Archäologisches Museum

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Porträt des Historikers und Archäologen Johann Daniel Schöpflin, 18. Jahrhundert

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Eines der ältesten Museen von Straßburg

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Die ersten archäologischen Sammlungen von Straßburg entstammen dem Nachlass des elsässischen Historikers Johann Daniel Schöpflin, den dieser Ende des 18. Jahrhunderts der Stadt vermacht hat. Dieser umfangreiche Bestand, zu dem Grabinschriften, Skulpturen, Bronzefigürchen und Keramiken gehören – die sowohl regionalen als auch griechischen, etruskischen und römischen Ursprungs sind –, wird zusammen mit dem alten Stadtarchiv während der Belagerung Straßburgs 1870 beim Brand der Bibliothek vollständig zerstört. Dasselbe widerfährt den Sammlungen, die die 1855 gegründete, also damals noch junge Gesellschaft zur Erhaltung der geschichtlichen Denkmäler im Elsass (SCMHA) zusammenträgt. Diese Gesellschaft hat die ersten Ausgrabungen unternommen und zahlreiche Objekte gesammelt, die für ein großes regionales archäologisches Museum bestimmt sind. So wird das Archäologische Museum zum ältesten der Stadt Straßburg. Als zwischen 1871 und 1918 das Elsass zum Reichsland ElsassLothringen gehört, sieht es die SCMHA als ihre vordringliche Aufgabe an, die zerstörten Sammlungen zu ersetzen. Den großen Umbau, mit dem aus Straßburg die künftige Hauptstadt der neuen Provinz des Deutschen Reichs werden soll, begleitet man aus archäologischer Sicht. So wird beispielsweise beim Bau des Bahnhofs eine aus der Spätzeit des Römischen Reichs stammende Nekropole (Begräbnisstätte) entdeckt. In Koenigshoffen (Königshofen) erlauben es die Errichtung von Brauereien und die zahlreichen Baustellen, dass die römische

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Altsteinzeit Nomadische Jäger und Sammler Altpaläolithikum Wechsel von heißem und kaltem Klima

− 10 000

− 600 000

Einige Jahrtausende in der Geschichte…

Mittelsteinzeit (Mesolithikum) Gebrauch von Mikrolithen (winzige Spitzen und Klingen) Ausgeglichenes Klima

Mittelpaläolithikum Beherrschung des Feuers

Pax Romana (1. und 2. Jahrhundert n.Chr.) 58 v.Chr.: Cäsar schlägt den Germanen Ariovist Die Römer lassen sich im Elsass nieder

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Schnurkeramische Kultur Glockenbecherkultur

− 2000

Kupfersteinzeit

Bronzezeit Hügelgräber-Kultur im Forst von Hagenau

Völkerwanderungen

Entstehen der Kupfer-, später der Bronzeverarbeitung

Späte Kaiserzeit

Merowingerzeit

Ende der römischen Zivilisation / Aufstieg des Christentums

800

Hohe Kaiserzeit

− 2300

Späte Jungsteinzeit

500

(0)

− 3200

Jungpaläolithikum Entwicklung der Höhlenmalerei

5. Jahrhundert: Ansiedlung von Alamannen und Franken

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Eisenverarbeitung; Entstehen von Oppida (Siedlungen)

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Rössener Kultur

− 3400

Hallstattzeit (1. Eisenzeit)

Mittlere Jungsteinzeit

Jungsteinzeit

− 450

Linearband­ keramische Kultur Entstehen einer Produktionswirtschaft Erste Töpferarbeiten; Periode des geschliffenen Steins Sesshaftwerdung Erste Begräbnisstätten

− 4300

Frühe Jungsteinzeit (Neolithikum)

Latènezeit (2. Eisenzeit)

Großgartacher Kultur

− 600

− 750

− 5300

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Begründung Marseilles durch die Griechen

Munzinger Kultur Michelsberger Kultur

Ausbreitung der Kelten

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Urgeschichte

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1 Der „Chopper“ von Achenheim

2 Feuerstein, gefunden in Hochfelden

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Urgeschichte

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3 Muschelschmuck

4 Steinerne Ringscheibe

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Urgeschichte

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Souvenirs vom Mittelmeer

Ein sehr kostbarer Stein

Die als „Spondylus“ bezeichnete Muschel stammt von den fernen Ufern des Mittelmeers und zeugt davon, wie in der frühen Jungsteinzeit, ab 5.500 v.Chr., sich der über die weiten Distanzen zwischen Nord- und Südeuropa erstreckende Austausch intensiviert hat. Aus fossilen, in einer Grabstätte bei Osthoffen (Osthofen) gefundenen Muschelschalen sind seltene und gesuchte Objekte hergestellt worden: Der reiche Schmuck mit sieben röhrenförmigen Perlen und einem runden Anhänger zeugt noch nach dessen Tod vom hohen Stand seines Besitzers. Wo genau diese Objekte getragen wurden, ist noch umstritten. Die einen vermuten, dass sie an einer Kette, andere, dass sie an einem Gürtel befestigt wurden.

Das Gestein ist seiner schönen dunkelgrünen Farbe wegen ausgewählt und geschickt bearbeitet worden, um aus ihm ein Paar Armreife von ovaler Form zu fertigen. Die vorliegende „unregelmäßig geformte Ringscheibe“ wurde in einer Grabstätte in Schiltigheim nahe Straßburg gefunden, wobei gleichzeitig festgestellt werden konnte, dass sie am Oberarm getragen wurde. Die zeitaufwendige Arbeit, die zu ihrer Herstellung erforderlich war, die Qualität des Gesteins und dessen sorgfältige Politur führen vor Augen, wie selten und kostbar diese von Menschen der mittleren Jungsteinzeit (Großgartacher Kultur, zwischen 4.800 und 4.500 v.Chr.) getragenen Objekte sind. Sie sind hauptsächlich im Süden der Elsässischen Ebene, an den Grenzen zur Schweiz und zur Franche-Comté entdeckt worden.

3 Muschelschmuck Osthoffen-Breuschwickersheim, Grab 2 Spondylus Perlen: Längen von 45 bis 50 mm, Durchmesser von 21 bis 30 mm Anhänger: H. 98 mm, L. 88 mm Frühe Jungsteinzeit (Linearbandkeramische Kultur)

4 Steinerne Ringscheibe Serpentine (Mineral) aus Schiltigheim H. 93 mm, L. 109 mm Mittlere Jungsteinzeit (Großgartacher Kultur)H. 93 mm  ; L. 109 mm Mittlere Jungsteinzeit (Grossgartach)

„Weil das Werkzeug auch nach dem Tod seines Herstellers bleibt, ist es in der Lage, über Generationen hinweg den Gang der Entwicklung unvergleichlich schneller voranschreiten zu lassen, als die biologische Evolution es könnte.“ André Leroi-Gourhan, Le Fil du temps. Ethnologie et préhistoire (1935–1970), 1983

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Urgeschichte

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Langzeitkonserve

Identitätsstiftende Objekte?

In einem früheren Getreidesilo, der zu einer Abfallgrube geworden war, traten eine Reihe enormer Krüge zutage, die in die Michelsberger Kultur (zwischen 4.200 und 3.400 v.Chr.) zu datieren sind. Unter ihnen befindet sich eine zur Lebensmittel­ lagerung bestimmte Keramik, bei der es sich um eines der größten bekannten Gefäße aus der europäischen Steinzeit handelt. Dieses vollständig von Hand hergestellte Gefäß ist eine wahre Meisterleistung der Töpfer, die hier Tonplatten sorgfältig zusammengesetzt und geglättet haben, bevor sie das Stück zunächst trocknen ließen und anschließend in einem recht großen Ofen unter einer aus Holz und Lehm gebildeten Kuppel brannten. Der so entstandene Behälter wurde in den Boden eingelassen, man füllte ihn mit Körnern und dichtete ihn sodann mit Ton ab, um eine Gärung oder einen Befall durch Nager zu verhindern. So blieben die Körner bis zum darauffolgenden Frühjahr erhalten, als neu ausgesät wurde.

Das Elsass ist eine der ersten Regionen Frankreichs, die von der „neolithischen Revolution“ erfasst wird, also ein Gebiet, in dem Landwirtschaft und Viehhaltung aufkommen und die ersten Dörfer entstehen. Die Neuankömmlinge aus dem Donauraum bringen auch die Keramik mit. Sie sind Vertreter der Linearband­ keramischen Kultur. Dieser Name leitet sich von den Verzierungen der keramischen Gefäße mit Bandmustern aus Linien her, die im Lauf der Zeit immer komplexer werden. Am Ende dieser Periode, also am Ende der Linearband­keramik, wird die gesamte Keramik mithilfe einer aus Bein gefertigten Punze mit reichen Ornamenten bedeckt. Die Formentwicklung und der jeweilige Dekor der Gefäße erlauben es, kulturelle Gruppen und ihre regionalen Ableger jeweils voneinander zu unterscheiden. Somit wird die Keramik für die Archäo­ logen zu einem wichtigen Instrument zur Datierung einer Ausgrab­ungsstätte und ihrer Besiedlungsschichten.

5 Große getöpferte Krüge Geispolsheim, „Bruechel“ (Ausgrabungen von Christian Jeunesse, Denkmalpflege) Keramik H. 620 mm, Durchm. bis 320 mm Jungsteinzeit (Munzinger Kultur)

6 Linearbandkeramiken Schiltigheim, Reichstett Keramik Links: H. 150 mm, rechts: H. 60 mm Jungsteinzeit (Linearbandkeramik)

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Urgeschichte

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5 Große getöpferte Krüge

6 Linearbandkeramiken

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Urgeschichte

Wie in der Steinzeit der Stein durchbohrt wurde

Aber mit welchem Trick haben die Menschen der Urgeschichte es vermocht, den Stein zu durchbohren? Welche Hilfsmittel setzten sie ein, um so perfekte Löcher in ihren Äxten aus geschliffenem Stein anzubringen, dass sie mit einem Griff versehen werden konnten? Der erste Untersuch­ ungsschritt besteht darin, die bei der Durchbohrung am Stein hinterlassenen Spuren unter dem Mikroskop zu betrachten. Aber um genau herauszufinden, welche Handbewegung die Urmenschen ausgeführt haben, ist die Experimentelle Archäologie gefragt. So wurde versucht, den Stein mittels eines handbetriebenen Fiedelbohrers (ein mit einer Sehne versehener Holzbügel) zu durchdringen. Auf dem Werkzeugkorpus sitzt ein Bohrer in der Größe des zu bohrenden Lochs. Das Gerät wird senkrecht auf dem Axt-Stein

27 angesetzt und der Bügel mit der Hand vorund zurückbewegt, wodurch der über ein Gestänge mit ihm verbundene Bohrer angetrieben wird. Die Bohrung wird erst auf einer Seite bis etwa zur Mitte hin vorangetrieben, dann stößt man von der anderen Seite aus durch, was große Genauigkeit und zudem auch große Ge­duld erfordert, denn diese Prozedur zieht sich über Stunden hin. Schleifsand wird in die Bohrstelle gegeben, um die Reibung zu vergrößern. Auch wird regelmäßig Wasser aufgegossen, um die Erhitzung der Bohrerspitze am Stein zu vermeiden.

Großes durchlöchertes Beil aus geschliffenem Stein

Beilfragment mit einem gescheiterten Bohrversuch

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Rekonstruktion eines zur Steinperforation verwendeten Bohrers aus Holz samt Bügel

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Gallorömische Zeit

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„Beste Arbeiter Frankreichs“

In der römischen Epoche erlangt die Kunst des Bronzegusses einen sehr hohen Grad an technischer Meisterschaft und Perfek­ tion. Die Bronzegießer produzieren eine Vielzahl an Gegenständen des täglichen Gebrauchs (Geschirr, Möbelverzierungen, Schmuck und Ornamente…), aber auch viele Götter­figürchen für Tempel und Hausaltäre. Die im Museum aufbewahrte Büste von Bacchus, dem Gott der Rebe und des Weins, veranschaulicht das sehr schön: Das pausbäckige Gesicht wird von üppigem Haar umrahmt, in das sich Wein­ blätter und Trauben mengen. Silberne Akzente betonen die Augen und das Diadem, das er über der Stirn trägt. Das Gefäß, das die Büste des Nubiers zeigt, ist ein Balsamarium, das dazu dient, Öle oder parfümierte Balsame aufzubewahren, die die wohlhabenden Römer bei sich trugen, wenn sie die Thermen aufsuchten, um sich zu waschen oder um sich massieren zu lassen. 21 Büste des Bacchus Straßburg, Hôpital civil (Bürgerspital) Bronze, versilbert und vergoldet H. 160 mm, L. 115 mm Ende des ersten Jahrhunderts n.Chr. 22 Nubierbüste Straßburg, Rue de la Haute-Montée 4 Bronze H. 106 mm, L. 85 mm Ende des ersten, Anfang des zweiten Jahrhunderts n.Chr.

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Gallorömische Zeit

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Eine antike Taschenlampe

Sag, wer ist die Schönste?

Die römischen Öllampen werden gewöhnlich aus Keramik mithilfe einer Form hergestellt, aber es finden sich auch luxuriösere Modelle aus Bronze. Es gibt sie in ganz unterschiedlichen Gestaltungen und Ausführungen, da sie einem breiten Publikum gefallen sollen: Auf ihnen sind mythologische Szenen ebenso zu sehen wie Episoden aus dem Alltag, existierende und fantastische Tiere, aber auch florale Dekors, es gibt Lampen, die wie Fässchen, andere, die wie ein mit einer Sandale bekleideter Fuß aussehen… Mit Öl gefüllt und mit einem Docht versehen, der in den Ausguss an der Vorderseite der Lampe gesteckt wird, sorgen sie für Helligkeit und bringen Licht selbst noch in die dunkelsten Räume der Häuser der Antike. Das im Museum ausgestellte Modell ist außergewöhnlich, nicht nur wegen seines besonderen Volumens, sondern auch wegen seiner feinen Ausgestal­ tung, die links und rechts des runden Ölbeckens zwei Theatermasken zeigt.

Eine Anfang des 20. Jahrhunderts im Straßburger Saint-Thomas-Viertel entdeckte Fresko-Malerei aus einer luxuriösen Villa stellt eine sehr bekannte Erzählung aus der griechisch-römischen Mythologie dar. Die Szene steht am Beginn des Trojanischen Krieges, wie Homer ihn uns überliefert hat. In einer von Bäumen gesäumten Landschaft, die von einer mächtigen, hohen Pforte dominiert wird, stehen zwei Perso­ nengruppen. Im Vordergrund sehen wir den Gott Merkur mit dem Caduceus (Merkurstab), wie er sich mit einem Hirten unterhält, der kein anderer ist als Paris, Sohn des Priamus, des Königs von Troja. Im Hintergrund befinden sich die drei Göttinnen Minerva, Venus und Juno, deren Umrisse mit raschen Pinselstrichen skizziert sind. Sie erwarten das Urteil darüber, wer die Schönste von ihnen sei. Paris wählt Venus, die ihm die Liebe der schönen Helena aus Sparta versprochen hat, und er reicht ihr den goldenen Apfel, den Preis dieses Schönheitswettbewerbs. Dadurch entfesselt er die Wut der Juno, die ihm ein großes Reich in Asien, und der Minerva, die ihm Sieg und Weisheit in den Schlachten in Aussicht gestellt hat.

23 Öllampe mit zwei Ausgüssen Straßburg, Rue de l’Ail (Ausgrabungen Jean-Jacques Hatt) Keramik H. 230 mm Ende des ersten. Jahrhunderts n.Chr.

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24 Urteil des Paris Straßburg, Place Saint-Thomas Wandmalerei Tafel: H. 0,48 m, L. 0,45 m Zweites Jahrhundert n.Chr.

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Gallorömische Zeit

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23 Öllampe mit zwei Ausgüssen

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Gallorömische Zeit

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24 Wandgemälde mit dem Urteil des Paris

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Frühmittelalter

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Seit der Mitte des vierten Jahrhunderts n.Chr. dringen, trotz der Befestigung der Rheingrenze, immer mehr alamannische Völkerschaften über den Rhein und lassen sich auf der linksrheinischen Seite nieder. Nach der Invasion der Hunnen 451 und nach dem Untergang der römischen Macht dehnen die Alamannen und Franken ihr Herrschaftsgebiet rasch aufs ganze Land aus. Die Alamannen werden jedoch mit der Schlacht bei Zülpich 496 von Chlodwig I. in den äußersten Norden des Elsass zurückgedrängt. Die Region gliedert sich 532 dem Reich Austrasien ein, 635 wird sie von hohen Beamten fränkischer Herkunft verwaltet, darunter Adalrich (Eticho), Vater der Heiligen Odilie und dritter Herzog des Elsass, dem sein Sohn Adalbert nachfolgt. Unter dem Einfluss der Franken schreitet die Christia­ nisierung des Landes, ein Werk irischer Mönche, voran. Klöster werden ab dem siebten Jahrhundert n.Chr. in den neu kolonisierten Gebieten gegründet. Der Heilige Arbogast, Bischof von Straßburg, lässt Mitte des sechsten Jahrhunderts die erste Kathedrale bauen. Während die Benediktiner das Mönchstum im Elsass festigen, werden in den Gemeinden immer mehr Dorfkirchen errichtet. Noch immer sind die frühmittelalterlichen Siedlungen des Elsasses kaum bekannt, doch kann die Archäologie die lange Dauer und die Dichte der Besatzung nachweisen. Die drei Gemeinschaften (die Nachfahren der Gallorömer, der Alamannen und der Franken) scheinen einträchtig zusammenzuleben, eine jede unter ihrer eigenen Gerichtsbarkeit. Was wir über die merowingische

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Frühmittelalter

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30 Das Grab von Hochfelden

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Frühmittelalter

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31 Künstlich verformter Schädel

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Frühmittelalter

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Eine hervorragende Reiterin

Ein seltsamer Kopf

Die Medizin kommt den Archäologen häufig zu Hilfe, wenn sie ihre Hypothesen über die Herkunft und die Lebensweise von bestimmten Individuen untermauern möchten. Die Untersuchung der in Hochfelden gefundenen Knochen einer zwischen 50 und 60 Jahre alten Frau weisen krankhafte Veränderungen auf, an denen zu erkennen ist, dass sie regelmäßig und ausdauernd ritt und vermutlich ein nomadisches Leben führte. Der Prunk ihrer Grabbeigaben lässt ihre Zuge­ hörigkeit zum Adel ihrer Zeit als sicher erscheinen. Ihr Klan, der aus den orientalischen Steppen und aus der Welt der Hunnen kam, hat zweifellos im fünften Jahrhundert, gelockt von der damals noch Reichtum und Macht verheißenden römischen Armee, mit dieser eine Allianz gegen die „barbarischen“ Einwanderer geschlossen. Das Paar Silberfibeln, die an der Schulter ein Kleidungsstück oder einen Mantel hielten, ist typisch für die Welt der Steppe, ebenso der Halsring, der in Ungarn und Österreich gefundenen Modellen ähnelt.

In der Museumssammlung befindet sich der Schädel eines etwa 30 Jahre alten Erwachsenen. Dieser kurios wirkende Schädel weist eine überraschende Verformung auf, die absichtlich herbei­ geführt worden ist. Sie erklärt sich durch ein lang anhaltendes Pressen der Schädelknochen schon seit den ersten Lebensjahren. Der Kopf wurde von beiden Seiten mit Stoffbändern oder Brettchen in einer Entwicklungsphase eingeschnürt, in der die Knochen noch formbar sind. Wozu diese Maßnahme dienen sollte, ist nicht bekannt, aber man findet sie zu Beginn des Mittelalters überall bei den Bevölkerungsteilen, die aus Osteuropa kamen. Diese Praxis, die ihren Ursprung in Kulturen hat, die sich am Rande des Römischen Reichs befanden, könnte ebenso gut eine gesellschaftliche Auszeichnung wie der Versuch sein, eine bestimmte Besonderheit zu bewahren.

30 Das Grab von Hochfelden Hochfelden, Ziegelei Lanter (Ausgrabungen Jean-Jacques Hatt und Hans Zumstein) Schmuck, Geschirr und Kleidungsstück Unterschiedliche Maße, Halsring: L. 369 mm Beginn des fünften Jahrhunderts n.Chr.

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31 Künstlich verformter Schädel Dachstein, „Am Geist“ (Ausgrabungen G.-F. Heintz) Knochen Sechstes Jahrhundert n.Chr.

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Frühmittelalter

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Schutz aus nächster Nähe…

Strass und Schund

Obwohl das Christentum dank des Einsatzes der missionierenden Mönche und der Übertritte der oberen Schichten immer mehr an Boden gewinnt, bleibt der Aberglauben in der Bevölkerung der Merowinger dennoch lebendig. Bestim­ mte seltene und kostbare Materialien sollen einen besonderen Schutz spenden. Das gilt für den Bernstein, der von den fernen Gestaden der Ostsee kommt, oder auch für den Bergkristall, aus dem kugelförmige Amulette mit edler silberner Fassung gefertigt werden. Auch einige Muscheln aus dem Mittelmeer gewähren Schutz gegen ein übles Schicksal und gegen alltägliche Gefahren. Diese Amulette werden häufig an einer langen Kette oder in Lederbeuteln getragen, die man an den Gürtel hängt.

Die merowingische Gesellschaft wird von einer Krieger-Elite beherrscht, für die hochqualitative Waffen und edler Schmuck zum sozialen Prestige gehören und Symbole für Macht und Kraft darstellen, die auch ins Jenseits mitgenommen werden. Um diese Nachfrage zu befriedigen, beherrschen die Goldschmiede des Früh­ mittelalters verschiedene Methoden, dank deren ihnen sehr fein ausgearbeitete Schmuckstücke gelingen: Feuer­ vergoldung von Quecksilber, Verzierung aus Gold- und Silberfäden, in hauchdünne Fassungen aus Edelmetallen oder Damaszener Stahl eingelegte Granate. Bei diesem eigenständigen Verfahren werden Metallfäden in filigran gravierte Platten eingesetzt, um so geometrische Gestaltungen, Arabesken oder stilisierte Tierfiguren herzustellen. Der sowohl in Gräbern von Männern als auch von Frauen vorhandene Schmuck beweist, dass Stücke in schillernden und kontrastreichen Farben besonders beliebt sind. Die Völkerwanderung führt zu Störungen der Handelswege, und es kommt zur Verknappung von teuren Edelsteinen und -metallen, weshalb diese bei der Anfertigung von Schmuck nach und nach durch halbedle Steine und bunte Glasmasse ersetzt werden.

32 Amulettanhänger Elsass Bergkristall mit Silber Durchm. 35 mm Sechstes Jahrhundert n.Chr.

33 Merowingische Fibeln Elsass Gold, Silber, Bronze, Granate Sechstes bis siebtes Jahrhundert n.Chr.

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Archäologisches Museum

FÜHRER

251829 9 €

Stras Coll Archeo Couv 21 Print.indd 3

Archäologisches Museum

9 7823 5 1

Das im 18. Jahrhundert entstandene Archäologische Museum ist das älteste der Straßburger Museen. Während seiner dreihundertjährigen, zum Teil bewegten Geschichte wurden sehr bedeutende Sammlungen zusammengetragen. Seit Ende des 19. Jahrhunderts sind diese im Untergeschoss des RohanSchlosses untergebracht. Deren Vielfalt und große zeitliche Bandbreite machen es zu einem der bedeutendsten archäologischen Museen Frankreichs. Hier können Sie die Geschichte Straßburgs und des Elsass von der frühen Vorgeschichte bis in die ersten Jahrhunderte des Mittelalters entdecken.

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