Miquel MartĂ i Pol
ParlavĂ -Suite gefolgt von Jemand wartet & Buch der Einsamkeiten
Edition Delta
Edition Delta
Die Übersetzung der beiden Werke Suite de Parlavà seguit de Algú que espera (1990) und Llibre de les solituds (1995-1997) von Miquel Martí i Pol wurde vom Institut Ramon Llull in Barcelona gefördert
Die Übersetzer danken dem Institut Ramon Llull für ein Aufenthaltsstipendium an der Universitat Autònoma de Barcelona UAB in Bellaterra
www.edition-delta.de info@edition-delta.de © 2012 Edition Delta, Stuttgart Alle deutschsprachigen Rechte © an den katalanischen Originalen: Montserrat Sans © an den Übersetzungen: Juana & Tobias Burghardt Umschlaggestaltung: Juana Burghardt Nachwort: Tobias Burghardt Herstellung und Druck in Deutschland ISBN 978-3-927648-46-3
Miquel MartĂ i Pol
ParlavĂ -Suite gefolgt von Jemand wartet & Buch der Einsamkeiten Aus dem Katalanischen von Juana & Tobias Burghardt
Edition Delta
INHALT
PARLAVÀ-SUITE gefolgt von JEMAND WARTET (1990) SUITE DE PARLAVÀ 1-11 PARLAVÀ-SUITE 1-11
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JEMAND WARTET Sagen wir, daß ich ging, aber ich komme zurück Und wenn ich wählen könnte, nähme ich Von Zweig zu Zweig schreibe ich. Birken und Tannen Alles in allem bleibt mir jener Tod An einem fernen Ort gibt es zumindest Der Zufall ist ein Wandbild aus Wind und Regen Die Vertrautheit wie ein Sein in den Dingen Eine alte Gardine taugt dir nicht Der Trost ist vielleicht eine tiefe Stimme Du wirst den verlorenen Jugendlichen nicht finden Alles ist vorbei; und ich trockne mir nun die Lippen Jenseits der Krümmung jenes Verses Richte die Augen auf den Willen der Zeit Ein sehr zartgliedriges Gewebe ist der Lichtschein Das Unglaubliche ist der Wind an jenem Nachmittag Wäre der Vers eine Zuflucht, würde alles Die verwegene Langsamkeit ist eine Ein Hintergrund aus Wolken vernebelt Jemand wartet, sagst du, und nur deine Stimme Eine leichte Transparenz der Luft Bremse nicht die Hand, damit das Los Warum zögere ich, mißtrauisch und störrisch Sonne, aus alter, gewagter Einsamkeit Wenn die Abenddämmerung ein feiner Regen wird Knapp vor dem Winter ist die Zeit eine Ablenkung Mit Zeit im Überfluß, die ich habe, gestaltete ich mir Was bleibt von jenem trügerischen April Wenn es nicht möglich ist, jene Begeisterung Das kann der Hafen sein, und die Kadenz Hinter den Hügeln windet sich der Weg Da gibt es auch einen Platz für die Melancholie Ich schließe den Mai draußen aus, mit trägen Regenschauern Als ob jemand mitten in der Nacht aus einem Alptraum Nur die Wärme jener Sehnsucht Ein weiterer Sommer faltet seine Zelte, wie immer Vielleicht ist das Glück wie ein unberührtes Blatt Der Nachmittag hat sich eingetrübt; hinter den Scheiben Ein Stimmenfaden durch alle Bindungen und die dichte Die Gewohnheit ist das Ungewöhnliche, verwandelt
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BUCH DER EINSAMKEITEN (1995-1997) PUNKT, OHNE ABSATZ WEITER MIT MUSIK VON BACH FAST FABEL LEERER STRAND DAS BANKETT POSTKARTE AUS PARIS DER ABWESENDE DER RÜCKKEHRER HOTELZIMMER VERBOT STURM TÜRSPION MARKTSTAND CALA MESQUIDA SKIZZE RAMMBOCK KALENDER DER LEUCHTTURM DARSTELLUNG SOMMERPLAN GLÜCKSELIGKEIT DIE BÜCHER NACHRICHTENBLOCK SEPTEMBER DENKSCHRIFT ANSUCHEN WESTEN BESCARA LEHRE CAP DE FAVARITX KOMPLIMENT AN ANTONIO MACHADO IRGENDWO SELBSTBILDNIS MIT SECHZIG JAHREN VORGESTERN SIEBENUNDNEUNZIG GEPLAUDER ZIFFERN FAST VERTRAULICH DREHBUCH SPIEL DER SPIEGEL MAUER LUFTSPIEGELUNGEN WETTE DEMOKRATIE (Allgemeines Essay) NOTIZEN SYMPTOME VON GANS ZU GANS PLANETEN SCHLUSSPUNKT
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ALGENTANZ. Tobias Burghardt
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PARLAVÀ-SUITE gefolgt von
JEMAND WARTET
Für Lluís Llach und Miquel Insua
SUITE DE PARLAVÀ
Feliç aquell que té coses per retrobar. ELIO VITTORINI, Conversa a Sícilia
PARLAVÀ-SUITE
Glücklich ist derjenige, der etwas zum Erinnern hat. ELIO VITTORINI, Siziliengespräch
1 Fugiria de mi si no pogués recuperar el meu temps i interrogar-lo, tornar al passat com qui torna a la casa en què visqué i, recorrent-la, troba, lúcidament sorprès, tots els indicis d‘allò que és, i s‘apren contemplant-los. Fugiria de mi i em sentiría desolat i enyorós, com qui perdut enmig d‘un mar immòbil defalleix sabent que res ja no l‘incita a viure.
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1 Fliehen würde ich vor mir, könnte ich meine Zeit nicht wiedergewinnen und sie befragen, ins Vergangene zurückkehren, wie man nach Hause zurückkehrt, wo man gelebt hat und beim Begehen, hell überrascht, alle Anzeichen dafür findet, was es ist, und lernt, indem man sie betrachtet. Fliehen würde ich vor mir und mich verzweifelt und wehmütig fühlen wie jemand, der verloren mitten in einem reglosen Meer die Kraft verliert und weiß, daß ihn nichts mehr am Leben reizt.
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2 Aquest potser és el lloc, i la resposta a totes les preguntes tal vegada la té el rellotge que no diu cap hora i és un ull sempre obert que tot ho escruta. Aquest potser és el lloc, i la bellesa potser és només l‘absència de desig, el buit en què la veu es torna cant i la claror penetra cada cosa com un vel de misteri que no altera la cadència secreta dels objectes.
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2 Dies ist vielleicht der Ort, und die Antwort auf alle Fragen hat dieses Mal die Uhr, die zu keiner Stunde schlug, sie ist ein immer offenes Auge, das alles anstarrt. Dies ist vielleicht der Ort, und die Schönheit ist vielleicht nur das Ausbleiben der Lust, die Leere, in der die Stimme Gesang wird, und die Helligkeit durchdringt alle Dinge wie ein rätselhafter Schleier, der die geheime Folge der Gegenstände nicht verändert.
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3 Jugo a viure només, perquè tinc por de trencar aquest embruix amb qualsevol gest insòlit, amb qualsevol paraula que no s‘adapti com una altra pell a la pell suavíssima del temps. La tarda és un adàgio. Ben sol al cor del goig, escolto la remota simfonia del mar a la petxina del teu record que sempre m‘acompanya, i només jugo a viure per no perdre‘t.
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3 Ich spiele nur zu leben, weil ich befĂźrchte, diesen Zauber mit irgendeiner ungewohnten Geste zu durchbrechen, mit irgendeinem Wort, das sich nicht wie eine andere Haut an die zarteste Haut der Zeit schmiegt. Der Nachmittag ist ein Adagio. Ganz allein im Herzen der Freude hĂśre ich die ferne Meeres-Sinfonie an der Muschel deiner Erinnerung, die mich stets begleitet, und ich spiele nur zu leben, um dich nicht zu verlieren.
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4 La pedra és la discreta quietud en que maduren gestos i mirades, cansats de l‘aldarull i del desfici. La immensitat deu tenir un marc de pedra que mesura potser una mà d‘infant càlidament ingènua. Reposo entre parets solemnes que em recorden cants i converses, guanys de solitari que no refusa cap mirall opac per estimar més dignament la vida.
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4 Der Stein ist die verschwiegene Ruhe, worin Gesten und Blicke reifen, von Lärm und Trubel erschöpft. Die Weite sollte einen Steinsaum haben, den vielleicht eine süße, unschuldige Kinderhand abmisst. Ich liege zwischen erhabenen Wänden, die mich an Lieder und Gespräche erinnern, Erträge des Einsamen, der keinen trüben Spiegel meidet, um das Leben würdevoller zu lieben.
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5 Alguna cosa lleu, imperceptible, que tanmateix mou voluntats i empeny a persistir, quan l‘ombra dels ocells de presa és més feixuga. Torno enrera per contemplar el ponent a la finestra dels anys viscuts. Terrassa enllà, les branques gronxen el vent i el sol fa estranys meandres. No vull res més que aquest silenci dens i alguna cosa imperceptible, lleu, en què, poruc si cal, em reconegui.
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5 Irgendeine leichte Sache, unmerklich, die selbst den Willen bewegt und zum Durchhalten anspornt, wenn der Schatten der Greifvögel noch schwerer ist. Dann drehe ich mich um und schaue mir am Fenster den Sonnenuntergang der erlebten Jahre an. Jenseits der Terrasse wippen die Zweige im Wind und die Sonne bildet seltene Mäander. Ich möchte nichts weiter als diese dichte Stille und irgendeine unmerkliche, leichte Sache, worin ich mich, zuweilen ängstlich, erkenne.
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ISBN 978-3-927648-46-3 22