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Lebensqualität in der Quartiergemeinschaft
Praxiswissen
Lebensqualität in der Quartiergemeinschaft
In Zürich Oerlikon ist ein Quartier entstanden, das als ganzheitlich nachhaltiges Leuchtturmprojekt geplant und umgesetzt worden ist. Im Quartier wird aber nicht nur gewohnt – die Gemeinschaft zählt, und die Bewohnerinnen und Bewohner können selber am Quartierleben mitwirken.
Text: Judith Brandsberg
Wie wohnen wir morgen? Diese Frage stand am Anfang eines mehrjährigen Prozesses, der im Jahr 2007 unter dem Motto «100 Jahre mehr als wohnen» von der Stadt Zürich und den Zürcher Wohnbaugenossenschaften in Gang gesetzt wurde. Daraus entstand die Idee, die gemeinsamen Erkenntnisse der Branche in ein grosses, wegweisendes Wohnprojekt einfliessen zu lassen. Was dann zur Gründung der Baugenossenschaft «Mehr als wohnen» führte. Darauf wurden im Rahmen eines international ausgeschriebenen Ideenwettbewerbs Visionen für den gemeinnützigen Wohnungsbau entwickelt. Die Parameter dieses Architekturwettbewerbs beinhalteten neue Wohnformen, die Normen der 2000WattGesellschaft, Generationenwohnen, günstigen Wohnraum sowie Optimierungen im Planungs und Bauprozess. Als erstes Projekt der Baugenossenschaft «Mehr als wohnen» entstand so das Quartier
Eines der ersten 2000-WattAreale
Anfang des Jahres 2017 wurde das Hunziker-Areal als eine der ersten Überbauungen in der Schweiz zum 2000-Watt-Areal im Betrieb zertifiziert. Ziel ist es, weniger Energie zu verbrauchen, den CO2-Ausstoss zu reduzieren und erneuerbare Energien zu fördern. Dies erfolgt einerseits durch den eigenen, verminderten Ressourcen- und Energieverbrauch, andererseits durch eine möglichst schadstofffreie und ökologische Bauweise. mit 13 Wohnhäusern auf dem Hunziker Areal in Zürich Oerlikon.
Vielfältige Architektur Nicht nur die verschiedenen Wohnformen machen das Quartier lebendig und interessant, auch die Architektur der Häuser ist speziell, denn obwohl die Gebäude ein Quartier bilden, sind sie optisch völlig unterschiedlich. Von den fünf Architekturbüros, die zusammen ein Konzept erstellten, durfte jedes drei Gebäude bauen – zwei nebeneinander sowie das Geschwisterteil am anderen Ende des Areals.
Willkommene Mitwirkungsmöglichkeiten Das breite Angebot an Mitwirkungsmöglichkeiten für die Bewohnenden ist eine zentrale Zielsetzung von «Mehr als wohnen». So sind verschiedene Quartiergruppen entstanden, die zum Beispiel einen Treffpunkt organisieren oder eine Werkstatt mit Profigeräten eingerichtet haben und diese verwalten. Die Quartiergruppen organisieren Mittagstische, am Abend finden Konzerte, Kinoabende oder Lesungen statt. Auf einem Gebäudedach wird sogar eine Sauna betrieben. Die Quartiergruppe «Mehr als Gmües» pachtet in der Nähe ein Feld und baut dort Gemüse an, das sie im Quartier im Abonnement verkauft. Das Projekt ist so erfolgreich, dass daraus eine eigene Genossenschaft entstanden ist. «Hier ist vieles selbstverwaltet, denn ansonsten wäre die Koordination für uns von der Geschäftsstelle gar nicht mehr möglich», ergänzt Roseli Ferreira, Kommunikationsver
Gemeinschaftliche Räume können benutzt werden.
Der Gemeinschaftsgarten wird ebenfalls von einer Quartiergruppe betrieben.
Der mobile Pizzaofen steht den Quartierbewohnerinnen und -bewohnern für die Benutzung zur Verfügung.
antwortliche der Genossenschaft «Mehr als wohnen». Auch die Geschäftsstelle der Genossenschaft befindet sich im Quartier und fungiert als Informations sowie Anlaufstelle für das HunzikerAreal. Darüber hinaus bietet sie Dienstleistungen und Hilfestellungen für alltägliche Anliegen und Nachbarschaftsthemen an. Dazu gehören die Vermittlung von Mobilitätsangeboten an Bewohnende und Gäste, ein Paketannahmeservice oder die Reservation und Vermietung von Allmend, Seminar und Musikräumen. Ebenfalls eine Besonderheit ist das Gästehaus mit 20 Zimmern, das nicht nur auswärtigen Gästen wie Messebesucherinnen und besuchern oder Mit
Breites Wohnungsangebot
Das Hunziker-Areal bietet Platz für verschiedene Wohn- und Lebensformen. Die 370 Wohnungen decken eine breite Palette von Wohnungstypen ab mit einem Schwerpunkt bei den 3 ½- bis 5 ½-Zimmer-Wohnungen. Zudem sind 24 Wohnungen mit mindestens 8 Zimmern für das Zusammenleben grösserer Gruppen konzipiert worden. Dazu zählen auch die 15 Satellitenwohnungen. Übrigens sind 20 Prozent der Wohnungen subventioniert und können so von Familien mit kleinerem Einkommen gemietet werden. arbeitenden des Fernsehens SRF, das sich gleich nebenan befindet, zur Verfügung steht, sondern in dem auch die Bewohnenden eine günstige Unterbringungsmöglichkeit für ihre Gäste finden.
Roseli Ferreira, Geschäftsstelle «Mehr als wohnen»
Komplexe demokratische Strukturen Die Mieten für die Wohnungen sind nach dem Prinzip der Kostenmiete berechnet, zusätzlich ist allerdings ein Genossenschaftsbeitrag fällig, der für die gemeinschaftlichen Räume oder Aktivitäten wie das Hunzikerfest verwendet wird. Wovon die Quartiergruppen wiederum einen gewissen Betrag für die Bewirtschaftung erhalten. Denn die einzelnen Quartiergruppen sind für ihren Teil des Areals voll und ganz verantwortlich. So gilt es beispielsweise im Treffpunkt, dafür zu sorgen, dass das Geschirr vollständig ist oder dass die Kaffeemaschine funktioniert. Wird Geld zum Beispiel für Reparaturen oder Anschaffungen benötigt, muss dies bei der Allmendkommission beantragt werden. Diese besteht aus Bewohnerinnen und Bewohnern des Quartiers, die sich gleichzeitig auch als Ansprechpersonen für die Quartiergruppen anbieten. «Hier herrschen sehr demokratische Strukturen, auch wenn es ums Quartierleben geht», bestätigt Roseli Ferreira.
Verschiedene Gewerbe Im Erdgeschoss sind mit zwei Ausnahmen keine Wohnungen untergebracht, denn dieser Platz ist für Allmende oder Gewerbe vorgesehen. «Damit das Quartier lebendig bleibt», fügt Ferreira an. Dazu gesellen sich viele Gewerbebetriebe im Quartier wie ein Nagelstudio, ein Café und eine Bagel Bäckerei, eine Buchhandlung, ein Nähatelier, ein Fitnessstudio, eine Kita oder ein Musikproduktionsstudio. Auf dem Areal finden so etwa 150 Personen einen Arbeitsplatz.
Gepflegte Quartiergärten Zum Quartier gehören zudem zwei Gemeinschaftsgärten, sie werden von einer Quartiergruppe in Zusammenarbeit mit der ZHAW betreut. Die Idee dahinter ist unter anderem, das «Urban Gardening», also das gemeinschaftliche Gärtnern in einer Siedlung, zu erforschen. Also konkret, welche Pflanzen geeignet sind, was es für die Pflege braucht sowie was nötig ist, um das Projekt weiter zu betreiben. In einem Garten
Fünf Architekturbüros erarbeiteten gemeinsam ein Konzept. Jedes durfte drei Gebäude bauen. So entstand eine vielfältige Architektur.
Die Quartiergruppe «Mehr als Gmües» baut selber Gemüse an und verkauft dieses erfolgreich – nicht nur im Quartier.
dürfen alle mithelfen – und alle dürfen sich bedienen. Der zweite Garten steht den Personen, die regelmässig mitarbeiten, zur Verfügung. Das Engagement ist unterschiedlich gross, «das hat hier aber seinen Platz», erklärt Roseli Ferreira.
Quasi eine WG de luxe Die 10 ½- und 12 ½-Zimmer-Satellitenwohnungen im HunzikerAreal sind eine Form des Typs «Clusterwohnung»: Die privaten Wohneinheiten sind wie Satelliten um die gemeinschaftlichen Flächen angeordnet. Eine oder zwei Personen mieten eine Wohneinheit mit Bad und kleiner Küche. Dazu gehören grosse Gemeinschaftsräume, die zusammen mit sieben anderen Wohneinheiten geteilt werden. Dies fördert das gemeinschaftliche Wohnen und bietet dennoch Rückzugsmöglichkeiten im eigenen Wohnraum, der komfortabler ausgestattet ist als ein einfaches WGZimmer. «Das sind eigentlich DeluxeWGs», fügt Ferreira an. Je nach Fläche kostet eine kleine Wohnung 1000 bis 1200 Franken Miete. «Die meisten Wohngemeinschaften kaufen zusammen ein und kochen dann auch zusammen», erzählt Roseli Ferreira. Dieses Konzept ist wohl auch der Grund dafür, dass die Bewohnerinnen und Bewohner durchschnittlich älter sind als in klassischen WGs, also zwischen 35 und 45 Jahre.
2000WattAreal
Das Hunziker-Areal ist 2000-Watt-zertifiziert, die Wärme bezieht das Quartier exklusiv vom städtischen Rechenzentrum. Zudem sind auf allen Dächern Photovoltaikanlagen installiert. Damit wird etwa ein Viertel des Stroms erzeugt, den das Quartier benötigt. Die Mietfächer der zentralen Tiefkühlanlage stehen allen Haushalten zur Verfügung, wodurch in den Wohnungen auf grosse Tiefkühlfächer verzichtet und der Energieverbrauch reduziert werden konnte. Zu Forschungszwecken wurden ausserdem verschiedene Lüftungssysteme verbaut, die Erkenntnisse aus den Umfragen bei den Bewohnenden werden dokumentiert und für weitere Projekte verwendet. Ebenfalls zukunftsweisend ist, dass lediglich diejenigen Bewohnerinnen und Bewohner ein Auto besitzen dürfen, die dies aus beruflichen oder persönlichen Gründen benötigen – zum Beispiel bei Schichtarbeit oder aus gesundheitlichen Gründen. Wenn ein Fahrzeug benötigt wird, steht den Bewohnerinnen und Bewohnern ein Carsharing zur Verfügung, oder aber es wird ein Cargobike ausgeliehen. Im Quartier ist auf diese Weise eine lebendige Gemeinschaft entstanden, im Sommer findet jeweils ein grosses Quartierfest statt, das ebenfalls eine Quartiergruppe organisiert. «Die Leute leben gerne hier», sagt Roseli Ferreira. Tatsächlich: Wer durch die Häuserblocks spaziert mit den vielen frei benutzbaren Flächen, Spielplätzen für die Kinder, Pingpongtischen, dem Café mit den Tischen und Stühlen draussen sowie dem Pizzaofen, der allen zur Verfügung steht, kann sich sehr gut vorstellen, hier zu wohnen.
Die Baugenossenschaft «Mehr als wohnen»
Die Baugenossenschaft wurde 2007 von verschiedenen Genossenschaften als Innovations- und Lernplattform für den gemeinnützigen Wohnungsbau gegründet. Mit dem Ziel, aus Erfahrungen zu lernen und Impulse weiterzugeben. In zahlreichen Fallstudien wurden deshalb breit gefächerte Themen vertieft: vom Einsatz zukunftstauglicher Gebäudetechnologie über sozial nachhaltige Quartierentwicklung bis hin zur Auseinandersetzung mit sozialutopischen Themen. Die Erkenntnisse werden ausgewertet, dokumentiert und dem Fachpublikum sowie der interessierten Öffentlichkeit zur Verfügung gestellt.