red&queer 25/2012

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2012  25

6. Jahrgang  Dezember 2012  www.dkp-queer.de

„Schwuchteln und Kampflesben“ Homophobie im deutschen TV

„Mörderische Kunst!“ Abenteuer Soldatenleben

Der DEFA-Film „Coming Out“ Interview mit Lothar Bisky

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Liebe Leser_innen,

Inhalt

das Jahr geht zu Ende, und wir bringen die vierte Ausgabe der red&queer im MagazinFormat heraus. Was bringt uns die neuerliche JubiläumsAusgabe? Unsere Nummer 25 hat den Schwerpunkt Kultur.

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Inhalt, Editorial, Termine, Begrüssung

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Aktuelles/ Kurzmeldungen

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Schwerpunkt: Über Tucken und Kampflesben Klischees im deutschen Fernsehen

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Mörderische Kunst Die Abenteuer-Ideologie

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Thema Entstehung des DEFAFilms „Coming Out“

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Thema Surrealismus und Avantgarde-Kunst

Es erwarten Sie/dich/euch Themen wie: „Über Tucken und Kampflesben – Klischees im Deutschen Fernsehen“, eine Glosse von unserem „Maskottchen“ Toni, Andreas hat sich an der bürgerlich-mörderischen Kunstform der „Abenteuer-Ideologie“ abgearbeitet, von Jérôme kommt ein Artikel über „Surrealismus und Avantgarde-Kunst“, es gibt ein Interview mit dem PDLPolitiker und ehemaligen Rektor der Filmhochschule Babelsberg Lothar Bisky über die Entstehung des DEFA-Films Coming Out“, und noch einmal kommt Andreas zu Wort mit einer Hommage an Jürgen Walter – den roten Chansonnier. Das Zitat von Mark: „DKP queer unterstützen heißt mitmachen!“ könnte inzwischen zum Motto der red&queer werden, denn es trifft den Nagel auf den Kopf!

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Jürgen Walter Der rote Chansonnier

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Termine: 12. Januar Infostand auf der Internationalen RosaLuxemburg-Konferenz in der Urania in Berlin-Schönefeld 13. Januar LLL-Demo Treffpunkt 10.00 Uhr U-Bahn Station Berlin Frankfurter Tor 2./3. März Infostand auf dem 20. DKP-Parteitag in Mörfelden/Walldorf 13./14. April 24. Bundestreffen von DKP queer

Ich wünsche dir / euch / Ihnen viel Spaß bei der Lektüre, erholsame Feiertage und ein kämpferisches 2013!

Termine

Bis zum nächsten Mal, euer

Impressum

Herausgeber: DKP queer V.i.S.d.P. Thomas Knecht

red&queer Zeitung von DKP queer Kommission des Parteivorstands der Deutschen Kommunistischen Partei (DKP)

Layout: Franz Sperr Druck: Eigendruck

Anschrift & Kontakt: DKP queer Redaktion „red&queer“ Zum Köpperner Tal 44 61381 Friedrichsdorf Fon: 06175-309754 redaktion@dkp-queer.de www.red-queer.de

Spendenkonto: Konto 297 871 603 BLZ 500 100 60 Postbank Frankfurt Inhaber: DKP BV Hessen Verwendungszweck: „Spende red&queer“


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HIV-Zwangstest – Gauweiler reloaded? von Fabian Münch Einmal mehr soll es HIV-Zwangstests geben. Dieses Mal kommt die Initiative hierzu nicht aus Bayern, sondern aus SachsenAnhalt. Dennoch werden Erinnerungen an Peter Gauweiler (CSU-Rechtsaußen) wach! Er wollte in den 1980er Jahren neben Zwangstests für Homosexuelle eine Internierung von HIV-Positiven. So weit geht das Innenministerium von SachsenAnhalt zumindest noch nicht. Bislang will man per Gesetz Zwangstests auf Hepatitis- und HIV-Infektionen bei so genannten Risikogruppen möglich machen. Wie die in Halle (Saale) erscheinende “Mitteldeutsche Zeitung” pünktlich zum WeltAIDS-Tag berichtete, will das

Innenministerium von SachsenAnhalt, das mit harter Hand vom Westimport aus Hannover stammenden Holger Stahlknecht (CDU) geführt wird, dies in der neuesten Ausgabe des “Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung” einfügen. Zu den so genannten Risikogruppen

23. Bundestreffen von DKP queer von Thomas Knecht

Am 17. und 18.November fand im Frankfurter Stadtteil Rödelheim das 23. Bundestreffen von DKP queer statt. Neben der Jahresplanung für 2013 und einer Diskussion über die kommenden Ausgaben der red&queer sowie weiteren Punkten, begrüßten wir Julian vom autonomen Schwulenreferat “FrankfurterSchWule” des Asta der Johann-

Wolfgang-Goethe Universität, der uns über die gerade zu Ende gegangenen Aktionswoche Intersex informierte. Am Abend des 17. November fand im DGB Haus noch eine Veranstaltung mit Vertreter_innen der PDLqueer Hessen über Gemeinsamkeiten und Unterschiede der beiden linken Queer-Gruppen statt. 

zählen neben Homosexuellen auch Migrant_innen, Betäubungsmittelabhängige sowie Obdachlose. Ziel des neuen Gesetzes soll öffentliche Sicherheit und Ordnung sein. Über eine Kennzeichnungspflicht für HIV-Positive wird jedoch noch nicht nachgedacht. 


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„Alles Tucken, Schwuchteln oder Kampflesben!“ Homophobe Klischees im Deutschen TV von Toni

Immer wieder werde ich im Alltag mit Klischees über Homosexuelle zugeschüttet. So wurde zum Beispiel kurz vor dem WeltAIDS-Tag aus Sachsen-Anhalt der Vorschlag gemacht, einen HIV-Zwangstest einzuführen (siehe S. 3), zu dem wir SLBTs auch alle genötigt werden sollen. Mich wundert kaum noch, dass es dagegen nur wenig Protest gibt. Solange auf Schulhöfen „Scheiß-Schwuchtel“ immer noch als Ausdruck verwendet wird und Leute wegen ihrer Sexualität überfallen und zusammengeschlagen werden, können wir uns kaum mehr erwarten. Gründe für solche Vorurteile gibt es viele, das geht sicher schon in der Schule los, mit mangelnder Aufklärung zum Beispiel. Aber auch die Medien tragen dazu gehörig bei. Nicht nur ein kleiner Fauxpas in einem ZDF-Zwanziguhrfünfzehn-Film fällt negativ auf. Nein, wirklich unerträglich

finde ich so manches Nachmittagsprogramm. Doch schauen wir uns doch mal ein paar Sendungen genauer an: Los geht es mit der berühmten „Lindenstraße“ in der ARD. Gut zwei Millionen (vor allem ältere) Menschen lockt die Soap jeden Sonntag vor die Mattscheibe. Obwohl sich bereits 1987 die beiden Charaktere Carsten Flöter und Gerd Weinbauer in der Sendung küssten, und damit den ersten schwulen Kuss im Deutschen Fernsehen begingen, spielt auch „Lindenstraße“ mit Klischees. So wird der Friseur an der Ecke als weibliche, hochnäsige Tucke dargestellt. Das ist im Vergleich zu anderen Sendungen vielleicht noch wenig, aber dafür gibt sich die „Lindenstraße“ einen toleranten Anstrich, während sie ihn also selber all zu oft nicht einhält. Soaps sind sowieso sehr anfällig für solche

Klischees. Die RTL-Seifenoper „Alles was zählt“ (auch um die zwei Millionen Zuschauer) stellte eine Zeitlang ein homosexuelles Paar in den Mittelpunkt ihrer Handlung, genauso wie verwandte Formate („Gute Zeiten, schlechte Zeiten“ etc.). Diese Charaktere gehören oft zu den Hauptrollen, sind fest verankerter Teil ihrer Handlung und werden durchwegs positiv gezeichnet. Jedoch sind sie auch durch die Bank stark feminin, gefühlsbetont und verletzlich, seltenst entsprechen sie dem Männerbild, welches die Heterorollen in den gleichen Soaps darstellen. Und genau so, wie schwule Männer pauschal zu Tucken erklärt werden, werden lesbische Frauen in der Regel als so genannte „Kampflesbe“, etwas gefüllter, mit ausgewaschener Jeans und Holzfällerhemd dargestellt. Bei


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der ehem. RTL-Sendung „Hinter Gittern“ trägt die Protagonistin „Walter“ (!) kein Holzfällerhemd, schließlich sitzt sie im „Frauenknast“. Ein paar Minuten der Sendung reichen eigentlich, um sich ein klischeeüberladenes Bild der homosexuellen Figur im Deutschen Fernsehen zu machen. Doch nicht nur RTLs „Walter“ verschlägt die dem Zuschauer die Sprache, an sich ist das Frauenbild (vor allem) der Privatsender oft bodenlos (vgl. Formate wie „Frauentausch“, RTL2). Diverse Richtersendungen und Therapeutenshows runden die Vielfalt der „Fiction-Reality“ ab. Genannt sei hier noch der berühmte Unsinn „Bauer sucht Frau“. Denn, ganz der sexuellen Emanzipation verpflichtet, darf sich ein Bauer auch einen Mann suchen. Hier werden die ZuschauerInnen (also die KonsumentInnen) teil des ihnen dargebotenen Panoptikums. Die „Reality-Doku“ „Transgender“ des gleichen Senders spielt dann offensichtlich mit allen Ressentiments die das männliche bundesrepublikanische TVPublikum zu später Stunde noch aufbringen kann. Mit handgeführter Kamera wird hier scheinbar Hautnah das Schicksal einer transgeschlechtlichen Person begleitet. In Wirklichkeit scheint es aber weniger um das Schicksal der porträtierten Person zu gehen, vielmehr geht es um Haut und Sex, etwas Abwechslung zum Angucken vor dem Zubettgehen.

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Frühmorgens, abends, aber vor allem nachmittags und nachts. Fast rund um die Uhr, können wir uns an diesen Sendungen bespaßen. Die Beweggründe der TVSender und Produzenten sind so vielfältig, wie auch das Publikum dieser Sendungen (Arbeitslose, Hausfrauen, Schüler, Studenten, freischaffende Heimarbeiter). Sie alle leben einen gewissen (emotionalen) Voyeurismus aus, ergötzen sich an nachmittäglichen Lückenfüllern. Teils entsteht ein Überlegenheitsgefühl, da man selbst ja nicht so sei, wie die da im TV. Spaltungsmechanismen werden vom Zuschauer reproduziert. Da führen auch wir, als SLBTZuschauer_in, uns oft hinters Licht. Denn wenn die dargestellte „Kampflesbe“ auch noch alle Unterschichtenklischees erfüllt, lässt sich der gebildete (aber noch lange nicht reflektierende) homosexuelle Mann vielleicht doch von der Ursache des Hauptwiderspruchs des kapitalistischen Systems ablenken und erklärt sich die ihm dargebotenen Verhältnisse mit den bekannten frauen-, lesben- und klassenfeindlichen Vorurteilen. Am Ende hilft es sicherlich wenig, sich permanent über die Medienlandschaft aufzuregen. Dem Kopfschütteln sollte aber hin und wieder einmal das Aus-

schalten des Fernsehgerätes oder mindestens Umschalten des Senders folgen. Und so oder so sollten auch wir immer wieder die in unserem Kopf vorhandenen Klischees prüfen und uns von ihnen befreien.  Quellen: Quotenmeter.de und die Wikipedia zu „Homosexualität im Fernsehen“. Außerdem: Salomon, David: Formate der Ideologieproduktion, Über das Nachmittagsfernsehen bei RTL und Sat.1. in: Zeitschrift Marxistische Erneuerung, Z. Nr. 86, Frankfurt/M (Juni 2011), S. 104 ff.


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„Die Abenteuer-Ideologie“ Mörderische Kunst von Andreas Spector

Für alle Ausbeuter der Weltgeschichte hieß die Grundfrage immer: Wie bekomme ich Leute dazu, für möglichst wenig Geld zu arbeiten – oder gar meine Waffen zu benutzen, die ich mit großem Profit herstelle – und gleichzeitig glücklich und zufrieden zu sein … Nicht vergessen: Ziviler Billiglohn ist so profitabel wie Billiglohn-Soldaten … Dazu dient auch die lange bekannte „Abenteuer-Ideologie“. Grob gesagt: Heuchel den Menschen vor, dass sie große „Helden“ werden, und sie tun alles für dich … Sie ziehen mit den Waffen, die du produzierst, sogar in den Krieg … Und wenn du Leute loswerden musst – funktioniert auch … Wie bekommt man Krieger in Sparta dazu, unter „spartanischsten“ Umständen Kriege zu führen? Man erzählte ihnen Geschichten über Abenteuer und Helden:

Die des Odysseus sind da nur eine schöne Erinnerung … Im späten Mittelalter hatte die frühe bürgerliche Gesellschaft ein großes Problem: Während der „dunklen Jahre“, als nach dem Zusammenbruch Roms Europa von kleinen lokalen Herrschern regiert und ausgebeutet wurde (heute: „Warlords“), wurden sehr viele Leute von Beruf Ritter (heute: „mafiotischer Krieger“). In Frankreich war etwa ein Drittel der Männer(!) Ritter – und dort gibt es nur die besten Statistiken. Und wie wird man diese Überflüssigen los? Man inszeniere eins der größten Massaker der Weltgeschichte und schicke diese Ritter über mehrere Jahrhunderte weg ins „Heilige Land“. Resultat: Erstens jubilierten alle, die mit Waffenproduktion und -handel zu tun hatten, und man wurde die Ritter elegant los …

Dazu erfinde man Geschichten von „edlen Rittern“ (mit homoerotischer Komponente) von Artus bis Ivanhoe, vermengt mit Enthaltsamkeit der mittelalterlichen Minne. Die „Variante für Daheimgebliebene“ erzählt von den heldenhaften Taten der Jeanne d’Arc – auch für Lesben … Den „Bauern und Handwerkern zu Hause“ – gab noch keine Industrie – erzählte man heldenhafte Abenteuer-Geschichten vom Kampf gegen die Bewohner des „Heiligen Lands“, damit sie sich besser auspressen ließen … Aber immer wieder Bauernaufstände … Später nutzten Handelskapitalisten diese Ideologie, um nach der „Entdeckung der neuen Welt“ genügend Matrosen und Kapitäne für ihren lukrativen Handel mit Amerika zu finden. Im 16. Jahrhundert kam nicht mal jedes zweite Schiff


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mit Gold beladen zurück. Das Geschäft war lukrativ – nur nicht für die Seeleute. Ihre Lebenserwartung war gering. Aber es gab ja schöne Geschichten über Abenteuer … So ging es weiter … Das kulminierte mit einer Unmenge an „Heldenliteratur“ zum genannten „Weltkrieg“. Seit 2000 Jahren wussten alle, dass Krieg immer bedeutet, dass Leute sich sinnlos gegenseitig hinmetzeln, damit ein paar andere den großen Reibach machen … Und es gab schon seit vor dem Krieg von 1870/71 eine wachsende Bewegung von Pazifisten, Kommunisten und Sozialdemokraten. Fotos des beginnenden 1. Weltkriegs zeigen, was den Leuten eingetrichtert wurde. Die Freiwilligen reisten in Güterwagen zur Front – auch im 2. Weltkrieg Transportmittel Nummer 1 für Billiglohn-Soldaten – und die bekanntesten deutschen Fotos zeigen Kreideinschriften auf den Güterwaggons „Auf Wiedersehen auf dem Boulevard“. Nach dem 1. Weltkrieg entstand viel Antikriegsliteratur, dazu auch Filme wie „Im Westen nichts Neues“, wurde nach der Machtübergabe der Sozialdemokraten an Brüning, Hindenburg und Hitler bald nieder gemacht. Was hat das mit der Unterdrückung von schwulen, lesbischen und weiteren queeren Menschen zu tun? Kriegszeiten waren „Ventilzeiten“. Wenn Frieden war – und 70/71 bis WKI war sehr lang – konnten sie nur versteckt leben oder ins Kloster gehen,

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da war zumindest deutlich mehr Sex garantiert. Und Freunde des heftigen SM hatten früher immer ihre Jobs, dagegen ist Waterboarding in Guantanamo ein Witz! Heute komisch: Ausgerechnet „Helden“ wie Ivanhoe oder „Fanfan die Tulpe“ wirken

das Recht und die Befreiung von Berlin, aber die Zeiten, wo „Heldengeschichten“ dazu dienten, Leute für „Billiglohn“ an der Front zu verheizen, waren vorbei. Dafür gab’s Helden des Alltags wie in Anti-Kriegs-Filmen wie „Die Kraniche ziehen“ oder

immer so schrecklich schwul in den Filmen? Oder warum wird Jeanne d’Arc immer als „starke Lesbe“ dargestellt? In Kriegszeiten waren die zu Hause unglücklichen bis diskriminierten Schwulen gut zu motivieren, in den Krieg zu ziehen. Wenigstens mal Kuscheln und guten Sex vor dem finalen Schuss … Und in der Zivilwelt regierten die „starken Frauen“ … In der Film- und Literaturwelt der Sowjetunion und der DDR gab’s andere „Helden“: Sie kämpften zwar immer für

„Sonnenblumen“. Und Abenteuer im Kommunismus? Wie sagte doch die DDR-Schriftstellerin Irmtraud Morgner mal im Gespräch mit einem der deutschen Literaturpäpste, der 1977 seine „Kritik der Abenteuerideologie“ in Berlin/DDR veröffentlichte: Das eigentliche Abenteuer sei die freie Entfaltung, und zwar der Frau und des Mannes, in der erregendsten, buntesten und schönsten Wirklichkeit – in der kommunistischen Gesellschaft. 


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Kinos in deutscher Sprache, „Coming out!“ Die Eingangssequenz des Films zeigt eine rasante Fahrt eines Rettungswagens durch die Berliner Bezirke Prenzlauer Berg, Berlin-Mitte und Friedrichshain (Berlin, Hauptstadt der DDR). Einige Szenen wurden an tatsächlichen queeren Treffpunkten Es handelt sich dabei um das gedreht, darunter am Märchenfilmische Meisterwerk queeren brunnen in Friedrichshain oder Seit etwa 1981 hatte Heiner Carow ein Projekt in der Schublade, das bis zur Vollendung und Uraufführung im Berliner Kino International über sieben Jahre in Anspruch nahm. Die Dreharbeiten nahmen davon die kürzeste Zeit in Anspruch.

in der Kneipe „Zum Burgfrieden“ sowie in der „Schoppenstube“ in Prenzlauer Berg. Einige Wohnungsszenen wurden in der Privatwohnung der Familie Lothar Bisky gedreht. Dieser war damals Rektor der Filmhochschule Babelsberg. Mit Lothar Bisky führten wir zu diesem Film ein Interview.

Entstehung des DEFAFilms „Coming Out“ Interview mit Lothar Bisky Das Interview führte Thomas Knecht

Guten Morgen Herr Bisky, wann hat Heiner Carow sie zum ersten mal von dem Vorhaben unterrichtet, einen Film zu diesem Thema machen zu wollen und seit wann kannten sie das Drehbuch? Ein genaues Datum habe ich nicht mehr in Erinnerung. Durch die freundschaftliche Verbindung zu Heiner Carow habe ich das Drehbuch aber vor Drehbeginn gelesen und sicher auch mit ihm darüber diskutiert. Es war immer eine sehr kollegiale Arbeit mit ihm.

Welche Eindrücke sind ihnen im Bezug zum Drehbuch noch in Erinnerung? Interessant an dem Thema war, dass es kein Tabuthema mehr in der DDR war. Bevor ich nach Berlin ging, arbeitete ich am Zentralinstitut für Jugendforschung, Regisseure hatten immer ein großes Interesse an unseren Ergebnissen, um realistische Filme zu machen, besonders auch Carow. Damals gab es einen Witz zu diesem Thema „Früher wars verboten, heute ists erlaubt, bald wirds Pflicht!“

Dennoch war Homosexualität zwiespältig in der DDR gesehen. Die DDR war halt doch sehr spießig! Wurden die Darsteller nur in der Filmhochschule gesucht oder auch außerhalb? Welche inhaltlichen Kriterien waren für Carow im Bezug auf die Darsteller wichtig? An der Filmhochschule wurde auch gesucht, aber es wurden kaum Schauspieler für den Film gefunden. Carow hatte einen Blick für die Schauspieler, die er


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Diskussionen, egal bei welchem Film. Teilweise wusste man nicht, warum Filme abgelehnt wurden und andere wieder nicht. Teilweise wussten auch hohe Parteifunktionäre nicht, warum Filme abgelehnt wurden. Es waren oft Zufälle und es war oft davon abhängig, wer den Film abnahm. Es spielten da alle mit rein. Kulturministerium,

wollte, und er hatte seine eigenen Regeln im Zugreifen auf seine Schauspieler. Es wurde zwar im Kollektiv über die Besetzung diskutiert, aber die endgültige Entscheidung lag bei Carow. Und seine Meinung bei der Besetzung war unumstritten. Es dauerte sieben Jahre, bis der Film gedreht werden konnte. Spielten Berührungsängste mit dem Thema bzw. ideologische Zwiste im ZK oder Ministerien dabei eine Rolle? Bei der Abnahme gab es immer

Welche Rolle spielte Kurt Hager, um mit dem Film beginnen zu können? Dazu gibt es nur Gerüchte wie oft bei Kurt Hager. Welche Rolle er tatsächlich spielte, ist mir nicht bekannt. Gab es noch ideologische Probleme, Versuche der

Bildungsministerium, die Abtei- politischen Einflussname lung Agitprop beim ZK der SED. während der Dreharbeiten? Es war eine Gemengelage. Auch das ist mir nicht bekannt Von welchen Seiten kam Wider- aber möglich ist es. Allerdings: stand gegen den Film? Gab es Carow war stur. Er hat sich durchBegründungen? gesetzt, denn er war ein sehr Wenn ja, welche? leidenschaftlicher Regisseur. Ratschläge hat er angenommen, Man kann annehmen, dass es kei- aber keine Befehle, egal von welnen direkten Widerstand gegen cher Seite. Man muss aber auch den Film gab, sondern eher Ängst- dazu sagen, bei Carow standen lichkeit, eine gewisse Zögerlich- keine „Begleitpersonen“ mit hinkeit vor dem Thema. Durch dieses ter der Kamera.  Verhalten wurden viele Filme nicht möglich, bzw. verhindert. Absolut ohne ideologische Gründe.


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Surrealismus und Avantgarde-Kunst von Jérôme Hachavingt

wurde 1953 zum tschechoslowakischen Nationalkünstler ernannt, Tristan Tzara kämpfte auf Seite der Republik in Spanien, später in der Résistance in Frankreich.

Viele denken bei „Surrealismus“ an bekannte Filmszenen wie die Traumsequenz aus Hitchcocks „Ich kämpfe um dich“. Die wurde von Salvador Dalí gestaltet, einem der Surrealisten, die später dem Franquismus verfallen sind. Der uns auf Bildern heute noch recht „tuckig“ erscheinende Dalí gab übrigens zeitlebens an, völlig impotent und asexuell zu sein. Der Begriff „Surrealisme“ wurde von Guillaume Apollinaire erfunden: der mit den grafischen Eiffelturmgedichten. Passend malte Robert Delauney eine Reihe von Eiffelturmbildern. Alle Künstler der Epoche vereinte damals die Bewunderung für neue Technik, die Erkenntnisse der Psychoanalyse und dass eine neue Zeit anbrechen möge. Der Eiffelturm, diese Verbindung aus Baukunst und der neuen Technik „Radio“ wurde zum Bild der Epoche.

Alexandra Kollontai – „Den Kapitalisten ist sehr wohl klar, dass die traditionelle Familie mit der Frau als Sklavin und dem Mann, der für den Unterhalt zuständig ist, das beste Mittel ist, jeden proletarischen Versuch einer Befreiung zu behindern“ – war nicht nur die perfekte Revolutionärin, die die frühe Sowjetunion brauchte.

Die Literaten ließen sich von schwulen Dichtern wie Lautreamont („Die Gesänge des Maldoror“) und dem ungleichen Paar Rimbaud und Verlaine inspirieren, deren Beziehung nach einem gezielten Schuss Verlaines auf seinen Lover Rimbaud Und nicht nur die Frau, die das noch im Krieg gegen die „Weiendete. ßen“ befindliche SowjetrussViele französische Surrealisten land mit Aufklärungs-Stummfilzogen zunächst mit Begeiste- men zum Thema „Schwule und rung in den Ersten Weltkrieg, Lesben“ überschwemmte – so in dem auf französischer Seite stark, dass uns heute noch Teile die Propaganda aussah wie in davon mit ukrainischen UntertiDeutschland. Apollinaire endete teln erhalten sind. sogar in der Zensurabteilung des Alexandra Kollontai erhob auch Pariser Kriegsministeriums. die Avantgarde-Kunst – eng mit Andere, wie Louis Aragon, And- dem Surrealismus verbandelt – ré Breton (Mitgründer der Zeit- zu „anerkannter Staatskunst“, schrift „Le Surréalisme au ser- also genau die Sorte Bilder, die vice de la révolution“) landeten die Nazis später verbrannten. in der Kommunistischen Partei, und Aragon blieb bis zu seinem Lassen wir uns inspirieren!  Tod 1982 die große Literaturikone der KP Frankreichs. Nezval


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Jürgen Walter – der rote Chansonnier von Andreas Spector

Nein, Jürgen Walter war und ist nicht wirklich der große Sänger der Revolution, auch wenn er beim Oktoberklub mitgesungen hat und 1968 seine erste kleine Schallplatte mit dem der deutschen Version des RevolutionsChansons „Potemkine“ von Jean Ferrat herauskam. Er war immer eher ein Sänger der leisen Töne. Im Lied „Wo ich hergekommen bin“ beschrieb er 1979 in eher poetischen Tönen, wie es sich in seinem thüringischen Heimatdorf früher lebte, und was sich getan hat, seit „die Zeiten sich vor 30 Jahren gekehrt haben“. Natürlich hat Jürgen wie alle französischen Chansonniers mit „Aber für’n Sex sind’se blind“ auch ein „freches“ Lied, nachdem sich schon sein erster Radio-Hit „Schallali Schallala“ sich über missglückte Annäherungen von Mädchen lustig machte. Sein bekanntester Nach-„Wende“-Schlager von 1994 hieß „Auch Männer sind schön“ – endlich traute er sich auch, offen schwul aufzutreten. Wobei: 1988 trat er schon als singender Transvestit im Film „Der Bruch“ mit Götz George auf. Und in den 80ern wohnte er lieber in seiner Wohnung auf dem Prenzlauer Berg in Berlin als irgendwo anders … Aber wer immer sich mal die günstig zu beschaffende „Vorwende“-Sechs-

CD-Box durchhört: Jürgens Kunst bestand meist nicht darin, lautstark die Revolution auszurufen, sondern den Alltag in der DDR – gerade mit seinen alltäglichen allzu menschlichen Begebenheiten – zu besingen. Auch nach der so genannten "Wende" hat Jürgen mit "Die Leute von dort" (über Zuwanderer) und

intensiv erleben kann. Was unterscheidet den Wahlberliner Jürgen Walter eigentlich vom Westberliner Reinhard Mey? Eine Vorliebe zu Frankreich ist beiden

"Grauer Vogel Freiheit" (über die so genannte „Freiheit“) nicht nur schöne Lieder gesungen, sondern auch wichtige Beiträge zur aktuellen Diskussion in Ostdeutschland geleistet. In engem Kontakt mit Texterin Gisela ­Steineckert und Komponist Arndt Bause entstanden so im Laufe der Jahrzehnte über 400 Chansons, Lieder und Schlager. Sie zeigen auch den Nachgeborenen ein ungewohnt realistisches Bild vom Alltag in der DDR und pinseln ein Gemälde des „schönen kleinen Lands“, das man mit Jürgens Liedern ausgesprochen

eigen, aber wo Reinhard Mey sich manchmal mehr mit Konflikten aus der westlichen Welt beschäftigt, gelingt es Jürgen Walter, das Leben in der sozialistischen Welt in all seinen Facetten mit all seinen Alltäglichkeiten so schön zu beschreiben, dass auch heute noch seine Lieder eine Entdeckung wert sind. Und ja: Ich sah sie schon, die Welt ohne existenzielle Nöte, wo die Leute ihr Leben selber gestalten … 


Die Tatsache, dass es keinen Widerstand ohne eine Kultur des Widerstandes gibt, und weil es derzeit an der Vorstellung einer alternativen Gesellschaft mangelt, und diese Phantasie durch Kunst und Kultur beflügelt werden kann, muss Interesse an Kunst und Kultur und Zugänge jenseits der hegemonialen K ­ unstmärkte und der bekannten Musiksender

und Eventualitäten für alle geschaffen werden. Deshalb muss Kunst wieder zu einen Teil der Kultur der Arbeiter, Angestellten, der Erwerbslosen und ALG-2-Empfänger, der kleinen Selbstständigen, der abhängig Beschäftigten usw. werden! Heraus aus dem elitären Kreis, hinein in die Lebenswelt der Massen!

Mobil unterwegs? Einfach den QR-Code mit Smartphone oder Tablet einscannen!

Wir danken Toni Köhler-Terz und der Assoziation revolutionärer bildender Künstler (ASSO) für das Titelbild und das Bild auf Seite 12

Wie der geneigte Leser, die geneigte Leserin bemerkt haben wird, hat sich die red&queer verändert. Aus einem Flyer wurde eine Zeitung, aus der Zeitung ein Magazin.

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Schwerpunkte der r&q-Ausgaben:

PLZ*

#21: Ratzinger auf Staatsbesuch #22: Die Kollontai #23: Christopher-Street-Day #24: Jugend #25: Kultur #26: Die Homo/queer Politik der DKP #27: Lateinamerika #28: 80 Jahre Machtübertragung – Schwule Nazis, Neofaschismus und Populismus

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