2. Ausgabe November 2010
SEITE04 LÖWENBRÄU. Im Westen viel neues. Ein Wahrzeichen geht vergessen.
SEITE10 ZIMTSTERNE FÜR DIE SEELE. Le vent nous portera.
SEITE16&17 DESIGN KANN SÜCHTIG MACHEN. Wie ein Zigarettenautomat die Designerherzen höher schlagen lässt.
2 2. Ausgabe, November 2010
Inhalt
EDITORIAL
03 Ein Plädoyer ans Nicht-Perfekt-Sein.
HINTERGRUND
04 Löwenbräu - im Westen viel neues. 05 Nur noch 2000 Jahre bis alle soweit sind.
KULTUR
08 PärchenMärchen
Impressum Redaktion Simon Jacoby, Conradin Zellweger, Manuel Perriard Bremgartnerstrasse 66 8003 Zürich
THEMENSEITE
09 Helium - Le vent nous portera. C.Y.E. 10 Zimtsterne für die Seele.
KREATIVES
12 Raum 1 - 5 16 Design kann süchtig machen. 18 Was ist Zeit? 19 Clown 21 Tribut 24 Ode 27 züri city feb2010 005.jpg
Text M.H. | G.A. | S.J.| H.V. | N.H. | J.W. | P.W.| H.W. M.F. | S.M.
Illustration/Bild J.T. | N.K.
Foto M.H. | N.V. | M.E. | D.N. | P.W.
Titelbild Carole Birou
Layout Per Rjard
Korrektorat Mara Bieler Wir korrigieren nur orthografische und grammatikalische Fehler, der Rest ist Sache des Autors.
Webdesign Timo Beeler | timobeeler.ch
Druck ZDS Zeitungsdruck Schaffhausen AG
Auflage
REISEN
28 Bhutan - eine Geschichte. 30 Die Suche nach dem Glück.
4000
Artikel einsenden artikel@dieperspektive.ch
Werbung info@dieperspektive.ch
Gönnerkonto PC 87-85011-6, Vermerk: Gern geschehen
Thema der nächsten Ausgabe Ist Züri drauf, ist Dialektik drin. Weitere Themen zu folgenden Ausgaben auf dieperspektive.ch
Redaktionsschluss siehe dieperspektive.ch
Editorial
3 2. Ausgabe, November 2010
4 2. Ausgabe, November 2010
Hintergrund
Löwenbräu {Text & Foto} Marlon Höss
Dinge ändern sich, Veränderung ist Bestandteil. Das ist soweit Allgemeinwissen. Wie wir jedoch mit unserer Vergangenheit umgehen, sagt viel aus über unsere Gegenwart. Wagt man sich derzeit auf einen Sonntagsspaziergang zu einem der neuesten und hippen urbanen Vorzeigeprojekte in Zürich, kommt man gleichzeitig unweigerlich an einem der ältesten Wahrzeichen des Industriequartiers vorbei. Kein Wahrzeichen der Stadt Zürich, welches in einem Reiseführer zu finden wäre, jedoch ein Symbol für viele, die hier lebten und arbeiteten. Das Löwenbräuareal wird umgebaut. Und lieblos zerschmettert an seiner Fassade finden sich die Überreste des Wappens. Ich will mich hüten vor Sozialromantik. Wer vor etwas mehr als einem Jahrzehnt im traditionell multikulturellen Industriequartier zum Metzger ging, dem konnte es passieren, dass er den stolz und offen präsentierten SVP-Wimpel auf dem Regal hinter der Theke entdeckte. Vieles war anders damals. Vor etwas mehr als einem Jahrzehnt endete die Stadt Zürich praktisch am Eisenbahnviadukt, welches den Kreis 5 vom Bahnhof Wipkingen her zerschnitt. Davor die Siedlungen der Arbeiter, deren Eingänge und Innenhöfe in blaues Licht getaucht waren, um die Heroinsüchtigen davon abzuhalten, sich dort ihre Spritzen zu setzen. Dahinter die alten Industriebauten, wo nachts die Lichter ausgingen. Noch weiter dahinter, in westlicher Richtung, die Sozialsiedlungen der Grünau, Niemandsland für Zürcher. Alles war anders, nichts war unbedingt besser. Heute spriessen hier Hochhäuser aus dem Boden, nichts scheint mehr undenkbar, ein Projekt kühner und urbaner als das andere. In Zürich geht das Gentrifizierungskorsett in Form von Baugerüsten um, welche die Häuser umhüllen und wertgesteigert wieder ausspucken. Der Wahnsinn ist ausgebrochen, die Preise auf dem Immobilienmarkt werden nach Gutdünken des Eigentümers gesetzt, ganze Strassenzüge platt gemacht. Was gerettet werden kann, wird saniert. Der Begriff der Gentrifizierung ist eingeführt worden, um einen dynamischen Prozess in der Stadtentwicklung zu beschreiben. Nirgends gibt es einen bösen Geheimbund aus Politikern, Bankern und Landbesitzern, die sich die Gentrifizierung als perfiden Streich ausgedacht haben, um dem armen Bürger das Fürchten zu lehren. Hierbei handelt es sich auch nicht um eine Naturkatastrophe, die, einer Flut gleich, die alten Gebäude hinwegschwemmt. Es ist schlicht und einfach ein Vorgang, welcher in jeder grösseren Stadt vorkommt: Stadtquartiere werden durch eine Bewegung der sozialen Schichten aufgewertet. Dennoch führt der Prozess der Gentrifizierung zu Konflikten. Wenn der Wandel in eine Stadt Einzug hält, dann lässt er sich schwerlich aufhalten. Wir müssen uns jedoch fragen, wie wir mit der eigenen Vergangenheit und Geschichte umgehen. Wer Häuserblöcke in Berlin oder New York für anbetungswürdig hält, der sollte sich auch einmal mit der langen und schwierigen Geschichte auseinandersetzen, die er vor der eigenen Haustür vorfindet. Das Industriequartier war immer ein Quartier des Aufbruchs, des Wandels und des Aufpralls unterschiedlicher Lebensentwürfe. Der Blick in die Zukunft ist so notwendig wie der Wandel, doch der respektvolle Umgang ist es auch. Das zerschmetterte Wappen des Löwenbräuareals steht in vielerlei Hinsicht für die Respektlosigkeit in Zürich gegenüber der eigenen Geschichte. Während die grosse Masse sich begeistern lässt von den Neubauten in den Quartieren, gehen die Geschichten ihrer Bewohner langsam verloren. •
Löwenbräugebäude in Zürich West.
In Zürich geht das Gentrifizierungskorsett in Form von Baugerüsten um, welche die Häuser umhüllen und wertgesteigert wieder ausspucken.
Hintergrund
5 2. Ausgabe, November 2010
Nur noch 2000 Jahre bis alle soweit sind. {Text} Gülsha Adilji
Es ist nicht leicht, die Dinge zu durchschauen, ein Arschloch zu sein und den Menschen täglich vor den Kopf zu stossen. Als evolutionärer Humanist ist man täglich umgeben von blauäugigen Menschen, die an Liebe und Treue glauben, die für ihre Mitmenschen Mitleid haben, Menschen, die es grundsätzlich mit ihrem Gewissen fast nicht vereinbaren können, dass sie ihren Nachbarn angelogen haben, was das Verschwinden ihrer Katze angeht. Wieso kapiert der Katzenmörder nicht, dass das Gewissen nur ein psychologisches System ist, damit wir vor uns selbst besser dastehen? Die Menschen können Integralrechnen, schreiben Bücher und bauen Häuser, verfügen über anderthalb Kilogramm Hirnmasse und lesen die NZZ, und doch sind sie schockiert, wenn ein deutscher Psychoanalytiker alle ihre Vorstellungen über ihre dreijährige Tochter, Nichte oder Cousine in ein Areal verschiebt, das etwas mit Lust und Lustempfindung zu tun hat. Das funktioniert so nicht, wir sind reine Geschöpfe, und sobald unsere Hormone aktiv werden und wir schmutzig zu werden drohen, kein Problem, die Religion schafft Abhilfe. Sie ist ein fantastisches Konstrukt damit wir unanrüchig bleiben, es macht auch nichts, wenn wir vom Weg abkommen, drei Vaterunser und vier Rosenkränze und die Seele ist - wie ein alter Teppich, der eine Dreivier-
Es ist nicht leicht, die Dinge zu durchschauen, ein Arschloch zu sein und die Menschen täglich vor den Kopf zu stossen.
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6 2. Ausgabe, November 2010
Hintergrund
telstunde mit dem Teppichklopfer traktiert wurde - wieder entstaubt. Der Schmutz und die Milben, die ganz tief in den Fasern sitzen, die sind noch dort, aber die sind auch dort, um zu bleiben. Der Dreck haftet tief und wäre auch mit Einshampoonieren nicht rauszuholen. Macht nichts, sieht ja auch niemand. Die Kirche ist toll, sie ist da für uns, bringt uns jedes Jahr am 24. Dezember plastisch nahe, wie Jesus für uns gestorben ist; aus Uneigennützigkeit, wie wir wissen. So ist es auch das Natürlichste, dass wir unseren Nächsten lieben und dass wir nicht morden, dass wir die Herren der Schöpfung sind, versteht sich von alleine. Diese Überzeugung gehört zu uns wie das Spielzeug ins Happy-Meal. Es sei denn, man ist nicht gewillt, diesen Schwachsinn zu glauben. Natürlich setzt dies einen gewissen Intellekt voraus, man muss der Sprache mächtig sein und kognitive Fähigkeiten auf dem Niveau einer Sechsjährigen besitzen. Dies sind Voraussetzungen für das Verständnis, dass Religion, basierend auf Gott, nicht existieren kann und dass wir eigentlich auf der Erde nur zu Mietbedingungen geduldet werden. Wenn Gott also allmächtig ist und wenn er gut ist, wieso ist die Welt mit ihren Bewohnern nicht mit Perfektion, unendlicher Liebe und Frieden gesegnet? Nun ja, es ist sehr einfach zu sagen, dass es keinen Gott gibt, dass die Menschen nicht gut sind, dass sie nur Affen sind. Hässliche Affen, ohne Haare und ohne richtige Reisszähne. Genauso leicht kann man die Prämisse, die Menschen seien die Vollendung der Schöpfung, willkürlich setzen. Noch einfacher wäre es zu akzeptieren, dass wir alles, was wir tun, nur tun um es getan zu haben. Im wahrsten Sinne des Wortes, wir sind nur hier um unseren Samen zu verstreuen. Das ist mehr als genug, würden Stoiker sagen, und mehr als bewiesen, würden evolutionäre Humanisten sagen. Es ist ein unendlich grosses, göttliches Wunder, würde vermutlich der Rest sagen. Meine Güte, was da alles abgeht im Uterus, bis alle Organe laufen. Vergiss die Organe, jede Zelle weiss genau, wie sie wo aussehen muss und was ihre Aufgaben sind. Zellteilung hat doch nichts mit Gott zu tun. Aber wem will man das erklären. Verdammt, uns wurde 2000 Jahre diese Lüge von Religion, Moral und Werten eingetrichtert. Nietzsche, Epikur und Konsorten gaben uns Denkanstösse, aber die Anstösse rücken nicht jeden aus dem Mittelalter ins 21. Jahrhundert. Nicht diejenigen, die nicht verstehen, dass die Menschen alleine sind, alleine auf die Welt kommen und alleine wieder gehen. Klar, dazwischen ziehen wir zusammen um die Häuser und sind nett zueinander, aber hey, wir töten uns auch gegenseitig. Was also gibt uns die Sicherheit, dass wir gut sind und dass wir, wie die Allgemeinheit zu wissen scheint, nicht immer nur aus Eigennutz handeln. Woher hat denn die Kirche dieses Selbstvertrauen zu behaupten, dass wir nicht von Grund auf egoistische Wesen sind, deren Ziel nur ein angenehmes Leben ist. Fakt ist doch, dass man ein angenehmes Leben anstrebt, das können wir nicht nur sagen, das wissen wir. Niemand möchte in einem Kriegsgebiet zur Welt kommen oder neben einer Baustelle seine Abschlussprüfungen schreiben. Und klar wissen wir, dass unser Aufenthalt zwischen Geburt und Tod automatisch andere Menschen tangiert. Man sollte sich also Mühe geben, nett sein mit seinen Mitarbeitern, den Nachbarn grüssen, wenn er mit dem Hund eine Runde dreht. Denn Streit und Hass lassen das Ziel von einem entspannten Leben schon ein wenig in die Ferne rücken. Also weiss man noch nicht genau, ob wir jetzt wirklich gut sind oder ob wir einfach so clever sind zu bemerken, dass es sehr viel Energie braucht, jeden zu hassen. Wir sind auch schlau genug und verwandeln Lügen unterbewusst in Wahrheit, damit unser Gegenüber unsere als Wahrheit getarnte Lüge nicht entlarven kann. Auch wissen wir, dass altruistisches Verhalten so überhaupt nichts mit Nächstenliebe und Uneigennützigkeit zu tun hat, sondern nur die biologische Fitness steigert. Es ist schwierig zu akzeptieren, dass es so viele Menschen gibt, die solche Tatsachen nicht akzeptieren. Wieso kann man willkürlich Fakten ignorieren und anfechten? Vermutlich weil man den Schöpfer im Rücken hat, mit dem man alles erklären kann. Humanitäre Evolutionisten - oder evolutionäre Humanisten - bilden den Gegenpol zu der Beichtstuhlbande. Sie akzeptieren, dass Menschen nur Tiere sind und alles tun, um ihre eigene Haut zu retten. Wenn man zum Beispiel in eine Extemsituation gerät, in einen Hausbrand, so wird man als allerallererstes sich selber retten. Es sei denn, man ist eine Mutter. Eine Mutter würde durch das Flammenmeer mit herunterbrechenden
Niemand möchte in einem Kriegsgebiet zur Welt kommen oder neben einer Baustelle seine Abschlussprüfung schreiben.
Hintergrund Balken eilen, um ihre Tochter aus der Feuerhölle ihres Kinderzimmers zu befreien. Nicht weil sie möchte, dass diese Geschichte verfilmt wird; auch nicht, weil sie Wonderwoman ist und ihr das Feuer nichts anhaben kann. Sie tut es - ohne sich auch nur eine Sekunde im Klaren darüber zu sein - um sich selbst zu retten, damit nämlich ihre Gene nicht gegrillt werden. Zusammenfassend zu diesem Beispiel und verallgemeinert, mit der Unendlichkeit multipliziert und durch Null dividiert, kann man jetzt also die Aussage in den Raum stellen, dass es absolut nie einen Menschen gegeben hat, der unegoistisch gehandelt hat. Vielleicht kommen die Zeugen Jehovas jetzt aber mit Ghandi, da Jesus vielleicht langsam ausgelutscht ist. Aber bitte, auch er war nicht uneigennützig. Er wollte seine Überzeugung den Menschen aufzwingen, genau wie ein Diktator. Er tat es mit anderen Mitteln, aber er wollte seine Ideen umsetzen. Klar waren seine Ansichten richtig und humanitär und erstrebenswert. Aber auch dies war nur ein Produkt von Eigennutz. Er wollte seine - um jetzt die Sprache des Tierreichs zu verwenden - Rasse unabhängig machen, damit sie gesund und widerstandsfähig wird und sich kräftig reproduziert. Es ist wirklich nicht leicht, mit diesen Ansichten im Kopf mit dem normalen Fussvolk über solche Themata zu kommunizieren. Es kostet weniger Nerven, ein mittelschweres Sudoku zu lösen, als einer Person, die mit ihrer Einstellung völlig falsch liegt, mit Respekt zu begegnen. Wer die Sichtweise eines evolutionären Humanisten nicht teilt, der wird ihn automatisch für einen Automaten halten. Für jemanden ohne Herz, ohne Kultur und ohne festen Boden unter den Füssen, weil es für die Menschen nicht intelligibel ist, dass jemand Halt im Leben findet ohne Gott. Obwohl noch sehr viele Menschen davon überzeugt sind, dass sie die Herren der Schöpfung sind und dass Gott der Schöpfer der Herren der Schöpfung ist, läuft es darauf hinaus, dass immer mehr aufgeklärt sind, Moral und Werte als Konstruktionen entlarven und einzusetzen wissen. In den nächsten 2000 Jahren wird hoffentlich der Anstoss gross genug sein, um alle Menschen in der Realität willkommen zu heissen. • ANZEIGE
7 2. Ausgabe, November 2010
Vielleicht kommen die Zeugen Jehovas jetzt aber mit Ghandi, da Jesus vielleicht langsam ausgelutscht ist.
8 2. Ausgabe, November 2010
Kultur
PärchenMärchen {Text} Simon Jacoby
Der Sonntag ist kein normaler Tag, nicht einfach einer von sieben. Was vor langer Zeit als Wochenrückblick, als Erholungsund arbeitsfreier Tag eingerichtet wurde, hat inzwischen ungeahnte Folgen…
Der Singlesonntagmorgen unterscheidet sich fundamental gewaltig vom Pärchensonntag. Meist viel zu spät, etwas verkatert und verkrampft, manchmal auch noch etwas betrunken, wacht der Single auf und stellt sich noch im selben Moment die Frage: wozu eigentlich? Nach einigen mühsamen Bewegungen und äusserst seltsamen Gedankengängen kommt der Singlekörper in Fahrt. Nicht in Unter-der-Woche-Fahrt, aber immerhin in Sonntag-Fahrt. Doch scheinbar geschieht das ohne Sinn. Die Stunden zwischen dem Aufwachen am Sonntagmittag und dem Schlafengehen am Sonntagabend werden nur zur Zeitvernichtung genutzt. Frühstücken, Kaffeetrinken, Fernsehen, und natürlich der Klassiker: sich schwören, nächstes Wochenende weniger zu trinken. Der Pärchensonntag ist ungleich aktiver. Katerlos, entspannt und unverkrampft erwacht das Pärchen zwar auch viel zu spät; zu zweit gibt’s aber kein zu spät, weil die Zeit ja zusammen verbracht wird. Und das ist die Schweinerei der Woche. Ein Affront gegen alle Singles – ein Schlag ins Gesicht. Frisch und fründlich kann das Pärchen noch im warmen Bett und bei grosser Laune die beiden folgenden Optionen besprechen. Dem Pärchen stellt sich in diesem Moment ein positives Dilemma – wenn man so sagen kann: Es gibt zwei Optionen, von welchen beide auf den ersten Blick die gleichen positiven Auswirkungen haben werden. Einerseits kann das Pärchen im Bett bleiben. Da gibt’s wieder zwei Möglichkeiten: aktiv oder passiv im Bett bleiben. Beides ist erlaubt und inzwischen zu Recht salonfähig geworden. Die andere Möglichkeit führt aus dem Bett. Und klassischerweise ins nahe gelegene Szenekaffee. Da wird gebruncht. Und zwar gut. Es gibt ein Katerfrühstück gegen den Kater, den das Pärchen meistens gar nicht hat oder einfach nicht spüren will. Das mit dem Kater ist übrigens so, weil sich beide Pärchenpartner am Gegenüber dermassen erfreuen, dass der Kater schlicht nicht auftauchen kann. Das ist nicht nur ein kitschiges Klischee. Das ist tatsächlich so, deshalb grinsen die Pärchen auch andauernd. Nach dem Brunchen oder dem Im-BettBleiben wird’s schon bald Abend und das gute Pärchen geht ab jetzt getrennte Wege. Mindestens für einige Stunden. Ich zu mir und du zu dir. Nicht: zu mir oder zu dir? Der Single soll sich nun endlich emanzipieren. Raus aus dem Grau und rein in den Sonntag. Oder am Besten einfach so tun, als wäre gar nicht Sonntag. Es soll übrigens Menschen geben, die vergessen und vertauschen regelmässig die Wochentage. Das sind die Vorbilder der Singles. So wird der Sonntag zu einem Tag wie jeder andere auch. Und an normalen Tagen kommt der Single unglaublich in Fahrt. Nicht jammern, sich selber vergnügen! •
Frühstücken, Kaffeetrinken, Fernsehen, und natürlich der Klassiker: sich schwören, nächstes Wochenende weniger zu trinken.
Le vent nous portera Helium {Text} Harry Vilmilä
Der Wind wird uns tragen, wenn unsere Herzen leichter sind als Luft, meine Liebe. Doch unsere Herzen sind aus Fleisch und Blut und Gewebe. Du siehst mich an aus Deinen grossen Augen, und wie Du mich ansiehst, weiss ich nicht, ob Du mich magst, fürchtest oder missachtest. Und an diesem Ort, an dem wir uns ansehen - zwischen all den Menschen hindurch, die trinken, lachen, reden - riecht es nach Urin. Ich wende meinen Blick von Dir ab, ohne es zu wollen, und sehe nach oben, wo keine Sterne sind. Es ist kalt. Ich sehe nach oben und sehe das Gesicht eines alten Alkoholikers und er verzieht seinen Mund zu einem zahnlosen Lächeln. „Le vin nous portera“, sagt er. „Wenn Du uns zwei Flaschen holst, eine für Dich, eine für mich, dann wird uns der Wind schon tragen.“ Sein Lächeln wird breiter und zeigt einige gesunde weisse Zähne, die sich hinten in der Mundhöhle versteckt halten. „Bist Du Gott?“, frage ich. „Ich habe Blähungen“, sagt er. „Glaubst Du etwa, Gott könnte Blähungen haben?“ Währenddessen siehst Du mich an aus Deinen grossen Augen und Du folgst meinem Blick nach oben, weil wir Menschen immer dorthin sehen, wo die anderen hinsehen. Dir fällt auf, dass keine Sterne zu sehen sind heute Nacht. „Das liegt an dem vielen künstlichen Licht hier unten“, denkst Du. Ich stelle mir vor, wie wir zusammen am Fluss unten sitzen, dicht beisammen, weil es kalt ist und weil wir uns gerne nah sind. Wir trinken Rotwein und lachen und fühlen uns so wohlig verrückt, weil es eigentlich viel zu kalt ist, um am Fluss unten zu sitzen und Wein zu trinken. Es tut mir leid, meine Liebe: Der Wind wird uns niemals tragen, weil wir zu schwer sind. Doch wir können zusammen Rotwein trinken, obwohl es dafür zu kalt ist, und danach heimgehen und ficken. Das geht. •
C.Y.E. {Illustration} Johanna Tagada
9 2. Ausgabe, November 2010
10 2. Ausgabe, November 2010
Le vent nous portera
Zimtsterne für die Seele. {Text} Nadja Hauser {Foto} Nico Valsangiacomo
Das Gefühl der täglichen, monotonen Wiederholungen kennt wahrscheinlich jeder. Wenn der eigene Gefühlszustand an kalte, graue Wintertage erinnert, an denen es morgens erst spät, abends bereits früh dämmert und eine konstante Dunkelheit am Himmel haftet. Wenn eine unerträgliche Last des Unwillens auf einem ruht und man nur kraftlos im Bett liegen und nach der Quelle des Elends suchen kann. Man spürt dann förmlich den konstant rotierenden Erdball, hört die Uhr ticken und sieht die Sekunden verstreichen. Ist es vielleicht menschliches Schicksal, dass jeder nur seinen Becher auszutrinken hat, dessen Inhalt mit der Zeit nur noch einen bitteren Nachgeschmack hinterlässt? Dieses rastlose Treiben und Streben, begleitet von den ewigen Verworrenheiten des Lebens. Schwer zu verstehen, woher dieser Druck unserer Gesellschaft herrührt, wenn wir selbst - und niemand sonst - doch eigentlich die Gesellschaft verkörpern. Sie wird ganz und gar von Individuen gebildet, und eines dieser Individuen ist man selbst. Der Mensch als Tatsache ist Tatsache der Gesellschaft - so formulieren es die etwas philosophisch angehauchten Soziologen. Trotzdem fühlt man sich als Individuum oftmals von den täglichen Erwartungen überfordert, von den Verpflichtungen erdrückt. Die Karriereleiter hingegen hat jeder bildlich vor Augen und das Geld muss sich schliesslich auch vermehren. Das Leben ist teuer und nur nach oben geht’s weiter, die Verlierer bleiben auf der Strecke liegen. So funktioniert es nun mal, das Spiel des Lebens, worin jeder seine Rolle hat. Man kann sich darüber streiten, ob die Gesellschaft bestimmte
Der Mensch als Tatsache ist Tatsache der Gesellschaft - so formulieren es die etwas philosophisch angehauchten Soziologen.
Le vent nous portera
Rollen bereits vorgeformt hat, so wie sie auch bestimmte Sitten, Bräuche und Wertevorstellungen modelliert hat. Wir sind Teil dieser Gesellschaft, bevor wir überhaupt geboren werden und niemand fragt uns, ob wir damit einverstanden sind. Bereits mit dem Erblicken des Lichts der Welt, noch jung und rein wie der erste Schnee, der im Winter fällt, wachsen aus dem Sozialgebilde heraus erste Erwartungen. Sich seinen eigenen Weg zu erkämpfen, ist die grösste Herausforderung, die das Leben mit sich bringt. Es geht dabei selten geradeaus und man sieht nicht immer, wo es einen hinführt. Gezwungenermassen laufen wir mit der Zeit als wären wir ein Zahnrad - auf der fortwährenden Suche nach uns selbst. Die Zukunft ist eine lange Zeit, und Gedanken daran - tausende auf kleinstem Raum - beschäftigen uns bei jeder Entscheidung, die wir fällen müssen. So passiert es schnell, dass man das Gefühl hat, den Boden unter den Füssen zu verlieren. Aber solange man nicht stehenbleibt und immer weiterläuft, wird man den Boden irgendwann wieder zurückgewinnen. So wie ein Schmetterling seine Flüge zieht, geht der Mensch durch das Leben. Mal geht es hoch und mal geht es runter. Aber solange wir uns in die Richtung bewegen, wo der Wind uns hinträgt, kommt alles gut. Mit ein bisschen Vertrauen und einem ganz kleinen bisschen Glauben an seine Träume. Lasst sie fliegen, die Träume, über Täler und Berge, über Flüsse und Ozeane. Man darf keine Angst haben vor der tickenden Uhr, dem rotierenden Erdball und dem unbekannten Weg, der vor einem liegt. Der Wind wird uns tragen - und alles wird gut. •
11 2. Ausgabe, November 2010
Gezwungenermassen laufen wir mit der Zeit als wären wir ein Zahnrad - auf der fortwährenden Suche nach uns selbst.
Kreatives
12 2. Ausgabe, November 2010
Raum 1-5 {Idee & Umsetzung} Michaela Eicher
1.
2.
Kreatives
13 2. Ausgabe, November 2010
3.
4.
14 2. Ausgabe, November 2010
Kreatives
5.
Ruf Lanz
Werde auch du ein Freund von Hiltl: www.facebook.com/hiltl
16 2. Ausgabe, November 2010
Design kann s端chtig machen. {Text} Designomat {Foto & Plakat} Bernhard Stoller / Rocket Design
17 2. Ausgabe, November 2010
Ein herkömmliches Zigarettenautomaten-Modell wird bei DESIGNOMAT zum Gefäss für eine aussergewöhnliche Kollektion von Designobjekten. Diese wurden und werden von Gestalterinnen und Gestaltern aus der Schweiz entwickelt und im «Designomat» verkauft. Am 19. November 2010 wird der 1. DESIGNOMAT seine Eröffnung feiern und auserwählte Designobjekte von 10 DesignerInnen aus folgenden Disziplinen präsentieren: Fotografie, Trend, Accessoire, Grafik, Fashion, Textildesign, Produkt, Illustration, Web und Animation. Parallel zu den Automaten wird die Website http://www.designomat.ch ab November 2010 über spannende Geschehnisse rund um DESIGNOMAT berichten und durchmischte Einblicke hinter die Kulissen der Designer schaffen. Die Gründerinnen von Designomat, Dinda Reumer und Marlen Groher, freuen sich, am 19. November 2010 die ersten 10 DesignerInnen mit folgendem Eröffnungsprogramm begrüssen zu dürfen: Design Objects by Japanproxy / Zotta / MSKLKTR / Openminds / Kublé AG / Isabel Jakob / Lisa Bedogni / Institut für Spass & Ernst / kreuzstich / Burlesque Performance by LouLou BonBon / Live Session by Vinxvegas / Groove Sound by Brüno Burningman / Visuals by VanNutt / Live Concerts by Lem Phago / Evelinn Trouble / The Rabbit Theory / Cool Drinks by Radio Lora / DJ Sound by DJ Du Lait & Pistol Pete Wann: 19:00 Uhr links: AGENT 11 rechts: AGENT 13
Wo: Stall 6, Gessnerallee 8, 8001 Zürich Weitere Infos unter: www.designomat.ch
18 2. Ausgabe, November 2010
Kreatives
Was ist Zeit? {Text} Jascha Waldow {Foto} Danilo Neve
Was ist Zeit? – Ist Zeit fühlbar oder sichtbar? Kann man sie vielleicht sogar anfassen? – Wenn man einem älteren Menschen begegnet, oder vor einem uralten, riesigen Kastanienbaum steht, oder auch ein altes Haus betrachtet, das langsam am Zerfallen ist, bei dem nur noch die Hälfte der alten Steinziegel auf dem beinahe einbrechenden Dach kleben und die schweren Steinbrocken der Hauswand immer mehr herausbröckeln: sieht man dann der Zeit ins Gesicht? Fühlt man die Zeit, wenn eine alte Wunde heilt? Oder fühlt man sie, wenn der Körper langsam altert, wenn er verbraucht ist und seine Kraft zu Ende geht? Ist Zeit nur eine Erinnerung, ist sie der Blick in die Zukunft, oder besteht sie nur im Augenblick? – Ist es Zeit, wovon wir alle mehr brauchen? Ist Zeit das Wertvollste, das es gibt, da sie für jeden begrenzt ist? Fürchten wir uns vor der Zeit, wenn wir uns vor dem Tod fürchten? – Ist Zeit ein Glück oder ein Fluch? Ist Zeit vielleicht einfach der Wind, der die Sandkörner in der Wüste herumwirbelt, der die Samen der Pflanzen wegträgt, der den Bäumen im Herbst die Blätter entreisst? Bedeutet Zeit Veränderung? Entwicklung? Ist die Zeit das Leben? •
Kreatives Clown {Illustration} Nora Kabitz
19 2. Ausgabe, November 2010
Kreatives Tribut {Text} Pascal Woodtli {Foto} Yves Bouquet & Silvan Bauser
Als Mario seinen Badge an das weisse Kästchen neben der Glastür hielt und ein heller Signalton seine Tat bestätigte, fühlte er sich etwas erleichtert. Auf seinem Weg zum Ausgang des Gebäudes hörte er viele Signaltöne aus allen Richtungen, manche laut und begleitet von mattem Gemurmel, andere ganz weit entfernt und nur noch vermutbar. Es war dasselbe fahle Konzert wie jeden Abend. Mario fühlte sich wieder seltsam leer und alles schien ihm fremd, und das nicht nur, weil die dunklen Gestalten, die allesamt zum Ausgang pilgerten, ihn und auch sich gegenseitig ignorierten. Nein, es war ein Gefühl, das schon sehr lange in ihm keimte. Häufig schlich es sich an, so wie in diesem Moment, manchmal flackerte es einfach so aus dem Nichts auf und verschwand wieder. Manchmal, wenn er zuhause vor dem Fernseher alleine zu Abend ass, oder wenn er im Supermarkt Schlange stand. Die kalte Abendluft, die nun, nachdem er sich durch die automatische Drehtür gezwängt hatte, Marios Sinne anregte, vermochte dieses hässliche Gefühl etwas zu lindern. Ja, richtig hässlich, dachte er und nahm den Weg zum Bahnhof in Angriff. Er fröstelte trotz seines Jacketts, welches übrigens sehr teuer gewesen war – was man ihm aber nicht ansah und auch nicht anfühlte, wie er sich in diesem Moment eingestehen musste. Die Strasse war kaum beleuchtet, und so sah man die Sterne ausgezeichnet. Als er also schlendernd das Firmament betrachtete, fragte er sich, ob sich vielleicht auch andere Menschen so fühlten wie er und ob sie ihm vielleicht helfen könnten.
21 2. Ausgabe, November 2010
22 2. Ausgabe, November 2010
Kreatives
Seine schweifenden Gedanken wurden abrupt unterbrochen durch lautes Gelächter. Jugendliche. Sie standen in völliger Dunkelheit in einer Einfahrt. Nur die Zigarettengluten, die sich regelmässig auf und ab bewegten, die lauten Stimmen und das gelegentliche Klirren von Glas liessen sie dort vermuten. Mario war schon seit längerem bewusst, dass er nicht mehr zur Jugend gehörte, auch wenn sie noch nicht so lange zurücklag, wie man denken mochte. Er verstand die Jungen nicht mehr. Er konnte sich nicht mal mehr vorstellen, dass er in seiner Jugend auch nicht verstanden worden war. Wurde es wirklich immer schlimmer, oder schien es nur so, weil ich mich immer mehr davon entfernte? Auf dem Fussgängerstreifen vor dem Bahnhof verdichtete sich die spärliche Menschenmenge ein wenig; auch Mario überquerte ihn. Eigentlich kann ich froh sein, dachte Mario, als er auf der Rolltreppe zu den Gleisen hinunterfuhr, dass ich diesen Job habe. Sasha hatten sie im Frühjahr des Budgets wegen rausgeschmissen, warum genau ihn, wollte niemand wissen. Wie es Sasha wohl geht? „Die S21 hat wegen eines Personenunglücks in Seebach circa 15 Minuten Verspätung. Wir bitten Sie um Entschuldigung“, tönte es aus den Lautsprechern. Toll, dachte Mario und schlenderte unter der grossen Uhr hindurch bis zum Ende des Perrons. Die Lautsprechernachricht verstärkte wieder sein bedrückendes Gefühl, welches sich einfach nicht vertreiben liess. Dachte er daran, wurde es stärker, versuchte er es zu ignorieren, wurde es ebenso stärker und hauchte ihm Kälte ein. Zu allem Elend hörte er nun die Jugendlichen, welche die Rolltreppe herunter sausten, vier Buben, die angetrunken und aggressiv schienen. Wie Raubtiere strichen sie zwischen den wartenden, grauen Gestalten hindurch; die Atmosphäre war angespannt. Hin und wieder erklang ein Fluchwort, wie ein Jagdschrei, der von den graffitiverzierten Wänden widerhallte. Die Leute, die sie schon passiert hatten, entspannten ihre Haltung erleichtert, jene, die noch vor ihnen lagen, waren wie versteinert und schauten angestrengt in eine Richtung. Als sie hinter Mario vorbei gegangen waren, fühlte auch er sich besser. Als das Gejohle lauter wurde, schaute er nach rechts und sah, wie die Buben eine junge Frau umzingelt hatten und ihr Dinge zuriefen, die er sich nicht mal im Traum hätte denken können. Als sie anfingen, die Frau zu schubsen und einer nach ihren Haaren griff, worauf sie einen verzweifelten Laut von sich gab, drehten sich die Köpfe vom Schauspiel ab. Manch einer nahm sogar unauffällig ein paar Schritte in Richtung Rolltreppe. Beim zweiten Schrei erstarrte der sich ebenfalls abdrehende Mario; er fühlte neben der ganzen Angst und Pein etwas Warmes in seiner Magengrube. Er konnte nicht genau sagen, was es war, aber es liess ihn innehalten. Dann drehte er sich entschlossen um und ging auf die Bande zu. Die Dame kauerte weinend am Boden, das Gesicht durch ihre Hände geschützt. Die Jungen fassten sie an, beschimpften sie, einer hatte ihre Handtasche an sich gerissen und schlug sie damit. Mario, der nun eher rannte als ging, zitterte vor Wut, er öffnete sich, sein Körper wurde durchströmt von Hass und von Energie. Er hatte keine Chance. Ein Knall ertönte, worauf der erste Bub weggeschleudert wurde. Die Bande war so erschrocken und so erregt, dass sie die Frau vergass. Einer versuchte, Marios Arme zu fixieren, bekam aber einen Tritt von ihm und fiel ebenfalls rücklings. Während er mit den zwei übrigen kämpfte, hörte er etwas Stählernes hinter sich klirren. Bevor Mario sich umdrehen konnte, erhielt er einen so starken Schlag auf den Hinterkopf, dass er sofort benommen zu Boden ging. Sterne sah er und roch kalte Zigarettenasche, doch diesmal fühlte er sich wie neu geboren. Die Hässlichkeit war wie weggeblasen; sein Herz schlug wie verrückt, sein Blut kochte, sein Hirn rechnete, sogar richtig warm hatte er bekommen. Als sein Sehvermögen zurückkam, erkannte er zwischen den weissen Turnschuhen eines vor ihm stehenden Jungen das Perron und die Rolltreppe um 90 Grad verdreht – alles schien wie ausgestorben, keine Menschenseele, abgesehen von der jungen Frau, die mit tränenüberströmtem Gesicht etwas in einen orangefarbenen Apparaten schrie. Er schenkte ihr ein Lächeln, und obwohl Mario wusste, wie es um ihn stand, war er frei und fühlte sich so lebendig wie noch nie, als es schwarz wurde. •
Mario, der nun eher rannte als ging, zitterte vor Wut, er öffnete sich, sein Körper wurde durchströmt von Hass und von Energie. Er hatte keine Chance.
„Kännsch de ARTOS?“
„Dä Schauspiller?“
„Nei. Dä Beck ade Bremgartnerstrass 66 in Wiedikä.“
„Ahja. Jetzt weissi wellä. Das isch doch dä wo au am Sunntig offe hät!?“
„Ja genau.“ „Dä het doch au so feini Confissärie.“ „Stimmt! und Kafi hätter au. Weisch im Bächer zum mitnäh.“ ? „Isch no gäbig went am morge no eine ufem Wäg wotsch trinke.“
24 2. Ausgabe, November 2010
Kreatives
Ode {Text} Henning Wandsleb
Das Aug erspäht von weitem schon der Waden schnellen Tritt, die schlanken Fesseln - auf und ab - wiegt ihr Körper mit. Die Beine langgestreckt, der Rücken leicht gestrafft, entzündet sich Begierde, entflammt die Leidenschaft. Nun erst kann ich erkennen, was ich vorher nur erahnt, eine Sekunde puren Glückes mich zur Vernunft ermahnt. Mein Herz ich fast vergeben für einen Augenblick, da entschwindet das Profil und lässt mich kalt zurück. Obschon du mich enttäuscht auf deinem flotten Rädchen, lieb ich dich immer wieder, oh du mein Fahrradmädchen.
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Eric Berne Institut Zürich GmbH Institut für angewandte Transaktionsanalyse
Menschen verstehen und kompetent handeln
Kraft im Konflikt
Einführungsseminare in Transaktionsanalyse (TA 101) ➜ 5. – 7. November 2010 oder ➜ 14. – 6. Januar 2011
Vier Module zur Erweiterung der Kritik- und Konfliktfähigkeit mit Modellen der Transaktionsanalyse ➜ Modul 1: Besonderes Merkmal: „konfliktfreudig“ 28. – 31. Januar 2011 ➜ Modul 2: Das Salz in der (Alltags-)Suppe 01. – 03. April 2011 ➜ Modul 3: Was haben Gefühle im Konflikt „verloren“? 30. September – 2. Oktober 2011 ➜ Modul 4: Friede, Freude, Eierkuchen 30. März – 1. April 2012
Grundausbildung in Tranksaktionsanalyse Persönliche und berufliche Kompetenzerweiterung, berufsbegleitend
➜ Beginn TA 31: Februar 2011
Stilsicher und selbstbewusst Erwachsene bilden Eine einmalige Mischung von Transaktionsanalyse und Methodik - Didaktik SVEB1 und TA 101 in einem ➜ Beginn April 2011
Informationsabend sich informieren, sich begegnen, sich anregen lassen Informationen zu allen EBI Angeboten ➜ 29. November 2010, 19.00 - 21.00 Uhr ohne Voranmeldung
La gaa lah Vom Loslassen und den langen Novembernächten ein Dienstagabendseminar mit Anita Steiner Seiler ➜ 16. November 2010, 19.30 - 21.30 Uhr ohne Voranmeldung
Besuchen Sie unsere Homepage www.ebi-zuerich.ch oder rufen Sie an 044 261 47 11 Dufourstrasse 35, 8008 Zürich
Kreatives z端ri city feb2010 005.jpg {Foto} Danilo Neve
27 2. Ausgabe, November 2010
28 2. Ausgabe, November 2010
Reisen
Bhutan {Text} Mario Fehr (Mitglied der Aussenpolitischen Kommission) {Foto} Tashiccho-Dzong (Thimpu)
Demokratie ist ein kostbares Gut. Und leider weltweit nicht auf dem Vormarsch. Gut deshalb, dass es Länder gibt, die den Weg in die Demokratie aus eigenem Antrieb gehen wollen. Und noch besser, wenn ihnen die Schweiz mit ihrer langen Erfahrung in diesem Bereich partnerschaftlich zur Seite steht. Im kleinen Bergland Bhutan im Himalaja wird die Gesellschaft derzeit demokratisiert. Dies gibt bessere Perspektiven für eine ganze Region. Für die Schweiz heisst dies vor allem eines: dranbleiben.
Der zwischen Tibet und Indien gelegene Himalaja-Staat Bhutan hat in den letzten Jahren einen mächtigen Entwicklungssprung gemacht. Die moderne Welt ist auf samtenen Pfoten ins Land des friedvollen Donnerdrachens eingezogen. Die Ruhe und Gelassenheit, die faszinierende Landschaft und die Friedfertigkeit der Menschen aber sind geblieben. Sie ziehen alle Besucherinnen und Besucher in ihren Bann.
Bhutan zwischen Tradition und Moderne Ich war und bin beeindruckt von dem, was die Schweiz und insbesondere die Entwicklungsorganisation Helvetas in den letzten 50 Jahren in Bhutan geleistet hat. Ich bin aber auch beeindruckt von unseren bhutanesischen Partnern, die offen, konstruktiv und selbstbewusst die Zusammenarbeit mit der Schweiz gesucht und gefunden haben. Heute balanciert Bhutan zwischen einer sanften Öffnung des Landes und dem Versuch, trotz Modernisierung und Demokratisierung seine einzigartige Tradition und sein reichhaltiges kulturelles Erbe zu bewahren. Dieser Spagat gelingt Bhutan gut. Auf jeden Fall um einiges besser als einigen seiner Nachbarländer. Die Schweiz hat mit ihrer langjährigen und hoch geschätzten Entwicklungszusammenarbeit hier einen ganz wesentlichen Beitrag leisten können.
Demokratisierung in vollem Gange Bhutan ist mitten in einem überaus dynamischen Prozess. Die ersten politischen Parteien des Landes sind 2007 gegründet worden. 2008 fanden die ersten allgemeinen Wahlen für die beiden Kammern des neuen bhutanesischen Parlamentes statt. Im gleichen Jahr wurde zudem die erste Verfassung des Landes beschlossen. König Jigme Singye Wangchuck hatte den laufenden Demokratisierungsprozess nicht nur von oben initiiert, sondern ihn auch gegen durchaus vorhandene Widerstände und Zweifel durchgesetzt. Dies ist ein höchst bemerkenswerter Vorgang der Demokratisierung einer Gesellschaft von oben, der hohen Respekt und unsere uneingeschränkte Unterstützung verdient.
Dem Land eine Perspektive geben Die Bhutanerinnen und Bhutaner sind zu Recht stolz auf die durch ihr Land in den vergangenen Jahren erreichten Fortschritte. Bezüglich der Demokratisierung herrscht viel guter Wille, es ist aber durchaus auch Skepsis vorhanden, ob die rasche Einführung der demokratischen Strukturen ein dauerhafter Erfolg wird. Wenn der Demokratisierungsprozess gelingt, so wird dies eine Ausstrahlung für die ganze Region und möglicherweise sogar darüber hinaus haben. Wichtig ist, dass die Bemühungen des Landes um Demokratisierung und Dezentralisierung weiterhin durch konkrete Projekte unterstützt werden. Die langjährige
Wenn der Demokratisierungsprozess gelingt, so wird dies eine Ausstrahlung für die ganze Region und möglicherweise sogar darüber hinaus haben.
Reisen Zusammenarbeit zwischen der Schweiz und Bhutan wird sehr wertgeschätzt. Das kleine Bergland „Druk Yul“ und seine Menschen stehen dem flächenmässig gleich grossen Alpenland Schweiz, ihrer Bevölkerung sowie seinen politischen Institutionen nahe. Die Schweiz hat nicht zuletzt im Bereich der Forstwirtschaft bemerkenswerte Projekte initiiert und kann viele ihrer eigenen forstwirtschaftlichen Erfahrungen einbringen. Die gemeinschaftliche Waldnutzung in Bhutan ist nicht nur ökologisch von grosser Bedeutung, sondern auch wirtschaftlich für die Gemeinden als Forst- und Holznutzerinnen. Zudem können so Demokratisierungsprozesse in den Distrikten und Gemeinden vorangetrieben werden. Entscheidend ist, dass die Schweiz Bhutan in den kommenden Jahren mit einem substanziellen Entwicklungsprogramm durch die Demokratisierungsphase begleitet und die bisherigen Erfolge nachhaltig und langfristig absichert. Die Entscheidung über Erfolg oder Misserfolg der Demokratie in Bhutan wird in den kommenden fünf bis zehn Jahren fallen. Für die Schweiz heisst dies schlicht und einfach: dranbleiben. •
29 2. Ausgabe, November 2010
Die Entscheidung über Erfolg oder Misserfolg der Demokratie in Bhutan wird in den kommenden fünf bis zehn Jahren fallen.
V.l.n.r.: Lyonpo Khandu Wangchuk (Wirtschaftsminister von Bhutan), Werner Külling (langjähriger GL von Helvetas), Mario Fehr (Nationalrat).
30 2. Ausgabe, November 2010
Reisen
Die Suche nach dem Glück. {Text} Silvio Mäder
Wenn der Vorhang fällt, wissen die Zuschauer, dass sie klatschen müssen. Oder pfeifen. Je nach Gefallen des Stückes. Je nach Leistung der Akteure. Aber der richtige Zeitpunkt der Reaktion ist klar. Im Theater genauso wie an einem Konzert. Schluss ist Schluss. Finale ist Finale. „Da capo!“ Auf der Bühne versucht man, den Höhepunkt des Stückes durch Zuspitzen und Hinaufschaukeln der Energien und Emotionen bis zur Ekstase zu erreichen. Gelingt nicht immer. Aber meistens. Im wahren Leben ist das schwieriger. Oftmals erkennt man die Situation, die einem gerade solch einen Höhepunkt bietet, nicht oder viel zu spät. Wie erreicht man ihn? Und wenn man ihn erreicht hat, weiss man es dann? Wo ist der Souffleur, der einem zuhaucht: „Komm noch ein bisschen, das ist es...“? Im wahren Leben gibt es nur Zuschauer. Keine Bühne. Keine Dramaturgie. Und keine Souffleure. Irgendwann abends, irgendwo in Portugal. Wieder einmal sitzen wir mit salzverkrusteten Gesichtern und roten Augen an einem fast verlassenen Strand, tausende Kilometer entfernt von Basel, und lecken uns das Salz von den leicht aufgeplatzten Lippen. Der Geschmack von Meerwasser, gewürzt mit einer Prise Blut, der Geruch von Meer und das Rauschen von Wellen und Wind vermischen sich mit dem schwindenden Licht über dem weiten Ozean. Die Wolken leuchten in feurigem Rot und wenn wir die Arme ausstrecken, können wir sie für einen kurzen Moment berühren. Der Körper ist ausgelaugt vom Paddeln, von den unzähligen Waschgängen und von der Anspannung des Tages. In allen Nebenhöhlen befindet sich Salzwasser, eine Rippe tut weh und am Fuss brennt die Schnittwunde vom Riff. Ich fange an, in meinem T-Shirt leicht zu frieren, und dabei stelle ich fest: das jetzt, dieser Augenblick, das ist Leben... Oftmals rennt man irgendwelchen willkürlichen Idealen hinterher, ohne genau zu wissen, warum. Lässt sich manipulieren, verbiegen und ins rechte Licht setzen, um möglichst „normal“ zu erscheinen. Dabei geraten die wirklich bedeutenden Momente immer näher an ein schwarzes Loch, bis sie hineinfallen. Verzicht auf Billigflüge hin, Energiesparlampen her – irgendwann wird unser blauer Planet wohl unweigerlich doch gegen die Wand fahren. Die Luft stinkt, der Regen ist sauer, der Wald brennt und die Meere sterben. Kurz: Die Welt steht am Abgrund. Als die Erde übrigens das letzte Mal unterging, baute ein gewisser Noah ein Schiff. Seine Arche soll 133,5 Meter lang, 22,3 Meter breit und 13,4 Meter hoch gewesen sein. Fast halb so gross wie der Luxusdampfer „Queen Elizabeth 2“. Vielleicht ist es auch genau jetzt wieder an der Zeit ein Schiff zu bauen. Es muss ja nicht gleich so ein Riesendampfer sein. Manchmal genügt auch schon eine kleine Nussschale als Rettungsboot. Ein freundliches Lächeln. Ein Moment. Glück. •
Oftmals rennt man irgendwelchen willkürlichen Idealen hinterher, ohne genau zu wissen, warum.
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Fette Props für die geile Idee!
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Anderes
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Z
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— Zürcher Hochschule der Künste Zürcher Fachhochschule —
Informationstag BA/MA Design Freitag, 26. November 2010 9.30 Uhr und 17.30 Uhr Vortragssaal, Ausstellungsstrasse 60, 8005 Zürich
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Bachelor of Arts in Design
Cast, Game Design, Industrial Design, Interaction Design Scientific Visualization, Style & Design, Visuelle Kommunikation
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Master of Arts in Design
Ereignis, Interaktion, Kommunikation, Produkt, Trends
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www.zhdk.ch
Warum nicht, wenn es Ihnen richtig scheint? Max Frisch