8 minute read
Ein Blick zurück in mich hinein
from #1 Unruhe bewahren
by engagée
Wenn wir uns ontologische Realität als eine physische vorstellen, so sind wir schon an einem Ende angelangt. An einem Anfang und einem Ende, das in sich, mit sich ist, darüber und darunter nichts kennt. Der Anfang kongruiert mit dem Ende, sie lösen sich auf, bestehen nur als Kategorien in Gehirnen ewig zeitnaher Wesen, die ihrem Unverständnis darüber, dass ihr Anfang auch ihr Ende ist, schon immer mit furchtbarem, um sich greifendem Furor Raum verschafft haben. Leben, das durch Gedanken Form und Prozess darstellt, kann sich nicht vorstellen, dass schon alles war, was ist und sein wird, und zur gleichen Zeit ist, was immer sein muss, und es selbst nur partiell dazugehört.
WerdasUniversumnichtstetsmitdenktistbewusstlos, somit bleibt den meisten nichts anderes, als Sinn auf dieser, unserer Heimat, der einzigmöglichen, zu suchen. Aber wozu führt das? Metaphysischer (Un-)Sinn, der sich soweit er es sich einbilden kann, von der physischen Realität entfernt, treibt uns an, tagtäglich, in irgendeine Idee hineinzulaufen, sie als Lebensinhalt, aufder unsere Ambitionen Fuß fassen können, zu akzeptieren. Manchmal adaptieren wir unsere Pläne, selten verwerfen wir sie und verschreiben uns einer neuen Idee. Dabei sind wir unausweichlich und schon immer der Idee, der einzigen, die nicht Idee werden muss, weil sie alles ist, verschrieben. Wir wachsen aus ihr und wachsen in sie, sind sogar darin, wenn wir uns nichts mehr bewusst sind.
Advertisement
Warum aber dann diese Worte, wenn das einzige, auf das es hinausläuft, das Alles und das gleichzeitige Nichts ist? Ein solcher Text muss nicht geschrieben werden, wenn der Autor annimmt, dass religiöse, politische, philosophische, ökonomische und andere Ideologien, darunter auch sein eigenes Dogma, alle Irrwege, über das Physische hinweg, repräsentieren. Ein Hinweg als Illusion. Somit, was will der Autor?
Einerseits alles akzeptieren was ist: Universum, Natur, Mensch, Leben und Tod, Liebe und Hass, Ideo
sensibel aufspüren.
logie, Gulag und KZ. Und ihre Nichtigkeit feststellen, solange sie als Ideen und Narrative betrachtet werden, denen nachzugehen oder entgegenzuwirken ein Irrtum bleiben muss. Oder: Das alles beiseite zu schieben und zumindest einen Moment anzuerkennen, dass der Impuls, welcher alles antreibt, nicht vorüber ist, nicht kleiner und nicht größer ist als etwas anderes, keine Idee ist, sondern Zustand, auch wir Zustand sind, physischer, damit beschreibbar aber nicht greifbar sind.
Dann müssen wir wieder weitermachen, um handfeste Ideen zu finden, die solche unmöglichen Zustände unserem, von allen Phänomenen überforderten Verstand erklärbar machen, als Ideen, die von der eigentlichen Realität ablenken und neue antagonistische Realitäten schaffen, die uns nichtin die physische Ursache, in einem Paradigma des Seins festhalten, sondern vorwärts in die Abschaffungandereroderuns aller. Im Sinne derEgalität unter den physischen Entitäten ist es aber gleichgültig, ob ich der Gegner, die Unwissende, der Wissende, die Unterstützerin, der Wärter, die Täterin oder das Opfer im Prozess der Massenverschiebungen bin. Mein Engagement ist in jedweder Hinsicht ein Irrtum. Aufhören, loslassen, sich kümmern um das Sein an und fürsich, das einzig nötig ist, wenn es auch sinnlos bleibt. Für Immer.
Da wir immer nur Subjekte bleiben werden, nicht objektiv sein können, bleibt auch der angeführte, pseudo-objektive Diskurs eine Illusion. Jedes Engagement ist aufgrundderUnmöglichkeit, falschzuliegen, solange wir uns im metaphysischem Raum, unserem Verstand, befinden, gerechtfertigt, oder lässt sich von jeder physischen Faktizität, die es da draußen gibt, abschirmen. Somit: Engagiert euch!
| aws
Ich hab angefangen, deinen und meinen Körper auseinanderzuschneiden. Kopfan Kopf, Schulter an Schulter. Ich mag dich gern zu einem eigenen Menschen machen und ich mag mich gern zu einem eigenen Menschen machen. Zwanzig Jahre lang ein Herz und eine Seele sind zwanzig Jahre lang ein Herz und eine Seele zu wenig.
Bin das noch ich oder bist das schon du? Ich stoße meinen Kopfimmer wieder gegen Mauern. Ich möchte spüren, wo ich aufhöre und wo du anfängst.
Die Augen wie du, die Lippen wie du, die Haare wie du bist ja wie deiner Mutter aus dem Gesicht geschnitten.
Manchmal beschleicht mich das Gestern. Manchmal drängt sich die Kindheit nah an mich heran und etwas Dunkles kriecht in meine Brust. Ich kann nicht sagen, was ist. Mein Körper weiß mehr als ich bleibe ahnungslos und unbeholfen.
sensibel aufspüren.
Ich stolpere. Ich nehme mich bei der Hand und strukturiere meinen Tag. Ich stehe früh auf, arbeite viel und hoffe, dass ich am Abend müde bin.
Ich stolpere. Ich nehme mich bei der Hand und strukturiere meinen Tag. Ich stehe früh auf, arbeite viel und hoffe, dass ich am Abend müde bin. Zur Ablenkung gehe ich in eine Gärtnerei und schaue mir stundenlang Pflanzen an. Das Leben beruhigt. Ich lasse mir erklären, wie die Pflanzen heißen und wie sie zu pflegen sind. Es entspannt mich, dass jemand alle Antworten aufmeine Fragen weiß. Daheim dünge ich die Dahlien, Kosmeen und Lobelien, die üppig wuchern, und überschütte sie mit Wasser und mit Liebe. „Er gibt mir Ruhe“, „Er tut mir gut“, so höre ich mich in letzter Zeit über meinen Garten sprechen. Ein Freund sagt: „Solange du noch nicht das Bedürfnis hast, dir eine Katze zuzulegen, ist alles in Ordnung. Sollte es aber dazu kommen, so wäre das ein beunruhigendes Zeichen.“
Als Kind stieß es mich immer ab, wenn meine Großmutter das Fell ihrer Katzen nach Zecken durchsuchte und diese - sobald sie sie zu fassen bekam - mit einer flinken Drehbewegung aus dem Fleisch entfernte, um sie anschließend am Boden zu zertreten oder aufeinem Fingernagel zu zerdrücken. Mit einem leisen, knackenden Geräusch zerplatzte die prall gefüllte Zecke, während sich das Blut in alle Himmelsrichtungen verteilte. Ich habe gänzlich damit aufgehört, Katzen und andere Tiere zu streicheln. Zu groß ist der Ekel. Wann immer ich mit einem Tier in Berührung komme, drängt es mich augenblicklich dazu, meine Hände zu waschen. Ähnliches erlebe ich in Beziehungen mit Männern. Wenn ein Mann neben mir einschläft, habe ich am nächsten Morgen das dringende Bedürfnis, mich zu waschen. Allein die Anwesenheit eines Mannes, der aufirgendeine Art und Weise romantische Gefühle hegt, und mit seinem Geruch und seiner Körperbehaarung sämtliche Räume meiner Wohnung penetriert, führt zu einem konstanten Gefühl der Beschmutzung. Nähe löscht aus. Ich rieche nicht mehr nach mir und meine Wohnung riecht nicht mehr nach mir. Ich atme jedes Mal auf, wenn mir ein Mann erklärt, warum es zwischen uns nicht funktionieren kann. Endlich.
Ich liebe dich, aber ich kann es dir nicht sagen. Am Ende drehst du mir noch einen Strick daraus. „Heute würde ich mich scheiden lassen, aber damals waren es noch andere Zeiten“,
sagt meine Großmutter. Aufdem Totenbett hatte sie ihrer Mutter das Versprechen abnehmen müssen, dass die Füße ihres Leichnams nicht zusammengebunden werden sollten, denn, „wenn ich einmal aufder anderen Seite bin, möchte ich hingehen, wo ich will.“ Mitgehangen mitgefangen. Ich bin an meinem Kindheitsort. Die Kindheit frisst sich schnell und kalt an mich heran. Eine Schwere nistet sich ein, etwas Dunkles zieht. Nach langem und beschwerlichem Krebsleiden hat sich meine Großtante und Nachbarin „aufdie Gleise gelegt“.
Der erste Selbstmord ebnet dem zweiten Selbstmord den Weg. Der zweite Selbstmord ebnet dem dritten Selbstmord den Weg. Neben Büscheln von Thymian, Salbei und Kamillen beginnt nun auch das Johanniskraut zu verdorren und zu vertrocknen. Ich beziehe meine Energie aus dem Grün der Pflanzen und der Anzahl der Blüten. Ich möchte jemand eigenes werden und dabei bleiben. Der Wald meiner Kindheit ist ein Urwald, er wuchert tiefund dunkelgrün. Manchmal bleiben meine Gedanken an Ästen und Sträuchern hängen wie an Spinnenweben. Ich versuche mich an eine Zeit heranzuschreiben, die ich nicht weiß. Ich umkreise taubstumme Flecken. Im Dunkeln suche ich nach einem Faden, der mich an den Anfang führt.
Die Erinnerung ist kalt, das Wort finster. Ich schaue nach vorn und denke nach hinten. Im Wald kommt das Dunkel schnell. Die Zeit tropft langsam und kalt. Das Wasser fließt langsam und kalt den Fluss hinunter. Im Elternhaus meiner Großmutter wurden einst die Leichen der Selbstmörder und Unfalltoten aus der Drau aufgebahrt. Der Wassermann wohnt bei der Drau, er frisst die Kinder, die allein zum Fluss gehen. Noch heute glaube ich, dass mich eine kalte, nasse Hand packen wird, wenn ich nur lange genug ins dunkle Grün hineinschau. Das Schilfbewegt sich leise im Wind, Mücken tummeln sich aufder Wasseroberfläche, im Gestrüpp knackt es.
Ich suche eine Flaschenpost.
Der Geruch von Wasser und von Meer. Gleich wird eine glitschige, schwarze Hand aus der Tiefe des trüben Wassers emporschießen und mich an meiner Kehle packen. Es gibt tausend Wege in die Kindheit hinein und keinen Weg aus der Kindheit hinaus.
Der Fährmann hat einmal die verlorenen Seelen ans andere Ufer der Drau gebracht. Er konnte niemanden sehen, er konnte nur hören. In Wassergläsern bilden Setzlinge Wurzeln aus. Nachdem sich der Ginkgo und die Zamioculcas zamiifolia drei Jahre lang denselben Topfgeteilt haben, wobei vor allem der Ginkgo unter dem exzessiven Wachstum der Zamioculcas zu leiden hatte und seit zwei Jahren keine Blätter mehr trug, habe ich die beiden Pflanzen voneinander getrennt. Die Wurzeln eng umschlungen. Nach 10 Tagen in einem eigenen Topfbegann der Ginkgo wieder auszutreiben und eigene Blätter zu entwickeln. Hier ist so viel Luft und ich kann trotzdem nicht atmen. Die Heimat kriecht mir aus jedem Augen-Winkel entgegen.
Es wird still und eng. In einem Pappkarton sammelt meine Großmutter die Gegenstände - vornehmlich Bücher, Fotografien und Postkarten - die sie mir nach ihrem Tod vermachen will. „Damit nichts verloren geht, wenn ich einmal meine Augen zugemacht habe.“ Ihre Rezepte hat sie in einem Notizbuch aufgeschrieben. Im Mai Holunderblütensirup. Im Juni Erdbeermarmelade. Im Juli Marillenmarmelade. Salbei und Thymian hängen zum Trocknen im Stiegenhaus.
Jedes Jahr erschreckt es mich zu Tode. „Wer rückwärts läuft, schaufelt seiner Mutter das Grab.“ Der Weg entlang der Drau ist schmal. Rechts Akazien, Holler und Brennesselstauden. Links Akazien, Holler und Brennesselstauden und eine Ahnung von Wasser. Über mir ziehen schwarze Vögel ihre Kreise. Ich bleibe stehen und höre nichts. Aus Angst flüchte ich mich in ein Geräusch. Mutterseelenallein. Ich bitte dich, gib mir nicht deine Schuld.
Ich habe eine solche Angst, wenn ich in die Landschaft hineinschau, aus der ich hervorgegangen bin. Etwas Dunkles zieht mich. Zurück. Immergrüner Efeu fasst mich an Armen und Beinen, schlingt sich mir um meinen Hals und kriecht durch meine Adern. Eine blaue Aster wächst aus meinem Mund. Wenn ich nur lange genug den Samen der Königskerze an meine weiße Brust halte, wird sie wie eine gelbe Fackel aus meinem Herzen emporwachsen. Fleisch ist geduldig. Die überlebenden und verstorbenen Soldaten des ersten Weltkriegs schauen aus grünstichigen Augen aufden Mittagstisch herab. Eine Spinne hat im Herrgottswinkel ihr Nest gebaut. Für euch bin ich geboren worden, für euch lebe ich und für euch werde ich sterben. Ich versuche, die Menschen bei ihrem Wort zu nehmen und nicht bei meinem. Ich gehe davon aus, dass du die Wahrheit sprichst.
| Lisa-Maria Rakowitz
gesprochen von Lilly Valerie Kroth