Winter 2019
KARAKORUM / MARKUS EDER / FINNLAND / 10 JAHRE DOWNDAYS
downdays
RIDE& REVOLT
HI G H T ECH M ADE W HER E WE L IV E A N D SK I: BAVA RIA , GE RMANY
VO E LK L.COM
VO E LK L.COM
„ES KOMMT NICHT DRAUF AN, WAS DU TUST, SONDERN WIE DU ES TUST.“ JOHN WOODEN
Diese Ausgabe zum zehnjährigen Bestehen von Downdays warf für unser Redaktionsteam viele Fragen auf: Was muss alles rein? Was dürfen wir draußen lassen? Wie können wir auf eine ganze Ski-Ära zurückblicken und dabei trotzdem nach vorne schauen? Bei Skype-Konferenzen, späten Pizza-Meetings, endlosen E-Mail-Konversationen und vielen Tagen des Stöberns stolperten wir irgendwann über das obige Zitat. Wir sprachen über das „Wie“ in Bezug auf: „Wie machen wir dieses Magazin?“ All die Leidenschaft, Zusammenarbeit und auch Kompromissbereitschaft, die in diese Seiten fließen. Doch das Zitat passt auch zum Geist von Freeskiing selbst. Dieses „Wie“ verwandelt einen simplen Trick in ein Kunstwerk oder einen frisch verschneiten Hang in eine Leinwand für die Seele. Alles, was irgendwann in diesem Magazin erschienen ist, gab eine gelungene Antwort auf das „Wie“. Entsprechend bauten wir diese Ausgabe um die Leute, Crews und Orte auf, die es im letzten Jahrzehnt richtig gemacht haben – nachzulesen in unserem „10 Jahre Downdays“ Special SEITE 68. Danach heben wir Markus Eder – den vielleicht am meisten übersehenen europäischen Skifahrer der letzten Dekade – in einem großen Interview hervor SEITE 82. „Wie macht man es richtig?“ Wir fragten den Big Mountain-Veteran Stian Hagen SEITE 38 und die aktuelle Freeride World Tour-Siegerin Arianna Tricomi SEITE 14. Auf der Freestyle-Seite holten wir uns Antworten von James Woods SEITE 108, Øystein Bråten und Sarah Hoefflin SEITE 36. Dazu betrachten wir ein paar „richtig gemachte Dinge“: die Herangehensweise des Siegerteams bei einem Foto-Contest SEITE 102, einen zeitlosen Filmklassiker SEITE 48 und eine aberwitzige Expedition in ein fernes Land auf der Suche nach dem perfekten Berg SEITE 54. Als Zugabe gibt es eine Urban Night Gallery aus Finnland SEITE 92. „Es kommt nicht drauf an, was du tust, sondern wie du es tust.“ Wir versuchen es so: mit Hingabe, Ausdauer und dem Bestreben, unsere Leser möglichst heiß aufs Skifahren zu machen. So haben wir es die letzten zehn Jahre gehalten – und wir freuen uns auf hoffentlich zehn weitere.
DIE DOWNDAYS REDAKTION EDITORIAL
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POWDER TO THE PEOPLE DIESES FOTO VON HENRIK WIND STEDT ENTSTAND AM 5. DEZEMBER 2017, ABER ES FÜHLTE SICH AN WIE MITTEN IM WINTER. WIR HATTEN IN ENGELBERG EINEN DER BESTEN FRÜH ERKLICH WINTER, AN DIE ICH MICH ERINNERE, UND GLÜC WEISE GING ES IN DIESEM TON WEITER. ICH UNTERNAHM LETZTEN WINTER NUR EINEN TRIP, DENN MIT ALL DEM SCHNEE GAB ES KEINEN GRUND IRGENDWO HINZUFAHREN.
— OSKAR ENANDER
FAHRER
HENRIK WINDSTEDT
INTRO
FOTO
OSKAR ENANDER
ORT
ENGELBERG, SCHWEIZ
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POWDER TO THE PEOPLE
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INTERVIEW: ARIANNA TRICOMI
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GALLERY
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EQUIPMENT: SKIS & STUFF
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VERSUS: ØYSTEIN BRÅTEN & SARAH HOEFFLIN
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THOUGHT: WIE MAN SICH ENTSCHEIDET
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CREATIVE: FREDDIE GRANN
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THEMA: NADINE WALLNER ÜBER LAWINEN
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HISTORY: THE BLIZZARD OF AAHHH’S
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KARAKORUM TAGEBUCH
AUF DER JAGD NACH DEM PERFEKTEN BERG IN PAKISTAN
10 JAHRE DOWNDAYS
AN DER EUROPÄISCHEN FREESKI-FRONT
FINNISH NIGHTS
IN DUNKLEN, EISIGEN STRASSEN STASH: ECHTE PERLEN
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EVENT: GIRL POWER
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SPRAY: TYPE 2 FUN
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PORTRAIT: JAMES WOODS
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OUTRO: STILFSER JOCH ROAD GAPS
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INHALT
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APRÈS: PILLOW PARTY
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MARKUS EDER
SÜDTIROLS MEGA-SKI-TALENT
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Expand your Horizons The all new Skyline goggle utilizes a rimless design to maximize your field of view and ability to amplify awesome with ChromaPop™ lens technology. Experience ChromaPop™ | smithoptics.com MARKUS EDER
BEITRAGENDE STIAN HAGEN
STEPHAN SUTTON
Als Stian Hagen 1994 nach Chamonix kam, dachte er nicht, dass er 25 Jahre später immer noch dort leben würde, geschweige denn als professioneller Skifahrer. Sein Karriere-Peak mögen einige herausragende Segmente in den MSP-Filmen der frühen 2000er sein, doch Stian verdient immer noch sein Geld damit, täglich auf Skiern zu stehen und dabei Produkte zu testen. In dieser Ausgabe teilt er mit uns seine Weisheit aus unglaublich vielen Bergabenteuern rund um die Welt.
Stephan Sutton kennt sich mit den Mühen von Urban Shoots bestens aus. Der Finne aus Helsinki fotografiert Skifahren, seit er 14 Jahre alt ist, und gilt momentan als Top-Fotograf der höchst lebendigen Street-Skiing-Szene in seinem Heimatland. Das Foto-Feature „Finnish Nights“ dieser Ausgabe konzentriert sich auf einige seiner besten Nachtaufnahmen in einem Land, wo im Winter die Sonne nur selten zu sehen ist.
JAAKKO JÄRVENSIVU Schon von klein auf haben Skifilme Jaakko Järvensivus Wahrnehmung vom Skifahren stark beeinflusst. Ausschnitte von Dick Barrymore-Filmen, die er mit 12 auf dem Sky Channel sah, inspirierten ihn und seine Freunde, die Grenzen ihres Heimatskigebiets hinter sich zu lassen, doch sein größter Einfluss war der Barrymore-Protégé Greg Stump. In dieser Ausgabe analysiert Jaakko, warum The Blizzard of Aaahh’s das Leben einer ganzen Generation von Skifahrern veränderte.
JÉRÔME TANON Geboren in Paris und wohnhaft in Annecy, macht seine Vorliebe für Analogfilm gegenüber Digitalfotografie Jérôme Tanon zu einem besonderen Snowboard-Fotografen. 2016 brachte er seine erste Video-Dokumentation heraus, The Eternal Beauty of Snowboarding – falls ihr sie noch nicht gesehen habt, holt das unbedingt auf Youtube nach! Letztes Frühjahr begleitete Jérôme eine ziemlich verrückte Expedition ins Herz des Karakorum-Gebirges in Pakistan, die ihr in unserem Reise-Feature „Karakorum Tagebuch“ nacherleben könnt.
AUF DEM COVER FAHRER
LÉO TAILLEFER
FOTO
JÉRÔME TANON
ORT
BIACHERAHI NORTH TOWER, PAKISTAN
IMPRESSUM Herausgeber Distillery Concept & Creation GmbH Innsbruck, Österreich Chefredakteur Ethan Stone | ethan@distillery.cc Chef vom Dienst Mark von Roy | mark@distillery.cc Produktionsleiter & Fotoredakteur Klaus Polzer | klaus@distillery.cc Redaktion Klaus Polzer, Christian Stadler, Ethan Stone, Mark von Roy Online-Redakteur Roy Kittler | roy@distillery.cc Fotografen dieser Ausgabe Axel Adolfsson, Gianmarco Allegrini, Martin Axéll, Darcy Bacha, Jeremy Bernard, Florian Breitenberger, Adam Clark, Dom Daher, Damien Deschamps, Oskar Enander, Jesus Andres Fernandez, Manuel Ferrigato, Ruedi Flück, Mattias Fredriksson,
DOWNDAYS #10
Louis Garnier, Pascal Gombert, Blake Jorgenson, Adam Klingeteg, Pally Learmond, Tim Lloyd, Stefan Mahlknecht, David Malacrida, Alex Meliss, Kyle Meyr, Daniele Molineris, Klaus Polzer, Christian Pondella, Tero Repo, Christoffer Sjöström, Emil Sollie, Ethan Stone, Stephan Sutton, Jérôme Tanon, Sindy Thomas, Andreas Vigl, Mark von Roy, Rod Walker, Danny Warley, Fabrice Wittner Autoren dieser Ausgabe Sean Balmer, Tori Beattie, Thomas Delfino, Oskar Enander, Yannick Graziani, Stian Hagen, Jaakko Järvensivu, David Malacrida, Zak Mills, Klaus Polzer, Raf Regazzoni, Ethan Stone, Stephan Sutton, Léo Taillefer, Jérôme Tanon, Mark von Roy, Nico Zacek Deutsche Übersetzung & Korrektur Basti Huber, Simon Kegler, Klaus Polzer Art Direction & Design W—THM Büro für Gestaltung | www.wthm.net
Layout Floyd E. Schulze | hello@wthm.net Bildbearbeitung & DTP Klaus Polzer Druck F&W Druck- & Mediencenter | www.fw-medien.de Anzeigen, Marketing & Distribution Christian Stadler | christian@distillery.cc
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Verlag & Redaktionsanschrift Distillery Concept & Creation GmbH Leopoldstrasse 9 6020 Innsbruck Österreich Tel.: +43 (0)512-307 811 Fax: +43 (0)512-307 812 info@distillery.cc www.distillery.cc Das Downdays Magazine erscheint in Deutsch, Englisch und Französisch. Downdays gibt es auch als Website: www.downdays.eu Downdays Social Media: www.facebook.com/downdays www.instagram.com/downdays_eu
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Foto: Jeremy Bernard, FWT
ARI ANNA TRICOMI Geboren: am 1. August 1992 in Bozen, Italien
1. Platz FWT-Gesamtwertung 2018 1. Platz FWT-Event Hakuba 2018 1. Platz FWT-Event Andorra 2018 1. Platz FWT-Event Verbier Xtreme 2018 2. Platz FWT-Event Kicking Horse 2018 3. Platz FWT Gesamtwertung 2017 1. Platz FWT-Event Andorra 2017
Heimat: Alta Badia, Italien und Innsbruck, Österreich
Hausberge: Alta Badia und allgemein die Tiroler Berge Hobbys: Telemarken, Surfen, Biken, Wandern, die Welt entdecken
1. Platz FWT-Event Alaska 2017 3. Platz FWTGesamtwertung 2016 1. Platz FWT-Event Fieberbrunn 2016 3. Platz FWT-Event Alaska 2016
Sponsoren: Scott, Atomic, Red Bull, Mons Royale, Alta Badia, Moritzino, Swox, Surftolive
INTERVIEW
„Rookie of the Year“ FWT 2016
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EIN FREUND BEZEICHNETE ARIANNA MAL ALS „DRAUFGÄNGERISCHE ITALIENERIN MIT ÜBERWÄLTIGEND EM CHARME“. EINE WAHRLICH TRE FFENDE BESCHREIBUNG. VERSTEHT MAN SICH GUT MIT IHR , KANN SIE EINEM MUTTER UND SCHWESTER ZUGLEICH SEIN. DOCH WEHE SIE MAG DICH NICHT, DANN DARFST DU DIR DAS EINE ODER ANDERE ANHÖREN. SIE STRAHLT CHAFT AUS – EINFACH DIESE ITALIENISCHE LEIDENS OB AUF JAPANISCHEN INSBESONDERE WENN SIE AUF IHREN SKIERN STEHT. EGAL RSTEILEN FLANKEN PILLOWS, BEI SKITOUREN IN NORWEGEN ODER AUF DEN SUPE DES BEC DES ROSSES, ARIANNA LIEBT SKIFAHREN UND ZEIGT DIES AUF IHRE UNVERGLEICHLICHE ART UND WEISE, DIE SIE IM LETZTEN WINTER BIS LD REERIDE WOR F R E D E Z IT P TOUR GEFÜHRT HAT. DOCH SIE KANN AUCH NACHDENKLICH AN DIE S SEIN, WIE ICH WÄHREND EINER WOCHE GEMEINSAMEN SKIFAHRENS IN HAKUBA IM LETZTEN WINTER FESTSTELLEN DURFTE. DAS ZEIGT SICH AUCH IM INTERVIEW.
INTERVIEW
MARK VON ROY
Ort: Hakuba, Japan / Foto: Mark von Roy
Hallo Arianna, erzähl mal, wo du herkommst und wie du zum Skifahren gekommen bist! Mein Papa stammt aus Sizilien und meine Mama ist halb Wienerin, halb Neapolitanerin; ich habe also viel süditalienisches Blut in mir. Meine Mama ist aber Skirennen gefahren, Weltcup-Abfahrten und sogar bei den Olympischen Spielen
Sprung machte. Später war ich dann sogar im Nachwuchskader. Ich machte mir einerseits Hoffnungen auf Erfolge, war andererseits aber auch ein kleiner Rebell, der im Sommer lieber Surfen ging. Mit 16 hörte ich dann mit dem Rennsport auf, obwohl ich die letzten drei Rennen gewonnen hatte. Ein Auslöser war vielleicht, dass damals ein Freund von mir in einer Lawine ums Leben kam. Da dachte ich mir, ich sollte eigentlich das machen, worauf ich wirklich Bock hatte. Das war insgesamt keine einfache Zeit für mich.
Arianna surft den Japow während der FWT 2018.
1980 in Lake Placid; sie konnte die Berge nie verlassen. Ich wuchs also in den Bergen auf und kam früh zum Skifahren. Als Kind bin ich natürlich Alpinrennen gefahren, habe aber auch mit sechs Jahren bereits mit Telemark begonnen und war bei den Rennen nie wirklich gut, bis ich plötzlich mit ungefähr elf einen richtigen
ARIANNA TRICOMI
War das der Zeitpunkt, als du zum Slopestyle gekommen bist? Mir hat Springen und Powder-Fahren immer besser getaugt als die Skirennen; meine Mama hat mir immer alle Aspekte des Skifahrens nahegebracht. Daniele, der besagte Freund, war einer der besten Park-Fahrer in Italien gewesen und viel-
leicht wollte ich in gewisser Weise das weiterführen, was er nicht mehr konnte. Es war damals aber nicht einfach bei uns im Slopestyle gut zu werden, weil es noch keine richtigen Parks gab. Wir bauten also unsere eigenen Schanzen, obwohl wir davon keine Ahnung hatten. Es gab einige Stürze und auch Verletzungen, aber ich bin froh, diese wilde Zeit noch erlebt zu haben. Später gab es dann Parks, aber auch die FIS und mit ihr kamen die ganzen Regeln und verständnislose Trainer – genau das, was ich an Alpin immer gehasst habe.
Trotzdem bist du ein paar Jahre Slopestyle-Contests gefahren. Warum? Zu Beginn lief es im Slopestyle recht gut, ich wurde Dritte bei den Austrian Open und Zweite bei den Mayrhofen Open. Deshalb startete ich dann auch bei den ersten FIS Weltcups, aber das war eine Katastrophe. In Silvaplana war der Kurs wirklich schlecht und das Training fand um halb acht morgens bei -17°C statt. Eine gute Freundin brach sich dabei den Oberschenkel. Da fragte ich mich: „Warum mache ich das überhaupt?“ Ich ging sowieso viel lieber im Gelände fahren und springen. Dazu kam, dass wir im italienischen Team alles selbst zahlen mussten. Ich war damals 20 und schon ganz gut, aber nicht so gut, dass ich Hoffnungen hatte, bis ganz an die Spitze zu kommen. Ich habe also mit den Slopestyle-Wettkämpfen aufgehört und wusste erst mal nicht, was ich machen sollte. Und wie kamst du dann zum Freeriden? Nach meinem letzten Slopestyle-Weltcup fuhr ich bei einem 2 Star Qualifier
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der Freeride World Tour mit, das war am Goldeck in Kärnten. Ich hatte keine Ahnung, was da abgeht. Alle anderen studierten das Face mit Ferngläsern, während ich einfach beschloss, irgendwo in der Mitte runter zu fahren. Gleich nach dem Start gab es ein erstes Cliff, ich bin also switch losgefahren und hab einen Switch 180 versucht. Das ging natürlich schief. Ich war total angepisst, hab meine Skier eingesammelt und bin den Rest vom Hang ohne zu schauen runtergefetzt. Unten bin ich dann noch irgendwo rausgesprungen und hab einen riesen Satz gemacht, den ich irgendwie landen konnte. Im Ziel kam ich mir total verloren vor und hab vor mich hin geweint. Der Veranstalter der Open Faces kam dann aber zu mir und meinte: „Dein Run war etwas seltsam, aber Skifahren kannst du schon. Ich gebe dir eine Wildcard für den Qualifier in Kappl.“ Dahin habe ich dann meine Mama als Unterstützung mitgenommen. Ich hatte zwar immer noch keine genaue Idee von einer Linie und bin einfach eine Schneewelle, die ich sah, abgesurft, aber das hat mir den zweiten Platz eingebracht. Da wusste ich: „Das will ich machen!“
hatte, ein eigenes Fernglas und schaute dauernd da durch, selbst im Sommer. Durch ein Fernglas sieht alles anders aus: breiter, schmäler, länger, kürzer. Manchmal denkt man, es passen sechs Kurven in einen Spot, es sind dann aber tatsächlich nur zwei – oder umgekehrt. Ich versuchte also, beim normalen Freeriden Lines anzuschauen und sie genauso zu fahren, um wirklich zu lernen, wie das funktioniert. Alles Weitere hat sich daraus ziemlich natürlich entwickelt und bei jedem Contest verstand ich besser, wo ich in meiner Linie war. Im zweiten Jahr auf der FWQ suchte ich mir auch noch keine komplizierten Linien aus. Lieber wusste ich, wo ich war, und fuhr meine Linie gut, als dass ich irgendwo zwischen den Steinen verloren ging. Die Taktik „Keep it simple!“ gilt aber bis heute für mich. Ich suche immer nach Flow Lines, weil ich ungern traversiere. Ich glaube, das ist auch ein Grund, warum es auf der FWT so gut für mich klappt. Ich bin mir immer sicher, wo ich bin, und fahre deshalb immer auf Zug. Selbst am Bec des Rosses versuche ich immer, eine noch irgendwie verspielte Linie zu finden.
Wie ging es mit den FWQ-Events weiter? Bei den ersten Contests war mir nicht mal klar, dass es eine World Tour gibt, aber mir haben die Events sehr gut gefallen und sie waren eine ideale Ausrede, um weiter Skifahren zu gehen. Der Winter nach meinem ersten Contest war sehr schneereich, was mir in die Karten gespielt hat. Die Sache mit der Linienwahl verstand ich immer noch nicht so recht, aber ich habe in jedem Run einen Dreier gemacht. Mit dieser Strategie bin ich immer auf dem Podium gelandet, konnte aber wegen meiner einfachen Lines nie gewinnen. Trotzdem verpasste ich die Quali zur World Tour nur um zwei oder drei Plätze. Es war insgesamt eine tolle Erfahrung mit all den Reisen, dem Treffen neuer Leute und vielen verrückten Partys. Meine zweite Saison auf der FWQ bin ich dann konzentrierter angegangen und konnte mich am Ende auch für die World Tour qualifizieren.
Gab es sonst noch etwas, das dir letzten Winter geholfen hat, den Titel zu gewinnen? Ich war mit der Uni fertig, was auf jeden Fall gut war für meinen Kopf. Ich bin jetzt ausgebildete Physiotherapeutin und weiß, dass ich in diesem Beruf immer arbeiten kann. So konnte ich mich ganz aufs Skifahren konzentrieren. Außerdem hatte ich die letzten beiden Jahre die Ehre, mit „Projekt Pommes“ und deren Dunstkreis viel Ski zu fahren, wodurch ich viel gelernt habe. Es ist ziemlich erfrischend mit den Jungs zu fahren, weil sie die Berge mit anderen Augen sehen. Vor allem von meinem Freund Sven, meinem inoffiziellen Coach, habe ich viel gelernt.
Wie hast du schließlich die Linienwahl gelernt? Im ersten Jahr auf der FWQ lieh ich mir immer nur kurz von anderen Fahrern das Fernglas aus, um das Face anzuschauen, wusste aber nicht viel damit anzufangen. Ich habe dann andere Fahrer einfach gefragt: „Wie suchst du deine Lines aus?“ und „Wie verstehst du, wo du in deiner Linie bist?“ Nach der ersten Saison kaufte ich mir vom Preisgeld, das ich gewonnen
INTERVIEW
Wer oder was ist Projekt Pommes? Das sind ein Schweizer, ein Deutscher und ein Österreicher, die alle nach Innsbruck gekommen sind um zu studieren. Genau wie ich. Aber eigentlich sind sie nach Innsbruck gekommen, weil sie Ski fahren wollen. Das machen sie schon ihr ganzes Leben mit großer Leidenschaft. Sie haben so viel Liebe fürs Skifahren, wie ich es sonst bei niemandem kenne – und ich kenne viele Skifahrer. Die Art und Weise, wie sie die Berge interpretieren, macht Projekt Pommes speziell. Als ich sie zum ersten Mal gesehen habe, dachte ich mir: „So will ich Ski fahren!“ Sie fahren so spielerisch, es ist eine Kunst. Zwei Jahre lang habe ich sie immer wieder gesehen und ich war fasziniert. Sie fahren
auch nur für sich selbst Ski, nicht für Instagram oder für Sponsoren. Sie wollen einfach am Abend glücklich und zufrieden nach Hause gehen. Mit ihnen zu fahren ist wichtig für mich, weil ich so viel in dieser Profi-Welt unterwegs bin, und die Pommes Jungs bringen mich immer wieder auf den Boden zurück und zeigen mir, warum wir eigentlich Skifahren gehen.
Was bedeutet der Weltmeistertitel für dich und auf was bist du in der letzten Saison am meisten stolz? Mit meinem Papa war es immer ein Kampf, weil ich so viel Zeit ins Skifahren steckte. Für ihn war es extrem wichtig, dass ich studiere, und ich bin auch dankbar dafür. Es war aber toll für mich, als ich ihm zeigen konnte, dass ich mit Skifahren auch Geld verdienen kann. Als ich dann die Tour gewonnen habe, ist mein Papa fast durchgedreht und hat allen erzählt, dass seine Tochter Weltmeisterin ist. Er hat sich unheimlich gefreut! Für mich war letzte Saison aber einfach am schönsten, dass ich so viel Skifahren gehen konnte. Ich fahre vor allem, weil es mir taugt, und nicht, weil ich gewinnen will. Ein spezieller Moment auf der Tour war zum Beispiel, als ich in Andorra den 360er gelandet bin. Ich wollte das schon immer auf der Tour machen, aber es gab nie den richtigen Spot oder Moment dafür. In Andorra war es dann perfekt und ich sagte zu Sven: „Da mache ich jetzt den Dreier!“ Das war nicht um zu gewinnen, sondern das war einfach für mich! Wie sieht so ein Contest-Tag bei dir aus? Eigentlich ganz entspannt. Ich versuche, mich nicht stressen zu lassen. Dann fahre ich vor dem Contest noch ein paar Runden, wenn das möglich ist. Ich werde eigentlich selten müde beim Skifahren, brauche aber oft ein bisschen, um in meinen Rhythmus zu kommen. Natürlich bin ich innerlich auch ein wenig aufgeregt vor meinem Run, aber das ist gut so. Nur beim Bec des Rosses war ich dieses Jahr die Tage davor sehr nervös, schließlich hatte ich die goldene Startnummer (das Zeichen der Führenden in der Gesamtwertung, Anm. d. Red.). Zum Glück war ich mit meinen Eltern und Sven in einem kleinen Chalet, da konnte ich meine Nervosität einfach rauslassen. Im Fahrer-Hotel hätte ich mich wohl die ganze Zeit verstellt und die Nervosität wäre in mir drin geblieben. Am ContestTag selbst war ich dann tiefenentspannt. Ich war die erste Starterin und es war einfach mein Rennen gegen den Bec, weil der mich zuvor zweimal fertig gemacht hatte. Den Kampf habe ich dann gewonnen.
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Ort: Verbier, Schweiz / Foto: Dom Daher, FWT
Auch während des Swatch Xtreme sucht Arianna am Bec des Rosses eine spielerische Linie.
ARIANNA TRICOMI
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Was denkst du über die Freeride World Tour allgemein? Es ist im Moment etwas schwierig, weil es so unterschiedliche Fahrer und Fahrstile gibt. Auf der einen Seite die klassischen Big Mountain Rider und auf der anderen die Backcountry Freestyler, die unseren Sport ganz unterschiedlich sehen. Sowohl bei den Contest-Hängen
ses Leben. Wir haben zusammen gekocht, Party gemacht, die Landschaft genossen und sind enorm viel Ski gefahren. Es war einfach authentisch und richtig gut für die Seele. Den organisatorischen Part habe ich übernommen, das Kreative – die Filmaufnahmen und die Story dazu – hat Marco Tribelhorn gemacht. Ich hoffe, unser Film La Luce Infinita – Das unend-
die Jungs eine Woche bei mir in Innsbruck gewohnt und danach habe ich sie ein bisschen durch Europa geführt. Ich finde sie so erfrischend, weil sie so viel Bock auf Skifahren haben. Sie sind auch sehr gut erzogene junge Burschen, immer nett und fair. Dabei sind sie gerade 19 Jahre alt. In Innsbruck sind sie einkaufen gegangen und haben beim Putzen geholfen, richtig gute Gäste! Dazu sind sie richtig lustig. Definitiv ein Gewinn für die Tour.
liche Licht reflektiert den wunderschönen Vibe dieses Trips. In Zukunft würde ich sehr gerne weiter solche Projekte verwirklichen.
Ort: Hakuba, Japan / Foto: Mark von Roy
zusammen Ski gefahren und dann haben wir das eigentlich die ganze Saison durchgezogen. Japan hat richtig gut angefangen mit drei Tagen blauem Himmel und dem fantastischen japanischen Powder. Dazu sehen die Berge in Hakuba aus wie in einem Videogame – heftige Bergspitzen und wenn man etwas läuft, unglaublich viele Spines. Später haben
In Hakuba gibt es viele schöne Lines. Arianna in Aktion.
als auch im Judging ist es nicht leicht, alle unter einen Hut zu bekommen. Ich denke, wenn jemand einen Trick zeigt, wo ein anderer gerade springt, ist das einfach Progression und sollte belohnt werden. Aber generell darf sich niemand beschweren, der auf der FWT mitfahren kann. Wir kriegen ein Hotelzimmer, Essen, einen Skipass und dürfen Skifahren gehen. Für die Leute hinter der Tour bedeutet das aber einen Haufen Arbeit. Die Bergführer sind schon nachts am Berg, um die Hänge zu sichern. Nicht viel anders ist es bei der Mediencrew. Die Judges hocken den ganzen Tag in der Kälte und die Vermarktung wird auch nicht einfacher. Ich finde, Nicolas HaleWoods und sein Team machen einen echt guten Job.
Du gehörst zur jungen Generation auf der FWT. Erzähl uns etwas von euch! Ich habe letzte Saison viel Zeit mit Craig Murray, Berkeley Patterson und Grifen Moller verbracht. In Japan haben wir uns zuerst kennengelernt und sind
INTERVIEW
Deine letzte Saison hat einen tollen Abschluss gefunden. Erzähl uns von deinem Norwegen-Trip! Es war einfach schön. Ich glaube, schön ist das richtige Wort für dieses Projekt, nicht extrem oder verrückt. Es war schön in der Natur zu sein und mit meinen besten Freunden diese Erfahrung zu teilen. Die Smiles nach jedem Run in dieser Landschaft und dieses unglaubliche Licht. Es war so lange hell dort und jeder hatte so viel Bock auf Skifahren, dass wir nicht mehr wussten, ob es Tag oder Nacht war – es war für zwei Wochen ein zeitlo-
Zuletzt: Welchen Rat würdest du jungen Freeridern geben, die den Traum haben, auch Profi zu werden? Geht Skifahren so viel wie möglich und auf jede Art und Weise. Fahrt auf der Piste, fahrt im Park, probiert Telemark! Nutzt jedes Terrain aus und nehmt alle Aspekte des Skifahrens mit. Ich glaube, Freeriden ist im Endeffekt ein Mix aus allem. Und dann braucht es im Gelände viel Erfahrung, die man sich über Jahre aufbauen muss. Ich habe selbst noch nicht so viel Erfahrung und deswegen bin ich sehr vorsichtig im Backcountry – es ist kein Spielplatz da draußen! Ich meine, die Berge sind schön, aber es kann auch schnell gefährlich werden und man sollte nie die Gefahr unterschätzen. Man muss auch lernen, auf Abfahrten zu verzichten. Lieber bis 80 Ski fahren als früh zu sterben.
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ANDRI R AGET TLI [ SNOWPARK L A A X ]
# L A A X I S N I C E Y O
G AL LERY FAHRER
FABIAN BÖSCH
GALLERY
FOTO
GIANMARCO ALLEGRINI
ORT
ENGELBERG, SCHWEIZ
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FAHRER
GALLERY
ANDY VOGEL
FOTO
AXEL ADOLFSSON
ORT
HALDIGRAT, SCHWEIZ
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GALLERY
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GALLERY
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vorhergehende Doppelseite
FAHRER
DANE TUDOR
FAHRER
GALLERY
FOTO
BLAKE JORGENSON
WILLIAM LARSSON
FOTO
ORT
MICA HELISKIING, KANADA
OSKAR ENANDER
ORT
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KIRORO, JAPAN
FAHRER
GALLERY
SÄMI ORTLIEB
FOTO
ETHAN STONE
ORT
GLARUS, SCHWEIZ
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FAHRER
WILLIAM LARSSON
GALLERY
FOTO
ADAM KLINGETEG
ORT
KAMTSCHATKA, RUSSLAND
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FAHRER
CHAD SAYERS
GALLERY
MATTIAS FREDRIKSSON
ALEX CHABOD
FOTO
RUEDI FLÃœCK
ORT
BELLA COOLA, KANADA
ORT
NAX, SCHWEIZ 27
folgende Doppelseite
FAHRER
FOTO
GALLERY
28
GALLERY
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FAHRER
GALLERY
BERNIE ROSOW
FOTO
CHRISTIAN PONDELLA
ORT
SIERRA NEVADA, USA
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FAHRER
Y RE LLAG
BASTI HUBER
GALLERY
FOTO
KLAUS POLZER
ORT
STUBAIER GLETSCHER, ÖSTERREICH
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SKIS:
R. BRETTE . N E K L ANSIE SIND Q S K I S. P UASI DAS NDAMENT DES FUN, IONE OPT I GANZEN. HIER SIND ZWE
UM EUREN SKISACK AUF VORDERMANN ZU BRINGEN.
Armada ARV 116 JJ UL
Völkl Revolt 95
Der JJ UL aus Armadas Zero-Linie mit Limited-Edition-Modellen ist dank eines superleichten Kerns aus Curuba-Holz 25% leichter als der Original JJ. Wer ein Paar ergattern will, sollte sich sputen!
Freestyle-Veteran Ahmet Dadali spielte eine große Rolle beim Design des Revolt, einer vielseitigen Plattform für All-Mountain und Park. Flex-Zonen an Tip und Tail machen Butter-Tricks erstaunlich leicht.
Taillierung: 139-116-135 (alle Längen) Radius: 18 m @ 185 cm Längen: 175/185/192 cm
Taillierung: 129-95-119 (alle Längen) Radius: 21 m @ 173 cm Längen: 157/165/173/181 cm
EQUIPMENT
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DENNIS RANALT ER R E P R E S E N T S T H E A B S O LU T PA R K S H R ED T E A M R A I L YA R D - FLA C H A U W I N K L
PIC MARKUS ROHRBACHER
STUFF:
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Mammut Barryvox S LVS-Gerät 3-Antennen Lawinen-Verschütteten-Such-Gerät mit digitalem und analogem Suchmodus; Hohe Empfangsleistung für 70 m Suchstreifenbreite; Smart Search Funktion; Benutzerfreundliches, intuitives Interface.
Dakine Team Poacher RAS 26L Pack RollTop Release kompatibel mit Mammut® Removable Airbag System 3.0; Skibefestigung diagonal oder als A-Frame; Hauptfachzugang mit Reißverschluss über Rücken; Gepolsterter Hüftgurt mit Taschen; Kompatibel mit Rückenprotektor.
Dakine Team Baron Trigger Mitt Einsätze aus GORE-TEX®; Innenhand aus Leder; 360 g Wollfutter; 250 g Primaloft® Isolierung.
Mammut Alugator Shovel Light Extrem leicht: 475 g; Blatt aus gehärtetem, anodisiertem Aluminum; Ovaler Teleskop-Schaft; Vorbereitet für Schneeanker & Rettungsschlitten.
EQUIPMENT
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RIDE THE UPPER AND LOWER PARK LINE
KILIAN ERIK MORONE
SNOWPARK.SEISERALM.IT
TEXT
ETHAN STONE
ER IST EIN JUNGER VETERAN AUS NORWEGEN, DER SCHON ALS TEENAGER AUFTRUMPFTE. SIE IST EINE SCHWEIZERIN, DIE ERST EIN BRÅTEN UND SPÄT DIE SZENE BETRAT. ØYST SARAH HOEFFLIN GINGEN UNTERSCHIEDLICHE WEGE, DOCH BEIDE FÜHRTEN ZU SLOPESTYLEGOLD BEI OLYMPIA 2018 IN SÜDKOREA.
ØYSTEIN BRÅTEN
ØYSTEIN: SARAH:
Ø: S:
Geboren: 21.07.1995 in Torpo, Norwegen Wohnort: Ål, Norwegen Hobbys: Skateboarden, Tennis, Snowsurfen Sponsoren: Red Bull, Oakley, Völkl
Ø: S:
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VERSUS
Was läuft gerade auf deinen Kopfhörern? Astroworld. Lorde. Aktuelle Abhängigkeit? Call of Duty World War 2 auf der PS4. Panaché trinken und Eis essen. Wer oder was hat dich zum Freeskiing gebracht? Wo ich aufwuchs, gab es wirklich gute Parkfahrer und Freerider. Nachdem mich meine Familie ein paar Mal auf den Berg geschleppt hatte, war mir schnell klar, dass ich so sein wollte wie diese Jungs. Ich begann Tricks auf Alpinskiern zu probieren, aber nachdem ich dieses und ein weiteres Paar von meinem Bruder zerstört hatte, bekam ich mein erstes Paar Twintips zu Weihnachten, als ich zehn war. Ein paar Freunde meinten, dass ich mit meinen 360ern ohne Grabs neben der Piste sicher eine Universitätsmeisterschaft und damit ein paar Twintips gewinnen würde. Da ich sonst immer nur auf Touristen-Skiern unterwegs war, klang das ziemlich verlockend. Sie erzählten mir auch, wieviel Spaß eine Saison in den Bergen machte, also ging ich nach meinem UniAbschluss nach Tignes und liebte es, neue Tricks im Park zu lernen. Ski-Idol als Kind? Andreas Håtveit. Er lebt 40 Minuten von meiner Heimat entfernt – klar, dass alle bei uns zu ihm aufschauten. Als ich 14 war, lud er mich in seinen privaten Park ein. Ich kann mich immer noch an die SMS erinnern. Kelly Sildaru. Skifahrer, die du heute beobachtest? Mich inspirieren jeden Tag Freunde, mit denen ich fahre, oder irgendjemand auf Instagram. Außerdem mochte ich immer Sammy Carlson, Kim Boberg, Antti Ollila und Candide Thovex.
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Fahrer: Øystein Bråten / Ort: Dombås, Norwegen / Foto: Emil Sollie, Red Bull Content Pool
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Was hattest du zum Frühstück? Einen Burrito. Ein Schoko-Croissant aus einer Bäckerei in Chamonix.
Fahrer: Sarah Hoefflin / Ort: The Audi Nines @ Sölden, Österreich / Foto: Klaus Polzer, The Distillery
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Vor allem Mädels; ich liebe es, wie das Niveau aktuell steigt! Tess Ledeux, Jennie-Lee Burmansson, Mathilde Gremaud, Giulia Tanno, Johanne Killi und Kelly Sildaru sind meine Favoritinnen.
SARAH HOEFFLIN
Beschreibe Øystein/Sarah in einem Satz! Immer lächelnd. Toller Skifahrer und so talentiert. Lieblingstrick von Øystein/Sarah? Ihr Switch Double 9 ist wirklich cool. Sein Double Flat 9 von den X Games in Oslo aus 2017. Du startest in einen Contest Run. Was denkst du gerade? Fall nicht gleich vom ersten Rail! Wieviel Spaß ich in dem Moment gerade habe. Bewerte Olympia von 1 bis 10 und erkläre dein Rating! Ich finde die Olympischen Spiele grundsätzlich gut, weil sie unserem Sport mehr Aufmerksamkeit bringen. Als ich anfing, war Freeskiing noch weit von Olympia entfernt und mein größtes Ziel waren die X Games. Obwohl es viel Stress bedeutete mit der langen Qualifikation und den ganzen Regeln, war es doch ein guter Kurs und die Leistungen waren klasse, also gebe ich eine 8. Ohne meinen Podiumsplatz wäre es vielleicht eine gute 6 gewesen, denn obwohl ich gerne nach Korea fuhr, war ich dort super nervös. Ich hatte zwei gestauchte Fersen und mein Knie tat weh, das Fahren hat mir also nicht so viel Spaß gemacht. Aber der Sieg hat es in eine 10 verwandelt, denn danach war es einfach verrückt. Was ist die nächste große Nummer im Wettkampf-Skifahren? Ferdinand Dahl. Wir werden bei den Mädels mehr Doubles sehen. Alle verbessern gerade ziemlich ihr Level, und es wird ein tolles Gefühl sein daran teilzuhaben.
Geboren: 08.01.1991 in Genf, Schweiz Wohnort: Chamonix, Frankreich Hobbys: Klettern, Bergsteigen, Golf, Feldhockey, auf
ØYSTEIN BRÅTEN & SARAH HOEFFLIN
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Gletschern campen, Dokumentationen anschauen, Prosecco trinken, Segeln, Tischtennis,Tischfußball Sponsoren: Faction, Oakley, Team Geneva, Loyco SA, Schweizer Sporthilfe
THOUGHT
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WIE MAN SICH
WIE MAN SICH ENTSCHEIDET
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ls ich nach Chamonix kam, hatte ich nicht vor aus Skifahren eine Karriere zu machen. Ich wollte nicht mal Pro Rider werden, ich wollte einfach Spaß haben. Die nächsten Jahre entwickelte sich alles von allein. Ich wurde ein besserer Skifahrer und gleichzeitig explodierte die FreerideBewegung, was mir erlaubte mich durch Sponsordeals zu finanzieren. Doch erst später, als ich meine Bergführerausbildung abgeschlossen hatte, wagte ich eine Karriere als professioneller Skifahrer zu planen. Einen anderen Beruf zu haben – und
A
dadurch einen Ersatzplan, sollte mein Vorhaben im Ski-Business scheitern – gab mir die Freiheit, diese Entscheidung bewusst zu treffen. Es ist recht unwahrscheinlich vom Skifahren leben zu können – nicht nur eine Zeit lang einen Traum zu leben, sondern eine lange Zeit eine Familie zu ernähren. Das ist heute so und galt noch viel mehr damals, als ich diese Entscheidung traf. Es ist sehr wichtig, denke ich, dass man in solchen Situationen unter mehreren Optionen entscheidet und nicht aus der Not heraus.
Skifahren hat sich seit meinen Anfängen sehr verändert. Die ganze Ausrüstung ist viel besser, mehr Freeskier bedeutet mehr Geld und damit mehr Möglichkeiten im Skigeschäft. Trotzdem ist es die Art und Weise, wie wir Skifahren wahrnehmen, die unseren Sport am meisten verändert hat. Die Entwicklung wird sogar immer schneller. Ich glaube, die größte Veränderung in den letzten Jahrzehnten waren die Sozialen Medien. In meinen ersten Jahren in Chamonix bin ich meistens einfach auf den Berg gefahren, habe
geschaut, wie die Bedingungen sind und wen ich treffe, und das hat über meinen Skitag entschieden. Wir haben alles Mögliche auf Skiern gemacht und hatten Spaß dabei. Heute scheinen meistens feste Teams auf den Berg zu gehen, bei denen es manchmal sogar eine feste Rollenverteilung gibt. In den 90ern hatten wir keine kleinen Kameras, keine Mobiltelefone und kein Internet. Diese Dinge haben unseren Lebensstil als Skifahrer mehr verändert als starke Taillierungen, Twintips, breite Skier oder die Pin-Bindung.
Stian Hagen Geboren: am 22. April 1974 in Oslo, Norwegen Lebt: in Chamonix, Frankreich Hobbys: Trail Running, Klettern, Surfen Sponsoren: Völkl, Marker, Dalbello, Arc’teryx
ALS ERFOLGREICHER SPIELER IM SKIGESCHÄFT SEIT MEHR ALS DOPPELT SO LANG, WIE UNSER MAGAZIN EL TEILT ER EINIGE SEINER EXISTIERT, WEISS STIAN HAGEN, WIE MAN ENTSCHEIDUNGE N TRIFFT. IN DIESEM ARTIK EINSICHTEN, DIE ER IN ZWEI JAHRZEHNTEN ALS SKI-PROFI GESAMMELT HAT, TEXT FOTOS SS WEISHEIT UND MEINT, DA ADAM CLARK STIAN HAGEN NICHT NUR EINE FRAGE DER ZEIT IST.
ENTSCHEIDET
THOUGHT
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Moderne Kommunikationsmittel, vor allem die Sozialen Medien, haben verändert, wie wir vor und während des Skifahrens Entscheidungen treffen. Information ist fast sofort verfügbar und jeder kann selbst zur Informationsquelle werden. Einerseits ist es großartig, dass sich heute jeder in fast jedem Feld online bilden kann. Man trifft kaum noch einen vernünftig ausgerüsteten Freerider, der überhaupt keine Ahnung von Lawinen hat. Andererseits scheint die Lernkurve für viele Leute, die sich in potentiell gefährlichen Tätigkeiten wie Freeriden engagieren, heute etwas steil zu sein. Anders gesagt: Wissen ohne Erfahrung ist nicht viel wert und kann Leute sogar dazu verleiten, zu hohe Risiken einzugehen. Als ich meine ersten Steilwände rund um Chamonix gefahren bin, waren wir nur eine kleine Gruppe. Zumindest schien es so; wahrscheinlich gab es genügend andere, die dasselbe gemacht haben, aber wir haben nie von ihnen gehört. Wir waren auf unsere eigenen Erfahrungen angewiesen, die wir langsam mit jedem Tag auf dem Berg sammelten. Entsprechend kamen wir Schritt für Schritt vorwärts und verschoben die Grenzen mit jedem Abenteuer. Wenn heute eine Linie wie die Nordwand der Aiguille d’Argentiere in guten Bedingungen ist und sie jemand fährt, kann man am gleichen Tag davon lesen und mehrere Crews werden sie in den folgenden Tagen ebenfalls versuchen. Vielleicht siehst du ein Video von dem Typen, der die Befahrung gepostet hat, und denkst: „Wenn der das kann, kann ich das auch fahren!“ Ohne zu wissen, wie die Verhältnisse genau waren oder welchen alpinen Hintergrund die
Person hat. Heute kann jeder beinahe jede Steilwand in guten Bedingungen vorfinden, einfach indem er den Sozialen Medien folgt, aber er hat keine Ahnung, welche speziellen Gefahren etwa in der Schneedecke vor Ort lauern oder wie sich die Bedingungen im Laufe des Tages verändern. Selbst wenn du vor Ort bist, musst du deine Hoffnungen senken eine spezielle Line ohne zu viele Spuren anzutreffen, denn man kann sicher sein, dass jede Befahrung ihre Follower hat – zuerst online und dann in Realität. Vor zwanzig Jahren hatten wir den Luxus einige Tage nach einem Sturm zu warten, bis die Bedingungen sicher waren. Jetzt muss man sich beeilen, um die gut informierte Meute – zu welcher Linie auch immer – zu schlagen. Das Problem Entscheidungen zu treffen endet hier aber noch nicht.
Man muss nicht nur schnell sein, man muss auch noch online posten, was man macht – vor allem als ambitionierter Skifahrer. In diesem sozialen Umfeld fällt es nicht leicht Entscheidungen konservativ zu treffen. Es war noch nie leicht eine Skiunternehmung wegen schlechter oder gefährlicher Bedingungen abzubrechen, weil es dem Ego weh tut; aber es wird nicht leichter, wenn unsere Egos konstant auf dem Display sind. Ich habe lange gebraucht, bis ich mutig genug war, dass ich konservative Entscheidungen zur Regel machte. Klar wird jeder etwas vorsichtiger, wenn er älter wird, besonders wenn man Familie hat oder miterleben muss, wie Freunde den allgegenwärtigen alpinen Gefahren zum Opfer gefallen sind. Trotzdem reicht Zeit allein nicht aus. Man muss seine Entscheidungen stets kritisch reflektieren, und das ist
im Wirbel aus Tweets, Instagram Posts und Facebook-Einträgen nicht einfacher geworden. Ebenso zweifelhaft – wenn auch nicht gefährlich – scheint, dass viele Skifahrer heute weniger offen für die Vielfalt unseres Sports sind. Sie brüsten sich in Social Media damit auch noch den letzten Flecken Pulverschnee zu shredden, selbst wenn das bedeutet stundenlang zu touren oder hunderte Kilometer einem Sturm hinterher zu hecheln. Dabei wären die meisten besser beraten ihre Zeit mit Skifahren zu verbringen und sich den Bedingungen anzupassen. Ich habe bei fast allen Verhältnissen Spaß, selbst wenn das bedeutet auf der Piste zu fahren, und ich werde dabei ein besserer Skifahrer. „Bleib aufgeschlossen!” ist ein Rat, den die Action Sports Crowd – ironischerweise – oft allzu leicht missachtet.
Heute bin ich als professioneller Skifahrer vor allem in der Produktentwicklung tätig. Ausrüstung hat mich schon immer fasziniert – warum ein Produkt funktioniert oder warum nicht –, aber es hat mich viele Jahre gekostet, bis mein Input bei den Firmen, mit denen ich zusammenarbeite, wirklich etwas bewirkt hat. Zuerst muss man wissen, mit wem man reden sollte, was in den manchmal komplizierten Strukturen der Marken nicht immer einfach ist. Dann muss man verstehen, wie Entscheidungen in diesen Strukturen gefällt werden. Vor allem braucht es aber ein gewisses Maß an Selbstreflektion, wenn man helfen will tolle Produkte zu entwickeln – die gleiche Fähigkeit, die hilft in den Bergen lange am Leben zu bleiben. So mögen manche Leute eine Eigenschaft an einem Produkt hilfreich finden, während andere das anders sehen. Oder man hat die perfekte Lösung für ein Problem, nur gibt es kaum Leute, die dasselbe Problem haben. In beiden Fällen sind die Erkenntnisse nur von beschränktem Nutzen für ein erfolgreiches Design. Rückblickend auf zwei Jahrzehnte professionellen Skifahrens meinte es das Schicksal extrem gut mit mir. Ich habe das Vergnügen mit Firmen zusammenzuarbeiten, die meinen Beitrag schätzen und mir weiter ermöglichen das zu tun, was ich liebe, während ich mein Leben mit meiner Frau und meinen zwei Kindern in Chamonix genießen kann. Als ich das erste Mal hierherkam, hätte ich es nicht gewagt von solch einem Leben zu träumen. Aber ich bin mir auch bewusst, dass ich es mit einer einzigen schlechten Entscheidung ruinieren kann.
FÜR FREDDIE GRANN SIND LEINWÄNDE UND SKIHÄNGE AUSTAUSCHBAR. DER 26-JÄHRIGE AUS BÅLSTA IN SCHWEDEN IST FÜR SEIN INNOVATIVES SKIFAHREN BEKANNT. ZUDEM FÄLLT ER AUS DEM RAHMEN, DENN ER VERBINDET SKIFAHREN MIT KUNST. BEISPIELSWEISE SPRÜHT ER „FEATURES“ MIT FARBE IN DEN SCHNEE UND JIBBT DIESE DANN AUF SKIERN, ODER ER PLATZIERT FARBE AUF SEINEN SKISPITZEN UND BEMALT FAHRENDERWEISE EINE LEINWAND. FREDDIES LEIDENSCHAFT TES WERKZEUG. IST ES KREATIV ZU SEIN, UND DIE SKI SIND DABEI SEIN LIEBS „SKIFAHREN MIT KUNST ZU VERBINDEN LIEGT MIR WIRKLICH AM HERZEN“, SAGT ER.
FREDDIE GRANN
EINE ROTE SCHEUNE DIENT IHM ALS ATELIER, WO ER FUNDSTÜCKE IN KUNSTSTÜCKE VERWANDELT. „ES KANN ALLES SEIN“, ERZÄHLT FREDDIE. „WIE BEIM SKIFAHREN ENTSCHEIDET DAS GEFÜHL.“ WIR BATEN FREDDIE DIE CREA TIVESEITE DIESER AUSGABE ZU GE STALTEN UND ER MACHTE UNS ZUM ZEHNJÄHRIGEN EIN GESCHENK: UNSER DOWNDAYS-LOGO AUS TEILEN N STOLZ IN VON SKIKANTEN, DAS NU BRUCK HÄNGT. UNSEREM BÜRO IN INNS
SEHT MEHR VON FREDDIES KUNST AUF FREDDIEGRANN.COM.
DAS GEFÜHL ZAHLT TEXT
ETHAN STONE FOTO
MARTIN AXÉLL
CREATIVE
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Foto: Klaus Polzer
NADINE WALLNER Geboren: am 15. Mai 1989 in Bludenz, Österreich Heimat: Klösterle, Österreich Hausberg: die Arlberg-Region in Österreich Hobbys: Klettern, Paragliden, Berge allgemein Sponsoren: Red Bull, Mammut, Völkl, Marker, Dalbello, Audi, Leki, Klösterle, Stuben Bergbahnen
UBER LAWINEN
Foto: Andreas Vigl
THEMA
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ALS TOCHTER EINES BERGFÜHRERS IST NADINE WALLNER SCHON SEIT FRÜHESTER KINDHEIT AN IN DEN BERGEN UNTERWEGS. 2013 UND 201 4 ERKLIMMT SIE IM FREERIDEN MIT DEM WELTM EISTERTITEL JEWEILS DIE SPITZE UN SERES SPORTS. NACH EINER SCHWEREN VERLETZUNG ZUM ENDE DES WINTERS 2014 UND EINEM JAHR VERLETZUNGSPAUSE KEHRT SIE ÜCK, ZWAR AUF DIE WETTK AMPFHÄNGE ZUR AUF ANDERE ALPINE KONZENTRIERT SICH ABER VERMEHRT AUFS FILMEN UND FALLS AUF SPIEL ARTEN WIE DAS KLETTERN, WO SIE INZWISCHEN EBEN HÖCHSTEM NIVEAU AGIERT. DA ÜBERRASCHT ES NICHT, DASS DIE ATHLETIN DES RENOMMIERTEN MAMMUT PRO TEAMS AKTUELL ZU IHREM DIPLOM D SKIFÜHRER N U R E R H E SKIL AUCH NOCH DIE AUSBILDUNG ZUM BERGFÜHRER ABSOLVIERT. MIT DIESEM HINTERGRUND IST NADINE EINE PERFEKTE GESPRÄCHSPARTNERIN WINEN. ZUM THEMA L A INTERVIEW
KLAUS POLZER Wann ist denn das Thema Lawinen zum ersten Mal in dein Leben getreten? Eigentlich von klein auf, weil mein Papa schon immer sehr bewusst mit mir in den Bergen unterwegs war und mich stets auf relevante Dinge hingewiesen hat. Ich habe als Kind mit einem analogen LVS-Gerät die Verschüttetensuche gelernt, als das noch deutlich komplizierter war als heutzutage. Jetzt sagt mir mein Barryvox ja eigentlich, was zu tun ist, und führt mich beinahe automatisch zum Ziel. Gab es da mal Phasen, wo du vor Lawinen Angst hattest? Angst nicht. Mein Vater hat uns schon immer auf die Gefahren hingewiesen und dass mal etwas passieren kann, aber es hat mir keine Angst gemacht. Entstanden ist daraus vielmehr ein gesunder Respekt, den man meiner Meinung nach auch haben sollte. Ist dir irgendwann schon mal etwas passiert? Mir direkt bisher zum Glück noch nicht. Also ich bin selbst noch nie verschüttet worden und ich musste noch nie selbst jemanden ausgraben. Das ist auch eine Erfahrung, auf die ich gerne verzichten kann. Ich kann mir vorstellen, gerade wenn man jemanden ausgraben muss, den man sehr gut kennt, kommt man schon in eine große emotionale Stresssituation. Das ist etwas, mit dem man erst mal zurechtkommen muss. Knappe Situationen kennst du aber schon? Natürlich, das gehört zum Freeriden, oder wenn man viel in den Bergen unter-
wegs ist, wahrscheinlich dazu. Wenn ich viel draußen unterwegs bin, setzte ich mich dem Risiko Berg oft aus und entsprechend werde ich auch öfters brenzlige Situationen erleben. Andererseits bekomme ich dadurch mehr Erfahrung und kann so wieder bessere und sicherere Entscheidungen treffen. Bisher habe ich immer Glück gehabt, weil ich oder auch andere, mit denen ich unterwegs war, noch aus einer Lawine rausfahren konnten. Das war aber wirklich einfach nur Glück und hat nicht unbedingt was mit Können zu tun, sprich es gibt keine Garantie, dass es das nächste Mal wieder funktioniert. Wenn man in solche Situationen kommt, vielleicht sogar öfter, sollte man sein Verhalten am Berg grundlegend überdenken und wahrscheinlich ändern.
Wie oft kommen sie bei dir vor? Darüber spricht man nicht! Warum eigentlich nicht? Es ist nichts, womit man prahlen sollte. Ich meine das vor allem in Bezug auf Soziale Netzwerke oder ähnliches, da werden Posts zu solchen Situationen schnell mal falsch aufgenommen. Untereinander spricht man natürlich schon darüber. Vorher, wenn man ins Gelände geht, aber auch danach, wenn mal eine brenzlige Situation vorgekommen ist. Wenn ich mit Freunden oder Kollegen unterwegs bin, diskutieren wir eigentlich immer über mögliche Gefahren und auch, wie wir verschiedene Situationen einschätzen, insbesondere wenn es da unterschiedliche Meinungen gibt. Das ist wichtig, denn daraus kann man viel lernen und es hält einen wachsam. Wir machen auch immer einen LVS-Check
NADINE WALLNER ÜBER LAWINEN
bevor wir ins Gelände gehen, obwohl jeder von uns natürlich mit dem Gerät umgehen kann und weiß, dass man es anschalten sollte.
Lawinen gehören also zu deinem Alltag? Es ist schon so, dass jeder, der viel im Gelände unterwegs ist und ernsthaft Freeriden geht, auch mal ein Schneebrett auslöst. Also nicht nur Freeride-Pros, sondern zum Beispiel auch Berg- und Skiführer, die hier am Arlberg arbeiten und die ganze Saison über im Gelände unterwegs sind. Das heißt aber nicht, dass es immer eine unkontrollierte Situation ist. Andererseits weiß man auch nie, wann es wirklich knapp war. Fünf Meter weiter rechts und ich hätte vielleicht den Hotspot getroffen und eine Lawine ausgelöst. Man versucht immer, die Situation anhand von Wissen und Erfahrungswerten einzuschätzen, und an manche Hänge tastet man sich auch taktisch heran. Dazu gehört etwa das klassische Anschneiden eines Hanges. Wichtig ist aber, dass man weiß, was man tut, und die Entscheidung auch an die jeweiligen Skipartner anpasst. Als Skiführer mit Gästen habe ich eine Fremdverantwortung und riskiere nichts; mit gleichwertigen Begleitern probiere ich auch mal was aus, was dann meinen Erfahrungsschatz wachsen lässt. Die Kunst besteht darin, den Topf Glück nicht leer werden zu lassen, bevor der Topf Erfahrung voll ist. Eine 100%ige Sicherheit gibt es am Berg aber nicht! Wie würdest du deine Zielsetzung im Umgang mit Lawinen beschreiben? Grundsätzlich versuche ich natürlich immer, einen Lawinenabgang zu vermeiden. Es kommt aber auf die Situation an
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Foto: Andreas Vigl / Ort: Stuben am Arlberg, Österreich
und mit wem ich unterwegs bin, wieviel Risiko ich bereit bin einzugehen. Wie schon gesagt, wenn ich mit Gästen fahre, dann verhalte ich mich defensiv. Wenn ich dagegen mit einem guten Kollegen oder einer guten Kollegin fahre, dann nehmen wir auch schon mal einen Hang mit, den ich mit Gästen vermeiden würde. Und beim Filmen ist es noch mal anders. Das liegt vor allem daran, dass die Situation jeweils eine andere ist. Beim Kollegen oder der Kollegin weiß ich genau, was sie können und wie sie im Fall der Fälle reagieren würden. Außerdem können sie die Situation für sich selbst beurteilen, was Gäste nicht können oder auch einfach nicht wollen.
Wenn ihr zusammen in einer Gruppe unterwegs seid, also du mit Freunden beim Freeriden oder mit Kollegen beim Filmen, wird da offen besprochen, welches Risiko noch akzeptabel ist und welches nicht mehr? Es wird auf jeden Fall darüber geredet und wenn einem etwas nicht passt, dann sagt man das auch offen. Das ist sehr wichtig, selbst wenn man vielleicht nicht die meiste Erfahrung oder die höchste Ausbildung in der Gruppe hat. Es kann in solchen Situationen, wo eigentlich alle auf einem ähnlichen Niveau sind, schnell gefährlich werden, wenn das Selbstvertrauen fehlt, um seine Meinung und insbesondere Zweifel zu äußern. Es folgt dann jeder dem anderen und irgendwann weiß keiner mehr, wie man eigentlich in die Situation gekommen ist, in der keiner sein will. Und wie ist es beim Filmen? Bei Filmaufnahmen entscheide ich allein, weil dort fahre ich meine Linie und sonst niemand. Das heißt nicht, dass wir nicht auch die Situation diskutieren, doch ich würde mir da nichts vorschreiben lassen und genauso würde ich die Verantwortung nie abwälzen. Oft ist die Situation beim Filmen aber nicht mit dem normalen Freeriden vergleichbar, weil ich mir eine Linie über lange Zeit anschaue, bis endlich die perfekten Bedingungen zum Filmen herrschen. Grundsätzlich ist das Wissen um die lokalen Verhältnisse ja unglaublich wichtig, um die Lawinensituation einschätzen zu können. Beim normalen Freeriden hat man eher das ganze Gebiet im Auge. Beim Filmen geht es oft um eine spezielle Linie, die ich manchmal die ganze Saison über beobachte, um sie am Tag X zu befahren. Wenn du mit Gästen unterwegs bist, sind diese informiert und interessieren sie sich für das Thema Lawinen?
THEMA
Oder wollen die einfach nur sicher Powder fahren? Das ist ganz unterschiedlich, manche so und andere so. Aber natürlich ist das richtige Verhalten immer ein Thema, weil ich muss ja sicherstellen, dass jeder mit der LVS-Ausrüstung zumindest einigermaßen vertraut ist. Generell ist es so, dass man da gar nicht genug machen kann. Ich selbst gehe auch vor jeder Saison ausgiebig mit dem LVS-Gerät üben. Und ich mache immer einen LVS-Partnercheck, ganz egal mit wem ich unterwegs bin. Routine ist gut, kann aber auch gefährlich sein, wenn man nicht mehr nachdenkt oder aufpasst. Dann passieren schnell Fehler. Ideal ist es, wenn man immer darüber redet, was gerade passiert. Diejenigen mit mehr Erfahrung sind dadurch aufmerksamer und diejenigen mit weniger Erfahrung können auf diese Weise viel lernen. Ich habe zum Beispiel vor einiger Zeit zusammen mit Fabi Lentsch ein Camp für junge Freerider
gemacht und da war es ganz erstaunlich, auf welcher Augenhöhe sich am Ende alle begegnet sind, weil alle bei der Sache waren und es ernst genommen wurde.
Du würdest aber sagen, dass das Thema Lawinen mit einem SafetyCamp alleine nicht erledigt ist? Auf keinen Fall. Ich habe zum Beispiel diesen Winter mit der Mammut Alpine School einige Freeride Days hier am Arlberg. Da geht es zwar auch um Fahrtechnik und das Freeride-Erlebnis an sich, aber Lawinensicherheit ist ebenfalls ein wichtiger Punkt. Man muss stets wachsam bleiben. Die LVS-Ausrüstung und ein Lawinen-Airbag sind kein Freifahrtschein. Der Schnee und die Lawinen sind ein sehr kompliziertes Thema, dem man nur mit viel Erfahrung, ständigem Üben, der nötigen Vorsicht und der richtigen Ausrüstung gerecht werden kann. Checkt mammutalpineschool.com für mehr Info!
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S H A P E D O N T H E AT H L E T E – B E A N AT H L E T E
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JAAKKO JÄRVENSIVU
IN DEN SPÄTEN 1980ERN RETTETE EINE BANDE VON FREIBEUTERN IN NEON DEN WINTERSPORT VOR LANROD WALKER GEWEILE MIT EINEM SKIFILM, DER DEN WEG FÜR DIE KOMMENDEN FREESKI-GENERATIONEN BEREITETE. 2018 WIRD THE BLIZZ ARD OF AAHHH’S 30 JAHRE ALT.
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in kalter Wintertag 1988; so kalt, dass unser Sportlehrer beschloss, statt uns Eishockey spielen zu lassen uns lieber einen Film zu zeigen. Der Raum war voller Kinder mit laufenden Nasen, die skeptisch einen Skitrainer mittleren Alters mit einem großen Schnurrbart beäugten, wie er einen VHS-Rekorder anschloss. Zuerst blieben wir skeptisch, doch nur ein paar Minuten nach Filmbeginn starrten wir gebannt auf den Bildschirm und auf die Helden des Films: Scott Schmidt, Glen Plake und Mike Hattrup, wie sie das Terrain von Chamonix eroberten. Der Regisseur des Films, Greg Stump, schickte uns auf einen Trip mit dem fliegenden Teppich zu exotischen Plätzen wie Chamonix, Telluride and Squaw Valley – darauf unsere neu entdeckten Skihelden. Wir waren fasziniert, und wir waren nicht die Einzigen. The Blizzard of Aahhh’s veränderte das Leben einer ganzen Generation von Skifahrern und wurde zum Wendepunkt des Sports und des Skifilms. Ikonen wie Mike Douglas,
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Co-Entwickler des ersten kommerziellen Twintips, Shane McConkey, Vorreiter der Rocker-Technologie, und Seth Morrison, Pionier des Big Mountain Freestyle, nannten diesen Film als wichtigen Einfluss. Um zu verstehen, warum Blizzard einen so großen Eindruck machte, muss man sich die Welt von 1988 anschauen. Nach den Gegenkulturen der 60er und 70er Jahre – die Hippies, die Punks, der Protest gegen den Vietnamkrieg – kehrte in den 80ern beiderseits des Atlantiks der Konservativismus zurück. Das Jahrzehnt war geprägt von geldgierigen Yuppies mit Nadelstreifenanzügen und Rolex Uhren. Aus Angst vor sinkenden Skifahrerzahlen verlegten Skigebiete ihr Marketing weg vom eigentlichen Skifahren hin zu anderen Annehmlichkeiten. Jet-Set-Resorts mit Celebrities in schultergepolsterten Overalls beherrschten das Bild, das in dieser Zeit für den Skisport stand. Während der Mainstream also eher trostlos war, kam Blizzard ganz anders daher. Farbenfroh und überaus lebendig
zeigte er wilde Charaktere aus dem Skibum-Untergrund, ein Widerstand gegen das böse Imperium der Langeweile, zu dem sich Skifahren in den 80ern entwickelt hatte. Die Clambin-Jungs operierten aus ihrem sicheren Versteck in Verbier, Rasta Stevie kämpfte um Telluride als Ort für Außenseiter und Scott Schmidt wollte Leute am liebsten erschießen, die Skigebiete wegen ihrer Unfälle verklagten und damit verhinderten, dass extremeres Terrain für echte Skifahrer freigegeben wurde. Und dann gab es da noch Glen Plake, der die Rebellion einfach selbst personifizierte. In der Zeit vor The Blizzard of Aahhh’s beherrschte Warren Miller das Skifilm-Geschäft. Miller war damals 64 und hatte seit den 1950ern Skifilme gemacht, während Greg Stump, ein ehemaliger US-Meister im Freestyle, gerade halb so alt war und eine andere Generation repräsentierte. Stump war sowohl für Miller als auch für Dick Barrymore vor der Kamera gefahren und wollte
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Fahrer: Glen Plake / Ort: Chamonix, Frankreich
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Fahrer: Scott Schmidt / Ort: Chamonix, Frankreich
Millers Skifilm-Formel unbedingt erneuern. „Ich mochte Warrens Filme nicht“, erinnert er sich. „Sie waren altmodisch, seine Fahrer waren schlechter als alle meine Freunde und seine Musik war mies.“ Bei Musik kannte Stump sich aus, er hatte als Radio-DJ beim progressiven Rock-Sender WBLM in Maine gearbeitet und er schaffte es, den britischen
SKIFAHREN HAT SICH SEIT 1988 EXTREM ENTWICKELT,
Aufnahmen. Stump hatte bereits eine alte Filmkamera an ein Windsurf-Segel für seinen 1985er Film Time Waits for Snowman geklebt. Für Blizzard wurde das 8-Kilo-Monstrum nun an Glen Plakes Helm befestigt, was die Zuschauer ganz nah ans Geschehen brachte. Verglichen mit heute war auch der Filmschnitt viel komplizierter: Die Aufnahmen auf 16mmFilm mussten zuerst auf Videoband transferiert werden. Stump hält den Schnitt von Blizzard für das Geheimnis hinter
Cliffs in Squaw Valley und fuhr fast senkrechte Linien in Chamonix mit seinen typischen Jump Turns; Glen Plake sprang stylische Airs, die ihrer Zeit weit voraus waren; und Mike Hattrup ließ alles super leicht aussehen. Egal ob es das Couloir Poubelle an der Aiguille du Midi war oder der Sprung von der Brücke am Gipfel der Grands Montets, der Film verband Extrem-Skifahren europäischer Prägung – steile Rinnen – mit amerikanischem Draufgängertum – hohe Cliffs – zu einer so
DOCH BLIZZARD RAGT AUS DEN HEUTIGEN SKIFILMEN IMMER NOCH WEGEN SEINER AUTHENTISCHEN CHARAKTERE UND STORY HERAUS. „WENN DU IRGENDEIN TIER AUF DER WELT SEIN KÖNNTEST, WELCHES WÄRE DA S?“ GLEN PL AKE ANTWORTET AUF DIESE FRAGE ZU BEGINN DES CHAMONIXSEGMENTS EINFACH MIT: „HM, ICH WEISS NICHT… ICH SELBST!“
Greg Stump filmt eine der ikonischen Chamonix-Szenen von Blizzard oberhalb des Couloir Poubelle an den Grands Montets.
Produzenten Trevor Horn von ZTT Records zu überzeugen, ihm die Verwendung seiner Musik zu erlauben. Der Gebrauch des Soundtracks in The Bizzard of Aahhh’s war revolutionär. Stump schnitt seine Ski-Sequenzen passend zur Musik und sprach eine Generation, die mit Musikvideos groß geworden war, direkt an. „Trevors Euro-Pop passte perfekt zur Stimmung des Films“, erzählt Stump. Eine andere Pionierleistung war der Einsatz von POV (Point of View)
THE BLIZZARD OF AAHHH’S
dem Erfolg des Films: „Ich liebe das Schneiden. Es ist vielleicht das, was ich am besten kann.“ Ein weiterer wichtiger Punkt war der Durchbruch des HomeVideo-Rekorders etwa zur Zeit des Films, was Stump erlaubte Tausende von VHSKassetten direkt an sein Publikum zu verkaufen anstatt wie damals üblich mit dem Film ausschließlich auf Tour zu gehen. Doch vor allen anderen Aspekten war es das Skifahren, das den Unterschied ausmachte: Scott Schmidt sprang enorme
kraftvollen Mischung, dass sie der Bezugspunkt für die kommende Generation von Freeskiern wurde. Skifahren hat sich seit 1988 extrem weiterentwickelt, doch Blizzard ragt aus den heutigen Skifilmen immer noch wegen seiner authentischen Charaktere und Story heraus. „Wenn du irgendein Tier auf der Welt sein könntest, welches wäre das?“ Glen Plake antwortet auf diese etwas seltsame Frage zu Beginn des Chamonix-Segments einfach mit: „Hm, ich
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Fahrer: Glen Plake / Ort: Chamonix, Frankreich
Greg Stump mit einer legendären Arriflex 16 mm Filmkamera.
weiß nicht… Ich selbst!“ Gefolgt von seinem typischen Lachen, das die Antwort gar nicht so abwegig erscheinen lässt. Er trägt seinen Mohawk, Neon-Shorts und -Jacke sowie ein Halsband, das aus Swatch-Armbändern gemacht zu sein scheint. Er ist ein ganz neuer Typ des Skihelden: großspurig, eingebildet und laut. Für viele Kids war er die Antithese zu Alberto Tomba und Pirmin Zurbriggen, die üblichen Idole der Zeit. Scott Schmidt war dagegen das genaue Gegenteil von Plake: ruhig, kalkuliert, sein Skifahren für sich sprechen lassend. Für diejenigen, denen Plake zu extrovertiert war, diente Schmidt als perfekte Identifikationsfigur. Zusammen waren sie ein ideales Duo, ergänzt von Mike Hattrup als die Hauptfiguren in Blizzard. Stump nennt seinen Vater Walter, einen Theaterwissenschaftler, als prägenden Einfluss auf sein Storytelling. „Er
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ließ mich immer glauben, dass es Magie tatsächlich gab“, erinnert sich Stump.
dazu, eine Rivalität zwischen dem ExRennfahrer Schmidt und dem FreestyleNewcomer Plake aufzubauen. Ob es diese gab, sei dahingestellt, doch der dramaturgische Effekt wirkte. Als der Zug mit den drei Protagonisten im Bahnhof von Chamonix einrollt, ist der Zuschauer gefesselt und will wissen, wie sich die Situation entwickelt. Der Rest ist, wie man so schön sagt, Geschichte. The Blizzard of Aahhh’s war in der Skiwelt ein riesiger Erfolg und schlug sogar im Mainstream Wellen. Schmidt und Plake wurden in den USA in die Today Show eingeladen, was ihre Karrieren enorm beflügelte. „Sie waren die ersten Skifahrer überhaupt in der Today Show“, erinnert sich Stump. „Sie lief am Morgen des ersten Tages der großen Ski-Messe in Las Vegas, was natürlich half.“ Somit ebnete Blizzard nicht nur den Weg für „Extreme Skiing“, sondern auch – und noch wichtiger – für die Rolle des professionellen Freeskiers. Mit dem Film im Rücken landete Plake einen Sponsorenvertrag mit K2. Schmidt war bereits zuvor der erste gesponsorte
ER IST EIN GANZ NEUER TYP DES SKIHELDEN: GROSSSPURIG, EINGEBILDET UND LAUT. FÜR VIELE KIDS WAR ER DIE ANTITHESE ZU ZURBRIGGEN, ALBERTO TOMBA UND PIRMIN DIE ÜBLICHEN IDOLE DER ZEIT. Wie jeder gute Magier weiß er, wie man eine Illusion erzeugt. Er gibt zu, dass die Szene aus dem „Squaw Valley Shootout“, wo Plake gegen Tom Day und Mike Slattery in einem Cliff Jumping Contest antritt und das Ticket nach Chamonix gewinnt, komplett erfunden war. „Ich war an diesem Tag nicht mal vor Ort“, erzählt er. „Bruce Benedict drehte die ganze Sequenz und ich fügte erst später die Story hinzu.“ Die Szene diente auch
Skifahrer, der nur filmte, mit einem Deal mit The North Face seit Mitte der 1980er, doch davon konnte er kaum leben. Das änderte sich mit Blizzard. Schmidt und Plake wurden so zum Vorbild einer neuen Generation von Rebellen auf zwei Brettern: dreist, voller Selbstvertrauen und bereit, die Regeln zu brechen. Das 30-jährige Jubiläum von The Blizzard of Aahhh’s wird in den USA mit einer Filmtour gefeiert; gerüchteweise soll es auch einige Stopps in Europa geben. Info unter blizzard30.com .
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KARAKORUM TAGEBUCH FOTOS
JÉRÔME TANON
DAS REISE-TAGEBUCH EINER UNGLAUBLICHEN FREE RIDE-EXPE DITIO N INS HERZ DES KARAKORUM-GEBIRGES. DIE SUCHE NACH EIN EM DE R SCHÖNSTEN SKIBERGE DER WELT. DAS AUFEINANDERTREFFEN VON FREERIDEN UND ALPINISMUS. EIN ECHTES ABENTEUER. 8. APRIL, DER KKH Von Islamabad nach Skardu ist es eine 35-Stunden-Busfahrt auf dem KKH, dem weltberühmten Karakorum Highway. Einst Teil der Seidenstraße, ist er die einzige Verbindung nach China. Die Straße ist eine dauernde Baustelle, ein komplettes Durcheinander. Voll beladene Trucks überholen sich zwischen Felsen und Schlaglöchern. Kopfweh. Ich sollte schlafen, aber Yannick erzählt mir von seiner Besteigung der Annapurna-Südwand,
und wie sein Freund fast in seinen Armen gestorben wäre. Es riecht nach Gewürzen und Diesel und ich muss grinsen, denn mir wird klar: Das ist mein bisher verrücktester Trip! Pakistan, ein neues Land für mich. Urdu, eine völlig ungewohnte Sprache. Wir passieren Abbottabad, der Ort, wo Osama bin Laden gefunden wurde. Ich verwende meinen Beutel mit Filmrollen als Kissen. Shab bakher – Gute Nacht. JÉRÔME
10. APRIL, 2200 M, SKARDU Ich stehe zwischen den Blumen im Garten unserer Lodge in Skardu. Der Indus fließt in vielen Schleifen zwischen Sanddünen ruhig vorbei. Die Natur ist großartig hier. Meine Augen können sich nicht satt sehen. Die Waage sagt, wir haben 360 Kilogramm Gepäck unter uns acht aufzuteilen. Je näher wir kommen, desto unwirklicher wird es. Doch wir sind in Skardu und packen alles, was wir oben brauchen werden: Schlitten, Gaskartuschen, Solarpanels, Splitboards, Ski, Seile, Zelte, Matten, Schlafsäcke, Trockenmahlzeiten, Schinken, Käse, Kekse… Wir müssen so leicht wie möglich bleiben; Yannick, der schon oft in Pakistan war, wiederholt das ständig. Morgen werden wir Askole erreichen, das Ende der Straße, das letzte Dorf. Wer hätte gedacht, dass Skifahren und Snowboarden uns so weit bringen würde? THOMAS
10. APRIL, DIE JEEPS Gestern Nacht hat mich ein gemeiner Brechdurchfall erwischt. Typisch Tourist. Ich muss mir andauernd Toilettenpapier zwischen die Arschbacken klem-
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men und kann nichts essen. Aber es wird schon werden, nichts kann mir die Erfahrung hier vermiesen. Unser Jeep-Fahrer bringt mir etwas Urdu bei: Wa baraka tu – Viel Glück! Safar bakher – Gute Reise! Allah khosh rake – Gott sei mit dir! Yemeri duwahe – Ich bete für dich! Die Straße nach Askole endet im Canyon des Todes. Ich nehme alles zurück, was ich über den KKH gesagt habe, denn das hier ist echt am Limit. Konstanter Steinschlag und überall Erdrutsche. Wir klammern uns irgendwo fest, während die Jeeps langsam voran kriechen. JÉRÔME
11. APRIL, 2900 M, CRICKET MIT DEN LOCALS Wir treffen die Träger in Askole. Sie werden den Trek mit uns beginnen, dann brechen wir zu einer 150-km-Runde über die Gletscher auf. Der Kulminationspunkt wird der Skam La-Pass mit 5600 m sein, den wir überqueren müssen. Vor uns war nie jemand zum Freeriden dort. Das wahre Ziel unserer Expedition ist der Biacherahi North Tower. Am Ende eines recht unbekannten Gletschers hat er eine Spine-Flanke, die Thomas irgendwo
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in einer Bücherei entdeckt hat. Sie ist fast senkrecht, unbefahren. Es gibt keine aktuellen Bilder oder Infos. Wir wissen nicht mal, wie der Gletscher aussieht. Aber seit er das Foto gesehen hat, träumt Thomas von diesen Spines. Als er erfuhr, dass sein Freund Zak seinen Traum teilte, stellte er diese Expedition auf. Und
jetzt sind wir hier im KarakorumGebirge, alles wegen irgendeines Fotos in einem alten Buch: Der Biacherahi North Tower, 5880 m hoch. Tom, du bist wirklich ein verrückter Hund. JÉRÔME
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12. APRIL, 3200 M, DER TREK BEGINNT Beim Gehen habe ich Zeit mich zu fragen: „Was mache ich hier eigentlich?“ Die Balti-Träger bereiten das Mittagessen, backen Chapattis. Diese Jungs sind hart im Nehmen, schlafen in einfachen Leinensäcken. Sie sind jeden Alters und jeder Größe und schaffen maximal 25 kg
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Gepäck. Wir sind die Ersten diese Saison, einen Monat zu früh, und jeder will den Job. Das heißt auch, wir sind die Einzigen da oben – die ganze Gegend nur für uns. Um uns herum Maultiere, Ponys, Pferde und Yaks. Ich bin mit Zak im Zelt, kann aber nicht schlafen. Ich zähle die Tage, seit wir unterwegs sind: sechs. Noch mindestens fünf bis zu unserer ersten Abfahrt. Skifahren hier bedeutet viel Auf-
wand! Ich gehe im Kopf immer wieder meine Liste durch, sicher dass ich etwas vergessen habe. Ich stelle mir das Face vor und hoffe, dass der Aufstieg nicht zu ausgesetzt sein wird. Ich vertraue Yannick und Hélias, aber ich weiß, das Stürzen keine Option ist. LÉO
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tig ist,“ aber ich verpasse die Alltagsgespräche. Nun ja. Solche Trips inspirieren mich immer, zuhause ein besserer Mensch zu sein. Klettere mehr, laufe, schwimme, lese, investiere mehr in Beziehungen, verschwende keine Zeit. Ich bin froh, meinen Horizont zu erweitern. Die letzten Tage war ich ziemlich krank, musste mehrmals täglich scheißen, und hatte keine Energie. Alles geht schwer – selbst im Flachen geht mir manchmal die Puste aus. Lächerlich. Ich hoffe, bald wieder stark zu sein. Kann auch kaum schlafen, kaum meine Körpertemperatur regulieren. Ich nehme jetzt ein paar Pillen. ZAK
15. APRIL, 4060 M, BUDDIES
13. APRIL, 3350 M, FLUSSÜBERQUERUNG Der Himmel ist toll. Überall tauchen spitze Gipfel auf, während wir vorankommen. Es geht durch vielfältiges Terrain, von Sanddünen bis hin zu Steinfeldern. Die Maultiere beeindrucken mich, sind trotz der schweren Last unheimlich trittsicher. Ein Erdrutsch zwingt uns, zweimal den Fluss zu überqueren. Die Träger und Maultiere sind im Nu auf der anderen Seite, während wir zerbrechliche Franzosen eine Viertelstunde brauchen. Ich balanciere über rutschige Steine, während die Wasserlinie meinem
Schritt gefährlich nah kommt. Der Temperaturschock ist heftig. Hinter mir quert Thomas in Unterhosen die Fluten und sieht aus wie ein Tourist. LÉO
14. APRIL, 4060 M, CAMPEN MIT DEN TRÄGERN Es fühlt sich gut an, einen Traum zu leben. Aber es ist Mist, als Einziger der Gruppe nicht Französisch zu sprechen. Sie sprechen alle Englisch, „wenn es wich-
Bevor uns die Träger verlassen, baut sich Spannung auf. Meine Kollegen diskutieren die Logistik und den Weg. Ich mag sie alle. Thomas, den jeder neue Gipfel in Begeisterung versetzt. Léo, der uns ständig zum Lachen bringt und alles mit seiner GoPro filmt. Spare Batterien, Léo! Zak aus Kalifornien, der die amerikanische Tradition bewahrt mit einer Tüte voll Snacks und lauter Musik. Er ist erst 21 und so weit weg von seinem geliebten Alaska. Dann sind da unsere beiden Kameramänner Pierre und Julien und schließlich Hélias und Yannick, die dauernd Bergführer-Tratsch aus Chamonix austauschen. Yannick, der schon vier Achttausender bestiegen hat, regt sich über jeden nicht überlebenswichtigen Gegenstand auf, den wir dabeihaben. Hélias, das junge Alpinisten-Genie, hat lustige Weibergeschichten und den heftigsten französischen Akzent auf Lager. Wir bilden zusammen einen lustigen Haufen. JÉRÔME
15. APRIL, 4400 M, NOBANDE SOBANDE Die Sonne geht über unserem ersten Lager auf dem Nobande Sobande-Gletscher unter. Am Ende des Gletschers liegen der Biacherahi Tower und der Skam La-Pass. Heute Morgen kamen wir mit den Trägern bis 4300 m, von wo aus wir die Schlitten benutzen konnten. Sie waren hier noch nie zuvor. Da unsere Route nicht am Weg zu den Achttausendern liegt, ist die Gegend ziemlich unbekannt. Die Träger wollten schon eher umkehren, doch Yannick verhandelte mit Snickers. Weniger für uns zu essen,
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Sorgen, aber wir können nichts tun. Wir sollten noch sieben Kilometer weiter und müssen eine Entscheidung treffen. Jérôme schafft es auf und meint, er könne weitergehen, wenn er keinen Schlitten ziehen müsse. Wir haben sechs Schlitten und acht Leute. Hélias rät ihm etwas zu essen und zu trinken und nimmt ihm den Rucksack ab. LÉO
17. APRIL, 4830 M, STURM
aber auch weniger zu tragen. Jêrome gab ein gutes Trinkgeld und verabschiedete sich auf Urdu. Wir mussten alles auf die Schlitten umpacken, sie sind unglaublich schwer! Heute Abend essen wir unser erstes Expeditionsessen, das erste von vielen. Unsere Abgeschiedenheit ist gewachsen, wir sind jetzt auf uns gestellt – total!
essen etwas Käse und gehen weiter. Um 13:00 bricht Jérôme vor seinem Schlitten zusammen. Er weint, keucht, kann nicht atmen. Er hat Höhenkrankheit. Nicht genug Akklimatisierung. Wir machen uns
Wir sind mitten in einem Sturm und können nicht weiter. Pause. Welch Vergnügen, hier mit den sieben Jungs zu sein, die ich gerade kennenlerne. Alles ist wild hier und wir sind wie wilde Tiere. Eigentlich mag ich es sanft, aber nicht hier. Hier bin ich ein Tier. Die Landschaft ist faszinierend. Gestern im Nebel hatte ich Angst, eine Lawine könne die Zelte erreichen. Heute Morgen sah ich, dass wir sicher waren. Ich werde auf meine Mitstreiter aufpassen, versprochen. Ich mag
THOMAS
16. APRIL, 4830 M, CAPTAIN JÉRÔME IN NÖTEN Ich wache um 5:30 auf. Pierre schaut seltsam, ich muss geschnarcht haben. Ich gehe raus, um Schnee zu schmelzen fürs Frühstück und um die Wasserflaschen zu füllen. Hélias und Yannick warten noch auf die Sonne. Das ist wohl ein Bergführertrick, denke ich. Um 7:00 packen wir unser Camp zusammen. Ich diskutiere mit Yannick über die LVS-Geräte. „Unnötig. Wenn wir sie nicht hätten, wäre es dasselbe“, sagt er. „Hier in Pakistan würde uns eine Lawine umbringen, also wird es keine geben. Wenn jemand eine auslöst, werde ich ihn verprügeln.“ Wir legen die Spur an und streiten uns, wer den Größten hat. Zur Abwechslung geht es dabei um die Schlitten. Wir bewegen uns über diesen immensen, fast flachen Gletscher, als das Wetter schlecht wird. Unser Team verteilt sich, weil Pierre und Jérôme zurückbleiben um zu fotografieren und zu filmen. Beim Aufholen verausgaben sie sich. Im Nebel hätten wir uns vielleicht nicht wiedergefunden. Erschreckend. Jérôme ist darüber nicht glücklich und lässt uns das wissen. Ich fühle mich etwas verlassen und verwundbar. Wir
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diese Jungs und freue mich, die Momente mit ihnen zu teilen. Sie probieren etwas Neues, das ist großartig. YANNICK
17. APRIL, 4830 M, NOBANDE SOBANDE Das Kopfweh und der Durchfall scheinen vorüber und mein Körper erholt sich. Ich
bin jetzt fast vier Wochen von zuhause weg und fange an, meine Freunde zu vermissen. Ich träume davon, kurz nach Hause zu beamen – nur für einen Moment, aber es fühlt sich sehr real an. Dann werden meine Füße kalt und ich bin unvermittelt zurück in der Wildnis, die ich zuhause so herbeigesehnt hatte. Es scheint ein Thema meines Lebens zu sein, dass ich mich selten dort glücklich fühle, wo ich gerade bin. Dabei lebe ich gerade einen Traum, campe unter diesen Spine-Flanken, von denen ich jahrelang
geträumt habe. Doch ich vermisse meine Heimat, meine Freundin, meinen Hund. Dieser Trip war bisher nicht leicht. Außerdem habe ich heute einen seltsamen Ausschlag auf meinem ganzen Körper entdeckt: rote Pickel auf meinen Hüften, Armen und Beinen. Mitten in der Nacht wache ich auf, weil es so juckt. Ich habe keine Ahnung, woher das kommt. ZAK
18. APRIL, 4830 M, IM ZELT Wir stecken in einem Schneesturm. Es soll in vier Tagen eineinhalb Meter schneien! Ich habe alle Symptome der Höhenkrankheit: Kopfweh, Übelkeit, Husten, Schlaf- und Appetitlosigkeit, also muss ich mich ruhig verhalten, bis ich akklimatisiert bin. Das GPS sagt uns, wir sind nur drei Kilometer vom ersten Face entfernt. So nah und doch so fern in diesem Wetter. Zaks Hautausschlag breitet sich über seinen ganzen Körper aus. Ein Arzt warnte uns per Satellitentelefon, dass er bei Atemnot sofort evakuiert werden muss, weil es das Anzeichen eines Ödems sein könnte. Nur, wie sollen wir ihn evakuieren? Askole ist mindestens sechs Tage entfernt und das pakistanische Militär – sollten wir es überzeugen können – kann nur fliegen, wenn zwei
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Helikopter verfügbar sind und die Sicht klar ist. Wir geben Zak starke Pillen und hoffen auf das Beste. JÉRÔME
20. APRIL, 5020 M, DIE MISSION Ich wache um fünf in der Früh auf. Draußen wütet weiter der Sturm, aber wir müssen unter allen Umständen das Camp verlegen. Keiner ist motiviert. Morgen soll das Wetter gut sein. Der Eingang zu meinem Iglo ist bis oben hin voll mit Schnee und bei den Zelten ist es noch schlimmer. Yannick befiehlt das Camp abzubrechen und dann, als alle fertig sind, geht er scheißen, während wir zehn Minuten in der Kälte warten. Hélias nimmt drei von uns hinter sich ans Seil und geht vor. Mein Schlitten ist schwer. Ich ziehe meine Last ohne Seil zwischen den Spalten im absoluten Whiteout. Irgendwann schaltet sich mein Hirn aus und ich gehe ohne zu denken. Ich bin fertig. Dasselbe bei den anderen. Um 16.00 kämpfen wir immer noch gegen den
Sturm, doch wir müssen das Camp aufschlagen. Wir vertrauen auf das GPS, denn man sieht nichts. Ich schaufle wieder ein Iglo, doch auf 5000 m ist das mühsam. Tom und Hélias helfen mir. Meine Füße sind gefroren, wir haben kein Wasser mehr und ich bin zu müde um zu kochen. Zak gibt mir eine Tasse Tee und etwas von seiner Trockenmahlzeit. Es soll nun fünf Tage schön werden. Ich schlafe ein. LÉO
ich mir. Die Wand ist schwieriger als gedacht. Eine halbe Stunde lang kämpfen sich unsere Bergführer durch eine vereiste Rinne, die Spines tragen einfach zu viel Schnee. Die Spannung steigt. Zak verliert die Geduld und behauptet: „Ich wäre schon vor 40 Minuten oben gewesen!“ Er bindet sich aus dem Seil. Yannick schreit ihn wütend an. Wenn er alleine gehen will, bitte! Thomas beruhigt alle und überzeugt Zak, sich wieder anzuseilen. Er erinnert ihn, dass wir ein Team sind und zusammenbleiben müssen. LÉO
22. APRIL, 5020 M, AN DEN ZWEI TÜRMEN 5:00. -25°C. Blauer Himmel! Ich freue mich auf den ersten Skitag. Wir wollen zu einer Spine-Flanke mit zwei Felsspitzen. 7:20, es geht los. Hélias kommt nach, denn er hatte eine zweifelhafte Furz-Situation im Schlafsack. Yannick sichert mich. Ich überquere den Bergschrund und springe in eine 6-Meter-Wand aus Eis mit nur einem Eispickel. Ich schaffe es gerade so. Hélias überholt uns und legt die Spur. „Der Typ ist legendär“, denke
22. APRIL, ZWEI TÜRME Nach dreistündigem Kampf für nur 300 m Höhengewinn erreichen wir endlich den Grat. Die Wand ist nicht hoch, aber sie macht mir Angst. Der Aufstieg hat viel Energie gekostet und ich will nicht stürzen. Am Gipfel ist kaum Platz für alle, also wird Zak, der als Letzter ankam, als Erster fahren. Zuerst aber rasten wir und genießen die Aussicht. Unglaubliche Gipfel stehen am Horizont: die Latoks, Ogre I und II. Letzterer ist immer noch unbestiegen. Verrückt! Die Stimmung ist euphorisierend. Ich könnte Stunden hierbleiben, aber die Kameras sind bereit. Zak lässt sich Zeit. Ich glaube, er spürt den Druck als Erster zu fahren. Er fährt los, verschwindet hinter dem ersten Spine und wir warten. Der Sluff kommt unten hervor, und darin ist Zak mit zwei roten Ballons an seinem Rücken. Er hat seinen Airbag ausgelöst! Doch er ist okay, nur etwas durchgeschüttelt. Die Drohne ist noch in der Luft, also muss ich schnell starten. Yannick redet auf mich ein, will mir Sicherheit geben. Ich bitte ihn ruhig zu sein. Ich hole Luft und fahre los. Oh mein Gott, auf 5000 m zu fahren ist definitiv anders! Aber ist das geil! Die erste Line nach elf Tagen Trecking. Eis im Hang erschreckt mich, und es gibt viel davon. Ein Aufwärm-Run – guter Witz. Der Schnee ist tief, und tonnenweise Sluff kommt mit. Vorsicht! THOMAS
Fahrer: Léo Taillefer
23. APRIL, 5020 M, ALLES NACH PLAN Das Wetterfenster, um den Skam La zu passieren, wird kürzer, und wir beschließen den Biacherahi Tower morgen anzugehen. Keine Zeit verschwenden. Gleich in die Vollen! Es kann aber anstrengend
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werden. Wir laden die Batterien mit den Solarpanels und essen und trinken soviel wie möglich. Ich packe meinen Rucksack. Jeder ist um 18:30 im Bett. Morgen geht es auf ein 5880 m hohes Monster. Ich habe gemischte Gefühle: Angst und Vorfreude. Es ist kaum auszuhalten. Ich denke daran, was Zak gesagt hat: „Der Biacherahi ist nur für Gangster.“ Bin ich ein Gangster? Mit Schmetterlingen im Bauch schmiege ich mich an meine Wasserflasche, damit sie nicht einfriert. Ich sage mir immer wieder: Das wird schon! LÉO
24. APRIL, BIACHERAHI NORTH TOWER Thomas, Lèo, Yannick, Hélias und ich gingen um 7:00 los. Wir überquerten ein Joch zwischen zwei riesigen Eiswänden und gelangten auf ein Band direkt unterhalb der Wand aus Spines. Mit den Wechten oben und den Seracs unter uns fühlte ich mich unwohl, diesen Hang in der Sonne zu queren, aber es war immer noch das Sicherste. Wir verteilten uns und stiegen hoch, bis wir eine halbwegs sichere, riesige Wechte hoch zum Gipfel
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erreichten: tausende Tonnen Schnee und Eis hingen über unseren Köpfen in Form einer brechenden Welle. Wir stiegen mit Steigeisen rechts auf, bis wir den Gipfel erreichten. Die Nordwände von Baintha Brakk I und II prägten das Bild. Ich musste an Kyle Dempster und Scott Adamson denken, die im Herbst 2016 in der Nordwand des Baintha Brakk II verschwanden: eine ernüchternde Erinnerung an die Ernsthaftigkeit dieser Gegend. Die Stimmung blieb gedämpft. Als wir zum Gipfel aufstiegen, brach ein Stück der Wechte weg, unter der wir gerade gesurft waren, und stürzte auf unsere Aufstiegsspur. Beängstigend! Wir überwanden die letzten hundert Meter an der Schulter, Wechten links und Triebschnee rechts. Der Hang hatte immer mindestens 40° und oben eher gegen 70°, darunter ein Abgrund aus Eis und Fels für tausend Meter. Hier wäre eine Lawine katastrophal. ZAK
An diesem Tag verging die Zeit langsam. Ich positionierte mich mit Julien gegenüber der Spine-Flanke für Action-Aufnahmen. Pierre war unterhalb, bereit die Drohne zu starten. Der Biacherahi ist ein unvergleichlicher Berg, Schneerippen
ziehen fast senkrecht hoch zu einer riesigen Wechte, die den ganzen Gipfel überspannt. Ich fragte mich, wie die Jungs in den Hang kommen wollten, und hatte Angst um meine Freunde. Dabei schwebten sie eher in Lawinengefahr wegen des Triebschnees. Damit sie sich nicht gegenseitig mitreißen würden, stiegen sie ohne Seil auf. An diesem Punkt beschloss Thomas umzukehren. Er wollte einfach nicht sein Leben riskieren. Dabei hatte er drei Jahre lang vom Biacherahi geträumt! Er blieb am Fuß der Flanke zurück, allein mit seiner Entscheidung, während die anderen zum Gipfel aufstiegen. JÉRÔME
Als Thomas beschloss umzukehren, trafen Léo und ich im Vertrauen auf die Erfahrung von Yannick und Hélias die schwierige Entscheidung weiterzugehen. Nach 20 Minuten furchteinflößender Kletterei durch gebundenen Schnee seilten wir uns wieder an und stiegen mit Eisschrauben zwischen uns weiter. Léo sagte, dass er noch nie etwas Derartiges geklettert war. Ich bin beeindruckt von seiner Leistung, und wie ruhig er soweit jenseits seiner Komfortzone blieb. Wir standen um 15:30 am Gipfel – viel später als erwartet –, umarmten uns und
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sogen den Ausblick auf 5880 m in uns auf. Was für ein Panorama: Baintha Brakk I und II, der ganze Nobande Sobande-Gletscher, der sich nach Norden Richtung China erstreckte, die Latok- und Choktoï-Gruppe bis hin zum K2 und Broad Peak, die alles überragten. Keiner von uns wird das je vergessen. Die nächste Herausforderung war vom Gipfel zum Beginn der Spines zu traversieren, denn ganz oben war das Face zu eisig und ausgesetzt. Der steile Grat war nur 3-5 m breit mit Wechten links und einer senkrechten, 500 m hohen Felswand rechts. Wir stiegen mit großer Vorsicht und waren froh, in Hélias und Yannick so erfahrene Partner zu haben. Der Grat bevorteilte einen Goofy-Fahrer und ich fühlte mich nicht wohl am Gipfel mein direktionales Board anzuschnallen. Léo und Hélias fuhren direkt vom Gipfel mit Ski ab, während Yannick und ich mit Steigeisen und Pickel bis zum Einstieg in den Hang gingen. Léo war so freundlich
mir den Vortritt zu lassen. Als ich mich bereit machte, ermahnte mich Hélias noch einmal: „Kein Freeriden!“ Es wurde zum Treppenwitz. Ich hatte wohl mit meinem Sturz vor ein paar Tagen alle nervös gemacht. Mit dem Pickel in der Hand begann ich mich eine Spine hinabzuarbeiten. Wenige Zentimeter weiter lauerte Eis, doch der Schnee hielt gut in der Wand. Nach einigen Metern Side-Slipping machte ich die ersten Jump Turns. Alle paar Schwünge spürte ich Eis unter meinem Brett. Ich reihte Schwünge aneinander, bis meine Beine danach schrien Sauerstoff in die verausgabten Muskeln zu pumpen. Unten angekommen traf ich auf Thomas und umarmte ihn erleichtert. Ich habe ungeheuren Respekt davor, dass er seiner Überzeugung gefolgt und umgekehrt ist, während er sich gleichzeitig für uns freute.
Nach Zaks Erstbefahrung war Léo an der Reihe. Man erinnere sich, wo wir waren. Schon ein verstauchter Knöchel wäre eine Katastrophe: Abbruch der Expedition und zehn Tage Kampf für deine Freunde, um dich im Schlitten nach Askole zu ziehen. Doch statt auf Nummer sicher zu gehen, gab Léo Vollgas: In fünf Schwüngen zog er zwischen Sluff und Eisrinnen total kontrolliert das Face hinab. Verrückt! Ich traute meinen Augen nicht, die hinter der Linse meiner Pentax steckten. Mein Herz schlug so schnell wie Léos. Er zerstörte diese Wand. Unten angekommen widmete er seinen Run Thomas.
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Ich trauere meinem Iglo nicht nach. Wir ziehen weiter und lassen den Biacherahi hinter uns. Unser Fokus gilt jetzt dem Skam La, dem ultimativen Pass. Ich glaube immer noch nicht, was ich gestern gefahren bin. Eine Entjungferung. Ich bin verwirrt. Ich vertraute mein Leben Hélias und Yannick an und mir ist unklar warum. Wieso bin ich nicht umgekehrt, als wir unangeseilt im Triebschnee standen? Wenn du fällst, stirbst du. Das Gegenteil meiner Idee vom Skifahren. Tom entschied sich anders. Es war sein Berg, und er kehrte so knapp vor dem Gipfel um. Das macht ihn in meinen Augen zu einem Helden. Er liebt jedenfalls sein Leben. RESPEKT.
JÉRÔME
25. APRIL, 5430 M, AM SKAM LA-PASS
LÉO
25. APRIL, 5050 M, ES WAR ES NICHT WERT „Ich werde diesen Berg nie befahren.“ Das war mein erster Gedanke, als ich Pierre Neyrets Foto vom schönsten Berg der Welt in diesem Buch sah. Wie wahr! Dort oben, mit zögernden Guides und einem Hang voller Triebschnee war es mir zu riskant. Ich stieß an meine Grenze. Hélias versuchte nicht mich umzustimmen; er wusste, es war haarig. Schade. Für mich wird es ein Traum bleiben. Jetzt will ich über den Skam La, die Runde vollenden, den Snow Lake sehen und über den Biafo-Gletscher gehen. Uns bleiben sechs Tage – nicht viel Zeit, und ich muss die anderen noch überzeugen. Doch mir ist es das wert. Wie sieht es auf der anderen Seite aus? THOMAS
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THOMAS
26. APRIL, SKAM LA!
25. APRIL, 5430 M, SKAM LA Es ist 9:00 und wir müssen uns entscheiden: Skam La oder nicht? Jérôme und die Filmer wollen auf dieser Seite mehr Footage produzieren. Julien besteht darauf. Hat er Angst? Seine Hände zittern. Zak, Léo und ich wollen über den Pass. Hierzubleiben wäre für mich ein Scheitern. Hélias ist auf unserer Seite. Der neue Wetterbericht ist gut. Jérôme folgt schließlich den Fahrern: Wir gehen über den Pass. Und wir müssen aufbrechen. Es ist immer noch weit und der Gletscher wird steiler. Unsere Schlitten scheinen 100 Kilos zu wiegen, ein Alptraum. Unser Kampf endet, als wir auf einem schönen Balkon 200 m unter dem Joch das Camp aufschlagen. Dahinter erhebt sich der K2.
Heute wurden wir die erst vierte Gruppe überhaupt, die den Skam La auf Skiern überquert hat. Yannick ist ein Held. Es brauchte drei 60-Meter-Seile, um die Last die heftige Westseite hinunter zu bekommen, während sich das Wetter eintrübte. In diesem Durcheinander war es gut zu wissen, dass es nun bis Askole nur noch bergab geht. Die Schlitten mit
LÉO
27. APRIL, FAST AM SNOW LAKE
THOMAS
Skam La. Der Pass am Ende der Welt. Nur Pierre Neyret kennt diesen Ort gut. Was liegt auf der anderen Seite? Ich kann kaum erwarten es herauszufinden. Wir werden drüber kommen, keine Frage!. Wir werden den Snow Lake sehen. Die Schlitten werden wir abseilen müssen. Nur umzukehren ist dann nicht mehr möglich. Dieser Pierre Neyret ist wirklich eine Legende. Wie kommt man auf die Idee hierher zu gehen? Das Wetter ist gut. Kommt, Freunde, let’s go! YANNICK
26. APRIL, 5200 M, KEIN ZURÜCK MEHR Wir brauchen eineinhalb Stunden, um die Schlitten die letzten 50 m hochzuziehen. Vom Pass auf 5630 m blicken wir auf ein ganzes Tal aus Eis, wunderschön. Vor
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hier zu frieren. Ich bin grantig und streite mich grundlos mit Thomas. Alles dauert, wir sind so langsam. Der Himmel ist wechselhaft, mal sonnig, mal bedeckt. Noch 14 km auf dem Sim GangGletscher bis zum Snow Lake. Die Schlitten fühlen sich leichter an. Als es aufklart, bewundern wir ein Meer aus Gletschern. Ich zähle acht, die hier zusammenfließen. Verrückt! Ihre Schönheit kuriert meinen Blues.
der Schwerkraft im Rücken zu ziehen wird viel leichter sein. Yannicks Können und Erfahrung waren enorm hilfreich und Hélias ist einfach eine Maschine, weitaus das stärkste Mitglied der gesamten Gruppe.
Wir sind auf einem anderen Planeten: Sim Gang. Die Zeit ist stehengeblieben. Die Landschaft besteht nur aus Fels und Eis. Weit und breit niemand. Einer nach dem anderen stellen sich die Einwohner dieses Planeten vor: Skam Brak, Baintta Brak, Uzun Brak und weitere unbenannte Bergspitzen. Ich kann es kaum
ZAK
27. APRIL, 4770 M, NACH 15 TAGEN Ich wache angsterfüllt auf. Ich denke an dich, Liebling. Ich hoffe, es geht dir gut. Über das Satellitentelefon gab es keine Neuigkeiten. Ich fürchte, es könnte was passiert sein. Noch eine Woche bis Skardu, dann kann ich dir wieder Nachrichten senden. Ich wünschte, ich wäre unter einer warmen Decke mit dir statt
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Von oben nach unten: Zak Mills (Snowboarder/USA), Hélias Millérioux (Alpinist/FRA), Léo Taillefer (Skifahrer/FRA), Jérôme Tanon (Fotograf & Regisseur/FRA)
uns liegt ein Hang voller Seracs, Gletscherspalten, Eis und Wechten. Yannick findet eine Rinne nach unten mit einer 150 m hohen Abseilstelle. Als der Standplatz eingerichtet ist, lassen wir die Schlitten ab, gefolgt von den Menschen, hinunter auf den Sim Gang-Gletscher.
unsere Haut sogar in unseren Nasenlöchern verbrannt. Nachts nehmen wir alles Wichtige in unsere Schlafsäcke zum Schutz vor Frost: Wasserflaschen, Schuhe, Stirnlampen, Kameras, Batterien, Gasflaschen, Stifte. Thomas ist schlecht drauf. Sein U-Turn am Biacherahi hat ihn mehr mitgenommen, als er zugeben will. Verständlich. Ich kann ihn nicht aufheitern. Seine positive Einstellung ist erstmals verflogen. Physische und psychische Erschöpfung bringt uns ans Limit. Ich kenne Tom gut; das Einzige, was ihm hilft, ist sein Board wieder anzuschnallen.
Von oben nach unten: Pierre Fréchou (Kameramann/FRA), Yannick Graziani (Alpinist/FRA), Julien Nadiras (Kameramann/FRA), Thomas Delfino (Snowboarder/FRA)
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fassen. Wie wir durch diesen Ort der Schönheit gleiten, wird mir klar, dass ich gerne länger bliebe. Die Zeit reicht nicht. Kaum hier müssen wir gleich eine Linie finden, die wir fahren wollen. Die Wände sind zu groß, zu komplex, voller Wechten und Seracs. Ich mag es nicht hastig. Ich möchte den Bergen zuhören. Wir stören ihre Ruhe. Wir kommen, nehmen, gehen. Sorry. Ich werde wiederkehren.
28. APRIL, KITEN! Wir sind auf den Biafo-Gletscher abgebogen. Der Nordwind hat aufgefrischt und schiebt uns an. Ich benutze wie Yannick
THOMAS
28. APRIL, 4770 M, DAS SNOW LAKE-PARADIES 5:40, ich öffne meine Augen. Mein Schlafsack ist patschnass. Draußen flippt Jérôme wegen des Sonnenaufgangs aus. Ich schließe mich der Show an. Der Himmel ist blau, purpurn, orange. Es ist wunderschön, aber der eiskalte Wind verdirbt das Vergnügen. Ich versuche Tom zum Besteigen einer großen Wand zu überreden. Er lehnt ab. Hélias begleitet mich zu einigen fetten Spines. Am ersten Hang hat Yannick ein schlechtes Gefühl. Es ist spät, der Schnee wird warm. Yannicks Gefühl ist unser Gesetz: U-Turn. Ich schließe mich Zak für einen kleineren Hang rechts an. Der Schnee ist tief und stabil. Oben ist es steil. Diesmal habe ich die First Tracks. Yallaaa!
steile Rampen zu erklimmen. Tom und Zak halten sich rechts mit Hélias, ich gehe links mit Yannick. Ich kenne ihn jetzt und im Ernst, man muss sich an Yannick halten. Unsere Ansichten übers Bergsteigen sind verschieden, aber heute finden wir zusammen. Oben haben wir einen tollen Blick auf das Face der anderen. Es ist steil! Hélias sichert Thomas in eine 55°-Eiswand. Das ist Thomas, wie ich ihn kenne. Er ist zurück. Go, Tom! Doch ich bin zuerst dran. Meine Linie liegt mir klar vor Augen, als die Drohne aufsteigt. Yannick ermahnt mich vernünftig zu bleiben. Ich konzentriere mich und fahre los. LÉO
29. APRIL, 4400 M, DIE GHURS-RAMPEN eine Isomatte als Segel. Noch schneller geht es, als ich mit Jérôme zusammen ein Zelt als Kite verwende. Die anderen folgen unserem Beispiel, doch wir sind schon Kilometer voraus und lachen uns kaputt! Ein perfektes Duo: halb Paragleiter, halb Windsurfer. Als Zugabe schlagen wir unser Camp vor einem Face auf, das wir morgen fahren wollen.
Wie magnetisch angezogen erklimmen Hélias, Zak und ich eine Wand aus Schnee. Einmal mehr täuschen uns die
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28. APRIL, AUSGEBRANNT Snow Lake. Der Ort, wo alle Gletscher zusammentreffen. Die unglaublich steilen Solu Towers ragen vor uns auf. Die Anstrengungen machen sich bemerkbar. Die Reflektionen vom Schnee haben
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29. APRIL, 4400 M, TAG 17 Ich öffne die Augen. Meine Hüften und Schultern schmerzen. Aber wie jeden Morgen hilft der großartige Ausblick die Schmerzen zu vergessen. Der Biafo ist 5 km breit mit monströsen Gipfeln auf beiden Seiten. Um 10:30 beginnen wir drei
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Entfernungen. Sie sah wie 300 m hoch aus, doch tatsächlich sind es eher 700 m. Um 11:00 sind wir auf unseren Steigeisen unterwegs. Hélias geht voraus und wir kommen schnell voran, doch der Hang erscheint endlos. Pierre und Jérôme unten am Gletscher sind wie Ameisen. Es wird steiler, doch ich habe keine Angst. Ich fühle mich gut – endlich ein Face, das ich wirklich fahren will! Dann Eis, doch Hélias ist ein Tier. Eine Eisschraube und es geht weiter. Oben ist es ein wahres Juwel mit tollem Blick auf Snow Lake und Kanjut Sar im Hintergrund. Ich schaue auf den Hang unter meinem Brett: riesig, hart und megasteil, aber ich liebe es. Wegen des Eises besteht Hélias darauf, für die ersten Turns das Seil zu benutzen. Passt, ich will ja nicht in den Tod schlittern. Ich teste den Hang mit einigen Jump Turns. Es ist steil, aber der Schnee ist fantastisch und ich bin in Form. Ich lasse das Seil hinter mir. THOMAS
fekte Bedingungen. Ich teile diese Erfahrung unglaublich gerne mit Thomas. Wir sind weit dafür gereist. Sein Grinsen zu sehen und ihn unten zu umarmen, war noch besser als die Abfahrt selbst. ZAK
JÉRÔME
29. APRIL, COMEBACK Thomas gelingt auf dem letzten Face des Trips ein fettes Comeback. In Urdu gibt es ein Wort dafür: Zabardast – Wunderbar! Er schoss ohne anzuhalten mit fetten Turns den ganzen Berg hinab und gewann sein Lächeln zurück. Der Himmel ist blau, es ist warm, Freude liegt in der Luft. Wir sind spät dran für das Rendezvous mit unseren Trägern und ziehen unsere Schlitten im Vollmond bis in die Nacht, unsicher ob wir sie in dieser Eiswüste finden könnten. Hoffentlich sehen sie uns. JÉRÔME
29. APRIL, STEIL Ich beobachtete Thomas, wie er die steile Rampe dominierte und als kleiner Punkt unten verschwand. Dann war ich an der Reihe. Bevor ich losfuhr, fragte mich Hélias mit seinem dicken Akzent: „You want ze rope or notte?“ Am eisigsten Punkt verliert meine Kante den Halt und ich brauche meinen Pickel, um einen Sturz zu vermeiden. Nach einer kurzen Traverse wird der Schnee besser. Ich surfe den Hang ohne weitere Probleme in großen Turns ab. Per-
FEATURE
Der Chef-Träger Salman Ali taucht auf, gefolgt von vier Balti-Trägern mit ihren berühmten 4x4-Maultieren. Wie haben sie uns gefunden? Ein warmer Empfang von den Locals, die genauso überrascht und froh sind wie wir. Wir beladen die Maultiere und beginnen unseren Marsch hinunter nach Askole. Abends schlagen wir an der Moräne das Lager auf. Die Baltis machen Feuer, heißen Tee und Chapattis. Sie singen alte Lieder, das Feuer knistert. Wir sind erschöpft und haben gleichzeitig nichts und alles auf der Welt.
1. MAI, 2900 M, DAS ENDE DES TREKS So ein Bockmist. Unendliche Gletscherhölle, Spalten, verdammt wacklige Steine, nie enden wollende Moräne. Ich laufe mir den Arsch ab unter der ScheißSonne, den ganzen Tag! Der letzte Tag ist der härteste. Ich halte es nicht mehr aus. Knie kaputt, Füße Matsch in den Stiefeln, die Gedanken besessen von einer Dusche, Essen, Cola und Pommes, Ruhe – hauptsächlich Ruhe. Ein Bett. Ein Traum. Der letzte Kilometer liegt hinter uns, wir lassen die Rucksäcke sinken und legen uns ins Gras. Die Dorfbewohner bringen Tee, Eier und Kekse. Welch Luxus!
30. APRIL, DIE FLAMME Wer hat diese Flamme in uns entzündet? Warum klettere ich, warum mag ich die Berge so sehr? Immer dieselbe Frage. Warum brennt die Flamme immer noch? Warum sitze ich nicht mit meinen Freunden auf der Couch? Warum führe ich kein ruhiges Leben wie alle anderen? Warum verliere ich mich in diesen Bergen am Ende der Welt? Ist es Neugier?
JÉRÔME
2. MAI, 1800 M, SKARDU Das Schlechtwetter ist zurück. Oberhalb 4000 m ist es die Hölle, Sturmböen mit kleinen Eisnadeln würden unsere Gesichter, unsere Lippen aufschneiden. Unser Timing war perfekt, wir hatten
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Rider: Thomas Delfino
Hingabe? Die Eroberung des Gipfels? Wahrscheinlich. Deshalb brennt die Flamme immer noch. Ich kenne das Gefühl, wenn ich oben bin. Es kehrt jedes Mal zurück, doch dazwischen vergesse ich es. Ein flüchtiger Augenblick. Wir haben es geschafft, Jungs! Es ist großartig hier zu sein. Immer wieder neu greife ich das Jetzt. Ich bin ein erfüllter Mensch. Tiefe Zufriedenheit. Es brennt einfach in mir.
Glück. Zurück in Skardu erholt sich unsere Gruppe, während es draußen regnet. Völlige Erschöpfung, Muskelschmerzen. Wir waren allein in den Bergen und jetzt sind wir zurück unter Menschen, Gott sei Dank. YANNICK
3. - 14. MAI Einträge gekürzt. Hélias und Jannick brechen auf den Spantik – den goldenen Berg – zu besteigen, während der Rest des Teams versucht dem Indus per Bus und Bahn durch Pakistan zu folgen. In Mianwali werden sie vom Militär aufgehalten, kehren nach Islamabad zurück und beenden den Trip mit einer Motorradtour durchs nördliche Hügelland.
15. MAI, ABREISE Unsere Pakistan-Reise flog vorüber wie im Traum. Sie begann mit einem Foto in einem Buch einer Bibliothek: Biacherahi North Tower, eine Finne, die in den Himmel ragt. Doch hier ist er ein Tropfen in einem Ozean aus Bergen. Auf dem Biafo fragte ich mich: „Will ich das noch?“ Die Gletscher, die Gipfel, der Kampf, die intensive Freude. Natürlich will ich das noch! Ich habe gerade die Spitze des Eisbergs berührt. Darunter liegt ein Universum, in dem sich Freeriden und Bergsteigen treffen: Berge, wild und roh; Gefühle tiefer als alles, was ich bisher kannte.
Expedition meines Lebens. Mir wird klar, wieviel Glück wir haben: alle gesund und munter. Wir fanden in jeder Situation eine Lösung. Es wird interessant nach Frankreich zurückzukehren. Ich kann es kaum erwarten, meinem Vater zu berichten – ohne die haarsträubendsten Details. Ich wurde hier eine bessere Person, ohne es zu merken. Ich lernte Geduld,
Hilfsbereitschaft, Gemeinschaftssinn. Freude auf mein Zuhause übermannt mich, aber ich vermisse bereits die Freiheit komplett unabhängig zu sein. Der Traum davon wird mich lange verfolgen. Pakistan, dies wird nicht das letzte Mal gewesen sein. Wir sehen uns wieder! LÉO
THOMAS
Kann man Menschen dazu zwingen Freunde zu werden? Mit einem Trip wie unserem sicher. Man kann sich seine Familie nicht aussuchen, genau wie hier. Wir sind eine Familie geworden, vom Sturm in unsere Zelte gepfercht. Ich liebe diese Jungs. Auf dem Motorrad am Weg zum Flughafen, Staub im Gesicht und Pakistan im Herzen, wird mir klar: Das Wichtigste am Reisen ist, mit wem man reist. Ich musste kämpfen, erfror mir die Finger, sah Landschaften so groß, dass ich mir verloren vorkam, quetschte mir die Zehen, verlor zehn Kilos in drei Wochen – aber ich gewann sieben Freunde! JÉRÔME
Wir fahren im Minibus, den Tom und Jérôme zum Flughafen bestellt haben. Es ist früh. Ich bin nostalgisch, möchte weinen und weiß nicht warum. All diese Abenteuer. Das Karakorum: die beste
KARAKORUM TAGEBUCH
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FEATURE
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ZEHN JAHRE EUROPAISCHEN
AN DER
Fotos (in alphabetischer Reihenfolge): Darcy Bacha, Flo Breitenberger, Ruedi Flück, Pally Learmond, David Malacrida, Kyle Meyr, Klaus Polzer, Christoffer Sjöström, Ethan Stone, Sindy Thomas
FREESKI
TEXT
DOWND FRONT A Y S
ETHAN STONE
NICHT, DASS ES EINE GROSSE SACHE WÄRE… ABE R UNS GIBT ES JETZT SCHON EIN JAHR ZEHNT. MAN MAG ES KAUM GLAUBEN, ABER DIE ZEIT VERFLIEGT, WENN MAN SPASS HAT – UND WIR HATTEN JEDE MENGE DAVON, WÄHREN D WIR
R IN GANZ EUROPA DIE FREESKI-KULTU US VERFOLGTEN. UND DARÜBER HINA ZU EHREN UNSERES JUBIL ÄUMS NE PRÄSENTIEREN WIR DIESES SPECIAL, DAS AUF DIE VERGANGE DEK ADE ZURÜCKBLICKT: MENSCHEN, ORTE UND MOMENTE, DIE FREESKIING IN EUROPA ZU DEM GEMACHT HABEN, WAS ES HEUTE IST. N ZU WILLKOMME 10 JAHRE DO WNDAYS. ZEHN JAHRE DOWNDAYS
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BEGINN
„Die Franzosen waren die Franzosen, die Scandis eben die Scandis und es gab eine deutschsprachige Szene, aber kaum Verbindungen. Du wusstest nicht, was los war. Es war schwer herauszufinden, wann Wettbewerbe stattfanden. Das Erste, was wir tun mussten, war eine Plattform für eine europäische Szene zu schaffen.“ Klaus Polzer, Downdays Mitbegründer
DOWNDAYS GRÜNDER:
Ben Burnett, Klaus Polzer, Christoph Thaler, Nico Zacek
A
h, die späten 2000er – gar nicht so weit weg, oder? Zumindest beim Skifahren gab es im letzten Jahrzehnt viel Veränderung. Stellt euch vor: Es ist 2008 und es gibt noch kein Instagram. Die Freeride World Tour steckt noch in den Kinderschuhen und ist nicht mit den nordamerikanischen Serien verschmolzen. Slopestyle und Big Air werden von neuen Tricks gerockt, den „Double Corks“, denen Rider wie Jon Olsson und Jacob Wester den Weg bereiten. Tanner Hall ist amtierender Halfpipe-König, Sarah Burke die treibende Kraft bei den Frauen und Candide Thovex feiert ein bemerkenswertes Comeback, nachdem er sich 2007 das Rückgrat gebrochen hat. Obwohl Europa schnell aufholt, ist die Freeski-Bewegung immer noch hauptsächlich eine nordamerikanische Party. In Innsbruck wollen vier Freunde, welche die Leidenschaft für die neue Energie im Skifahren zusammenführt, etwas bewegen. Es wird darüber gesprochen eine europäische Eventtour zu starten – aber sie erkennen, dass dies ein europaweites Medium für Freeskiing erfordert, die es zu diesem Zeitpunkt nicht gibt. Am 11. November 2008 starten sie Downdays.eu, eine paneuropäische Freeski-Plattform, die in drei Sprachen veröffentlicht: Deutsch, Englisch und Französisch. Unser erster etwas affektierter, aber immer noch gültiger Slogan: Skiing‘s Europinion. Die Saat fällt auf fruchtbaren Boden. Kurz darauf startet Downdays TV, das Downdays DigiMag und im Dezember 2009 die erste Printausgabe des Downdays Freeski Journal, dem Vorläufer dessen, was ihr heute in Händen haltet. Die ersten Jahre des Printmagazins zeichnen sich durch hochkreative Layouts und Veredelungen wie Lacke und Prägungen aus – Werk des erfahrenen deutschen Journalisten und Chefredakteurs Klaus Polzer, der endlich mal freie Hand hat. Schnell setzt sich die Website mit dem lustigen Namen durch und wird zu etwas Größerem als ein paar Jungs, die sich in ein heruntergekommenes Büro zwängen. Raf Regazzoni leitet den Vorstoß nach Frankreich und sagt anderen Ski-Websites, sie „sollen sich ficken“. Downdays Events, Shootings und Trips beginnen
SPECIAL
Sean Balmer bei der Arbeit und auf seiner Mission, die boomende europäische Freeski-Szene zu dokumentieren. Foto: Klaus Polzer
„Wir diskutierten lange, ob der Name das Wort ‚Ski‘ enthalten musste. Wir nahmen das Beispiel von Pleasure, unserem Lieblings-Snowboardmagazin, und mochten diesen unverwechselbaren Namen. Ursprünglich kommt der Begriff aus Alaska, wo man ‚down days‘ hat, weil der Heli nicht fliegen kann. Dann hat man Zeit für die Website oder das Magazin. Wenn du Zeit zum Skifahren hast, fahr Ski. Aber wenn es ein mieser Tag ist, lies unser Magazin. Das war die Idee.“ Nico Zacek, Downdays Mitbegründer
Downdays Mitbegründer Nico Zacek bei einem Urban Shoot für Aestivation in Prag im Jahre 2010. Der erste international bekannte Freeski-Profi aus Deutschland wollte eine europäische Plattform aufbauen – von Skifahrern für Skifahrer. Foto: Klaus Polzer „Unser erstes Büro war in der Pradler Straße in Innsbruck, billige Miete und ein winziger Lagerraum, der eigentlich ein defekter Aufzug war. Wir merkten bald, dass unsere Nachbarn am Flurende Prostituierte waren. Einmal feierten wir nachts eine Party und Sean beschloss, auf der Couch im Büro zu schlafen. Er wachte mit einem alten Mann auf, der neben ihm saß, keine Hosen trug – sein Arsch direkt vor Seans Gesicht. Der Typ war total betrunken und hatte die falsche Tür gewählt. Er wollte die Mädchen besuchen und landete bei Sean. Das alte Büro ist voller Geschichten. Wir waren jung und Single, vier Skifahrer, die ihr Ding machten. Es war nicht gewinnorientiert. Ein paneuropäisches Magazin war etwas, das Snowboarden hatte und Skifahren nicht. Also beschlossen wir es selbst zu entwickeln.” Nico Zacek
„Als ich den Job annahm, sagte mir Ben, dass sie eine Unterkunft für mich hätten. Es war die Couch im Büro. Ich lebte dort fünf Wochen lang. Es gab kein heißes Wasser, aber die Dusche hatte einen schönen Blick auf ein Maisfeld. Mein Einkommen hielt mich geerdet und das Leben einfach, aber ich hatte alles, was ich wollte. Ich konnte nun Skifahren als Beruf filmen. Der Winter startete mit Movie-Touren. Wir sprangen in den Van und fuhren zu den großen Gletscher Openings, dann weiter zu den City Big Airs. Zürich war immer gut, aber Budapest war das Beste – der wilde Osten Europas. Die Fans waren super leidenschaftlich, die Setups eher sketchy und die Afterparty wie eine Szene aus The Hangover. Das Problematische an all dem war, dass ich nie mehr aus Spaß Skifahren gegangen bin. Ich fühlte, dass es fürs Freeskiing besser war, wenn ich die ganze Zeit filmen und Edits herausbringen würde. Ich hatte irgendwie das Gefühl, die Verantwortung zu haben zu vermitteln, dass in Europa geiler Scheiß passiert – und Downdays bot mir die perfekte Plattform dies zu tun.“ Sean Balmer, Downdays Video-Manager 2010 – 2015
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gemeinsam mit unseren Magazinen und Online-Inhalten in die entlegensten Winkel der Alpen vorzudringen. Das Timing könnte nicht besser sein, denn der Start von Downdays fällt mit einem atemberaubenden Aufschwung von Freeskiing in ganz Europa zusammen, durch den der neue Stil aus Nordamerika mit der traditionellen Wiege des alpinen Sports verschmilzt. Es ist Erntezeit: unverspurter Powder, der direkt neben überfüllten Pisten wartet; Snowparks, die wie Pilze aus dem Boden schießen; eine neue Generation europäischer Talente, die bereit ist, die Führung im Sport zu übernehmen.
„Downdays hatte Glaubwürdigkeit und eine Stimme in Europa. Als ich dem Team beitrat, musste ich mein Niveau in Fotografie und Schreiben rapide steigern. Wir trugen Verantwortung, das fühlte ich. Als Redakteur erzählt man nicht nur, was passiert – man sagt auch seine Meinung. Ich musste all das auf einmal lernen.“ David Malacrida, Downdays Redakteur 2010 – 2016
LEUTE E
vents, Resorts, Medien, Skitechnik – all das hat den Weg von Freeskiing in Europa mitgestaltet. Aber vor allem schufen Menschen die Kultur, die wir teilen. Diese Leute füllten vornehmlich die Seiten dieses Magazins. Natürlich sind wir nicht in der Lage, jedem die Ehre zu erweisen, der einen Einfluss hatte – aber wir werden es versuchen. Und wenn wir schon Namen nennen, können wir genauso gut ganz oben anfangen. Vom Tag, an dem Downdays startete, bis heute hat ein Skifahrer wie kein anderer für Aufsehen gesorgt. 2009 war Candide Thovex bereits eine Legende – die bei den X Games in Big Air, Halfpipe und Slopestyle auf dem Podium gestanden war und am Chad's Gap Geschichte geschrieben hatte. Aber ein schrecklicher Sturz 2007 bei seinem eigenen Event, dem Candide Invitational in La Clusaz, hatte die Frage aufgeworfen, ob die Tage der Dominanz von Candide vorbei waren. Es stellte sich heraus, dass er gerade mal warm wurde. Candide kam 2009 mit Candide Kamera zurück, fuhr Freeride Lines mit unglaublicher Geschwindigkeit, gewann den Red Bull Linecatcher 2010 in Vars mit einem bis heute einzigartig wilden Run. Er rundete die Saison mit dem Gewinn des Freeride World Tour Stopps in Chamonix und schließlich dem Gesamttitel ab. Ein viel besseres Comeback als dieses kann es nicht geben. Seitdem schien Candide oft von der Bildfläche verschwunden zu sein, nur um plötzlich mit einem weltbewegenden Videoprojekt aus dem Nichts aufzutauchen, jedes besser als das vorherige. Von der Revolution beim POV-Filmen in One of Those Days bis hin zum buchstäblichen Ski the World in seinem letzten Projekt scheint alles, was Candide tut, ein sofortiger Klassiker zu sein.
Candide Thovex, der unbestrittene GOAT. Foto: Christoffer Sjöström
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Jérémie Heitz genießt vielleicht nicht die selbe Bekanntheit wie Candide, aber seine Leistungen im Freeriden sind nicht minder wichtig. Heitz machte sich mit Highspeed-Lines auf der Freeride World Tour einen Namen, bevor er 2016 mit La Liste, einem wahnsinnigen Konzeptfilm, alle umhaute: Heitz und Sam Anthamatten übertrugen High-Speed-Freeriden auf einige der imposantesten Steilwände der Alpen. Die Folgen sind noch nicht absehbar, vor allem weil nur sehr wenige Skifahrer die Cojones haben Jérémie zu folgen. Währenddessen munkelt man, dass La Liste 2 in Produktion ist. Ein weiterer Pionier an den Grenzen des Skibergsteigens, der nicht unerwähnt bleiben kann, ist Andreas Fransson, der in Chamonix und auf der ganzen Welt als unmöglich erachtete Lines befuhr, bevor er 2014 mit FreeskiLegende JP Auclair in einer südamerikanischen Lawine ums Leben kam. Wenn es noch einen Rider gibt, der Anspruch auf den Titel „Ruler des Jahrzehnts“ erheben dürfte, wäre dies Henrik Harlaut. Die erste Ausgabe des Downdays Journal im Jahr 2009 enthielt einen Artikel über Henrik, ein 17-jähriges schwedisches Parkphänomen, das in der internationalen Szene Furore machte. Sechs X Games-Goldmedaillen und ein Dutzend Filmsegmente später ist Henrik eine Ikone – euren Eltern bekannt als „das Kind, dem die Hose in Sotschi runtergerutscht ist“ – und innerhalb des Sports als beispielloser Innovator auf dem Zenit seines Könnens. Henrik und Phil Casabons drei B&E Invitationals in Les Arcs setzten neue Standards im kreativen Snowpark-Design und gaben Europa das wichtigste Freeski-Core-Event. Beim letzten Mal im Jahr 2016 teilte sich Henrik das Podium mit Candide, während die beiden die höchste Auszeichnung der Woche erhielten – ein wegweisender Moment in der FreeskiGeschichte, den wir damals recht kitschig mit „wie der Vater, so der Sohn“ kommentierten. Unterdessen waren die europäischen Freeskierinnen dabei, ihren Sport zu neuen Höhen zu führen. 2012 sorgte Lisa Zimmermann mit dem ersten Double Cork 1260 bei einem Frauenwettbewerb, dem Nine Queens Big Air in Serfaus, für
„Candide ist der GOAT (Greatest of all Times), war der GOAT und wird es immer sein. Man muss ihn nur Skifahren sehen, um das zu verstehen. Keiner fährt so wie er. Vor vier Jahren tauchte er unerwartet bei einem Slopestyle Weltcup in Copper Mountain auf. Er versuchte sich für Olympia in Sotschi zu qualifizieren. Ich war damals Judge und erinnere mich, wie alle in der Kampfrichterkabine still wurden und einfach nur zusahen. Das habe ich noch nie erlebt. Wenn du einen Künstler siehst – jemand Bedeutendes –, setzt du dich hin und schaust schweigend zu.“ Raf Regazzoni, Downdays Redakteur 2009 – 2012
Schlagzeilen. „Das war wie ‚Yo, es gibt hier Frauen, die richtig was reißen‘“, erinnert sich Downdays-Redakteur Mark von Roy. „Es war ein bedeutender Moment.“ Während Lisa ihren bahnbrechenden Double stand, schaute eine 10-jährige Kelly Sildaru zu, die aufgrund ihres Alters nicht springen durfte. Ein paar Jahre später ist das winzige estnische Phänomen ein etwas weniger winziges Phänomen, das doppelt so alte Konkurrentinnen auf dem Top-Level schlägt. Kelly, gerade sechzehn Jahre alt, ist ein herausragendes Talent in einem starken Feld junger weiblicher Rider, die derzeit in Europa auf dem Vormarsch sind.
„Vor zehn Jahren sprach Henrik nur im HipHop-Slang, trug Grills und redete ununterbrochen über Mick Deschenaux. Alles, was er wollte, war Skifahren und nochmal Skifahren.“ Raf Regazzoni
Jérémie Heitz schrieb die Regeln des Steilwandskifahrens neu mit seinem Film La Liste, hier exemplarisch zu sehen am Obergabelhorn in seiner Schweizer Heimat. Foto: Tero Repo
SPECIAL
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„Ich werde mich immer an meine erste Begegnung mit Henrik erinnern. Es war am Ende der LA Session in Les Arcs und alle Fahrer tranken oder gingen nach Hause. Henrik stand noch auf Skiern und spielte auf dieser winzigen Welle herum – eine circa 10 cm hohe Transition. Niemand sonst hätte sich die überhaupt angeschaut, und Henrik spielte darauf endlos herum. So machte alles für mich Sinn. Wenn jemand mit so etwas Kleinem Spaß hat, kann er der beste Skifahrer der Welt werden, weil er dafür lebt. Er wurde der beste, weil er der leidenschaftlichste ist.“ David Malacrida
Das B&E Invitational in Les Arcs war eine äußerst stimmungsvolle Veranstaltung, welche das SnowparkDesign revolutionierte. Henrik Harlaut bei seinem eigenen Event. Foto: David Malacrida
Lisa und Kelly sind nur zwei in einer großen Gruppe neuer Talente, welche die Grenzen im Frauen-Freestyle verschieben. Gleichzeitig werfen Sandra Lahnsteiners Shades of Winter Filme mit einigen der größten weiblichen Namen im Freeriden, darunter Nadine Wallner und Mathilda Rapaport (Ski In Peace), ein Schlaglicht auf die andere Seite des Sports. Candide mag im Rampenlicht stehen, aber Frankreich hat weitere unglaubliche Freeski-Talente zu bieten. Sollte in La Clusaz wirklich etwas Besonderes im Wasser sein, zeigt Loïc Collomb-Patton, dass Candide nicht der Einzige ist, der davon trinkt. Loïc machte sich zunächst einen Namen als Halfpipe-Rider und landete mehrfach auf dem Podium, bevor er sich radikal zu einem Top-Freerider wandelte. Zehn Jahre nachdem er das HalfpipePodium der X Games knapp verpasst hatte, holte Loïc seinen zweiten Gesamttitel auf der Freeride World Tour. Er ist einer der wenigen, die wie Candide den Crossover zwischen Freestyle und Freeride gemeistert haben. Apropos „Franzosen in der Pipe“: Kevin Rolland verdient eine Erwähnung als König der Halfpipe in einem Land, das diesen Sport liebt. Kevin holte 2010 und 2011 vier X Games-Goldmedaillen in Folge sowie Bronze bei den Olympischen Spielen 2014. Bis heute zählt er zu den besten Pipe-Fahrern der Welt. Natürlich müssten wir hier noch viele weitere Namen nennen, aber aus Platzgründen machen wir weiter. Die Reise hat erst begonnen.
Kelly Sildaru auf dem Weg zu ihrem Triumph bei den European Freeski Open in Laax 2016. Foto: Ethan Stone
Sandra Lahnsteiners Shades of Winter Filme rückten die weibliche Freeski-Elite in den Mittelpunkt, inklusive Sandra selbst. Foto: Klaus Polzer
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CRE WS
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eder weiß, dass Skifahren mit Freunden am besten ist. Und so macht es nur Sinn, dass einige einflussreiche Crews eine wichtige Rolle in der Freeski-Kultur spielen, die in unserem Magazin abgebildet ist. Crews sind die Brutkästen des Sports, hier wird die Leidenschaft geteilt; und wir haben Crews von Spanien bis Russland, die in den Szenen ihrer Herkunftsländer etwas bewegt haben, regelmäßig unsere Seiten gewidmet. Die Geschichte der Legs of Steel Crew ist unserer eigenen seltsam ähnlich: 2009 in Innsbruck von vier Freunden gegründet, die zusammenkamen, um etwas Neues zu starten. Die vereinten Kräfte von Bene Mayr, Paddy Graham, Tobi Reindl und Thomas Hlawitschka schufen die renommierteste Filmproduktion im deutschsprachigen Raum.
„Als ich Loïc das erste Mal sah, machte er einen der ersten Switch Down-the-Pipe Spins bei einem Halfpipe-Contest. Ich war von der Höhe seiner Sprünge überwältigt. Ein paar Jahre später hörte ich, dass er die FWT gewonnen hatte und dachte: ‚Warte, ist das derselbe Typ?‘“ Ethan Stone
Die Serie an hochwertigen Skifilmen von LOS hat Mitteleuropa einen festen Platz auf der Landkarte gesichert und Jungs wie Fabio Studer und Fabian Lentsch eine Plattform gegeben. Einige ihrer Aufnahmen, wie das Rapid Fire 2011 im Kaunertal, sind geradezu legendär. Am anderen Ende des Spektrums ist das Swiss Freeski Team nach wie vor eine Crew – auch wenn sie offiziell sanktioniert sind. Seit seiner Gründung im Jahr 2009 hat sich das Team zu einer Macht entwickelt, mit der man im Contest-Zirkus rechnen muss. Die Schweizer Investition in ein gut finanziertes Team hat die Fahrer des Landes in die oberen Ränge katapultiert, vom einstigen Wunderkind Elias Ambühl bis hin zur aktuellen Riege um Fabian Bösch, Kai Mahler oder Andri Ragettli. Auch die Damenseite des Teams ist überaus stark (der Beweis steht auf Seite 37).
„Ich habe immer mit verschiedenen Crews fotografiert. Die Jungs von Life Steeze Media aus Russland schickten mir ein Video; ich schrieb zurück und meinte: ‘Das ist cool. Was macht ihr im Januar? Kann ich mit euch shooten?’ Am Sonntag sprach ich mit dem Kerl und am Dienstag buchte ich meinen Flug nach Russland. Bei The Bunch war es genauso. Ich war interessiert, wollte sehen, wie sie leben. Die Arbeit bei Downdays gab mir einen internationalen Blick auf Freeskiing.“ David Malacrida
Gpsy Feelin entstand aus einer Gruppe von Freunden, die rund um Val d'Isere schreddeten, und entwickelte sich zu einer der einflussreichsten Gruppen der französischsprachigen Szene. Ihr filmisches Schaffen von 2007 bis 2015 brachte einen unnachahmlichen Stil nach Europa und zog viele der heute in Frankreich führenden Skifahrer heran (siehe Cover). Les Crapules war eine weitere einflussreiche französische Crew mit Talenten wie Etienne Mérel – Rider und Filmer in Personalunion, der in den letzten Jahren bei einigen der besten europäischen Freeski-Filmproduktionen hinter der Kamera stand. Die Gruppe meist deutscher Studenten in Innsbruck, die sich einfach FreeskiCrew nannte, ist wohl die bodenständigste Crew, die jemals internationale Anerkennung fand. Sie bereisten die Welt mit Skiern, grenzenloser Begeisterung und rohem Talent – während sie unterwegs feierten – und verwandelten ihre Unterfangen in unterhaltsame Filme, die einige IF3-Awards abräumten. Mehr Underground als jede andere Crew in
Der Legs of Steel Triple Jump im Kaunertal von 2011 produzierte eines der denkwürdigsten Freestyle-Segmente in der Geschichte des Skifilms. Wer das nicht kennt, sollte auf jeden Fall Youtube aufsuchen. Die Fahrer in diesem Bild sind Tobi Tritscher, Fabio Studer, Lolo Favre und Toni Höllwart. Foto: Klaus Polzer
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„Alle Gpsy-Fahrer waren recht verschieden. Leo Taillefer wie auch Julien Lange hatten ihren Einfluss. Als Crew waren sie wirklich kreativ und zeigten ihr Skifahren immer auf ganz besondere Weise. Sie wollten dir eine neue Welt zeigen. Sie waren kompromisslos und taten, was sie wollten.“ David Malacrida
dieser Liste, strebten sie nie nach Ruhm oder Sponsorengeldern, sondern folgten dem reinen Weg des Skifahrens. Auch im Norden setzte eine große Zahl an Crews Zeichen im Freeskiing. Webisodes waren in Finnland schon früh angesagt, und die rohe Energie von Nipwitz oder die grenzenlose Kreativität von Real Skifi sorgten international für Aufsehen. In Norwegen wuchs Field Productions von einer Core-Crew zum Schwergewicht der Filmproduktion und zeigte mit massentauglichen Hits wie Supervention, dass Skifilme kein Nischenprodukt sein müssen. Die Crew machte unfassbare Edits in Andreas Håtveits privatem Snowpark und brachte herausragende Talente hervor (siehe Seite 36). Den vielleicht größten Einfluss auf das heutige Park-, Street- und Tiefschneefahren hatte aber die unwahrscheinliche Allianz einiger Schweden bekannt als The Bunch. Die unmittelbar aufeinanderfolgenden Siege von Lucas Stål-Madison und Magnus Granér beim Level 1 Super Unknown 2012 und 2013 läuteten den Aufstieg dieser sehr vielfältigen Gruppe von Fahrern ein. Sie veränderten den Blick aufs Skifahrens in den Augen der nächsten Generation.
Für Julien Lange und überhaupt die Gpsy Feelin Crew war das Val d'Isére Backcountry der ideale Spielplatz für ihre überaus kreativen Ideen. Foto: Fabrice Wittner
„The Bunch: das war die Evolution des Skifahrens vor unseren Augen.“ David Malacrida
„Nipwitz & Real Skifi haben mich extrem gestoked. Egal was sie vor sich sahen, sie machten ihr eigenes Ding. Es war ihnen egal, dass sie keine großen Cliffs oder Parks hatten, solche Dinge waren lediglich ‚nice to have‘. Das Einzige was sie brauchten, war ein Paar Ski.“ Sean Balmer
2013 fuhr der Downdays Redakteur und Fotograf David Malacrida nach Schweden, um eine neue Crew kennenzulernen, die – damals wie auch heute noch – Skifahren neu definierte. Hier dokumentiert David Per ‘Payben’ Hägglund.
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ie Unkraut wucherte Freeskiing überall dort, wo eine Nische es erlaubte – von hausgemachten Snowparks in den Wäldern außerhalb der Stadt bis hin zu den höchsten Gipfeln der Alpen. Während sich die europäische Skikultur an die Trends anpasste, entstanden neue Zentren, die der neuen Kategorie von Skifahrern gerecht wurden. Meistens ist es der Leidenschaft einer kleinen Gruppe von Individuen – und manchmal nur einer einzigen Person – zu verdanken, dass diese Orte heute zu den Kronjuwelen der Szene zählen. Man kann kaum über Freeskiing in Europa sprechen, ohne den Namen Laax zu erwähnen. Seit Jahrzehnten pflegt das zukunftsweisende Resort in den Schweizer Alpen eine eigene Freestyle-Community mit einigen der besten Parks und größten Events im Winter-Freestyle.
„Es war egal, dass wir nicht die gleiche Sprache sprachen oder uns noch nie zuvor getroffen hatten. Wir waren Freeskier, und das war Grund genug zum Feiern. So wurde die Banana Bar am 14. März 2008 auf der Afterparty des LAAX Euro Open Slopestyle geboren. Line Teammanage Skye Darden und sein Atomic Kollege Rex Thomas standen am Tresen und ich bekam Wind, dass sie eine kleine Bar auf der Piste aufstellen wollten. Ich wollte dabei sein, also ging ich in den kleinen Supermarkt und leerte mein Bankkonto, füllte zwei Müllsäcke mit Plastikbechern und Alkohol und stapelte sie in die Gondel. Etwa auf halbem Weg entdeckte ich ein Paar Augen, die auf zwei Kisten Bier starrten – es war Skye. Da wusste ich, dass sich etwas anbahnte. Wir begannen mit dem Bau der Bar am Fuße der LAAX Halfpipe, einem natürlichen Amphitheater, von wo man die ganze Action sehen kann und alle Athleten vorbeikommen. Im Finale fuhren nur acht Jungs Ski, sodass der Rest zusehen und mitfeiern konnte. Rex aß eine Banane und spießte die Schale auf einen Skistock – so entstand der Name. Ab da konnte ich alle Athleten, Teammanager, Coaches, Filmer, Fans und Fotografen treffen. Es war die Meisterklasse im sozialen Netzwerken, weil die Likes greifbar waren.“ Sean Balmer
Bis 2017 waren die European Freeski Open in Laax der größte Open-Contest des Kontinents und als solcher Dreh- und Angelpunkt der Freeski-Szene. Hier konnte jeder sein Glück gegen das Who‘sWho des Sports versuchen, Freunde aus ganz Europa kennenlernen und in der Banana-Bar ausgiebig trinken. Obwohl die EFO in die Annalen der Geschichte eingegangen sind, bleibt Laax auch heute ein zentraler Treffpunkt der europäischen Szene.
Ein junger Schweizer Newcomer names Kai Mahler fliegt über die Halfpipe der LAAX European Freeski Open 2011. Foto: Klaus Polzer
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Im letzten Jahr wurde der Spring Battle im Absolut Park von Flachauwinkl von Frühlings-Powder beglückt, was die Fahrer aber nicht davon abhielt den Park zu shredden. Morten Aulin, Quinn Wolferman, Ferdinand Dahl und Nicky Keefer zelebrieren das Tiefschnee-Jibben. Foto: Ethan Stone
Mit einer Freestyle-Geschichte, die bis in die späten 90er Jahre zurückreicht, ist der Absolut Park in Flachauwinkl, Österreich, ein Meilenstein innerhalb der ParkLandschaft – eine Säule der Freeski-Kultur in den Ostalpen. Hier trifft man nicht nur Österreicher im Park, sondern auch Gruppen aus ganz Osteuropa und viele andere internationale Besucher. Absolut Parks Spring Battle entwickelte sich zu einem der renommiertesten Contests in Europa. Er zog Hunderte von Teilnehmern für einen innovativen, videobasierten Wettbewerb an, bei dem die Fahrer eine Woche Zeit haben per
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Follow-Cam ihre bestmögliche Slopestyle Line zu filmen. Das Preisgeld der vergangenen Saison betrug 130.000 US-Dollar und lockte die Crème de la Crème des Sports in die legendären Parks des Shuttlebergs. Das italienische Bergdorf Livigno ist eine große Erfolgsgeschichte in den Alpen und das Gebiet Mottolino ist der Kern dieses Erfolgs. Der Berg blühte als Freeride-Destination mit eigenem Lawinenwarndienst auf und bereits zuvor entwickelten sich die hervorragenden Snowparks von Mottolino zu einem wahren Freestyle-Magneten. Große Filmproduktionen wie Legs of Steel und die legendären Nine Knights Events trugen maßgeblich dazu bei, das Resort an die Spitze der Szene zu hieven. Einige der denkwürdigsten Momente des letzten Jahrzehnts passierten in Mottolino – zum Beispiel Jesper Tjäders doppelter Rückwärtssalto über den Death Gap bei den Nine Knights 2014. Mit seinen großartigen Parks, dem leicht zugänglichen Backcountry und den Vorteilen der steuerfreien Zone von Livigno ist Mottolino stets einen Besuch wert – Doppelsaltos über eine Halfpipe sind dabei kein Muss. Viele Skigebiete bauten Funparks; nur wenige gelangten in den elitären Zirkel der führenden Freestyle-Destinationen in Europa. Der italienische Ferienort
Seiser Alm ist einer dieser Orte. Hier hat das F-Tech Shape Team die europäische Tradition des exakten Schanzenbaus auf die Spitze getrieben, indem es Snowparks entworfen hat, die wie Kunstwerke aussehen und von den Fahrern weltweit gefeiert werden. Insbesondere die Slopestyle-Kurse für die regelmäßigen Weltcups auf der Seiser Alm werden oft als die besten des gesamten FIS-Zirkus genannt. Unter den wachsamen Türmen der Dolomiten ist die Seiser Alm ein wichtiges Zentrum der Freeski-Szene auf der sonnigen Seite der Alpen.
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Die Nine Knights Events brachten Freeskiing in spektakulärer Art und Weise nach Livigno mit von Jahr zu Jahr unglaublicheren Schneeskulpturen, die aus den Hängen von Mottolino wuchsen. Hier betrachtet Ben Valentin das Castle – Version 2012 – von oben. Foto: Tim Lloyd
Der fein modulierte Snowpark auf der Seiser Alm passt optisch hervorragend zur wilden Schönheit der Dolomiten-Spitzen im Hintergrund. Da will auch Lisa Zimmermann nicht zurückstehen. Foto: Klaus Polzer „Die Nine Knights und Nine Queens Events sind definitiv ein Highlight. Fast jedes Jahr passierte verrückter Scheiß, der Europa wirklich ins Rampenlicht rückte.“ Mark von Roy, Downdays Chefredakteur 2014-2016
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ORTE, CON TESTS, SO NSTIG ES „La Balme in La Clusaz hat keinen Snowpark und braucht auch keinen. Es ist ein Spielplatz – Candides Spielplatz. Ich habe LSM und Linus Tornberg von The Bunch dorthin mitgenomment, als sie noch nie Tiefschnee oder breite Skier gefahren waren. Wir kamen in La Balme an, und ich hörte ‚Hey David‘ und drehte mich um. Es war Candide. Jetzt stellt euch diese beiden schwedischen Kids vor, wie sie Candide Thovex am Lift treffen. Das war ein Traum, der für die beiden wahr wurde. So ist La Clusaz – man sieht dort die besten Skifahrer Frankreichs zum Spaß fahren und trifft Jungs, von denen man noch nie gehört hat, die komplett gestörte Sachen machen.“ David Malacrida
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ir haben ein paar Hot Spots und wichtige Figuren im Freeskiing der letzten zehn Jahren in Europa angesprochen, aber um alles abzudecken, bräuchte
es – naja, Zeitschriften und Online-Inhalte von zehn Jahren! Wir sprachen nicht über Großereignisse wie die X Games in Tignes und Oslo oder die legendären Jon Olsson Invitationals and Super Sessions in Åre. Dann wären da noch die SFR Tour als einzige dauerhafte Freestyle-Tour Europas, das geschichtsträchtige La Clusaz, die bekannten Snowparks von Mayrhofen, Champery, Andorra, Kläppen, Ruka und vielen anderen Orten. Lieber Norden, wir haben dich nicht vergessen! Der skandinavische Einfluss ist in den letzten zehn Jahren unverkennbar gewesen und in Norwegen, Finnland und Schweden passiert weiterhin extrem viel. Das finnische Ruka hat sich zur Brutstätte für Freestyle-Talente entwickelt, während Kläppen in Schweden der Park ist, in dem man fahren muss. Riksgränsen bleibt eine klassische Backcountry-Destination, während sich die norwegischen LofotenInseln zu einem der begehrtesten Touring-Spots Europas gemausert haben.
Die französische Freeride-Legende Seb Michaud findet einen fetten Drop auf den Lofoten vor dem Hintergrund des Atlantiks. Wer sich seine Runs selbst verdient, ist hier richtig. Foto: Manuel Ferrigato
ZEHN JAHRE DOWNDAYS
„Es ging immer um die Leidenschaft für den Sport und darum ihn richtig zu repräsentieren. Daraus entstand der Slogan ‚curating freeski culture‘. Freeskiing ist mehr als die Summe seiner Teile. Es ist eine Kultur, und wir wollten ein Teil davon auf europäischer Ebene sein. Rückblickend sind wir Teil der unübertroffenen Geschichte dessen, was im Freeskiing in ganz Europa passiert ist. Niemand sonst besetzt diese Position und deckt alles von Freestyle bis Freeride, von Urban bis zum Skiballett ab. Wie passt das alles zusammen? Bei so vielen Kids, die heute Freeskiing kennenlernen, ist es wichtiger denn je zu wissen, wie unser Sport überhaupt hierhergekommen ist.“ Mark von Roy
Die britischen Dry Slopes halten den Stoke am Leben und produzieren sogar grandiose Talente wie James Woods (siehe Seite 108). Im Osten gedeiht die FreeskiKultur in Polen, Tschechien, der Slowakei und Slowenien. Die Crew von Life Steeze Media brachte Urban Skiing nach Russland, während Fabian Lentsch mit seinen Snowmads-Expeditionen die Pulverschichten Südosteuropas enthüllte. Touren-Fans schwärmen von Island, während der südliche Kaukasus in Georgien das neue Traumziel für Freerider ist. Worauf wollen wir hinaus? Ah ja, die Gegenwart. Es war eine stürmische Fahrt und sie ist noch lange nicht vorbei. Neue Grenzen locken. Freestyle ist olympisch, doch die Gegenwelt des Street-Fahrens und der New Wave hält uns mindestens so sehr in Atem: Skifahren auf eine Art und Weise, die Kampfrichter nicht bewerten können. Beim Freeriden sehen wir die gleiche Energie: größere, mutigere oder schnellere Linien und immer neue Welten, die sich im Schmelztiegel des Backcountry öffnen. Auch wenn die Aussicht auf eine Beschleunigung des Klimawandels Zweifel an der Zukunft des magischen Schnees aufwirft, der all dies ermöglicht. In den letzten zehn Jahren waren wir hier, um eure Down Days mit den fantastischen Geschichten, Menschen und Orten zu füllen, die wir Freeski-Kultur nennen. Für uns bei Downdays – eine kleine Horde leidenschaftlicher Freeskier jeder Coleur – war es eine Freude und Ehre, Teil dieser inspirierten Bewegung in ganz Europa zu sein. Prost auf 10!
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Fotos (in alphabetischer Reihenfolge): Jeremy Bernard, Flo Breitenberger, Damien Deschamps, Jesus Andres Fernandez, Louis Garnier, Pascal Gombert, Klaus Polzer, Ethan Stone, Sindy Thomas, Mark von Roy
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Foto: Daniele Molineris
MARKUS EDER SUDTIROLS MEGA SKI TALENT
HOCH, ABER NICHT HOCH GENUG GESCHÄTZT, BETRAT MARKUS EDER DIE FREESKISZENE ALS EINER DER VIELVERSPRECHENDSTEN PARK-FAHRER KELTE IN EUROPA , ENTWIC NEM SICH SCHNELL ZU EI RTEN BACKCOUNTRY-EXPE UND FÜHLT SICH HEUTE AUCH IN DEN HEFTIGSTEN BIG MOUNTAIN LINES WIE ZUHAUSE.
DER SÜDTIROLER WECHSELT MÜHELOS ZWISCHEN DEN WELTEN HIN UND HER UND IST VIELLEICHT DER MEIST UNTERSCHÄTZT E SKIFAHRER DES LETZTEN R ZEHNTS. JA H
Film-Segmente: 2011: Life Long – Aestivation 2012: In Space – JOB 2013: Satori – JOB 2014: Days of my Youth – MSP 2015: Fade to Winter – MSP 2016: Ruin and Rose – MSP 2017: Drop Everything – MSP 2018: Hoji — the Movie – MSP Resultate: 2010: 2011: 2011: 2011: 2012: 2013: 2013: 2014: 2016: 2018: 2018: 2018:
1. Nine Knights Big Air 2. Red Bull Linecatcher 1. Swatch Skiers Cup 1. SFR Tour Slopestyle 1. World Heli Challenge 1. FWT Stop Courmayeur 1. Swatch Skiers Cup 15. Olympischer Slopestyle 1. Swatch Skiers Cup 2. FWT Stop Kicking Horse 3. FWT Stop Verbier Xtreme 2. FWT Gesamtwertung
INTERVIEW
MARK VON ROY
Geboren: am 30. November 1990
Wohnort: Luttach, Südtirol, Italien Hausberg: Klausberg, Südtirol
Sponsoren: Völkl, The North Face, Red Bull, Smith, Marker, Dalbello, F-Tech Snowparks
üdtirol ist ein besonderer Ort. Man spricht dort Deutsch, Italienisch und die romanische Sprache Ladinisch, doch es gehört weder zu Österreich noch wirklich zu Italien. Es ist einfach Südtirol, ein Habitat für erstaunlich viele sehr begabte Menschen. Einer davon, den wir auf diesen Seiten betrachten, wurde vor 28 Jahren als Sohn begeisterter Skifahrer geboren und wuchs im abgelegenen Ahrntal auf. Sein Vater ist ein Veteran der örtlichen Bergwacht und seine Mutter ging schon Skitouren, lange bevor die Pin-Bindung erfunden wurde. Die Rede ist von Markus Eder, der – natürlich – schon mit drei auf Skiern stand. Ich traf Markus erstmals vor sechs Jahren, doch ich lernte ihn erst im letzten Winter besser kennen. Um ehrlich zu sein, bin ich ein Fan von Makke geworden, wie ihn seine Freunde nennen. Es begann in Hakuba, Japan, am letzten Abend des Freeride World Tour-Events. Alle reisten am nächsten Tag ab und so ergab sich nach zwei Wochen Baden im legendären Japow die Chance, ein wenig die japanische Kultur kennenzulernen. Jemand, den ich nicht kannte, bestand darauf, dass ich mir die Band Seppuku Pistols ansah, eine traditionell japanische Band, die Punk-Covers spielte. „Okay“, dachte ich und versuchte ein paar mehr Leute davon zu begeistern. Doch der Einzige, der aus dem internationalen Tross tatsächlich mitkam, war Markus Eder. Bis dahin kannten wir uns nur, doch nach eineinhalb Stunden Moshen, Lachen und Headbangen waren wir beste Kumpel. Anders als manch andere Profi-Sportler hat Makke kein übergroßes Ego, einen silbernen Löffel oder einen Elfenbeinturm. Er ist nicht nur authentisch und bescheiden, er ist auch freundlich, fröhlich und ein wenig abgedreht. Wie gesagt, ich bin ein Fan, und wenn ich mir aussuchen könnte, mit wem ich gerade zum Skifahren gehen dürfte, wäre es er. Es wundert mich, dass nicht mehr Kids da draußen Markus Eder als ihr Idol ansehen. Klar, Candide ist der Held und E-Dollo unglaublich, aber meiner Meinung nach ist Markus – nicht zuletzt wegen seiner genannten menschlichen Qualitäten – der am meisten unterschätzte Skifahrer in Europa der letzten Dekade. Ich weiß, dass Markus nicht gerne über sich selbst spricht, also führte ich das Interview im Keller einer Bar. Mithilfe einiger Runden Bier konnte ich die Zunge dieser zurückhaltenden Persönlichkeit ein wenig lösen.
Erzähl mal, wie alles angefangen hat. Wie hat deine Liebe zum Freeskiing begonnen? MARKUS EDER: Ich stand mit drei zum ersten Mal auf Skiern und hab dann früh mit Rennen angefangen. Mein Trainer war aber immer sauer, weil ich nie tat, was er wollte. Ich war ein Außenseiter. Als ich 14 war, hatte ich keine Lust mehr, aber ich weiß noch, dass ich mich schlecht deswegen fühlte. Ich war mein ganzes Leben im Skiclub und musste meinen Eltern nun sagen, dass ich aufhörte. Erst wusste ich nicht so recht, was ich stattdessen tun sollte, und so fuhr ich ein Jahr auf Snowblades herum. Ich hatte keine Ahnung von X Games oder überhaupt Freeskiing, Wir bauten einfach Kicker im Tiefschnee und sprangen ohne Ambition zu landen. Einfach sich selbst in die Luft werfen, sich möglichst viel zu drehen und dann irgendwie in den Schnee fallen. Damals gab es bei uns im Tal nur einen Freeskier, Fille (Philip Kaiser), der immer noch ein guter Freund von mir ist. Er gab mir meinen allerersten Skifilm, MARK VON ROY:
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Happy Dayz von Poor Boyz Productions. Ich erinnere mich immer noch genau daran; er gab ihn mir, als unser lokales Skigebiet für die Saison zumachte, und im Sommer sah ich ihn mir jeden Tag an. Ich lernte jede Sequenz auswendig und im Herbst musste mir mein Vater meine ersten Twintips kaufen.
Wie war es im Ahrntal aufzuwachsen? Es ist ein kleiner Ort in einem tiefen Tal mit vielleicht 6000 Einwohnern, also kennt natürlich jeder jeden. Ich denke, die Menschen in unserem Tal sind recht bescheiden. Wenn sich jemand herausstellen will, kommt das nicht gut an. Wir sind wohl alle introvertiert, aber ich war es ganz besonders, vor allem in den ersten Jahren, als ich begann herumzureisen. Ich war scheu, aber heute bin ich das nicht mehr so sehr. Ich machte eine Ausbildung zum Elektriker, nicht weil ich das besonders mochte, sondern weil das von allen Möglichkeiten die besten Chancen bot, nebenher noch Skifahren gehen zu können. Ich beendete die Ausbildung und arbeitete drei Jahre als Elektriker. Ich suchte speziell nach Jobs, wo ich im Winter frei hatte. Im ersten Jahr war es ein Monat, im zweiten Jahr zwei und im dritten Jahr hatte ich den ganze Winter frei. Danach kündigte ich. Ich weiß noch genau, wie mich einige Leute in der Firma deswegen verspotteten. Sie verstanden einfach nicht, warum mir Skifahren so wichtig war, was das überhaupt für ein Sport war, den ich machte. Mir war das aber egal, was andere Leute sagten und ob sie mich verstanden.
War da schon der Plan, einmal Profi zu warden? Als ich anfing, konnte man sich Freeskiing noch nicht als Karriere vorstellen. Vielleicht in Nordamerika, aber bei uns
fing alles gerade erst an. In ganz Europa gab es vielleicht eine Handvoll Freeskier, die davon leben konnten. Aber daraus eine Karriere zu machen? Diese Idee hatte ich nie. Es ist einfach passiert. Weil ich Skifahren so sehr mag, dachte ich darüber auch gar nicht nach. Es spielte keine Rolle. Ich hatte den Plan B Elektriker zu werden, aber solange wie möglich wollte ich dem Freeski-Pfad folgen. Als ich 17 war, konnte ich mich nicht zehn Jahre später vorstellen. Ich bin einfach dauernd Ski gefahren, weil es die größte Leidenschaft war, die ich hatte. Ich hätte nie gedacht, dass ich mit 27 dahin kommen würde, wo ich heute bin; dass ich überhaupt so lange meinem Traum folgen könnte, geschweige denn eigene Projekte zu realisieren.
Was sagen denn deine Eltern zu deiner Karriere als Skifahrer? Mein Vater ist früher auch auf Skiern herumgesprungen – ich habe ein tolles Foto von ihm, wo er einen fetten Superman Frontflip springt –, also verstand er es sofort und meine Mutter eigentlich auch. Es war ihnen wichtig, dass ich eine Ausbildung abschloss, falls es mit dem Skifahren nicht klappte. Niemand bei uns dachte, dass ich vom Skifahren leben könnte, einschließlich mir. Aber jedes Jahr ging es ein bisschen besser. Ich wurde besser und fuhr ein bisschen weiter weg zu Contests, wurde hie and da eingeladen zu filmen. So begann der Schneeball zu rollen und er wurde immer größer. Ich hoffe, er rollt noch ein Stückchen weiter. Gibt es jemand, der den Ball mit ins Rollen gebracht hat? Ich muss auf jeden Fall der Aasche Crew danken. Sie haben bei uns daheim den Snowpark angefangen und ich wurde von ihnen adoptiert. Zusammen haben wir den Park dann jedes Jahr größer gemacht, haben Contests organisiert und sind zusammen zu Events gefahren. Diese Jungs haben mich vielleicht am meisten beeinflusst. Sie sind alle älter, und obwohl alle außer Fille Snowboarder waren, haben sie mir die Liebe zum Skifahren und viel Selbstvertrauen gegeben. Ohne sie wäre ich heute nicht derselbe. Natürlich gab es auch andere Vorbilder, obwohl ich niemanden speziell nennen kann. Es war vielmehr die gesamte Szene, die mich inspiriert hat. Sie verkörperte eine gewisse Rebellion, obwohl ich mich nicht als Rebell gefühlt habe. Im Freeskiing fand ich aber zuerst dieses Lebensgefühl von Unabhängigkeit: keine Trainer, keine Vorschriften, einfach nur Freunde, die ihr Ding durchziehen und Spaß haben. Man muss nichts rechtfertigen.
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Ort: Tordrillo Mountains Alaska, USA / Foto: Blake Jorgenson
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Es gibt nicht mehr viele Pros, die alles fahren, zumindest nicht überall auf hohem Niveau. Warum denkst du ist das so? Früher fuhr jeder alles, von Slopestyle über Halfpipe bis Backcountry. Heute ist das Level überall so hoch, dass es unmöglich ist, überall gut zu sein ¬– außer vielleicht für E-Dollo (Henrik Harlaut). Wenn du zu Olympia willst, kannst du deine
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Powder-Latten für zwei Jahre in die Ecke NATÜRLICH GAB ES AUCH stellen, weil du 200% fokussiert sein musst. Nicht viel anders auf der Freeride ANDERE VORBILDER, World Tour. Das ist der Grund, warum OBWOHL ICH NIEMANDEN sich diese Pole weiSPEZIELL NENNEN KANN. ter auseinanderMTE SZENE, entwickeln. Ande- ES WAR VIELMEHR DIE GESA rerseits gibt es DIE MICH INSPIRIERT HAT. SIE VERKÖRPERTE EINE deshalb heute noch mehr Nischen wie die New Wave GEWISSE REBELLION, von Crews wie The Bunch – was die OBWOHL ICH MICH NICHT machen ist super cool und innovativ. Ich ALS REBELL GEFÜHLT wünschte, ich könnte diese Dinge auch noch lernen. HABE. Vor Olympia hatte ich ehrlich gesagt Angst, wohin sich unser Skifahren entwi- gleich den Event gewann. Der andere war ckeln würde, speziell in der Wettkampf- im darauffolgenden Jahr, als ich Zweiter szene mit all den neuen FIS-Regeln. Doch beim Red Bull Linecatcher wurde. Darauf inzwischen ist im Freeskiing eine eigene, bin ich bis heute immer noch am meisten starke Kultur entstanden, die selbständig stolz. Zuerst wollte ich beim Linecatcher gedeiht und wächst. Da macht es nichts gar nicht antreten, denn bis zur Einlaaus, wenn jemand wie die FIS daher- dung zum Event war ich noch nie auf kommt und die Dinge ändern will. Das ist Powder-Skiern gestanden. wohl ein weiterer Grund, warum FreeskiIm Dezember 2010 lag unglaublich viel ing immer neue, großartige Untergrup- Schnee und damals fuhr ich zum ersten pen hervorbringt. Die Core-Scene ist Mal richtig im Gelände – immer noch auf heute noch mehr Core als früher. dünnen Park-Skiern mit Camber. Später in der Saison fuhr ich dann erstmals auf breiten Skiern und beim ersten Contest, Wann wurde dir klar, dass du eine dem Linecatcher, wurde ich gleich Zweiechte Skikarriere starten konntest? Da gab es zwei spezielle Momente. Der ter. Im Ziel musste ich fast weinen, weil eine war, als ich 2010 über den Video- alles in meinem Run super funktioniert Contest einen Platz beim Nine Knights hatte. Meine ganzen Skihelden waren ergatterte und als Rookie irgendwie dort: Rory Bushfield, Richard Permin,
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Ort: Klausberg Ahrntal, Italien / Foto: Klaus Polzer
Was magst du am Skifahren am meisten? Ich mag wirklich alles, von Park über Urban bis hin zu allem, was im Gelände stattfindet. Pillows, Backcountry-Kicker, kleine wie große Linien, Steilwände. Letztes Jahr war ich in Georgien auf meiner ersten richtigen Expedition. Diese Erfahrung hat mich echt beeindruckt. Ich brauche einfach die Abwechslung. Unser Sport hat so viele Facetten, da wird es nie langweilig. Selbst jetzt gehe ich noch echt gerne im Sommer auf den Gletscher, um im Sulz Kicker oder Rails zu fahren. Das ist was ganz anderes als im Backcountry, wo man mehr Equipment und viel Erfahrung braucht, um sich überhaupt sicher darin bewegen zu können. Im Snowpark braucht man nur einen Hoodie und seine Park-Skier. Heutzutage braucht man nicht mal mehr Skihosen, haha. Diesen Kontrast finde ich sehr spannend – so viel das man entdecken kann.
Ort: Alagna Val Sesia, Italien / Foto: Stefan Mahlknecht
Wiley Miller, JP Auclair, Sage Cattabriga und Sean Pettit, der in diesem Jahr gewann. Damals war ich noch viel zu schüchtern, um mit ihnen zu reden. Ich war total nervös, weil ich plötzlich von meinen ganzen Idolen umringt war. Das Gefühl, das ich nach diesem Lauf beim Linecatcher hatte, war einzigartig. So etwas hatte ich nie zuvor erlebt und vielleicht werde ich es auch nie wieder. Es war so ähnlich wie beim Nine Knights, nur noch intensiver. Selbst letzten Winter, nach meinem Butter beim Verbier Xtreme und dem zweiten Platz in der FWT-Gesamtwertung, war ich glücklich, aber ich hatte den Eindruck, ich hätte noch besser sein können. Beim Linecatcher damals hatte ich wirklich meine Grenzen überschritten. Heute bin ich ein viel besserer Skifahrer, aber mit diesem Run wäre ich auch heute noch sehr zufrieden. Es hat sich damals eine völlig neue Welt eröffnet. Plötzlich war ich nicht mehr nur ein Park-Fahrer. In diesem Moment blickte ich in eine andere Dimension und alles veränderte sich. Ich denke, es war der eigentliche Startpunkt meiner Karriere.
Danach hast du begonnen mit Matchstick zu filmen, international
MARKUS EDER
bekannt zu werden und auf der FWT zu starten. Wie war die Umstellung auf die Freeride-Tour? Im ersten Jahr habe ich die FWT wohl ein wenig unterschätzt. Ich hatte ein paar Jahre Erfahrung im Gelände und bei einigen Contests war es auch gut gelaufen. Ich dachte, es würde recht einfach werden – Die Wettkämpfe sehen nicht so schwierig aus, aber sie sind es! Vor allem technisches Skifahren in verspurtem Gelände und bei schlechtem Schnee war etwas, das mir einfach fehlte, weil ich bis dahin fast nur im Gelände gefahren war, wenn Powder lag. Damals fuhr ich auch noch Slopestyle-Contests und war auf dem Weg, mich für Sotschi zu qualifizieren. Obwohl ich der FIS immer skeptisch gegenüberstand, wollte ich unbedingt beim ersten Olympia-Auftritt unseres Sports dabei sein. Letzten Winter begann ich, nachdem ich ein Jahr nur mit MSP gefilmt und keine Wettkämpfe bestritten hatte, erstmals wirklich an meiner Skitechnik zu arbeiten und auch dann im Gelände Gas zu geben, wenn die Bedingungen schlecht waren. Jetzt kann ich das. Es fühlt sich super an, wenn man im verspurten Gelände mit Vollgas unterwegs ist und trotzdem alles unter Kontrolle
hat; wenn man ohne anzuhalten lange Runs durchzieht. Das hat mir letzte Saison sehr geholfen.
Es scheint, als würdest du dich ständig an allen möglichen Fronten herausfordern. Hast du jemals Angst? Das werde ich wohl am häufigsten gefragt. Ja, ich habe Angst, manchmal sogar sehr. Wie Hoji (Eric Hjorleifson) sagt: „Wenn du keine Angst hast, kommt es nicht in den Film.“ Es ist aber mehr Respekt als Angst. Wenn du etwas Neues oder ganz Großes versuchst, hilft dir die Angst jedes Detail zu analysieren. Das ist dann auch der Spaß daran: seine Furcht durch Können zu bewältigen. Aus dem letzten Winter sind von dir ein massiver Triple Flatspin auf einem Backcountry-Kicker und der Nose Butter 360 über ein fettes Cliff am Bec des Rosses in Erinnerung geblieben. Wie würdest du die beiden vergleichen? Der Kicker für den Triple Flatspin war perfekt. Mir schwirrte der Trick schon einige Zeit im Kopf herum, deshalb war ich etwas nervös, aber ich wusste, dass dies meine Chance war. Beim Nose Butter
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Ort: München, Deutschland / Foto: Klaus Polzer
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Ort: Whistler, Kanada / Foto: Blake Jorgenson
Ort: Mestia, Georgien / Foto: Tero Repo
in Verbier hatte ich keine Angst, weil ich wusste, dass nicht allzu viel schief gehen konnte. Das Cliff war am Ende meines Runs und wenn ich gestürzt wäre, hätte ich eine weiche Landung im Powder gehabt. Aber der Rest vom Run am Bec war ziemlich furchteinflößend. Ich war der Einzige, der auf dieser Seite in den Hang fuhr. Sam Lee war zuvor da gestartet, wo ich das auch vorgehabt hatte, doch er löste ein Schneebrett aus und so musste ich zu Plan B gehen. Es war die einzig verbleibende Möglichkeit, um zu diesem Cliff zu kommen. Es war super steil und technisch. Wäre ich gestürzt, wäre ich wohl bis ganz unten gefallen. Zum Glück war ich der Erste dort, sodass der Schnee super war. Der obere Teil hat mir also viel mehr Kopfzerbrechen bereitet als der Nose Butter 3. Wenn ich jetzt darüber nachdenke, dann kommt dieser Run in Verbier dem Gefühl damals beim Linecatcher doch sehr nahe.
Was sind deine Ziele in den nächsten Jahren? Wo liegt die Zukunft von Markus Eder? Freeride World Tour Champion? Das steht ziemlich weit oben auf meiner Liste. Die World Tour zu gewinnen ist seit einiger Zeit ein Traum für mich. Das Niveau war in den letzten Jahren aber verdammt hoch und es wird immer noch besser. Ich denke, man kann sehr stolz auf sich sein, wenn man die Tour gewinnt. Wie es sonst weitergeht, ist schwer zu sagen – wir können darüber ja zum 20. Jubiläum von Downdays sprechen, haha. Ich will auf jeden Fall noch die nächsten zehn Jahre im Freeskiing dabeibleiben. Ich möchte so lange wie möglich überhaupt auf Ski stehen und ich hoffe, mir macht es immer noch so viel Spaß wie heute und ich kann noch hin und wieder einen Backflip springen. Du äußerst nur selten deine Meinung. Wie sieht es aus, gibt es etwas, was dich wirklich stört? Ha! Na gut, die FIS mag ich nicht. Ihre Einstellung zu unserem Sport stört mich wirklich. Es nervt, dass die Wettkämpfe alle so steril sind. Keine Kreativität im Format oder dergleichen. Es stört mich auch, dass die meisten Kids heute nur noch eine Chance haben, wenn sie durch diese Tretmühle aus Weltcups und Nationalmannschaften gehen. Der Sport ist gewachsen, aber früher kannte jeder jeden, alle sind zusammen abgehangen und man reiste mit allen möglichen Leuten rund um die Welt. Heute sind viele nur noch in ihren Teams unterwegs. Es nervt einfach, dass die Kids sich total nach ihren Verbänden richten müssen, das tötet ihre Individualität. Das ist zwar nicht bei allen Nationalteams der Fall, aber bei den meisten ist es
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so und dazu gehört leider auch das italienische Team. Das Gute daran ist nur, dass der Sport durch die FIS mehr Leuten zugänglich geworden ist. Die Weltcups laufen auf den großen TV-Sendern und vielleicht entdecken mehr Kids Freeskiing durch Olympia und danach entdecken sie hoffentlich auch all die anderen Facetten unseres Sports. Außerdem sind manche Bereiche dadurch, dass die Contests so mainstream wurden, noch mehr Core geworden, zum Beispiel die New ICH WAR DER Wave.
pipe gehumpelt. Es beeindruckte mich sehr, dass er sich jedes Mal motivieren konnte, wieder nach oben zu gehen. Es wurde oft behauptet, dass Freeskiing eine Grenze erreicht hat. Zum Beispiel war es eine Grenze, als damals die ersten Switch 1080s gesprungen wurden. Jetzt sehen wir Quad-Flips! Aber in der Halfpipe, glaube ich, sind wir wirklich am Limit. Ich lasse mich jedoch gerne vom Gegenteil überzeugen.
Bedürfnis es selbst zu tun. Damit eine Pipe wirklich gut ist, muss sie eisig sein, und der kleinste Fehler lässt dich aufs Coping oder – noch schlimmer ¬– ins Ende der Transition knallen. Es gibt fünf bis zehn Fahrer, die echt gut sind, im Prinzip in ihrer eigenen Liga, und der Rest ist weit dahinter. Das gibt es im Slopestyle nicht, denn da sind mindestens 50 Fahrer, die vorne mitfahren können. Leider haben die meisten guten PipeFahrer auch immer mit Verletzungen zu tun, Kevin Rolland ist in Pyeongchang nach jedem Run praktisch aus der Half-
Was denkst du über das JudgingSystem der FWT? Oh Gott, jetzt fühle ich mich richtig schlecht. Aber okay, gehen wir es mal an. Ich würde mich freuen, wenn Runs mit fetten Tricks durch Terrain, in dem keine großen Konsequenzen drohen, mehr Punkte bekommen würden als Runs nur mit Straight Airs im Gelände, wo man die Chance hat zu sterben, wenn man stürzt. Ich finde, dass solche Kamikaze-Manöver immer noch sehr hoch bewertet werden. Ich weiß nicht, ob sich das demnächst ändert, aber ich hoffe es – vor allem für
EINZIGE, DER AUF DIESER SEITE IN DEN HANG FUHR. Was denkst du SAM LEE WAR ZUVOR DA GESTARTET, über Halfpipe WO ICH DAS AUCH VORGEHABT HATTE, Contests? Von allen Facet- DOCH ER LÖSTE EIN SCHNEEBRETT AUS ten im Freeskiing UND SO MUSSTE ICH ZU PLAN B GEHEN. ist Halfpipe-FahES WAR DIE EINZIG ren die einzige, die VERBLEIBEND E ich nie wirklich MÖ GL ICH KE IT, UM ZU gemacht habe. Es ist einfach sehr gefährlich, DIESEM CLIFF ZU KOMMEN. ES denke ich. Ich schaue gerne zu, aber ich hatte nie das WAR SUPER STEIL UND TECHNISCH. WÄRE ICH GESTÜRZT, WÄRE ICH WOHL BIS GANZ UNTEN GEFALLEN.
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Wenn wir schon dabei sind: Was ist die Bedeutung des Lebens? Für mich ist die Bedeutung des Lebens herauszufinden, was man wirklich liebt. Wenn man das einmal weiß, tut man automatisch alles, um es zu behalten. Erfolg sollte nicht darin gemessen werden, wieviel man verdient, sondern vielmehr wie glücklich man ist. Mann, das Bier steigt mir wirklich zu Kopf… die Fahrer auf der Qualifier Tour. Die Veranstalter müssen sich fragen, ob man das Motto „sieg oder stirb“ tolerieren will. Ich denke, wir können noch das Level der Tricks erhöhen, aber nicht mehr das Level des Risikos.
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Foto: Blake Jorgenson
Welchen Rat würdest du Leuten geben, die ins Backcountry gehen, der sonst nicht genug gegeben wird? Vor ein paar Jahren habe ich mit Skitouren und Skibergsteigen angefangen und seitdem sehe ich die Berge aus einem anderen Blickwinkel, den ich vorher nicht kannte. Je mehr Erfahrung man am Berg sammelt, umso mehr lernt man und umso besser kann man verschiedene Szenarien einschätzen. Ich hatte das Glück von erfahrenen Leuten zu lernen, die ihr Wissen gerne teilten. Am meisten habe ich wohl von der Zeit profitiert, als ich für MSP zusammen mit Sam Anthamatten unterwegs war. Man sollte nicht einfach selbst rausgehen und sich gleich in schwierige Situatio-
nen bringen, sondern sich langsam entwiHaha, dann lass uns hier Schluss ckeln. Macht einen Lawinenkurs und geht machen und noch ein Bier trinken! mit erfahrenen Leuten raus, denen ihr vertrauen könnt. Wenn ihr in neue Gegenden kommt, findet zuerst heraus, wie die Verhältnisse dort MEIN MOTTO IST: MAN zuvor waren. Gab es Lawinengefahr? Was FINDET IMMER ETWAS hat sich verändert? War es kalt oder warm? War es windig? Ihr solltet euch mit AUF SKI, DAS SPASS den Locals unterhalten, die HT N MUSS NIC A M . T H C vor Ort die Situation kennen. A M TESTE LINIE Es ist schwer konkrete RatMER DIE FET IM schläge zu geben. Es geht darum Informationen zu sam- DAFÜR FAHREN. meln und wachsam zu sein. Ich bin oft sehr vorsichtig. Während sich manche gleich in den nächsten Hang werfen, warte ich lieber ein wenig und sehe, wie sich die Dinge entwickeln. Ich habe auch kein Problem damit umzudrehen. Mein Motto ist: Man findet immer etwas auf Ski, das Spaß macht. Man muss nicht immer die fetteste Linie dafür fahren. Man kann auch direkt neben der Piste lustige Sachen entdecken, ein kleiner Sprung hier, ein Jib dort, oder man pflügt
Ort: Mestia, Georgien / Foto: Tero Repo
Noch etwas, das du als Profi-Skifahrer über die Jahre gelernt hast? Ich habe gelernt, die verschiedensten Dinge wertzuschätzen. Auf all den Reisen lernt man viele Kulturen kennen. Überfluss, Armut – vor allem das Privileg, in Europa leben zu dürfen; dafür bin ich wirklich dankbar. Ein Beispiel: Die Leute beschweren sich, dass Skifahren in den Alpen immer teurer wird. Das mag sein und das ist nicht gut, aber in Europa ist es immer noch viel billiger als in den meisten anderen Gegenden der Welt. Hier kostet eine Tageskarte vielleicht 50 Euro, in den USA, Kanada oder Australien sind es dagegen an die 150 Dollar. Dabei sind die Gebiete bei uns viel größer und man kommt in grandioses Gelände, ohne auf einen Heli oder stundenlange Aufstiege angewiesen zu sein. Ich schätze es wirklich, was ich zuhause habe. Und das nicht nur in Bezug auf Skifahren. Uns geht es einfach gut. Die meisten Leute können sich eine gute Ausbildung leisten…
Ort: Secret Spot, Niemandsland / Foto: Tero Repo
durch alte Spuren. Oder man geht in den Park. Man sollte sich im Backcountry keinem Druck aussetzen. Die Bedingungen müssen stimmen.
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Fahrer: Markus Fรถhr / Ort: Espoo, Finnland
FINNISH
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KEIN SONNE
NLICHT? KEIN PROBLEM.
TEXT & FOTOS
STEPHAN SUTTON
NACHTS ERWACHEN DIE SCHNEEBEDECKTEN S STRASSEN VON FINNL AND UNTER KIBEL ร GEN ZUM LEBEN. FEATURE
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NIGHTS FIN
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In den kalten Winternächten Finnlands summen die Generatoren, Winden quietschen und Blitze gehen los. Keine Berge? Kein Problem! Die eisigen Straßen sind bereit für die Jungs aus der Nachbarschaft und für die Pros auf Besuch. Der Fotograf Stephan Sutton stammt aus Helsinki und er jibbte die Straßen mit seinen Freunden, bis ihn eine Verletzung zur Fotografie brachte. Heute verbringt Stephan die langen subarktischen Winternächte oft damit, die einheimischen Skifahrer auf Bilder zu bannen, genauso wie ausländische Crews.
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Der Hauptgrund warum Leute nach Finnland kommen, um Urban zu fahren, ist die pure Menge an Spots in Städten wie Helsinki; dazu kommt die entspannte Einstellung von Passanten und sogar der Polizei. Natürlich gibt es auch hier Beschwerden und natürlich wird sich die Polizei melden. Doch wenn man vernünftig reagiert, wird man keine Probleme bekommen und meistens wird man weiterfahren und filmen dürfen. Wenn es darum geht Spots zu finden, ist die Auswahl so groß, dass die Wahl, was man machen will, schwieriger ist als die Suche selbst.
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NISH NIGHTS F Fahrer: Will Wesson / Ort: Espoo, Finnland
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Fahrer: Lauri Kivari / Ort: Oulu, Finnland
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Nachts zu shooten ist in Finnland normal, weil es im Winter eh nicht viel Sonnenlicht gibt. Blitze und Filmlicht sind ein Muss, was jedes Shooting viel aufwendiger und langwieriger machen kann. Ich würde nicht behaupten, dass es einen dazu zwingt kreativ zu sein, da man eigentlich immer kreativ sein kann. Aber es gibt dir Möglichkeiten und zwingt dich zu lernen, wie man mit externem Licht umgeht und die Lichtsituation selbstständig kontrolliert.
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Als wir eines Nachts diesen Spot shooten wollten, änderte sich das Wetter von +3°C und Regen zu -13°C und klarem Himmel. Alles verwandelte sich in Eis, was es extrem schwer machte etwas zu bauen. Doch da die Fahrer den Spot unbedingt fahren wollten, waren wir sehr lange vor Ort. Bei solchen Gelegenheiten fragt man sich manchmal, warum man das alles macht. Nur so viel: Nicht jeder Beteiligte verließ diesen Spot mit guter Laune, obwohl jeder Fahrer einen Shot bekam und keiner sich verletzte.
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FIN
Finnische Skifahrer wachsen quasi damit auf Urban Spots zu fahren. Ich erinnere mich, wie wir als Kinder, wenn uns niemand mit zum örtlichen Skigebiet nahm, einfach in der Nachbarschaft einen Street Spot jibbten oder in jemands Garten einen Kicker bauten. Wir haben keine echten Berge oder tiefen Powder, und im Süden von Finnland haben die Skigebiete vielleicht 60 Höhenmeter. Deshalb gibt es bei uns nicht so viele gute Freerider oder Backcountry-Fahrer, aber viele Jungs, die es auf Rails oder im Park killen.
FEATURE
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S FINNISH NIG
Dies hier war einer der ersten Spots, die ich fotografierte, als Antti für sein Video des X Games Real Ski-Contests Aufnahmen sammelte. Er wollte eigentlich das Rail auf der anderen Seite fahren, aber das hatte lauter Skate-Stopper. Pontus Penttilä wollte das Rail ebenfalls fahren, also bauten wir auf und fingen an zu shooten. Antti machte auch ein paar Versuche und so bekam ich dieses Foto. Irgendwann kamen wir mit einer Flex zurück, schnitten diese Stopper weg und hatten eine weitere Session auf dem anderen Rail.
Fahrer: Antti Ollila / Ort: Oulu, Finnland
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s schneit. Heftig sogar. Baumstämme und kleine Absätze verwandeln sich langsam in flauschige Pillows. Vor dir liegt eine von vielen steilen Linien durch den lichten Hochwald. Die einzigen Spuren sind die von dir und deinen Freunden, die ihr beim letzten Run etwas weiter rechts hinterlassen habt. Dann tauchst du in den fluffigen Pulverschnee ein… Es ist ein Traum, der immer seltener wahr wird. Nicht nur ist die Zahl der Freerider in den letzten Jahrzehnten stark angewachsen, die Möglichkeiten der Internet-Recherche und nicht zuletzt der nie versiegende Social Stream haben fast jeden Geheimtipp einer ausreichenden Zahl an Powder-Süchtigen nahe gebracht, sodass man für First Tracks entweder sehr früh starten oder sehr weit laufen muss. Nicht selten auch beides zusammen. Ich erinnere mich an ein Beispiel in der Schweiz vor ein paar Jahren. Ein einzelner
Lift an einer Passstraße, über ein halber Meter Neuschnee und ein leerer Parkplatz. Wir schienen das große Los gezogen zu haben. Doch als wir nach dem ersten Run zurück zum Lift kamen, spuckte ein Reisebus lauter behelmte Italiener mit breiten Powder-Latten aus. Und das mitten unter der Woche. Der Typ am Lift meinte, das passiere immer häufiger. Zwei Stunden später war auch der letzte Flecken Tiefschnee umgepflügt. War es das mit unseren Träumen? Nicht ganz. Zum Glück kann ich mich auch an genug Gegenbeispiele erinnern. Allerdings versteckten sich die PowderPerlen dabei nicht an abgelegenen Gegenden der Landkarte, sondern ganz im Gegenteil in weithin bekannten Skigebieten. Sogar in solchen, die als FreerideSpots bekannt sind. Vor zwei Jahren waren wir zum Beispiel auf einem Freestyle-Shoot in Saalbach. Da es so heftig schneite, dass alle In-Runs viel zu langsam waren, genossen wir einen freien
ECHTE PERLEN
TEXT & FOTO
KLAUS POLZER Tag. Zur gleichen Zeit gastierte auch die Freeride World Tour im Skicircus Saal-
bach-Hinterglemm-Fieberbrunn, eigentlich also denkbar ungünstige Verhältnisse für Tiefschnee-Jäger. Doch wir fanden einen großartigen Spielplatz, indem wir einfach an der Bergstation das Areal der Skischule überquerten und dahinter in Richtung eines Grabens starteten. Niemand außer uns nahm von diesem Flecken Notiz und so zeichneten wir den ganzen Tag unsere Signaturen in eine kleine Märchenlandschaft. Unten brachte uns jedes Mal eine Querung zu einer Straße und diese ohne größere Probleme zurück zum Lift. Wie wir später von Freunden hörten, waren wir an diesem Tag nicht die Einzigen, die in einem unentdeckten Winkel des Mega-Resorts ihre privaten Spuren in den Neuschnee legen konnten. Auch später fand ich in den Tälern zwischen Saalbach und Fieberbrunn, genauso wie in anderen bekannten Skigebieten, Ruhe und Powder an unerwarteter Stelle. Es gibt sie also noch, die geheimen Spots, wo Träume wahr werden. Man muss sie nur an der richtigen Stelle suchen. Am besten übrigens mit einer guten topographischen Karte und entsprechenden Fähigkeiten. Denn manch verlassener Graben endet auch in einer Sackgasse. Das kann dann nicht nur beschwerlich, sondern schnell auch gefährlich werden. Also, Augen auf beim Freeride-Rausch!
FRISCHER PULVERSCHNEE
UND KEINER GEHT HIN? GIBT’S DAS NOCH?
Fahrer: Mark von Roy / Ort: Saalbach, Österreich
STASH
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EVENT
Fahrerin: Sophie Lechasseur
GIRL
POWER
TEXT & FOTOS
KLAUS POLZER
BEI DER ZEHNTEN AUSGABE DES FILM- UND FOTO-CONTESTS CLICK ON THE MOUNTAIN TRAT ZUM ERSTEN MAL EIN TEAM REIN MIT ATHLETINNEN AN. GIULIA MONEGO UND SOPHIE LECHASSEUR KÖNNEN NGEN, SIE BEWIESEN AUCH IHR GU DIN BE N DE R NU HT NIC EN TROTZT UND STELLTEN IHRE MÄNNLICHEN MITBEWERBER DAMIT DURCHAUS IN DEN SCHATTEN.
F
rauen haben es in der Skiwelt nach wie vor nicht einfach. Während die FIS-Wettbewerbe und die Freeride World Tour zumindest einigermaßen Gleichberechtigung zelebrieren, stehen bei den wichtigen Invitational-Events die Jungs klar im Vordergrund und auch bei den großen Filmproduktionen spielen sie die Hauptrolle. Ob es an den zwangsläufig geringeren Referenzen liegt, dass sie bei Film- und Foto-Contests ebenfalls nur selten erste Wahl sind, oder ob andere Gründe eine Rolle spielen, lässt sich nur schwer sagen. Es wird aber kaum jemand überrascht haben, dass in einem Jahrzehnt des Click On The Mountain in Courmayeur weibliche Namen auf der Teilnehmerliste bis letztes Jahr fehlten. Umso mehr freute es mich, als die Veranstalter mir im Vorfeld der Jubiläumsausgabe vorschlugen, mit einem Athletinnen-Team anzutreten. Eigentlich wäre es konsequent gewesen, die Positionen des Filmers und des Fotografen ebenfalls mit Frauen zu besetzen, aber da Filmerinnen und Fotografinnen in Action Sports fast noch seltener sind als Athletinnen, suchten die Veranstalter für zwei Fahrerinnen ein passendes Team. Ohne großes Überlegen sagte ich zu. Die Fahrerinnen waren Giulia Monego, AusnahmeFreeriderin aus Italien, und Sophie Lechasseur, eine nach Frankreich transplantierte Kanadierin. Giulia stammt aus Cortina d’Ampezzo, verbrachte den Großteil ihrer Karriere, der ihr unter anderem Erfolge auf der Freeride World Tour bescherte, in Verbier und lebt zur Zeit in Chamonix, um ihre BergführerAusbildung abzuschließen. Sophie, die
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über viel Erfahrung als Action Model und in Steilwandbefahrungen verfügt, heiratete den französischen Freeski-Star Enak Gavaggio und lebt mit ihm in seiner Heimat Les Arcs. Als Filmer komplettierte Florian Albert aus Innsbruck unser Team, mit dem ich bereits zuvor zusammengearbeitet hatte. Natürlich ersannen wir einen Plan, wie wir bei der zehnten Ausgabe des Click On The Mountain erfolgreich sein wollten. Unsere Aufgabe bestand darin, in vier Tagen rund um Courmayeur Fotos für vier verschiedene Kategorien sowie einen längeren Video-Clip und ein kurzes Instagram-Video zu produzieren. Die resultierende To-Do-Liste fußte auf den alpinen
Kompetenzen unserer Athletinnen und auf Giulias Ortskenntnis. Unter anderem hatten wir vor, zu einer Hütte aufzusteigen und von dort aus im besten Licht des Sonnenauf- wie -untergangs interessante Lines zu fahren. Aber natürlich machten die Bedingungen unserem Plan einen kräftigen Strich durch die Rechnung. Es hatte zwar vor dem Contest geschneit, doch war es so warm geworden, dass der Schnee bis weit oberhalb der Waldgrenze eine wenig erfreuliche Konsistenz angenommen hatte. Dazu machten es dichte Wolken am ersten Tag unmöglich, im offenen Gelände zu shooten. Der zweite Tag begrüßte uns dann mit Sonnenschein, dafür fegte ein Sturm
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EVENT
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Fahrerin: Sophie Lechasseur (Best Lifestyle Photo @ COTM 2018) Fahrerin: Giulia Monego
über die Bergkämme. Giulia und Sophie entdeckten eine spektakuläre Linie, die sie fahren wollten, die aber einen aufwendigen Zugang hatte. Flo und ich konnten vom Gegenhang aus shooten und wir waren recht schnell in Stellung, doch mussten wir lange auf unsere Protagonistinnen warten, da der Sturm die Gondeln im Gebiet nur unregelmäßig fahren ließ. Als gerade das Licht aus der Bergflanke zu verschwinden drohte, erschienen Giulia und Sophie am Beginn der Abfahrt. Glück gehabt! Dachten wir zumindest, doch als Giulia als Erste startete, verabschiedete sich der Hang unter ihr in Form eines Schneebretts. Der Sturm hatte den Berg offensichtlich in ein Minenfeld verwandelt. Zum Glück kamen Giulia und Sophie heil hinab, doch der ganze Aufwand war umsonst gewesen. Nach eineinhalb Tagen hatten wir immer noch kaum brauchbares Material. Unseren Plan mit der Hütte gaben wir in Anbetracht der Umstände auf, stattdessen wollten wir am Nachmittag aus dem Skigebiet eine Sunset-Aktion starten und anschließend noch mit Blitzlicht auf dem Weg ins Tal shooten. Doch auch daraus wurde nichts. Um drei Uhr zogen Wolken auf, die das Licht killten, und als wir von der letzten Gondel aus ins Backcountry starteten, um wenigsten noch mit Kunstlicht zu arbeiten, wurden wir Zeuge eines Lawinenunglücks einer anderen Skifahrergruppe. Zum Glück verschüttete das recht kleine Schneebrett den Skifahrer nicht, doch er hatte sich am Bein verletzt und konnte nicht mehr weiter. Giulia eilte als Bergführer-Anwärterin zu Hilfe und wieder konnten wir nicht produktiv werden. Da nach wie vor ein heftiger Sturm tobte, hatte der Helikopter große Schwierigkeiten, den Verletzten zu bergen. Im letzten Tageslicht gelang es schließlich mit einer Meisterleistung des Piloten doch noch; die Lust auf ein Night Shooting war uns jedoch vergangen und wir fuhren unverrichteter Dinge ins Tal. Unsere Hoffnungen lagen also auf Tag drei, an dem der traditionelle Heli-Dropoff des Click On The Mountain auf dem Programm stand. Jedes Team wird dabei per Helikopter auf einem anderen Berggipfel abgesetzt, um von da aus mit eigenen Mitteln das Backcountry zu erkunden. Wir hatten Glück und erwischten den von uns präferierten Spot. Einige steile Lines sollten hier den Mädels in die Karten spielen. Die Lawinensituation war aber weiterhin angespannt und so mussten wir die nötige Vorsicht walten lassen. Giulia arbeitete sich am Seil gesichert zu ihrem geplanten Startpunkt vor… rumms! Wieder verabschiedete sich der gesamte Hang in einem weißen, stiebenden Inferno. Es half nichts, wir mussten auf
GIRL POWER
zahmeres Gelände ausweichen. Zu allem Überfluss setzte genau in diesem Moment der Heli ein weiteres Team an unserem Berg ab, da die Bedingungen eine Landung an ihrem eigentlich vorgesehenen Terrain unmöglich gemacht hatten. Das bedeutete Konkurrenz für uns bei eh schon eingeschränkten Möglichkeiten. Doch als auch diese Gruppe gleich beim ersten Run ein Schneebrett auslöste, fuhren sie entnervt ab und wir hatten den Berg wieder für uns alleine. Giulia und Sophie ließen sich nicht so schnell unterkriegen. Von unserem Drop-off machten wir uns mit Fellen in einen weiteren Kessel auf, der nicht so steil war und sehr gute Lichtverhältnisse bot. Es war aus Fahrersicht wohl nicht der größte Spaß, mit eher unspektakulä-
Am Abend stand dann die abschließende Gala und Preisverleihung im Konferenzcenter von Courmayeur auf dem Programm. Alle waren extrem gespannt, was die anderen Teilnehmer, die wir in den vergangenen vier Tagen die meiste Zeit nicht zu Gesicht bekommen hatten, zu Wege gebracht und wie die Jurymitglieder die Ergebnisse bewertet hatten. Neben uns waren ein italienisches Team mit den Snowboardern Simon Gruber und Marco Grigis, ein französisches Team mit den Skifahrern Julien Eustache und Nathan Gaidet sowie aus Schweden William Larsson und Erik Lundmark, beide ebenfalls auf Skiern, am Start. Alle eingereichten Medien konnten sich in Anbetracht der schwierigen Verhältnisse mehr als sehen lassen, doch die Preise
Das Team beim Click On The Mountain: Filmer Flo, Giulia, Sophie, Bergführer Alex und der Autor.
ren Abfahrten genug Action für unsere Aufnahmen zu generieren. Dazu war das Timing entscheidend, was manchmal lange Wartezeiten und dann wieder hektische Aufstiege bedeutete. Doch die Mädels arbeiteten hart und am Ende waren sowohl Flo als auch ich mit dem Ergebnis sehr zufrieden. Erst in der Dämmerung erreichten wir das Tal. Der letzte Tag des Events hatte dann wieder grauen Himmel parat, was uns angesichts der bescheidenen Schneequalität nicht viele Optionen ließ. Wir starteten dennoch auf den Berg, um für die Filmclips einige Lifestyle-Aufnahmen zu shooten, und schließlich gaben Sophie und Giulia in einem versteckten PillowFeld noch einmal richtig Gas. Trotz einer kaum vorhandenen Landung sprangen
teilten am Ende zwei Teams unter sich auf. Team Schweden mit Fotograf Adam Klingeteg und Filmer Sebastian Oden Sandblad gewannen den Award „Best Video“ mit einem sehr einfallsreichen Clip und bei den Fotos die Kategorien „Best Action“ und „Best Street“. Für uns zahlte sich die harte Arbeit mit dem Preis für den besten Instagram-Clip sowie den Auszeichnungen für „Best Lifestyle“ und „Best Use of Light“ bei den Fotos aus, wobei letzteres Bild auch als „Best Photo“ des gesamten Events prämiert wurde. Es war für uns alle eine große Überraschung so erfolgreich abzuschneiden und natürlich eine große Freude. Vor allem war es aber ein riesiges Vergnügen, mit zwei so talentierten, begeisterungsfähigen, charmanten und vor allem so energiegeladenen Athletinnen vier Tage
puter mit unserem Editing bis tief in die Nacht, schließlich mussten wir am nächsten Morgen unsere Daten abgeben.
bekommen mehr Girls und Frauen die Chance, bei ähnlichen Anlässen ihre Klasse unter Beweis zu stellen.
DEN DER STURM HATTE beide fette Backflips. Den BERG OFFENSICHTLICH IN EIN Rest des Tages verbrachten MINENFELD lang shooten zu dürfen. wir in Courmayeur mit Lifestyle-Shots Danke Giulia, danke Sophie! V E R WA N D E und schließlich Flo und ich am ComLT. Ich hoffe, in Zukunft
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TYPE
s ist nicht immer alles eitel Sonnenschein. Manchmal läuft es einfach nicht wie geplant. Zur Hälfte einer Skitour mag das Wetter schlecht werden und die
ger und anstrengender ist als gedacht. Vielleicht hättest du den 6er-Pack Bier doch nicht mitnehmen sollen… Gratulation: Du erlebst gerade Type 2 Fun.
Das Konzept von Type 2 Fun existiert, weil es – wie ich schon sagte – nicht immer ein Zuckerschlecken ist. Passionierte Skifahrer werden nicht jedes Mal Spaß haben, wenn sie in die Berge ziehen. Das gehört zum Spiel dazu, Berge sind launisch und wir mitunter ihr Spielball. Manchmal wird uns der Lohn unserer Anstrengungen versagt: Bindungen brechen, Felle halten nicht, Hänge sind zu vereist, Routen unpassierbar, der Schnee zu tief, die Gefahr zu groß oder Tricks wollen einfach nicht gelingen. Type 2 Fun zu verstehen erlaubt uns, aus solchen Situationen das Beste zu machen. Sicher, du hast in diesem Blizzard keine fette Abfahrt gemacht, aber du warst wenigstens draußen, oder? Klar, du bist gerade fünf Stunden durchs Gebüsch aus dieser Sackgassenlinie gestolpert, aber du bist sie wenigstens gefahren, richtig? Okay, du bist gerade mit Tomahawks die Landung runtergeflogen, aber du hast den Trick wenigstens
geplante Abfahrt wird zu einer Herausforderung, weil man im Whiteout den Weg kaum findet. Du fährst im Sidecountry, biegst einmal falsch ab und verbringst die nächsten Stunden damit, im Pappschnee aus einem Graben zu laufen. Vielleicht bist du aber auch schon den ganzen Tag an einem Street Spot und fällst immer kurz vorm Ende vom Rail. Oder du bis auf einer Skidurchquerung und stellst fest – begleitet vom Verkrampfen der Magengegend –, dass der heutige Abschnitt viel län-
Das Urban Dictionary definiert Type 2 Fun als „eine Aktivität, die nur dann Spaß macht, wenn sie schon vorbei ist.“ Ein anderer Artikel beschreibt ihn als „miserabel, während man es tut, aber doch lustig im Nachhinein.“ Für die Downdays-Definition reicht folgender Satz: „Die Erfahrung selbst mag keinen Spaß gemacht haben, während man sie erlebte, aber danach hat man eine gute Geschichte an der Bar zu erzählen.“
versucht. Deine Muskeln schmerzen nach dem irren Aufstieg, aber du bist auf diesem verdammten Berg – und jetzt trinkst du das Bier, das du unnötigerweise heraufgeschleppt hast. Der beruhigende Balsam des Type 2 Fun wird den Schmerz schnell lindern. „Hey, du hast das wirklich gemacht?“ Deine Freunde werden dir ungläubig diese Frage stellen. Ja, wirst du mit einem Hauch von Stolz antworten. Das war definitiv ein Fall von Type 2 Fun.
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ETHAN STONE
FUN FOTO
KLAUS POLZER
DAS WISSEN UM DIE FT HIL A L A -S K S S PA SDIR, DAS LICHT AM ENDE DES T U N N E LS Z U S E H E N , IST. SELBST WENN ES DER ZUG
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SPRAY
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PORTRAIT
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WOODS
IN SEINEN WORTEN:
Ort: Kimbo Session @ Kläppen, Schweden / Foto: Ethan Stone
JAMES
IN SEINER UNWAHRSCHEINLICHEN KARRIERE, DIE IHN VON DEN DRY SLOPES SEINER BRITISCHEN HEIMAT SHEFFIELD ZU VIELEN FINALLÄUFEN BEI OLYMPIA, X GAMES, DEW TOUR UND FIS WELTCUPS GEFÜHRT HAT, ETABLIERTE SICH JAMES WOODS ALS EINER DER TALENTIERTESTEN, HARTNÄCKIGSTEN UND SYMPATHISCHSTEN SKIFAHRER DER INTERNATIONALEN SZENE. SEINER PUNK-ATTITÜDE MIT PASSENDER FRISUR ENTWACHSEN , IST WOODSY INZWISCHEN EIN ERFAHRENER PRO – ETWAS BEDACHTER, ABER NACH WIE VOR SEHR ENGAGIERT UND AUTHENTISCH. MIT SEINER ANSTECKENDEN LEIDENSCHAFT FÜRS SKIFAHREN UND GROSSEM ERFOLGSHUNGER HAT DER MANN, DER DIE ESSENZ VON FREESKIING MIT DEM TWEAKE TEXT N EINES MUTE GRAB TORI BEATTIE PREDIGEN KANN, EINIGE WEISHEITEN ZU TEILEN. ANFÄNGE.
A
ls ich aufwuchs, war es unglaublich: man konnte ein professioneller Skifahrer oder Snowboarder sein und das Vereinigte Königreich nicht verlassen. Wir hatten Magazine, wir hatten Filme. Ich verehrte Leute aus Großbritannien, von denen ihr nie gehört habt. Natürlich verehrten wir auch internationale Stars, aber die anderen waren quasi von nebenan. Die Berge waren dagegen weit weg und ich hatte kein Geld, um dorthin zu fahren.
Deshalb sah ich auch ungern Skifilme, denn ich dachte immer: „Ich hasse es, dass diese Leute all diese Möglichkeiten haben. Ich könnte das auch, wenn ich dort wäre!“ Ich war so neidisch, ich konnte nicht mal Skifilme schauen. Es gab dann keinen Übergang, es gab nur Leidenschaft. Der Übergang war: Ich gehe! Ich mochte die Stadt, in der ich aufgewachsen bin, sowieso nicht. Ich wäre eh gegangen, egal wie. Dort zu bleiben, war keine Option. Also brach ich in einem Camper mit all meinen Freunden auf, und wir fuhren Richtung Alpen und trieben uns dort herum. Dann fand ich heraus, dass Wettkämpfe eine gute Methode waren, um herum zu kommen.
Foto: Danny Warley
WETTKÄMPFE.
Geboren: am 19. January 1992 in Sheffield, England Wohnort: Überall: das Zuhause ist, wo die Boots trocknen
Hobbys: Surfen, Skydiving Sponsoren: Monster Energy, Salomon, Planks Clothing, SunGod, BawBags Underwear
JAMES WOODS
Ich wollte immer ein Skifahrer sein. Aber erst als ich von Zuhause weg ging und herumtourte und kein Geld hatte – ich hatte überhaupt kein Geld! –, realisierte ich, dass Wettkämpfe der einzige Weg waren. Deshalb wurden die Wettkämpfe so wichtig für mich. Ich fuhr durch Europa und das war meine Mission. Es war eine seltsame Mission, denn eigentlich sollte Geld nicht die Triebfeder sein; aber wenn du gar kein Geld hast, wird es ein fundamentaler Antrieb. Doch es war okay, denn ich war ganz gut und ich verdiente Geld. Das war der Anfang. Ich will nicht aufhören Wettkämpfe zu fahren. Mein Ziel war immer, so gut wie möglich zu sein, in jeder Situation. Das mag ich. Und es gab wohl nie eine bessere Zeit für Wettkämpfe. Wir haben mit der FIS viel Mist durchgemacht, aber
jetzt sind die Weltcups einige der besten Contests überhaupt. Wirklich gut. Wir haben viel Unterstützung und große Möglichkeiten mit den Nationalmannschaften. Es ist eine andere Welt.
LANGLEBIGKEIT. Alles wurde eine größere Herausforderung, sobald ich kein Kind mehr war. Meine Einstellung änderte sich verglichen mit der Zeit, als ich einfach besessen vom Skifahren war und so hungrig. Plötzlich war Skifahren mein Job und es war okay, dass ich mal keinen Spaß daran hatte. Es gab Tage: „Okay, ich will heute eigentlich nicht hier sein, denn ich bin in einem Schneesturm, aber nur so kann ich mich für die X Games qualifizieren.“ Das war eine wichtige Einsicht. Eine andere Einsicht war, dass ich irgendwann nicht mehr als Außenseiter galt, den jeder unterstützte; ich musste mich selbst beweisen. Ich hatte mir das Recht verdient, in der ersten Reihe zu stehen, und jetzt musste ich das untermauern und gut Ski fahren – oder es auf meine Kappe nehmen, wenn es nicht so gut lief. Mir wurde auch klar, dass manche Leute in manchen Dingen besser waren als ich, während ich vor allem gut war, wenn ich mich auf meine Stärken konzentrierte.
VIERTER PLATZ.
[Woodsy hatte schon einige vierte Plätze in X Games Slopestyle Contests und fügte dem einen vierten Platz bei Olympia 2018 hinzu.]
Wenn ich es nüchtern betrachte, bin ich unglaublich stolz auf einen vierten Platz. Ich trete an, weil ich Wettkämpfe mag und
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Bei der Kimbo Session im schwedischen Kläppen Park kulminiert jedes Jahr der Style und deshalb darf Woodsy bei diesem Event nicht fehlen. Foto: Ethan Stone
weil ich mich aufs nächste Level pushen will, aber es schmerzt, weil ich weiß, dass ich gewinnen könnte. In unserem Sport kann man eigentlich nicht antreten mit dem Ziel zu gewinnen, denn meiner Meinung nach ist es eine Mischung aus Kunst und Wissenschaft, und es gibt keine Möglichkeit eine Siegesformel zu definieren. Es kommt vielmehr aufs Gefühl an. Deshalb schmerzt es umso mehr, wenn man einen möglichen Sieg verpasst. Als ich mich dann bei Olympia ärgerte, dass ich nicht gewonnen hatte, dachte ich mir: „Warte mal. Ich mache das Ganze – und habe dadurch meinen Platz im Leben gefunden –, weil ich vor den Idioten davongelaufen bin, denen es
wenn jemand Witze über meine vierten Plätze macht – aber es nervt trotzdem.
FORTSCHRITT. Alle von uns, inklusive mir, sind Vergangenheit. Es liegt nicht mehr an uns zu sagen, was als Nächstes kommt. Ich werde versuchen dabeizubleiben, aber eigentlich bin ich weg, weil ich nicht damit aufgewachsen bin, diese Tricks als möglich anzusehen. Die neuen Kids aber schon. Es ist unsere Verantwortung über Grenzen zu gehen. Der menschliche Fortschritt ist großartig! Wenn wir denken, dass wir der Maßstab sind, nur weil wir gerade gut in etwas sind, dann sagen wir im Prinzip: „Ah, wir sollten nicht in den Weltraum
N ES IST OKAY, WEN JEMAND WITZE ÜBER MEINE VIERTEN ZE MACHT – ABER ES NERV T nur um Geld und PLÄT T R OT Z D E M fliegen, um Ruhm und also auch um . Olympia geht. Sie haben mich verscheucht, und jetzt – weil wir als Gruppe insgesamt erfolgreich sind – haben sie uns in ihre Welt zurückgeholt.“ Wenn ich das so betrachte, dann ist es mir wieder egal, dass ich nicht gewonnen habe. Die Sache mit den vierten Plätzen ist aber schon lustig. Jeder geht anders damit um. Es gab unglaubliche Skifahrer vor mir, die nie etwas gewonnen haben. Ich bin da in einer glücklichen Situation, denn ich konnte schon große Siege einfahren. Ich habe einige Titel und ich bin ein lustiger Typ, deshalb ist es auch okay,
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weil wir müssen ja nicht.“ Ich meine, wir alle wissen, was Style ist und was wir sehen wollen. Und das wird sich nicht ändern. Aber nichts kann einen Triple Cork davon abhalten unglaublich gut auszusehen. Nun gut, vielleicht geht Freeskiing auch den gleichen Weg wie Aerials und wir sind in zwanzig Jahren traurig, dass es dieser langweilige Sport geworden ist. Aber dann wird es doch nur ein kleiner Teil unseres größeren Sports sein und die Leute werden weiterhin Ski fahren und es lieben. Wem die Entwicklung nicht passt, kann ja trotzdem rausgehen und 180
Mute Grabs springen. Niemand hält dich davon ab, rauszugehen und das zu tun, was du willst. Wenn du die komplizierten Tricks nicht sehen willst, dann darfst du dir halt nicht Olympia anschauen!
SOZIALE MEDIEN. Sie haben die professionelle Seite des Sports absolut verändert. Dabei gibt es gute und schlechte Seiten. Für mich persönlich sind Wettkämpfe nicht das Ein und Alles. Man kann auch ein Social Media-Star sein und weit damit kommen. Ich glaube aber, dass wir alle noch die Balance finden müssen. Wir finden gerade erst heraus, was wir cool finden und was nicht. Ich persönlich möchte mehr Zeit in meinen Social Media-Auftritt investieren; nicht weil ich berühmt sein will, sondern weil ich das, was ich mache, möglichst gut präsentieren will. Ich habe ein spannendes Leben und ich bin mir sicher, dass die Leute dem folgen wollen. Nur das genaue Medium ist mir noch nicht klar. Ich würde gerne mehr Videos produzieren, aber sie müssen auf mich als Person eingehen und nicht nur ein schneller Zusammenschnitt sein. Ich muss mir darüber Gedanken machen und den Leuten mehr als nur eine oberflächliche, 16-jährige Version von mir zeigen – es sollte eine reifere, 26 Jahre alte Ausgabe von mir sein, welche die Leute zu sehen kriegen. In diese Richtung möchte ich gehen und ich hoffe, es wird gut ankommen.
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MARK VON ROY FOTO
KLAUS POLZER FAHRER
BENE MAYR ORT
STILFSER JOCH, ITALIEN
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urückblickend war dieses Projekt vielleicht keine so gute Idee. Versteht mich nicht falsch, theoretisch war es großartig; aber als es daran ging, diese Monster-Linie tatsächlich zu bauen und dann noch zu fahren, fühlten alle Beteiligten, dass das Stück vom Kuchen wohl etwas zu groß war. Diese Sequenz – sorgfältig zusammengebaut aus fast 80 Einzelbildern – zeigt nicht mal die Hälfte der gesamten Line. Insgesamt beinhaltete der Run über 20 Features, davon 12 Road Gaps (wovon manche Landungen aus Dreck und Steinen hatten), überwand mehr als 500 Höhenmeter und war, ehrlich gesagt, absolut kein Spaß zu fahren; voller möglicher Konsequenzen, über die niemand wirklich nachdenken wollte. Nach über einem Jahr der Planung verbrachte ein Team aus knapp 20 Shapern unzählige Stunden mit dem Bau der Linie, nur damit Sonne und Regen zwei Wochen vor dem angesetzten Shooting sie fast zerstörten. Als der Traum dahinschmolz, wurde alles eine Woche vorverlegt, damit Bene Mayr und Markus Eder dennoch ihre Tricks auf der wohl haarigsten Abfahrt schmeißen konnten, die ich je gesehen habe. Es war definitiv mehr als eine Punktlandung von Nöten… Schaut euch das Ergebnis dieses Husarenstücks auf redbull.com an. Dort gibt es den Stelvio Road Gaps Edit und viel Behind-the-Scenes-Material.
OUTRO
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STILFSER JOCH ROAD GAPS
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FREUNDE NICHT ALLEIN
*WARNHINWEIS: ES IST NICHT IMMER EINE GUTE IDEE ZUSAMMEN EINEN HANG ZU FAHREN. BEDENKT DIE STABILITÄT DER SCHNEEDECKE VOR EURER PILLOW PARTY!
WEIL FREUNDE
FAHREN LASSEN
MARKUS EDER
FAHRER
ROB HEULE
FELIX WIEMERS
FOTO
ORT
ALEX MELISS
APRÈS
GOLDEN BC, KANADA 114
36 RIDERS | 2I CAMERAS | 2 LOCATIONS | I EVENT
[O] KLAUS POLZER
TO THE FUTURE OBERGURGL HOCHGURGL / NIGHTSHOW
SÖLDEN / PUBLIC CONTEST DAY
www.downdays.eu
#FREESKI CULTURE