einführung
Die geleitete Fallarbeit ist eine Prüfungsform, bei der die Kandidat/innen ausgehend von einer vielschichtigen Praxissituation verschiedene Teilaufgaben aufeinanderfolgend bearbeiten. Diese Teilaufgaben werden aus den Kernprozessen und aufgaben des Berufs abgeleitet und erfordern zum Beispiel die Analyse einer vorgegebenen Situation, das Ziehen von Schlussfolgerungen, das Ausarbeiten eines Konzepts oder auch ganz konkrete Anwendungen. Die geleitete Fallarbeit bildet eine Alternative zur klassischen Fallstudie. Während die Kandidat/innen in der klassischen Fallstudie einen komplexen Praxisfall anhand einer offenen Fragestellung ganzheitlich bearbeiten, werden die Kandidat/innen in der geleiteten Fallarbeit – wie der Name schon sagt – systematisch mittels verschiedener Teilaufgaben durch die Bearbeitung des Falls geführt.
In der geleiteten Fallarbeit zeigen die Kandidat/innen einerseits ihre analytischen und konzeptionellen Kompetenzen und andererseits ihre Umsetzungskompetenz in ganz konkreten beruflichen Situationen. Diese Prüfungsform eignet sich somit insbesondere für die Simulation von Aufgaben in überschaubaren Praxisfeldern.
Die geleitete Fallarbeit lehnt sich an die Prinzipien der klassischen Fallstudie an, ist aber stärker strukturiert durch konkrete, sequentielle Anleitungen. Die Adaptionen sind auf Basis des Erfahrungswissens der Ectaveo AG entstanden.
Einen theoretischen Einblick in die Grundlagen der Fallstudie ermöglichen die folgenden Werke:
Ellet, William C. (2008): Das FallstudienHandbuch der Harvard Business School Press: BusinessCases entwickeln und erfolgreich auswerten. Bern: Haupt.
Frey, Karl (2010): Fallstudien. In: Frey, K. & FreyEiling, A. (Hrsg.): Ausgewählte Methoden der Didaktik. Zürich: VDF Hochschulverlag. S. 255–273.
Ausschlaggebend für den Erfolg einer geleiteten Fallarbeit ist die Qualität der Fallbeschreibung und der Aufgabenstellungen. Diese beiden Elemente zusammen müssen eine stimmige Fallarbeit ergeben.
Vollständige Fallbeschreibung
Die Fallbeschreibung ermöglicht einen umfassenden Einblick in die Ausgangssituation und bettet die nachfolgenden Aufgabenstellungen in einen praktischen Kontext ein. Sie beinhaltet eine ausführliche Beschreibung der Rolle der Kandidat/innen sowie grundlegende Informationen zum Unternehmen, in welchem die Kandidat/innen in der beschriebenen Rolle tätig sind. Ausserdem werden in der Fallbeschreibung die aktuellen Geschehnisse oder Problemstellungen im Arbeitsgebiet der Kandidat/innen sowie die Herausforderungen und Rahmenbedingungen aufgeführt.
Zusätzlich zu dieser Beschreibung können den Kandidat/ innen Beilagen zur Verfügung gestellt werden, welche vertiefende Informationen enthalten und für das Lösen der Aufgabenstellungen relevant sind. Beispiele hierfür sind betriebliche Planungsgrundlagen, ein Unternehmensportrait, ein Organigramm, eine Übersicht über die Mitarbeitenden im Team, eine Budgetplanung etc. Kommen solche Beilagen zur Anwendung, so wird im Rahmen der Beschreibung der Ausgangssituation darauf verwiesen.
Treffsichere Aufgabenstellungen
Neben der Fallbeschreibung sind die Aufgabenstellungen entscheidend für das Gelingen der geleiteten Fallarbeit, denn sie führen die Kandidat/innen sequentiell durch die Fallbearbeitung. In der Regel erhalten die Kandidat/innen zu einer Fallbeschreibung ca. 3–5 Teilaufgaben. Pro Teilaufgabe können Informationen zur Ergänzung der Fallbeschreibung aufgeführt werden. Wichtig ist, dass die Aufgaben sowohl mit der Fallbeschreibung und der Rolle in Zusammenhang stehen als auch konkrete Aufgaben aus der beruflichen Praxis der Kandidat/innen repräsentieren.
Es gibt verschiedene Arten von möglichen Aufgabenstellungen, die im Rahmen einer geleiteten Fallarbeit zur Anwendung kommen können. Aus unserer Erfahrung lohnt es sich, mindestens eine Analyseaufgabe zu integrieren. Mit einer Analyseaufgabe kann einerseits sichergestellt werden, dass sich die Kandidat/innen fundiert mit der Fallbeschreibung auseinandersetzen und andererseits kann damit ihre Analysefähigkeit überprüft werden.
Mögliche Aufgabenstellungen
Aufgabentyp Mögliche Aufgabenstellungen
Analyse
Schlussfolgerung
Konzeption
Umsetzung
• Beschreiben der relevanten Anspruchsgruppen und deren Interessen
• Relevante Schnittstellen und Abhängigkeiten aufzeigen
• Beschreiben der für das weitere Vorgehen zu beachtenden Aspekte
• Mögliche Konsequenzen aufzeigen
• Ein Vorgehenskonzept skizzieren
• Konkrete Massnahmenpläne ausarbeiten
• Erstellen einer Preisberechnung
• Ausarbeiten eines Stellenprofils
• Skizzieren eines Prozessablaufs
tipps für die entwicklung der prüfungsaufgaben
Folgende Tipps helfen bei der Ausarbeitung der Fallbeschreibung, der Aufgabenstellungen sowie der Musterlösung.
Merkmale der Fallbeschreibung
> Sie beschreibt eine mittelkomplexe, realistische Situation, die typischerweise in der Praxis der Kandidat/innen vorkommt.
> Sie ist gut nachvollziehbar, logisch aufgebaut und in sich konsistent.
> Sie setzt die nachfolgenden Aufgabenstellungen in einen Kontext.
> Sie beschreibt eine Situation, die ein aktives Handeln von den Kandidat/innen in ihrer beruflichen Rolle erfordert.
> Sie beinhaltet nur Informationen, die für die nachfolgenden Aufgabenstellungen gültig sind.
> Etwaige Beilagen sind selbstsprechend oder werden entsprechend eingeführt.
> In der Regel umfasst die Beschreibung der Ausgangslage ca. 1–2 DINA4Seiten.
Merkmale der Aufgabenstellungen
> Es werden nicht Wissen oder theoretische Kenntnisse überprüft, sondern das Umsetzungspotential der Kandidat/innen. Das heisst, die Aufgaben orientieren sich an konkreten Tätigkeiten aus der beruflichen Praxis.
> Die Reihenfolge der einzelnen Teilaufgaben folgt einer gewissen Logik (z. B. entlang des Kernprozesses).
> Die Teilaufgaben sind so weit als möglich voneinander unabhängig, damit Folgefehler vermieden werden.
> Die Anforderungen an die Lösung bezüglich Form und Umfang sind bekannt. Wo sinnvoll, können Lösungsraster vorgegeben werden.
> Die Aufgabenstellungen sind mit den verfügbaren Informationen aus der Fallbeschreibung und den Beilagen lösbar. Ist dies nicht der Fall, werden ergänzend zur Aufgabenstellung Zusatzinformationen abgegeben.
Musterlösung und Beurteilungskriterien
> Es werden beobachtbare Beurteilungskriterien formuliert, welche den Fokus der Bewertung der Fallarbeit definieren.
> Bei einer Fallarbeit gibt es meistens nicht eine richtige Lösung. Deshalb wird für jede Teilaufgabe ein möglicher, idealtypischer Lösungsansatz formuliert.
> Die Lösungsansätze liegen schriftlich vor.
Stringenz der Fallarbeit
Entscheidend ist, dass zum Schluss kritisch geprüft wird, ob die Fallbeschreibung und die Aufgabenstellungen, der Lösungsansatz und die Beurteilungskriterien stimmig sind:
> Können die Kandidat/innen anhand der Fallbeschreibung und der Aufgabenstellung auf den Lösungsansatz kommen? Sind Fallbeschreibung und Aufgabenstellung klar und eindeutig formuliert und enthalten sie alle nötigen Angaben?
> Umfasst der Lösungsansatz alle Aspekte, die in der Aufgabenstellung verlangt werden?
> Bezieht sich das Beurteilungskriterium auf die Aufgabenstellung?
> Lässt sich der Lösungsansatz anhand des Beurteilungskriteriums einschätzen?
Eine geleitete Fallarbeit wird durch die Kandidat/innen schriftlich bearbeitet. Im Rahmen vollständiger Aufgabenstellungen erhalten sie Informationen darüber, wie sie bei der Bearbeitung vorgehen sollen, welche Zeit ihnen für die Bearbeitung zur Verfügung steht, welche Hilfsmittel verwendet werden dürfen, in welcher Form die Ergebnisse abgeliefert werden müssen etc.
Grundsätzlich sind für die Bearbeitung einer geleiteten Fallarbeit zwischen 60 und 180 Minuten vorgesehen. Je nach Selbstständigkeitsgrad können sich die Kandidat/innen die Zeit für die Bearbeitung der einzelnen Teilaufgaben selbst einteilen oder die Bearbeitungszeit ist pro Teilaufgabe vorgegeben. Allenfalls werden die Teilaufgaben nach Ablauf der Bearbeitungszeit eingesammelt. Das Einsammeln ist erforderlich, wenn nachfolgende Aufgabenstellungen Lösungshinweise zu den vorangehenden Teilaufgaben enthalten.
Schliesslich wird durch eine optimale Gestaltung des Korrekturprozesses sichergestellt, dass die Prüfungsexpert/innen bei der Korrektur denselben Massstab ansetzen. Die vorgängig definierten Beurteilungskriterien dienen als Grundlage für die einheitliche Bewertung. Erfahrungsgemäss bewähren sich zentrale Korrekturtage, die den Austausch zwischen den Expert/innen erleichtern.
In unserer Reihe «Umsetzungstipps» unterstützen wir Sie bei der Ausgestaltung kompetenzorientierter Prüfungen. Wir zeigen Ihnen, wie Sie kompetenzorientierte Prüfungsmethoden punktgenau im Prüfungsalltag umsetzen können.
Unsere Publikationsreihe «Umsetzungstipps» umfasst folgende Prüfungsmethoden:
Prüfungsmethode «Critical Incidents»
Prüfungsmethode «Praxisprüfungen»
Sozialkompetenz prüfen – Utopie oder Realität?
Prüfungsmethode «Postkorb»
Prüfungsmethode «MiniCases»
Prüfungsmethode «Geleitete Fallarbeit»
Prüfungsmethode «Fallstudie»
Prüfungsmethode «Wissensfragen»
Prüfungsmethode «Gesprächsanalyse»
Prüfungsmethode «Fachgespräch»
Mündliche Prüfungen
Prüfungsmethode «Rollenspiel»
Prüfungsmethode «Handlungssimulation»
Prüfungsmethode «Präsentation»
Bewerten mit Kriterien
Prüfungsmethode «Gruppendiskussion»
Prüfungsmethode «Projektarbeit»
Prüfungsmethode «Praxisarbeit»
Prüfungsmethode «Werkschau»
Prüfungsmethode «Kompetenzstatus»
Prüfungsmethode «Statusgespräch»
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Herausgeberin
Ectaveo AG
Riedtlistrasse 15a CH-8006 Zürich info@ectaveo.ch www.ectaveo.ch
Autorin
Ectaveo AG
Gestaltung und Satz dezember und juli gmbh www.dezemberundjuli.ch
Auflage 3. Auflage, März 2024
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