18. Ausgabe Mai 2012
G E H E I MTIPPS DER SCHWEIZ
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Empöre dich! - Aber wie?
Katzenköpfe Tierköpfe an der Wand - bizarre Bräuche und Statussymbole.
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TITELGESCHICHTE :
Gefällt mir nicht
Nobody ist der Größte Was Indianer in der Stadt verloren haben.
Geheimtipps aus Luzern Luzern hat mehr zu bieten als nur KKL und FCL.
INHALT
18. Ausgabe, Mai 2012
EDITORIAL
IMPRESSUM
seite 03: titelgeschichte. die armen roma.
REDAKTION verein dieperspektive, zentralstrasse 167, simon jacoby, conradin zellweger, manuel perriard, 8003 zürich
HINTERGRUND
TEXT c.z. | p.w. | c.w. | j.l. | m.b. | t.b. | o.b. | s.g. | s.m. | a.h.b.
seite 04: das duell #8 seite 05: europäisches recht für die schweiz seite 05: replik: parteifinanzierung seite 06: gefällt mir nicht
ILLUSTRATION / BILD t.b. | d.r. | s.g. COVER samuel kaufmann UMSCHLAG daniela raffl | danielakarinraffl@gmail.com LAYOUT
KULTUR
per rjard LEKTORAT
seite 07: katzenköpfe seite 08: Wohn-Kultur! Bald ein Kunststück!?
mara bieler & daniela bär WEBDESIGN timo beeler | timobeeler.ch
GEHEIMTIPPS DER SCHWEIZ seite 10: titelgeschichte: geheimtipps aus luzern seite 12: nachgefragt seite 15: nobody ist der größte
REDAKTIONSMITARBEITER jonas ritscher & konstantin furrer DRUCK zds zeitungsdruck schaffhausen ag AUFLAGE 4000 ARTIKEL EINSENDEN artikel@dieperspektive.ch WERBUNG conradin@dieperspektive.ch ABO abo@dieperspektive.ch LESERBRIEFE leserbriefe@dieperspektive.ch THEMA DER NÄCHSTEN AUSGABE lol.lsd.ps.fyi. GÖNNERKONTO pc 87-85011-6, vermerk: gern geschehen REDAKTIONSSCHLUSS dienstag 15. mai 2012, 23.55 uhr
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EDITORIAL 18. Ausgabe, Mai 2012
Titelgeschichte. Die armen Roma. Die Geheimtipp-Ausgabe ist die erste, die mit einer Titelgeschichte erscheint. In einem offenen Bewerbungsverfahren konnten sich, getreu unserem Konzept „vom Leser für den Leser“, alle als Autoren der Titelgeschichte bewerben. Mit diesem Versuch, der über die nächsten sechs Ausgaben läuft, wollen wir mehr Fleisch am Knochen generieren. Dadurch, dass nur die Titelgeschichte vergeben wird, kann von den Schreibenden ein höherer Einsatz bei der Recherche erwartet werden. Zudem haben wir wie immer genügend Platz für andere tolle Artikel, die ganz einfach und ohne Voranmeldung ins Postfach von Artikel@dieperspektive.ch flattern. Die Roma sind in aller Munde Die Roma wurden von einem fahrenden Volk, das sich den Lebensunterhalt mit Musizieren und dem Unterhalt von Schweinen und kleinen Äckern verdiente, zu einem vertriebenen Volk in der Illegalität. Nicht nur in der Schweiz bläst ihnen ein rauer Wind entgegen: Am schlimmsten tut er dies in Frankreich, Italien und Ungarn. Die Verantwortlichen in Italien (Berlusconi) und in Frankreich (Sarkozy) wurden bereits ersetzt oder sind dabei abgewählt zu werden. In Ungarn wüten die Roma-Hasser noch immer ungehindert. Ministerpräsident Orban liess letzte Woche verlauten, dass in seinem Land alle „Minderheiten in Sicherheit“ seien. Ein einfacher Blick unter die Oberfläche zeichnet ein katastrophales Bild: Die rechtsradikale Partei Jobbik lässt über ihre Schergen, die Szebb Jövört, uniformierte Bürgerwehren organisieren, die gegen die Roma vorgehen sollen. Die Polizei schaut zu. Die Szenen versinnbildlichen eines: Die Roma sind nirgendwo mehr willkommen. Ein kleiner Teil der Volksgruppe ist kriminell. Das ist in der Schweiz auch so. Wir horten illegale Gelder, einige Roma sind Zuhälter. Überall gibt es schwarze Schafe. Auch die Integration der Roma könnte einfacher verlaufen. Doch: Wer war schon mal in Zug? Oder am Paradeplatz? Da laufen Horden von miserabel integrierten Anzugträgern aus den USA und England umher. Niemand kümmert‘s. Sie haben schliesslich Geld. Die Historikerin Julianna Orsós schrieb genau vor einem Jahr: „Die meisten erklären den Lebenswandel des Zigeunertums mit irgendeinem östlichen, nomadischen Freiheitsdrang. Nur wenige sprechen davon, dass Ende des 19. Jahrhunderts nur noch zwei Prozent der Zigeuner ein Nomadenleben führten. Bevor der werte Leser erwidert, dass die Zigeuner endlich arbeiten und sich 'integrieren' sollen, sollte er lieber darüber nachdenken, für welchen Lohn die Menschen als Tagelöhner auf dem Land arbeiten. Auch die Zigeuner. Und ja, die meisten arbeiten als Saisonarbeiter. Angesichts der Automatisierung besteht aber auch für solche Arbeitskräfte immer weniger Bedarf. [...] Selbst die schulische Segregation der Zigeuner hat nicht erst heute begonnen. [...] Sie reicht bis in den Sozialismus zurück."
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Simon Jacoby Für die Redaktion
Nein
Keine weiteren Steuergeschenke für Banken!
Unternehmenssteuerreform
www.spzuerich.ch ı www.kein-steuerbonus-fuer-banken.ch
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HINTERGRUND 18. Ausgabe, Mai 2012
Das Duell #8 {Text} * Peter Werder und Conradin Zellweger
Peter Werder Geheim heisst, man kennt’s nicht in der Öffentlichkeit. Vielleicht in einer kleinen Teilöffentlichkeit. Oder man spricht nur unter vorgehaltener Hand darüber. Wenn wir hier einen Geheimtipp thematisieren, dann ist er nicht mehr geheim.
C.Z. Genau das zeigt doch, dass in Rumänien grosse Missstände herrschen.
Conradin Zellweger Sie haben da einen guten Punkt gemacht. Ein Geheimtipp ist nicht lange geheim. Ausser er ist schlecht. Dann ist es aber auch kein wirklicher Tipp.
C.Z. Sie gehen ja auch nicht nach Rumänien und rauben dort Wohnungen aus! Weil sie es nicht nötig haben.
P.W. Es gibt Dinge, die sollten eigentlich nicht geheim sein. Und jetzt gehen Sie in die grosse Offensive: Liebe Leute, lest hier, was eigentlich geheim ist, aber nicht geheim sein sollte! C.Z. Aber klar. Investigativer Journalismus ist etwas Wichtiges. Darin sieht wohl die Weltwoche mit dem sympathischen Roger Köppel ihre Mission.
P.W. Einverstanden! Und?
P.W. Genau. Das wundert mich aber, dass Sie das sagen - ich hatte schon den genau andern Vergleich gehört: Wenn wir in solche Länder reisen, werden wir gastfreundlich aufgenommen. Dann müssten wir das bei uns auch tun. Eigentlich richtig - aber eben, wie Sie sagen - ich klaue in Rumänien auch keine Autos. C.Z. Das wär mal eine Schlagzeile wert: "Roger Köppel beim AutoKlauen in Rumänien erwischt." Mal sehen, wie viel Humor der Weltwoche-Verlag im vergleich zur Tamedia hat.
P.W. Wenn ich ehrlich bin, finde ich die Weltwoche über weite Strecken bemühend - krampfhaft anders. Kein Geheimtipp mehr. dieperspektive natürlich schon.
P.W. Ich komm sonst beim nächsten Strafeinsatz mit zum Sieberbus. Übernehmen Sie das Layout?
C.Z. Das nehme ich jetzt als Kompliment.
C.Z. Ich verkaufe die Anzeigen. Wollen Sie eine für Ihre Partei schalten?
P.W. Da fand ich Ihre 20 Minuten-Layout-Variante sehr viel spannender. Ziemlich enttäuschend von 20 Minuten fand ich die humorlose Reaktion.
P.W. Wir haben leider nicht so viel Geld. Ich würde Sie gerne unterstützen. Aber Sie können sonst mein nicht vorhandenes Honorar der FDP spenden, die werden es dann zweckgebunden als Inserat zurückgeben. Sie haben jetzt auch den SP-Kamikaze der Nation angestellt. Der war auch mal ein Geheimtipp der Schweiz. Cédric Wermuth - der Robin Hood aus dem Mittelland, der Mörgeli der JuSo.
C.Z. Ja, dafür durfte ich zu Pfarrer Sieber, Drogenjunkies und Obdachlose betreuen. Das war sehr spannend. P.W. Der ist auch ein Geheimtipp. Schade, dass nicht mehr Leute gleich viel Energie, Pragmatismus und Durchsetzungsvermögen haben wie er.
C.Z. Keine angst. Er verdient auch nichts.
C.Z. Das bringt mich auf einen guten Punkt: Als ich die Nachtschicht hatte, mussten wir einen Roma von Polizei wegschicken lassen. Deren Problem ist, dass zu viele Roma den Pfuusbus als kostenlose Übernachtungsmöglichkeit nutzen wollen. Stellen sie sich das mal vor. Die ganz netten Linken weisen die Roma weg, wogegen die bürgerliche Weltwoche nur Titelbilder macht, welche schockieren und Fremdenhass fördern.
P.W. Idee: Wir schalten ein FDP Inserat und das Honorar geht an ihn. Und später, wenn er die Parteispenden aufdecken muss, sieht man, welche Partei ihm etwas gespendet hat.
P.W. Haben Sie denn das Gefühl, dass die Roma unsere Kultur befruchten? Das mit dem Pfuusbus ist eine interessante Geschichte - selbst solche Institutionen werden so unterwandert.
P.W. Dagegen.
C.Z. Befruchten, indem Sie uns die Augen öffnen, was ausserhalb von unseren Grenzen passiert. P.W. Vergessen Sie das mit dem Fremdenhass. Darum geht es überhaupt nicht. Es geht um das Problem im Kern. Und wenn Sie das nicht mehr ansprechen dürfen, dann haben wir einen neuen Geheimtipp in der Schweiz: Freiheit.
C.Z. Ja, da hätten wir doch noch ein Geheimtipp! Parteispenden-Offenlegung. Dafür oder dagegen?
C.Z. War ja klar. Wenn etwas offengelegt werden soll, kann ja kaum was dagegensprechen, solange man nichts zu verstecken hat. P.W. Wissen Sie wieso? Weil das nicht praktizierbar ist. Eine Partei ist auf mindestens drei Ebenen organisiert: national, kantonal, kommunal. Hinzu kommen die Spenden direkt an die Personen in einem Wahlkampf. Auf welcher Ebene wollen Sie das jetzt offenlegen?
C.Z. Klar bin ich der Meinung, dass Herr Köppel das darf.
C.Z. Auf allen. Ein Spendenverzeichnis machen, dort können jene nachschauen, die es interessiert. Ich bin mir sicher, sie hätten dort nichts zu befürchten. Oder?
P.W. Wenn Freiheit zum Geheimtipp wird, dann verzichte ich lieber auf die ach so netten Augenöffner, die ihre Kinder zum Stehlen zwingen und das System von Ernst Sieber aushebeln. Mir ist doch völlig egal, woher jemand kommt - entscheidend ist das Problem.
P.W. Und wer kontrolliert all diese Buchhaltungen? Allein im Kanton Zürich gibt es - je nach Partei - etwa 160 Ortssektionen. Hören Sie auf mit diesem Offenlegungs-Gugus. Das ist reiner Populismus, weil’s gut tönt.
Fortsetzung Seite 5
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POLITKOLUMNE 18. Ausgabe, Mai 2012
Europäisches Recht für die Schweiz {Text} * Cédric Wermuth
Vor wenigen Wochen hat der amerikanische Präsident Barack Obama die so genannte „Don’t ask, don’t tell“-Richtlinie für das USMilitär abgeschafft. Da sich die homophobe Haltung des Militärs und die Realität schwuler und lesbischer Armee-Angehöriger mehr und mehr diametral gegenüber standen, meinte man, das Problem lösen zu können, indem man es totschweigt. Wir alle wissen wohl aus unserer Lebenserfahrung: Das funktioniert so gut wie nie. Und wenn’s dann doch rauskommt, ist der Knall umso grösser. Trotzdem gibt es auch in der Schweiz diese „Don’t ask, don’t tell“-Politik: Wir reden nicht über gewisse Dinge, obwohl wir es alle besser wissen. Allerdings geht es bei uns weniger um Lesben und Schwule. Vielmehr ist diese Politik in einem für unsere Zukunft matchentscheidenden Dossier stillschweigend zur allgemeinen Richtlinie geworden: In der Europa-Politik. Der bilaterale Weg gilt vielen als Königsweg. An ihm zu zweifeln oder gar einen
möglichen Beitritt zur Union nur anzudenken, gilt als Landesverrat. Das ist paradox. Denn: Noch nie war das Scheitern des schweizerischen Sonderweges so offensichtlich wie heute. Egal welches Dossier wir nehmen, wir stehen in einer Sackgasse: Steuerstreit und Bankgeheimnis, bilaterale Abkommen, die Lösung der so genannten institutionellen Frage (d.h. der Frage, wer juristisch über bilaterale Abkommen betreffende Streitfälle entscheidet) oder die Bewältigung der Franken-Krise. Bis heute wurden bereits 60 Prozent des schweizerischen Rechts vollständig oder zumindest teilweise dem europäischen Recht angeglichen. Dafür haben wir den lustigen Begriff „autonomen Nachvollzug“ erfunden. Zu Deutsch heisst das: Wir tun so, als ob wir frei entscheiden würden – das machen wir dafür aber selber. Man kann die Sache drehen und wenden, wie man will: Die Schweiz ist heute faktisches Passivmitglied der Europäischen Union. Mehr und mehr Entscheide, die das Le-
Fortsetzung Duell #8
ben der Bevölkerung in diesem Land ganz direkt beeinflussen, werden in Brüssel getroffen – ohne uns. Fakt ist: Die demokratische Souveränität geht nicht wie gerne behauptet flöten, wenn wir Mitglied der EU werden, sondern wenn wir so weitermachen wie bisher. „Don’t ask, don’t tell“ ist untauglich – wir sollten endlich wieder über die Zukunft der Schweiz in Europa sprechen.
* Cédric Wermuth ist sozialdemokratischer Nationalrat aus dem Kanton Aargau, er schreibt monatlich zum Thema Politik. Antworte Cédric Wermuth auf leserbriefe@dieperspektive.ch.
Replik zur Kolumne: «Parteifinanzierung» {Text} Joelle Lüscher
C.Z. Es würde zumindest Unterschiede aufzeigen. Natürlich nur, falls es welche gibt. Wenn es möglich ist, dass sieben Millionen Bürger die Steuererklärung ausfüllen, und dies wohl meistens korrekt, wird das doch auch noch bei den Parteien funktionieren. P.W. Das finde ich genauso mühsam. Drum: Einfache Steuererklärungen auf dem Bierdeckel, Flat Tax, tiefe Steuern, einfache Erklärungen. Geheimtipp Schweiz eben - tiefe Steuern, schlanker Staat. Da sollen sich die andern rundherum ein Beispiel an uns nehmen: Nicht Steuerparadies Schweiz, sondern Steuerhölle Deutschland. C.Z. Ist das der neue Slogan der FDP? P.W. Gute Idee - aus Liebe zum Geheimtipp Schweiz!
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Das Duell: Beim Duell stehen sich jeden Monat Peter Werder und ein Mitglied der Redaktion zum aktuellen Thema der Ausgabe gegenüber. Abwechslungsweise setzt einer das Thema, worauf der andere den Schlusssatz zugute hat.
* Conradin Zellweger, 23, Student in Publizistik & Kommunikation, Redaktor dieperspektive, aus Zürich * Dr. Peter Werder ist bürgerlicher Politiker, Dozent an der Universität Zürich und leitet die Kommunikation eines Konzerns im Gesundheitswesen
Grüezi Herr Wermuth Jetzt mal ehrlich, gibt es auch nur einen einzigen guten Grund, der für Transparenz in der Parteienfinanzierung spricht? Ich sage „Nein“, und es stört mich auch nicht, weil ich in einem Land lebe, in dem zum Glück Freiheiten gelten, die, einmal verloren, wohl nie mehr zurückgewonnen werden können. Zum Beispiel die Freiheit, dass Menschen mit ihrem Geld das tun dürfen, was sie für richtig halten. Hand aufs Herz Herr Wermuth, möchten Sie sich von politischen Kräften vorschreiben lassen, wie Sie mit ihrem Geld umzugehen haben? Genau in diese Richtung zielt doch der Versuch, Transparenz in die Parteienfinanzierung zu bringen Kontrolle des Staates über das Eigentum und die Handlungsfreiheit des Individuums. Herr Wermuth, verzeihen Sie mir diesen Satz, aber für mich politisieren links der Mitte positionierte Kräfte nicht minder heuchlerisch als die von Ihnen bekämpften bürgerlichen Lager. Was mich an den Leuten ihrer Couleur aber besonders stört, sind diese ewigen von Neid geprägten Angriffe auf das Kapital. Sie erwähnen die Steuergerechtigkeitsinitiative; sorry, der Begriff Steuergerechtigkeit ist doch per se ein Witz! Schauen Sie doch mal in ihren eigenen Kreisen, wer was, mit allen legalen Mitteln zwar, aber zumindest moralisch verwerflichen Finten, am Fiskus vorbeischleust? Ich bin absolut sicher, dass links wie rechts regelrecht ganze schwarze Schafherden grasen. Und trotzdem gibt es auf dieser Welt kein besseres System als das der Schweiz. Was mir Angst macht, sind nicht anonyme Finanzspenden an politische Parteien oder wohlhabende Menschen, die ihr Geld lieber in der Schweiz zu Sonderkonditionen versteuern, als in der eigenen Heimat von einem ineffizienten, aufgeblähten Staatsapparat ausgeblutet zu werden, sondern Menschen wie Sie, die an unserem hervorragend funktionierenden System sägen und dabei erst noch vom Steuersubstrat eben jener Gesellschaftsmitglieder leben, die sie als Feinde bekämpfen. Wissen Sie Herr Wehrmut, Arbeitgeber, also Menschen, die Mitmenschen Arbeit, Lohn, eine Existenz geben, stehen extrem selten Parteien links der Mitte nahe. Unsere Wirtschaftskraft steht auf leistungsorientierten Gesellschaftsmitgliedern, die Risiko eingehen und dabei Verlieren in Kauf nehmen, und nicht aus Leuten, die für alle gleich viel wollen, nur für sich selber immer ein wenig mehr. Aber nehmen bitte von den anderen.
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HINTERGRUND 18. Ausgabe, Mai 2012
Gefällt mir nicht {Text} * Marco Büsch
Wie hat Stéphane Hessel so schön geschrieben: „Empört euch!“ Aber wir empören uns doch jeden Tag! Wir sind empört, zeigen Mitgefühl und drücken „Gefällt mir“. Ich wachse in einer Generation auf, welche sich zu einem grossen Teil jeden Tag aufs Neue empört, indem sie „Gefällt mir“ drückt. Und wer nicht „Gefällt mir“ drückt, ist ein herzloser Unmensch. Wir leben in einer globalisierten Welt, in der alles immer komplizierter wird und keiner mehr den vollständigen Durchblick hat. In so einer Welt ist es schön, wenn einem Dinge auf simple Weise erklärt werden. Zum Beispiel wenn die SVP einen vor die Wahl stellt, man könne entweder für die Ausschaffungsinitiative sein oder man sei pro Vergewaltiger. Da fällt einem die Wahl sicherlich sehr leicht. Und so geht es uns mit vielen Dingen: Wer hat schon die Zeit jede Nachricht genau zu lesen? Wichtiger ist es „Gefällt mir“ zu drücken und den Leuten zu zeigen, dass man nicht wegsieht. Auch wenn man nicht weiss, was man überhaupt ansieht. Da wäre zum Beispiel Kony 2012: Es ist so leicht, sich dieses Video anzusehen und dann vor lauter emotionalen Wallungen „Gefällt mir“ zu drücken, das Video zu teilen, ein Kony-Bild zu posten oder sich gar die sündhaft teure Kony-Box zu bestellen, um dann überall die Kleber zu verteilen. Ich will mich nicht darüber auslassen, ob diese Kony 2012-Aktion hilfreich gewesen ist oder nicht. Zudem werden sich viele fragen, warum ich jetzt, nach all dieser Zeit, wieder die Kony 2012-Diskussion anreisse, das ist doch Schnee von gestern. Und genau das stört mich: Gestern empört uns dies, heute das. Wir sind empörungssüchtig geworden! Es kommt mir so vor, als wären viele Leute heutzutage viel zu gerne empört. Hauptsache sie sind öffentlich empört. Um jedem zu zeigen: Ich mache etwas! Sie drücken „Gefällt mir“, teilen ein Video, schreiben eine Statusmeldung und diskutieren vielleicht mit ein paar Anderen darüber, warum diese nicht „Gefällt mir“ gedrückt haben. Denn man ist für oder gegen etwas, dazwischen gibt es nichts mehr, das ist verschwunden. Und
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dann ist die erste Empörungs-Euphorie plötzlich vorüber. Denn 20 Minuten und Blick am Abend berichten nicht mehr darüber. Was tun? Man zieht weiter zur nächsten Empörung. Wen interessiert schon Kony? Er ist zwar immer noch nicht gefasst (Stand April 2012), aber es gibt schliesslich auch noch andere Probleme auf dieser Erde, mit denen es sich zu befassen gilt und die weitaus populärer sind. Es verunfallt ein Bus voller belgischer Kinder und tagelang sind die Medien voll von Artikeln über diesen Unfall. Ja, er ist tragisch. Ja, vor allem, weil es Kinder gewesen sind. Und dazu immer wieder die Bilder dieser armen Kinder, die gestorben sind. Und sie hatten so
«Wir empören uns über dieses und jenes und werden dabei von den Themen abgelenkt, über die man sich am meisten empören müsste.» viel Spass im Skilager. Und dann auch noch in der Schweiz. Das Ganze ist so traurig. Natürlich ist es das, aber ist es nicht auch traurig, dass ungefähr alle drei Sekunden ein Kind stirbt irgendwo auf dieser Erde? Diese Kinder haben leider kein Gesicht, keine Stimme, sie sind leider nur an Hunger gestorben in einem beliebigen Land in Afrika und nicht bei einem Busunfall in einem Schweizer Tunnel. Die Scheinwerfer werden sich nie auf sie richten. Und doch sind sie da. Wenn uns sterbende Kinder so nahe gehen, warum weinen wir nicht den ganzen Tag um diese Kinder? Wir weinen nicht, weil wir nur betroffen sind, wenn die Medien uns die Story schön aufbereiten und wir das Gefühl haben, es hätten auch unsere Kinder sein können. Dieses Gefühl haben wir bei den afrikanischen Kindern nicht: Unsere Kinder sterben nicht an Hunger oder Aids, unsere Kinder sterben bei Autounfällen. Wir haben keinen Bezug zu ihnen. Ausser vielleicht, dass sie von allem zu wenig haben, wovon wir zu viel haben. Aber
das ist zu abstrakt, um deswegen emotional zu werden. Wir lassen uns schlicht und einfach von den Medien diktieren, über was wir uns als nächstes empören sollen. Wir werden dazu konditioniert, empört zu sein. Wir empören uns über dieses und jenes und werden dabei von den Themen abgelenkt, über die man sich am meisten empören müsste. Wie zum Beispiel die oben genannte Kindersterblichkeitsrate. Oder darüber, dass wir mit unserer Subventionierung der Landwirtschaft den Hunger in der Welt aktiv fördern. Oder um es weniger abstrakt zu halten: Dass in der Schweiz drei Prozent so viel besitzen wie die restlichen 97 Prozent. Die gelenkte Empörung und das vermeintliche Mitgefühl ist das neue „Brot und Spiele“. Und wichtig dabei ist, dass wir es allen zeigen. Sonst wirkt es nicht. Wir drücken „Gefällt mir“, anstatt zu spenden. Denn Spenden sind meistens nicht öffentlich. Wieso sollte ich spenden, wenn mein Nachbar nicht sieht, dass ich spende? Wenn ich „Gefällt mir“ drücke, weiss er wenigstens, dass es nicht einfach so an mir vorbeigeht. Aber machen wir uns nichts vor: Wir spenden nicht aus Selbstlosigkeit. Wir spenden, um unser Gewissen zu entlasten. Damit wir Nike-Schuhe aus Kinderarbeit tragen können, denn: Wir haben gespendet. Aber was nützt mir ein entlastetes Gewissen, wenn die anderen nichts davon wissen? Und so drücken die meisten Menschen heute lieber „Gefällt mir“, als tatsächlich zu spenden. Ein Klick reicht und du bist dabei. Du schaust nicht weg. Du kümmerst dich um die Welt. Oder bist du vielleicht doch nur ein empörungssüchtiger Gaffer? Hangeln wir uns vielleicht doch nur von der einen Emotionalität zur nächsten, damit wir die grossen Probleme nicht anpacken müssen? Ich wünschte mir, die Menschen würden sich etwas langfristiger und aufrichtiger empören!
* Marco Büsch, 21, Politologiestudent aus Zürich, Filmfan und Hobbyrapper marcob@cubic.ch
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KULTUR 18. Ausgabe, Mai 2012
Katzenköpfe {Text & Foto} * Titi Bonheur
Ich betrete einen Raum. Er ist voll mit ausgestopften Katzenköpfen, fein säuberlich präpariert. Wer hier wohl wohnt? In dieser eigentümlichen Umgebung? Und was will die Person mit dem eigenwilligen Wandschmuck ausdrücken? Sind das geliebte Tiere? Trophäen von der Jagd - sollen die toten Tiere dem Betrachter zeigen, dass hier jemand wohnt, der der Katzen Herr ist? Ein solcher Raum mutet eigensinnig, gar bizarr an. Genauso verständnislos reagieren wir auf Kulturen, die Schrumpfköpfe sammeln oder Skalpe von ihren Opfern als Zeichen der Überlegenheit, als Zeichen des Erfolgs ausstellen. "Primitive" Völker machen das noch. Wir aber in der zivilisierten Welt, wir haben damit aufgehört. Erstaunlich, wie sich Leute über die Schrumpfkopf-Kultur oder das Sammeln von Skalpen aufregen können, es gleichzeitig aber schön finden, wenn Tierschädel - seien es nur die Überreste aus Knochen und Knochensub-
stanz in Geweih-Form oder ausgestopfte und präparierte Überreste ganzer Tierkadaver - an Wänden hängen. In einem solchen Leichenschauhaus soll dann gar "romantische" Stimmung aufkommen, oder eine Mahlzeit eingenommen werden. Bleibt ab dieser makaberen Tradition nur mir das Tofu im Halse stecken? Wird diese altertümliche, gewaltverherrlichende Dekoration von modernen, aufgeklärten und zivilisiert denkenden Menschen nicht in Frage gestellt? Wie fühlen sich all die Vegetarier - nicht die Flexetarier oder Pescetarier - nein, all die Leute, die aus ethischen und moralischen Gründen auf das Essen von Lebewesen verzichten - unter dieser Dekoration? Regelmässig bin ich geschockt, wenn ich kultivierte, gebildete Menschen beim Fleischverzehr beobachte. Von vielen weiss ich aber, dass sie eine Taktik des Verdrängens ausüben. Sie denken beim Lammbraten nicht an das Lamm. Eine Fähigkeit, die mir in diesem Ausmass abhanden gekommen ist, dennoch kann ich sie
nachvollziehen - mache ich es doch bei Eiern genauso. Wie aber können die Leute die Todestrophäen ignorieren? Gerade unsere Kultur, die mit dem Tod eher Trauer und Unheil verbindet, erträgt den archaischen Brauch unserer Vorfahren heute noch. Beim Fleisch folgen wir dem Gaumenschmaus, den ein Omnivore offensichtlich wichtiger einstuft als ein Tierleben. Einige wenige sind sogar noch Verfechter der Theorie, dass ein Mensch ohne Fleisch nicht leben kann. Aber ohne Totenköpfe an der Wand sollte es doch gehen? Gespannt bin ich, wie künftige Generationen diesen Wandschmuck beurteilen…
* «Weisst du, Titi Bonheur, da kann man von etwas überzeugt sein, und du bringst eine vollkommen neue und unerwartete Perspektive dazu - und man muss sich hinterfragen.»
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KUNST- & KULTURKOLUMNE 18. Ausgabe, Mai 2012
Wohn-Kultur! Bald ein Kunststück!? {Text} * Dr. oec. HSG Olivia Bosshard
Die Worte „Urbanisierung“ und „Zersiedelung“ in Verbindung mit „Ballung“, „Verdichtung“ und „Verkehrsinfarkt“ kommen zunehmend häufiger in den Medien und Debatten vor und irgendwie hören sie sich bedrohlich an. Und beim Lesen der Überschrift „Eine Schweiz für zehn Millionen“ (NZZ vom 23.3.2012) befiel sogar mich beim Versuch, mir das bildhaften vorzustellen, so etwas wie urbaner Dichtestress. Ganz besonders deshalb, weil wahrscheinlich mindestens eine Million davon eine Wohnung in der Stadt sucht, in der ich auch gerne leben würde. Und mal ehrlich: Wer hätte nicht gerne eine nette Wohnung mit genug Platz, in einem schönen Haus, vielleicht sogar mit Jugendstil-Fassade? Oder besser modern? Falls möglich ruhig gelegen, ein bisschen Rest-Natur in der Nähe, aber insgesamt schon nicht zu weit von der Stadt weg. Die öffentlichen Verkehrsmittel gerne in der Nähe, aber die Wohnung (oder dürfte es auch ein Haus sein?) nicht zu nah an der Strasse oder Tramschiene – und vielleicht doch noch mit Parkplatz? Das Fenster der Nachbarn sollte natürlich auch mehr als nur ein paar Meter entfernt sein und das alles am liebsten bezahlbar und nicht mehrere Fahrstunden von Arbeitsplatz oder Uni
entfernt. Saubere Gewässer zum Baden und unverbaute Gebirgslandschaften für die Ski-Ferien in nicht zu grosser Distanz, gerne erreichbar über gut unterhaltene Strassen- und VerkehrsInfrastrukturen. Kling nett, oder?
Und eigentlich nicht mal so sehr überzogen. Dabei ist hier weder vom allseits beliebten Papi-Mami-Baby-mit-Häuschen-im-Grünen-Idyll die Rede noch von den gehobenen Wohnraumbedürfnissen der durchschnittlichen UHNW („Ultra-High-Networth-Individuals“), für die eine 12-Zimmer-Villa mit Garten oder Park am See sowie Gäste- und Personalhaus mit vier Doppel-Garagen zum Standard gehören. Sondern von „ganz normalen“ Familien, Studenten, Berufstätigen oder Senioren,
die alle auch nicht unbedingt an der Peripherie in der Einflugschneise in sinnlos weiter Entfernung zu Uni, Arbeitsplatz oder den restlichen Familienmitgliedern leben möchten. Das Bundesamt für Statistik geht in verschiedenen Szenarien (mittel und hoch) von einer steigenden Wohnbevölkerung bis 2060 aus und schätzt die Einwohnerzahl zu jenem Zeitpunkt auf neun Millionen (mittleres Szenario) bis 11,3 Millionen (hohes Szenario). Die unterschiedlichen Lösungsstrategien dafür, dass die Kunst des Wohnens, der gewohnt kultivierte Umgang miteinander und so etwas wie Wohnkultur auch dann noch möglich sein werden, sind höchst vielfältig und bewegen sich irgendwo zwischen „Nach mir die Sintflut“, „Höher, dichter, enger bauen“, „Grenzen dichtmachen“, „Drastische Verzichtsübungen per Dekret“ (Frage: für wen alles?), „Kastenwesen“ und „Einführung der Drei-Klassen-Gesellschaft“. Weitere Ideen und alternative Vorschläge sind willkommen. * Dr. oec. HSG Olivia Bosshard ist Leiterin der Zürcher Veranstaltungsplattform KION, sie schreibt monatlich zu den Themen Kunst & Kultur Antworte Olivia Bosshard auf leserbriefe@dieperspektive.ch
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am Helvetiaplatz, Tel. 044 242 04 11, www.xenix.ch
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12.–17. Juni 2012 64 Galerien aus 22 ländern neu an der LISTE* Belgien: Dépendance, Brüssel. Office Baroque, Antwerpen. Elisa Platteau, Brüssel China: *2P, Hongkong. Platform China, Peking dänemark: *Christian Andersen, Kopenhagen deutschland: Chert, Berlin. Circus, Berlin. Croy Nielsen, Berlin. Exile, Berlin. *Cinzia Friedlaender, Berlin. Kadel Willborn, Karlsruhe. KOW, Berlin. Lüttgenmeijer, Berlin. Neue Alte Brücke, Frankfurt a. M. Sommer & Kohl, Berlin. Supportico Lopez, Berlin Frankreich: Bugada & Cargnel, Paris. Gaudel de Stampa, Paris. Marcelle Alix, Paris. Schleicher + Lange, Paris/Berlin Griechenland: The Breeder, Athen Grossbritannien: Ancient & Modern, London. Hollybush Gardens, London. IBID, London. *Kendall Koppe, Glasgow. Limoncello, London. Mary Mary, Glasgow. Rob Tufnell, London. Jonathan Viner, London Holland: Ellen de Bruijne, Amsterdam. *Jeanine Hofland, Amsterdam. Wilfried Lentz, Rotterdam. Martin van Zomeren, Amsterdam irland: Mother‘s Tankstation, Dublin italien: Fluxia, Mailand. Kaufmann Repetto, Mailand. Francesca Minini, Mailand. Monitor, Rom Mexico: *Gaga, Mexico City. Labor, Mexico City neuseeland: Hopkinson Cundy, Auckland Österreich: Andreas Huber, Wien. Emanuel Layr, Wien Polen: Stereo, Posen rumänien: Andreiana Mihail, Bukarest. *Sabot, Cluj-Napoca schweden: Johan Berggren, Malmö. Elastic, Malmö schweiz: BolteLang, Zürich. Freymond-Guth, Zürich. Karma International, Zürich. *Gregor Staiger, Zürich spanien: *Maisterravalbuena, Madrid. NoguerasBlanchard, Barcelona Türkei: Rodeo, Istanbul usa: Altman Siegel, San Francisco. Bureau, New York. Laurel Gitlen, New York. Overduin and Kite, Los Angeles. Renwick, New York. *Simone Subal, New York. Wallspace, New York Vereinigte arabische emirate/Pakistan: *Grey Noise, Dubai/Lahore Hauptsponsor seit 1997: e. GuTzwiller & Cie, Banquiers, Basel
Grafik: Ute Drewes, Basel; Foto: HJ.F.Walter, Zürich
Öffnungszeiten: Dienstag bis Samstag, 13 bis 21 Uhr, Sonntag, 13 bis 19 Uhr Vernissage: Montag 11. Juni, 18 bis 22 Uhr, Burgweg 15, CH 4058 Basel, info@liste.ch, www.liste.ch, ein Projekt im Werkraum Warteck pp
TITELGESCHICHTE 18. Ausgabe, Mai 2012
Geheimtipps aus Luzern {Text & Illustration} Simon Gast
Früher als Hochburg des Rocks bekannt, hat die kulturelle Landschaft Luzerns seit geraumer Zeit etwas Mühe, mit anderen Schweizer Städten Schritt zu halten. Doch machen wir uns die Mühe und riskieren einen Blick unter die Oberfläche. Im „Zollhaus“, das als Freiraum für Kulturschaffende fungiert, wird mit wechselnden Gastländern via Skype ein kulinarisches Meisterwerk gezaubert, wobei gegensätzliche (Koch-)Kulturen aufeinandertreffen und somit Völkerverbindungen in entspannter Atmosphäre vonstattengehen. Freitags wird das „Zollhaus“ zum Tollhaus. Dem Dresscode „Sensation-White“ entsprechend wird SchwarzlichtPingpong mit anschliessendem Live-Konzert und Plattendisco zelebriert. Die Struktur des „Zollhauses“ kommt mit angenehm flacher Hierarchie daher. 29 Mitglieder zählt der Verein zur Zeit, wobei jeder vom uneingeschränkten Mitspracherecht profitiert. So entsteht Platz
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für Ausstellungen, Konzerte, Lesungen oder Workshops. Wer prinzipiell nicht kocht oder Pingpong-Shows eher asiatischen Landschaften zuordnet, der sollte sich am Luzerner „Südpol“ vom anspruchsvollen Programm aus Musik, Tanz und Theater inspirieren lassen. Hochkarätige Gastspiele, wie beispielsweise die beiden zum Berliner Theatertreffen eingeladenen Produktionen „Hate Radio“ vom IIPM und Conte d'Amour von Nya Rampen/Institutet, wechseln sich dabei ab mit musikalischen Kleinoden wie der Residenz der beiden Krautrock-Urgesteine Hans Joachim Irmler (FAUST) und FM Einheit (Einstürzende Neubauten). Dem Anspruch, zeitgenössisches kulturelles und künstlerisches Schaffen nach Luzern zu bringen und zu fördern, wird man mit einem sparten- und disziplinenübergreifenden Programm und zugleich auch als Produktionsstätte gerecht. Der Künstler steht immer im Zentrum und kann als „Artist in Residence“ während längerer Zeit im Haus arbeiten und die daraus entstandenen Ar-
beiten in einem würdigen Rahmen präsentieren. Marc Schwegler, der für den Bereich Öffentlichkeitsarbeit sowie für das Booking im Bereich Clubkultur/elektronische Musik zuständig ist, weist auch auf die Wichtigkeit einer dem Geist des Hauses entsprechenden Grafik hin, welche in enger Zusammenarbeit mit dem renommierten Luzerner Grafiker Felix Pfäffli realisiert wird. Weiter kündigt Schwegler mit dem Saisonabschluss ein weiteres fulminantes Spektakel an, das mit klingenden Namen wie „The Hundred In The Hands“ (Warp, US), „Laurel Halo“ (US) oder „Actress“ (UK) – die meisten davon als CH-Exklusivkonzerte – für einen Paukenschlag sorgen wird. Dass dieser zeitgenössische Mix vom Publikum oftmals nicht geschätzt oder verstanden wird, brachte Remo Bitzi und Kaj Lehmann auf die Idee, die Geschichte zur Musik zu erzählen und somit den Moment zu dokumentieren. Dabei entstand das vierteljährlich erscheinende Fanzine „Zweikommasieben“. Der unkonventionelle Name rührt von jüng-
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TITELGESCHICHTE 18. Ausgabe, Mai 2012
sten neurologischen Studien her, die besagen, dass die Gegenwartsdauer exakt 2,7 Sekunden beträgt. So kurz ist folglich die Zeitspanne, die wir „einen Augenblick“ nennen. Diesen einzufangen ist das erklärte Ziel der Initianten, wobei mit vor Ort interviewten Künstlern aus der elektronischen Musik in erfrischend unkonventioneller Umsetzung ein Bild der Luzerner Clublandschaft gezeichnet wird. Dass dabei auch Querverweise zu Physikern wie Hermann von Helmholtz möglich sind, entspricht dem Verständnis von zeitgenössischer Clubkultur der Mitwirkenden. Auch der optischen Gestaltung wird viel Liebe zum Detail geschenkt. Farbbilder sind zwischen die schwarz-weiss bedruckten Seiten eingenäht, und Interviews werden auch mal grob eingescannt, um den Fokus bewusst auf den Inhalt und nicht die Verpackung zu legen. Jede Fertigstellung des A5Magazins in 300er-Auflage wird im Rahmen aufwendiger Release-Partys gebührend gefeiert, was mich zur Vorstellung des „Konsumguts“ bringt. Jenes kleine Schmuckstück war für sie-
ben Monate Schauplatz einer Fusion aus coolem Klamottenladen und Veranstaltungsraum, der neben Gesellschaftsspiel-Abenden auch alternative Filmklassiker zeigte, kleine raffinierte Gerichte der veganen Küche im Angebot hatte, einen Sonntagsbrunch veranstaltete und ab und an eine gelungene Party schmiss. Sonntags öffnete man die Pforten für einen kleinen, aber feinen Flohmarkt und in Zusammenarbeit mit dem „Korsett Kollektiv“, das innovative, abstrakte elektronische Musik und neue visuelle Medien auf geschickte Art verbindet, fand die K.TV-Reihe statt, die als themenzentrierter, moderierter Abend die schönsten, besten, schrägsten und trashigsten Musikvideos aller Zeiten zelebrierte. Für einen kurzen Zeitraum hielten orientalische Klänge Einzug und das „Konsumgut“ wurde freitags zur OrientLounge umfunktioniert, wo in entspannter Atmosphäre bei Shisha-Pfeife und Thé à la menthe entspannt werden konnte. Die unterschiedlichsten Veranstaltungen fanden durch Innovationsgeist und Fleiss in dem kleinen zweistöckigen Gebäude statt, das durch den liebe-
voll gestalteten Garten besonders bei schönem Wetter zum Verweilen einlud. Aber selbst die gesellschaftliche Anerkennung mit dem Gewinn des „Kick Ass-Awards“ in der Sparte „Frischer Wind“, der vom Luzerner Radiosender „3Fach“ verliehen wird, konnte das kleine Lokal an der Neustadtstrasse nicht retten. Es musste dem Bau eines unschönen Hotelkastens weichen, der in unabsehbarer Zeit an besagter Stelle entstehen soll. Doch gute Ideen kann man nicht zubetonieren, weshalb dieses kurze, intensive erste Kapitel der „Konsumgut“-Geschichte sicherlich nicht das letzte bleibt. Wer in alten Lagerhallen zu funky DJSets Fussball spielen will, das Pendant zur Hamburger „Soul Kitchen“ entdecken möchte, gerne Jung-Designer vor ihrem Durchbruch bestaunt, auf skurrile GayaRama-Abende mit Bingo-Spass und den abgefahrensten Drinks der Stadt à la Berlin steht, gerne auf OutdoorPartys in alten Militärbunkern mit „Göndmolchliab“ abfeiert oder auf „Kick Ass“ durch den heissen Draht steht, dem sei ein Besuch sehr ans Herz gelegt.
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GEHEIMTIPPS DER SCHWEIZ 18. Ausgabe, Mai 2012
Nachgefragt {Text} * Simon von Mörderthal
Ja? ... nun, Sie möchten also einen Geheimtipp der Schweiz ... der Schweiz oder zur Schweiz? ... der, in Ordnung, ja ... doch, das wäre schon möglich, möglicherweise wäre da schon was ... ge-nau, ich hätte etwas auf Lager quasi, einen solchen Tipp, mehrere sogar ... stimmt, das Land ist klein, aber ... ja, hätte ich auch bald gesagt ... genau, die Vorstellung ist ziemlich klischiert ... feine Käsesorten, wie meinen Sie das, nicht rezent? ... ach so ... ein Witz, ja Schokolade ... nein, eigentlich nicht, nein, man geht nicht aus, man geht in den Ausgang, wie im Strafvollzug, nein, da habe ich keinen Geheimtipp, tut mir leid, hier lebt man nur im Geheimen in der Nacht ... für jun-ge Leute? ... lassen Sie mich überlegen ... gut, ein Tipp, aber der ist nicht geheim: Hier hat man genug Geld zum Verreisen ... wie ich das meine? ... verstehen Sie nicht? ... ach so, konkreter ... ja, doch, habe ich doch gesagt, natürlich habe ich Geheimtipps, was möchten sie denn wissen? ... dann gehen Sie doch an den Prenzlauer Berg ... ja, das ist aber nicht mehr geheim, Berlin ist eine Kolonie, aber auch hier lassen Sie einen nicht in Ruhe, diese Künstler oder so, oder Grafiker ... das sei ein Klischee?, na hören Sie mal, was wollen Sie eigentlich ... nein ... nein ... an jeder Ecke öff-
net ein Geheimtipp, mit irgendwelchen originellen Sitzgelegenheiten aus Abfalleimern und Tischchen aus rezyklierten Bananenkisten, und erst die Namen: Rhabarbarbar, oder so, oder all diese Dinger mit den Adjektiven: benutzbar, belästigbar, ach diese Selbstverwirklicher ... es heisst Rhabarber?, was Sie nicht sagen, es geht ums Prinzip, Herrje! ... nein, da bin ich anderer Meinung, das ist definitiv schlimmer als jeder Gartenzwerg ... dann erzähle ich Ihnen mal was ... ich war einmal in einem solchen Geheimtipp, einem Lokal, etwa zehn Quadratmeter gross, gefüllt mit ungefähr fünfzig Geheimtippenden, die alle in diesen Geheimtipp sich hineindrängten und sich ihre Geheimratsgläser unter die Nase schoben ... ja, tolle Stimmung, fürchterlich toll, wenn man sich unbedingt gratis an anderen reiben möchte, das müsste man aber geheim halten, das mit dem Reiben ... Sie haben doch gefragt! ... ja, hören Sie, das wäre doch ein Geheimtipp, da gibt es vielleicht nicht einmal ein Internetforum dazu, in welchen Lokalen man sich am besten an anderen reiben kann ... ja, den Namen dieses Ortes könnte ich Ihnen schon nennen ... man könnte die ganzen Kosten für irgendwelche Tantrakurse einsparen, das wäre doch was, nicht? ... nein? ... et-
was anderes? ... was wollen Sie eigentlich? ... ach so, genau, einen Geheimtipp der Schweiz ... und was ist die Gegenleistung? ... nichts ... Orte? Olten ist faszinierend ... nein, ich will Sie nicht auf den Arm nehmen, möchten Sie das, na? Olten ist wirklich faszinierend ... sehen Sie, das möchten Sie jetzt nicht hören, Sie möchten sich wohl lieber reiben oder wie, sind Sie einer dieser Reibperversen mit Treibhausfantasien? ... gut, ja, ich versuche mich zu beherrschen, aber ... ach so, Sie haben genug gehört, na dann ... auf Wiedersehen!, artikulieren Sie sich doch wenigstens anständig: Es heisst -hören! -hören!, wir sehen uns doch gar nicht ... jetzt sollten aber Sie sich beherrschen, schauen Sie mal ein bisschen ... nein, ich bin nicht unmöglich, keines-falls ... ja, ich bin Schweizer, das haben Sie richtig verstanden ... nun gut, ich verrate Ihnen mei-nen Geheimtipp, aber dann belästigen Sie mich nicht mehr: Behalten Sie Geheimtipps für sich und schweigen Sie, das ist der Geheimtipp der Schweiz, bei Gott, Adieu!
* Simon von Mörderthal, 30, geboren in Bern, wohnhaft in Basel, Doktorand.
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Ruf Lanz
Da isst jeder gern vegetarisch.
STADTKOLUMNE 18. Ausgabe, Mai 2012
Nobody ist der Größte {Text & Illustration} * Apachenkönig Huntin’Beer
Die Stadtprärie. Staubig, grau, geteert. Herden wandern über die Zebrastreifen. Die Wagen blöken und tuten. Die Auspuffe geben Rauchsignale. Sie sind bereit für die Attacke. Motoren heulen auf. Brumm, brumm, brumm. Die Stauboys ziehen weiter. Der Wilde Westen. Zum Aussterben verurteilt. Zivilisiert von Behörden und Architekten. Früher noch Tanzfläche der verlorenen Seelen, heute schon in der Hand des Stammes der Schickeria-Indianer. Die Zeichen der Zeit. Unaufhaltbar. Viele andere Stämme wurden umgesiedelt. Ja, ja… Auch die Apachen. In Leder gehüllt und ohne Kopfschmuck streifen sie auf der Suche nach einer neuen Heimat umher. Gringos aller Couleur, angelockt durch das Versprechen von Ruhm und Ehre, beziehungsweise dem schnellen Geld, streifen auf ihren Drahteseln und Blechkutschen durch die Stadtprärie. Hie und da ein Sheriff. Breitbeinig, die Hände in der Gürtelschnalle versenkt, ver-
suchen sie mehr oder weniger, Recht und Ordnung durchzusetzen, geführt und gelenkt durch die rechte und die linke Hand des Teufels. Es braucht mehr als vier Fäuste für ein Halleluja. Vor allem braucht es Verstand und Verständnis für die Erkenntnis: „ Erst wenn der letzte Baum gefällt, der letzte Fluss verschmutzt und der letzte Fisch gefangen ist, werdet ihr feststellen, dass man Geld nicht essen kann“, sagte Häuptling Seattle, ein Cree-Indianer, 1851. Ich bin mir nicht sicher, den letzen Mohikaner schon getroffen zu haben. Jedoch ist klar, dass es nur eine Frage der Zeit ist, bis alle Stämme im Einheitsbrei der Individualität zu Pemmikan verarbeitet worden sind. Winnetou aber habe ich schon mal getroffen. Da bin ich mir ziemlich sicher, auch wenn meine Sicht getrübt war. Auf sein Aussehen angesprochen, wollte er mir eine verpassen. Mein Totem hat mich aber beschützt und Winnetou hatte definitiv zu viel Feuerwasser intus. Egal… „Wie glücklich bin ich? Das ist für uns
Monday Night Magic! 30. April 2012 Theater Stok Hirschengraben 42 8001 Zürich Ticketreservation: tickets@mondaynightmagic.ch http://www.mondaynightmagic.ch Preise: 25.-/30.-
die wichtigste Frage im Leben. Für einen Indianer hängt der Erfolg nicht davon ab, wie viel er verdient oder welche gesellschaftliche Stellung er einnimmt, sondern einzig und allein davon, wie glücklich er ist“, sprach einst die PuebloIndianerin Beryl Blue Spruce. Sitting Bull und ich sind uns ebenfalls einig, dass die Liebe zum Besitz eine Krankheit ist: „Sie haben viele Gesetze gemacht und die Reichen dürfen sie brechen, die Armen aber nicht. Sie nehmen das Geld der Armen und Schwachen, um die Reichen und Starken damit zu stützen.“ Ist es die Wut, die einen Indianer rot werden lässt? Die Scham ist es jedenfalls nicht.
* Apachenkönig Huntin’Beer ist aus Zürich, deshalb schreibt er auch die Stadtkolumne. Antworte dem König auf leserbriefe@dieperspektive.ch
Mit Christopher Wonder kommt ein wahrlich eleganter Magier und Entfesslungskünstler an die Monday Night Magic im April. Naiv und grausam, zuweilen auch grotesk und albern, finster und doch amüsant, ist Christopher Wonder alles andere als bloss ein Zauberer. Neben kontrolliertem Chaos praktiziert er wahre Magie, schwarz, weiss und in allen anderen farblichen Variationen. Wir freuen uns auf den ersten Künstler aus dem fernen Amerika. Gastgeber Christian D. Link liest in lustigen (und listigen) Gedanken, verfolgt Meerschweinchen und bastelt falsche Steinschleudern während Arthur Roscha Eure Wahrnehmung dank der vielzitierten Parapsychologie in unsichtbare Bereiche lenkt. Türöffnung: 18:30 Uhr Show: 20:00 - ca. 22:15 Uhr Start des gemütlichen Umtrunks: 22:30 Uhr
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