Verlorene Wörter - Leseprobe

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Impressum Hinweis Fotos ### Ein Teil der hierveröffentlichten Texte wurden zuvor in der Wochenzeitschrift „Der Sonntag“ abgedruckt. Umschlagbild und Abbildungen im Innenteil: Angelika Kaufmann Grafische Gestaltung und Satz: Nele Steinborn Schrift: Eidetic Neo Herstellung: Mag. Tina Gerstenmayer, adpl-solutions International – Division Publishing, Wien Druck und Bindung: ### © 2009 by Wiener Dom-Verlag Wiener Dom-Verlag Gesellschaft m. b. H., Wien Printed in Austria. Alle Rechte vorbehalten ISBN: 978-3-85351-208-1 www.domverlag.at


Joop Roeland

Verlorene Wรถrter Mit Arbeiten von Angelika Kaufmann

wiener verlag


Vorwort Einmal sind bestimmte Wörter, die uns jetzt fremd geworden sind, leichtfüßig gegangen. Damals haben sie sich nicht schwergetan und sind mit leichter Selbstverständlichkeit von Mund zu Mund gegangen. Dann aber sind sie alt geworden, sie verloren ihre Jugendfrische, wurden rheumatisch. Und wie das so ist, wenn man alt ist: Man wird auf ein Abstellgleis gestellt und gerät in Vergessenheit. Verlorene Wörter, weil man sich selten an sie erinnert. Vor einigen Jahren bin ich zum ersten Mal auf diese armen verlorenen Wörter aufmerksam geworden. Das war in Berlin, im Berliner Dom. Hier las ich die Einladung, „unsere Gottesdienste der verlorenen Wörter“ zu besuchen. Als Beispiel wurden verlorene religiöse Wörter genannt: „Reue“ und andere. Die Einladung machte mich nachdenklich. Nicht nur religiöse Wörter haben wir verloren, auch profane. Bei manchem Wort ist es gut, dass es das nicht mehr gibt. Bei anderen Wörtern ist es schade. Wer anfängt verlorene Wörter zu sammeln, hat vorläufig etwas zu tun. Eine Auswahl aus dieser Tätigkeit haben Sie jetzt in der Hand. Es ist natürlich kein atemberaubendes Opus, bei dem die Höhen und Tiefen des menschlichen Daseins zur Sprache kommen. Es sind eher Notizen zu den Randerscheinungen des Lebens, zu dem Zufälligen und Beiläufigen.

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Es ist selbstverständlich auch keine wissenschaftliche Arbeit. Das war nicht meine Absicht. Fußnoten gibt es nicht. Aber ich habe den wissenschaftlichen Befund nicht ganz außer Acht gelassen. Als eine Art „General-Fußnote“ möchte ich die wichtigste Quelle, aus der ich immer wieder geschöpft habe, nennen: Friedrich Kluge, Etymologisches Wörterbuch. Auch andere Wörterbücher haben mir geholfen, Duden zum Beispiel. Eines hat mich bei dieser bescheidenen Pflege verlorener Wörter im Nachhinein erstaunt: Wie all diese Randerscheinungen, Lappalien manchmal doch verweilen lassen in einer Zeit, die vorüber ist. So lebten wir einmal. Die Sprache verrät uns. Es ruft eine gewisse Nostalgie auf, jenen Tonfall der Vergangenheit wieder zu hören. Silvestergefühle mitten im Sommer. Die Sprache der verlorenen Wörter ist der Wortschatz der Vergangenheit. Bei dieser Schatzsuche hatte ich auch Hilfe, für dich ich dankbar bin. Ich danke dem Wiener Dom-Verlag, der diesen armen verlorenen Wörtern sofort Obdach gegeben und weiter betreut hat. Ich danke auch Frau Silvia Rühringer, kompetente Führerin durch das Land der Computersprache für alle Gehbehinderten. Dankbar bin ich auch der Wochenzeitschrift „Der Sonntag“ für die Veröffentlichung eines Teils dieser Wörter. Eine große Freude ist die grafische Gestaltung dieser Wortsammlung durch Angelika Kaufmann.

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Inhalt

antichambrieren Armleuchter Augentrost ausverschämt Backfisch Bänkelsänger Barbier Blaustrumpf Boudoir Box Chaussee Demut Donnerwetter Durchschlag Eremit Flegeljahre Frauenzimmer Galgenschwengel Gassenhauer Gnade Greißler Grillenfänger


Hagestolz

Neunundneunziger

Halskrause

Nothelfer

Heidenlärm

Ohnmacht

Heiland

Prügelknabe

Heinzelmännchen

Quatember

Himmel

Ringelspiel

Himmelstau

Salzamt

Hochwürden

Sardonisch

Hula-Hoop

Schabernack

Inkunabel

Schimpf

Jurajäger

Teach-in

Kleinod

Tränental

Lakai

Trockenwohner

Leichenschmaus

Ulk

Leo

Verballhornen

Lichtspiele

Verkünden

Lustwandeln

Vierteltelefon

Majestätsbeleidigung

Wächter

Miselsucht

Waschbrett

Muckefuck

Xanthippe

Mummenschanz

Yankee

Murmelspiel

Zauberlaterne



Armleuchter ist ein Kandelaber und als solches kein verlorenes Wort. Vergessen ist die Verwendung dieses Wortes als Schimpfwort. Entstanden als ein Verschleierungswort, um ein ähnlich anlautendes, aber banales Wort zu vermeiden. Wenn man schon schimpft, so möchte man dabei doch den vornehmen Anschein nicht verlieren. Nun habe ich noch eine ganz andere Erklärung für die herabsetzende Verwendung des Wortes Armleuchter gelesen. In alter Zeit habe man arme Leute gemietet, um das Licht zu halten: Armleuchter. Ich glaube nicht, dass das stimmt – angesichts der Fülle langweiliger Öllämpchen, die man bei Ausgrabungen immer wieder findet. Aber die Vorstellung solcher leuchtenden Armen ist schön. Armut ist natürlich nicht schön und Bettler können ziemlich lästig sein. Ich wohne in einer Gegend, wo es viele gibt. Oft ärgert man sich. Aber sie lassen uns auch fragen nach den Werten in unserer Konsumgesellschaft. Nach dem Sinn eines Weltraumflugs einer iranischen Frau um 26 Millionen Euro in einer Zeit, in der Millionen Menschen hungern und auf der Flucht sind. Bei manchem Bettler geht uns doch ein Licht auf.

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Flegeljahre Damit ist gemeint, so teilt ein Lexikon mit: „die Übergangszeit, in der sich Halbwüchsige formlos benehmen.“ Dieses formlose Benehmen ist für Leute, die diese Phase schon hinter sich haben, nicht immer erfreulich. Allerdings sind die Flegeljahre auch für die Betroffenen nicht leicht. Sie sind voller Zukunftssorgen und Prüfungsängsten und so toll ist der immer laut eingeforderte „Spaß“ in der Freizeit nun auch wieder nicht. Für die Leute meiner Generation, die die Flegeljahre in der Kriegszeit erlebten, sind diese Jahre als Flegeljahre unauffällig vorbeigegangen. Das Flegelhafte von heute galt damals eher als heldenhaft: zum Beispiel die Verhöhnung eines Nazilehrers, der ein Lobgedicht zum Geburtstag Adolf Hitlers veröffentlicht hatte. Der Direktor mahnte seine Schüler, aber bestrafte sie nicht. Nun stieß ich bei meinen Nachforschungen über das Wort Flegeljahre auf das Wort Flegeltage. Das ist ein gutes Wort für alle, die die Flegeljahre versäumt haben. Sie sollten einmal im Monat einen Flegeltag einlegen, an dem sie – sich formlos benehmend – keine Bilanzen, sondern Gedichte lesen.

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Muckefuck Als „dünner Kaffee, Kornkaffee“ erklärt ein Lexikon dieses vergessene, ironische Wort. Es wurde wohl aus dem Französischen gebildet: „mocca faux“, falscher Mokka. Vor einem falschen Kaffee braucht man sich in Wien nicht zu fürchten. Wenn etwas echt ist in Wien, so ist es der Kaffee. Die Kaffeekantate von Johann Sebastian Bach (1732) setzt sich auf fröhliche Weise mit der damaligen Verbreitung des Kaffeetrinkens auseinander. Bach selbst war ein eifriger Kaffeetrinker. Besungen wird der Leipziger Herr Schlendrian, der seine Tochter Lieschen von der Gewohnheit des täglichen Kaffeetrinkens abzubringen versucht. Leider teile ich mit Lieschen diese Sucht. Auch das Muckefucktrinken hat mich nicht auf den guten Weg gebracht. Man bekommt jenen Ersatz vor allem in religiösen Häusern und Rehabzentren. Einmal in einem solchen Zentrum fand ich bald einen Arzt, der gleichfalls an den Muckefuck nicht glaubte und mir bereitwillig den Gutschein für einen normalen Kaffee ausstellte. Lieschen, dein Vater Schlendrian versuchte dich mit der Aussicht auf eine Ehe vom Kaffee abzuhalten. Jener Arzt wäre ein guter Verlobter für dich gewesen.

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Vierteltelefon gehört zu jenen Wörtern, die die Entwicklung der Technik aus dem Vokabular moderner junger Leute gestrichen hat. Langspielplatte gehört dazu, seit Kurzem auch Telegramm, bald auch wohl Fax und Briefmarke. Dabei ist das Vierteltelefon noch gar nicht so lange Geschichte. Es war eine Erfindung der österreichischen Post. Vier Haushalte hatten miteinander einen gemeinsamen Kabelanschluss, aber jeder Haushalt hatte seine eigene Telefonnummer. Man konnte nicht gegenseitig mithören. Und was man auch nicht konnte, war: gleichzeitig telefonieren. Wenn über eine Nummer telefoniert wurde, mussten die anderen warten. Das war lästig, aber billig. Heute, wenn man das vielsprachige Handygerede in der U-Bahn erleidet, kann man sich das Warten auf eine freie Leitung kaum noch vorstellen. Es gab den Telefonaten ein gewisses Gewicht, man rief nur dann an, wenn man etwas zu sagen hatte. Wer bei der Handyhysterie mitzuhören versucht, kommt bald drauf, dass es sich fast nur um Belanglosigkeit handelt, die sich nicht auszahlt. Wienerinnen und Wiener erinnern sich wohl noch an Waluliso. Er war eine selbsterfundene Mischung von einem Philosophen und einem Prediger, übergossen mit einer Soße der Selbstdarstellung. Wie viele Propheten und Prediger muss auch er die Vergeblichkeit seines Tuns erfahren haben. So entschied er sich, sich nicht mehr auf bekehrungsunwillige Wiener zu verlassen, nicht mehr zum Schmiedl, sondern zum Schmied zu gehen. Von der Straße aus rief er mit seinem Mobil-

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telefon direkt Gott an. Die Verbindung mit Gott kam nicht so leicht zustande. Handybesitzer können davon ein Lied singen. Da hat sich seit dem Vierteltelefon nicht viel geändert: Das Netz ist auch beim Handy oft überlastet. Auch Beter wissen davon. Umgehend wird man nicht immer erhört. Aber dann fand Waluliso doch den richtigen Anschluss. Er ersuchte Gott um Frieden. Ob sein Gebet erhört wurde? In der religiösen Bildersprache sind es Engel, die unsere Gebete zu Gott tragen. Ich für mich habe mehr Vertrauen in diese Arbeit der Engel als in Handys.

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