förderung weiter. „Wissen zu teilen steht ganz oben auf unserer Liste. Und wir verstehen uns auch als Agentinnen der anderen“, sagt Anna Till. Letztlich habe die Förderung ermöglicht, den Austausch, den die Künstlerinnen ohnehin seit mehr als einer Dekade pflegen, zu institutionalisieren und finanziell zu entlohnen. Und: „Mit der Institutionalisierung dieses Austauschs haben wir viel intensiver über konkrete Fragen wie die der Bezahlung gesprochen.“ Auch in Hamburg werden mit „Shared Leadership in Dance“ Künstlerinnenbeziehungen sichtbar, die bereits seit vielen Jahren bestehen.
Bei allen strukturellen Verbindungslinien – künstlerisch möchten alle Beteiligten unabhängig bleiben. Ihre Bühnensprachen seien sehr verschieden, sagen sowohl die Dresdnerinnen als auch die Hamburgerinnen, und es sei auch nicht das Ziel der Zusammenarbeit, dies zu ändern. Dass es sich um eine strukturelle, nicht um eine künstlerische Kollaboration handelte, sei nach außen, erzählt Cindy Hammer von der go plastic company, bisweilen schwer zu vermitteln gewesen. Die Selbstermächtigung aber liegt genau hier: Im Teilen von Know-how und materiellen Ressourcen, in der strukturellen wie ideellen Unterstützung.
Esther Boldt ist freie Autorin und Kulturjournalistin und lebt in Frankfurt am Main. Sie berichtet für Print wie Hörfunk und ist Co-Leitung der Akademie für zeitgenössischen Theaterjournalismus. Sie war Jurymitglied bei TANZPAKT Stadt-Land-Bund und TANZPAKT RECONNECT.
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