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VOM
WENDEPUNKT DER HOFFNUNG DER PROZESS APG 2010 IN DER ERZDIÖZESE WIEN
herausgegeben von Andrea Geiger, Veronika Prüller-Jagenteufel, Otmar Spanner
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Impressum Gesamtherstellung (Umschlaggestaltung, Innenlayout, Satz, Druck): Tina Gerstenmayer; adpl-solutions International GmbH – Division Publishing, Wien Fotos: Claudia Henzler HENZLERWORKS Franz Josef Rupprecht © kathbild.at Wir danken für die zur Verfügung gestellten Fotos aus Privatbesitz. Alle Fotos stammen aus dem Prozess Apg 2010: von der Romwallfahrt, den Diözesanversammlungen, der Missionswoche und dem Gemeindetag. © 2010 by Wiener Dom-Verlag Wiener Dom-Verlag Gesellschaft m.b.H., Wien Printed in Austria. Alle Rechte vorbehalten. ISBN: 978-3-85351-227-2 www.domverlag.at www.erzdioezese-wien.at www.apg2010.at Die Bibelzitate sind entnommen aus der ökumenisch verantworteten Einheitsübersetzung der Heiligen Schrift. © 1980 Katholische Bibelanstalt GmbH, Stuttgart
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APG 2010 – GEBET Herr Jesus Christus, du bietest uns deine Freundschaft an. Durch deine Gegenwart schenkst du uns Freude in Fülle und gibst uns Hoffnung. Du hast uns durch die Taufe in deine Gemeinschaft gerufen. Wir sind bereit, deine Zeugen in unserer Welt zu sein. Im Vertrauen auf deine Liebe und Barmherzigkeit lassen wir uns senden. Stärke uns mit deinem Heiligen Geist. Lass dein Licht durch uns leuchten, damit wir als wahrhaft Liebende Licht der Welt sein können, und so zum Segen für unsere Mitmenschen werden. Amen.
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VORWORT Die katholische Kirche steht an einer Wende. Dass es ein Wendepunkt der Hoffnung sein kann, davon erzählen die Erfahrungen der Erzdiözese Wien. Was heißt heute Christsein? Was ist jetzt unser Auftrag als Kirche? Wen verkünden wir und wie? Welche Schritte stehen an – für Einzelne, für Gemeinden, für die Diözese? Solchen Fragen widmete sich der Prozess Apostelgeschichte 2010, kurz Apg 2010, in der Erzdiözese Wien. Von Oktober 2008 bis Oktober 2010 ging die Diözese einen Weg der Sammlung und Sendung. Dieses Buch versucht, das Feuer, das dabei in vielen (neu) entfacht wurde, weiterzugeben. Es ist keine Dokumentation. Alle Vorträge, Predigten, Gruppenberichte etc. sind auf der Website www.apg2010.at nachlesbar, ebenso wie der den Prozess anstoßende Hirtenbrief. Es ist auch kein Erinnerungsbuch, obwohl viele Fotos die Stationen des Weges illustrieren und zahlreiche kurze Statements die Ebene der persönlichen Betroffenheit durch den Prozess spürbar machen. Vieles, was das gemeinsame Unterwegssein geprägt hat, kann gar nicht auf Papier eingefangen werden, entsteht es doch daraus, dass Menschen sich einlassen – aufeinander, auf Jesus Christus, auf ein Geschehen, in dem der Heilige Geist die Regie führt. Dieses Buch möchte die Themen, die im Prozess wichtig geworden sind, so aufbereiten, dass damit weitergearbeitet werden kann – und zwar auch von solchen, die (noch) nicht selbst beteiligt
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waren. Die Artikel sind als Diskussionsgrundlagen für Gespräche gedacht sowie als Anregungen zum Weiterdenken, als Reflexionshilfen für die eigene Praxis. Kurz vorgestellte praktische Beispiele wollen selbst ausprobiert und kreativ angewendet werden. Persönliche Zeugnisse regen an, die eigenen Erfahrungen anzuschauen und weiterzuerzählen. Zudem möchte dieses Buch auf den Prozess Apg 2010 aufmerksam machen zur Ermutigung für andere. Vorangestellt sind eine Einleitung in das Prozessgeschehen sowie ein ausführliches Interview mit dem Wiener Erzbischof Christoph Kardinal Schönborn, der zu diesem Prozess eingeladen hat. Die Kapitel behandeln dann Themen, die sich in den drei Diözesanversammlungen des Prozesses, am Studientag „Gemeinde“ und in der Missionswoche als für die Zukunft bedeutsam erwiesen haben. Neben Artikeln sind den Themen auch Modelle und Zeugnisse zugeordnet. Es folgen zwei Beiträge, die den Prozess Apg 2010 aus pastoraltheologischer Perspektive reflektieren. Am Schluss wird noch ein kleiner Einblick hinter die Kulissen der großen Versammlungen gewährt. Beiträge, persönliche Stellungnahmen, Zitate aus Gebeten und Ansprachen der drei Diözesanversammlungen und viele schöne Bilder wollen spürbar machen, was Apg 2010 war und wie es weiterwirken will: als Schwungrad in eine gute Zukunft unserer Kirche. Wir wünschen uns weniger nostalgische Leserinnen und Leser, als solche, die Lust bekommen,
sich (weiter) auf den Weg zu machen, als Einzelne und in Gemeinschaft. Das Zustandekommen dieses Buches verdankt sich, wie der gesamte Prozess, einer Vielzahl von Menschen. Insbesondere sei dem Wiener Dom-Verlag gedankt und Tina Gerstenmayer für die graphische Umsetzung, Claudia Henzler und Franz Josef Ruprecht für die Fotos sowie allen Autorinnen und Autoren. Sie haben durchwegs neue Beiträge geschrieben und sich dabei an einen sehr kappen Zeitplan gehalten. Im Folgenden sind sie unter Verzicht auf alle Titel benannt – wie es in den Diözesanversammlungen gehalten wurde – und nur ganz kurz mit ihren Funktionen vorgestellt. Spürbar werden sie und weitere Delegierte durch Kurzstatements über ihre persönlichen Eindrücke aus dem Prozess Apg 2010. Das Apg-Buch erscheint vor Weihnachten 2010: Möge es viele mitnehmen auf den Weg, den Gott selbst geht: in die Welt hinein, den Menschen Heil zu bringen.
Andrea Geiger, Veronika Prüller-Jagenteufel (Redaktion), Otmar Spanner Wien, am Fest Allerheiligen 2010
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INHALTSVERZEICHNIS 10
Die Dynamik von Sammlung und ...
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Andrea Geiger: Freude in Fülle haben Der Weg von Apg 2010 Die uns anvertraute Hoffnung
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Wenn der Bischof einlädt
26 36
Interview mit Erzbischof Christoph Kardinal Schönborn: Inspiration aus dem Handeln der Apostel Ein fünffaches Ja
38
Lernen von der Praxis der Apostel
40 46 48 50
Helga Kohler-Spiegel: Apostelgeschichte damals – Impulse für heute Maja Schanovsky: Im Namen Jesu ... Roswitha Feige: Vom Unterwegs-Sein mit der Bibel Ein evangelischer Blick
52
Mission: Sendung der Kirche
54 60 62 64
Markus Gehlen & Otto Neubauer: Mission: auf Augenhöhe und in Herzensnähe Ilse Paul: Kirche an ungewöhnlichen Orten Barbara Filek: Von Gottes Liebe sprechen Heilsame Zumutung
66
Gemeinde als Missionsstation
68 72 74 76
Christoph Jacobs: Neues Leben ermöglichen Helmut Schüller: Wozu braucht Jesus Christus Gemeinden? Martin Wiesauer: Gemeindebildung jenseits der Pfarre Gemeinden als Orte der Gastfreundschaft
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Ein priesterliches Volk
80 84 88 90 92
Eckard H. Krause: Priester, Könige und Propheten – Taufe und Charismen Stephan Turnovszky: Dienend der Welt Christus zeigen Vergegenwärtigung unseres gemeinsamen Priestertums Helene Hornich: Getauft und begeistert Taufbrief an ein Patenkind
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Die Kunst des Feierns
96 102 104 106
Martin Sindelar & Otmar Spanner: Es braucht einen Blick dafür Claudia Vock: Auf Christus schauen Sr. Brigitte Thalhammer sds: Das Heilshandeln Gottes feiern Themenbereich 1
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Krise: Unterscheidung, Erkenntnis, Wandel
110 116 118 120
P. Klaus Mertes SJ: Im Sturm P. Christian Marte SJ: Passt das zu Christus? Hans Peter Hurka: Gottes Treue vertrauen und mit den Menschen leben Gebet um Umkehr
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Der Geist siegt in Zweiter Instanz
124 130 132 134
Wolfgang F. Müller: Quergedacht Stephanie Groz: Boote am Teich Lothar Lockl: Kirche am Scheideweg Nachgeholter Kairos
136
Institution und Charisma
138 144 146
Michael Scharf: Institution und Charisma oder Charisma und Institution? Benedikt J. Michal: Auch Heimat braucht Bewegung Sehnucht nach Klarheit
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Empfangen und empfangen werden
150 156 158 160
Martin Fenkart: Gedanken zur Gastfreundschaft Heinz Weinrad: Nachbarsg’schichten und Glaubenssachen Rudolf Mijoc: Aus Gästen werden Freunde Fürbitten
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Innere und äußere Erneuerung
164 170 172 174
Veronika Prüller-Jagenteufel: Freimütig verkünden trotz Reformnot P. Johannes Lechner csj: Wer ist Ihr Theophilus? Hannelore Reiner: Christuszeugnis einer 60-Jährigen Lichthymnus
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Pastoraltheologische Reflexionen
178 182 186
Regina Polak: Die Richtung stimmt Leo Karrer: Kirche in ihrer Tiefe und Weite erfahren Was wollen wir?
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Backstage
190 193
Rita Kupka-Baier: Wenn alle ihren Beitrag leisten Apg 2010 – Segen
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... und Sendung
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DIE DYNAMIK VON
SAMMLUNG UND ... Apg 14,22–27
Sie sprachen den Jüngern Mut zu und ermahnten sie, treu am Glauben festzuhalten; sie sagten: Durch viele Drangsale müssen wir in das Reich Gottes gelangen. In jeder Gemeinde bestellten sie durch Handauflegung Älteste und empfahlen sie mit Gebet und Fasten dem Herrn, an den sie nun glaubten ... Von dort fuhren sie mit dem Schiff nach Antiochia ... Als sie dort angekommen waren, riefen sie die Gemeinde zusammen und berichteten alles, was Gott mit ihnen zusammen getan und dass er den Heiden die Tür zum Glauben geöffnet hatte.
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FREUDE IN FÜLLE HABEN APG 2010 – EINLADUNG ZU EINEM „VIEL- STIMMIGEN“ PROZESS Andrea Geiger „Back to the roots“ sagt man oft, wenn „der Karren verfahren“ ist, man nicht mehr weiterweiß, das Ziel aus den Augen verloren hat oder einfach sich neu orientieren muss oder will. „Zurück zu den Wurzeln“ klingt zwar nicht ganz so peppig, passt aber für uns ganz gut. Zugleich sagt Jesaja: „Denkt nicht mehr an das, was früher war; auf das, was vergangen ist, sollt ihr nicht achten. Seht her, nun mache ich etwas Neues. Schon kommt es zum Vorschein, merkt ihr es nicht? Ja, ich lege einen Weg an durch die Steppe und Straßen durch die Wüste.“ (Jes 43,18f) – Wo also beginnen die Wurzeln? Was ist der Ursprung? Wo fängt Christsein an, wo Kirchesein? Oder anders herum: Was ist das Neue, das zum Vorschein kommt?
Das Neue wächst Der Beginn des Prozesses Apostelgeschichte 2010, kurz Apg 2010, liegt in den Erfahrungen der Stadtmission in Wien. „Öffnet die Türen für Christus!“ – in großen gelben Lettern vom Stephansdom ausgehend quer über die ganze Stadt Wien verteilt, war es im Mai 2003 kaum möglich, sich dem zu entziehen. Mehr oder weniger aufdringlich waren mehrere Hundert vornehmlich junge Leute aus der ganzen Welt, vermischt mit unzähligen engagierten Frauen und Männern aus Wiener Pfarren, Ordensgemeinschaften und Bewegungen auf den Straßen, Plätzen, in Einkaufszentren, Schulen, Lokalen – Begegnung suchend, offensiv, freundlich, einladend. Offene Türen, offene Herzen – im „Ge-
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spräch über Gott und die Welt“ mit den Menschen. Und dazwischen viel Zeit für Austausch und Impulse, für Stille, getragen von viel Gebet und einer starken Feier der Liturgie. Und irgendwo dazwischen sind auch wir uns über den Weg gelaufen … „Mission“ heißt also das Zauberwort, mit dem sich die Kirche aufgrund der Vergangenheit so schwertut, die allerdings eine von zwei tragenden Säulen der Kirche ist. Mission war in einem Land wie Österreich, wo praktisch jede und jeder von Geburt an katholisch war, auch nicht notwendig. Expandieren, jetzt? Wo wir uns gerade in Mäuselöchern verkriechen sollten, weil wir weniger werden und grad ziemlich peinlich sind (zwar noch mit genug Ausnahmen) und vom Großteil junger Menschen so wahrgenommen werden? Mission als paradoxe Intervention in Zeiten der Kirchenkrise? Mission, dem Mainstream zum Trotz, als Abhilfe gegen Überalterung, Mitgliederschwund, Unzeitgemäßem? Mission als kecke Aufpeppung, um modrigen Kirchengeruch zu übertünchen und zumindest ein bisschen cool zu sein?
Lesen in der Apostelgeschichte Was hat die damals angetrieben? Damals, als noch niemand katholisch war. Zurück zu den Wurzeln – Nachschlagen in der Apostelgeschichte. „Wir können unmöglich schweigen über das, was wir gesehen und gehört haben.“ (Apg 4,20) – Zeugen gesucht! Ein Zeuge/eine Zeugin redet selten von Dingen, die er/sie nur gelesen oder gelernt hat oder vom „Hörensagen“ kennt. Kein Gerüchtemarktplatz. Zeugen/Zeuginnen wollen wir sein. Was haben wir zu bezeugen? Wovon können wir unmöglich schweigen? Was erfüllt mich mit so großer Freude, mit Hoffnung? Was ist es, was ich unbedingt mit anderen teilen möchte, anderen mitteilen muss? – Das wird Thema der ersten Diözesanversammlung sein müssen. Doch so weit waren wir zu dem Zeitpunkt noch nicht. Weiterlesen in der Apostelgeschichte. – Wir hatten so viele gute Ideen, wie die Kir-
che sich verändern muss, wie sie besser in unser Heute passt. „Euch steht es nicht zu, Zeiten und Fristen zu erfahren ... Aber ihr werdet die Kraft des Heiligen Geistes empfangen … und ihr werdet meine Zeugen sein …“ (Apg 1,7f) Spätestens jetzt war eines klar, für mich wie für das ganze Kernteam: Wir können hier keinen Prozess initiieren, begleiten, dirigieren – ich muss mich selbst einlassen auf den Prozess, muss in die Lebensschule Jesu gehen. Der Missionsauftrag Christi heißt, alle Menschen in seine Lebensschule einzuladen. Gut: auch selbst Schülerin werden, mich berühren lassen von seinem Freundschaftsangebot. Plötzlich werden eigene Schwächen sichtbar und spürbar. Auch gut gelernte Theologie verblasst im Reden-Wollen über das, was mir Halt gibt, wer Gott für mich ist. Nicht genügend. Doch Gott ist barmherzig, schenkt Brüder und Schwestern: in Gemeinschaft lernen; wie damals.
Sammlung und Sendung Aus der Apostelgeschichte haben wir zwei große Begriffe herausgefiltert: Sammlung und Sendung. Immer wieder treffen sich die Jünger und Jüngerinnen, tauschen sich aus über das, was der Herr wirkt, beten gemeinsam um Wunder, Zeichen und Heilung. Daraus kommt die Kraft zur Mission, zur Sendung. Man kann sich nicht selbst senden. Mission also als Zentrifugalkraft der Kirche. Sendung – Kirche ist Proexistenz, sie ist für andere da. Aber eine Zentrifugalkraft setzt eine Zentripetalkraft voraus: Sammlung. Die katholische Höchstform heißt Eucharistie,
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ist aber nicht die einzige Form von Sammlung. Womöglich brauchen wir vielfältige gemeinsame (Ver-)Sammlungserfahrung, damit wir neu „eucharistiefähig“ werden?! Wir müssen Erzähl- und Deutungsgemeinschaft werden (wie in Lk 24 beschrieben), um den Herrn in der Eucharistie erkennen zu können. Aus dem Begriffspaar Sammlung und Sendung hat sich das Konzept für den Prozess Apg 2010 entwickelt. Lange haben wir gerungen über Größe und Dauer des Prozesses, denn Zeit ist eines der wertvollsten Güter. Eine Romwallfahrt, drei dreitägige Diözesanversammlungen, eine Missionswoche – ist das zumutbar? Nein, ist es nicht. Außer – es passiert etwas ganz Wesentliches, etwas, wofür man dankbar sein kann, worüber man unmöglich wird schweigen können. Nun gut, das können wir nicht machen. Das Einzige, was wir machen können, ist einen Raum zu öffnen, zu gestalten, in dem Begegnung stattfinden kann. Möglichkeiten anbieten, die Erfahrungswelten öffnen. Wir brauchen einen Raum, in dem wir offen reden und zuhören können, in dem wir lernen, auf andere zuzugehen. Wertschätzung und liebevolle Aufmerksamkeit sind dafür wichtige Zutaten, neben einem guten Kaffee, Tee und einer gewissen Ästhetik. Und – wir müssen beten: um Zeichen und Wunder. Wir müssen uns getragen wissen vom Gebet unserer Brüder und Schwestern. Müssen darauf vertrauen lernen, dass auch heute Zeichen und Wunder geschehen.
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Umkehr ist angesagt. Alle Pläne und Zielformulierungen über Bord werfen, Vertrauen lernen. Ein mühsamer Weg für Leute, die gern alle Fäden in der Hand und den Überblick haben und wissen, wo es langgeht. Angewiesen sein auf das Wohlwollen der anderen. Ohrfeigen einsammeln. Ein großes Wagnis beginnen – ohne Papier: Hinhören, was der Herr uns heute sagen will.
Der Prozess Der Stephansdom schien uns der richtige Ort für die Diözesanversammlungen zu sein – die Kathedrale in der Erzdiözese Wien. Aufeinander und gemeinsam auf den Herrn hören – beides ineinander, aufeinander bezogen wie gemeinsames Priestertum und Dienstpriesteramt. Gebets- und Feierversammlung als tragendes Fundament für Auseinandersetzung. Das braucht Zeit und Geduld. Eine Wallfahrt nach Rom, auf den Spuren der Apostel, im Paulusjahr: In unserem Gepäck haben wir neben dem alltäglichen Kleinkram auch die Zukunft der Erzdiözese Wien, unsere Zukunft mit allen Herausforderungen als Wallfahrtsbitte – schweres Gepäck, so viele Fragen. Wir gehen mit Paulus den Weg der via appia antica auf Rom zu, feiern bei den Callistus-Katakomben die Vesper, ahnen schon ein wenig vom Schiffbruch. Wissen uns aber hineingenommen in die große Heilsgeschichte und können Ballast abwerfen, zumindest als Bitte.
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So steuern wir (trotz akribischer Vorbereitung) in die Ungewissheit der ersten Diözesanversammlung im Wiener Stephansdom, 1200 Delegierte aus fast allen Pfarren, Ordensgemeinschaften, kategorialen Einrichtungen, Gemeinschaften und Bewegungen der Erzdiözese Wien sind angemeldet: Die Erwartungen sind hoch, angespannte Atmosphäre – loslassen, Vertrauen lernen. Der Bischof trägt die Heilige Schrift durch die Versammelten im Dom: „Verkündend das Reich Gottes – mit allem Freimut, ungehindert …“ – die letzten Worte der Apostelgeschichte als Leitmotiv und als Brücke zum Heute. Was/Wen verkünden wir? Das war die erste Frage. Schaffen wir eine gemeinsame Verständigung und Ausrichtung darauf? – Jesu Herz ist geöffnet für die Welt! Anknüpfen beim Verbindenden, um mögliches Trennendes zu bewältigen. Vieles hindert uns aber auch, haben wir festgestellt – Strukturelles wie Persönliches, Vergangenes, alte Wunden, Sprachlosigkeit, (mangelnde) Erfahrungen. Gemeinsam können wir kleine Schritte machen. Dankbarkeit lernen – Erwartungen auf das Wesentliche konzentrieren. Mit dem Psalm 27 haben wir uns eingestimmt: „Hoffe auf den Herrn und sei stark! Hab festen Mut, und hoffe auf den Herrn!“ (Ps 27,14) Möge es lange nachklingen. Fünf Monate später – die zweite Diözesanversammlung – 1400 Delegierte (200 sind dazugekommen). Mitten in einer der dunkelsten Zeiten der jüngeren Wiener Kirchengeschichte, denn Miss-
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brauchskandale der Kirche füllen die Zeitungen. Es tut weh, erfüllt mit Scham. Plötzlich schweigen wollen. Das Thema der Versammlung: „Wie verkünden wir? – Mit allem Freimut, ungehindert.“ Wieder ein Paradox. Vielleicht war es gut, dass die Versammlung mitten in der Fastenzeit stattfand. Die Erinnerung an das Kreuz war prägend und nachhaltig. Gerade hier wurde klar, dass so vieles nicht planbar ist. Die Erfahrung von Gemeinschaft in der Versammlung hat sich verdichtet. Mit Christi Himmelfahrt beginnen wir in guter alter Tradition eine Novene, wie Maria mit den Aposteln und den Frauen gemeinsam im Obergemach (Apg 1,13f): vertrauend und doch angsterfüllt. Doch Gottes Geist wirkt auch durch verschlossene Türen. Dann kann Pfingsten passieren, weil sein Geist uns heute von Neuem antreibt. Allein die Freude darüber kann missionarische Kraft haben – noch ganz absichtslos. Raus auf die Plätze und Straßen, Türen und Tore weit öffnen, weil es uns guttut und weil wir eine Heilsgewissheit erfahren haben, die wir mit allen teilen möchten, weil Gott selbst Mensch wurde, um uns ganz nahe sein zu können, weil seine Sehnsucht nach uns ihn ganz verzehrt hat. Zur Freiheit hat er uns berufen, heilig sollen wir werden, weil wir heilig sind – nicht aufgrund unserer Werke, unserer Verdienste, sondern weil er uns liebt. Das ist Gnade, sein Geschenk an uns. Und darum können wir auf andere Menschen zugehen, mit ihnen leiden und lachen, ihnen zuhören, aufmerksam und
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liebevoll sein. Nicht die Kirche verkünden wir, sondern als seine Kirche verkünden wir ihn, dürfen wir seine Frohe Botschaft mit den Menschen teilen, besonders mit den Armen und Leidenden. Das entlastet und befreit.
Die Dynamik von Sammlung und ...
vor dem eucharistischen Herrn den Abschluss dieses Kapitels Apostelgeschichte, das wir in diesen zwei Jahren mitschreiben durften. Er sendet uns aus dieser Sammlung heraus aufs Neue in unser, in sein Heute: Reich Gottes zu verkünden – mit allem Freimut, ungehindert …
Zeit des Aufbaus In der ersten Diözesanversammlung hat er sich herauskristallisiert, in der zweiten wurde er angekündigt: ein Studientag zum Thema „Gemeinde“ als Vorbereitung für die dritte Diözesanversammlung. 250 Delegierte werden eingeladen, sich einen Tag lang konzentriert den Herausforderungen zu stellen, vor denen das Leben der Gemeinde vor Ort in Zukunft steht. Als Schwestern und Brüder vor Ort Gastfreundschaft leben im Sinn des Evangeliums. Eine Zeit des Gemeinde-Aufbaus steht uns bevor! Die dritte Diözesanversammlung – ein Jahr nach der ersten – 1500 Delegierte: Zeit, Erfahrungen auszutauschen: Was hat der Herr gewirkt, auch durch mich und uns? Was heißt das heute für mich als Christ/als Christin in meiner Berufung in der Welt, in meinem kirchlichen Dienst? – Perspektiven, Selbstverpflichtungen. Nach all den Erfahrungen und der Freude, die wir während der Missionswoche erlebt haben, steht uns die Erzählung aus Apg 27 und 28 ins Haus: der Schiffbruch vor Malta und unsere Zukunft als Christinnen und Christen in der Erzdiözese Wien. Ein Schiffbruch ist kein verheißungsvolles Zukunftsmodell. Dennoch waren es die großen und mächtigen Bilder in dieser Erzählung, die uns getröstet in die Zukunft schauen lassen. Nicht die Suche nach Schuld und Schuldigen, nicht das Festklammern an Liebgewordenem: Umkehr – Neuausrichtung ist die Herausforderung. Und wieder ein Lied nach einem Psalm: „Du führst mich hinaus ins Weite. Ja, du machst meine Finsternis hell. Ich will dich rühmen Herr, meine Stärke.“ (vgl. Ps 18) Die Erinnerung an das Geschenk der Taufe, die Zusage Gottes „Du bist mein geliebtes Kind! Du hast meinen Geist empfangen!“ bildete mit einem gemeinsamen schweigenden Augenblick
In der Lebensschule Jesu Und wieder von Neuem in die Lebensschule Jesu gehen, seine Schülerin sein, vom Meister lernen: sein Zugehen auf die Menschen, sein Mitgehen und Mitleiden, sein aufmerksames „Da-sein“ und seine Hingabe für die Nöte der Menschen, seine heilende Umarmung. Ja, auch mein Herz brennt. Ein wenig besser verstehe ich nun die Jünger mit Beinamen Emmaus. Die Sehnsucht bleibt, dass er mitgeht, uns den Sinn der Schrift erschließt und unser Leben und die Welt darin deutet, dass wir ihn erkennen können, wenn er im gebrochenen Brot gegenwärtig ist. „Bin ich/Sind wir (noch) erfüllt von der Freude in Fülle, die ansteckt? Von der Freude, Gott zu erkennen und von Ihm erkannt zu werden, Ihn zu schauen und Ihm anzugehören?“ (vgl. Evangelii nuntiandi 9) Wie können wir uns gegenseitig dabei helfen, einander ermutigen? Wie können wir als Kirche gemeinsam Licht der Welt, Salz der Erde, Freude und
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Andrea Geiger: Freude in Fülle haben
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Hoffnung für die Menschen werden, gerade auch benden sind wir gefragt. Hören wir weiter aufeinfür die, die am Rand (oder schon im Abseits) der ander und auf Ihn. Am Ende des Prozesses Apg 2010 Wohlstandsparty immer mehr werden? Seit Anbe- stehen keine gefüllten Aktenordner mit Protokolginn der Kirche scheint das ein „Dauerbrenner“ zu len und Anweisungen. Apg 2010 war keine ISO-Zersein. Hätte sonst Paulus schon an die Galater (4,15) tifizierung für die Erzdiözese Wien. Vielmehr sollte schreiben müssen: „Wo ist eure Begeisterung geblieben?“ Welche Strukturen sind hilfreich, dienlich? Am tiefsten berührt haben mich Freude Wie setzen wir die vorhandenen und Dankbarkeit vieler Versammelter Ressourcen in Zukunft ein, um zu über und für den Weg, den sie durch den unterstützen, zu fördern und zu Prozess Apg 2010 gegangen sind (auch begleiten? ich freue mich über meinen). Aber am Ein schwieriger Weg liegt vor aufregendsten für mich waren die uns. Angewiesen werden wir sein Momente, als wir nebeneinander auf auf den langen Atem von Gottes der Schulbank Jesu saßen im Dom, im Geist, die Freude als Schwestern Cafézelt, beim Essen, auf der Straße in und Brüder ausgesetzt zu sein der der Missionswoche und vielleicht auch Gastfreundschaft der Welt. Die Leein wenig voneinander abgeschrieben haben. Der Meister bensschule Jesu strukturiert sich, war gütig, hat sich gefreut, wenn wir uns gegenseitig hilfzumindest im biblischen Modell, reich zur Seite gestanden sind – gerade in Prüfungen –, nicht in „Klasse-Zimmern“, hat weund hat uns verschmitzt zugezwinkert: Genau so! nig von barockem Prunk. Selbst Hütten zu bauen ist bei Jesus nicht Andrea Geiger ist Gesamtkoordinatorin des Prozesses Apg 2010. en vogue, pastorale Wehrtürme genauso wenig wie Elfenbeintürme. Von diplomatischen Banketts und staatstragenden Audienzen ist auch nicht viel die durch uns ein Hauch spürbar werden, wie Paulus an Rede. Vielmehr ist die Lebensschule Jesu ein Weg die Korinther schreibt: „Unverkennbar seid ihr ein des Hingehens zu den Menschen im Allgemeinen Brief Christi, ausgefertigt durch unseren Dienst, und im Speziellen zu den Ausgestoßenen und Aus- geschrieben nicht mit Tinte, sondern mit dem Geist sätzigen. Bleibt die Frage: Zu wem würde Jesus des lebendigen Gottes, nicht auf Tafeln aus Stein, heute hingehen? Womöglich zu den Einsamen und sondern – wie auf Tafeln – in Herzen von Fleisch.“ Verrückten, den Süchtigen und Leidenden, den Party- (2 Kor 3,3) junkies und den Hungernden … Plötzlich kommen Oder eben: Apg 2010/Masterplan – „… damit wir wir nebeneinander zu sitzen auf der Schulbank Seine Freude in Fülle in uns haben“ (vgl. Joh 17,13c). Jesu: Bischöfe, Priester, getaufte Frauen und Männer, junge und alte Leute.
Weil das Herz brennt Machen wir es uns also nicht zu einfach. Schieben wir den Ball nicht auf andere, die es vielleicht besser machen sollten, könnten. Jede und jeder ist persönlich gefragt. Und als Gemeinschaft von Glau-