EB Kurs - Magazin der EB Zürich Frühling 2006

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EBKURS

Magazin der EB Zürich Kantonale Berufsschule für Weiterbildung Nr. 9 März 2006 – Mai 2006

THEMA: SPANNUNGSFELD BILDUNG

INTERVIEW: PETER BRUNNER, MEISTERKOCH


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EB AUF KURS

DRAHTLOS VERNETZT WLAN. Ein Wireless Local Area Network, ein drahtloses lokales Netzwerk funktioniert seit kurzem flächendeckend in allen Räumen des BiZE. Das ermöglicht Mobilität auch beim Lernen. Zwei grosse Vorteile sehen die beiden Projektleiter Gérard Pitteloud und Frank Herrmann in der Installation des WLAN im BiZE. Teilnehmerinnen und Teilnehmer können zum einen mit ihren eigenen Laptops in die Kurse kommen und damit arbeiten. Zum andern können Kursleiterinnen und Kursleiter auch in Nicht-Computerkursen elektronische Geräte einsetzen, falls es für das Lernsetting vorteilhaft ist.

ACCESS POINTS. Voraussetzung eines drahtlosen Netzes sind Zugangspunkte, so genannte Access Points, die Daten senden und empfangen können. Sichtbar sind solche Punkte als kleine weisse Kästchen zum Beispiel in jedem Kursraum. Aber auch in den Gängen und Foyers sind solche Geräte montiert, ebenfalls im Bistro und bis im Sommer auch im Garten, was das Arbeiten im Freien ermöglicht. STRAHLENBELASTUNG. Als Nachteil von drahtlosen Netzen wird oft die Die beiden WLAN-Netze BiZE und OpenBiZE ermöglichen das mobile Lernen.

Strahlenbelastung vorgebracht, die dabei zwangsläufig entsteht. Gérard Pitteloud und Frank Herrmann versichern, dass sie das Gebäude des BiZE genau ausgemessen hätten, damit mit einer möglichst niedrigen Leistung gearbeitet werden kann.

ZUGRIFF AUF DAS WLAN. Drahtlose Netze müssen vor unberechtigten Zugriffen geschützt werden. Deshalb führt das BiZE zwei drahtlose Netze mit den Namen BiZE und OpenBiZE. Das WLAN BiZE ermöglicht den Zugriff auf das interne Netz der EB Zürich und der KME. Teilnehmerinnen und Teilnehmer müssen sich registrieren lassen und sich mit ihrem Benutzernamen und einem Passwort anmelden. So ist ein hoher Sicherheitsstandard mit möglichst grossem Virenschutz garantiert. Das OpenBiZE ist offen für alle Gäste der EB Zürich und der KME; es funktioniert wie ein Hotspot am Flughafen oder im Bahnhof. Ohne Passwort können alle Gäste auf das Internet zugreifen.

ANLAUFSTELLEN UND SUPPORT. Wer sich für einen Zugriff aufs drahtlose Netz der EB Zürich interessiert, meldet sich entweder auf der Administration oder im Lernfoyer. Dort werden die technischen Voraussetzungen überprüft und die entsprechenden Berechtigungen erteilt. Möglich ist der Zugang für PC- und Mac-Geräte, sofern diese mit einer WLAN-Karte ausgerüstet sind.

DAS «JAHR DER ERÖFFNUNG» IM BIZE Im BiZE finden zur Eröffnung weitere spannende Veranstaltungen statt:

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RKEN

ME VOR

Literaturfest 11. März 2006 (Programm: www.eb-zuerich.ch/files/pdf/literaturfest.pdf) Schöne virtuelle Welt 1. April 2006 Der flexible Mensch 13. Mai 2006 Ständig auf eigenen Füssen 20. Mai 2006

Weitere aktuelle Veranstaltungen und Informationen auf www.eb-zuerich.ch/veranstaltungen


EDITORIAL

INHALT

EDITORIAL

Bildung mit Inhalt füllen Genügt unser Bildungswesen den Anforderungen einer Welt, die sich immer schneller verändert? In der Europäischen Union und in der OECD wird die Tauglichkeit der Aus- und Weiterbildung als ein zentrales Thema von höchster Priorität eingestuft. Auch die Konkurrenzfähigkeit der Schweiz auf dem Weltmarkt hängt direkt davon ab, wie sich die Menschen in diesem Land für ihre beruflichen Tätigkeiten weiterqualifizieren. Höchste Zeit also, sich einmal mit den wesentlichen Fragen zu befassen: «Was überhaupt heisst Bildung?», «Welchen Zielen soll Weiterbildung künftig dienen?», «Welche Konzepte und Rahmenbedingungen brauchen wir längerfristig?». Am Event vom 4. Februar im Bildungszentrum für Erwachsene (siehe Artikel S. 6–12) haben Experten das «Spannungsfeld Bildung» ausgeleuchtet und spannende Positionen bezogen. Da wo Spannung und Bildung sich unter einem Dach treffen, im Technorama in Winterthur, hat der Fotograf Urs Siegenthaler dem Thema nachgespürt.

INHALT

Serge Schwarzenbach, Herausgeber

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Work-Life-Balance

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Arbeit im Tierpark, Lernen im Zug. 6

Spannungsfeld Bildung

Vom Bild zum fertigen Film. 18

Ein teures Gut, das es zu pflegen gilt. 14

Sammler und Kursleiter Fritz Franz Vogel in seinen Elementen.

Video-Atelier Abenteuer Essen Peter Brunner im Gespräch.

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5 Tierpark

Kunst am Bau Rolf Flachsmann in Marmor.

STANDARDS 02 EB auf Kurs 03 Editorial 04 Bemerkenswert 13 Tipps und Tricks 22 Kultur: Lesen, hören, sehen 23 Comic

14 Loft

18 Restaurant

IMPRESSUM • EB KURS NR. 9 / MÄRZ 2006 BIS JUNI 2006 • MAGAZIN DER EB ZÜRICH • KANTONALE BERUFSSCHULE FÜR WEITERBILDUNG ZÜRICH • RIESBACHSTRASSE 11 • 8090 ZÜRICH • TELEFON 0842 843 844 • FAX 044 267 80 31 • INTERNET WWW.EB-ZUERICH.CH • E-MAIL EB-KURS@EB-ZUERICH.CH • AUFLAGE 35 000 • HERAUSGEBER (FÜR DIE GESCHÄFTSLEITUNG:) SERGE SCHWARZENBACH • REDAKTION CHRISTIAN KAISER, FRITZ KELLER • GESTALTUNG ATELIER VERSAL, PETER SCHUPPISSER TSCHIRREN, ZÜRICH • TEXTE ANJA EIGENMANN, CHRISTIAN KAISER, FRITZ KELLER, HANNA PFANNER, CHARLOTTE SPINDLER, MARGRIT STUCKI • FOTOS MAX-FRISCH-ARCHIV, ETH ZÜRICH, NINA AMBROGIO, LUC-FRANÇOIS GEORGI, CHRISTIAN KAISER, RETO SCHLATTER, URS SIEGENTHALER, FRITZ FRANZ VOGEL • ILLUSTRATIONEN EVA KLÄUI, ANNA SOMMER • DRUCK GENOSSENSCHAFT ROPRESS ZÜRICH •

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4 BEMERKENSWERT

GESEHEN, GEHÖRT BAUM BERGAHORN. Noch steht ein mageres Bäumchen zwischen dem Biotop und dem Biologiezimmer der KME. Aber es soll wachsen – wie die lernenden Menschen, die das BiZE besuchen. Der Bergahorn, den KME und EB Zürich zur Eröffnung des BiZE von den Regierungsrätinnen Fierz und Aeppli geschenkt bekamen, steht für lebenslanges Lernen. Aeppli hofft, dass der junge Baum «auf fruchtbaren Boden stösst und richtig Wurzeln schlägt», so dass er «auch in stürmischen Zeiten auf sie vertrauen kann». Allerdings ist der «acer pseudoplatanus L.» nicht ganz bedürfnislos: «Seine Ansprüche an den Wasser- und Humusgehalt des Bodens sind gross», steht im Botanikbuch.

PREIS KRÄNZCHEN. www.eb-zuerich.ch gehört zu den 200 besten Websites der Schweiz. Die Redaktion des Magazins «anthrazit» hat wie jeden Februar 200 Websites prämiert, die so «nützlich und gut» sind, «dass sie in jede Bookmarksammlung gehören». Der Webauftritt der EB Zürich hat es in der Sparte «Bildung» unter die ersten Fünf geschafft und ist dort in guter Gesellschaft mit www.berufsberatung.ch oder www.educa.ch. Kommentar: «Die Homepage der EB ist ein Beispiel, wie eine Schule im Web gleichzeitig originell und informativ sein kann.» Die EB Zürich ist sogar die einzige Bildungsinstitution, deren Website ausgezeichnet wurde. Lorbeeren für das Webteam.

BERG LEIDENSCHAFT. Die zweite Schweizer Tagung zur Bergsteigerliteratur, die am 20. Mai 2006 in Amden stattfindet, dreht sich um «Leidenschaft Berg». Nach dem Erfolg des ersten Anlasses dieser Art vor zwei Jahren in Richisau haben die Organisatoren rund um Emil Zopfi, Schriftsteller und Kursleiter an der EB Zürich, beschlossen, am Thema dranzubleiben. Zum Programm gehören Lesungen von Autorinnen und Autoren aus dem In- und Ausland. Gespannt sein darf man auf die dramatische Lesung «Max Frisch am Berg» oder die Videodokumentation über literarische Lesungen in SAC-Hütten. Weitere Informationen finden sich unter www.zopfi.ch/Bergfahrt2006.

BAHN IMPRESSIONEN. Viele Kursteilnehmerinnen und -teilnehmer fahren mit der S-Bahn nach Zürich, um an die EB Zürich zu gelangen. Einige davon nehmen die S12. Wie der Zeichner Ruedi Widmer, der für «EB Kurs» schon verschiedene Cartoons gestaltet hat. Ihm, aber nicht nur ihm, ist die S12, die von Seuzach oder Seen über den Hauptbahnhof bis nach Brugg fährt, ans Herz gewachsen. Also initiierte Widmer ein Buch, «Die S12 – Ein Grundlagenwerk» heisst es. Darin enthalten sind Beiträge in verschiedener Form: Liebesbriefe, Fotos, Impressionen. Ideal zum Schmökern während einer S-Bahn-Fahrt. Onlinebestellung bei buchvogel@ bluewin.ch für Fr. 25.–


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Bild: Luc-François Georgi

PORTRÄT

Stephanie Heinzelmann arbeitet im Tierpark in Goldau als Zoopädagogin.

ZWISCHEN MENSCHEN UND VÖGELN Lernen und umsetzen. Die Zoopädagogin Stephanie Heinzelmann ist mit 30 Jahren die jüngste Teilnehmerin des Lehrgangs «Leadership und Management SVF». Sie begeistert sich immer mehr für die Materie. Von Anja Eigenmann «Ich pendle zwischen meinem Wohnort Zürich und meinem Arbeitsort, dem Tierpark Goldau. Für mich ist die Stunde Fahrt ideal: Ich kann in dieser Zeit schlafen,eine Sitzung vorbereiten oder für meine Weiterbildung lesen: Ich besuche seit einem halben Jahr den Lehrgang «Leadership und Management SVF» an der EB Zürich als Vorbereitung zum eidg.Fachausweis Führungsfachmann/Führungsfachfrau der Schweizerischen Vereinigung für Führungsausbildung. Er dauert eineinhalb Jahre. Schon während meines Biologie-Studiums habe ich im Tierpark gearbeitet. Jetzt betreue ich selber unsere zwanzig Teilzeit-Mitarbeitenden, darunter die Studierenden. Als Zoopädagogin bin ich zuständig für Bildung und Information. Ich hatte lange überlegt, in welche Richtung ich mich beruflich weiterentwickeln möchte. Führungsfachfrau interessierte mich, weil ich ohne Vorkenntnisse in die Personalführung hineingerutscht bin. Ich hatte mir verschiedene Ausbildungsangebote ange-

schaut. Jenes der EB Zürich sagte mir wegen der zeitlichen Struktur am meisten zu. Bis jetzt ist der Unterricht sehr interessant. Die Kursmodule bieten einen guten Mix von Theorie und Praxis. Ich bekomme nützliche Tipps, die ich in meiner Arbeit umsetzen kann. Zum Beispiel, wie man eine Stellenausschreibung aufsetzt. Und ich stelle fest, dass mich ein Gebiet zu interessieren beginnt, für das ich ehemals nicht viel übrig hatte. Früher dachte ich, Personalführung sei eine Frage der Begabung, und entscheidend sei ein gutes Verhältnis mit den Angestellten. Das war naiv. In der Ausbildung lerne ich nun verschiedene Führungsinstrumente kennen und probiere sie in meinem Arbeitsalltag aus. Manchmal funktionieren sie, manchmal nicht. Es kann ganz schön anstrengend sein, den richtigen Weg mit den Mitarbeitenden zu suchen.Aber ich will mich ja verbessern.Und ich mag es,mit Menschen zu arbeiten, nicht nur mit dem Computer. Die Ausbildung neben meinem Vollzeitjob fordert mich. Weil ich nicht nur lernen und arbeiten kann, sondern auch Zeit für meinen Freundeskreis und mich selbst haben will, habe ich meine Teilnahme in einem Orchester sistiert. Hingegen habe ich einen ornithologischen Kurs beibehalten. Darüber bin ich froh, denn ich merke, dass ich mich auf den Exkursionen erhole. Bereichernd finde ich, dass ich in meiner Ausbildung mit ganz anderen Menschen zusammentreffe, als mich sonst umgeben. Vom Erfahrungsaustausch mit ihnen profitiere ich sehr.»


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EVENT

BILDUNG IM SPANN Perlenfischen im World Café. Bevor Bildung gefördert, abgebaut oder gemanagt werden kann, müssen zentrale Fragen geklärt sein: Was ist Bildung, welchem Zweck dient sie und welchen Rahmen braucht sie? Ein hochkarätig besetzter Event im BiZE brachte überraschende Einsichten. Von Christian Kaiser

Was ist Bildung? «Bildung sind Bücher», lautete die spontane Antwort einer Teilnehmerin. Hmhh, Bücher also. Das Besitzen von Büchern, die blosse Betrachtung der Buchrücken oder das Lesen? Und überhaupt: Wer liest im Internetzeitalter noch Bücher? Ist Bildung heute nicht viel mehr ein ADSLAnschluss? Spielt es eine Rolle, was man liest, oder reicht es, dass man liest? Werfen wir also einen Blick in die Bücher. Dort, genauer im Zitatenlexikon, steht: «Bildung kommt nicht vom Lesen, sondern vom Nachdenken über das Gelesene.» (Carl Hilty) Bildung stammt folglich nicht von den Büchern selbst, vielmehr vom Prozess, der stattfindet, wenn man sie weggelegt hat. WORTSINNFRAGE. Die Frage nach dem Wesen und der Herkunft von Bildung scheint bei genauem Hinsehen alles andere als simpel. Schauen wir also weiter in Bücher und denken nach. Der Brockhaus schreibt: «Bildung gilt heute vor allem als lebenslange, nie endgültig abschliessbare Leistung der Eigentätigkeit und Selbstbestimmung des sich bildenden Menschen...» Aha, Bildung gleich lebenslanges Lernen. Aber was soll der Nachsatz: «...jedoch ist die begriffliche Abgrenzung fliessend und varia-


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Bilder: Urs Siegenthaler

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UNGSFELD bel.» Will heissen: Jede und jeder versteht ein bisschen etwas anderes darunter, der Begriff ist schwammig, niemand weiss genau, was das Wort eigentlich bedeutet. Dennoch gibt es Bildungsideale, Bildungsgüter und Bildungsforschung, einige orten Bildungsdefizite, Bildungsbarrieren, Bildungsgefälle oder gar einen Bildungsnotstand (und das schon seit Jahrzehnten), nicht zuletzt gibt es auch Bildungszentren und Bildungsmanagement und schliesslich Bildungsplanung und Bildungspolitik. Letztere formuliert Forderungen nach Förderung der Bildung oder deren Abbau, auch ein Recht auf Bildung wird immer wieder stipuliert. Gründe genug also, einmal nach dem Sinn und Zweck von Bildung und Weiterbildung zu fragen. SPANNENDES FELD. Reichlich Gelegenheit dazu bot sich in der Aula des Bildungszentrums für Erwachsene, BiZE, am Event «Spannungsfeld Bildung – Weiterbildung zwischen Förderung und Abbau». Über 60 Bildungsfachleute – Berufsschullehrerinnen, Personalentwickler, Human-Resource-Managerinnen oder Erwachsenenbilder – waren der Einladung des Rektors der EB Zürich gefolgt und trafen sich am

4. Februar, um über Bildung im Allgemeinen und die Zukunft der Weiterbildung im Besonderen nachzudenken. «Zurzeit geben im Kanton Zürich das Sparen und der drohende Abbau in der öffentlichen Bildung Anlass zu teils heftigen Diskussionen. Die Debatte ist vor allem politisch geprägt», hatte Rektor Hans-Peter Hauser in seiner Einladung geschrieben. «Uns geht es darum, inhaltliche Fragen um die Bildung ins Zentrum zu stellen: Welche Ziele hat Weiterbildung? Welche Konzepte braucht sie längerfristig? Welche Rahmenbedingungen sind nötig?» Das Spannungsfeld, um das es dabei geht, haben Marlise Leinauer und Andy Hediger, welche die Tagung organisiert haben, in einem Artikel in der Weiterbildungsbeilage des «Tages-Anzeigers» abgesteckt: «Der Wandel in Wirtschaft und Gesellschaft verlangt nach immer besser ausgebildeten Berufsleuten», schrieben sie. Die Realität sehe jedoch wenig rosig aus: «Unternehmen reduzieren ihre Weiterbildungsbudgets, die Politik spart bei öffentlichen Weiterbildungsangeboten und die Teilnahmequoten bei der beruflichen Weiterbildung sind im internationalen Vergleich nur mittelmässig. Im Weiterbildungsbereich lädt sich so zusehends ein Spannungsfeld zwischen Ansprüchen und Wirklichkeit auf.»


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EVENT

GEBILDETE REFERENTEN. Leinauer und Hediger ist es gelungen, für den Anlass prominente Thesengeber aus Wirtschaft, Kultur und Forschung zu engagieren. Diese geizten zum Einstieg in die Diskussion nicht mit prägnanten Statements und überraschenden Positionen. Heike Bruch, Professorin am Institut für Leadership und Personalmanagement an der Uni St. Gallen, etwa ortet in den Unternehmen punkto Weiterbildung immer wieder «gelassene Unprofessionalität»: Statt Ziele und Zielgruppen zu definieren, angemessene Programme zu entwickeln und geeignete Wege zu Qualitätskontrolle und Erfolgsmessung festzulegen, sei die «Laisser-faire-Weiterbildung» weit verbreitet. «Viele betreiben kein aktives Weiterbildungsmanagement», sagt Bruch. Überhaupt scheint ein Grossteil der «Leaders» ihren Job nicht zu machen: Laut Bruch betreiben 30 Prozent der Topmanager und 50 Prozent des mittleren Kaders «keine aktive Führung», sind also Leader ohne Leadership. Die Ursache für das «NichtFühren» sieht die Professorin in einer «Nicht-Bildung»: Bei der Ausbildung des Managements kämen die Schlüsselqualifikationen gegenüber den Fachqualifikationen meist viel zu kurz; «fünf Jahre Fachausbildung und drei Tage Führungsschulung». Bruch: «Es herrscht immer noch die Vorstellung vor ‹Entweder man hat’s oder man hat’s nicht›, aber das trifft halt nur begrenzt zu.»

ZUKUNFT DER ZAHNRÄDER. Auch der Vertreter aus der Gilde der Weiterbildungsverantwortlichen in den Betrieben nahm kein Blatt vor den Mund: «In Sachen Bildung fehlt uns die Innovation», sagte Alois Heini, Ausbildungsverantwortlicher bei der Reishauer AG, einem Zahnradmaschinenhersteller mit Sitz in Wallisellen und 200-jähriger Geschichte. «Sparmassnahmen sind jedoch keine Innovation.» Vielmehr würden durch Einsparungen im Bildungsbereich die Kosten zulasten der kommenden Generationen verlagert. Heini ist für die Ausbildung von 60 Lehrlingen verantwortlich und macht sich grosse Sorgen über die Situation auf dem Schweizer Lehrstellenmarkt. Laut Heini sind wir in der Schweiz «viel zu selbstgefällig», vertrauten immer noch dem «Wir sind gut und uns geht es gut», dabei lasse sich in gewissen Bereichen hervorragend ausgebildetes Fachpersonal bereits heute «nur noch im Ausland finden». Wer sich via Berufsmatur und Fachhochschule weiterbilden wolle, brauche deshalb entsprechende Unterstützung. Die wichtigste Frage laute: «Wie holen wir die Unschlüssigen in der nachkommenden Generation, die nach der Lehre keine klaren Ziele haben und nicht weiter lernen, für die Zukunft ab?» Auch der «Kulturunternehmer» Martin Heller liess von Anfang an keine Zweifel daran aufkommen, dass er zum Thema Bildung und Weiterbildung etwas zu sagen hat: Immerhin habe er den «teuersten Wei-


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terbildungsanlass der Schweiz aller Zeiten» organisiert,die Expo 02.Weitergebildet hätten sich nicht nur die rund 7 Millionen Besucherinnen und Besucher, sondern vor allem die Organisierenden während der vierjährigen Vorbereitungsphase, meinte er schalkhaft. Weiterbildung als Learning by doing. Seine Bildungsdefinition ähnelte jedoch ein bisschen derjenigen des Brockhaus: «Bildung und Weiterbildung müssen als Begriffe immer wieder neu bestimmt werden», sagte er. Heller betonte, dass Weiterbildung freiwillig sein müsse, um wirksam zu sein, und dass der unerfüllte Wunsch nach Weiterbildung «ein beträchtliches Frustrationspotenzial» in sich berge. Frust entstehe aber auch dann,wenn sich das Gelernte in der Arbeitswelt nicht anwenden lasse. Um für Weiterbildung Interesse zu wecken, brauche es attraktive lebensnahe Bilder, jegliche Assoziationen an Schule und Unterricht seien zu vermeiden. LERNENDE NETZE. Eine ganz andere,ungewöhnliche Perspektive auf die Thematik brachte der Soziologe und Experte für Stadtentwicklung,Christian Schmid, ein: Der Dozent im Bereich Architektur an der ETH Zürich ging von der «lernenden Region» aus. Darunter versteht er «ein innovatives Netzwerk», das «kollektives Lernen» ermögliche. In unserer modernen Informations- und Wissensgesellschaft seien Innovationsprozesse viel wichtiger als Bildung, die ja

SPANNUNGSFELD-BILDER Zur Illustration des Themas «Spannungsfeld Bildung» hat der Fotograf Urs Siegenthaler im Technorama in Winterthur verschiedene Experimente aufgenommen, die elektrische Spannungsphänomene veranschaulichen. Auch der junge Herr auf dem Titelbild steht unter Spannung.

etwas Statisches sei. Laut Schmid entstehen Innovationen vor allem dort, wo «mehrere Akteure gemeinsam Lernprozesse durchlaufen». Und bei solchen lernenden Netzwerken sieht der Soziologe noch grosse Defizite in der Schweiz: Dienstleistende wie die Finanzbranche oder die Hotellerie müssten rasch kollektive Netzwerke etablieren, um international nicht den Anschluss zu verpassen. Der ETH-Dozent, der unter anderem ein Stadtentwicklungsprojekt in Havanna leitet, warnte aber auch davor, die Bildungsdiskussion unter rein ökonomischen Gesichtspunkten zu führen: «Lernprozesse sind für alle wichtig, nicht nur für die Wirtschaft.» Bildung sei ein Gemeingut, das allen Schichten zugänglich sein müsse. Denn die Gesellschaft als

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Ganzes könne nicht wachsen,wenn der Einzelne nicht lerne zu lernen. Und ohne lernen zu können, könne es den sozial Benachteiligten auch nicht gelingen, aufzusteigen und sich zu integrieren. «Mangelnde Bildung ist eine der wichtigsten Ursachen für soziale Ungleichheit und Desintegration», so Soziologe Schmid. «Weil sich die Unfähigkeit zu lernen von den Eltern auf die Kinder überträgt, muss man bei den Eltern ansetzen. Und das geht nur in der Weiterbildung.» Aus seiner ablehnenden Haltung zu Sparmassnahmen im Bildungsbereich machte Schmid keinen Hehl: «Sie gefährden nicht nur die Wettbewerbsfähigkeit, sondern auch den sozialen Zusammenhalt und die Lebensqualität.» PERLEN MALEN. In seiner Funktion als «Reflektor» nahm Professor Karl Weber Bezug auf die vorgestellten Thesen. Er hielt fest, dass die Schweiz noch nie über so viel Humankapital verfügt habe wie heute, beobachtete aber gleichzeitig auch «die mangelnde Ausnutzung dieses Kapitals». Als Ursache vermutete er ein Interesse der Gutgebildeten daran, die bestehenden Strukturen zu erhalten. Provokant fragte der Koordinationsverantwortliche für Weiterbildung an der Uni Bern in die Runde der Zuhörenden: «Sind wir überhaupt daran interessiert, Wissen zu schaffen und das vorhandene Know-how abzuholen, oder eher daran, den Abstand zu den Unqualifizierten zu erhalten, um unsere Position zu sichern?» Nach einer kurzen Kaffeepause sind schliesslich die An-, Ein- und Aussichten der Teilnehmenden gefragt: Sie setzen sich in Gruppen von maximal 6 Personen an die bereitstehenden World-Café-Tische

WORLD CAFÉ – PERLENFISCHEN IN CAFÉ-ATMOSPHÄRE Der Event «Spannungsfeld Bildung» war als «World Café» organisiert. Ein Glücksgriff: Diese Moderations-Methode ermöglicht klärende Diskussionen in grossen Gruppen und fördert mit ihrer anregenden Atmosphäre den Austausch und die Ideenfindung. An den «Kaffeetischen» eines World Cafés sitzen jeweils 4 bis 6 Personen, die sich angeleitet von einer Gastgeberin oder einem Gastgeber zu einer vorgegebenen Frage austauschen und ihre Ergebnisse auf dem Tischtuch festhalten. Nach 20 bis 30 Minuten wechselt die Gruppe an einen anderen Tisch, während die Gastgeber bleiben. Sie erläutern den Neuankömmlingen kurz die wichtigsten Ideen und Erkenntnisse der ersten Runde. Die neuen Gäste stellen Bezüge her zu den Resultaten, die sie aus der ersten Runde mitbringen und halten diese ebenfalls auf dem Tischtuch fest. Nach drei Runden findet im Plenum die «Perlenlese» statt: Die wichtigsten Erkenntnisse werden vorgestellt, auf einer zentralen Liste zusammen-


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getragen und priorisiert, in einer Galerie aufgehängt, in eine Geschichte gefasst oder visuell protokolliert. Mit der Auswertung dauert ein World Café in der Regel zweieinhalb bis drei Stunden. Die Perlen dienen den Beteiligten als Inputs zur Weiterarbeit am Thema. Die World-Café-Methode ermöglicht es also, auch bei komplexeren Fragestellungen innert vergleichsweise kurzer Zeit zu klärenden Antworten und neuen Einsichten zu gelangen. Bedingung dabei ist Zeitdisziplin. Vor allem bei der Perlenlese am Schluss musste der Moderator am 4. Februar zu Kürze mahnen. Moderiert wurde das «World Café zum Thema Weiterbildung» vom Mediator, Trainer und Coach Hannes Hinnen. Seine Firma «frischer Wind» führt mit grösseren Organisationen World Cafés von bis zu 1200 Personen durch (www.frischerwind.com). Bilder und Berichte zum Event sowie die schönsten Perlen finden sich auf www.bize.ch. Besonders lohnend: Der Berner Cartoonist Pfuschi hat einige Sequenzen mit witzigen und manchmal auch bissigen Strichen festgehalten. Die Ergebnisse des Events werden zudem interessierten Kreisen in einer gedruckten Broschüre zur Verfügung gestellt.

(siehe Kasten), um sich mit den zentralen Fragen des Tages zu befassen: 1. Woran erkenne ich Bildung? 2. Welchen Zweck hat Weiterbildung? 3. Welchen Rahmen braucht Weiterbildung? Die Tische sind mit Papiertischtüchern bespannt, Filzstifte und Neocolor in allen Farben liegen bereit. Der Moderator Hannes Hinnen fordert die Gruppen auf, ihre Gedanken und Ergebnisse schreibend und malend festzuhalten. Dann wird angeregt diskutiert. Hier ein paar Müsterchen: RUNDE 1: WORAN ERKENNE ICH BILDUNG? «Bildung heisst Offenheit», lautet die erste Antwort am ersten Tisch. Und auf die lernenden Netzwerke in den Regionen angesprochen, definiert Christian Schmid: «Bildung erkennt man am Verhalten, an kreativen, den Fachhorizont überschreitenden Lösungen, die gefunden werden.» Ähnlich verhaltensorientiert ist auch die Definition am Tisch 7: «Bildung ist das, was bleibt, wenn das Gelernte vergessen ist.» Sie ähnelt derjenigen des Schriftstellers Mark Twain: «Bildung ist das, was übrig bleibt, wenn der letzte Dollar weg ist.» Originell auch die Lösung von Tisch 12 mit Schriftsteller Emil Zopfi: Im Begriff «Bildung» stecke das Wort «Dung», wird konstatiert, demnach sei Bildung «der Mist,auf dem alles wächst». Der Nebentisch dachte in die gleiche Richtung und assoziierte mit dem Düngerbild «Lebenstüchtigkeit und Adaptionsfähigkeit». RUNDE 2: WELCHEN ZWECK HAT WEITERBILDUNG? «Weiterbildung dient der Erhaltung von Reichtum», lautet der Vorschlag von Martin Heller. Seine hoch-

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stehende Argumentationskette: «Bildung ist erworbener Reichtum.Weiterbildung setzt Bildung voraus. Folglich ist Weiterbildung der Versuch, reich zu bleiben, denn Nicht-Weiterbildung bedeutet Wohlstandsverlust.» Im starken Kontrast dazu weigert sich Tisch 6, überhaupt über einen Zweck nachzudenken: «Weiterbildung ist zweckfrei», verlautet von dort. Für Tisch 12 ist Weiterbildung gar ein «zweckloses Unwort», denn man wisse dabei nie, ob es Voraussetzung für Bildung oder deren Folge sei. «In die Tiefe gehen», «Verhaltensänderungen», «Lohn aufbessern» heissen einige andere Weiterbildungszwecke. RUNDE 3: WELCHE RAHMENBEDINGUNGEN BRAUCHT WEITERBILDUNG? Am Tisch drei ist man sich einig, dass es vor allem gelingen muss,die bildungsfernen Bevölkerungsteile zu erreichen. Dafür gelte es, Elternbildung und Gemeinwesenarbeit zu fördern. Die Volksschule müsse den Schülerinnen und Schülern die Einsicht vermitteln, dass sich «Lernen lohnt», «Spass macht», aber auch «Zeit, Ausdauer und Geduld benötigt». Nur wer so zu lernen lerne, sei später auch bereit, sich weiterzubilden. Tisch 12 bringt es auf den Punkt: «Lernenwollenkönnen», sei, was es brauche. Die Bedeutung von Zeit und Musse für die Weiterbildung wird in mehreren Runden betont. Auch Heike Bruch ist überzeugt, dass Hektik und Aktionismus in der Businesswelt, «dieses Hamsterlaufrad, das wir alle kennen», für die Weiterbildung hinderlich sind und liefert das Stichwort von der nötigen «Entschleunigung». Schon Friedrich Nietz-

sche hatte gesagt: «Die Bildung wird täglich geringer, weil die Hast grösser wird.» Tisch 7 wünscht sich neben Zeit auch Geld und politischen Willen. LautTisch 5 braucht es Vernetzung,einfachen Zugang für alle, Durchlässigkeit und weniger Reglementierung.An mehreren Tischen gelangt man zur Einsicht, dass der Nutzen der Weiterbildung zu wenig gewürdigt wird: Der Wert von Weiterbildung müsse stärker anerkannt werden, dazu brauche es zusätzliche Anreize. BRATWURST UND ZYANKALI. Anschliessend an die drei Diskussionsrunden an den Tischen folgte «die Perlenlese»: Die wichtigsten Erkenntnisse jedes Tisches wurden kurz dem Plenum präsentiert. Längst nicht alle Voten und Vorschläge waren wirklich ernst zu nehmende «Perlen». So wurde in einer Runde das Beispiel einer Krankenschwester diskutiert, die einem Patienten auf dessen ausdrücklichen Wunsch eine Bratwurst serviert hatte, an der dieser beinahe gestorben wäre. Die augenzwinkernde Folgerung eines Teilnehmers: Die Rahmenbedingungen der Bildung müssten so geändert werden, dass eine Krankenschwester wisse, dass der Patient keine Bratwurst essen dürfe, auch wenn es ihn danach gelüste. Selbst die besten Rahmenbedingungen können allerdings das Gut Bildung nicht zu einem Allheilmittel machen. Im Zitatenlexikon findet sich dazu folgender Eintrag (Karl Kraus): «Eine umfassende Bildung ist eine gut dotierte Hausapotheke. Aber es besteht keine Sicherheit, dass nicht für Schnupfen Zyankali gereicht wird.»


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Illustration: Eva Kläui

TIPPS UND TRICKS

SPORT UND DENKSPORT Winterspeck weg. Weil konzentriertes Denken eine körperliche Belastung ist, halten sich Denksporttreibende auch körperlich fit. Rund um das BiZE gibt es zahlreiche Trainingsmöglichkeiten. Bei angestrengter Denkarbeit erhöht das Gehirn seinen Stoffwechsel und verbraucht mehr Kalorien – bei hoher Konzentration rund 110 Kalorien pro Stunde. Gemäss einer amerikanischen Studie ist das etwas mehr als beim Sex (108) und etwas weniger als bei der Kinderbetreuung (120 – Hinterherrennen, Nase putzen, angeknacktes Ego aufpeppen usw.). Haben Denkarbeitende Stress, ist der Kalorienverbrauch noch höher: WeltklasseSchachspieler zeigen in kritischen Phasen der Partie eine Erhöhung der Herz- und der Atemfrequenz sowie des Blutdrucks; viele Turnierspieler berichten von Gewichtsverlusten. Da Denksport eine grosse Belastung ist, trainieren zahlreiche Spitzenspieler auch körperlich oder betreiben zum Ausgleich Sportarten wie Tischtennis und Fussball. Einige Grossmeister beschäftigen sogar eigene Fitnesstrainer. Hier ein paar Anregungen zum Fitness-Training rund um das BiZE:

Schwimmen: Gleich neben dem BiZE befindet sich die öffentlich zugängliche Schulschwimmanlage Riesbach (Eingang beim GZ). Die Seebäder Tiefenbrunnen und Utoquai sind in ca. 5 Minuten zu Fuss erreichbar. (www.badi-info.ch) Laufen: Rund um den Loorenchopf oberhalb des Zürichbergs gibt es zahlreiche schöne Joggingstrecken. Finnenbahnen und Vita Parcours bei der Sportanlage Fluntern. (www.asvz.ch) Mountainbikeparcours am Zürichberg (www.stzh.ch>ewz-Bikeparcours) Tauchen / Wassersport: Wassersportzentrum Tiefenbrunnen (www.wzt.ch) Tennis: Tennisanlage Lengg (www.lengg.ch), Tennisanlage GC Zürich (www.gc-tennis.ch) Armbrust etc.: Infos zu weiteren Sportarten gibt’s auf www.sportstaetten.ch oder dem Sportamt der Stadt (www.stzh.ch). Relaxing: Wer’s gern etwas gemütlicher oder mit Lerneffekt mag, hält sich an den Geologielehrpfad Adlisberg beim Dolder oder den botanischen Garten (www.bguz.unizh.ch). Sowohl Sport als auch Denksport machen glücklich; bei beiden lässt sich ein besonderes geistiges Phänomen feststellen: Die Psychologie nennt es «Flow-Erleben». Flow ist definiert als ein «Zustand, in dem sich der Mensch im Tun vergisst, ein Verschmelzen von Handeln und Bewusstsein, das von grossen Glücksgefühlen geprägt ist». Na dann: auf zum fröhlichen Kalorienverbrennen.

Kurse aus dem Bereich Gesundheit, Prävention, Wohlbefinden Stress abbauen und Vitalkraft entfalten Atemform, Haltungstendenz und Stimmkraft bewusst wahrnehmen und dabei Gelassenheit, Echtheit und Vitalkraft erlangen. Lebensqualität steigern Auf innere Rhythmen achten und diese bewusst nutzen. Persönliche und berufliche Ziele werden energiegeladen angepackt und umgesetzt. Weitere Infos und Anmeldung unter www.eb-zuerich.ch


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PERSÖNLICH

BILDERJÄGERFOTOSAM Etwas vor(zu)zeigen. «Drucksachen gestalten» heisst ein Lernatelier an der EB Zürich. Fritz Franz Vogel ist einer der Leiter. Als Volkskundler, Kunst- und Kulturhistoriker, Fotograf, Büchermacher und Sammler schöpft er aus dem Vollen. Von Charlotte Spindler

Die Prinzessin trägt ein rosafarbenes Seidenkleid, eine glänzende Schleife im Haar und stöckelt auf rosa Pumps direkt in die Arme ihres Vaters. Ein bisschen verschlafen ist sie und mustert den Besuch aus den Augenwinkeln. Fritz Franz Vogel breitet Bücher auf dem über drei Quadratmeter grossen Arbeits- und Esstisch aus: Monografien von Schweizer Fotografinnen und Fotografen, ein gelb gebundenes Büchlein mit Kurzgeschichten und Sprachspielereien, die in einem Aargauer Kurs «Lesen und Schreiben für Erwachsene» entstanden sind, und dann, druckfrisch, die Dissertation «The Cindy Shermans: inszenierte Identitäten.Fotogeschichten von 1840 bis 2005», über 500 Seiten stark, mit gegen 1000 Abbildungen, ein umfassendes Werk über inszenierte Fotografie, von frühen Fahndungsfotos, erotischen Darstellungen aus der Jahrhundertwende, Tableaux vivants religiö-

sen oder weltlichen Zuschnitts bis zu den verstörenden oder schrillen Selbstporträts und Bildarrangements zeitgenössischer Kunstschaffender. VERGANGENHEIT UND AVANTGARDE. Fritz Franz Vogel, der ursprünglich Heilpädagogik studiert hat, sein Lizentiat in Volkskunde ablegte, die Fotoklasse an der Schule für Gestaltung besuchte, hat für seine Doktorarbeit zur Kunstgeschichte gefunden. Die wissenschaftlichen Disziplinen sieht er allerdings nicht klar abgegrenzt. Bei ihm liegt vieles nah beieinander. In der Arbeit wie im Leben. Seit 15 Jahren bewohnt er in Wädenswil ein ganzes Stockwerk einer ehemaligen Tuchfabrik.400 Quadratmeter und keine Wand dazwischen. «Das nennt man heute Loft», lacht Vogel, «aber als ich hier einzog, war das noch Avantgarde.» Der Raum ist riesig und hoch, die Gusseisensäulen und der grüne Warenlift erinnern an die Textilindustrie, deren Zeit an diesem Ort bereits vor 30 Jahre ablief. OFFENE RÄUME. Platz gibt’s hier für vieles: Neben Papas Fotostudio haben die beiden Mädchen Lilli Louise (5) und Inanna Rhea (3) ihren improvisierten Theaterraum, mit Tüchern und Stativen markiert, wo eine ganze Truppe von Handpuppen auf ihren Einsatz wartet. Nebenan ist der digitale Arbeitsplatz; drei Computer, Scanner, Drucker, Fotomaterial, Schriftstücke in Mäppchen.«Das sind meine Projekte,


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Bilder: Nina Ambrogio/Fritz Frnz Vogel

PERSÖNLICH

Fritz Franz Vogel weiss, wie Informationen ins Bild gesetzt werden.

MLERHAUSMANN an denen ich zurzeit arbeite», sagt Vogel. «Die Monografien über Schweizer Fotografinnen und Fotografen betreue ich gemeinsam mit dem emeritierten Volkskundeprofessor Paul Hugger; soeben habe ich im Zürcher Limmat Verlag den zweiten Band über die bürgerliche Fotografie von Johannes und Hans Meiner herausgebracht.Daneben betreue ich momentan ein Buch über Zürich, das in arabischer Sprache erscheinen soll. Für die Hochschule für Gestaltung und Kunst Luzern forsche ich über die schweizerische Schulbuchillustration.» Weiter sind ein paar Buchund Ausstellungsprojekte in der Pipeline,zum Künstler Josef Madlener, zu historischen Bildalphabeten oder zur Kultur der Körperwiederherstellung nach Unfällen unter dem Titel «Gesichtsverlust». SPEZIALITÄTEN. Fritz Franz Vogel ist ein Sammler. «So richtig begonnen habe ich erst seit ich hier wohne und dafür auch Platz habe»,erzählt er und führt durch ein Labyrinth von Bücherregalen. Rund 5000 Bände zu Fotografie, Kunst, Theater, Alphabet und Sittengeschichte sind hier thematisch geordnet – ein immenser Fundus, der in das eine und andere WerkVogels Eingang gefunden hat. An Originalem sammelt Vogel handkolorierte Bromsilberpostkarten (15 000 Stück hat er schon!) und erotische Fotografien von 1880 – 1940; die Objekte der Begierde findet er an Börsen oder sie werden ihm über Mittelsleute, die seine Leidenschaften kennen, angetragen.

PRODUKTE ZUM ANSCHAUEN. 30 Ausstellungen realisiert hat Vogel in den letzten Jahren und 32, zum Teil preisgekrönte Bücher herausgebracht. Projekte, die er in keinem Verlag unterbringt, publiziert er im eigenen «Verlag mit dem Pfeil im Auge». Seit über 20 Jahre ist er zudem mit der Kamera unterwegs, dokumentiert und archiviert das Schaffen der freien Schweizer Theaterszene.1995 wurde er mit dem 1. Preis für Theaterfotografie ausgezeichnet. Seit die Kinder auf der Welt sind, ist Fritz Franz Vogel Teilzeithausmann. Etwa dreimal in der Woche fährt er an die EB nach Zürich. Mit einem Lehrauftrag des Vereins Lesen und Schreiben für Erwachsene fing er 1999 an. Heute erteilt er Mac-Einführungskurse und führt das Lernatelier «Drucksachen gestalten» im Lernfoyer. «Da können zum Beispiel Leute teilnehmen, die ihre Biografie oder die Lebensgeschichte von Verwandten aufzeichnen und in einer kleinen Auflage drucken möchten; ihnen kann ich zeigen, wie man einen längeren Text aufbereiten und druckfertig gestalten kann: Ein bisschen perfekt darf’s schon sein.» Fritz Franz Vogel (Hg.): Johannes und Hans Meiner. Fotografiertes Bürgertum von der Wiege bis zur Bahre. Zürich 2005. Fritz Franz Vogel: The Cindy Shermans: inszenierte Identitäten. Fotogeschichten von 1840 bis 2005. Köln 2006. Die Bücher können über www.fritzfranzvogel.ch bezogen werden.


KURSFENSTER

Bild: Reto Schlatter

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«Im Lernatelier gibt es immer jemanden, der weiterhilft.»

AUF DER SPUR Im Lernatelier «Video» arbeiten Amateur-Filmschaffende an ihren eigenen Projekten und erweitern so ihr technisches und gestalterisches Knowhow. Dabei profitieren sie von der reichen Erfahrung des Kursleiters genauso wie von der Gruppendynamik und der grosszügigen Infrastruktur. Von Margrit Stucki

Wer am Mittwochabend den Medienraum im BiZE betritt, spürt sofort den Schaffensdrang in der Luft. Hier wird gearbeitet: Die Teilnehmenden des Video-Ateliers analysieren und tüfteln – allein, zu zweit oder in Gruppen. Von der Besucherin nehmen sie kaum Notiz, zu vertieft brüten sie über den Bildund Tonspuren. LERNEN IN GRUPPEN. Das «Atelier» als Lernform eignet sich nicht für jeden. Beispielsweise müssen die Teilnehmenden bereits mit modernen Schnittprogrammen umgehen können, denn Software-Schulungen finden im Lernatelier keine statt. Am meisten profitiert, wer schon gewohnt ist, selbständig zu arbeiten und sich freiwillig einzusetzen: «Für diese Lernform muss man ein eigenständiger Typ sein», bestätigt die 67-jährige Pädagogin Vreni Köppel. Entsprechend treffen im Atelier Persönlichkeiten mit unterschiedlichem Naturell aufeinander; vom kauzigen Dokumentarfilmer über die detailversessene Ästhetin bis zum schrägen Exzentriker sind hier allerlei Charaktere vertreten. Ein Lernatelier ist aber


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Festen filmt. «Ich profitiere von der Hilfsbereitschaft des Leiters und der Infrastruktur, die immer auf dem neusten Stand ist – eine solche Ausrüstung kann ich mir privat nicht leisten.» Im Video-Atelier habe er bei der praktischen Arbeit selber viel Neues herausfinden können; ein willkommener Effekt des Ateliers als Lernmethode, denn was man selber entdeckt, bleibt besser im Gedächtnis. DER ALLROUNDER. Kursleiter Thomas Geser ist gefragt. Jeder möchte den erfahrenen Fachmann möglichst lange für sich in Anspruch nehmen: «Thomas ist genial», schwärmt etwa Regula Bachmann, «er kann jede Frage beantworten, jedes Problem lösen. Seine Hilfsbereitschaft hat mich motiviert, dranzubleiben.» Was für die Teilnehmenden gilt, gilt erst recht für die Leitenden: Nicht alle haben das Zeug, ein Atelier zu führen. «Als Atelier-Leiter musst du wahnsinnig viel wissen. Das Computerwesen ist dermassen komplex und kurzlebig, da musst du dich zwangsläufig zum Allrounder entwickeln», beschreibt Thomas Geser eine der Anforderungen. Hinzu kommen Geduld, Einfühlungsvermögen und Flexibilität. «Qualitäten, die sich mit zunehmendem Alter fast automatisch einstellen», schmunzelt der Mittfünfziger. Die Atelier-Besucher wissen die sozialen Kompetenzen ihres Coachs zu schätzen. Als ein Teilnehmer wegen technischer Probleme die Nerven verliert und die Maschinen traktiert, bleibt Geser die Ruhe selbst und ermahnt ihn. In aller Gelassenheit widmet er sich kurz darauf dem nächsten Rat Suchenden und passt seine Tipps dem jeweiligen Lerntempo und Kenntnisstand an.

keine Spielwiese für individualistische Egomanen: «Um sich hier wohl zu fühlen, muss man altruistisch veranlagt sein», stellt Kursleiter Thomas Geser fest. Das scheint bei den Teilnehmenden eindeutig der Fall zu sein: Alle schätzen die Gemeinschaft mit anderen Lernenden und den gegenseitigen Austausch sehr. LEARNING BY DOING. «Ich komme gerne ins Lernfoyer» verrät etwa Elsbeth Iten, «ich mag die konstruktive Atmosphäre, die mich zu neuen Experimenten anspornt.» Und Dorothea Oechslin doppelt nach: «Ich bin froh, dass ich die andern um Rat fragen kann. Gerne lasse ich mich auch beim Blick auf andere Bildschirme inspirieren.» Oft bilden sich Kleingruppen, die sich im Atelier regelmässig zu vertiefter Projektarbeit treffen. Die Produktion eines publizierbaren Videos ist ein aufwändiges Unterfangen. Ein Kurs allein kann das Einüben der notwendigen Schnitt- und Gestaltungstechniken nicht abdecken, dazu braucht es zusätzlich viele Anwendungs-Stunden. Zuhause fehlt jedoch oft die geeignete Infrastruktur fürs professionelle Umsetzen. Deshalb werden die Computer im Lernfoyer und das Lernangebot im Atelier intensiv und dankbar genutzt. Die lockere Ambiance und die grosszügigen Räume fördern die Experimentierfreude zusätzlich. «Im Atelier lerne ich mehr als in einem Kurs», sagt Naser Limani, der in seiner Freizeit oft an albanischen

LERNFORM DER ZUKUNFT. Die didaktische Idee hinter dem Lernatelier ist nicht neu, aber brandaktuell für die moderne Erwachsenenbildung: Hier wird Bildung nicht konsumiert, sondern erlebt.«Das Lernatelier finde ich mit Abstand die beste Lernform, da ich Lösungen am eigenen Projekt umsetzen kann», sagt Peter Kunz. Der 52-jährige Künstler, der nach 40 Jahren Fotografie aufs Filmen umgestiegen ist, hat bereits drei Video-Kurse besucht.Neben dem direkten Praxisbezug erweist sich auch das selbstverantwortliche Lernen in der Gemeinschaft als besonders erwachsenengerecht. Ferdi Köppel: «Am Lernatelier schätze ich neben den guten Geräten vor allem die Leute, die ich schon vom Final-Cut-Kurs kenne.Tauchen Fragen auf, kann mir immer jemand weiterhelfen.» Der pensionierte Verwaltungsangestellte ist seit drei Jahren passionierter Videofilmer: «Ich nehme alles auf, was mir vor die Linse kommt – vor allem im Zoo und an Volksfesten.» Die Bewegungstherapeutin Regula Bachmann weiss aus Erfahrung,wie wichtig der Praxisbezug sein kann, um Zusammenhänge zu begreifen: «Ich setze vermehrt Videofilme bei meiner Arbeit ein. Dadurch, dass die Eltern ihre Kinder in Aktion sehen, verstehen sie meine Analysen und therapeutischen Massnahmen besser.» Etwas haben Videos und Lernateliers also gemeinsam: Beide bieten modernen Anschauungsunterricht.

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INTERVIEW

Peter Brunner: Das ist aber ein uralter Schinken, den Sie da haben. Es gibt neuere Bücher von mir. EB Kurs: Was geht Ihnen durch den Kopf, wenn Sie in dieses knapp 20-jährige Kochbuch reinschauen? Man sieht, wie schnell die Zeit vergeht. Entstanden ist es, weil ich selber abnehmen und trotzdem gut essen wollte. Es gab damals keine Gourmet-Restaurants, die auf Kalorien achteten. So entstand «Feine Küche – leicht gemacht». Das Buch ist vergriffen, die leichte Art zu kochen ist geblieben. Damals waren Sie 37 und ausgebildeter Primarlehrer. Wie weit war der Weg zum Koch und Kochbuchautor? Ich musste mich gegen etliche Widerstände und Kritik durchsetzen. Ich komme aus einer Akademikerfamilie: Niemand glaubte, dass ich trotz einer Lateinmatur bloss Koch werden würde. Persönlich war es ein weiter Weg. In einer Ihrer Kolumnen im Züri-Tipp* erwähnen Sie immerhin, dass Sie zu Hause schon früh für das Sonntagsmenu zuständig waren. Wussten Sie damals, dass Sie irgendwann als Koch arbeiten würden? Nein. Nachdem ich eine Zeitlang unterrichtet hatte, habe ich eine Auszeit genommen und drei Jahre lang im

Rössli Stäfa, einer der ersten Genossenschaftsbeizen, gekocht. Da erst wurde mir klar, dass ich Koch werden will. Haben Sie den Berufswechsel je bereut? Nein, nie. Keine Zweifel, ich war und bin mir bombensicher, dass das das Richtige ist für mich. Was braucht es, um etwas so überzeugt durchziehen zu können? Ich war zwar ein miserabler Gymischüler, hatte aber im Maturazeugnis drei Sechser: im Zeichnen, im Turnen und in der Religion. Mir ist es gelungen, diese Begabungen in den Kochberuf zu packen: Ich bin ein visueller Typ und Kochen ist Hochleistungssport. Und die Religion? Kommt die in Ihren Kolumnen zum Zug? Immerhin haben Sie ja eine Botschaft. Ah ja? Einmal frotzeln Sie über abgegriffene Ausdrücke wie «Grossmutters Küche», dann wettern Sie über die Landwirtschaftspolitik, dann ermuntern Sie Herd-Phobiker zum Kochen. Als Pfarrerssohn ist mir der Begriff «Botschaft» nicht ganz geheuer. Auch wenn es sehr gute Pfarrer gibt, ich will keine Predigten halten. Sagen wir einfach: Ich will etwas erreichen. Beim Schreiben stelle ich mir die Leser

DER BUCHSTABEN Im Gespräch. Er hasst Formulare, findet Sterne überflüssig und will mit manchen Gästen nichts zu tun haben. Aber was er auskocht, isst und liest sich vorzüglich: Der Zürcher EdelGastronom und Kolumnen-Schreiber Peter Brunner. Interview: Hanna Pfanner


INTERVIEW

vor und ich frage mich, was sie interessieren könnte. Wie kocht man Spaghetti? Welches ist die beste Schokolade? Wo gibt es die aromatischsten Tomaten? Und beim Kochen stellen Sie sich die Gäste vor. Ja, das muss ich leider. Das ist eine grosse Einschränkung. Die Gäste kommen und zahlen relativ viel Geld. Also muss ich auf sie Rücksicht nehmen. Wenn man bei Ihnen isst, stellt man fest, dass Sie den Kontakt zu den Gästen nicht suchen. Ich meide ihn, wenn immer möglich. Mein Job ist es zu kochen. Die Leute im Service, die mit mir arbeiten, sind hoch qualifiziert. Sie gehören nach vorn zu den Gästen. Was soll ich da einmal am Abend quasi die Bühne betreten und meine Mitarbeiter sind nur noch die Statisten? Das ist nicht mein Ding. Sind Sie eine eher scheue Person? Ja, schon. Aber dass ich die Gäste meide, ist auch eine Form von Arroganz. Mit manchen will ich gar nichts zu tun haben. Einige Gäste sind einfach langweilig. Auch in meinen privaten Beziehungen bin ich eher wählerisch. Da treffe ich eine klare Auswahl. Nur beste Qualität wie bei den Kochzutaten? Es muss einfach passen. Anders kann ich das nicht sagen.

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Stimmt die Annahme, dass Testesser nicht ihre liebsten Gäste sind? Ich habe noch nie einen getroffen. Die lernt man erst kennen, wenn man 17 Gault-Millau-Punkte und mehr hat. Würden Sie sich freuen über 17 Punkte? Heute haben Sie 14. Nein, ganz und gar nicht. Ich hatte mal 16. Das war nicht einfach. Denn Restaurants mit vielen Punkten haben ein klares Konzept. Wenn der Koch es einmal anders macht, sind auch die Gäste enttäuscht, nicht nur die Tester. Und ich will die Freiheit, es anders machen zu können. Es gibt in Europa einige Köche, die ihre Sterne zurückgeben und auch Winzer, die nicht mehr DOC-zertifiziert sein wollen. Wie sehen Sie diese Entwicklung? DOC ist ein alter Hut und absurd; ein Wein ist etwas Individuelles. Es gibt keine Kategorien, die allen Weinen gerecht werden. Ähnlich ist es mit dem Essen: Die Führer haben Sinn gemacht, als die französische Küche der internationale Standard war. Da konnte man Gleiches mit Gleichem vergleichen. Heute kommen die besten Köche aus Spanien, Amerika, auch aus England und Nordeuropa. Das sind alles grundverschiedene Kochkulturen, da erübrigen sich Sterne und Punkte.

Bilder: Anita Affentranger

ALLESFRESSER


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INTERVIEW

Wie gehen Sie mit solchen Trends um? Trends sind wie Wellen. Es gibt – wie ich es nenne – die Grundwellen, Ebbe und Flut. Die nehme ich sehr wohl war, weil sie gesellschaftliche Ursachen haben. Zum Beispiel, dass die Leute weniger Fett und mehr Gemüse und Fisch essen wollen. Daneben gibt es Modewellen, die ich eher als Schäumchen betrachte, die auf diesen grossen Wellen tanzen. Was mir passt, nehme ich auf, den Rest lasse ich sein. Ihr erstes eigenes Restaurant war die Erlenhöhe in Erlenbach. Wie haben sich Ihre Ziele seither verändert? In Erlenbach war ich grenzenlos naiv, habe mich selbst überschätzt und bin entsprechend auf die Nase gefallen. Seither habe ich viel gelernt. Zu Beginn interessierte mich nur das Kochen, die Technik, das Handwerk. Ich hätte gar keine Gäste

Schule. Leider aber nimmt die Theorie immer mehr Raum ein und erobert auch die Küche. Die Lehrlinge müssen seitenlange Journale führen «am Montag habe ich diese Sauce gelernt, am Dienstag jene». Das geht völlig am Alltag und an der Praxis vorbei. Ich jedenfalls foutiere mich darum. Meine Lehrlinge sollen bei mir das Handwerk lernen und nicht stundenlang Formulare ausfüllen. Kann damit nicht die Ausbildung besser kontrolliert werden? Die Zuständigen sollen wie früher in die Betriebe kommen und mit dem Lehrmeister und dem Lehrling reden. Das ist die viel bessere Kontrolle. Formulare nützen da nichts. Wird das zur Pflicht, werde ich keine Lehrlinge mehr ausbilden. In welcher Form bilden Sie sich selber weiter? Ich lese sehr viele Kochbücher. Ich lese auch sonst sehr viel, Literatur, ich habe vier Zeitungen abonniert, ich bin ein Buchstabenallesfresser. Nehmen wir an, Sie könnten eines Tages nicht mehr als Koch arbeiten. Dann würde ich einen privaten Kinderhütedienst aufziehen. Die öffentlichen Kinderhorte sind nicht effizient genug. Ich bin sicher, man könnte das so organisieren, dass alle Beteiligten auf ihre Kosten kommen…

«Meine Lehrlinge sollen bei mir das Handwerk lernen und nicht stundenlang Formulare ausfüllen.» gebraucht. Mit der Zeit fand ich das Unternehmerische spannender. Heute bin ich noch einen Schritt weiter: Mein Restaurant ist ein Organismus, wie ein Kind. Es gibt und braucht. Heute ist mein Ziel, dafür zu sorgen, dass alle, die diesen Organismus ausmachen, zufrieden sind. Gäste, Mitarbeiter, Lieferanten und ich. Sie bilden auch Lehrlinge aus. Welche Vorstellungen haben diese jungen Leute vom Kochberuf? Die wenigsten sehen das realistisch. Wer bei mir die Lehre machen will, muss 14 Tage schnuppern. Erst in der zweiten Woche sieht er, dass dieser Beruf körperlich extrem anstrengend ist. Mit den Arbeitszeiten kann man sein soziales Umfeld kaum pflegen. Und besonders kreativ ist das Kochen zumindest am Anfang nicht. Es ist ganz einfach: Wer Koch werden will, muss arbeiten können. Aber heute lernen die Kinder zu Hause keine Disziplin mehr und in der Schule lernen sie nicht, zu arbeiten. Da muss ich jeweils bei null anfangen. Ich mache mir aber auch Sorgen über die Entwicklung der Lehrlingsausbildung. Wieso? Das duale System ist eigentlich perfekt: Für die Praxis ist der Betrieb zuständig, für die Theorie die

...und aus den Kindern würden Sie dann lauter arbeitswütige Jungköche machen. Genau! Unsere zwei Nachbarskinder sind schon sehr erfolgreich und enthusiastisch durch meine Schule gegangen. Vorläufig bleiben Sie uns aber noch als Koch erhalten. Ja, so lange ich kann. Beatrix Ehmann übernimmt den Betrieb nach und nach. Wenn es so weit ist, sitze ich da hinten an dem Tisch, trinke einen Apéro und rauche nach dem Essen eine Zigarre. Wenn es ein Problem gibt, helfe ich. Wie in einem Familienbetrieb.

Peter Brunner, 55, stammt aus einer Zürcher Pfarrersfamilie und hat die Ausbildung zum Primarlehrer gemacht. Nachdem er ein paar Jahre unterrichtet hatte, entschied er sich, bei Heinz Witschi in die Kochlehre zu gehen. Nach verschiedenen weiteren Stationen führt er seit zehn Jahren das Restaurant Kaiser's Reblaube und Goethe-Stübli in Zürich. Der belesene Koch ist auch ein begnadeter Schreiber: Seine Kolumnen erschienen früher in der NZZ, heute sind sie 14-täglich im Züri-Tipp zu lesen. In den Genuss seines didaktischen Könnens kommt, wer einen seiner begehrten Kochkurse besucht. Brunner lässt sich in seine Töpfe schauen und kocht mit den Kursteilnehmenden jeweils ein 5-Gang-Menu. Anschliessendes Schlemmen inbegriffen. Genauere Angaben unter rest.reblaube@bluewin.ch oder Restaurant Kaiser's Reblaube & Goethe-Stübli Glockengasse 7, 8001 Zürich, Tel. 044 221 21 20. *Peter Brunner: zart und deftig – Die schönsten Kolumnen zu Essen und Kochen mit 100 Lieblingsrezepten für den Alltag. Im Eigenverlag, 198 Seiten, 38.50 Franken.


Bild: Christian Kaiser

KUNST

IN STEIN GEHAUEN Verzahnt. Eine MarmorFigur des Schweizer Künstlers Rolf Flachsmann prägt den Eingang ins BiZE.

Es war 1970, in Zeiten einer allgemeinen Aufbruch stimmung, als der Künstler und Kulturförderer Hans Fischli auf dem Gelände, wo heute die Freizeitanlage Riesbach steht, ein so genanntes «Bildhauersymposium» organisierte. «Bildhauern aus den Jahrgängen 1934 bis 1948 soll die Möglichkeit gegeben werden, in voller künstlerischer Freiheit und ohne materielle Belastung eine Skulptur oder eine Skulpturengruppe in Naturstein auszuführen.» Drei der damals entstandenen Werke stehen immer noch rund ums BiZE. Die Figur ohne Titel aus weissem Cristal lina-Marmor von Rolf Flachsmann (geb. 1934) markiert beim Haupteingang Präsenz. Aufstrebende, oben in einer Rundung endende Säulen stehen für Offenheit und gegenseitige Abhängigkeit zugleich.

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KULTUR

LESEN, HÖREN, SEHEN Kursleitende und Mitarbeitende der EB Zürich geben Tipps zu interessanten Büchern, CDs und Videos.

LESEN

Sybille Protzen, Teilbereichsleiterin Deutsch

Hirte. 1913 trifft der Autor im ausgetrockneten, entvölkerten Hochland der provenzalischen Alpen auf einen Hirten mit seinen Schafen. Dieser Hirte pflanzt Eichen, 100 Eichen täglich, jahrelang. Zwei Weltkriege ziehen an ihm vorüber; unbeirrt und von der Umwelt unbemerkt pflanzt er Bäume. Der Autor besucht ihn bis 1945 regelmässig. Wälder bedecken langsam die Hügel, Quellen beginnen zu fliessen und Menschen kehren zurück in die verlassenen Dörfer, alles dank der Unbeirrbarkeit eines einzigen Menschen, Elzéard Bouffier. Dass die Bäume später Militäranlagen weichen müssen, ist leider so, tut dieser hoffnungsvollen Geschichte jedoch keinen Abbruch. Jean Giono Der Mann mit den Bäumen 1981

HÖREN

Monika Rein, Mitarbeiterin Webteam

Entertainer. Tim Fischer singt mit Leidenschaft. Durch seine stimmliche Verwandlungskunst interpretiert er Georg Kreisler, Zarah Leander, Ludwig Hirsch, Rio Reiser, Cora Frost und andere und erfüllt die Lieder mit neuem Leben. Er singt über Fieslinge und Fremdgänger, über die Gier nach Leben und das böse Erwachen, über stille Wut, die anschwillt und am Ende alles in Flammen legt. Tim Fischer ist Femme fatale und eitler Fratz, törichte Jungfrau und todessehnsüchtiger Jüngling. Wer sich für einen Abend entführen lassen will in die Welt von Tim Fischer, der sollte eine seiner Bühnenshows besuchen und die Musik live erleben.

Tim Fischer Walzerdelirium 2001

SEHEN

Andreas Meier Co-Leiter Lernfoyer

Derwisch. Presseberichte über den arabischen Raum handeln heute meist von Krieg und Terror. Der Tunesier Nacer Khemir entführt uns in seinem Film «Bab'Aziz» für einmal 100 Minuten lang in die arabische Welt der Märchen und Geschichten. In starken Bildern nimmt er uns mit auf die Reise eines alten, blinden Derwischs und seiner Enkelin quer durch die Weite der Wüste zu einem Derwischtreffen und macht uns dabei mit dem geistigen Reichtum der arabischen Kultur und Erzähltradition vertraut. Das bildstarke Finale spielt in den historischen Ruinen der iranischen Stadt Baam, die kurz nach dem Ende der Dreharbeiten von einem Erdbeben gänzlich zerstört wurde.

Nacer Khemir Bab’ Aziz – Le prince qui contemplait son âme 2006


Cartoon: Anna Sommer

WEITERBILDUNG 23


e

EB Zürich Kantonale Berufsschule für Weiterbildung Bildungszentrum für Erwachsene BiZE Riesbachstrasse 11 8090 Zürich Telefon 0842 843 844

Weiterbildung – wie ich sie will

www.eb-zuerich.ch

lernen@eb-zuerich.ch


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