red&queer 21/2011

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6. Jahrgang  September 2011  www.red-queer.de

Er wollte doch nur beichten... Kindergeburtstag: 5 Jahre DKP queer

Freie Liebe: Jeder mit Jedem?

Homonationalismus: Muslime vs. Schwule

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Seite 7

Seite 11


2  WEGWEISER Inhalt Titel Was hat das weinende Kind zu bedeuten? Oder welche Moral vertritt eigentlich Ratzinger? Seite 3

2011 Termine-Box

Thema Ein halbes Jahrzehnt DKP queer – Was wurde erreicht und wohin geht die Reise. Kann die Kommission die Partei fit machen in Liebes- und Lebensfragen? Seite 4 und 5

23.-25.09.2011 Berlin

Kultur Zwanzig Jahre ohne Schernikau. Sein Werk lebt weiter. Seite 6

Infostand auf dem Bundeskongress der Sozialistischen Deutschen Arbeiterjugend (SDAJ)

Theorie „Durst will befriedigt sein. Aber wird sich der normale Mensch unter normalen Bedingungen in den Straßenkot legen und aus einer Pfütze trinken?“ Was hat Lenin damit gemeint? Seite 7 Geschichte Im Dienste des besseren Deutschlands: Unser Mann in der FDP... Seite 8 und 9 Gegenwart Endlich! Nach über 10 Jahren Rumgeeier kommt die Hirschfeld-Stiftung. Rechte „Community“-Heinis eröffnen Postenschacher. Seite 12 Vorletzte Seite Buchtipp: Schwules Abendland gegen „Barbarenvölker“ Seite 12

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19. Bundestreffen DKP queer

01.10.2011 Hannover

03.10.2011 Essen Ellen Schernikau liest in der Hoffnungstraße aus den Werken von Ronald M. Schernikau: „Tage in L.“ und „Irene Binz. Befragung“

13.-15.10.2011 Rostock Wir planen eine kleine Verteilaktion auf dem 3. QueerFilmFest im Peter-Weiss-Haus

25.-27.11.2011 Leverkusen Das Jahr der Jubiläen: 20 Ausgaben red&queer, 5 Jahre DKP queer und nun auch noch das 20. Bundestreffen in der KLS

14.-15.01.2012 Berlin LLL-Wochenende: Wir werden wieder sowohl mit Infostand auf der RLK zugegen sein als auch mit unseren Fahnen und Flyern auf der LL-Demo

Impressum red&queer Zeitung von DKP queer Kommission des Parteivorstands der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP) Herausgeber und Redaktion: DKP queer V.i.S.d.P. Thomas Knecht Lektorat: Andreas Layout: Roy Druck: Eigendruck Anschrift & Kontakt: DKP queer Redaktion „red&queer“ Zum Köpperner Tal 44 61381 Friedrichsdorf Fon: 0201 177889-0 Fax: 0201 177889-29 redaktion@dkp-queer.de www.red-queer.de Spendenkonto: Konto 297 871 603 BLZ 500 100 60 Postbank Frankfurt Inhaber: DKP BV Hessen Verwendungszweck: „Spende red&queer“ Redaktionsschluss: 20.09.2011


TITEL  3 Titelbild und Illustration auf dieser Seite: Anne

Säkularisierung – 200 Jahre später. In Deutschland: Alles beim Alten von Roy „Wahrscheinlich hat es vielen Menschen erst die Augen geöffnet, als die Bundesjustizministerin im Jahr 2010 (!) den Hinweis für nötig hielt, die Verfolgung von Straftaten von wem auch immer sei eine Angelegenheit des Staates. Anlass war die Diskussion um die sexuellen Übergriffe in der katholischen Kirche. [...] Immer wieder waren in der Vergangenheit Fälle von sexualisierter Gewalt in katholischen Kreisen öffentlich geworden. Aber erst in jüngst geführten Diskussion erfuhr die breite Öffentlichkeit, dass die katholische Kirche für sich das Recht in Anspruch nimmt, zu entscheiden, wann und bei wel-

chen Straftaten die Staatsanwaltschaft eingeschaltet wird. Diese für die Kirche selbstverständliche Denkweise, solche Fälle intern zu regeln, macht allzu deutlich, dass die Abstimmung zwischen Staats- und Kirchenrecht in Deutschland noch nicht vollständig ist. Wie viele Straftäter in den Reihen der katholischen, aber auch evangelischen Kirche sind bisher ungestraft davongekommen? Wird die deutsche Gesellschaft das je erfahren?“1

dürfen, hätte er wegen Behinderung der Justiz verhaftet werden müssen!

Nun wird ausgerechnet das Oberhaupt jener Kreise, der letzte absolutistische Herrscher Europas, Josef Ratzinger alias „Benedikt XVI.“ in Berlin wie ein Staatsgast, mit allen Ehren und Würden empfangen. Er durfte auch seine Hetze im BRD-Bundestag verbreiten, die reaktionäre Offensive seines Vorgängers nicht einfach fortsetzen, sondern verstärken. Statt dort sprechen zu

Das heisst, ein Ratziger darf in der bürgerlichen Schwatzbude von Reichstag ...oh pardon... Bundestag sein religiöses Geseier von sich geben, während sowohl parlamentarische als auch außerparlamentarische Opposition ausgeblendet, diffamiert usw. wird. Alles beim Alten.

Über zwei Jahrhunderte nach der Säkularisierung, verharrt die BRD in der Frage der Trennung von Kirche und Staat im Mittelalter. Insbesondere bei der Sexualpolitik steht es in dessen bester Tradition, nämlich der der Doppelmoral. Immerhin konnte die DDR hier 40 Jahre lang einen Strich durch diese Rechnung machen.

1 Caberta, Ursula: Schwarzbuch Esoterik, Gütersloher Verlagshaus, Gütersloh, 2010

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4  THEMA Fünf Jahre DKP queer von Thomas

In der letzten Ausgabe titelten wir 20 Ausgaben red&queer, auch diese Ausgabe titelt mit einem Jubiläum. Fünf Jahre DKP queer! Eine Erfolgsgeschichte in mehreren Akten! Der Anfang war tatsächlich der Artikel „Eine schwule Idee“ von „Dominik“ im Taunus Echo, der Zeitung der DKP Hochtaunus. Binnen kürzester Zeit bekamen wir von überall her Post, e-Mails und Anrufe, dass er mit dieser Idee nicht allein war. Auf dem UZ Pressefet 1999 gab es schon einmal den Versuch sich zu vernetzen. Dazu wurde auch das „blaue Heft“ – „Grundsätze und Forderungen der DKP gegen die Diskriminierung der Homosexualität“ noch einmal kopiert, und es gab ein Treffen. Leider verlief danach alles im Sande, und dieser Artikel war dann der Startschuss. Auf Anregung einiger Genossen luden wir zu einem Treffen in die Karl-Liebknecht-Schule in Leverkusen. Am Wochenende vom 19. und 20. August 2006 trafen sich neun Genossinnen und Genossen, um dort zu beraten, was man machen kann. Übrigens: Im Rahmen der Recherche zu diesem Artikel hat

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sich der Autor durch alle Protokolle der DKP queer Bundestreffen gearbeitet und festgestellt, dass schon vom ersten Treffen festgelegte oder auch nur angerissene Punkte umgesetzt wurden. Es folgen Auszüge vom ersten Bundestreffen: „Wichtig ist, dass die queer-Gruppe sich nicht nur auf Mitglieder der DKP konzentriert“, „neben der Schwulen- und Lesbenpolitik muss die Queergruppe der DKP andere sexualpolitische Themenfelder besetzen und andere Minderheitengruppen miteinbeziehen“, „Thematik der Queergruppe muss von den Treffen in die Partei getragen werden und Bewusstsein für die entsprechenenden Positionen geschaffen werden; Grundeinheiten müssen mit den Positionen der Queergruppe arbeiten können; es muss ein linkes Gegengewicht zur Mainstream schwulen- und lesben Politik aufgebaut werden“, „es wäre wünschenswert, wenn auch Sexualität im Sozialismus als grundsätzliches Thema diskutiert werden würde“! Auf der letzten Seite des Protokolls ist knapp vermerkt: „Die Anwesenden beschließen den Zusammenhang vorerst „DKP Queer“ zu nennen.“ Somit wurde DKP queer formell am 20.August

2006 gegründet. Bis wir „Kommission des Parteivorstands“ wurden, verging allerdings noch eine gewisse Zeit. Auf dem zweiten Bundestreffen von DKP queer, das vom 1. bis 3. Dezember 2006 in Frankfurt am Main stattfand, wurde der Beschluss gefasst, dass die CSDs von uns repolitisiert werden müssen. Und dass wir dem rechtslastigen LSVD den Alleinvertretungsanspruch aberkennen. Auch wurde angemerkt, dass wir dringend eine ordentliche Struktur haben müssen. Der Vorschlag, einen Sprecherrat zu bilden, wurde durch das Konzept einer „Kollektive Leitung“ mit festen Aufgaben umgesetzt, die dann auf dem dritten Bundestreffen, das vom 30. März bis zum 1. April in Hamburg stattfand, zu wählen war. Auf dem dritten Bundestreffen begrüßten wir auch unseren damaligen Parteivorsitzenden Heinz Stehr sowie den Hamburger Bezirksvorsitzenden Olaf Harms. Einigkeit bestand darüber, dass von der Gruppe eine Struktur gewünscht wird, die für die Mitarbeit von Nichtmitgliedern der Partei offen ist. Heinz Stehr erläuterte den Charakter von Kommissionen des Parteivorstands und begrüßte die Gründung von DKP queer als Chance für die Partei, in einem speziellen Politikfeld Positionen zu entwickeln. Es wurde in Hamburg vereinbart, dass auf der Tagung des Parteivorstands am 9. September 2007 über die Bildung der Kommissi-


5 on des Parteivorstands „DKP queer“ beraten werden sollte. Das Selbstverständnis und die politische Zielsetzung von DKP queer sollten dort dem Parteivorstand vorgestellt werden. Um den Beschluss des zweiten Bundestreffens umzusetzen, wurde in Hamburg die erste Kollektive Leitung von DKP queer gewählt. Nachdem zwei Genossen der Kollektiven Leitung am Sonntag dem 9. September 2007 dem Parteivorstand unsere Arbeit erläuterten, wurde einstimmig die Gründung der Kommission beschlossen. Seit dem ersten Bundestreffen arbeiteten wir an unseren Forderungen. Auf dem 18. Bundestreffen in München in diesem März haben wir diese Arbeit endlich beendet und haben einen Forderungskatalog vorgelegt, der sich sehen lassen kann. Ursprünglich war vorgesehen, das so genannte „Blaue Heft“ zu überarbeiten. Dies war jedoch nicht so einfach, wie wir es uns anfangs gedacht haben. Nachdem wir es dann in einen Forderungsteil und einen wissenschaftlichen Teil geteilt hatten, haben wir jetzt den Forderungsteil fertig und machen uns 2012 an den wissenschaftlichen Teil. 2012 werden wir auch damit beginnen, die Geschichte der DeLSI (Demokratischen Lesben und Schwulen Initiative), in deren Tradition wir uns sehen, zu erforschen und aufzuarbeiten. Es stehen also zwei inhaltlich aufwendige Projekte an, bei der wir jede Hilfe brauchen können.

Natürlich vernachlässigen wir dennoch nicht unsere anderen Aufgaben. Seit 2006 nehmen wir an verschiedenen Christopher-Street-Days teil. Sei es mit Verteilaktionen, Teilname an Demonstrationen oder einem Infostand. Seit Jahren haben wir einen Infostand am Festival der Jugend oder bei SDAJ-Pfingst-

camps. Mehrfach haben wir uns am UZ-Pressefest beteiligt, haben bisher zwei Sommercamps organisiert und haben offensiv den DKP-Wahlkampf in Berlin unterstützt. Durch unsere Arbeit und unsere Aktivitäten haben wir schon mehrere Genossinnen und Genossen zum Eintritt in die DKP ermutigt.

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6  KULTUR zum 20. todestag unseres genossen ronald m. schernikau von marco am 20. oktober 1991 verstarb unser genosse, der schriftsteller ronald m. schernikau. geboren am 11. juli 1960 in magdeburg wuchs er in lehrte bei hannover auf. kurz vor seinem abitur erschien 1980 die „kleinstadtnovelle“. in diesem buch schrieb er über schwules coming out in einer kleinstadt, und es wurde sein erster bemerkenswerter erfolg, die lektoren des buchs

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hielten ronalds geburtsdatum für erfunden. die erstauflage war nach wenigen tagen schon vergriffen. schon vier jahre zuvor wurde er mitglied der deutschen kommunistischen partei, in der sozialistischen deutschen arbeiterjugend war er schon länger aktiv. nach seinem umzug nach westberlin wurde er mitglied der sozialistischen einheitspartei westberlins. er studierte an der fu germanistik, philosophie und psychologie. von 1986 bis 1989 studierte er in leipzig. im mai 1988 legte er seine abschlussarbeit vor, die später unter dem titel „die tage in l.“ veröffentlicht wurden. 1989 wurde ronald die staatsbürgerschaft der deutschen demokratischen republik verliehen, er zog am 1. september 1989, dem fünfzigsten jahrestag des überfalls der faschistischen d e u t schen wehr-

macht auf polen, dem beginn des zweiten weltkriegs, nach berlin, hauptstadt der ddr, wo er als hörspieldramaturg tätig war. auf dem außerordentlichen schriftstellerkongress des schriftstellerverbands der ddr der vom 1. bis 3. märz 1990 in berlin stattfand hielt er eine vielbeachtete rede, in der er die entwicklung in der ddr charakterisierte. „der eine weiß das eine und der andere das andere. ich bin ronald m. schernikau, ich komme aus westberlin, ich bin seit 1. september 1989 ddr-bürger, ich habe drei bücher veröffentlicht und ich bin kommunist.“ so begann er seine rede, die mit: „das einzige, das mich intressiert bei der arbeit, ist: etwas loben können. Ich hasse negation. am 9. november 1989 hat in deutschland die konterrevolution gesiegt. ich glaube nicht, daß man ohne diese erkenntnis in der zukunft wird bücher schreiben können.“ im jahr 1991 vollendete er noch seinen umfangreichen montageroman mit dem titel „legende“. ronald m. schernikau starb am 20. oktober 1991 an den folgen seiner aids-erkrankung. beigesetzt wurde er auf dem friedhof der st. georgen-gemeinde in berlin-friedrichshain. wir haben mit ihm einen genossen, einen freund verloren.


THEORIE  7 Die Freiheit der Liebe von Leander Sukov Ich bin ein polyperverser, polyamouröser, bisexueller und ziemlich glücklicher Mensch. Das versetzt mich in die Lage, meine Sicht auf die Liebe zu verbreiten, ohne dabei depressives Herzeleid zu verstreuen. Ich bin ein Verfechter der Freien Liebe. Schon deshalb, weil der Begriff immer total falsch verstanden wird. Denn Freie Liebe bedeutet ja nicht, dass Jede und Jeder mit Jeder und Jedem herummachen soll, sondern darf – wenn es gewollt ist. Freie Liebe schließt alle Arten von Liebe ein und nicht aus. Sie ist kein Aufruf zur Promiskuität, kein Manifest für Sex überhaupt. Es geht um die Art der Partnerschaftlichkeit. Und natürlich kann die auch monogam sein. Die Freiheit, seine Liebesbeziehung so zu gestalten, wie man – und sein (oder die) Partner – es will, ist eine Grundfreiheit. Ohne sie ist gar keine Freiheit denkbar. Gesellschaftliche Restriktionen, die bestimmte (im Wortsinne) Lebensformen über gesellschaftliche Normen erzwingen, gehen zwangsweise Hand in Hand mit notwendigen gesetzlichen Regularien. So ist Freiheit nicht möglich.

Als nach der Oktoberrevolution von 1917 in Russland u.a. von Alexandra Kollontai (1872-1952), aber auch von anderen, das restriktive Scheidungsrecht der Zarenzeit geändert wurde, fielen auch gesellschaftliche Konventionen. Die Kommunehäuser (in denen es Gemeinschaftsküchen gab), die freien Kindergartenplätze, Mutter-und-Kind-Einrichtungen usw. ermöglichten es Frauen, ihre Lebensplanung zum ersten Mal in der russischen Geschichte selbst in die Hand zu nehmen. Und natürlich brachen die neuen Möglichkeiten auch die Schalen auf, die männliches Verhalten in der Gesellschaft bislang in einer engen Form gehalten hatten. Die Freiheit von Liebe und Sexualität fand allerdings ein bedauerliches Ende in der Stalinzeit. Es wurde wieder auf heterose-

xuelle Zweierbeziehung gesetzt. Dass sich die Restriktion jedoch nicht wieder vollends durchsetzen konnte, zeigte sich z.B. in der DDR. Zu Zeiten, in denen in der BRD schon die Vermietung von Wohnraum an unverheiratete Paare unter strafrechtlicher Verfolgung stand, ging man „drüben“ recht unverkrampft an die Sache heran. Jedenfalls, wenn das der Lebenseinstellung der Beteiligten entsprach. Auch die Freiheit, homosexuelle Beziehungen zu leben, gestaltete sich gänzlich unterschiedlich. Bereits im Jahr 1957 wurde die Strafverfolgung bei Erwachsenen de facto eingestellt, während es in der BRD noch über 3.000 Verurteilungen gab. 1968 wurde das Schutzalter von einundzwanzig auf achtzehn Jahre gesenkt.

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8  GESCHICHTE »Ein Herz für die Stasi« oder wer Jérôme wirklich war... von Jérôme „Herrjeh, dieser Verräter! Hat für die Stasi spioniert, musste wohl Schwule aushorchen und schlimme Berichte schreiben. Und nach der Wende in einer ehemaligen Blockpartei untergeschlüpft“ Ja, sowas hab ich öfter gehört, war ich doch ein lokaler C-Promi der schwulen Presse, dazu noch erster offen schwuler Bundestagskandidat einer bürgerlichen Partei „Ein Herz für die Stasi“ war noch eine humorvolle Überschrift. Dabei war mein Leben ganz anders... Friedensbewegt groß geworden in Hamburg, immer schon interessiert daran, wie Leute in sozialistischen Ländern leben, mit viel Radio und Fernsehen aus der DDR, der UdSSR und sogar zwei Kurzwellenhörer-Diplomen von Radio Sofia, war ich im März 1982 zum ersten Mal in Berlin – genau, Berlin, Hauptstadt der DDR. Einmal die Linden runter, am Alex gelandet, und alles war wie im DDR-Fernsehen: Spaziergänger, Leute mit Einkäufen, viele Imbissbuden, und niemand sah verhungert aus. Ich glaub, Bauz’ner Senf und meine erste Schachtel KARO haben meine Vorliebe für den

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zwanziger namens Uwe kam zu mir in das kleine Zimmer, das eigentlich für Zollkontrollen vorgesehen war. Aber es war keine Zollkontrolle, er sprach mit mir über den Weltfrieden und darüber, dass die DDR verlässliche ersten deutschen Arbeiter- und Partner braucht. Ob ich mich mal Bauernstaat wohl noch weiter mit ihm auf einen Kaffee treffen möchte? Ich hab keine Minute bestärkt. gezögert. Kurz darauf zog ich nach Westberlin zum Studieren, nie weit Unsere Treffen, zusammen mit vom Bahnhof Friedrichstraße dem erfahrenen Genossen Herentfernt. Musste sein. Schließ- mann, wurden immer intensiver. lich musste ich mich regelmäßig Erst in Gaststätten, später in mit KARO versorgen und mich konspirativen Wohnungen. Zumit Freunden in der DDR treffen. nächst haben wir nur politisch Pankow und den Prenzlauer Berg geplänkelt, dann lernte ich meikenn ich noch heute wie meine ne Aufgabe kennen: Ich sollte in Westentasche. Leider sind die eine politische Partei eintreten, alten schwulen Cafés und Knei- Augen und Ohren offen halten pen fast alle verschwunden – und den Genossen berichten. wobei, Gastronomie ändert sich Nach kurzer Diskussion entschieden wir uns gemeinsam für ja überall. die F.D.P., denn da konnte ich Im Studium entdeckte ich dann offen schwul agieren und war auch die Marx-Engels-Werke, nicht deswegen erpressbar. engagierte mich ein bisschen in der Schwulengruppenszene, Dass ich schwul war, war für die fuhr auch einmal auf das interna- Genossen vom MfS ein neutrales tionale Jugend- und Studenten- Thema, und sehr bald merkte ich, lager am Scharmützelsee (DDR), dass alles, was wir über meine aber hab es nie geschafft, in die für das MfS unwichtigen Freunde SEW (Sozialistische Einheitspar- und Professoren plauderten, nur tei Westberlins) einzutreten. eine Vorbereitung darauf war, Drei Anläufe verliefen erfolglos dass ich später als Kundschafter im Sande, später wusste ich, gut und präzise aufklären kann – Kontakte knüpfen, halten, warum. unauffällig Informationen samAm 18. März 1988 war es dann meln. Kundschafter-Azubi war so weit: Auf dem Weg zu meinem wohl die treffende Bezeichnung, Frisörtermin in Berlin zog mich intern hieß ich nun Jérôme. der DDR-Zoll am Grenzübergang Noch im Sommer 1988 bestellte raus, und ein freundlicher End- ich mein Abonnement der SEW-


GESCHICHTE  9 Zeitung „Die Wahrheit“ ab, we- Jahres von drei auf über 30 Mit- Ich selber hab bereits am Wahlnige Wochen später kam dann glieder bringen können, zu dem abend 1994 erfahren, dass meine „linksliberale“ politische Thema kräftig gerödelt. täglich die FAZ. Karriere am Ende war. Von der Meine roten Freunde stieß ich 1994 wusste ich, dass alles nur Wahlparty wurde ich vom F.D.P.immer wieder vor sämtliche noch nach vorn gehen kann, Landesgeschäftsführer in eine Köpfe, wurde ein braver „Links- weil ich mich bald beruflich aus benachbarte Kneipe „entführt“, liberaler“ und hab alle Spuren Berlin weg orientieren musste. wo er mich verschmitzt anlämeiner roten Vergangenheit in Also alles in die Schlacht! Am chelte und sagte „Sie haben deinächtlichen Aktionen entsorgt. 18. März 1994 – pünktlich zu ne Karte gefunden, Jérôme“. Es Alles überhaupt nicht leicht, Jérômes sechstem Geburtstag folgten noch ein paar politische – kandidierte ich gegen den da- Scharmützel in der Berliner aber es musste wohl so sein. maligen Bundeswirtschaftsmi- Presse, zum Jahresende hab ich Endlich in der F.D.P. angekom- nister für den Landesvorsitz der die Stadt verlassen, mir einen men, war die DDR schon dabei, Partei. Vorgeschlagen von den Vollbart wachsen lassen und vom Kapital übernommen zu Julis. Normalerweise ein Haraki- mich daran gefreut, dass mich werden. Da stand ich nun – wie ri-Unternehmen, deswegen war in dem andern Bundesland nieso viele andere Genossen – vor ich auch der einzige Freiwillige mand mehr kennt. Gesellschaftdem Scherbenhaufen. Natürlich unter den Unzufriedenen. Aber lich engagiert hab ich mich immusste ich erstmal eine „Beich- das schaffte Bekanntheitsgrad. mer, darunter ein paar Jahre im evangelischen Kirchenvorstand te“ bei den Westberliner Behörden abliefern (Hallo Verfas- Am gleichen Wochenende wurde – aber nie mehr parteipolitisch. sungsschutz!), aber die waren ich dann noch Bundestagskanso überlastet, dass sie die be- didat. Der erste offen schwule Erst 2010 – nach dem Ende der kannten Geschichten über „Ver- Bundestagskandidat einer bür- längstmöglichen Verjährungsstrickungen“ hinnahmen und gerlichen Partei – die schwu- frist – suchte ich vorsichtig Konsich ansonsten nie merklich in len Gazetten überschlugen takt zur DKP, genauer zu Thomein Leben eingemischt haben. sich in Neugier und Interesse, mas von DKP queer. Ich wusste Inzwischen (2011) ist sowieso aber auch in Häme über den ja nicht, ob die Genossen mich aussichtslosen Platz auf der überhaupt noch wollen... Und alles verjährt. Und wie weiter? Landesliste. Immerhin lag ich bin sehr freudig überrascht worIch hatte die Wahl: Sollte ich immer wieder als Titelfoto in lo- den: Wir redeten und redeten mich nun völlig zurückziehen, kalen schwulen Werbeblättchen von Nachmittags bis zum nächoder konnte ich anderweitig we- überall rum. Damals eine kleine sten Morgen. Mit welch offenen nigstens ein bisschen was aus Sensation, vier Jahre später gab Armen mich die Genossen aufgemeinem Scherbenhaufen ma- es schon fast ein Dutzend offen nommen haben, freut mich heuchen? Ich entschied mich dafür, schwule und lesbische Bundes- te noch. Endlich konnte ich nun weiter zu machen als „Linksli- tagskandidaten, 2002 konnte offiziell ein Genosse in der Partei beraler“. Ich kümmerte mich man sie nicht mehr zählen. Der Ernst Thälmanns werden! um Kreuzberger Kommunalpoli- Durchbruch war geschafft, das tik, wurde Spitzenkandidat zur Thema „Homo-Ehe“ belebte die Übrigens, nur für den Fall, dass BVV-Wahl 1992, hab den F.D.P.- öffentliche Diskussion. Später noch „alte Kollegen“ herumirren „Arbeitskreis Homosexualität“, machte Berlins Bürgermeister und sich nicht trauen, Kontakt der die „Kohl-Wende“ über- den Satz „Ich bin schwul, und aufzunehmen. Lasst von euch hören! wintert hatte, innerhalb eines das ist gut so!“ populär.

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10  GEGENWART verfolgt, nur weil sie anders liebten. 100.000 Männer wurden angeklagt, 50.000 verurteilt. Sie müssen vollständig rehabilitiert und entschädigt werden, sonst verbleibt in der Gegenwart weiterhin ein düsterer Schatten der Vergangenheit.“

Magnus-Hirschfeld-Stiftung

Bild oben: Magnus Hirschfeld, von ArcLark, www.arclarkart.com

von Alexander Das BRD-Bundeskabinett hat am 31. August die Errichtung der „Bundesstiftung Magnus Hirschfeld“ beschlossen. Die Stiftung soll den Zweck haben, „sowohl an die Verfolgung Homosexueller durch die Nationalsozialisten zu erinnern als auch die heutige Lebenswelt lesbischer Frauen und schwuler Männer zu erforschen. Damit soll der Diskriminierung von sexuellen Minderheiten in der Gesellschaft entgegengewirkt werden.“ Die Sprecherin für Lesben- und Schwulenpolitik der PDL-Bundestagsfraktion Barbara Höll dazu: „Der Kabinettsbeschluss zur Gründung einer Bundesstiftung Magnus Hirschfeld [...] ist ein überfälliger Schritt. Denn

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DKP queer fordert die Aufarbeitung und Rehabilitierung der Opfer des deutschen Faschismus und der Adenauer-Justiz, die nahtlos an die Justiz des deutschen Faschismus anknüpfte. Was bei den Juristen, die ja auch direkt übernommen wurden, kein Wunder war. Zwischen 1934 und 1945 kamen zwischen 10.000 und 15.000 schwule Männer ins KZ, die wenigsten haben den faschistischen Terror überlebt. Da die wenigen Überlebenden, wenn sie nach 1945 erneut „straffällig“ wurden, wieder nach dem gleichen Paragraphen verurteilt wurden, wurde die Strafe aus dem Faschismus strafverschärfend mit angerechnet. Entschädigt wurde von BRD-Seite nicht ein „Rosa-Winkel“-Opfer! Die Opfer der BRD-Justiz schon gleich gar nicht. Zuletzt beantragten die Fraktionen von PDL und B’90/ Grüne eine Rehabilitierung der Opfer des Paragraphen 175. Diese Anträge zur Aufhebung der Urteile in der BRD wurden 2009 von CDU/CSU, SPD und FDP – wen wundert es – abgelehnt.

erst mit über 10-jähriger Verspätung wurde damit der Bundestagsbeschluss zu Gründung des Instituts umgesetzt. Das Institut soll an die Forschung des jüdischen Sexualwissenschaftlers Magnus Hirschfeld anknüpfen. Die Nazis jagten Hirschfeld aus dem Land und zerstörten sein Institut vollständig. Das Institut wurde nie wieder aufgebaut. Doch die Forschung zu sexueller Vielfalt und Möglichkeiten des Abbaus von Diskriminierung ist das Eine, die Rehabilitierung und Entschädigung der verfolgten Homosexuellen das Andere. […] In der Bundesrepublik (und zuvor in den Westzonen, Anm. der Red.) wurden von 1945 bis 1969 Was Magnus Hirschfeld mit der Homosexuelle nach dem von den neuen Stiftung zu tun hat, die Nazis verschärften §175 StGB von der Initiative „Queer Na-


VORLETZTE SEITE  11 tions“ initiiert wurde, müsste allerdings noch geklärt werden. 1926 reiste Hirschfeld auf Einladung der Regierung der UdSSR nach Moskau und Leningrad, und er blieb der Sowjetunion bis zu seinem Tod 1935 verbunden. Antikommunisten und Rassisten, die bei „Queer Nations“ bis in hohe Funktionen vertreten sind, haben nichts mit ihm gemein. Genau so gut hätten sie die Stiftung nach Klaus Mann oder Ronald M. Schernikau benennen können. Die hätten mit „Queer Nations“ auch nichts zu tun haben wollen.

Buch-Tipp!

»Muslime versus Schwule« Debatten mit den Entwicklungen in der Mehrheitsgesellschaft. Er geht der Frage nach, ob bzw. wie die relativen Erfolge der Frauen- und HomosexuellenEmanzipation unter anderem durch rassistische Rückschritte erkauft wurden. Karriere eines konstruierten Gegensatzes: Zehn Jahre „Muslime versus Schwule“. Sexualpolitiken seit dem 11. September 2001, 212 Seiten, broschiert zu beziehen über: Neue Impulse Versand Hoffnungsstr. 18 45127 Essen Fon: 0201 2486482 Fax: 0201 2486484 Mail: NeueImpulse@aol.com

Titelcover: Gerd Schmitt/Aykan Safoglu

Die Anschläge vom 11. September 2001 jährten sich zum zehnten Mal. Der nach diesen Attentaten einsetzende „Krieg gegen den Terror“ hat die Weltordnung tiefgreifend verändert. Die Muslime sind als Feindbild einer westlichen Moderne in den Vordergrund gerückt. Die Rechte von Frauen und Homosexuellen haben in diesem Zug und durchDer Stichwortgeber von Frau aus im Zusammenhang damit Höll, Bodo Niendel, ist übrigens eine beachtliche Aufwertung auch Mitglied in dem Verein so- erhalten. wie in dessen Vorstand tätig... Während im „Westen“ zumindest Für „Queer-Nations“-Chef Jörg einzelne Erfolge sichtbar wurLitwinschuh, welcher lange den, schien es um die sexuelle Jahre dem rechtslastigen Les- Selbstbestimmung in „musliben- und Schwulenverband in mischen Ländern“ und innerDeutschland (LSVD) von Berlin- halb muslimischer MigrantenBrandenburg geschäftsführend Gruppen schlecht bestellt zu vorstand, eröffnen sich mit der sein. Frauen- und HomosexuelEntscheidung der Bundesre- lenfeindlichkeit dienten so auch gierung nach seiner Meinung als Legitimation für außenpo„große Chancen, dass sich Wis- litische, zum Teil militärische senschaftler wieder dem For- Interventionen und vor allem schungsfeld der Homosexualität für rassistische Kampagnen im widmen können“. Eventuell fällt Inland („antimuslimischer Rasja auch ein lukratives Pöst- sismus“). chen mal wieder für ihn ab. Das könnte der Grund sein, warum er Der von Koray Yilmaz-Günay heder Meinung ist, dass die Höhe rausgegebene Sammelband mit der Bundeszuwendung zum Stif- Beiträgen in- und ausländischer tungsvermögen von 10 Mio. Euro Autoren blickt zurück auf die „für die Erfüllung der Stiftungs- letzte Dekade und schaut auf aufgaben und -programme“ die Überlappungen von femininicht ausreichen würden. stischen und lesbisch-schwulen

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Wie Chรกvez Venezuel a herunterwirtschaftet Sozialistisches Experiment

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