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Von Kamelen, Löwen und Kindern
from #1 Unruhe bewahren
by engagée
engagiert spielen.
In Friedrich Nietzsches „Also sprach Zarathustra“ werden eingangs drei Verwandlungen des Geistes thematisiert. Erstens jene zum Kamel, zur Unterwürfigkeit und Leidensfähigkeit; zweitens jene zum Löwen, zum Mächtigen und Bestimmenden; schließlich jene zum Kind, zur radikalen Neuerschaffung von Welt. Wie kann der Schritt von der Empörung zur Rebellion vollzogen werden; von der Revolution, die in einem selbst stattfindet zur radikalen Umwälzung der Verhältnisse?
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Die Frage „Was ist der Mensch?“ ist eine politische, weil jeder Mensch werden kann. Handeln ist nicht einfach selbst- oder fremdbestimmt. Diese Gegenüberstellung ist bereits problematisch und kann nur ideologisierend wirken. Gleichwohl bleibt der Handlungsbezug von Selbst- und Fremdbestimmung unterbelichtet –denn ebenso gut könnte formuliert werden: Selbst- und Fremdbestimmung sind handlungsbestimmend. Was aber folgt daraus? Anders als diese Formulierung vielleicht nahe legt, handelt es sich dabei nicht um einen Rückzug in die Beliebigkeit, sondern um ein Plädoyer, die gesellschaftliche Bedingtheit und die eigene Freiheit als das Ermöglichende zu denken.
Bin ich alles, was ich mir vorstellen kann zu sein? Was ist, wenn die Möglichkeit besteht, das zu werden, was ich noch nicht bin? Wer über das Subjekt nachdenkt, befindet sich rasch mitten in der Diskussion über individuelle Handlungsfreiheit. Dabei ist der lateinische Begriffsubiectum (das Daruntergeworfene) selbst hochgradig problematisch, da er suggeriert, dass wir immer und zuallererst Unterworfene sind. Wie können wir aber handeln, wenn jede Anstrengung, etwas zu sein und zu werden, den herr-
schenden Verhältnissen unterworfen ist? Und welchen Sinn hätte es dann noch, unter dieser Voraussetzung aufeine grundlegende Veränderung der Verhältnisse hin zu drängen?
Die tiefe Notwendigkeit liegt im Handeln selbst. Handeln selbst ist der Sinn. Denn der Mensch ist nichts. Will er sein, muss er handeln. Es gibt keinen Sinn außerhalb der Gesellschaft. Der Sinn beginnt dort, wo die Präsenz nicht rein statische Präsenz ist, sondern sich bewegt, verzweigt und auf ein Anderes trifft. Es gibt also keinen Sinn, wenn dieser nicht geteilt wird. Die menschliche Praxis zueinander macht das Sein aus. Da diese Praxis nurintersubjektivsein kann, lässt sich schließen: das Handeln bestimmt das Sein. Dieser Aphorismus ist allerdings wertlos, wenn er ähnlich einem Psalm seine Selbstgenügsamkeit aus dessen ewigem Herunterleiern zieht, denn Handeln verpflichtet stets zu fragen: Wie erfahre ich mich als Subjekt durch meine Handlungen? Wie sind meine Erfahrungen, mein Denken und meine Gefühle durch gesellschaftliche Verhältnisse strukturiert? Wie verlaufen deren Vermittlungsprozesse?
Handlungen sindgesellschaftlich bestimmt: Wirschaffen gesellschaftliche Verhältnisse, lassensie zuundhandelninihnen. So bringt jede Gesellschaft ihre eigene Gefühlskultur hervor –und damit spezifische Denk- und Handlungsweisen. Ebenso bedingen unsere Handlungsweisen (und damit auch Denkweisen) eine spezifische Gesellschaft mit ihrer Gefühlskultur. Die Gegenwart ist gekennzeichnet durch das Gefühl intensiv leben zu müssen. Die dazugehörige Strategie lautet Selbstoptimierung. Der Blick richtet sich mikroskopisch aufdie kontinuierliche Arbeit am Selbst und dessen Repräsentation, während makroskopische Panik vor
engagiert spielen. dem Scheitern lauert. Wir finden keine Ruhe, tauchen ab ins Digitale und arbeiten bis zur Erschöpfung –vor allem an uns selbst. Kein Ausdruck von Neugierde in unseren kontrollierten Gesichtern. Einzig der Gedanke an die Geldvermehrung hält uns in einem langen Fieber. Am Ende bleibt nur die Flucht in die kollektive Einsamkeit. Vereinzelt, narzisstisch und abgekämpft tragen wir vielleicht noch einen letzten Rest verdrängter Sehnsucht in uns –nach alltäglicher Subversion. Aber diese vermeintliche Revolution hat einen fahlen Geschmack –sie will keine sein. Die Unbestimmtheit wird uns zur Qual und die Überzeugung sitzt zu tief, dass der Status quo nicht veränderbar ist.
Herrschaft und Knechtschaft (so althergebracht diese Begriffe scheinen, so viel lassen sie bereits von den Formen ihrer Hierarchisierungen erahnen) stellen eben keine Leiter dar, die von ebener Erde in den ersten Stock reicht; vielmehr bezeichnen sie ein Netz vielfältiger Machtbeziehungen. Wenn wir Gesellschaft als jene Summe von Beziehungen begreifen, in denen Individuen zueinander stehen, dann können wir sagen, dass Konsument_in sein und Besitzbürger_in sein Ausdruck von Individuen in ganz bestimmten Beziehungen ist. In einerGesellschaft, die wesentlich aufVerwertungslogikbasiert, heißt In-beziehung-sein dann auch, aufein Mittel reduziert zu sein, um den Zweck zu erfüllen, der selbst nichts anderes mehr ist als ein Selbstzweck. Die Handlung der Konsumption, die Handlung des Besitzens wird zum Zweck. Handeln ist also gesellschaftlich zu denken; und Gesellschaft lässt sich bestenfalls als ein Akt-Ensemble fassen. Damit wäre das Handeln dergesellschaftliche Akt, und vice versa. Jede Handlung, im intersubjektiven Sinne, weist gesellschaftliche Momente auf; und in jeder Gesellschaft werden diese Handlungen getätigt –egal wie unsolidarisch, revolutionär oder lethargisch-konservativ diese (Handlungen bzw. Gesellschaften) sein mögen. Aber die bloße Existenz der gesellschaftlichen Handlungsbedingungen –der Begrenzungen, Möglichkeiten oder Freiheiten –reicht noch nicht aus, es kommt daraufan, die gegebenen Grenzen zu erkennen und mit der Möglichkeit ihrer Überschreitung zu experimentieren, sich ihrer bedienen zu wollen. Handlungsfreiheit heißt dann, sich zum Wollen zu entschließen; zu insistieren, zu widerstehen, zu widersprechen und zu intervenieren. Denn frei sein heißt nicht, tun und lassen was man will, sondern wollen was man kann. Erst mit dem Bewusstsein, dass wir die jeweils unsrige Gesellschaft aus unseren Handlungen erschließen müssen und dass sich unsere Handlungen (zumindest deren Motivation) von unserer Gesellschaftlichkeit und Geschichtlichkeit her bestimmen, können wir versuchen neue Wege der Politik, neue Wege der Partizipation und des Miteinanders zu finden. Ein Schelm, wer denkt eine Kultur der Partizipation, welche Neues fordert, könne aus dem Alten paradoxiefrei abgeleitet werden. Übrig bleibt die Frage, ob wir Kinder werden und eine radikale Neuerschaffung der Welt wagen wollen –dies kann keine Frage menschlichen Vermögens sein, haben wir es doch vollbracht gar Götter zu schaffen.
| Markus E. Hodec, Rahel Sophia Süß
Worte zum Trocknen aufhängen.