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EBKURS
Magazin der EB Zürich Kantonale Berufsschule für Weiterbildung Nr. 11 September 2006 – November 2006
eiten Mit 8 S-Journal Journi
THEMA: WIE KLEINFIRMEN LERNEN
INTERVIEW: KARL WEBER, BILDUNGSEXPERTE
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EB AUF KURS
QUALITÄT SICHERN Gutes wird besser. Seit diesem Sommer führt die EB Zürich eine einheitliche Evaluation ihrer Lernangebote durch. Mit einem standardisierten Fragebogen werden Rückmeldungen von Teilnehmerinnen und Teilnehmern eingeholt und ausgewertet. Waren Sie im richtigen Kurs? Hat mit der Kursadministration alles geklappt? Haben Sie die Lernziele erreicht? Sind Sie zufrieden mit dem Angebot? Auf diese und ein paar weitere Fragen wünscht sich die EB Zürich möglichst aussagekräftige Antworten von ihren Teilnehmerinnen und Teilnehmern, damit sie ihre Dienstleistungen auch in Zukunft optimal abstimmen kann.
Evaluation ist ein Teil eines Regelkreises, welcher die Qualität der angebotenen Dienstleistungen sichert.
WIE WIRD EVALUIERT? Am Ende eines Kurses oder Moduls wird ein standardisierter Fragebogen an die Teilnehmerinnen und Teilnehmer verteilt. Die Fragen betreffen die administrative Abwicklung, die zur Verfügung gestellte Infrastruktur, Kursgestaltung und -leitung sowie die Inhalte. Neben diesen Standardfragen besteht für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auch die Möglichkeit, eigene Anmerkungen anzubringen. WARUM WIRD EVALUIERT? Die Kursleitung erfährt durch die eingegangenen Antworten, wie weit es gelungen ist, die Inhalte in sinnvolle Lerneinheiten umzusetzen. Daraus kann sie Schlüsse ziehen für eine nächste Durchführung. Die EB Zürich als Ganzes erhält Informationen über die Qualität des Angebots und kann auf positive wie negative Rückmeldungen reagieren. WAS PASSIERT MIT DEN FRAGEBOGEN? Die Fragebogen werden von der Administration erfasst und die Antworten zusammengefasst. Für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer wichtig zu wissen: Diese Zusammenfassungen werden anonymisiert und die Daten vertraulich behandelt. Eine klug durchgeführte Evaluation ist ein Steuerinstrument, ohne das moderne berufliche Weiterbildung nicht mehr auskommt. Die EB Zürich kann so die Anliegen von Teilnehmerinnen und Teilnehmern noch besser erfassen.
AGENDA
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RKEN
ME VOR
«Das Web 2.0 erläutert am Beispiel von AJAX» Fachvortrag von Sascha Corti Mittwoch, 6. September 2006, 19.00–21.00 Uhr im BiZE Wer sich mit Internet-Technologie auseinander setzt, kommt kaum um den Begriff «Web 2.0» herum. Sascha Corti von Microsoft Schweiz zeigt, was sich dahinter verbirgt, und erläutert AJAX (Asynchronous Java and XML), eine der tragenden Innovationen von «Web 2.0», anhand von praktischen Beispielen. Weitere Aktualität auf www.eb-zuerich.ch/veranstaltungen
EDITORIAL
INHALT
EDITORIAL
Die Herausforderung annehmen «Mögest du in interessanten Zeiten leben.» Das wünschen Chinesen Mitmenschen, die sie nicht leiden können. Wohl im Bewusstsein, dass interessante Epochen nicht immer einfach sind. Nun, die Chinesen wie auch wir durchleben eine interessante Zeit. Wie rasend schnell sich doch alles verändert! Um den Herausforderungen körperlich gewachsen zu sein, passen wir unseren Lebensstil an, achten auf eine gesunde, ausgewogene Ernährung. Und geistig? Sind wir auch um eine regelmässige Weiterbildung besorgt? Irgendwie geht's immer, systematisch planen tun es die wenigsten: Angestellte von Kleinfirmen bilden sich gerade einmal einen halben Tag weiter – pro Jahr (siehe Titelgeschichte ab S. 6)! In einem Land, in dem 86% aller Unternehmen Kleinstunternehmen sind, ist das von Brisanz. Serge Schwarzenbach, Herausgeber
PS Beachten Sie auch die Beilage in der Mitte dieser Ausgabe. An der EB Zürich
INHALT
lernende Journalistinnen und Journalisten haben sie gestaltet (ab S. 13).
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Chuchichäschtli
24 Was Frauen alles können
Schwiizertüütsch isch e chli andersch. 6
Lernende Kleinstunternehmen
Selbstbewusst im Arbeitsmarkt. 26
Beilage Journi-Journal Angehende Journalistinnen und Journalisten schreiben über Bücher.
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Mission Theater Roger Nydegger in Afrika.
5 Deutschland
Karl Weber im Gespräch.
Der Waschsalon muss mit der Zeit gehen. 13
Die Bildungsschere öffnet sich
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Kunst am Bau Eine Welle von Willy Wimpfheimer.
STANDARDS 02 EB auf Kurs 03 Editorial 04 Bemerkenswert 21 Tipps und Tricks 30 Kultur: Lesen, hören, sehen 31 Comic
22 Burkina Faso
26 Schweiz
IMPRESSUM • EB KURS NR. 11 / SEPTEMBER 2006 BIS NOVEMBER 2006 • MAGAZIN DER EB ZÜRICH • KANTONALE BERUFSSCHULE FÜR WEITERBILDUNG ZÜRICH • RIESBACHSTRASSE 11 • 8090 ZÜRICH • TELEFON 0842 843 84 • FAX 044 385 83 29 • INTERNET WWW.EB-ZUERICH.CH • E-MAIL EB-KURS@EB-ZUERICH.CH • AUFLAGE 33 000 • HERAUSGEBER (FÜR DIE GESCHÄFTSLEITUNG:) SERGE SCHWARZENBACH • REDAKTION CHRISTIAN KAISER, FRITZ KELLER • GESTALTUNG ATELIER VERSAL, PETER SCHUPPISSER TSCHIRREN, ZÜRICH • TEXTE ANJA EIGENMANN, CHRISTIAN KAISER, ILKA STENDER, CHARLOTTE SPINDLER, MARGRIT STUCKI • FOTOS PHILIPP BAER, LUC-FRANÇOIS GEORGI, RETO SCHLATTER • ILLUSTRATIONEN EVA KLÄUI, RUEDI WIDMER • DRUCK GENOSSENSCHAFT ROPRESS ZÜRICH •
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4 BEMERKENSWERT
GESEHEN, GEHÖRT AUGENSCHMAUS GUTE VERPFLEGUNG. Dass es auf dem Dach des BiZE ein Bistro mit Rundsicht gibt, hat sich längst herumgesprochen. Dass neuerdings auch Sonnenuntergang und erleuchtete Skyline mit im Angebot sind noch nicht: Die Öffnungszeiten wurden bis 20.30 Uhr verlängert – inklusive Salatwägeli des Frauenvereins. Denkarbeiterinnen und -arbeiter mit Abendkursen wirds freuen. In der neuen Cafeteria im Kurslokal in Altstetten (Max-HöggerStrasse 2) ist hingegen Frühschicht angesagt: Viele kommen bereits vor 8 Uhr für dampfenden Kaffee und Gipfeli. Der Kaffee ist so gut, dass die Selecta erwägt, ihre Automaten abzuziehen.
FOTOGRAFIE INSZENIERUNG TOTAL. Ein Kleinod hat sich im weltweiten Netz verfangen: www.stagedphotography.ch. Staged Photography ist inszenierte Fotografie, der Künstler steht dabei vor und hinter der Kamera, übernimmt die Regie und schlüpft in Rollen. Die Website, die im Ausbildungslehrgang «Webpublisher» der EB Zürich entstanden ist, zeichnet nicht nur akribisch die Geschichte der inszenierten Fotografie nach, sie enthält auch zahlreiche Bildergalerien und Shows mit extrem schrillen, skurrilen oder obszönen Fotos. Eine Augenweide für alle Bildermenschen, ein Fundus für alle Fotografie- und Kunstinteressierten. Gut, dass es Selbstauslöser gibt.
SCHREIBEN RICHTIG IM FLUSS. Schreiben lernen, ist das möglich? «Prozessorientierte Schreibdidaktik» ist ein Buch, das auf diese Frage eine positive Antwort gibt. Schreiben kann gelernt werden, wenn es «jenseits der Vermittlung elementarer Regeln und Normen» passiere. Schreiben heisse nicht nur Wörter und Sätze aneinanderreihen, sondern Schreiben sei «eine Art Denklabor, in dem sich das Wissen der Welt mit eigenen Anschauungen verbinden lässt». In verschiedenen Beiträgen zeigen Expertinnen und Experten – unter ihnen die EB-Kursleiterinnen Marianne Ulmi und Madeleine Marti – wie ein entsprechendes Schreibtraining aussieht. (Erhältlich im Buchhandel für 42 Franken.)
PREIS HOHE ANERKENNUNG. Hervorragende Projekte in der beruflichen Aus- und Weiterbildung auszeichnen – dieses Ziel hat sich die Stiftung Enterprise gesetzt. Sie setzte einen Preis – den Enterprize – aus, um den sich 20 Projekte bewarben. Nun hat eine prominent besetzte Fachjury drei Finalisten bestimmt. Nebst einem Coachingprojekt der kantonalen Berufs- und Studienberatung Solothurn und einer Juniorfirma der Maschinenfabrik Rieter AG in Winterthur kam auch das Lernfoyer der EB Zürich in die Kränze. Nachdem sich alle drei auserwählten Projekte nochmals präsentieren mussten, wird am 28. September 2006 in Zürich der Gewinner gekürt. Bitte Daumen drücken.
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Bild: Luc-François Georgi
PORTRÄT
Martin Goebel reist viel; da, wo er sich aufhält, lässt er sich gerne auf die Sprache ein.
NUR BÄRNTÜÜTSCH MACHT NOCH MÜHE Eingeschweizert. Der 32-jährige Deutsche Martin Goebel hat im Kurs «Schweizerdeutsch für Fortgeschrittene» festgestellt, dass «Hopp Schwiiz» nichts mit Hopsen zu tun hat. Von Anja Eigenmann «Das Wort ‹Chuchichäschtli› hatte ich bereits bei meinem ersten Aufenthalt in der Schweiz vor drei Jahren gelernt. Damals war ich zwei Wochen für Workshops in Zürich,und die Stadt gefiel mir.Ich mag die Landschaft, die Berge. Ich hatte früher als Informatiker bei Siemens in Braunschweig/Niedersachsen gearbeitet. Dann bewarb ich mich beim Standort in Zürich. Seit Oktober letzten Jahres wohne ich nun in der Limmatstadt. Ab November besuchte ich meinen ersten Kurs in Züritüütsch.Inzwischen bin ich bei den Fortgeschrittenen, und ich werde das so lange weiterführen, wie es mir Spass macht. Ich interessiere mich allgemein für Sprachen, und ich reise auch gerne. So war ich schon in Madagaskar,Marokko,Spanien,Peru, Costa Rica, Nicaragua, und überall habe ich mir ein Stück der Sprache angeeignet. Ich finde, es gehört dazu, sich mit der Sprache des Landes auseinander zu setzen,in dem man zu Gast ist. Die Mundart ist für die Schweizer identitätsstiftend. Sie spiegelt die Unterschiede zwischen Deutschen und Schweizern, die von beiden ganz verschieden wahrgenommen werden.Viele Deutschen sehen keine grossen Unterschiede. Einige Schweizer hingegen finden, in Deutschland seien sie in einem völlig anderen Kulturkreis.
Man hat mir schon gesagt, dass die Schweizer es gar nicht mögen, wenn Deutsche Schweizerdeutsch sprechen, weil sie es sowieso nicht können. Bestimmt tönt mein eigenes Züritüütsch noch etwas merkwürdig. Gewisse Laute höre ich nicht richtig heraus, zum Beispiel dieses ‹Ä›,das so weit hinten im Hals ausgesprochen wird. ‹Wältmeischter› klingt in meinen Ohren fast wie ‹Waldmeister›. Aber der Dialekt färbt bereits auf mich ab. Zum Beispiel fahre ich jetzt Velo und nicht mehr Fahrrad, und statt mich zu verabreden, mache ich ab. Mit Ausnahme von speziellen Ausdrücken, die vom Hochdeutschen völlig abweichen, verstehe ich das Schwiizertüütsch mittlerweile problemlos. Nur Bärntüütsch finde ich schwierig. Es herrscht eine schöne Atmosphäre in meiner Klasse.Wir stammen aus allen Ecken der Welt: Kasachstan, Brasilien, Iran, Tessin. Viele leben schon seit Jahren in der Schweiz. Lustig wird es, wenn wir einander Schwiizertüütsch-Anekdoten erzählen. Ich zum Beispiel hatte im Winter einen Snowboard-Unfall und rief bei der Versicherung an. Der Mann am Apparat fragte: ‹Händ Sie dä Unfallschii no?›, worauf ich mich fragte: ‹Wieso Ski? Ich bin doch Snowboard gefahren.›»
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KLEINFIRMEN
Turbinenbräu, Badenerstrasse 571, 8048 Zürich
KLEINE SCHREIBEN INFO Weiterbildung in Kleinunternehmen. Viele Kleinfirmen kümmern sich wenig um planmässige Weiterbildung; langfristig angelegte Bildungsprogramme können sich die wenigsten leisten, denn erworbenes Know-how muss sofort anwendbar sein. Doch die Kleinen beschreiten ihre eigenen Lernwege. Von Margrit Stucki
Mikrobetriebe zeigen sich weit gehend resistent gegenüber klassischen Weiterbildungsangeboten. Je kleiner die Firma, desto niedriger die Weiterbildungsinvestitionen, lautet das Lamento der letzten Jahre. Dass es um die Weiterbildung in hiesigen KMU nicht allzu gut bestellt ist, bestätigt auch die repräsentative Studie «KMU und die Rolle der Weiterbildung» von Philipp Gonon, Hans-Peter Hotz, Markus Weil und André Schläfli (siehe Kasten S.7 ).Ein Beispiel: Die Mitarbeitenden in den befragten Firmen bilden sich im Schnitt gerade mal einen halben Tag pro Jahr weiter. Solche Resultate zeichnen ein bedenkliches Bild des Weiterbildungsverhaltens in der Schweizer Wirtschaft.Immerhin arbeiten in der Schweiz 83,6 Prozent aller Beschäftigten in einem der Klein- oder Mittelbetriebe mit weniger als 250 Personen, die Gegenstand
KLEINFIRMEN
Bilder: Philipp Baer
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Gitarren Total, Aemtlerstrasse 15, 8003 Zürich
RMELLES LERNEN GROSS der Studie waren. 85,6 Prozent der Schweizer Unternehmen sind gar Kleinstunternehmen mit weniger als 10 Personen. Zu deren Weiterbildungsverhalten existieren noch kaum Untersuchungen. Es ist aber anzunehmen, dass die Formel «je kleiner, desto weniger» auch für die Kleinstbetriebe gilt. Was also lässt sich tun, um die Weiterbildungslust in den Kleinbetrieben zu fördern? INDIVIDUALITÄT UND PRAXISBEZUG. «Stark differenzieren» heisst die Antwort. Der seit Generationen bestehende Familienbetrieb verhält sich bei der Mitarbeiterschulung radikal anders als die avantgardistische Start-up-Firma. Die allein stehende Millionenerbin kann teurere und zeitintensivere Weiterbildungen belegen als der unterhaltspflichtige Familienvater.Hoch Qualifizierte sind in der Regel lern- und risikofreudiger als Personen mit kleinem Schulrucksack. Gerade bei den Kleinbetrieben sind die Strukturen, Budgets, Bildungsniveaus und Firmenkulturen zu unterschiedlich, und die Bedürfnisse folglich zu uneinheitlich, als dass sie sich mit standardisierten Kursangeboten befriedigen liessen. Es liegt an den Bildungsanbietern,diese Vielfalt zu erkennen und flexibel darauf zu reagieren. Kleinbetriebe zeigen sich punkto Weiterbildung äusserst
KMU UND WEITERBILDUNG –
Fast zwei Drittel aller KMU (62%) führten in den letzten 3 Jahren Weiterbildungsmassnahmen für mindestens einen Mitarbeiter durch.
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Jedoch: 38 Prozent aller KMU taten in den letzten 3 Jahren überhaupt nichts punkto Weiterbildung.
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50% aller KMU planen nichts für die Weiterbildung in ihren Budgets ein.
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Dennoch beteiligen sich 32% vollumfänglich und 40% teilweise an den Weiterbildungskosten ihrer Mitarbeitenden.
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Bloss 13% aller Betriebe verfügen über ein schriftlich festgelegtes Weiterbildungsprogramm.
Quelle: Philipp Gonon, Hans-Peter Hotz, Markus Weil und André Schläfli: «KMU und die Rolle der Weiterbildung»., h.e.p. Verlag, Bern 2005.
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KLEINFIRMEN
Amok Modelabel, Ankerstrasse 61, 8004 Zürich
wählerisch, denn Kursflops können sie sich nicht leisten. Sei es, weil sie nur schwer auf Mitarbeitende verzichten können, die einen Teil ihrer Arbeitszeit für Weiterbildung aufwenden. Oder sei es, weil sie das knappe Budget lieber in die Modernisierung der Infrastruktur investieren als in die Qualifikation von Mitarbeitenden. Am wenigsten aktiv in Weiterbildungsmassnahmen sind denn auch Branchen mit hoher Fluktuation, etwa das saisonale Tourismusgewerbe.Kurse zu finanzieren für Angestellte, welche die Firma in wenigen Monaten wieder verlassen, ist schlicht und einfach unrentabel. Wenn sich Kleinunternehmer für eine Weiterbildung entscheiden, tun sie das meist intuitiv und kurzfristig – quasi aus einer Notsituation heraus, weil sie bei der Arbeit anstehen. «Aus der Not eine Tugend machen» heisst die Leitformel. Das Aneignen von Fachwissen steht dabei als Lernziel an oberster Stelle. «Der Excel-Kurs, den ich mir vor Jahren leistete, war super», freut sich Schreinerin Christina Kundert, «der Lernstoff ging leicht rein und war direkt anwendbar. Seither verwalte ich mein Budget sicherer und besser.» Kundert führt seit zehn Jahren die Rundumholz GmbH, Schreinerei und Laden für Holzhandwerk – seit 2002 mit der Angestellten Claudia Furrer, ebenfalls gelernte Schreinerin. Auch Hanspeter Schnüriger, Koch und Wirt im Restaurant Exer in Zürich, weiss Kurse mit hohem Praxisbezug zu schätzen: «Vom berufsbegleitenden Betriebsführungskurs habe ich enorm profitiert. Vor
allem weil die vermittelten Fächer realen Anforderungen entsprachen und die Lerninhalte sofort umsetzbar waren.» BERUFSVERBÄNDE VORN. Kleinunternehmen bevorzugen klar Berufsverbände als Bildungspartner. An zweiter Stelle auf der Hitliste der Wissensvermittler stehen Arbeits- und Berufskollegen. Private und öffentliche Institute werden mit Vorliebe zum Erlernen von Sprachen und kaufmännisch-betriebswirtschaftlichen Kompetenzen berücksichtigt. Manchmal kommen auch Partnerfirmen und Lieferanten zum Zuge, vor allem weil sie ihre Schulungen – beispielsweise zum Vorstellen neuer Produkte – gratis anbieten. Die Wahl gewinnt in der Regel die Instanz mit dem günstigsten Preis-Leistungs-Verhältnis. «Wir müssen über Automarken,neue Modelle und Fahrzeugelektronik Bescheid wissen», erklärt Guido Zuber, Gründer und Geschäftsleiter der Autohilfe Zürich. Als Vorstandsmitglied des Brachenverbandes ASS (Autostrassenhilfen der Schweiz) organisiert er fachspezifische Kurse für seine 42 Mitarbeitenden gleich selbst. Von den Versicherungen, die eigentlich an gut qualifizierten Pannen- und Abschleppdiensten interessiert sein müssten, ist er enttäuscht: «Die machen nichts, obwohl sie jede Automarke rückversichern, von den Herstellern auf dem neusten Stand gehalten werden und unsere Leistungen letztlich bezahlen müssen.» Grosse Stücke hält Zuber indes auf seine Mitarbeiterin Judith Vago, die sich neben ihren
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Waschsalon Anker, Ankerstrasse 9, 8004 Zürich
Diensteinsätzen um die interne Weiterbildung kümmert: «Frau Vago ist engagiert und immer am Ball. Deshalb kann sie Neue und Junge bestens motivieren. Als Lastwagenfahrerin und ehemalige TCS-Mitarbeiterin kann sie unseren Leuten wertvolle Erfahrungen weitergeben.» So läuft das bei vielen Kleinbetrieben: Die Jungen lernen am Arbeitsplatz von den Erfahrenen – vorausgesetzt, dass sich jemand engagiert um die Weitergabe von Fachwissen kümmert. Neben dem Fachwissen stehen Sprachen hoch im Kurs. Auch lokale Kleinfirmen arbeiten heute mit multikultureller Belegschaft und agieren auf internationalem Parkett. So finanziert Autohilfe-Chef Zuber derzeit einen Deutschkurs für einen neuen Mitarbeiter. «Das hat in unserer 37-jährigen Firmengeschichte Tradition», verrät der umsichtige Patron. Auch die Modedesignerin Sandra Kuratle, Besitzerin des Modelabels Amok, bessert von Zeit zu Zeit ihre Sprachkenntnisse auf: «Zweimal im Jahr besuche ich Textilmessen im Ausland. Zudem habe ich mit Stofflieferanten aus verschiedensten Ländern zu tun»,sagt sie. Das Beherrschen von Fremdsprachen ist für mich unerlässlich.» INFORMELLES LERNEN AM GRILLABEND. Vor allem aber lernen die Kleinfirmen von- und miteinander. Thomas Hof, Teilhaber des Reisebüros Trottomundo mit 10 Mitarbeitenden betont, wie wichtig der Austausch unter gleich Gesinnten ist: «Unsere Mitarbeitenden müssen offen, an Geografie und gesellschaft-
INFORMELLES LERNEN AM ARBEITSPLATZ Kleinbetriebe lernen vorwiegend informell. Laut Philipp Gonon, Professor für Berufsbildung an der Universität Zürich, finden am Arbeitsplatz von KMU folgende Formen informellen Lernens statt: –
Lernen erfolgt nach individuellen und häufig selbst organisierten Gesichtspunkten.
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Lernziele sind nur teilweise bekannt oder erst im Nachhinein als solche identifizierbar, das Lernergebnis kann jedoch sichtbar gemacht werden.
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Keine unmittelbare pädagogische Intention: Aus Arbeitshandlungen ergeben sich als «Nebenprodukt» erwünschte Kenntnisse und Haltungen.
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Keine systematische, professionell pädagogische Interaktion: Kenntnisse und Haltungen werden im Arbeitsprozess, mit Medien oder im Umgang mit Arbeitskolleginnen und -kollegen erworben.
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Lernen basiert auf Arbeitserfordernissen und ist weder fachsystematisch noch institutionell organisiert.
Quelle: Philipp Gonon, Stefanie Stolz (Hrsg.): Betriebliche Weiterbildung., h.e.p. Verlag, Bern 2004.
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Apart, Badenerstrasse 571a, 8048 Zürich
lichen Entwicklungen interessiert sein sowie gut zuhören können. Fähigkeiten, die weniger im Kurszimmer als am gemeinsamen Grillabend oder am Bouleturnier erworben werden.» Manchmal erwirbt man eben Sozialkompetenzen, ohne sich dessen bewusst zu sein – ein Vorteil für die Firmen, ein Nachteil für Bildungsinstitute.Die «Völker verbindenden» Anlässe der beiden Trottomundo-Chefs Thomas Hof und Attilio Ongaro sind jedenfalls legendär, das über 26 Jahre gewachsene und gepflegte Beziehungsnetz gross und Welt umspannend. Laut Hof eine der Voraussetzungen, um im harten Reisegeschäft zu überleben. Exer-Wirt Hanspeter Schnüriger doppelt nach: «Das Gastgewerbe lebt davon, eine familiäre Atmosphäre zu schaffen. Meine Partnerin Corina Mazzocco ist in dieser Disziplin einsame Spitze. Unsere besten Kunden fühlen sich bei uns zu Hause und erzählen uns alles. Dafür sind wir ein derart eingespieltes Geschäftspaar, dass wir uns ohne Worte verstehen.» Auch dieser Aspekt ist bezeichnend für die Überzeugung vieler Firmengründer: Zentrale Erfolgsfaktoren wie die Fähigkeit, auf Leute zuzugehen, muss man einfach schon ins Geschäftsleben mitbringen. Sie nachträglich in Kurslokalen einzupauken, macht keinen Sinn. Diese soziale Offenheit und Kommunikationsfähigkeit spiegelt sich auch im Lernverhalten wieder. Robert Stolz, Inhaber des 1984 gegründeten Fahrradbau Stolz, etwa zählt ganz auf den Wissenstransfer unter Verbündeten: «Der intensive Austausch innerhalb des Betriebs und mit befreundeten
Velohändlern ist mir sehr wichtig.Künftig möchte ich hierfür mehr Zeit investieren. Denn vom Lernen im Team profitiert man am meisten.» PIONIERE LERNEN BY DOING. Als Hauptgrund für kontinuierliches Lernen nennt Velobauer Stolz «die Ambition, immer an vorderster Front zu sein». Im Radbusiness scheint dies ohne Kursbesuche zu gelingen: «Gewisse Weiterbildungen gibt’s für uns gar nicht. Denn wir lösen die Spezialprobleme unserer Kunden oft als Erste. Nach erfolgreichem Tüfteln fragen uns dann andere Velomechaniker um Rat», schmunzelt Robert Stolz. Ähnliches wissen Regula Stutz und Jacqueline Hodel zu berichten, die vor sechs Jahren die Seifenmanufaktur Swisstag gründeten: «Mit der Seifensiederei haben wir in der Schweiz etwas Neues aufgezogen. Da es nichts Vergleichbares gab, machten wir uns schlau in ausländischer Fachliteratur und auf einschlägigen Websites. Die praktischen Fertigkeiten eigneten wir uns durch Ausprobieren an.» Derzeit befindet sich das Unternehmerinnen-Duo in der Aufbauphase eines neuen Geschäfts: The Pie Shop. Auch das Imbissladen-Projekt des Duos Stutz und Hodel ist eine Schweizer Novität. Solches Lernen nach dem Trial-and-Error-Prinzip ist bei innovativen Jungunternehmern mehr Regel als Ausnahme. Die Beteiligten führen in ihren Projekten immer wieder Routinearbeiten mit neuen Entdeckungen und Erfahrungen zusammen. Betriebliches Wissen eignen sie sich
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Stefi Talman, Oberdorfstrasse 13, 8001 Zürich
häufig unkonventionell an und geben es entsprechend weiter. Dazu nutzen sie mit Vorliebe das Internet als schnelles, günstiges Kommunikationsmedium. Kritisch wird es, wenn sich Kleinbetriebe vom chaotischen Haufen (jeder macht alles) zum etablierten Unternehmen entwickeln. Bei wachsender Mitarbeiterzahl müssen Ablauf- und Lernprozesse stärker strukturiert und formalisiert werden. Hier schlägt die Stunde der Weiterbildungsanbieter: Sie verfügen über die Infrastruktur, die Dokumentation und das didaktische Know-how, um die Firmenleitungen beim Finden und Umsetzen passender Lernformen zu unterstützen. KÜR STATT PFLICHT. Selbständige und Jungunternehmer legen grossen Wert auf Freiwilligkeit. Verordnete Weiterbildung kommt selten gut an. Als Gründer sind sie gewohnt, auf eigene Verantwortung Entscheidungen zu treffen und durchzusetzen. Kommt hinzu, dass sie ihre Lernumgebung häufig selbst gestalten und die für sie passende Lernstrategie selbst entwickeln wollen. Viele sind sich dabei auch bewusst, dass sie sich nicht sämtliches Fachwissen selbst aneignen müssen. «Lieber besuche ich einen Astrologie-Kurs, der mich interessiert und in meiner persönlichen Entwicklung weiter bringt, als dass ich mich mit technischen Instruktionen abquäle», gesteht Renate Stucki, die vor gut zwei Jahren den Waschsalon Anker über-
KMU IN ZAHLEN: BETRIEBSZÄHLUNG SEPTEMBER 2005 –
Knapp ein Sechstel der Arbeitsstätten erbringt Dienstleistungen für Unternehmen: Von den registrierten 377 600 Arbeitsstätten waren 301 800 (79,9%) im Dienstleistungssektor und 75 800 (20,1%) in der Industrie und im Gewerbe angesiedelt. Am meisten Arbeitsstätten – insgesamt 60 600 bzw. 16 Prozent des Totals – verzeichnete der Wirtschaftszweig der Dienstleistungen für Unternehmen (einschliesslich Forschung und Entwicklung).
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Das Gesundheits- und Sozialwesen war der beschäftigungsmässig bedeutendste Tätigkeitsbereich im sekundären und tertiären Sektor. Dieser Wirtschaftszweig zählte 433 000 Beschäftigte (11,7% des Totals) und verzeichnete eine der stärksten Beschäftigungszunahmen (+9%).
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323 300 Arbeitsstätten (85,6%) hatten weniger als 10 Beschäftigte. 1000 Arbeitsstätten (0,3%) zählten mehr als 250 Beschäftigte Die kleinen und mittleren Betriebe mit weniger als 250 Beschäftigten machten im Jahr 2005 somit 99,7 Prozent aller Arbeitsstätten aus.
Quelle: Bundesamt für Statistik, Betriebszählung von Ende September 2005. Medienmitteilung vom 27. Juni 2006
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Rundum GmbH, Müllerstrasse 47, 8004 Zürich
nahm.Sprachs,und lagerte die Wartung ihrer Maschinen an technisch Versiertere aus. Bevor sie zur Einfrau-Waschsalonbetreiberin wurde, hatte sie eine über 25-jährige Karriere als kaufmännische Angestellte durchlaufen. Als schlechteste Weiterbildungserfahrung beschreibt Stucki einen Standortbestimmungskurs, der ihr als Stellenlose vom RAV aufgezwungen wurde: «Der Kursleiter, Abgesandter einer privaten Consulting-Firma, redete permanent nur von sich. Er konnte nicht auf die einzelnen Teilnehmenden eingehen und speiste uns mit veralteten Standard-Fragebogen ab, die man auch zu Hause hätte ausfüllen können.» Fast identisch tönt es, wenn Christina Kundert ihren Fortbildungskurs zur Arbeitsvorbereiterin beschreibt: «Um in meiner Schreinerei Angestellte zu beschäftigen, wurde ich von offizieller Seite angehalten, diesen zweijährigen Lehrgang zu absolvieren. Nebst den Kosten ärgert mich bis heute, dass der vermittelte Stoff nichts mit meinem Geschäft zu tun hatte. Andererseits war ich auch zu unmotiviert, um mich mit dem theoretischen Hintergrund von Administration und Arbeitsplanung zu beschäftigen.» Kleinfirmen wollen sich also in erster Linie den Lernstoff, den sie brauchen, freiwillig und nach ihrem eigenen Rhythmus selbst erarbeiten – und das mit Praxisbezug. Wesentlich besser als standardisierte Kurse kommen bei ihnen deshalb heute Bildungsangebote an, welche die Experimentierfreude und dasselbstverantwortliche Lernen in Gruppen fördern.
LERNEN NACH MASS. An der EB Zürich lernende Kleinunternehmer schätzen etwa die so genannten Lernateliers, wo sie mit professioneller Unterstützung und zusammen mit gleich Gesinnten an ihren eigenen Projekten arbeiten. «Das Lernatelier ist für mich auch eine Kontaktbörse», berichtet der selbständige Webprogrammierer Jürg Messmer, «man hilft und lässt sich helfen. Atelier-Leitende haben nicht für alle Zeit und können nicht immer alles wissen. In solchen Fällen springen Atelier-Teilnehmende in die Lücke.» Messmer besuchte an der EB Zürich das Lernatelier «Software-Entwicklung», um seine Anwenderkenntnisse der Webapplikation PHP zu verbessern. Das Lernatelier habe ihm die Möglichkeit geboten, genau das Know-how abzuholen, das er für seine Arbeit brauche. Messmer: «Das Lernfoyer entspricht absolut meiner autodidaktischen Art zu lernen.» Es dürfte sich für die Weiterbildungsanbieter lohnen, bei den Lernbedürfnissen der Kleinstunternehmen noch genauer hinzuschauen. Treffen die Angebote den Bedarf, so ist der Weiterbildungserfolg garantiert: Schliesslich setzen die Kleinen das erworbene Know-how schneller, direkter und sichtbarer in die Praxis um als Grossunternehmen, da sie flexibler sind und einfachere Abläufe sowie kürzere Kommunikationswege aufweisen. Weil sie sich keine Fehlinvestitionen leisten können, wird auch ihr Feedback ungeschminkt kritisch daherkommen – und für die Anbieter entsprechend wertvoll sein.
Foto: Gabi Heussi
Journi-Journal «Rund ums Buch» Acht Seiten Beilage des 17. Lehrgangs «Journalismus für Quereinsteigende». Sommer 2006
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Totenuhr und Zuckergast Von Sabine Nussbaumer Düster und muffig ist die Ecke auf dem Holzregal, wo sich Silberfischchen und Totenuhrkäfer treffen. Ihr Wispern dringt kaum zu den nächsten Bänden. Dennoch spitzt der Bücherskorpion drei Bücher weiter die Ohren. Ein unbekannter Strom von trockener Luft lässt ihn schaudern. Was geht hier vor? Die Bewohner der alten Bibliothek sind verunsichert. Ein Klopfkäfer, im Regal neben dem schmalen Fenster, gerät in höchste Aufregung. Sein Nachbar vom Eingang hat ihm die Botschaft gezirpt: Ihr Leben sei in höchster Gefahr! Ihre Nahrungsquelle verschwinde. Getragen von zwei langen Beinen. Hinaus ins Licht. Entsetzt über die bevorstehende Hungersnot eilt der Lkopfkäfer zu seinen Raupenkindern, die soeben ihr neues Domizil im grünen, ledergebundenen Buch einweihen. Der feine Holzschliffgeruch macht ihn noch hungriger. Die Schimmelpilze gegenüber raunen über die ungewohnte Hektik. Und wieder dringt ein Lichtstrahl in die hinteren Ritzen, wo sich die Staubläuse verkriechen. Die Ratten putzen sich die letzten Krümel des aromatischen Bildbandes aus den Barthaaren und klopfen nun mit ihren nackten Schwänzen rhythmisch auf die Holzdielen. Dies ist das Zeichen zur Zusammenkunft: Speispinnen, Holzbohrer, Küchenschaben, Hausböcke, Milben, Mäuse, Staubläuse und Holzwürmer machen sich auf den Weg. Den beissenden Geruch von Wollwachs, Bleichmittel, Leim, Ochsengalle und Fleckenmittel in der Nase.
Die Schweiz veredelte im letzten Jahr den Rohstoff Holz an 18 Standorten zu 1,7 Millionen Tonnen Papier und Karton. Vor hundert Jahren wurden 99 Prozent des Papiers für Bücher verwendet. Heute ist es etwa noch ein Prozent.
Das Papier im Buch «Für heutige Buchauflagen, die sich hier zu Lande im Rahmen von 1000 bis 15 000 Stück bewegen, verwenden wir vorwiegend Bogenpapiere», stellt Jürg Bigler von der Druckerei Stämpfli in Bern fest. «Nur bei grossen Produktionsmengen, wie bei ‹Harry Potter›, lohnt sich der Einsatz von grossen Papierrollen.» Verlage wenden sich an Druckereien. Gemeinsam wird das Papier ausgewählt. Für Bücher werden vorwiegend ungestrichene, holzhaltige oder holzfreie grafische Papiere benutzt. Der Griff in die Seiten macht spürbar, durch welches Verfahren das Papier entstanden ist. Rund 400 000 Tonnen grafisches Papier wurden letztes Jahr umgesetzt und auch zu Broschüren, Werbedrucksachen und Geschäftsberichten verarbeitet. Genaue Zahlen über die reine Buchproduktion gibt es nicht. In der Branche weht ein rauer Wind. Generell sinkt der Papierverbrauch. Bei den grafischen Papieren hat in den letzten fünf Jahren ein Einbruch von etwa zehn Prozent stattgefunden. Viele Fabriken setzen deshalb auf Nischenprodukte. Die Firma Ziegler Papier in Grellingen führt dennoch ein breites Sortiment. Für Verkaufsleiter Benno Henz sind für kleinere Unternehmen ein hoher Qualitätsstandard und gute Kundenbetreuung elementar: «Wir engagieren uns stark in der Buchproduktion. Von 78 neuen Büchern sind im letzten Jahr neun mit Ziegler Papieren realisiert worden. Daneben ist der Auslandmarkt ein wichtiges Standbein. Wir exportieren bis zu 50 Prozent.» Fast alle Firmen der Branche haben einen derart hohen Exportanteil. «Papierproduzenten sind heute nicht unbedingt vom inländischen Markt abhängig», erklärt Martin Häberli vom Verband der Schweizerischen Zellstoff-, Papier und Kartonindustrie. Die Papierproduktion benötigt viel Energie. Für eine Tonne Papier werden hundert Tonnen Papierbrei entwässert. Die steigenden Rohstoffpreise sorgen für Konzentrationen; grosse Konzerne entstehen, kleinere Unternehmen schliessen. Martin Häberli: «Ausschlaggebend sind Produktionsstärken, hohe Auslastung und eine gute Vernetzung.» Doch alle sind überzeugt, dass uns das Papier auch weiterhin im Alltag begleitet. Auch wenn die Entwicklung von elektronischen Büchern bereits Tatsache ist. Text und Bild: Sabine Nussbaumer
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Inhalt
E D I TO R I A L
Das Buch Neugierig schaut das Mädchen hinter ihrem grossen Buch hervor. – Bücher sind ein grosses Thema für die Beilage, dachten wir, die elf Teilnehmerinnen und Teilnehmer des siebzehnten Journalismuslehrgangs an der EB Zürich. Die Recherchen dazu brachten Historisches, Aktuelles, Skurriles und Amüsantes zu Tage. Den Grundstein für die Verbreitung von Büchern legte Johannes Gutenberg im fünfzehnten Jahrhundert mit seiner revolutionären Erfindung des Buchdrucks. Bis in die Gegenwart gelten Bücher aber auch immer wieder als Anstifter zu nicht systemkonformem Denken und Handeln. Die erste Bücherverbrennung ist in der Bibel erwähnt und die deutschen Nationalsozialisten versuchten 1933, den Inhalt von rund 2000 Büchern zu vernichten. Doch Gedanken lassen sich nicht verbrennen, lediglich der Rohstoff, auf dem sie gedruckt sind. Und selbst verschiedene Kleinstbewohner, die sich besonders wohl fühlen in alten Büchern, räumen ihr Feld nur widerwillig. Seine Gedanken niedergeschrieben hat Bruder BennoMaria Kehl, der Gassenarbeiter, der eigentlich gar kein Buch schreiben wollte. Jene wiederum, die unbedingt ein Buch schreiben wollen, aber keinen Verleger finden, veröffentlichen in Eigenregie. Umgekehrt gilt das Tagebuch als intimes Werk nur für den Verfasser. Persönlich ist auch das Lieblingsbuch, das in schlechten Zeiten zum Lebensberater werden kann. Einen «Boom» erlebt zurzeit das Hörbuch, stellt der Schweizer Buchhändler- und Verlegerverband fest. 130 000 Titel sind im deutschsprachigen Raum auf dem Markt. Ebenfalls im Trend liegt der Comic. Fette Brötchen kann man damit jedoch nicht verdienen. Und da Bücher leider teuer sind, hat sich ein Amerikaner vor fünf Jahren ein System ausgedacht, bereits gelesene Bücher unentgeltlich weiterzugeben. Bleibt noch das Bücherlesen einfach zu geniessen – an einer Oberwalliser Märchennacht oder mit Barbara Hutzl-Ronges Sachbuch «Magisches Zürich». Text und Bild: Susanne Devaja
Totenuhr und Zuckergast
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Das Papier im Buch
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Editorial, Impressum
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Finden, lesen und liegen lassen
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«Die Konkurrenz ist gross»
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Der Weg zum eigenen Buch
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«Es war ein innerer Impuls»
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Ein Tor in alte Welten öffnet sich
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Begonnen hat alles im Wallis
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Keine Zeitung ohne Gutenberg
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Bücher können brennen – Gedanken nicht 19 «Von Comics leben? Vergessen Sie's!»
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Lieblingsbücher fürs Leben
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IMPRESSUM Die Beilage erarbeiteten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer des Lehrgangs «Journalismus für Quereinsteigende» im dritten Semester». BETEILIGTE JOURNALISTINNEN UND JOURNALISTEN Maja Bisig, Susanne Devaja, Gabi Heussi, Monika Hurni, Brigitte Meier, Sabine Nussbaumer, Joachim Schmidt, Andrea Schmocker, Corine Turrini Flury, Ursi Vetter, Barbara Weber REDAKTIONELLE LEITUNG Nikolaus Stähelin, Christian Kaiser BILDREDAKTION Claudia Bruckner KONZEPT UND GESTALTUNG Peter Schuppisser Tschirren, Atelier Versal, Zürich
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Bookcrossing: Finden, lesen und liegen lassen Von Susanne Devaja «In die Wildnis freilassen», nannte der amerikanische Ideenliferant, Ron Hornbaker, das Bookcrossing bei dessen Lancierung 2001. Gleich dem Motto «Regalhaltung ist Tierquälerei» bringen heute weltweit an die 500 000 Leseratten ihre Schmöker in Umlauf. In der Schweiz gibt es über 4000 Bookcrosser, die knapp 29 000 Bücher registriert haben. Der Kanton Zürich führt die Schweizer Statistik mit fast 1000 Bookcrossern an. Das Prinzip ist so einfach wie bestechend: Wer ein Buch in die Wildnis aussetzen möchte, bezieht unter www.bookcrossing.com eine Registriernummer, überträgt diese ins Buch und lässt es irgendwo liegen. Der Finder kann anhand der Nummer nachlesen, woher das Buch kommt und wer es wann und wo ausgesetzt hat. Nach dem Lesen lässt er es wieder frei. Regional finden regelmässig Treffen, sogenannte Stammtische, statt, so auch in einem Zürcher Café an der Josefstrasse, wie das Internet preisgibt. In einem Schrank stünden im Schnitt 60 Bücher, mit und ohne Registriernummer, heisst es vor Ort. Auch die Schlieremer Stadtbibliothek griff letzten Winter die Idee auf. 300 Bücher fanden, im Bus oder in der Bahn ausgelegt, neue Leser. Laut Bibliotheksleitung haben es die Bücher bis über die Kantonsgrenzen geschafft. Im November werden in Schlieren wieder Bücher freigelassen.
Das Hörbuch erlebt zurzeit einen Boom. Vor fünf Jahren noch ein Nischenprodukt, gehören Bücher fürs Ohr, mit jährlichem Umsatzwachstum im zweistelligen Bereich, heute zum Sortiment jeder Buchhandlung.
«Die Konkurrenz ist gross» Beim Schweizer Buchhändler- und Verlegerverband, SBVV, ist man erstaunt, wie gut Hörbücher sich derzeit in der Schweiz verkaufen. «Der Buchhandel steigt auf die Hörbücher ein», sagt Manuel Batschelet dazu. Er ist beim SBVV verantwortlich für die Bestsellerlisten, die seit Januar wöchentlich auch die bestverkauften Hörbuchtitel erfassen. 130 000 Titel aus rund 500 Verlagen sind im deutschen Sprachraum momentan lieferbar. Die jährlichen Umsatzzuwachsraten lagen in den letzten Jahren konstant im zweistelligen Bereich. Im Jahr 2005 erzielte die Warengruppe vierzehn Prozent mehr Umsatz als im Vorjahr. Vorteile gegenüber dem gebundenen Buch sind einerseits die meist tieferen Produktionskosten und andererseits, dass im Gegensatz zu den gebundenen Büchern keine Preisbindung besteht. Einer der Ersten, der im deutschen Sprachraum Hörbücher produzierte, war der Zürcher Kein & Aber Verlag, der 1997 gegründet wurde. Sein erster Titel «Pu der Bär», gelesen von Harry Rowohlt, ist seither über 600 000-mal verkauft worden. «Die Konkurrenz ist enorm gewachsen, unser Absatz ist deshalb nicht viel grösser als vor neun Jahren», so Joachim Leser, Pressesprecher von Kein & Aber. Der kleine Verlag ist bekannt für sein literarisches Programm und seine qualitativ hoch stehenden Hörbücher. «Ich glaube nicht, dass Hörbücher je einen höheren Marktanteil als zehn Prozent erreichen werden», so Joachim Leser. Einig ist man sich, dass Hörbücher keinesfalls das gebundene Buch verdrängen werden. «Hörbuchliebhaber sind Leute, die grundsätzlich an Literatur interessiert sind», sagt dazu Margaux de Weck. Sie ist bei Diogenes verantwortlich für die Hörbuchproduktion. Der renommierte Zürcher Verlag gibt seit letztem Herbst eigene Hörbücher heraus, aktuell sind zwölf Titel im Sortiment. Alles Hörbücher, die bei Diogenes bereits in Buchform erschienen sind. In nächster Zeit sollen vor allem auch ältere Titel aus dem Katalog aufgenommen werden. «Bis nächsten Herbst werden wir insgesamt 28 Hörbücher anbieten», so de Weck. Das Diogenes-Hörbuch «Blutige Steine» von Donna Leon, diesen Frühling herausgekommen, verkauft sich sehr gut und war mehrere Wochen auf Platz eins der SBVV-Bestsellerliste. Margaux de Weck freut sich darüber, sagt aber: «Gebunden hat sich der neue Krimi von Donna Leon aber noch zehnmal besser verkauft.» Text und Bild: Andrea Schmocker
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Der Weg zum eigenen Buch
Bruder Benno-Maria Kehl baut mit seinem Erstlingswerk «Das Lied des Lichts» eine Brücke zwischen der christlichen Tradition und dem gelebten Glauben unserer Zeit. Am 4. Oktober 2006 findet in der Buchhandlung von Matt in Zürich eine Autorenlesung statt.
«Es war ein innerer Impuls» «Eigentlich wollte ich kein Buch schreiben. Ich suchte nach einem Weihnachtsgeschenk für meine Gassenmitarbeiter. Daher schrieb ich meine Gedanken zum Sonnengesang von Franz von Assisi auf», sagt der Franziskanermönch, der als Streetworker mit Drogensüchtigen arbeitet. Aus einem inneren Impuls heraus befasste er sich mit den Elementen Feuer, Wasser, Luft und Erde. Der Mensch soll sich durch den Sonnengesang der gesamten Schöpfung – den Menschen, den Tieren und Pflanzen genau so wie den Kräften der Natur – verbunden fühlen. Der Provinzial des Klosters Werd machte Bruder Benno darauf aufmerksam, dass er für die Veröffentlichung seiner Gedanken eine kirchliche Druckerlaubnis anfordern müsse. Als diese nach einem Jahr eintraf, motivierten ihn seine Gassenmitarbeiter, aus seinen Gedanken ein Buch zu realisieren. Der deutsche Verlag «Diederichs Gelbe Reihe» gab grünes Licht für die Veröffentlichung und sagte ihm zugleich, dass primär der Autor und erst in zweiter Linie der Inhalt verkauft werde. «Dieses Rampenlicht nutze ich, um Hoffnung zu verbreiten und um den Kontakt zu den Mitmenschen zu pflegen.» Durch eine deutsche Journalistin ist das Buch des Franziskanermönchs bis zum Papst gelangt. Von diesem hat er den apostolischen Segen erhalten. Bruder Bennos Buch ist nun bereits in der dritten Auflage erhältlich. «Die grosse Nachfrage erstaunt mich. Angefangen beim Kiffer über die Homöophatin bis hin zum Manager könnte die Leserschaft nicht unterschiedlicher sein», bemerkt Bruder Benno. Schon als kleiner Junge war er fasziniert vom heiligen Franz, der mit den Tieren reden konnte. Das berühmte Gebet «Sonnengesang» erlebt er täglich neu als Initiation auf seinem Glaubensweg. Er gibt diese heilsame und befreiende Erfahrung begeistert an spirituell Suchende aller Glaubensrichtungen weiter. Den Erlös des Buches wird Bruder Benno, der auf der Insel Werd im Bodensee wohnt, vollumfänglich der Gassenarbeit zukommen lassen. «Auch wenn die Insel eine Oase des Friedens ist, bin ich kein frommer Eigenbrötler. Ich liebe die Gesellschaft, lache gerne und reise oft», betont Bruder Benno. In diesem Frühjahr zog es den Franziskaner, ursprünglich gelernter Schreiner, mit seinem ehemaligen Lehrmeister nach Afrika. «Die Armut und der tägliche Überlebenskampf haben mich tief beeindruckt.» Aus dem Tagebuch über den Afrikaaufenthalt soll nun sein zweites Buch entstehen. Text und Bild: Ursi Vetter
Von Monika Hurni Ein Buch zu schreiben, ist schwierig. Noch schwieriger ist es, einen Verleger zu finden. Diese Erfahrung hat auch der Neeracher Willi Weiss gemacht. «Mein erstes Manuskript habe ich bestimmt an zehn Verlage geschickt, ohne den geringsten Erfolg», erzählt der ehemalige Pilot. Dank seinem Durchhaltewillen hat es dann doch noch geklappt. Jedenfalls fast. Er hat einen Verlag gefunden, der bereit war, seinen Erstling – die Geschichte eines Pilotenschülers, der nach einem Flugzeugabsturz nach dem Sinn des Lebens sucht – zu veröffentlichen. Allerdings musste er sich an den Kosten beteiligen. «Auf Anraten des Verlags habe ich mich damals für eine viel zu hohe Auflage entschieden», erinnert er sich. Ausserdem habe sich der Verlag nur in groben Zügen an seine Versprechungen bezüglich der Werbung gehalten. Heute lässt der Autor seine Manuskripte direkt bei einer Druckerei als Taschenbuch produzieren. Den Umschlag gestaltet er selber oder mit Hilfe seines Sohnes, der als Grafiker tätig ist. Auf diese Weise hat er bereits vier weitere Bücher herausgebracht. «Das Schreiben macht mir grossen Spass», erzählt Willi Weber. «Das Gute dabei ist, dass ich völlig frei bin und nicht davon leben muss.» Sein letztes Buch, in dem er auf 50 Jahre bei der Swissair zurückblickt, wurde mit rund 900 Exemplaren gut verkauft. Zufällig erschien es zur Zeit des Groundings. Da zeigt sich, dass Erfolg oft auch von einem Quäntchen Glück abhängt.
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Begonnen hat alles im Wallis Von Brigitte Meier Wenn die Tage kürzer und die Nächte länger werden, entführen spannende, traurige, schöne und gruslige Erzählungen ins Reich der Fantasie und der Geschichten. Immer am zweiten Freitag im November wird vorgelesen, geschrieben, rezitiert, inszeniert und natürlich erzählt. Und zwar überall im ganzen Land, in der gleichen Nacht und unter dem gleichen Motto. Begonnen hat die Schweizerische Erzählnacht im Wallis, wo Sagen und Geschichten eine grosse Bedeutung haben. Der Lehrer Kurt Schnidrig initiierte 1990 eine Oberwalliser Märchennacht. Sie hat ihren Ursprung in der «Stubete», dem Zusammensitzen und Geschichtenerzählen am Holzofen in der Stube. In der Winterszeit war dies aus ökonomischen Gründen oft der einzige beheizbare Raum. Unter der Obhut des ehemaligen Bundes für Jugendliteratur weitete sich die Märchennacht rasch zu einem gesamtschweizerischen Anlass aus. Am 10. November 2006 findet die Schweizer Erzählnacht bereits zum 16. Mal statt. Das Thema lautet: «Freunde? Freunde!». Organisiert wird sie vom Schweizerischen Institut für Kinderund Jugendmedien (SIKJM) Zürich in Zusammenarbeit mit Bibliomedia und Unicef Schweiz. Erzählnächte haben sich als lustvolle Möglichkeit der Leseförderung etabliert und erfreuen sich steigender Beliebtheit. Allein 2005 fanden über 450 Erzählnächte in Schulen, Buchhandlungen und Bibliotheken statt.
Bücher über Sagen, Mystisches und Kraftorte erobern den Markt. Mit ihrem dritten Buch, «Magisches Zürich», wandert die 42-jährige Astrologin Barbara Hutzl-Ronge durch die Zeiten und zeigt neue Zugänge zu sagenumwobenen Orten.
Ein Tor in alte Welten öffnet sich EB Kurs: Sie beschäftigen sich schon seit 20 Jahren mit Sagen und Kultorten. Wie erklären Sie sich das gegenwärtig grosse Interesse daran? Barbara Hutzl-Ronge: Das Leben in unserer Gesellschaft ist anstrengend, Flexibilität und Mobilität werden hoch bewertet. Die rationale Denkweise herrscht vor und es entsteht eine grosse Sehnsucht, sich wieder mehr mit der Natur zu verbinden, sich beispielsweise an eine alte Eiche zu lehnen. Viele Menschen suchen daher nach Orten, an denen sie sich erholen können, weil sie diese Orte als Kraft spendend erleben. In Ihrem Buch führen Wanderungen an verschiedenste Orte der Kraft. Inwiefern sehen Sie die Verbindung zur Sagenwelt? Sagen beschreiben in poetischen Bildern, welche Kraft an einem Ort wirkt. Geschichten von alten Mütterlein, die in der Nähe einer Quelle wohnen, sind dafür ein schönes Beispiel. Sie greifen die antike Vorstellung auf, in der ebenfalls Göttinnen als Hüterinnen der Quellen walteten. Jede Quelle wurde als Tor in die Anderswelt betrachtet, das von einer Quellfrau gehütet wurde. Wie können wir die Magie dieser Orte wieder entdecken? Der Zauber zeigt sich, wenn wir «gwundrig» zu den Orten wandern. Der Charakter von Kraftorten ist erlebbar, aber auch über seine Geschichte erkennbar. Zu bemerken, dass wir nicht erst weit ins Ausland reisen müssen, um bedeutende Kultorte zu besuchen, sondern, dass es diese direkt vor unserer Haustüre gibt, empfinden viele Leser als bereichernd. Sie fordern die Leser oft auf, darauf zu achten, wie der Ort auf sie wirkt. Können Kraftorte unterschiedlich wirken? Die einen reagieren auf Orte emotional, andere verspüren körperliche Empfindungen, manche haben gedankliche Eingebungen. Die Wahrnehmung der Menschen kann also recht unterschiedlich sein. Ganz wichtig ist, herauszufinden, welche Orte einem in der aktuellen Situation gut tun. Zum Beispiel? Wer den Lindenplatz in Zürich besucht, geniesst den weiten Blick über die Stadt. Wenn man gerade nach etwas Überblick im eigenen Leben sucht, kann dies ein wohltuender Ort sein. Was kann man von den spirituellen Geschichten ins Heute mitnehmen? Dass sie eine Wahrheit darüber erzählen, was für uns Menschen über die rationale Wirklichkeit hinaus wichtig ist, was wir als kraftvoll und lebendig machend empfinden. Sie sind Wegweiser zu sagenhaft schönen Orten. Interview: Maja Bisig, Bild: André Bisig
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Keine Zeitung ohne Gutenberg
Bücherverbrennungen kommen aus weltanschaulichen und moralischen Gründen immer wieder vor. Selbst in demokratischen Staaten gibt es heute noch vereinzelte Verbrennungsaktionen.
Bücher können brennen – Gedanken nicht Einzigartig in ihrem Umfang und ohne jeden Vergleich in der Radikalität, mit der Schriftsteller öffentlich verfemt wurden, waren allerdings die nationalsozialistischen Bücherverbrennungen des Jahres 1933: Auf dem Opernplatz in Berlin und in anderen Universitätsstädten landeten rund 20 000 Bücher von als «undeutsch» bezeichneten Autoren wie Karl Marx, Heinrich Heine, Kurt Tucholksky, Erich Kästner oder Sigmund Freud auf dem Scheiterhaufen. Die erste Bücherverbrennung ist in der Apostelgeschichte der Bibel beschrieben. Bis in die Gegenwart gelten Bücher immer wieder als «Anstifter» zu nicht systemkonformem Denken und Handeln. Sie werden als Feinde der Gesellschaft oder des politischen Systems betrachtet. So verbrannte 1973 die Militärjunta nach Pinochets Putsch in Chile marxistische Schriften. 1988 betitelten Muslime in England «Die Satanischen Verse» von Salman Rushdie als gotteslästerlich und zündeten diese an. Die Gedichtbände von Khalil Gibran zählten ebenfalls schon zu den Opfern. Die wahrscheinlich erste Bücherverbrennung im 21. Jahrhundert traf J. K. Rowlings «Harry Potter». Mitglieder der «Harvest Assembly of God»-Kirche in Pittsburgh verbrannten die Romane mit der Begründung, sie würden Zauberei und Hexentum verherrlichen. Der Zauberlehrling befand sich übrigens in bester Gesellschaft: CDs und Videos von Pearl Jam und Black Sabbath landeten gleichzeitig auf dem Scheiterhaufen. Der Schriftsteller Orhan Pamuk ist ein scharfer Kritiker der türkischen Kurdenpolitik und der offiziellen Haltung zum Genozid an den Armeniern. Aus diesem Grund sollten seine Bücher 2005 vernichtet werden. Vor kurzem berichtete das US-Magazin «Newsweek» über angebliche Koran-Schändungen im US-Gefangenenlager Guantánamo. Der Bericht löste nicht nur in Pakistan, das die USA im Anti-Terror-Kampf unterstützt, grosse Empörung aus. Ein Schwelbrand zerstörte im September 2004 einen grossen Teil der Herzogin-Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar. 50 000 Bücher konnten gerettet werden, darunter eine echte Lutherbibel von 1534. Damit hat Martin Luther nach fast 500 Jahren nochmals über Kaiser Karl V. triumphiert – bereits im Jahr 1521 erliess jener ein Mandat zur Verbrennung von Luthers Schriften. Text: Brigitte Meier, Bild: Beni Meier
Von Gabi Heussi Im bewegten 15. Jahrhundert, in der die Schriftlichkeit auch ausserhalb der Klostermauern deutlich zunimmt, entwickelt Johannes Gutenberg die erste Schreibtechnik. Diese hat bis ins 20. Jahrhundert Bestand. Während vor Gutenbergs Zeit Texte in Holz geschnitzt und gedruckt oder vollständig abgeschrieben wurden, bringt er mit seiner Erfindung von Setzkasten und Druckstock neue, revolutionäre Möglichkeiten. Mit seinen ersten Druckerzeugnissen imitiert er Handschrift, übernimmt Kolumnenaufteilung, Rubrizierung sowie Schriftarten. Er löst die Texte in ihre kleinsten Bestandteile, die 26 Buchstaben des lateinischen Alphabets, auf. So müssen nur noch die Buchstaben geschnitten und gegossen werden. Sie stehen danach immer wieder für beliebige Texte zur Verfügung. Ein genaues Geburtsdatum Gutenbergs ist nirgends festgehalten. Sicher ist, dass er um die Jahrhundertwende in Mainz, in eine Welt von lauter Analphabeten, geboren worden ist. Er hat nach der «Gemeinschul» die Universität in Erfurt besucht. Dank seinem handwerklichen Geschick und wagemutigem kaufmännischen Denken gelingt es Gutenberg, mit seinen drei Gesellschaftern einen Vertrag einzugehen. Darin verpflichten sie sich, über seine Erfindung Stillschweigen zu bewahren, was bis in die heutige Zeit immer wieder als «Geheimnis um Gutenberg» gedeutet wird. Diese Verpflichtung ist jedoch nichts anderes als kaufmännisches Kalkül.
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Lieblingsbücher fürs Leben Von Barbara Weber Nicht nur Kleider machen Leute, auch die Lieblingsbücher und Lieblingsautoren zeigen ein Stück Persönlichkeit. Sie begleiten einen oft ein Leben lang: Da berichtet eine viel belesene Seniorin, dass das Lesen der PlatonDialoge ihr in jungen Jahren das Leben gerettet hat. Sie dachte damals an Suizid. Eine andere leidenschaftliche Leserin, um die Dreissig und in zappenden Zeiten aufgewachsen, staunt selber, dass ihr Lieblingsbuch seit zehn Jahren dasselbe ist – «Der Fänger im Roggen» von J.D. Salinger. Das Buch sei für sie immer wieder lesenswert, weil es die Optik, die Sichtweise, die Welt «verschiebe». Auffallend oft kehren Menschen mit ihren Lieblingsbüchern zurück in die Kindheit, etwa mit SaintExupérys «Der kleine Prinz», mit Klaus Schädelins «Mein Name ist Eugen» oder (Geheimtipp) mit den Jugendautorinnen Edith Nesbit oder Elizabeth Goudge. Beide haben lange vor Michael Ende dem Kind eine richtige Rolle zugeteilt. Die Bücher bleiben deshalb auch für Erwachsene attraktiv. Offen ist die Frage, ob man sein eigenes Lieblingsbuch weiterschenken soll. Wer von Berufs wegen mit Büchern zu tun hat, ist eher vorsichtig: Was den einen gefällt, kann andere kalt lassen. Lieblingsbücher sind oft eine persönliche Sache. Als Schenkende sind wir schnell verletzt, wenn die Beschenkten unberührt bleiben. Leichte Lektüre, ein Ferienschmöker oder ein mitreissender Krimi sind unverfänglicher.
«Erwachsenen-Comic ist Schundliteratur», war vor den Jugendunruhen der 80er Jahre noch zu hören. Heute ist der Comic akzeptierter denn je – auch in der Deutschschweiz. Trotzdem kann niemand seine Brötchen damit verdienen.
«Von Comics leben? Vergessen Sie's!» Zum siebten Mal werden diesen Herbst Comics an der Frankfurter Buchmesse vertreten sein. An der Buchmesse in Basel im letzten Frühling waren sie zum zweiten Mal mit dabei. Auch Hollywood hat den Braten gerochen und verfilmt, äusserst erfolgreich, einen Comic nach dem anderen. «Die Akzeptanz gegenüber Comics in der Gesellschaft ist gestiegen», freut sich Christian Messikommer, Organisator der Zürcher Comic-Börse. Diese findet zweimal jährlich statt und kann pro Anlass auf ein treues Publikum von knapp 1500 Personen zählen. Vom Teenie bis zum Rentner; Comicliebhaber sind in allen Generationen vertreten. Nun ist man versucht zu glauben, dass dem Comic ein goldenes Zeitalter bevorsteht. Christian Messikommer winkt ab: «Hier in der Deutschschweiz wird der Comic nie, wie in Frankreich oder Belgien, zu einem Kulturgut werden. Kein Comiczeichner kann bei uns von seinem Beruf leben». Hannes Binder aus Zürich ist seit der Geburtsstunde des Deutschschweizer Comics in den 80er Jahren einer der erfolgreichsten Comiczeichner. Durch seine Friedrich-Glauser-Adaptionen hat er bis über die Szene hinaus Berühmtheit erlangt. Das kürzlich erschienene Sammelwerk dieser Krimi-Serie «Nüüd appartigs» ist in der Comicszene zum Bestseller avanciert, «Glausers Fieber» gar vergriffen. «Ob ich davon leben kann? Das können Sie vergessen», sagt er ernüchternd. Er halte sich mit Vorträgen, Lehrerjobs und Illustrationen über Wasser. Die Szene sei einfach zu klein, um viel Geld zu verdienen, sagt er. Auch Christian Messikommer weiss: «Comic ist ein farbiges Printprodukt und darum sehr teuer; zu teuer für die Jugendlichen. Zudem drucken die Verlage jeweils nur kleine Auflagen», erklärt er. Wie der ganzen Literaturbranche weht nun auch dem Comic ein eisiger Wind entgegen. Der Markt sei am Einbrechen, sagt Messikommer und fügt resigniert hinzu: «Früher hat es in Zürich fünf Comicbuchläden gegeben, heute gibt es noch zwei.» Hannes Binder hat sich aus der Comicszene zurückgezogen. Der bald 60Jährige zeichnet nun Bilderbücher für Kinder und Erwachsene, eine Form, die ihm als Zeichner mehr Freiheiten lässt als der Comic, wo die Bilder «auf Briefmarkengrösse begrenzt sind», wie er sagt. Auch im Bilderbuchsegment bleibt der Goldregen leider aus, doch Hannes Binder betont: «Ich will mich nicht beklagen, denn es ist eine sehr schöne Arbeit.» Text: Joachim Schmidt, Bild: aus «Der Chinese» von Hannes Binder
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Illustration: Eva Kläui
TIPPS UND TRICKS
WOLFSGEHEUL ODER GIRAFFENGESANG? Konflikte vermeiden. Wer hat nicht schon Dinge gesagt, die später Leid taten? Die gewaltfreie Kommunikation nimmt die gegenseitigen Bedürfnisse wahr und ernst und beugt so Verletzungen vor. Man fühlt sich angespannt oder bedrückt, besorgt, durcheinander, erschöpft, hilflos, ruhelos,schuldig,traurig,unglücklich,unter Druck,unruhig oder unzufrieden.Wieder einmal hat ein Gespräch nicht zum gewünschten Ergebnis geführt, sondern ist in einen regelrechten Krach ausgeartet. Warum nur? Schuld daran ist die Wolfssprache, die mit verletzenden Worten heftige Reaktionen provoziert. Wer hingegen das ABC der gewaltfreien Kommunikation beherrscht, lernt solche unerwünschten Verbalspiralen vermeiden. Sie oder er bedient sich dann der Giraffensprache; diese ist eine einfühlsame, verbindende Sprache, denn die Giraffe hat das grösste Herz. DIE VIER SCHRITTE GEWALTFREIER KOMMUNIKATION: 1. Ereignis beschreiben: Am Anfang steht die nicht wertende Beobachtung ohne Verallgemeinerungen oder Interpretationen. Beispiel: «Wenn ich sehe / höre, dass ...» 2. Gefühl beschreiben: «Fühle ich ...». Zentral ist, die Verantwortung für negative Gefühle nicht beim Gegenüber sondern bei sich selbst zu suchen und das entsprechend zu formulieren. Negative Gefühle entstehen aufgrund unbefriedigter Bedürfnisse. Wichtig ist deshalb, die eigenen Bedürfnisse zu ergründen, sich aber auch derjenigen der anderen bewusst zu werden. 3. Bedürfnis beschreiben: Das eigene Grundbedürfnis wird beschrieben: «Weil ich ... brauche / möchte ...» Bedürfnisse können wir nur für uns persönlich haben, also sind Formulierungen wie «weil du» im Zusammenhang mit Bedürfnisformulierungen Tabu. 4. Wunsch formulieren: «Und deshalb bitte ich dich / wünsche ich mir ...». Eine Bitte ist keine Forderung, sondern lässt die Möglichkeit offen, nein zu sagen, wenn beim Gegenüber andere Bedürfnisse vorliegen, die es zu berücksichtigen gilt. Beispiel: «Wenn ich höre,dass du zu spät gekommen bist,weil du noch jemanden getroffen hast, dann bin ich frustiert, weil ich mich auf Abmachungen verlassen möchte. Und deshalb bitte ich dich, mir jetzt zu sagen, ob du in Zukunft bereit bist, die abgemachten Zeiten einzuhalten.» Wer sich eingehender mit dem Thema befassen möchte, findet einen ersten Überblick über die gewaltfreie Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg unter www.gewaltfrei.de.
Kurse aus dem Bereich Kommunikation Gewaltfreie Kommunikation Die Methode der gewaltfreien Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg macht alle Beteiligten auch in schwierigen Situationen handlungs- und entscheidungsfähig. Wichtig sind Respekt und Gleichwertigkeit. Konflikte erkennen – Konflikte lösen Um Konflikte zu lösen, braucht es Mut, Toleranz und Durchsetzungsvermögen. An eigenen Beispielen werden neue Strategien erarbeitet und die Fähigkeiten erweitert, um friedlich mit anderen umzugehen. Weitere Infos und Anmeldung unter www.eb-zuerich.ch
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PERSÖNLICH
THEATER ZWISCHEN UND BURKINA FASO
Rollenspiele, Denkprozesse. Körpergefühl, Selbstsicherheit und Kommunikationsfähigkeit vermittelt der Kursleiter Roger Nydegger den Kursteilnehmenden an der EB Zürich. Als passionierter Theatermacher pendelt er zwischen Zürich und Westafrika. Von Charlotte Spindler
Wohin an diesem heissen Sommernachmittag im Zürcher Stadtkreis 4? Ins nahe Hinterhofgärtchen der Genossenschaft Dreieck, wo Roger Nydegger schon gelebt hat, als das ganze Häusergeviert vom Abbruch bedroht war und die Bewohnerinnen und Bewohner mit Phantasie und Hartnäckigkeit für den Erhalt der Wohn- und Gewerbebauten kämpften? Oder lieber am Tischchen vor der Bar sitzen, wo immer wieder mal jemand vorbeikommt, stehen bleibt und ein paar Worte mit Roger Nydegger wechselt? Der Theaterschaffende ist in seinem Quartier eine bekannte Person: Nicht zuletzt durch die beiden temporeichen und witzigen Spielfilme, die er mit 30, 40 Kindern aus der Umgebung gedreht hat und für die er mit einem Preis ausgezeichnet worden ist. Neben der professionellen Theaterproduktion arbeitet Nydegger gern mit Kindern. Oder auch mit älteren Menschen: Für das Tanztheater Dritter Frühling hat er 65-jährige Tanzbegeisterte und jugendliche Breakdancer in einer Produktion zusammengebracht. Das Spontane, nicht so Glattgekämmte findet er im Theater spannend: «Ich liebe die Arbeit mit den Menschen und all ihren Unzulänglichkeiten», meint er; neue Herausforderungen stehen ihm näher als Sicherheiten, selbst wenn er diese manchmal vermisse. ARBEITEN IN AFRIKA. Auch seine Theaterengagements in Afrika sind Herausforderungen. Jedes Jahr, meistens während zwei Monaten, arbeitet der Regisseur und Theatermacher in Afrika, die letzten Jahre in
Bilder: Reto Schlatter
PERSÖNLICH
Roger Nydegger lebt es vor: Der Spieltrieb sollte nie verloren gehen.
ZÜRICH Burkina Faso. In Kontakt zu Theaterleuten aus afrikanischen Ländern kam er als Schauspieler in einem Stück des nigerianischen Autors Wole Soyinka in Leeds im Norden Englands.Das war vor etwa zehn Jahren. Kurz darauf konnte er in Ägypten mit arabischen Theaterprofis ein Stück für Kinder inszenieren und wirkte als Schauspieler mit. Die über 40 Aufführungen vor bis zu 1000 begeisterten Kindern waren für ihn ein Schlüsselerlebnis. Später kamen Auftragsarbeiten in Westafrika hinzu, u.a. unterstützt von Pro Helvetia und Schweizer Hilfswerken. «In Afrika habe ich mich selten gefragt, warum ich überhaupt Theater mache», sagt Nydegger, «Theater in Afrika ist anders, weil das Leben dort viel existenzieller ist.» Er erzählt von der Zusammenarbeit mit afrikanischen Theaterschaffenden, von den Tourneen durch Dörfer, die überhaupt noch nie von einer Theatertruppe besucht worden sind, und von seinen aktuellen Projekten in Burkina Faso, unter anderem einer Inszenierung von Shakespeares «Sommernachtstraum», adaptiert auf afrikanische Verhältnisse. «Theater soll bewegen, Denkprozesse in Gang bringen und dabei den hohen künstlerischen Anspruch halten», meint er. LEBENDIGES THEATER. Roger Nydegger, 48, besuchte in den Achtzigern, der Zeit des politisch engagierten und experimentellen Theaters, die «Vorbühne Zürich», damals eine wichtige Ausbildungsstätte für angehende Tanz- und Theaterschaffende. Nach der
dreijährigen Ausbildung war er als Schauspieler bei freien Bühnen in Basel, Bern und Zürich zu sehen und studierte berufsbegleitend Theaterwissenschaft. Ein wichtiger Aspekt war für ihn immer auch die Theaterpädagogik; viel praktisches Know-how konnte er sich als Ensemblemitglied des Jungen Theaters Basel holen. In den letzten Jahren führt Nydegger vermehrt selber Regie; ab und zu taucht sein Kopf auch in Schweizer Spielfilmen auf, zuletzt in «Grounding». Roger Nydegger hat mehrere Standbeine: Im Auftrag der Bildungsdirektion führt er interkulturelle Projektwochen an Volksschulen und Lehrerfortbildungskurse durch und macht Theaterarbeit mit erwerbslosen Jugendlichen. Als Kommunikationstrainer kommt er aber auch in die Führungsetagen von Grossunternehmen, unter anderem ins Assessment-Center einer Grossbank. «Was diese so verschiedenen Aktivitäten verbindet, ist das Theaterspielen», sagt er; «es könnte ein universelles Heilmittel sein, wenn es uns gelingt, dem Spieltrieb in uns wieder Leben einzuhauchen. Rollenspiele beispielsweise lösen oft ganz erstaunliche Veränderungen aus.» SPONTAN UND SELBSTBEWUSST. An der EB Zürich erteilt Nydegger, der hier auch seine Ausbildung zum Erwachsenenbildner SVEB gemacht hat, seit drei Jahren Kurse: «Einführung in die Körpersprache» und «Schlagfertig und spontan reagieren». In diesen Kursen möchte er den Teilnehmenden zeigen, wie sie an den eigenen Stärken arbeiten können und lernen, dass in Auseinandersetzungen «auch mal was zurückkommt», ohne dass das gleich den Weltuntergang bedeutet: «Schlagfertigkeitstraining hebt das Selbstbewusstein.» Fünf Uhr vorbei, Roger Nydegger muss aufbrechen, seine dreijährige Tochter Sona von der Krippe abholen. Er steigt aufs Velo mit dem türkisfarbenen Kindersitz – und verschwindet im Aussersihler Feierabendverkehr.
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KURSFENSTER
AUF ZU NEUEN HORIZONTEN Weiterbildung in der Familienphase. Nur Hausfrau – diese abschätzige Formulierung macht Frauen den Wiedereinstieg ins Berufsleben schwer. Dass sie mehr sind und können, vermittelt ein Kurs der EB Zürich seit Jahren erfolgreich. Von Ilka Stender Organisationstalent mit Managementerfahrung, belastbar und selbständig, sozial kompetent und lösungsorientiert, mit hohem Pflichtbewusstsein, erfahren in Zeit- und Kostencontrolling,äusserst loyal und ausdauernd, hohe Frustrationstoleranz. So steht es an der Tafel und es klingt wie die Ausschreibung für eine Kaderstelle. Brigitte Fuchs ist überrascht, denn dieses Profil soll ihr entsprechen. Die Teilnehmerinnen des Lehrgangs «Weiterbildung in der Familienphase» haben es für sie erstellt – anhand ihres Arbeitsalltags als Hausfrau und Mutter zweier pubertierender Kinder. «Meine Arbeit ist für mich so selbstver-
ständlich, dass ich darin gar nichts Besonderes sehe», sagt Fuchs. «Im Gegenteil: Ich ertappe mich immer wieder dabei, wie ich meine Arbeit abwerte. Ich koche ja nur ein Mittagessen,ich erledige ja nur den Einkauf, ich helfe ja nur den Kindern bei den Hausaufgaben. Und am Ende des Tages habe ich noch das Gefühl, nichts getan zu haben.» Wahrscheinlich wird sie von nun an nicht mehr unsicher von sich sagen,sie sei «nur Hausfrau».Damit hätten Silvia Silberschmidt und Ruth Anner ein wichtiges Ziel des Lehrgangs erreicht: die eigene Arbeit wertzuschätzen und mit Selbstbewusstsein zu ver-
Bild: Reto Schlatter
KURSFENSTER
neu allein für ihre Kinder und den Unterhalt sorgen, wieder andere arbeiten bereits Teilzeit und suchen nach Alternativen zum jetzigen Job oder nach Wegen, um Beruf und Familie besser zu verbinden. NEUE UFER. Auch Diomira Sloksnath war auf der Suche. Neben der Familienarbeit hatte sie bereits eine Ausbildung absolviert und ein Behördenamt inne. «Es war nicht das, was ich wollte, aber ich wusste auch nicht, was ich wollte.» Also entschied sie sich für den Lehrgang als eine Art «Laufbahnberatung in der Gruppe». «Die Gruppe ist gut, weil sie motiviert», erklärt Sloksnath, «allein wäre ich wahrscheinlich bequemer und hätte immer eine Ausrede, warum ich gerade keine Zeit habe, die Dinge in Angriff zu nehmen.» Inzwischen weiss sie auch, was sie will. In sozialpolitischer Arbeit sieht sie ihre Zukunft, für die Ausbildung «Management und Leadership» der EB Zürich ist sie bereits angemeldet. Auslöser war das fiktive Bewerbungsgespräch bei einer Gewerkschaft. Solch ein Gespräch arrangieren die Leiterinnen für jede Frau. Dabei bewerben sich die Teilnehmerinnen bei einem realen Arbeitgeber um ihre Wunschstelle. Das Gespräch ist fiktiv, aber nicht geschönt, Bewerbungsmappe und Lebenslauf werden genauso kritisch betrachtet wie bei einem realen Vorstellungstermin. Die Gruppe gibt Feedback, aus dem die Bewerberin für den Ernstfall lernen kann.
Familienarbeiterinnen: In der Gruppe zu neuen Perspektiven
treten. Silberschmidt und Anner, beide diplomierte Berufs- und Laufbahnberaterinnen, leiten diese Weiterbildung für Frauen, die neben oder nach der Familienarbeit wieder in das Berufsleben einsteigen wollen. Etwa 15 Frauen im Alter von Mitte 30 bis Mitte 50 treffen sich zwei Semester lang einmal pro Woche.Der Lehrgang beginnt mit einer Standortbestimmung, lässt die Teilnehmerinnen ihr Potenzial entdecken, Ziele und Wünsche formulieren und hilft ihnen, diese schliesslich umzusetzen. Neben den Laufbahnberaterinnen arbeiten verschiedene Referentinnen mit den Frauen; sie vermitteln Arbeits- und Lernmethoden oder schulen in Kommunikations- und Präsentationsfähigkeit. Weitere Lernziele sind Körperbewusstsein, Umgang mit Stress und das Schliessen von Bildungslücken. RESPEKT! Die Motivation der Frauen ist unterschiedlich, ebenso ihre Bildung, ihr sozialer, familiärer und finanzieller Hintergrund. Zu spüren ist dies bei den Treffen aber nicht, die Stimmung ist locker, vertraut und wohlwollend. «Wir haben Regeln festgelegt für den Umgang miteinander. Der Respekt des anderen ist Bedingung und dass alles, was gesagt wird, unter uns bleibt»,erklärt Inge Mathis,Hausfrau und Mutter dreier Kinder. Sie besucht den Lehrgang, weil sie herausfinden möchte, wo ihre Stärken und Schwächen liegen, um «die eigene Entwicklung voranzutreiben», wie sie sagt. Andere Teilnehmerinnen müssen
MUT FINDEN. Brigitta Beschart hat sich real beworben, bei der Spitex. Und sie hat die Stelle bekommen! Geträumt hatte sie lange davon, aber sich dann doch nie getraut, den entscheidenden Schritt zu gehen. «Ich habe keine gute Ausbildung und das hat mich immer verunsichert», erklärt die allein erziehende Mutter eines erwachsenen Sohnes. «In der Gruppe habe ich gelernt, an mich zu glauben und selbstbewusst aufzutreten.» Wichtig für diese Entwicklung empfindet sie das Feedback der anderen Kursteilnehmerinnen. «Erstaunlich wie sehr die Wahrnehmung der anderen manchmal von meinem Selbstbild abwich – im positiven Sinn. Und das hat mir gut getan», sagt Beschart. Im zweiten Halbjahr wird jede Teilnehmerin von den anderen eingeschätzt. Sie erfährt, wo diese ihre Stärken und Schwächen, ihre Begabungen und Neigungen sehen. KLAR SEHEN. Auch Monika Steffen hat so eine klarere Vorstellung von ihrem zukünftigen Arbeitsfeld erhalten: Es kristallisierte sich heraus, dass sie ihre Interessen für Umwelt und Natur mit ihrer Stärke im Vermitteln von Inhalten kombinieren sollte. Auch konkrete Berufsbilder standen schliesslich an der Tafel. Berufe, an die Monika Steffen nie gedacht hat, die ihr jetzt aber absolut passend erscheinen. «Dieser Lehrgang ist etwas vom Besten, was ich je gemacht habe», schwärmt sie. «Ich habe mich sehr verändert. Auch meine Umgebung nimmt das wahr und findet, ich sei zufriedener, positiver und selbstsicherer.» Damit diese Wirkung anhält, wollen die Teilnehmerinnen sich auch nach Ende des Lehrgangsregelmässig zum Erfahrungsaustausch treffen.Wie alle Frauen der vorangegangenen Lehrgänge übrigens auch.
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INTERVIEW
EB Kurs: Punkto Investitionen in die Bildung gehört die Schweiz im europäischen Vergleich zur Spitzengruppe. Können wir uns also zufrieden zurücklehnen? Karl Weber: Im internationalen Vergleich investiert die Schweiz tatsächlich weit überdurchschnittliche öffentliche und private Mittel in Bildung und Weiterbildung. Doch damit ist noch nichts darüber gesagt, wie haushälterisch und wirksam diese Gelder tatsächlich eingesetzt werden: Die Pisa-Studien und der Adult Literacy Survey zeigen, dass die Bildungsinvestitionen nicht den Ertrag abwerfen, den man von ihnen erwarten darf. Einige Experten von Weiterbildung weisen darauf hin, dass das Geld nicht optimal verwendet wird. Weshalb werfen die Investitionen in die Weiterbildung zu wenig ab? Das hat mit der fortschreitenden Tendenz zur Überspezialisierung sowie mit der Segmentierung des
Arbeitsmarktes zu tun. Beispielsweise werden in unserem Land im Bereich der KV-Weiterbildung zwischen Fähigkeitsausweis und MBA-Abschluss an der Uni mehr als ein Dutzend Abschlussmöglichkeiten angeboten. Schuld ist also unser Hang zum Spezialistentum? Enge Spezialisierungen sind weder nachhaltig noch innovationsfördernd. Die Verbände als Weiterbildungsanbieter verdienen zudem an Vorbereitungen und Abschlüssen, wodurch partikuläre Interessen gefördert werden. Das Berufsbildungs- und Weiterbildungssystem entwickelt so eine ungesunde Eigendynamik; die weiten Wege führen bei den Weiterbildungsinteressierten zu Frustration und Resignation. Wir müssen uns überlegen, wie wir das Weiterbildungssystem besser strukturieren und nachhaltiger ausgestalten können. Weshalb sind solche Systemfehler nicht schon früher beseitigt worden?
QUALIFIKATION
Im Gespräch. Trotz hohen Bildungsinvestitionen gelingt es der Schweiz zu wenig, bildungsferne Schichten zu Weiterbildung zu bewegen, damit sie arbeitsmarktfähige Qualifikationen nachholen. Professor Karl Weber konstatiert eine sich öffnende Schere zwischen Bildungsarmen und Bildungsreichen und fordert verstärkte Anstrengungen, um sie zu schliessen. Interview: Christian Kaiser
INTERVIEW
Heisst das, wir beziehen qualifiziertes Personal einfach aus dem Ausland, anstatt es selbst heranzubilden? Ausländerinnen und Ausländer sind vor allem bei den Hochqualifizierten und den Ungelernten überdurchschnittlich vertreten. Im Bereich Forschung und Entwicklung etwa beträgt der Ausländeranteil über 40 Prozent, bei den Hilfskräften ist er ähnlich hoch. Die Schweizerinnen und Schweizer hingegen geben sich offenbar gern mit einer Position «au juste milieu» zufrieden. Dorthin steigen wir auf, ohne allzu viel dafür tun zu müssen.
FÜR ALLE
Sind wir zu bequem? Wir neigen zumindest dazu, nur hervorragend ausgebildete Ausländerinnen und Ausländer sowie Hilfskräfte zu «importieren», die unsere Jobs im Mittelfeld nicht gefährden. In Bezug auf das in der Schweiz brachliegende Humankapital, etwa das der in der Schweiz aufgewachsenen Ausländerinnen und Ausländer, gilt Ähnliches: Auch dieses wird schlecht genutzt. Weshalb? Die Hinweise sind klar: Wir sind offensichtlich nicht bedingungslos daran interessiert, alle vorhandenen Bildungsressourcen zu nutzen und schlechter Qualifizierte gezielt zu fördern. Weshalb ist das so? Liegt es allenfalls daran, dass wir lieber den Abstand zu den wenig Qualifizierten erhalten, um unsere bessere Position zu sichern? Es macht den Anschein, als sähen wir Schweizer eine weit geöffnete Schere zwischen Bildungsreichen und Bildungsarmen gar nicht so ungern.
Bilder: Christoph Obrecht
Ein Hauptproblem besteht sicher darin, dass der Mangel an Fachkräften in der Schweiz seit Langem durch Immigrationen bewältigt wird. Das schwächt den Innovationsdruck auf das Bildungssystem. Ausserdem stellt der bisherige Erfolg des Systems eine Hypothek für seine zukunftsorientierte Veränderung dar.
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INTERVIEW
Die Schweiz ist doch stolz auf die Chancengleichheit in ihrem Bildungssystem, wie können Sie da von einer «Bildungsschere» sprechen? Diese Schere existiert: In der Schweiz klafft eine grosse Lücke zwischen Bildungsarmut und Bildungsreichtum. Als bildungsarm werden jene Populationen definiert, die bloss eine obligatorische Schule abgeschlossen haben oder deren Kompetenzniveau gemäss den Pisa-Studien die Stufe 1 nicht erreicht. Unter den 15-jährigen Jugendlichen in der Schweiz absolvieren 12 bis 15 Prozent weder eine Berufslehre noch eine weiterführende Schule, in den älteren Altersgruppen liegt dieser Anteil noch höher. Auf der anderen Seite ist auch der Anteil der Personen mit Hochschulabschluss inzwischen relativ hoch. Dadurch sind die Bildungsprofile – gemessen an Abschlussquoten oder Kompetenzen – in der Schweiz im internationalen Vergleich sehr heterogen. In Ländern wie Finnland weist das Humankapital demgegenüber eine bemerkenswerte Homogenität auf. Weshalb ist das schlecht für unsere Gesellschaft? Die Bildungsarmen bilden den «harten Kern» der Gruppe der Weiterbildungsabstinenten. Entscheidend dabei ist, dass dieser Gruppe Weiterbildung verunmöglicht ist, weil sie ohne einen Bildungsabschluss über keine anschlussfähigen Qualifikationen verfügt. Rund einem Viertel der Erwerbstätigen bleibt so der Anschluss an die traditionelle Weiterbildung verwehrt. Der Ausländeranteil in dieser Gruppe ist beträchtlich. Zur mangelnden Motivation der Bildungsungewohnten kommen also noch fehlende formale Voraussetzungen hinzu. Das «Recht auf Bildung» gilt also für einige mehr als für andere? Ja, ein gleichberechtigter Zugang zu den Bildungseinrichtungen besteht nicht für alle; die Kategorie der «Ungebildeten», die keinen anschlussfähigen Abschluss besitzen, geht im System verloren, Aufstiegschancen sind ihnen verbaut. Für die privaten Anbieter in der Weiterbildung sind sie zudem keine interessante Zielgruppe: Ihre Zahlungsbereitschaft und -fähigkeit ist begrenzt, sie sind schwer zu unterrichten, die Erträge von Bildungsinvestitionen ungewiss, die Risiken sind also insgesamt beträchtlich. Was können wir tun, damit sich die Schere zwischen der sehr gut und der sehr schlecht ausgebildeten Bevölkerung nicht weiter öffnet? Die öffentliche Hand ist als Bildungsanbieterin gefordert. Weil die Schweiz insbesondere aus demografischen Gründen künftig auf gute Qualifikationen an-
Report «Zukunftschance Weiterbildung» Dieses Interview ist ein Auszug aus dem «BiZE-Report 1», der sich dem Thema «Zukunftschance Weiterbildung» widmet. Der Report fasst in übersichtlicher und kompakter Form die wichtigsten Ergebnisse eines Events zusammen, welchen die EB Zürich Anfang Jahr unter dem Titel «Spannungsfeld Bildung» organisierte; verschiedene Expertinnen und Experten (u.a. Heike Bruch, Martin Heller, Christian Schmid)
Prof. Dr. Karl Weber ist ein ausgewiesener Weiterbildungsexperte: An der Universität Bern leitet er die Koordinationsstelle für Weiterbildung und ist Mitglied der Studienleitung für verschiedene Nachdiplomstudiengänge, unter anderem «Weiterbildungsmanagement», «Evaluation» oder «Management im Gesundheitswesen». Neben seiner Tätigkeit an der Universität amtet er auch als Präsident der Leitungsgruppe des Nationalfonds-Forschungsprojekts NFP43 über «Bildung und Beschäftigung» und ist Mitherausgeber der Fachpublikation «Grundlagen der Weiterbildung». Einer von Webers Arbeitsschwerpunkten ist die «Weiterbildungs-, Bildungs- und Hochschulforschung im Kontext von Arbeit und Politik», daneben erforscht er auch die Steuerung von Bildungssystemen sowie das Management von Bildungseinrichtungen. Der Kanton Bern lässt sich von Weber in Berufsund Weiterbildungsfragen beraten.
gewiesen ist, müssen wir handeln: Das Minimalziel muss eine für Weiterbildung anschlussfähige Qualifikation für alle sein. Primar- und Sekundarstufe müssen ihren Förderungsauftrag besser wahrnehmen. Und bei der Weiterbildung? Die Weiterbildungsanbieter müssen für die bildungsfernen Schichten Nachholbildungen bereitstellen – das ist eine klassische Aufgabe für die öffentlichen Träger der Weiterbildung. Allen, die motiviert sind, sollte es möglich sein, versäumte Abschlüsse nachzuholen. Um allen das Recht auf Bildung zu gewähren, braucht es riesige Anstrengungen und genau diese Anstrengungen müssen wir dringend auf uns nehmen. Sie sehen es also als eine öffentliche Aufgabe an, Weiterbildung für alle zu gewährleisten... Ja, der öffentliche Auftrag muss «Qualifikation für alle» lauten. Freilich: Wird die Gruppe der «Ungebildeten» besser qualifiziert, verstärkt sich die Konkurrenz um knappe Beschäftigungspositionen. Das sollten wir in Kauf nehmen, denn auf Dauer ist das sicher für die Gesellschaft und ihre weitere Entwicklung von Vorteil. Betrachtet man die demografische Entwicklung der Schweiz können wir es uns schlicht und einfach nicht leisten, Humankapital ungenutzt zu verschwenden!
beziehen Position zu aktuellen Bildungsfragen, bringen neue Perspektiven ein und legen ihre Visionen einer künftigen Bildungslandschaft Schweiz dar. Interessierte können die Broschüre auf www.eb-zuerich.ch (unter «Aktuell») als PDF herunterladen oder in der gedruckten Version bestellen. Auch in Zukunft wird das BiZE im Zürcher Seefeld ein Ort sein, wo nicht nur still über Bildung nachgedacht, sondern auch lustvoll über Bildungsfragen diskutiert werden wird: www.bize.ch.
Bild: Reto Schlatter
KUNST
KRAFT UND BEWEGUNG Welle. Willy Wimpfheimers Skulptur vor dem BiZE lebt.
Gewundene Stäbe ziehen sich durch das ganze Werk des 1938 geborenen Zürcher Bildhauers Willy Wimpfheimer. Sind diese in jüngeren Zeiten aus Eisen – etwa vor dem Tramdepot Irchel –, so arbeitete Wimpfheimer 1970 am Bildhauersymposium auf dem Gelände der Freizeitanlage Riesbach wie alle anderen Teilnehmer mit Stein, mit weissem Cristallina-Marmor. Ein schneller Blick auf die Skulptur mag Assoziationen an eine Bostitch-Klammer wecken. Der Schein trügt. Da ist keine Erstarrung, da ist Bewegung, die fliesst. Die vermeintliche Symmetrie erweist sich als falsch, allenfalls vorhanden als Möglichkeit, nicht aber als Endzustand. Der Riss im Sockel beweist, dass solche Bewegung ungeahnte Kräfte freimacht.
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KULTUR
LESEN, HÖREN, SEHEN Kursleitende und Mitarbeitende der EB Zürich geben Tipps zu interessanten Büchern, CDs und Videos.
LESEN
Brigitta Fumasoli Kursleiterin Englisch
Spurensuche. Spencer C. Spencer, Professor für Philosophie und Dekan an einem College in Texas, ist verschwunden, so viel steht fest. Dank einer engagierten Bibliothekarin können wir seine Aufzeichnungen lesen, die er in seinem Versteck, einem abgelegenen Kaff am Rande der Wüste, geschrieben und an einem merkwürdigen Ort versteckt hat. Mit wunderbarer Schwerelosigkeit und seinem leisen, unverwechselbaren Humor verführt uns der schwedische Schriftsteller Lars Gustafsson mit einem Thriller, der es mit witzigen Dialogen und skurrilen Begebenheiten mühelos schafft, uns jenseits des Banalen in Fragen von philosophischer Erhabenheit zu verwickeln. Lars Gustafsson Der Dekan, 2004
HÖREN
Jean-Pierre Lips Mitarbeiter Administration
Energie. Groovige Rhythmen, elektrisierende Sounds. Seit gut 30 Jahren erfreuen Judas Priest Hard-Rock-Fans mit wirklichem Heavy Metal. Kein Nu-, Rap- oder Wasauchimmer-Metal. Neben der gerideten Harley dealen Priest mit der Power, feelen das Adrenalin. Wer bitte schön kleidet die eigenen textlichen Unzulänglichkeiten derart liebevoll in Metal-Klischees wie die Briten? Mit dem neuen Album weilen die Metal Gods definitiv wieder unter uns. Aufbauender Heavy Metal, der Energien freisetzen kann. Dazu als Motto eine Textzeile: «If you think it's over, better think again.» Deshalb können alle Fans beruhigt ihre Lederjacke wieder vernieten.
Judas Priest Angel of Retribution, 2005
SEHEN
Hans Christen Kursleiter Persönlichkeit und Management
Intelligenz. Witzig, berührend und märchenhaft erzählt uns Fredi M. Murer in seinem neuesten Film die Geschichte eines hoch begabten Knaben. Vitus, so heisst er, spielt wunderbar Klavier und liest den Brockhaus schon im Kindergarten. Seine Mutter wittert eine grosse Karriere für ihn. Doch das Wunderkind ist einsam. Es bockt und sucht Zuflucht bei seinem Grossvater, wunderbar gespielt von Bruno Ganz. Bei ihm findet der Junge seine Ruhe, bastelt und träumt vom Fliegen. Mit einem Sprung nimmt er dann sein Leben in die eigene Hand. Schüchtern, frühreif und abgeklärt startet Vitus ein Doppelleben, bei dem er einem so richtig ans Herz wächst. Fredi M. Murer Vitus, 2006
WEITERBILDUNG
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e eiten Mit 8 S-Journal Journi
EB Zürich Kantonale Berufsschule für Weiterbildung Bildungszentrum für Erwachsene BiZE Riesbachstrasse 11 8090 Zürich Telefon 0842 843 844
Weiterbildung – wie ich sie will
www.eb-zuerich.ch
lernen@eb-zuerich.ch