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Einleitung
Da sind diese Momente, in denen alles einfach scheint, die Bewegungen flüssig und Lösungen, die ohne nachzudenken kommen, wenn wir fast ohne Anstrengung über die Wand tanzen.So ist es, mit der Strömung zu schwimmen, der Intuition zu folgen. So ist Yoga.
Martina Cufar
Die Fusion von Yoga und Klettern ist natürlich. Klettern und Yoga zeigen dir, wer du wirklich bist, sie helfen dir, zu dir zu finden. Beide decken deine Ängste auf und helfen, sie zu überwinden. In der Wand und im
Leben.
Christian Core
Die erste Auflage begann mit folgenden Überlegungen: ”Warum schreibt jemand ein Buch, das Yoga und Klettersport miteinander in Verbindung bringt? Was haben zwei, in Ziel und Kontext scheinbar so unterschiedliche Disziplinen gemeinsam? Diese Frage könnte die Reaktion vieler sein, seien es nun Kletterer oder Yoga-Fans, die dieses Buch wahrscheinlich mit einer Spur von Argwohn durchblättern. Yoga und Klettern haben jedoch sehr viel mehr Aspekte gemeinsam, als man meinen könnte; unter der Bedingung, dass man mit der richtigen Einstellung an die beiden Disziplinen herantritt.“
In der Tat, als ich 2010 mit diesem Buch begann, war Yoga noch nicht so berühmt wie jetzt, und schon gar nicht in der Kletterszene, in der es hauptsächlich zwei Reaktionen gab: Abneigung oder ein tiefgehenderes Interesse für die, nach innen gerichtete Herangehensweise, die im Buch vorgeschlagen wurde. Dazu kamen dann noch jene, die Yoga bereits praktizierten, um ihre Flexibilität, ihre Atmung oder Konzentration zu verbessern... Beide Reaktionen entstanden aus der Annahme, dass Yoga eben nicht nur eine Art Gymnastik ist, sondern eine Disziplin mit einer starken spirituellen und meditativen Komponente. Man hasste (oder fürchtete) also diese introspektive Natur des Yoga, oder aber man wurde vollkommen davon vereinnahmt. In den letzten fünf Jahren erlebten sowohl Yoga als auch das Klettern einen enormen Boom, dabei spielten die Medien und eine Welt, in der Social, Influencer und eine Kultur der Oberflächlichkeit und des Scheins immer wichtiger sind, mit Sicherheit eine große Rolle. Dieser Boom führte in beiden Disziplinen zu einer gewissen Banalisierung ihrer Bedeutungen und Grundlagen. Überall neue Kurse mit 1000 verschiedenen Yoga-Arten, oftmals geleitet von Lehrern, die in einem Monat Intensivkurs oder auch weniger ausgebildet wurden. Zu noch größerer Verwirrung führten schließlich die sozialen Medien, wo es nur so von ”yogischen Rockstars“ wimmelt. Junge Leute mit bemerkenswerter athletischer Ausbildung (meist aus anderen Sportarten kommend) zeigen sich in komplexen Positionen, die ihnen zu einem gewissen Ruhm verhelfen. Trotzdem ist es ausreichend, nur einen ihrer Posts zu lesen, um zu erkennen, dass ihre Kenntnis dieser Disziplin ziemlich begrenzt ist. Es bleibt bei ein paar Zitaten und pseudo-spirituellen Gedankengängen, die oberflächlicher nicht sein könnten. Das Problem ist, dass sie oft tausende Follower haben und so die falsche Auffassung verbreiten, dass Yoga eine ergebnisorientierte Gymnastik-Disziplin ist und dass man dafür als Lehrer lediglich gut in Form sein muss. In wenigen Jahren veränderte sich die Auffassung von Yoga als irgendeine orientalische Disziplin, die Gymnastik mit Spiritualität und Meditation vermischt, hin zu einer Form fortgeschrittener Gymnastik, bei der es um eine möglichst sehenswerte Performance geht. Wenn man dieser ”Gymnastik“ dann noch einen Hauch Orient verpasst, dann ist das Ganze ziemlich cool und massentauglich, auch in der Kletterszene.
Ein großer Teil des vertikalen Völkchens hat Yoga nur als gute Trainingsergänzung für das Klettern (wieder)entdeckt: das stimmt zwar, ist aber eine sehr begrenzte Auffassung. Andere dagegen sehen Yoga als diese ”coole“, krampfhafte Suche nach Performance wie sie auch beim Klettern oft vorkommt. Mit Blick auf die ersten Sätze dieser Einleitung geht es jetzt nicht darum, die Konzepte neu aufzuarbeiten, weil die Verbreitung des Yoga auch dessen Verbindung zum Klettern deutlicher gemacht hat, sondern vielmehr, weil es heute mehr denn je wichtig ist, an die Bedeutung dieser uralten Disziplin zu erinnern; ohne sie ist es unmöglich, den wirklichen, tiefgehenden Zusammenhang mit dem Klettern zu verstehen. Yoga ist kein Stretching, kein Körperkult und es geht bei den Asana (die Yogapositionen) nicht darum, immer flexibler zu werden: Yoga ist ein Weg des Bewusstseins über uns selbst und dieser Weg beginnt sicherlich beim Körper. Der Körper ist dabei jedoch ein Mittel, um zu den tieferliegenden Schichten des Bewusstseins vorzudringen. Der Körper ist der Ausgangspunkt und die Asana haben als Ziel, ihn in einen gesunden Zustand zurückzuführen, ihn zu entgiften, das psychophysische Wohlbefinden voranzutreiben und unsere Energiekanäle zu befreien und für die nächsten Schritte vorzubereiten. Diese Vorbemerkung ist grundlegend, um zu verstehen, wie man sich an die Yogapraxis und deren Verbindung mit dem Klettern annähern kann. Sicherlich können nicht alle daran interessiert sein, über die Praxis der Asana hinauszugehen und das gilt noch vielmehr, wenn die yogischen Techniken mit dem Klettern verbunden werden. Wenn gut ausgeführt, sind die Positionen bestens geeignet, um Unfällen vorzubeugen, Flexibilität, Gleichgewicht, Konzentration und Kraft zu erhöhen und somit auch als Kletterer besser zu werden. Ebenso sind die Techniken von Pranayama und Meditation perfekt, um an der Atmung oder geistigen und emotionalen Aspekten in Hinblick auf das Klettern zu arbeiten. Das alles führt uns neben einem besseren Klettern zu mehr Wohlbefinden. Wenn ihr also eher an diesem ”praktischen“ Aspekt interessiert seid, könnt ihr hier die technischen Anleitungen dazu finden. Aber auch in diesem Fall solltet ihr daran denken, dass es zwischen Yoga und Stretching/Fitness einen wichtigen Unterschied gibt: Bei der Asanapraxis muss der Geist präsent sein, konzentriert und fokussiert auf den Körper und das, was wir während dem Halten der Position empfinden, auf die tiefe und ruhige Atmung und auf eine tiefere Selbstwahrnehmung. Bewusstsein. Präsent sein im ”Hier und Jetzt“, in genau diesem Augenblick. Kontrolle über Geist und Körper. Das sind die grundlegenden Aspekte der Yogapraxis, auch wenn es dabei nur um das Training geht. Wenn ihr dagegen an Yoga interessiert seid, das nicht nur aus Übungen besteht, sondern ein spiritueller Weg ist, der uns tiefer in uns gehen lässt, dann könnt ihr hier das ausprobieren, was die wahre Natur dieser Disziplin ausmacht. Das ist der Ausgangspunkt, um auch das Klettern aus einem anderen Blickwinkel zu betrachten, um zu entdecken, dass auch diese Disziplin mit einer viel tiefer gehenden Wahrnehmung gelebt werden kann, so sehr, dass sie zu einer Form des Yoga werden kann!
Dieses Handbuch soll also keine Anleitung sein für ”Yoga für das Klettern“, es macht es sich viel mehr zum Ziel, das ”Klettern als Yoga“ wahrnehmen zu können. Genau aus diesem Grund ist der erste Schritt, herauszufinden, wie Klettern und Spiritualität schon immer fest miteinander verbunden waren!
Spirituell leben ist leben in der Gegenwart. Das Yoga bringt uns in den jetzigen Augenblick, macht uns unserer Haltung bewusst, unserer Bewegungen und unserer Atmung.
Swami Vivekananda