EB Kurs - Magazin der EB Zürich Frühling 2008

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Magazin der EB Z端rich Kantonale Berufsschule f端r Weiterbildung Nr. 17 Fr端hling 2008

Creative Work: So arbeiten wir in zehn Jahren. Bastien Girod: Jung und gelockt im Nationalrat.


IN DIESEM HEFT

EDITORIAL

5 Porträt

Die Berufe der Zukunft

6 Creative Work

Traumberufe von Mädchen in der Schweiz nach Beliebtheit: 1. Lehrerin, 2. Tierärztin, 10. Schauspielerin. Traumberufe von Buben in der Schweiz nach Beliebtheit: 1. Pilot, 2. Polizist, 10. Schauspieler. Klingt wie gehabt. Bleibt in der Berufswelt also alles beim Alten? Glaubt man der Zukunftsforschung, gehören zu den im Jahr 2020 gefragten Jobs viel eher «Corporate Teenager», «Sinn-Beraterin», «Biografie-Designerin» oder «Chief Destruction Officer» (siehe Seiten 11/12). Aber: Träumen kann man nur von etwas, das man kennt.

Wie sieht unsere Arbeit in zehn, zwanzig Jahren aus? Wir stehen vor einem Wechsel vom Wissenszeitalter ins Kreativzeitalter.

14 Kursfenster

Die Zukunft ist weitgehend unbekannt, das liegt in ihrer Natur. Bekannt sind hingegen die Trends, welche die Richtung weisen: «Globalisierung der Unternehmen», die «Technisierung der Kommunikation» oder die «Flexibilisierung der Arbeitsplätze». Der Wettbewerb wird härter, Berufsbiografien weisen Bruchstellen auf, von den Mitarbeitenden auf allen Ebenen wird mehr Flexibilität und Innovation gefordert.

Viele Frauen wollen nicht wissen, wie man einen Computer baut. Sie wollen ihn in Arbeit und Freizeit einsetzen können.

16 Im Gespräch

Die Angestellten werden immer mehr zu eigenverantwortlichen Akteuren in einer Wertschöpfungskette, sind nicht mehr bloss Ausführende, die einfach Befehlen gehorchen. In Betrieben mit flachen Hierarchiestufen werden Zielvorgaben gesetzt, die von den Mitarbeitenden selbstverantwortlich und kreativ umgesetzt werden. Lesen Sie ab Seite 6, wie sich unsere Berufswelt und die unserer Kinder wandelt.

Der junge Grüne Bastien Girod gehört zu den jüngsten Nationalräten im Land. Er hat klare Vorstellungen von einer besseren Umwelt.

20 Persönlich

Isabel Gut-von Schulthess ist schon weit herumgekommen. Heute setzt sie sich für interkulturelle Kommunikation ein.

Rubriken

Serge Schwarzenbach Herausgeber IMPRESSUM EB KURS Nr. 17 / Frühling 2008 Magazin der EB Zürich, Kantonale Berufsschule für Weiterbildung Zürich, Riesbachstrasse 11, 8090 Zürich TELEFON 0842 843 844, Fax 044 385 83 29 INTERNET www.eb-zuerich.ch E-MAIL eb-kurs@eb-zuerich.ch HERAUSGEBER Serge Schwarzenbach (für die Geschäftsleitung) REDAKTION Christian Kaiser, Fritz Keller, silbensilber, Zürich GESTALTUNG Hanari Chiesa TEXTE Eva Gattiker, Anouk Holthuizen, Christian Kaiser, Fritz Keller, Guido Stalder FOTOS Susanna Anliker, Luc-François Georgi, Reto Schlatter, Stephanie Tremp ILLUSTRATIONEN Eva Kläui, Ruedi Widmer DRUCK Ringier Print Adligenswil AG

Gelernt hat Rahel-Medea Ruoss Offset-Monteurin. Heute ist sie Buchhändlerin und wünscht sich ein Kultur-Café.

Die Bilder zu Creative Work Jahrhunderte altes Handwerk wird auch in Zukunft einen goldenen Boden haben, wenn das innere Streben nach der edlen Form sich mit Ideenreichtum paart. Die Autorin Brigitta Neumeister-Taroni und die Fotografin Stephanie Tremp sind der Frage nachgegangen, wie Kreativarbeitende in der Schweiz ihr Kunsthandwerk neu erfinden. Ob Tischlerin, Schreiner, Schuhmacherin, Skibauer, Strickerin oder Spielzeugmacher – sie alle schaffen mit ungewöhnlichen Materialien, ausgefeilten Techniken oder überraschendem Design edle Unikate. Seit kurzem liegt die Spurensuche in Buchform vor: «Der Traum von der perfekten Form – Innovation und Ästhetik im Schweizer Handwerk», Helden-Verlag, Zürich, 2007. Ästhetisch und innovativ sind auch die 141 Abbildungen, von welchen EB Kurs einige zur Illustration der aktuellen Titelgeschichte verwenden durfte (Umschlag und Seiten 6–12).

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Comic Tipps und Tricks Kultur Agenda

EB Kurs Nr. 17 – Frühling 2008 –


PORTRÄT

Gesehen, gehört

BLUT SPENDEN

Verdankenswert. Blut ist knapp zurzeit. Umso sinnvoller das Unternehmen von Gabriel Wildberger, Schüler des Freien Gymnasiums Zürich. Im Rahmen seiner Maturarbeit organisierte er im Bildungszentrum der Stadt Zürich, BiZE, in dem auch die EB Zürich zu Hause ist, eine Blutspendeaktion. Am 4. Februar 2008 war es so weit. 134 Blutspenderinnen und Blutspender folgten dem Aufruf Wildbergers und spendeten in der Turnhalle den roten Saft, der für viele Kranke und Verunfallte lebensrettend ist. Wildberger zeigte sich mit dem Erfolg seiner Aktion sehr zufrieden. Die Note für seine Maturaarbeit ist ihm nicht so wichtig, Hauptsache, er habe etwas Sinnvolles getan.

ARTIKEL SCHREIBEN

Preiswert. Constantin Seibt, «Journalist des Jahres 2007», hat einen Lehrauftrag an der EB Zürich angenommen. Ab Mai 2008 wird er im Lehrgang «Journalismus» zu den Themen Kolumne und Kommentar unterrichten. Seibt, der als Reporter beim «Tages-Anzeiger» schreibt, steht für einen Journalismus, der frech und gleichzeitig genau nachfragt und nachhakt. Legendär ist Seibts Ironie: «Wir sind im Fiktionsbusiness tätig, wir erzählen Geschichten, die vielleicht auch auf Fakten beruhen.» Was das heisst, kann man zum Beispiel nachlesen im Buch «Der SwissairProzess», in dem Seibts Beobachtungen der Gerichts- verhandlungen in Bülach zusammengefasst sind.

TÜREN ÖFFNEN

Sehenswert. Kulturelle, wirtschaftliche und soziale Rahmenbedingungen prägen die Art, wie jemand wohnt und seine Wohnung einrichtet. Die Ausstellung «Türen auf» dokumentiert dies anhand von 31 Beispielen aus der Slowakei, Rumänien, Lettland, Weissrussland, Russland und der Schweiz. Verschiedene Personen öffnen ihre Türen und geben Einblick in ihre privaten Räumlichkeiten. Die Bilder aus der Wohnung werden ergänzt durch einen kurzen Text zum Alltag der Bewohnerinnen und Be- wohner. Die Wanderausstellung reiste bis Herbst 2006 durch die am Projekt beteiligten Länder und ist nun vom 13. März bis zum 18. April 2008 in den Räumen der EB Zürich zu Gast.

GESCHICHTEN ERFINDEN

Lesenswert. Der Lehrgang «Literarisches Schreiben» beginnt im Frühling zum sechsten Mal. Verschiedene Absolventinnen früherer Jahrgänge machen mit Ver- öffentlichungen und Preisen auf sich aufmerksam. Silvia Reusser hat für ein Romanprojekt ein Stipendium des Kantons Zürich erhalten. Nadja Schiller und Brigitte Spalinger haben mit Kurzgeschichten bei einem Wettbewerb des Literaturhauses in Zürich gewonnen (www. literaturhaus.ch). Der neue Krimi von Mitra Devi heisst «Stumme Schuld» und ist erschienen im Pendragon- Verlag. Ebenfalls ganz neu ist Sabina Altermatts Krimi «Alpenrauschen», erschienen im Limmat Verlag. Erhältlich in guten Buchhandlungen. – EB Kurs Nr. 17 – Frühling 2008

Literatur ist meine Leidenschaft

Aufgezeichnet: Guido Stalder Bild: Luc-François Georgi

Ich habe schon sehr früh gelesen; geradezu verschlungen habe ich die Rätselbücher ‹Geheimnis um...› von Enid Blyton. Dazu habe ich 161 Konsalik-Bände gesammelt und noch drei- oder vierhundert andere Bücher. Mein Lieblingsbuch aber ist ‹Das geheime Leben der Bücher› von Régis de Sá Moreira, mein bevorzugter Autor ist heute Stefan Zweig.

«An die EB Zürich gekommen bin ich vor fünf Jahren, da habe ich den Lehrgang ‹Deutschdiplom der Zürcher Handelskammer› besucht. Weil einige Teilnehmende vom Fach Literatur so begeistert waren, haben wir nach dem Diplom gleich selber einen neuen Kurs initiiert: ‹Deutschsprachige Literatur lesen›. Zuerst waren wir quasi unter uns. Jetzt ist er im offiziellen Programm ausgeschrieben, und diesmal haben sich sechzehn Leute angemeldet, ein neuer Rekord!

Ich mag alles Altmodische. Ich habe auch eine klassische Lebenseinstellung und würde am liebsten Anfang zwanzigstes Jahrhundert leben. Bei Goethe kann ich so richtig schwelgen und träumen. Zu dieser Zeit wusste man noch, was richtig ist, heute zerfallen die Werte. Ich habe auch das ‹gentlemanlike› gerne, und wäre gerne mit jemandem zusammen, der so ist. Wahrscheinlich bin ich hoffnungslos romantisch. Auch meine Wohnung ist altmodisch und gemütlich eingerichtet, zum Beispiel mit einem Gasherd.

Ich freue mich, wenn ich mit Gleichgesinnten meine Leidenschaft für Literatur teilen kann.

Gelernt habe ich ursprünglich Offset-Monteurin. Aber schon während meiner Lehre ist dieser

Faszination Lesen. Selber einen neuen Kurs an der EB Zürich anstossen? Rahel-Medea Ruoss, 26, hat das zusammen mit Gleichgesinnten gemacht. Ihr grösster Traum: ein eigenes Kultur-Café.

Beruf ausgestorben. Später war ich Verkäuferin und nachher Geschäftsführerin in einem ‹BuchKiosk› am Flughafen. Wir waren gleich beim ‹Swiss›-Tower, deshalb war es eher gehobene Kundschaft. Ich habe auch viele Prominente bedient, unter anderem David Hasselhoff, DJ Bobo, Herbert Grönemeyer oder die thailändische Prinzessin mitsamt Hofstaat. Der Schweizer Schriftsteller und Manager Rolf Dobelli war bei uns Stammgast. Mein grösster Traum ist, ein eigenes Kultur-Café zu führen. Gemütlich soll es sein, mit Bibliothek und Bücherladen. In diesem Kultur-Café möchte ich Lesungen, Konzerte und Kurse veranstalten und junge Talente fördern. Einen Fantasy-Abend möchte ich machen, einen Klassik-Abend und und und. Für dieses Projekt habe ich letzten Frühling an der EB Zürich den Kurs ‹Aufbruch in die berufliche Selbständigkeit› besucht. Dazu habe ich bereits verschiedene Lokale angeschaut – Ideen habe ich viele, bloss genügend Startkapital, das habe ich nicht.» EB Kurs Nr. 17 – Frühling 2008 –


creative work

denen frühere Wahrsagerinnen ja die Zukunft lasen), sondern die Trends in der Berufswelt. Auch die Zukunftsforscherinnen sprechen von einer Evolution, einer «Evolution der Arbeit»: Von den Jägern und Sammlern über die Industriearbeiter der letzten zweihundert Jahre hin zu den Wissensarbeiterinnen der Gegenwart und darüber hinaus.

Anita Moser. Schuhe. www.anitamoser.ch

Die

Evolution der Arbeit Zukunft der Arbeit – Arbeit der Zukunft. Wie wird die Arbeitswelt in 10, 20 Jahren aussehen? Welche Kompetenzen werden wir dafür brauchen? Geht es nach den Zukunfts-Forschern, steht uns ein tief greifender Wandel bevor: vom Wissens- zum Kreativzeitalter. Text: Christian Kaiser Bilder: Stephanie Tremp

– EB Kurs Nr. 17 – Frühling 2008

«Wir müssen die Zukunft der Arbeit nur fürchten, wenn wir weiter in industriellen Massstäben denken. Also in lebenslangen, garantierten ‹Arbeitsplätzen›, die uns eine biografische Identität geben wie früher der ‹Lebensberuf› des Vaters. Wir – oder unsere Kinder – werden in Zukunft drei, vier, fünf verschiedene Berufe in unserem Leben ausüben. Wir werden zwischen verschiedenen Erwerbsformen wechseln – angestellt, selbständig, Portfolio-Worker etc. Das wirkt für viele Menschen erschreckend und unsicher, weil wir alle aus einer ‹Kultur der Abhängigkeit› stammen. Wir haben noch nicht die richtigen Kultur-Kompetenzen dafür. Aber wir werden das lernen. Ebenso, wie wir in einem langen historischen Übergang die Tugenden der Industriegesellschaft gelernt haben.» Matthias Horx, Zukunftsforscher Charles Darwin beobachtete Finkenarten auf den Galapagos-Inseln und entwickelte daraus seine Evolutionstheorie «Über die Entstehung der Arten». Die Vielfalt des Lebens entsteht im Laufe der Zeit durch Anpassung an die Umgebung; die am besten angepassten Arten setzen sich durch, «Survival of the fittest» nannte Darwin diesen Selektionsvorgang. Das Forschungsobjekt von Imke Keicher und Kirsten Brühl vom Zukunftsinstitut im deutschen Kelkheim sind nicht Vögel (oder deren Knochen, aus

Vom Wissens- zum Kreativzeitalter. Bereits am Übergang von der landwirtschaftlich geprägten Wirtschaftsweise zum Industriezeitalter haben sich die Arbeit und der Arbeitsbegriff stark verändert, auch der Wechsel vom Industrie- zum Dienstleistungszeitalter zwang die Menschen, sich an die veränderten wirtschaftlichen Gegebenheiten anzupassen. Tief greifend wird laut Keicher und Brühl auch der Übergang vom Wissens- zum Kreativzeitalter werden. Und: Er hat schon eingesetzt. Was das für unsere Arbeitskultur bedeutet, beschreiben sie so: «Wir müssen uns mitverändern! Zwar werden wir nicht alle sofort neue Qualitäten hervorbringen müssen, doch viele von uns sind gefordert, sich in den nächsten Jahren weiterzuentwickeln.» Die Zukunftsforscherinnen ordnen jedem Wirtschaftszeitalter einen bestimmten Arbeitstypus zu: «Da jede Phase neue und andere Typen von Arbeitnehmern hervorbringt, wird sich das Arbeits-

leben für eine grosse Zahl von Menschen verändern.» Der Organization Man bis ca. 1980. So ähnlich wie aus dem «homo erectus» irgendwann einmal «homo sapiens» wurde, veränderte sich der Jäger und Sammler von einst im Industrieund Dienstleistungstzeitalter zum «Organization Man». Die meisten heutigen Angestellten sind noch Vertreter dieser Art: Sie sind fest angestellt bei einer Organisation, die ihnen Sicherheit bietet und Geborgenheit, das Unternehmen übernimmt «fast Vater- oder Mutterfunktion». Im Gegenzug kontrolliert die Organisation ihre Mitarbeiten-

www.burkhardt-guallini.ch

Angela Burkhardt. Keramik. den, die Spielräume des Einzelnen sind begrenzt. Der Organization Man war bis 1980 der Normalfall, ist heute noch häufig anzutreffen, stirbt aber allmählich aus. Bis 2010: die Wissensarbeiter. Mit der zunehmendem Verlagerung der Arbeit vom Industrie- zum Dienst-

Caroline Felber. Hüte. www.huete.ch EB Kurs Nr. 17 – Frühling 2008 –


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leistungssektor gewann Wissen als Ressource an Bedeutung. Für den Wissensarbeiter steht deshalb im Zentrum, sein Fachwissen à jour zu halten, um seinen Wert auf dem Arbeitsmarkt zu erhalten; seine Arbeitsmarktfähigkeitoder«Employability» stellt er über sinnvolle Ausund Weiterbildungen sicher. Die Konkurrenzfähigkeit ist ihm wichtig, denn er weiss, dass er in seinem Berufsleben für verschiedene Firmen arbeiten wird: Wissensarbeiterinnen wählen ihre Arbeitgeber deshalb so, dass sie weiter lernen und wachsen können. Das Führungsklima animiert die Angestellten dazu, ihr Know-how einzubringen. Der Wissensarbeiter wird noch bis zirka 2010 der Prototyp des Arbeitenden bleiben. Ab 2010: die Kreativen kommen. Abgelöst wird er dann allmählich vom Kreativarbeiter. Dessen wichtigste Ressource ist grau und wiegt ca. 1,3 Kilo; ein Hirn ist nicht nur dazu da, zu speichern und bei Bedarf abzurufen – mindestens genauso wertvoll, sind seine Fähigkeiten, sich in andere hineinzufühlen, Verbindungen herzustellen und Neues zu schaffen: Bei «Creative Work», der in Zukunft vorherrschenden Arbeitsweise, werden solche schöpferischen Fertigkeiten besonders gefragt sein. Das Ziel des Kreativarbeiters besteht darin, das in ihm angelegte Potenzial zu entdecken und so gut wie möglich

Gisela Müller. Drechslerei. 9434 Au. – EB Kurs Nr. 17 – Frühling 2008

für sich und andere zur Entfaltung zu bringen. Was der Kreativarbeiter (häufig sind es Kreativarbeiterinnen) beruflich tut, ist immer mit dem Anspruch verbunden, seine individuelle Einzigartigkeit, die «Uniquability», weiter auszuformen. Treiber sind Selbstverwirklichung und Sinn, aber auch Spass. Die neuen Kreativen arbeiten selbständig, angestellt oder projektbezogen, oft in kreativen Beziehungsnetzwerken. Am liebsten lassen sie sich von Personen führen, die authentisch sind und die wirklich am besten für diese Aufgabe geeignet sind. Sowohl als auch – nicht entweder oder. Selbstverständlich gibt es heute

bereits viele Kreativarbeiterinnen und Kreativarbeiter: Sie erschaffen Filme, Bücher, Werbung, Design, Software, Musik, Online-Anwendungen, Zeitschriften, Zeitungen, Radiosendungen, Spiele, Architektur oder Kunsthandwerk (siehe Bildkonzept und Erläuterungen S.3). Gemäss einer Studie von 2005 gibt es allein im Kanton Zürich 37�000 Kreativarbeitende, die mindestens 3,3 Mil-

Heinz Baumann. Möbel. www.moebelmanufaktur.ch

liarden Franken an Wert schöpfen. Zum Vergleich: im Finanzbereich arbeiten 47�000, im Maschinenbau 16�500 Zürcherinnen und Zürcher. Schweizweit arbeiten über 200�000 Personen für die Kulturwirtschaft. Für die Autoren der Publikation «Kreativwirtschaft Schweiz» sind bereits mehr als ein Zehntel der

gesamten Schweizer Wirtschaft diesem Sektor zuzurechnen. Allerdings sind noch in vielen Firmen und öffentlichen Institutionen auch Vertreter des Typus Organisationsarbeiter anzutreffen. Keicher und Brühl gehen aber von einer sich beschleunigenden Gewichtsverschiebung in Richtung Kreativarbeit aus. Ihre Definition von «Creative Work» geht zudem über die bekannten Kreativjobs hinaus: Sie verstehen darunter «eine fundamental neue Arbeitskultur, die auf Selbstverantwortung, Selbstkenntnis und dem Bedürfnis nach individuellen Lebensentwürfen basiert, in denen die klassische Fragmentierung in ein Arbeits-Leben und ein Privat-Leben aufgebrochen ist.» Diese neue Arbeitskultur wird auch

bisher unbekannte Berufsbilder hervorbringen (Interview S. 11/12). Die Treiber des Wandels. Unsere inneren Glaubenssätze und Vorstellungen von der Realität werden durch die Umwälzungen in der Arbeitswelt in Frage gestellt. «Was wir als normal empfinden, ändert sich mit Ausbreitung der jeweils neusten Welle.» Für viele sei das nicht nur «eine grosse Heraus-, sondern meist auch eine Überforderung», schreiben Keicher und Brühl in ihrer Studie «Creative Work – Business der Zukunft». «Wer gut ausgebildet ist, dem kann nichts passieren», lautet beispielsweise ein Credo des Wissensarbeiters. Doch dieses Grundvertrauen ist mittlerweile arg erschüttert: Langsam, aber sicher setzt sich die Einsicht durch, dass auch die Jobs von gut ausgebildeten Technikern nach Asien verlagert werden können, auch noch bis vor kurzem umjubelte Berufsklassen wie Investmentbanker können – ein Jahr später – ihre Stelle verlieren. Und wenn Hochspezialisierte auf die Strasse gestellt werden, finden sie nicht so leicht wieder einen neuen Job: ein Metierwechsel ist zudem mit Einkommens- und Prestigeverlusten verbunden. Die letzten Krisen haben gezeigt: Egal ob Akademikerin oder Handwerker mit Diplom – Arbeitslosigkeit kann auch den Mittelstand treffen. Mehr Wissen und mehr Anstrengung sind keine Garanten mehr für Arbeitsplatzsicherheit. EB Kurs Nr. 17 – Frühling 2008 –


creative work

«Was will ich?» statt Loyalität. Im globalen Wettbewerb stehende Unternehmen scheren sich nicht mehr darum, ob eine Angestellte oder ein Angestellter schon 20 oder 30 Jahre gute Arbeit für ein und dieselbe Firma geleistet hat. Das «Hire and Fire» (Anstellen und Rausschmeissen) hat vielerorts bereits die klassische Patronmentalität von früher abgelöst, wo sich die Firmeninhaber um ihre Angestellten wie um eine erweiterte Grossfamilie kümmerten. «Unternehmen handeln darwinistisch, weil sie sich an die Marktbedingungen anpassen und sich deshalb immer wieder von Mitarbeitenden trennen.» Solche Umwälzungen verändern natürlich auch unsere Einstellung zur Arbeit und treiben deren Evolution voran. Der «Darwiportunismus» (Christian Scholz), wo jeder versucht, sich seine Stelle zu sichern, indem er die gewünschten Kompetenzen erwirbt, neigt sich damit dem Ende zu. Der für den Organization Man noch typische Handel «Loyalität

Marlis Candinas.

«Alle Menschen haben kreatives Potenzial» Imke Keicher* spricht von einer Evolution der Arbeit: vom Landwirtschaftsarbeiter (Agricultural Man) über den Industrie- und Dienstleistungsangestellten (Organization Man) hin zum Wissensarbeiter (Information Man). Diesen wiederum würden ab 2010 die Kreativarbeiter (Creative Workers) ablösen. Was bedeutet das für uns?

Simone Gugger. Schmuck. www.simonegugger.ch Orientierung von innen heraus: «Wer bin ich?», «Was gibt mir Energie?», «Mit wem will ich arbeiten?» lauten die entscheidenden Fragen. Denn: Um in der Arbeitswelt von morgen zu bestehen, braucht es nicht weniger als einzigartige, nicht austauschbare Fähigkeiten. Für die Autorinnen lauten die zentralen Fragen für den Arbeitsalltag 2015 darum: 1. Kann dein Job von jemandem irgendwo auf der Welt billiger gemacht werden? 2. Kann es ein Computer schneller? 3. Gibt es eine grosse Nachfrage nach deinen Fähigkeiten?

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Milliarden Chinesen aufzunehmen.» Zumindest das Selektionsprinzip der Zukunft wird also dasselbe bleiben wie schon in der Vergangenheit: Survival of the fittest. Evolution bedeutet aber immer auch eine Bewegung hin zu einer höheren Ordnung des Zusammenlebens. Entsprechend bietet der nächste Evolutionsschritt, der Übergang zur kreativen Ökonomie, so das Fazit von «Creative Work», auch eine grosse Chance: «Wenn wir die aktuellen Herausforderungen am Arbeitsmarkt aktiv annehmen, könnte es sein, dass wir unversehens ein Stück näher bei uns selbst landen.»

Literatur zum Thema Imke Keicher/Kirsten Brühl: «Sie bewegt sich doch! – Neue Chancen und Spielregeln für die Arbeitswelt von morgen», Orell Füssli, 2008, 192 Seiten. Kirsten Brühl/ Imke Keicher: «Creative Work – Business der Zukunft», Zukunftsinstitut, 2007, 145 Seiten.

gegen Sicherheit» ist endgültig passé. «Wenn ich keine Garantien mehr habe, kann ich gleich machen, was ich will», sagt Keicher. Näher zu uns selbst? An die Stelle der Employability, also der Arbeitsmarktfähigkeit, welche nach aussen schielt, auf die im Markt gefragten Fähigkeiten, Methoden und Tools, tritt deshalb die Uniquability. Der Begriff steht für die Fähigkeit, die eigene Einzigartigkeit zu erkennen und die künftige Berufslaufbahn darauf auszurichten: «Wer an seinen Stärken und Talenten arbeitet, hat mehr Freude am Arbeiten und diese Freude ist eine unschätzbare Energiequelle und ein Kreativitätsbooster.» Uniquability ist eine

Welchen Einfluss hat der Wandel auf die Kompetenzen, die wir in der Arbeitswelt künftig brauchen werden? Kreatives Denken und Handeln sind Schlüsselkompetenzen, wenn es um Problemlösungen in zunehmend komplexeren Arbeitssituationen geht. Kreativität ist aber auch deshalb eine neue Kernkompetenz, weil sie der Treibstoff für die immer grössere Nachfrage nach Produkt-, Service- und Geschäftsmodellinnovationen ist. Ausserdem wird Empathie immer wichtiger. Sie ist so etwas wie die Zwillingsschwester der Kreativität, stellt sie doch sicher, dass der «kreative Schatz» auch bei den Menschen ankommt, also an die Lebenswirklichkeit von Kunden ankoppelt.

Christoph Weckerle/Manfred Gerig/ Michael Söndermann: «Kreativwirtschaft Schweiz – Daten, Modelle, Szene», Birkhäuser, 2007, 160 Seiten.

Strickmode. 4056 Basel. Nur wer die Fragen eins und zwei mit einem deutlichen Nein beantworten könne und die Frage drei mit einem Ja, werde, so Keicher und Brühl, künftig «unangreifbar» sein. Beim schwedischen ManagementGuru und Buchautor Jonas Ridderstrale, heisst das auf den Punkt gebracht dann so: «Wer keine einzigartigen Fähigkeiten hat, ist gezwungen, den Wettbewerb mit etwa 1,2

Brigitta Neumeister-Taroni (Text), Stephanie Tremp (Fotografie): «Der Traum von der perfekten Form – Innovation und Ästhetik im Schweizer Handwerk», Helden-Verlag, 348 Seiten. Philipp Klaus: «Stadt, Kultur, Innovation – Kulturwirtschaft und kreative innovative Kleinstunternehmen in der Stadt Zürich», Seismo, 2007, 255 Seiten. Jonas Ridderstrale: «Karaoke-Kapitalismus – Fitness und Sexappeal für das Business von morgen», Redline, 2005, 326 Seiten. Willy Rüegg: «New Work – Eine Orientierungshilfe für die neue Arbeitswelt», KVZ, 70 Seiten.

Wie bereitet man sich am besten auf das Zeitalter des Creative Work vor? Beantworten Sie sich die zentralen «Uniquability»-Fragen: Was ist mein besonderes Talent? Aus welcher Arbeit schöpfe ich Energie? Was begeistert mich? Wo liegen meine kreativen Stärken? Alle Menschen haben kreatives Potenzial, nur nutzen sie es häufig kaum am Arbeitspatz. Die ureigene «Uniquability» zu entdecken und zu fördern wird zur neuen Erfolgstechnik. Damit ist der ganz individuelle Mix an Stärken und Talenten gemeint, das, was wir mit Freude und grosser Einsatzbereitschaft tun. Wer seine Uniquability in seiner Arbeit nutzen und pflegen kann, ist belastbarer und leistungsfähiger. Schliesslich kann heute niemand mehr darauf setzen, dass er oder sie den «richtigen» Beruf wählt, mit dem sich ein ganzes Arbeitsleben absichern lässt. Sie schreiben zur Uniquability: «Statt den Markt zu beobachten und sich das Wissen und die Qualifaktionen anzueignen, die in Zukunft vermutlich gebraucht werden, steht für die Arbeitenden der Zukunft die Frage <Wer bin ich?> im Mittelpunkt.» Das klingt nach Selbstverwirklichung, die an den Realitäten der Wirtschaft vorbeizielt.

Ich sehe darin eher eine Absicherung gegen den Wettbewerbsdruck auf dem Arbeitsmarkt. Denn auch auf dem Arbeitsmarkt, nicht nur bei Produkten, drückt Austauschbarkeit die Preise. Das kann ich am besten vermeiden, wenn ich «Ecken und Kanten» habe, also meine Originalität kenne und pflege. Vor allem muss ich wissen, unter welchen Bedingungen ich am leistungsfähigsten bin – und genau das ist es, was für Unternehmen ausgesprochen interessant ist. Schliesslich ist unsere Uniquability die stärkste Quelle für Erfolg und Kreativität in der Unternehmensrealität. Sie schreiben, zu einer UniquabilityBiografie gehörten auch Brüche und Neuanfänge. Radikale Wechsel und die damit verbundene Unsicherheit sind aber nicht jedermanns/jederfraus Sache. Was, wenn zur persönlichen Uniquability gehört, dass man sich vor allem Konstanz und Ruhe wünscht? Natürlich machen Brüche und Veränderungen vielen Menschen Angst. Angst vor Veränderungen zu haben und sich Ruhe zu wünschen ist weniger ein spezielles Talent, als vielmehr eine ganz menschliche Reaktion, insbesondere in einer Zeit, die als eher instabil empfunden wird. Und in der Tat hat das Veränderungstempo in der globalisierten Wissensgesellschaft rapide zugenommen. Die eigene Biografie und die Erwartungen an das eigene Leben diesen neuen Realitäten anzupassen ist eine Anpassungsleistung, die unsere Gesellschaft gegenwärtig wirklich stark in Anspruch nimmt. Und jeder Einzelne wird seinen individuellen Weg gehen und seine Veränderungskompetenz im eigenen Tempo entwickeln. Gerade die Rückbesinnung auf die eigene Uniquabilty ist ein solider Ankerpunkt und Stabilisierungsfaktor in diesem Umfeld. Auch der Kreative lebt nicht vom Brot allein. Die Realität ist doch so, dass ein Grossteil der Kreativarbeiter, welche jetzt den Schritt in die EB Kurs Nr. 17 – Frühling 2008 – 11


creative work

weiterbildung

«New Work» – neue Arbeitsformen im Kommen

Roger Weber. Schmuck/Automaten. www.mehrundwert.ch Selbständigkeit wagen, nur knapp am Existenzminimum vorbeischrappt oder sich selbst ausbeutet. Wird sich das ändern? Kreativarbeiter in unserer Definition sind nicht Menschen, die anerkannt kreative Berufe ausüben – sondern alle Menschen, die eigenverantwortlich (auch im Kontext von Unternehmen) ihr Berufsleben gestalten und dabei nicht mehr klassischen Karrierepfaden folgen, sondern dem eigenen Entwicklungstempo, der Freude an der Tätigkeit. Das können auch Ingenieure, Landschaftsgärtner oder Zahnärzte sein. Deshalb gibt es da punkto Einkommen nach oben wie nach unten keine Grenze. Was ist mit der Globalisierung? Ist es nicht eine Illusion zu glauben, dass nur die stupiden Billiglohnjobs abwandern? Auch Brasilianer, Inder und Chinesen sind kreativ. Können wir wirklich kreativer sein als 1,2 Milliarden Chinesen? Da stimme ich Ihnen 100% zu. Die Liste der Jobs, die bei entsprechender Qualifikation irgendwo auf der Welt gemacht werden können, wird täglich länger. Dazu gehören auch so hochspezialisierte Tätigkeiten wie die Analyse und Interpretation von Röntgenbildern oder wissenschaftliche Recherchearbeiten. Umso wichtiger wird es ja für den Einzelnen, sich nicht nur auf einen Karrierepfad oder ein Unternehmen zu verlassen, sondern in solider

* Imke Keicher ist Zukunftsforscherin, Autorin und selbständige Unternehmensberaterin in Rüschlikon ZH. 12 – EB Kurs Nr. 17 – Frühling 2008

Kenntnis seiner selbst immer in Alternativen zu denken. Welche Berufe haben Zukunft, welche Berufsbilder werden neu entstehen? Wenn Sie an die grossen Herausforderungen denken, haben sie schon die wichtigsten Entwicklungsfelder, also im Bereich Umwelt/Energie, Gesundheit, Bildung, Pflege. Aber auch im Management werden wir neue Rollen erleben. Zum Beispiel den «Corporate Teenager», der den Unternehmen hilft, den Dialog mit der Aussenwelt aufrecht zu erhalten und immer neue Impulse ins Unternehmen zu bringen. Oder den «Biografie-Designer», der ausgehend von der eigenen Uniquability bei der Gestaltung einer ganzheitlichen Lebens- und Arbeitsbiografie hilft, inklusive Suchmaschinen-Erscheinungsbild. Oder der «Downaging Trainer». Seine Aufgabe: mentale, emotionale und physische Alterungserscheinungen zu minimieren. Unser Berufsbildungssystem ist vor allem auf – teilweise seit Jahrzehnten – bestehende Berufsbilder ausgerichtet. Wie bildet man die Leute so aus, dass sie optimal auf solche neuen Berufe vorbereitet sind? Vielleicht sollten wir uns von der Idee einer «optimalen Ausbildung» verabschieden. Ausbildung ist ein Startpunkt in eine Biografie, die ohnehin durch permanentes Lernen und Ent-lernen gekennzeichnet sein wird. Wichtig ist daher neben dem Fachwissen (dessen Halbwertszeit rapide sinkt), dass junge Menschen lernen, immer weiter zu lernen, dass sie sich selbst kennen lernen, ihre Uniquability optimal einsetzen können und sich selbst vertrauen. Denn dann sind sie für alle potenziellen Veränderungen und Neuerungen am besten gerüstet.

Die Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung wird in 10 bis 15 Jahren nicht mehr in einem festen Angestelltenverhältnis tätig sein. Diesen Schluss zieht der Kaufmännische Verband Zürich (KVZ) aus den Trends in Wirtschaft und Gesellschaft: Firmen lagern ihr unternehmerisches Risiko zunehmend aus, indem sie Arbeiten an freischaffende Zulieferer delegieren. Immer mehr Personen arbeiten an zeitlich begrenzten Projekten auf Auftragsbasis. Klar, dass solche Entwicklungen dazu führen, dass sich das klassische Angestelltenverhältnis allmählich aufweicht, und die Grenzen zwischen selbständiger und unselbständiger Arbeit verschwinden. Die entstehende Vielzahl neuer Arbeitsformen und -verhältnisse fasst der KVZ mit dem Begriff «New Work» zusammen: freie Mitarbeitende, befristete Arbeitsverhältnisse, Arbeit auf Abruf, selbständige Auftragnehmende, Kombinationen von Teilzeit und Selbständigkeit. Die wichtigsten Thesen des KVZ zu New Work lauten: 1. Es gibt keine Sicherheit in der Arbeitswelt. 2. Allein die Orientierung am freien Arbeits- und Auftragsmarkt und die tägliche Bewährung im Konkurrenzkampf hält die Menschen wach und sichert ihre Kreativität und Schaffenskraft nachhaltig. 3. Der Aufbau eines individuellen Portfolios von marktfähigen Talenten und Fähigkeiten, von Know-how und Erfahrungen, Netzwerken und Verbindungen ist heute das Wichtigste. 4. Eine feste Anstellung in einer Firma anzunehmen mag verlockend sein, doch ist sie nur unter Preisgabe einzelner Elmente des individuellen Portfolios zu haben. Die Beschränkung auf ein stets nivellierend wirkendes Umfeld und die Entwicklung zwischen den Leitplanken einer bestimmenden Geschäftsstrategie ist zwingend.

Thomas Sonderegger. www.mach-werk.ch EB Kurs Nr. 17 – Frühling 2008 – 13


kursfenster

Anleitung zum unverkrampften Mausgebrauch Im Kurs «PC-Basics: von Frauen für Frauen» lernt frau, dass Computer keine Ungeheuer sind. Sondern Geräte, die den Alltag gewaltig erleichtern können – und sogar die Partnerschaft verbessern. Text: Anouk Holthuizen Bilder: Reto Schlatter

Mélanie Tschofen Brader drückt auf die Play-Taste. Aus den Lautsprechern des Kurslokals 211 im Bildungszentrum für Erwachsene im Seefeld dringt klassische Musik. Sie spielt auch noch, als die Kursleiterin elf Frauen zwischen 38 und 60 Jahren begrüsst. Eine entspannte Stimmung ist im «PC-Kurs von Frauen für Frauen» wichtig, denn hier geht es – nebst Wissensvermittlung – vor allem darum, Berührungsängste abzubauen; viele der Kursteilnehmerinnen haben zwar schon am Computer gearbeitet, aber sie stossen schnell an Grenzen und rufen lieber 14 – EB Kurs Nr. 17 – Frühling 2008

den Ehemann oder Arbeitskollegen zu Hilfe, statt selber auszuprobieren. Diese Abhängigkeit ist ärgerlich. Denn: Männer, so sind sich die Frauen einig, sind ungeduldige Lehrer und wollen lieber alles selber machen, statt erklären. Am PC zuhause erlebt das sogar die Kursleiterin. Die Unterschiede beim Umgang mit dem Computer haben Mélanie Tschofen denn auch dazu bewogen, ein rein auf Frauen zugeschnittenes Angebot zu entwickeln. «Frauen trauen sich in der Anwesenheit von Männern nicht,

Fragen zu stellen», weiss sie aus den gemischten Kursen. «Sie haben Angst, dumm zu erscheinen.» Dabei wüssten auch viele Männer oftmals nicht weiter. Aber sie geben das nicht zu. Spürbare Unsicherheit am ersten Kurstag. Tschofen erklärt die wichtigsten Tasten, die es zum Aufstarten braucht, dann geht es los. Gemeinsam werden Benutzername und Passwort eingegeben, dann auf das Word-Icon geklickt. «Bei mir kommt nichts!», ruft bereits eine Kursteilnehmerin verzweifelt, und es mutet sehr symbolhaft an, dass nun statt klassischer

Musik eine kreischende Motorsäge aus dem anliegenden Park zu hören ist. Doch das Problem ist schnell behoben. Tschofen hält bewusst die Hände hinter dem Rücken verschränkt: Sie will niemandem etwas vorgreifen. Damit sie mit dem Gefühl in ihrer Hand vertraut werden, malen die Frauen mit der Maus im PaintProgramm Bäume auf ihre Bildschirme. Minutenlang herrscht konzentrierte Stille. Als hinter einem der Bildschirme ein nachdenkliches «entwurzelt» ertönt, kichern einige los. Entspannung tritt ein. Die 51-jährige Antonia Capaul wagt, selber den virtuellen Radiergummi zu suchen und findet ihn. «Toll!», freut sie sich und radiert zahlreiche Äste weg. Die attraktive Frau möchte Nägel mit Köpfen machen und ihr Hobby professionalisieren. Während sie ihre Kinder aufzog, verzichtete sie auf eine Erwerbstätigkeit, verwaltete privat aber einige Häuser. Und dazu muss sie mehr auf dem Computer können, als Briefe und E-Mails schreiben. Im Kurs nur unter Frauen zu sein, war Antonia Capaul eigentlich nicht wichtig. Aber jetzt schätzt sie die Atmosphäre. «Männer würden mich wohl verunsichern. Ich denke immer, die können das besser. Total irrational, ich weiss.» Verständliche Hemmungen. Männer verbringen viel mehr Zeit am Computer als Frauen, Jungen mehr

als Mädchen. Gemäss Bundesamt für Statistik nutzten im Jahr 2006 rund 58 Prozent der Frauen das Internet – gegenüber 73 Prozent bei den Männern. Dass Männer viel leichter den Zugang zum Computer finden, hat auch mit Sozialisierung zu tun: Computer gehören in den Bereich der Technik, und Technik wird hierzulande mit Männlichkeit assoziiert. Jungen haben häufiger einen eigenen Computer zur Verfügung als Mädchen, die stattdessen den Computer des Vaters oder des Bruders nutzen dürfen. Mädchen sind vor allem an nützlichen Anwendungen interessiert, verwenden den PC zudem gerne als Kommunikationsmittel für EMails oder Chatten. Jungen interessieren sich eher für die Funktionsweise und den Prozess beim Bedienen, statt zu mailen, gamen sie lieber. Untersuchungen haben jedoch gezeigt, dass die geschlechtsspezifischen Unterschiede im Umgang mit den Kommunikationsmitteln verschwinden, sobald beide den Computer gleich intensiv nutzen. Eine rasante Entwicklung verpasst. Vor allem bei den etwas älteren Semestern nutzen aber nach wie vor deutlich mehr Männer als Frauen den Computer; so wie Antonia Capaul hängten in den Achtzigerjahren viele den Job an den Nagel, sobald das erste Kind unterwegs war. Damals fanden Computer gerade erst ihre Verbreitung, zahlreiche Mütter erlebten

diese Entwicklung nur am Rande mit. Nun sind ihre Kinder gross, und der Wiedereintritt in die Berufswelt ohne Computerkenntnisse praktisch unmöglich. Weiterkommen – beruflich und privat. Obwohl der USB-Stick jetzt noch mit dem UBS-Sticker verwechselt wird: Am Ende des Kurses werden die Frauen problemlos mit Mail, Internet und Word umgehen können, und auch ein bisschen mit Excel. Mélanie Tschofen ist sich sicher: «Das kommt gut. In den Kursen herrscht in der Regel eine fröhliche Stimmung, die Frauen sind dadurch zum Lernen motiviert.» Oft sind die Motive nicht nur rein beruflicher Natur: Verena Balmer, 64, arbeitet in einer Apotheke und ärgert sich regelmässig, wenn eine Patientendatei auf ihrem Bildschirm verschwindet – und unauffindbar bleibt; sie möchte aber auch für das Pensionsalter gerüstet sein und als Vorstandsmitglied eines Vereins am Computer walten können. Einen Kurs hat sie bereits besucht – bei einem Mann. «Er erklärte so lange und so kompliziert; ich wollte ja nicht lernen, wie man einen PC baut!», begründet sie ihre Wahl für den Frauen-Kurs.

EB Kurs Nr. 17 – Frühling 2008 – 15


im gespräch

«Ich will am Wettbewerb um Lösungen teilnehmen» Der Grüne Bastien Girod, mit 27 drittjüngster Nationalrat, politisiert frisch und frech: Er will Offroader von Schweizer Strassen verbannen, fordert mehr Umwelt- und Sozialverantwortung von Konzernen und bessere Produktinformationen für Konsumentinnen und Konsumenten. Wenn es sein muss, zieht er sich auch mal vor einem Polizeiposten aus. Interview: Eva Gattiker Bilder: Luc-François Georgi

EB Kurs: Es ist der 5. Dezember 2007, ungefähr 8.30 Uhr. Du hast dich für dein erstes Votum gemeldet und weisst, du wirst in wenigen Minuten das erste Mal vor dem Nationalrat sprechen. Wie fühlst du dich? Bastien Girod: Gut. Erleichtert hat mir die Situation wohl auch Bundesrat Couchepin. Er sagte mir, ich solle mich nicht davon irritieren lassen, dass mir niemand zuhören werde und alle die Zeitung lesen. Das habe nichts mit mir zu tun und sei hier immer so. Du hast einen steilen Aufstieg hinter dir. In der Presse wirst du fast durchwegs gelobt. Du seist die «Lichtgestalt 16 – EB Kurs Nr. 17 – Frühling 2008

der jungen Grünen», der «erfolgreichste Linke der Schweiz». Selbst die NZZ ist voller Lob. Wird es dir da nicht angst und bang? Naja, nicht alles ist bloss positiv. Ein NZZ-Journalist hat, als ich frisch in den Gemeinderat gewählt wurde, geschrieben: «Politik ist kein Kindergarten» und mich wegen der Stopp-Offroader-Kleber stark kritisiert. Aber natürlich freue ich mich über Lob. Obschon ich mir bewusst bin, dass sich das rasch ändern kann. Sicher habe ich auch meinem Alter einen gewissen Goodwill zu verdanken. Aber das hält naturgemäss nicht ewig. Jetzt muss ich mich auch behaupten. Am Alter alleine kann es nicht liegen... Ich denke, ich kann auch damit punkten, dass ich unideologisch argumentiere und nicht einfach das Parteiprogramm runterspule. Das wird von vielen Leuten positiv gewertet. Bereitet dir Kritik Mühe? Wenn Kritik auf einer falschen Darstellung des Sachverhaltes aufbaut, macht mir das sehr wohl Mühe, weil sich dann die Leser kein eigenes Bild machen können. In solche Situationen habe ich auch schon eine Gegendarstellung verlangt. Ansonsten bin ich Kritik gegenüber sehr offen. Auf deiner Homepage sprichst du Klimawandel, Solidarität und Frieden an. Die konkreten Lösungsvorschläge wirken dann aber recht banal: Unter dem Link «pazifistisch geprägt» forderst du zum Beispiel einen Notknopf auf Handys, mit dem man eine Polizeifahndung auslösen kann, wenn man überfallen wird. Das ist sicher nicht die umfassende Lösung für den Weltfrieden. Aber es ist eine Idee, die politisch noch nicht aufgegriffen wurde. Ich will am Wettbewerb um Lösungen teilnehmen. Das Sicherheitsgefühl vieler Leute ist durch Pöbeleien und Schlägereien von Jugendlichen beeinträchtigt. Deshalb muss der Voll-

zug bestehender Gesetze verbessert werden, der Notknopf wäre eine Möglichkeit dafür. Ein Linker, der mehr Polizei fordert ...? Ich bin nicht gegen die Polizei. Sie macht vieles, das gut und nötig ist. Zum Beispiel ist es sehr im Sinne der Grünen, wenn Parksünder und Geschwindigkeitsübertretungen gebüsst werden. Auch im Bereich «häusliche Gewalt» leistet die Polizei wichtige Arbeit. Mit der Stripaktion vor dem Polizeigebäude hast du mit den Jungen Grünen die Polizei jedenfalls sehr wirksam kritisiert. Da muss man differenzieren. Man muss nicht generell gegen die Polizei sein, um deren Verhalten in gewissen Bereichen zu kritisieren. Mit unserer Aktion haben wir dagegen protestiert, dass die Polizei Festgenommene auf dem Posten grundlos ausziehen lässt. Das geht nicht. Die Polizei hat viel Macht, deshalb ist es Verantwortung der Politik, den Bürger auch vor unverhältnismässiger Anwendung diese Macht zu schützen. Aus diesem Grund bin ich auch gegen das neue Polizeigesetz, welches viele Gummiparagrafen enthält und so die Polizeiarbeit nicht klar auf Kernaufgaben einschränkt. Zweites Beispiel: Mit der «Stopp-Offraoder-Initiative» willst du ineffiziente Autos verbieten. Taktisch ist das Thema zwar geschickt gewählt, weil du so ein Feindbild aufbaust. Aber entscheidend für den Klimawandel sind die paar Offroader sicher nicht. Das stimmt nicht! Wenn alle Amerikaner auf die Offroader verzichten würden, könnten die USA auf einen Grossteil der Erdölmenge, welche sie aus dem Irak importieren, verzichten. Wir leben aber nicht in Amerika. Nein, aber die Tendenz ist die gleiche: Auch hier werden die Autos immer grösser. Ein Offroader, wie er in unserer Volksinitiative definiert ist, säuft mehr als 10 Liter auf 100 km. Technisch wären 1-Liter-Autos möglich. Hier besteht also ein riesiges Klimaschutzpotenzial, welches mit dem Offroader-Boom zunichte gemacht wird. Trotz dem Klimaabkommen von Kyoto nimmt der Treibstoffverbrauch in der Schweiz nicht ab. Es besteht hier klar ein Handlungsbedarf. Wärst du ohne deinen sozialen Hintergrund auch so engagiert? Dein Vater ist Arzt, deine Mutter Sozialarbeiterin, du konntest ins Gymnasium und studieren. Sicher bin ich mit wenig Sorgen aufgewachsen. Ich musste mich nicht mit persönlichen Problemen herumschlagen, das hat mir vieles erleichtert. So konnte ich mich schon früh auf meine Interessen und

auf nationale und globale Probleme konzentrieren. Ich habe viel bekommen, so dass ich es mir jetzt auch leisten kann, etwas zurückzugeben. Hat dich dein Umfeld auch grün gefärbt? Eigentlich nicht. Ökologisch sind meine Eltern wohl sensibilisiert, aber bei den Grünen waren sie nicht. Ich fühlte mich schon früh mit der Natur verbunden. Als Kind wollte ich Bauer werden. Und irgendwann habe ich dann realisiert, dass der Mensch den Ast absägt, auf dem er sitzt. Das war wohl ausschlaggebend für mein Engagement. Ich frage mich, warum sich nicht mehr Menschen mit diesen Themen beschäftigen. Nach wie vor gibt es die Ansicht, der Klimawandel sei nicht so gravierend, beziehungsweise nicht menschgemacht. Ja, das ist einerseits natürlich bequemer, so muss man sein Verhalten nicht hinterfragen und kann weiter mit dem Offroader Gipfeli kaufen gehen. Andererseits gibt es viele Menschen, bei denen einfach andere Probleme oben auf den Sorgenlisten stehen: Integration zum Beispiel oder die Lehrstellenproblematik. Erst wenn das gelöst ist, haben die Leute die Energie und die Motivation, sich für ökologische Themen zu beschäftigen. Deshalb sind mir diese Sorgen auch wichtig.


tipps und tricks

im gespräch

Wie eignest du dir das Wissen zu all diesen Themen an? Ich muss viel lesen. Der Nationalrat hat einen guten Dokumentationsdienst, der mich rasch und gut mit Material versorgt. Es kommt aber vor, dass ich zu einem Thema nicht so viel weiss, dann stimme ich so ab wie die Fraktion, weil da die gleiche Werthaltung herrscht.

Aber ich hatte den Vorteil, dass ich in die Steinerschule ging. Da war das nicht so wichtig, und viele andere Leistungen wurden auch stark gewichtet. Aber das Lernen hat dir die Legasthenie nicht grundsätzlich vermiest? Bis zu einem gewissen Grad schon. Jedenfalls was Sprachen und das Schreiben anbelangt. Aber ich habe mich schon stark verbessert und zum Glück gibt es heute Korrekturprogramme, die sind mir eine grosse Hilfe. Meine Texte lasse ich zudem alle gegenlesen.

Wie gehst du damit um, wenn du eine Ansicht hast, von der du weisst, sie kommt bei der Wählerschaft oder der Fraktion nicht gut an? Erst führe ich mit der Fraktion eine «Der Mensch sägt Was ist der Plan für deine politische Diskussion und überlege mir, was den Ast ab, Zukunft? meine Wählerinnen und Wähler wohl auf dem er sitzt.» In der Politik hängt vieles von äusseren einwenden würden. Doch wenn ich zu Faktoren ab, so viel kann man da selber einem anderen Schluss komme stehe ich nicht beeinflussen. Ich habe mehr dazu. Besser mal eine andere Meinung einen Wunsch bezüglich des Zustands der Schweiz vertreten, als opportunistisch alles einfach abnicken. und nicht bezüglich meiner politischen Position. Und die Partei? Wir sind ein Haufen von Querdenkern, wir sind uns nicht Sagst du irgendwann: Mission erfüllt, mich braucht es immer einig. Gerade das gefällt mir an den Grünen. Wenn nicht mehr? meine Meinung von der der Partei abweicht, muss ich Wenn alle grünen Kernforderungen erfüllt sind, werde ich mich zurückziehen. Es gibt auch andere Projekte: sie gut begründen, dann ist das kein Problem. Gerne würde ich Dokumentarfilme über Ressourcenabbau drehen. Auch könnte ich mich gut 100 Prozent Es gibt im Nationalrat auch junge, hübsche Nationalräwissenschaftlich betätigen. Aber im Moment möchte tinnen. Zum Beispiel Nathalie Rickli von der SVP. Ihr ich so weitermachen, weil es mich einfach zu fest wärt doch ein Traumpaar! nervt, in einer Gesellschaft zu leben, in der so vieles Muss ich darauf antworten? schief geht. Anders gefragt: Hast du Freunde, die politisch nicht deiner Meinung sind? Grundsätzlich habe ich keine Mühe mit Leuten, die eine andere Meinung haben. Sicher ist es aber entEin Grüner mit Leib und Seele spannender, wenn die Leute um mich herum auch auf Bastien Girod ist Grüner mit Leib und Seele. Der 1980 geborene die Umwelt achten. Bieler war in seiner jungen politischen Karriere GreenpeaceUnd wie reagierst du darauf, wenn ein WG-Kollege immer das Licht brennen lässt oder mit dem Flieger in die Ferien reist? Ich bin da zurückhaltend. Aber oft kommen Freunde zu mir und «beichten» von sich aus wenn sie etwas Unökologisches gemacht haben... Und du erteilst ihnen die Absolution! Nein! Das muss jeder für sich entscheiden. Ich bin kein Moralapostel. Sicher hast du auch die eine oder andere Umweltsünde zu verbuchen. Ich würde sagen, die Gesamtbilanz stimmt. Einzig was das Lichterlöschen betrifft, bin ich ein schlechtes Vorbild. Aber ich gelobe Besserung! Neben all den Vorteilen, mit denen du aufgewachsen bist, gibt es in deinem Leben ein Handicap. Du bist Legastheniker. Wie hat das dich und deine Schulzeit geprägt? Es war schon hart. Vor allem, wenn ich im Diktat bei der Kollegin abgeschrieben habe und der Lehrer das gemerkt hat, weil ich anstatt 40 nur 20 Fehler hatte. 18 – EB Kurs Nr. 17 – Frühling 2008

Aktivist, Mitbegründer der Jungen Grünen und Gemeinderat in Zürich. Im Herbst 2007 wurde er in den Nationalrat gewählt. Neben seinen politischen Aktivitäten hat Girod an der ETH Umweltnaturwissenschaften studiert, wo er zur Zeit auch seine Doktorarbeit schreibt. Zu reden gaben Girods freche Aktionen: Mit einer KleberAktion gegen Offroader nervte er nicht nur die Fahrer der grossen Autos, sondern auch die SVP, die ihm – gemäss Girod zu unrecht – «Sachbeschädigung» vorwarf. Der «Strip vor dem Polizeiposten» richtete sich gegen die Polizei, welche von einer Minderjährigen wegen eines Joints verlangte, sich auf dem Posten nackt auszuziehen. Girods neuste Forderung gilt einer Produktetikette, welche Informationen zum Umweltund Sozialverhalten der Herstellerfirma abbildet. So soll für die Konsumenten klar ersichtlich sein, ob ein Produkt mit Kinderarbeit hergestellt wurde oder aus umweltschädigender Produktion stammt.

Verhandeln – frei von Vorurteilen Manchmal geht es um viel. Manchmal um weniger. Verhandelt wird täglich, im Beruf, in der Öffentlichkeit, privat. Verhandeln heisst geben und nehmen. Im Idealfall gibt es keine Sieger und Verlierer. Text: Fritz Keller Illustration: Eva Kläui

Bei Verhandlungen versuchen zwei oder mehrere Verhandlungspartner ihre voneinander abweichenden Interessen oder Ziele auf einen gemeinsamen Nenner zu bringen. Je näher diese beieinander liegen, umso einfacher ist die Verhandlung. Ein «Wer kauft ein?» in einer WG lässt sich meistens schnell lösen. Verhandlungen bei wirtschaftlichen und politischen Problemen (z.B. Nahost-Konflikt) sind komplex und dauern oft sehr lange. Welche Art des Verhandelns führt zum Ziel? › Gegenseitige Perspektivenübernahme: Sich gemeinsam «an den Verhandlungstisch» zu setzen, reicht noch nicht. Ich muss mich gut vorbereiten, meine Interessen und Ziele kennen, aber auch diejenigen meines Verhandlungspartners. Welches sind seine Interessen? Gibt es allenfalls übergeordnete Zielsetzungen?

› Kreative Lösungssuche: Wenn die Verhandlungspartner auf ihren Maximalforderungen bestehen, wird es schwierig. Diese harten Positionen gilt es aufzuweichen mit Fragen wie: Gibt es Lösungen, an die ich gar nicht gedacht habe? Wie können Unterschiede für beide Seiten nutzbringend eingesetzt werden? › Sorgfältige Gestaltung des Verhandlungsprozesses: Eine konstruktive Kommunikationsführung beinhaltet, dass ich mich vorurteilslos mit dem Standpunkt des Gegenübers auseinandersetze. Wichtig ist, unterschiedliche Meinungen zu akzeptieren und neue Lösungsmöglichkeiten entstehen zu lassen. Verhandeln lernt man nicht, indem man starre Richtlinien befolgt. Das Spannende am Verhandeln ist, dass jede Verhandlungssituation wieder neu ist. Viele Wege führen zu bestmöglichen Verhandlungsresultaten. Kurse zum Thema: Erfolgreich verhandeln: Gleichgewicht von Geben und Nehmen. Konflikte erkennen – Konflikte lösen: Mit Toleranz und Durchsetzungsvermögen. Weitere Infos und Anmeldung unter www.eb-zuerich.ch EB Kurs Nr. 17 – Frühling 2008 – 19


persönlich

Kulturen verbinden. Isabel Gut-von Schulthess unterrichtet an der EB Zürich Mediation im interkulturellen Umfeld. Sie ist überzeugt, dass zwischen Menschen mehr Brücken gebaut werden müssen. Viel Wissen schöpft sie aus der eigenen Lebenserfahrung. Ihre drei Kinder gebar sie auf drei Kontinenten. Text: Anouk Holthuizen Bilder: Reto Schlatter

Eigentlich wollte Isabel Gut Opernsängerin werden. Zunächst aber studierte sie Romanistik und europäische Volksliteratur. Das Analysieren von kulturellen Werten hinter Sprichwörtern, Märchen und Gedichten fand sie spannend. Während eines Auslandjahres in Spanien 1971 wurde ihr bewusst: Wer die Kultur des anderen verstehen will, muss erst einmal die eigene begreifen. Diesem Thema wollte sie sich beruflich widmen – bloss wie? Entsprechende Berufe gab es in der Schweiz noch nicht. Jung in New York. Nach Abschluss des Studiums heiratete Gut einen Banker und zog mit ihm 1979 für drei Jahre nach New York. Weil es der jungen Frau nicht möglich war, einem bezahlten Job nachzugehen, wandte sie sich an eine der in den USA zahlreichen Freiwilligenorganisationen. Das Angebot, in einem Hort für autistische Kinder deren Sprachentwicklungsstand zu testen, irritierte sie. «Ich dachte, ich könne das nicht, ich sei keine Logopädin», erzählt sie. Doch das Vertrauen der Amerikaner gab ihr Mut. «Die Amerikaner glauben von Anfang an einen. Wir Schweizer sind erst mal kritisch, sein Können muss man erst unter Beweis stellen.» In New York kam ihr erster Sohn zur Welt. Nach ihrer Rückkehr in die Schweiz wollte sie mehr sein als Hausfrau und Mutter. Eine befreundete Amerikanerin, die Benimm-Kurse für Kaderleute des Finanzdienstleistungsunternehmens Merryll Lynch durchführte, brachte sie auf die Idee: Sie würde Amerikanerinnen in der Schweiz Deutsch lehren und ihnen den Schweizer Alltag näher bringen. Die Frauen, deren Gatten für 20 – EB Kurs Nr. 17 – Frühling 2008

DieBrücken die internationale Chemiefirma Dow Chemical arbeiteten, und die alle zwei Jahre in ein anderes Land ziehen mussten, waren ihr dankbar.

Stillen in Japan. Selbst zog die Familie Gut 1984 – um eine Tochter reicher – nach Japan. Isabel Gut erzählt: «Alles war neu für mich, nicht nur wegen der fremden Kultur. Meine Situation als Mutter zweier Kinder gab andere Lebensbedingungen vor als in New York, wo

bauerin

wir zuerst ohne Kinder lebten.» Sie machte eine wichtige Beobachtung: Nicht nur die lokalen Werte prägen unsere Erfahrungen mit einer fremden Kultur, auch die eigenen Lebensumstände haben grossen Einfluss. «Wer wenig Geld hat, erlebt seine Umgebung anders als ein wohlhabender Mensch. Eltern erleben ein Gastland anders als Kinderlose. Wer gezwungen wird, sein Land zu verlassen, nimmt es anders wahr als ein freiwillig Migrierender.»

In Japan machte Isabel Gut noch weitere Erfahrungen, die ihr später als interkulturelle Kommunikatorin zugute kommen würden: Zum Beispiel hat sich dort das Individuum der Gruppe unterzuordnen – eine Grundhaltung, welche bei uns im Westen anders ist. Als Isabel Gut ihr drittes Kind in einem japanischen Krankenhaus zur Welt brachte, rief kurz nach vier Uhr morgens eine Lautsprecherdurchsage alle Wöchnerinnen zum Stillen. Durch ein Fensterchen im Babyzimmer reichte ihr eine Krankenschwester ihre Tochter. «Wir mussten uns alle in einen Kreis in ein Zimmer setzen und unsere Kinder stillen. Das war mir fremd. Ich war mir von den ersten Geburten traute Zweisamkeit von Mutter und Kind gewohnt.» Isabel Gut erlebte in Japan aber auch das Gefühl des Aufgehobenseins, beim zen-buddhistischen Bogenschiessen. «Alle trugen die gleichen Gewänder, wir machten gemeinsam die Rituale und so fühlte ich mich mit der Gruppe verbunden, obwohl ich die einzige Ausländerin war.» – Zurück in der Schweiz unterrichtete Gut Japanerinnen und deren Kinder in Deutsch. Die Kulturvermittlung nahm dieses Mal einen grösseren Stellenwert ein. «Mir wurde mit den Jahren immer stärker bewusst, wie wichtig das Verstehen für das Wohlbefinden ist», sagt Gut. «Wir müssen mehr für das gegenseitige Verständnis unternehmen. Ich betrachte das als eine Lebensnotwendigkeit. Viele Ausländer fühlen sich hier sehr einsam.» Arbeiten in der Schweiz. Isabel Gut zog ihre Kinder auf und begegnete in der eigenen Stube vielen ausländischen kleinen Freunden. Als ihre jüngste Tochter 13 Jahre alt wurde, wollte die Mutter raus in die Arbeitswelt. Das Schicksal hatte offenbar nur auf diesen Moment gewartet: Eine Freundin war im Telefonbuch zufällig auf das Zürcher Institut für Interkulturelle Kommunikation gestossen, als sie unter «Inst...» etwas anderes suchte. «Das ist doch was für dich», meinte die Freundin. Und ob. Der Institutsleiter fand in Isabel Gut die ideale Mitarbeiterin und stellte sie sofort ein. Das war 1996. Noch immer arbeitet sie da, berät Firmen und Institutionen, aber auch Einzelne bei interkulturellen Fragen und erteilt Kurse. Ihre Vision ist es, interkulturelles Gedankengut bei Jung und Alt und in unterschiedlichen sozialen Welten zu fördern. Dort sieht sie viel Bedarf. Bisher schien sie immer zur richtigen Zeit am richtigen Ort gewesen zu sein – sie vertraut darauf, dass das so bleiben wird. EB Kurs Nr. 17 – Frühling 2008 – 21


agenda

kultur

Kursleitende und Mitarbeitende der EB Zürich geben Tipps zu interessanten Büchern, CDs und Videos.

Wirtschaftlich denken und handeln Der europäische Wirtschaftsführerschein (European Business Competence Licence, EBC*L) bescheinigt unternehmerisches Kernwissen in den Bereichen Bilanzierung, Kennzahlen, Kostenrechnung und Gesellschaftsrecht.

Robert Walser Liebesgeschichten

Lesen Verträumt. Traum und Liebe sind ja seit eh und je miteinander im Gespräch. In Robert Walsers Liebesgeschichten auf eine sehr vielseitige Art, einmal zärtlich und verspielt, einmal roh und provokativ, dann wiederum auch erschütternd. – Walser weiss mit seinem Einfallsreichtum, seiner vielfarbenen Vorstellungswelt zu bestricken und mit seiner Anmut zu bezaubern. Er sagt Kleines, scheinbar Unbedeutendes und doch klingt es lange nach. Manchmal ist er auch närrisch und manieriert, was ich durchaus mag. Kurz, vielseitig und anregend ist dieser scheue Blick ins Reich der Liebe. Walsers Liebesgeschichten sind eine gute Lektüre für Liebende – oder solche, die es werden wollen.

Mick Jagger/The Red Devils: The Famous Blues Session (Bootleg)

Ed Wood Collection, A Salute to Incompetence (2 DVDs)

Hören

Sehen

Erstaunlich. Der Frontmann der Rolling Stones als Blues-Sänger? Doch, doch, das gibt es, bisher freilich bloss inoffiziell als Raubpressung oder im Netz. Im Juni 1992, während der Aufnahmen zu seinem Soloalbum «Wandering Spirit», spielte Jagger in Los Angeles an einem einzigen Tag mit einer Lokalband ein gutes Dutzend Blues-Klassiker ein. Jaggers Interpretation ist eine Referenz an Muddy Waters, Elmore James, Howlin’ Wolf, Sonny Boy Williamson und weitere schwarze Musiker, doch die Stimme ist unverkennbar Jagger, full of soul, gelegentlich rockig und in einem Fall ultralangsam, bei «Dream Girl», einem Stück, das wir wohl seinerzeit als «Süüder» bezeichnet hätten.

Grässlich. Ja, auch das muss sein: einen grottenschlechten Film ansehen, um die guten wieder schätzen zu können. Und hier ist er – «Plan 9 from Outer Space» – der anerkannt schlechteste Film aller Zeiten von Regisseur Ed Wood, dem schlechtesten Regisseur aller Zeiten. Wenn verchromte Autokappen an Bindfäden als UFOs vor schlecht bemalten Kulissen wackeln und eine tiefe Stimme uns Erdlingen das nahe Ende verkündet, ja dann sind wir schon mitten drin in einer hanebüchenen Story mit miserablen «Schauspielern» in absurden Kostümen, die sinnloses Zeugs brabbeln, während die Schatten der Bühnenarbeiter das Monster von der Bühne zerren. Sehr heilsam!

Grundkenntnisse in Wirtschaft sind gemäss vielen Umfragen entscheidend, um im Arbeitsleben weiterzukommen. Was aber tun, wenn man sein Manko beheben möchte, aber keine teure Diplomausbildung durchlaufen will? Neu startet die EB Zürich im Sommersemester 2008 einen Vorbereitungskurs für all jene, die die EBC*L anstreben. Dieser Abschluss wird bereits in zahlreichen europäischen Ländern anerkannt. Der Vorbereitungskurs führt an acht Abenden à je drei Lektionen zum Ziel – inklusive der freiwilligen Teilnahme an einem zusätzlichen Lernatelier, um den Stoff mit Übungen zu vertiefen. Geeignet ist die EBC*L für interessierte Nicht-Betriebswirtschafter sowie für Fachkräfte, die ihr Wissen auffrischen möchten. Interessant ist die EBC*L aber auch für angehende Ökonomen und Ökonominnen, die einen anerkannten Zwischenabschluss erreichen wollen.

Free Linux Notebooks Linux ist längst zu einem stabilen und komfortablen Betriebssystem geworden. Davon kann sich überzeugen, wer bei der EB Zürich ein Notebook mit vorinstalliertem Linux ausleiht und vierzehn Tag lang gratis ausprobiert. Mit dieser Aktion – eingebettet in das Jahr der Informatik 2008 – fördert die EB Zürich, den Gebrauch von frei verfügbarer Software, auch Open Source Software genannt. Das soll nicht nur eine Sache für Insiderinnen und Insider sein. In Einführungskursen werden auch weniger bewanderte Computernutzerinnen und -nutzer mit den wichtigsten Linux-Anwendungen vertraut gemacht. Ausserdem können sie auf ein vielfältiges Unterstützungsangebot zurückgreifen, das die EB Zürich zur Verfügung stellt. Der Umstieg auf Linux wird so allen leicht gemacht.

Susanne Fernandez Kursleiterin Alphabetisierung für fremdsprachige Erwachsene

22 – EB Kurs Nr. 17 – Frühling 2008

Felix Aeppli Kursleiter Politische Bildung und Zeitdokumentation

Nicolo Paganini Kursleiter Informatik und Mitarbeiter Technik

Weitere Infos: www.eb-zuerich.ch

Vormerken! Informationsveranstaltungen zu Kursen und Lehrgängen: SVEB, Eidg. Fachausweis Ausbilder/in und Eidg. Diplom Ausbildungsleiter/in Montag, 17. März 2008 Donnerstag, 29. Mai 2008 Zeit: jeweils 19.00–20.30 Uhr Ort: BiZE

Lehrgang «Kommunikation» Lehrgang «Management und Leadership» Lehrgang «Leadership kompakt» Lehrgang «NPO-Management» Lehrgang «Projektmanagement» Lehrgang «Marketing und Öffentlichkeitsarbeit» Lehrgang «Textpraktiker/in» Lehrgang «Mediation im interkulturellen Umfeld» Lehrgang «Journalismus» Dienstag, 4. März 2008 Donnerstag, 15. Mai 2008 Zeit: jeweils 18.00–19.30 Uhr Ort: BiZE

Lehrgang «ECDL Lehrgang «Informatik-Anwender/in SIZ» Lehrgang «ICT Power-User SIZ» Lehrgang «Web-Publisher EB Zürich» Lehrgang «3D-Visualisierung und 3D-Animation» Lehrgang «Video» Lehrgang «WebProgrammer PHP 2.0» Lehrgang «Java (Sun Certified Java Programmer)» Lehrgang «Microsoft MCTS Web Applications» Lehrgang «Linux-Systemadministration Basis (LPIC-1)» Lehrgang «Linux-Systemadministration Aufbau (LPIC-2)» Dienstag, 4. März 2008 Donnerstag, 3. April 2008 Zeit: jeweils 18.00–19.30 Uhr Ort: BiZE Weitere Infos: www.eb-zuerich.ch/agenda

In der nächsten Ausgabe: Kompetenzen: Was sich Unternehmen wünschen. EB Kurs Nr. 17 – Frühling 2008 – 23


Weiterbildung – wie ich sie will Kantonale Berufsschule fßr Weiterbildung w www.eb-zuerich.ch


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