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Pränataldiagnostik und behindertes Leben Herausgegeben von Franz-Joseph Huainigg und Aktion Leben
Redaktionelle Mitarbeit von Simone Fürnschuß-Hofer und Renate Göschka
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Allen Beiträgerinnen und Beiträgern herzlichen Dank für die Abdruckgenehmigung. Besonderen Dank für die Abdruckgenehmigung an die Teilnehmer/innen beim „Literaturpreis Ohrenschmaus“ (www.ohrenschmaus.net / Ehrenschutz Felix Mitterer).
Lektorat: Brigitte Hilzensauer, Wien Redaktionelle Mitarbeit: Simone Fürnschuß-Hofer und Helene Göschka Umschlagbilder: Linda Wolfsgruber Umschlaggestaltung: Nele Steinborn Herstellung und Satz: Tina Gerstenmayer, adpl-solutions International – Division Publishing, Wien Druck und Bindung: Druckerei Theiss, St. Stefan © 2010 by Wiener Dom-Verlag Wiener Dom-Verlag Gesellschaft m. b. H., Wien Printed in Austria. Alle Rechte vorbehalten ISBN: 978-3-85351-217-3 www.domverlag.at
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Ich habe in allen Moralen, in allen philosophischen Systemen nach Prinzipien des Verhaltens anderen Menschen gegenüber gesucht und nur sehr wenig gefunden. Ich habe einen Grundbegriff des Guten gesucht, der uns leiten könnte, der uns unsere Pflichten uns und anderen gegenüber erklären könnte. Aber ich ging leer aus. Denn es gibt nur einen einzigen Grundbegriff: erfüllt zu sein vom Geheimnis des Lebens und von der Ehrfurcht vor dem Leben. Mit diesem Begriff kommen wir weiter, so werden wir andere Menschen. Albert Schweitzer
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Inhaltsverzeichnis Vorwort | Martina Kronthaler................................................ 9 Mit jedem Meter kommt neue Kraft | Peter Radtke.................. 11 Schadensfall Kind? | Franz-Joseph Huainigg....................... 14 Für ein neues Bewusstsein | Simone Fürnschuß-Hofer.......... 23 Das grausame Leben! | Andreas Kreidl.................................. 27
Schwangerschaft und Pränataldiagnostik: Eltern erzählen Verdacht: behindert | Ruth Schlag.........................................30 Ein Ende mit Schrecken | Martina*...................................... 35 Ungewissheit und wie man mit ihr umgeht | Hans Rauscher.... 39 Ich bin 24 Jahre alt und groß | Johannes Sartori..................... 43 Emil, gestorben am 26. 10. 2003, geboren am 29. 10. 2003 | Petra Hainz.................................. 45 Ein ganz besonderes Geschenk | Edith Zobler......................... 51 Als die Gazelle über das Meer sprang | René Stangl................. 52 Die schwere Entscheidung | Onur* ........................................53 Über das harte Leben, wenn man sich nicht traut | Christian Aigner.. 57 Emil, schön dass du da bist! | Sabine Karg............................. 59 Abschied von Katharina | Andrea*......................................... 64 Ich bin Jürgen, ein Genie | Jürgen Bonner............................. 70 Ein Wechselbad der Gefühle | Tanja und Gerhard* ............... 73
Eltern berichten über das Leben mit einem behinderten Kind Behinderung – ein Hindernis? | Gertraude Lang.................... 80 Ein Mensch, der uns gut tut | Simone Fürnschuß-Hofer.......... 88 Wenn ich ein Major wäre | René Stangl................................. 92 Mein Leben mit Bettina | Uschi Dunzinger-Präg.................. 93
Erfahrungsberichte behinderter Menschen Für eine Kultur der Gehörlosen | Helene Jarmer................... 100
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Vaterliebe | Stefan Mann................................................... 104 Vom Licht ins Dunkel? | Michael Krispl.............................. 106 Strandgespräch | Gregor Demblin...................................... 116 Der böse Gerhard | Renate Gradwohl.................................. 120
Expertendiskurse zum Themenfeld Schwangerschaft, Pränataldiagnostik und Beratung Psychosoziale Beratung bei Pränataldiagnostik | ChristineDvorak.. 122 Der Wetterbericht | Rudolf Kreil......................................... 130 Von der Macht der Emotionen | Andrea Strachota................. 131 Hektik | Arnold Kozak....................................................... 138 Damit Heilung möglich wird | Renate Mitterhuber................ 139 Segen und Fluch der Pränataldiagnostik | Edeltraud Voill..... 145 Verantwortung abnehmen, Unterstützung zusichern | Brigitte Steingruber..................................... 148 Der Winter | Gabriele Groß............................................... 151 Gedanken zu Behinderung und Gesundheit | Florian Baumgartner 152 „Das Kind als Schaden“ | Stephanie Merckens...................... 162 Zur Problematik des „Spät-Abbruchs“ | Peter Husslein / Dieter Bettelheim.............................. 166 Ein Leben in Krankheit | Andreas Kreidl............................. 171 Ethik im Kontext der pränatalen Diagnostik | Gerhard Marschütz 172 Kind als Schaden | Ulrike Riedel........................................ 190 Spätabtreibung: Zur österreichischen Rechtslage im europäischen Rechtsvergleich | Maria Eder-Rieder.......... 204 Die Ungeduld | Günther Berger.......................................... 214
Anhang Ein Leitfaden für begleitende Beratung | Wolfgang Arzt........ 216 Adressen und Hinweise...................................................... 220 Glossar............................................................................. 224 Kurzbiographien................................................................ 226
Anmerkungen................................................................. 232 * Namen der Redaktion bekannt
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Vorwort Martina Kronthaler Wer heute ein Kind erwartet, kommt kaum am Thema Pränataldiagnostik vorbei. Damit verbunden ist die Hoffnung, das Kind möge gesund oder nicht behindert sein. Eltern nutzen daher die angebotenen Untersuchungen, die Aufschluss über den Zustand ihres ungeborenen Kindes zu geben versprechen. Und stehen bei einer Auffälligkeit plötzlich vor der Frage: „Sollen oder wollen wir ein Kind mit einer Behinderung, mit einer Chromosomenabweichung wie dem DownSyndrom bekommen oder nicht?“ Es ist eine Frage über Leben und Tod eines Menschen. Es ist eine Frage über Macht und Ohnmacht der Gesellschaft, Menschen mit Behinderungen oder einer anderen genetischen Ausstattung selbstverständlich leben zu lassen – nicht im Sinn von „gewähren lassen“, sondern im Sinn von „sein lassen“. Den Menschen sein und damit leben lassen, wie er ist, das fällt heute schwer. Dieses Buch lädt dazu ein, sich mit den Gründen dafür auseinanderzusetzen. Eine Ursache, warum auffällige Ergebnisse einer Pränataldiagnostik Eltern in tiefe Krisen stürzen, ist sicher, dass die wenigsten Erfahrung mit Behinderung haben; wenige haben darüber nachgedacht, „was denn wäre, wenn...“. Und die allerwenigsten können sich vom ersten Moment an vorstellen, dass ein Leben mit einem behinderten Kind lebenswert und erfüllt sein kann. In diesem Buch geht es also um eine der schwerwiegendsten Fragen unserer Zeit. Es geht um Pränataldiagnostik und ihre Konsequenzen für Kinder und Erwachsene mit Behinderung, für Eltern, die ein Kind erwarten, für die beteiligten Ärzt/innen und Hebammen und für die Rechtsprechung. Ein Programm, das eigentlich eine Zumutung darstellt. Aber genau das bedeutet die Pränataldiagnostik auch. Sie mutet uns un9
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endlich viel zu – nach allen Seiten hin. Unser Buch, angestiftet von Franz Joseph-Huainigg, herausgegeben von aktion leben österreich und gemeinsam mit Simone FürnschußHofer erarbeitet, will diese vielen Seiten beleuchten. Und so kommen denn auch viele Menschen zu Wort, angefangen von Eltern, die mit einem auffälligen Befund für ihr ungeborenes Kind konfrontiert waren. Es erzählen jene von ihren Beweggründen, die sich für einen Abbruch der Schwangerschaft entschieden haben, und jene, die sich auf das Abenteuer behindertes Kind eingelassen haben und daran gewachsen sind. Wir sind allen diesen Eltern sehr dankbar für ihr Vertrauen. Menschen mit Behinderung geben uns einen Einblick in ihr Leben, auch in poetischer Form, und erweitern somit unseren Blickwinkel. Das Buch zeigt zudem die unterschiedlichen Zugänge von Ärzt/innen und die Spannung, in der sie oft stehen. Dies führt direkt zum politisch-juristischen Teil. Schließlich gestaltet die Politik die Bedingungen, unter denen Familien mit behinderten Kindern und Erwachsene mit Behinderung leben (müssen). Ob weiterhin Ansprüche auf Schadenersatz im Zusammenhang mit behindert geborenen Kindern zugesprochen werden sollen oder nicht, ist ebenfalls Sache der Politik. Jurist/innen erklären die komplexen Gedankengänge hinter diesen Urteilen. Der ethische Aspekt der Pränataldiagnostik wird ebenfalls ausführlich abgehandelt. Abgerundet wird das Buch durch einen Serviceteil über Beratung und Einrichtungen, die weiter informieren, vernetzen und helfen. Das Buch „Aus dem Bauch heraus…“ soll schließlich auch dazu beitragen, dass Entscheidungen weder bloß intuitiv noch allein mit dem Kopf getroffen werden. Sie werden stimmig, wenn Gefühl und Verstand einander ergänzen. Dazu bedarf es umfassender Information und offener Aussagen. Das alles finden Sie in diesem Buch.
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Mit jedem Meter kommt neue Kraft Peter Radtke Lieber Franz, Du bittest mich, für Dein Buch ein Vorwort zu schreiben. Du meinst, das erfolgreiche Leben eines behinderten Menschen könne Vorbildfunktion haben und Eltern Mut machen, Ja zur Geburt eines behinderten Kindes zu sagen. Da bin ich mir nicht so sicher. Jedes Schicksal ist einmalig und kann mit keinem anderen Schicksal verglichen werden. Was der eine schafft, ist dem anderen unmöglich. Doch darin liegt auch eine Hoffnung. Woran der eine scheitert, das kann vielleicht dem anderen gelingen. Als meine Eltern nach meiner Geburt von den Ärzten die ernüchternde Diagnose erhielten: „Dieses Kind wird nicht älter als drei Monate“, brach für sie wahrscheinlich eine Welt zusammen. Keiner machte ihnen Mut. Warum sollten sie den Ärzten nicht glauben? Sie taten es nicht und damit retteten sie mir vermutlich das Leben. Nein, keiner machte ihnen Mut, im Gegenteil. Es war die unselige Zeit der Nazidiktatur, und Menschen wie ich hatten kein Recht zu überleben. Vielleicht war es aber gerade dieser Kampf gegen die äußeren Widerstände, der ihnen die Kraft gab, dort weiterzumachen, wo andere aufgegeben hätten. Wenn man am Fuß eines Berges steht, glaubt man vielleicht nicht, dass man jemals die Spitze erreichen könne. Dann entschließt man sich, den Aufstieg zu wagen. Man macht die ersten Schritte, und mit jedem Meter wächst einem neue Kraft zu. Man kommt dem Gipfel näher und irgendwann hat man das Ziel erreicht, das man zunächst außerhalb der eigenen Möglichkeiten wähnte. So ähnlich muss es wohl meinen Eltern ergangen sein. Jeder kleine Erfolg machte Mut für den nächsten Schritt. Es kam nicht da11
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rauf an, was in einem Monat, in zwei, drei, fünfzehn Monaten sein würde. Nur das Jetzt und Heute zu bestehen, darauf kam es an. Nach zwei Jahren war der Spuk vorbei und ich lebte noch immer, trotz der Aussagen der Ärzte und der Nachstellungen der Machthaber. Allerdings half mir damals ein Umstand, ohne den ich wahrscheinlich nicht überlebt hätte: Es gab noch keine Pränataldiagnostik. Meine Eltern liebten mich, trotz meiner Behinderung. Dennoch weiß ich nicht, wie sie sich entschieden hätten, hätte man ihnen schon vor der Geburt meine lebenslange Abhängigkeit vom Rollstuhl, die über hundert Knochenbrüche, die ich erleiden würde, und die damit verbundene Verkrüppelung meines Körpers vorausgesagt. Wäre die Möglichkeit einer vorzeitigen Abtreibung nicht eine allzu große Verlockung für sie gewesen? Meine Eltern waren Helden des Alltags, aber sie waren keine Übermenschen. Ein Übermensch muss man aber wahrscheinlich sein, wenn man heute den Sirenenklängen der modernen Medizinversprechungen widerstehen will. Ein Leben ohne Schmerzen, Krankheit und Behinderung, wie es uns in euphorischen Wissenschaftsvisionen vorgegaukelt wird, wer könnte sich dem entziehen? Ich ahne, nein, ich bin fast sicher, dass auch meine Eltern den scheinbar leichteren Weg gegangen wären. Doch damit hätten sie nicht nur mich sondern auch sich selbst um wertvolle und bereichernde Erfahrungen gebracht. Sie hätten nicht das Glück des Augenblicks zu genießen gelernt, konnte doch jede langfristige Planung durch den nächsten Knochenbruch über den Haufen geworfen werden. Sie hätten nie begriffen, dass auch Selbstverständlichkeiten nicht unbedingt selbstverständlich sind. Sie hätten den Wert eines Menschenlebens nie in seiner vollen Tiefe erfasst, wie sich ihnen dies durch den Kampf um mein Dasein erschloss. Bitte, verstehe mich nicht falsch. Ich will nicht meine Behinderung glorifizieren. Ich will nur erklären, dass es ein Irrtum ist, Behinderung automatisch mit Leid, Unglück und Kum12
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mer gleichzusetzen. Gewiss gab es Zeiten, in denen meine Eltern gerne mit Eltern gesunder Kinder getauscht hätten. Aber dann wieder gab es Momente, wo sie um nichts in der Welt mit anderen hätten tauschen wollen. Auch nach den Jahren des härtesten Überlebenskampfes kam es zu Phasen echter Herausforderung. Als mich zum Beispiel keine Schule aufnehmen wollte, aus Angst vor etwaigen Unfällen. Sonderschulen gab es damals zum Glück noch nicht, sonst wäre ich sicher nicht geworden, was später aus mir wurde. Meine Eltern gaben nicht auf. Sie suchten und fanden einen pensionierten Lehrer, der mir im Privatunterricht alle wichtigen Kenntnisse für das zukünftige Leben beibrachte. Nie werde ich die Ermahnung meiner Mutter vergessen: „Du musst mehr können als andere, wenn du das Gleiche erreichen willst.“ Dass ich heute zu den „Behindertenpromis“ gehöre, verdanke ich zum größten Teil meinen Eltern. Sie schenkten mir das Leben, aber auch die Kraft, dieses Leben zu bestreiten. Lieber Franz, Du meinst, ich könne für werdende Eltern Vorbild sein. Nein, nicht ich wäre das Vorbild, höchstens meine Eltern. Die aber würden wahrscheinlich sagen: „Warum? Wir haben doch nur das getan, was alle Eltern für ihre Kinder tun, die sie lieben.“
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