69. Jahrgang März 2016 ISSN 0340-4536 22001
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V+T PersV Verkehr und Technik
Organ für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) Verkehrstechnik · Verkehrswirtschaft · Verkehrspolitik
Personenbeförderungsrecht Kommentar zum Personenbeförderungsgesetz nebst sonstigen einschlägigen Vorschriften
www.ESV.info/978-3-503-00819-3 Technik Kuppelfähigkeit neuer Bahnen mit Bestandsfahrzeugen 79
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Markt und Recht Das Ausgleichssystem nach § 45a PBefG 101
16.02.2016 16:34:19
V+T Inhalt
Verkehr und Technik Organ für den Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV) Verkehrstechnik · Verkehrswirtschaft · Verkehrspolitik
ni k_ Tec hnik__ 79
Kuppelfähigkeit neuer Bahnen mit Bestandsfahrzeugen am Beispiel der Stadtbahnwagen „U4“ und „U5“ der Frankfurter VGF Von C onrads, Be rnd u nd Rüffe r, Michae l
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Otokar Kent C: Die türkische Alternative Von Bünnage l, C lau s
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Neue Unimog-Generation trumpft groß auf Von Ru the nbe rg, Robe rt
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Gewichts- und leistungsoptimierte Antriebslösung für die neue Fahrzeuggeneration FLIRT3 Von Pu kall, Olive r u nd Zande r, Bj örn B etrie bspraxis u nd Rationalisie ru ng__
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Strategie zur Einführung elektrifizierter Bussysteme Von Lindbe rg, Pe te r
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Leistungsfähiger S-Bahnverkehr im Großraum Berlin – Teil 1 Von U tte ch, I ngo Ma r k t u nd Re cht__
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Das Ausgleichssystem nach § 45a PBefG als Hemmnis für einen effizienten ÖPNV V on Bau me iste r, H u be rtu s Kur zbe itrag_
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Neun Unternehmen – eine Lösung Kur z & Bündig_
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Aus der Industrie
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Persönliches
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Verkehr und Technik 2016 Heft 3
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Stadtbahnwagen
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Kuppelfähigkeit neuer Bahnen mit Bestandsfahrzeugen am Beispiel der Stadtbahnwagen „U4“ und „U5“ der Frankfurter VGF Machbarkeit, Umsetzung, Chancen und Risiken Von Bernd Conrads und Michael Rüffer, Frankfurt a. M., Andreas Maroschik, Mannheim, und Peter Werner-Wieland, Mannheim*) Ausgangslage – Herausforderungen – Technische Umsetzung – Zulassung – Betriebliche Auswirkungen – Erfahrungen aus dem Betrieb – Chancen und Risiken der Herstellung der Kuppel fähigkeit – Ausblick
1. Ausgangslage 2003 begann die Verkehrsgesellschaft Frankfurt am Main (VGF) mit der Planung für die Beschaffung neuer Stadtbahnwagen. Da es sich um die fünfte Fahrzeug-Generation seit Öffnung des ersten U-Bahnabschnitts im Oktober 1968 handelt, trägt dieser Typ – seit 2008 im Einsatz – die Bezeichnung „U5“. Anders als bei den Straßenbahnen des Typs „S“, bei denen 2003 die Auslieferung begonnen hatte, war schnell klar, dass die Hersteller keine Plattformfahrzeuge anbieten konnten. Für die VGF bedeutete
das, dass – zusammen mit dem noch nicht feststehenden Fahrzeughersteller – die Neukonzeption eines Hochflurfahrzeugs notwendig war. Um keine Veränderungen der ortsfesten Infrastruktur vornehmen zu müssen – die VGF finanziert seit Jahren einen teuren barrierefreien Umbau der ober- und unterirdischen Bestands-Stationen, diese erneut anzufassen kam daher nicht in Frage –, traf die VGF die Entscheidung, sich mechanisch den im Einsatz befindlichen älteren „U3“- und „U4“-Fahrzeugen des Herstellers Siemens anzugleichen. Für die übrige Fahrzeugtechnik waren die
Bild 1: Eine Dreier-Traktion auf der Linie U1, Fahrtrichtung Südbahnhof, kurz vor Einfahrt in die Station „Zeilweg“. Die Komposition wird von einem „U5“-Wagen der Firma Bombardier geführt, der ältere „U4“Wagen der Firma Siemens fährt am Zugende. In der Mitte ebenfalls ein neuer „U5“. Verkehr und Technik 2016 Heft 3
– Anforderungen der Fahrgastgremien – Bedürfnisse einer kostengünstigen und technisch einfach durchzuführenden Instandhaltung sowie die – betrieblichen Anforderungen die Eckpfeiler der Konzeption. Insbesondere die betrieblichen Randbedingungen des Fahrzeugeinsatzes sollten verbessert werden. Hier sah die VGF die – kurz gekuppelten 25m-Einheiten und die – Bildung von Traktionsverbänden verschiedener Fahrzeugtypen als Verbesserungs-Potential. Mit der späteren Konzeption des 50 Meter langen „U5-50-Fahrzeugs“, das an die seit 1999 im Betrieb fahrenden „TW2500“ der Hannoveraner üstra angelehnt ist, wurde die Kurzkupplung schließlich verwirklicht. Die Bildung von Traktionsverbänden verschiedener Fahrzeugtypen stellte allerdings eine technische Hürde dar, die bisher weltweit noch nicht gelöst wurde. Anders als bei den Betrieben in Calgary oder San Diego, die diese Thematik mit Traktionen aus Fahrzeugen mit Gleichund Drehstromantriebstechnik desselben Herstellers schon gelöst haben, machte bei der VGF nur die Traktion zweier „Drehstromfahrzeuge“ Sinn, da alle anderen Fahrzeugtypen mit Auslieferung des „U5“-Fahrzeugs schrittweise aus dem Betrieb genommen werden sollen. Ob sich Zugverbände aus neuen „U5“und älteren „U4“-Fahrzeugen würden bilden lassen, war also ein technische Risiko. Allerdings bot sich so für die VGF die Chance, erstmals ihre gesamte Stadtbahnflotte untereinander zu kuppeln. Auf diese Weise sollten Verfügbarkeitsprobleme in der Zugbildung der Vergangenheit angehören; zusätzlich war damit eine Reduzierung der Fahrzeugreserve möglich (Bild 1). *) Bernd Conrads, Leiter Unternehmenskommunikation, und Michael Rüffer, Leiter der Geschäftsbereichs Schiene, VGF, Frankfurt a. M.; Andreas Maroschik, Director, CEE EAM – LRV Engineering, Bombardier, Mannheim; Peter Werner-Wieland, Configuration Management, Bombardier, Mannheim.
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Vor diesen Hintergründen hielt die VGF ihre Forderung nach diesen Verbänden aufrecht, im Lastenheft wurde sie wie folgt detailliert: – Der „U5“ soll sich bzgl. Design, Maßen und Farbgebung am 1994/1995 in Dienst gestellten „U4“ orientieren, um eine harmonische Einheit zu bilden. – Im Regel- und Notfahrbetrieb müssen die neuen Fahrzeuge mit den vorhandenen Fahrzeugen des Typs „U4“ mechanisch und elektrisch voll kuppelbar sein. – Die beiden Fahrzeuge müssen zusammen in gemischten Zugverbänden (max. vier Wagen) in beliebiger Zusammenstellung voll funktionsfähige Kompositionen bilden und im Fahrgastverkehr einsetzbar sein. – Das automatische Kuppeln im Betrieb muss zwischen „U4“-, „U5-25“- und „U5-50“-Fahrzeugen möglich sein. – Eine Berechnung der Entgleisungs sicherheit ist auch unter Berücksichtigung gemischter Zugverbände aus „U4“und „U5“-Fahrzeugen zu erstellen. – Die projektierten Beschleunigungen und Verzögerungen sind in ihrem Verlauf über der Fahrzeuggeschwindigkeit mit den Parametern des „U4“ abzugleichen, um im Traktionsbetrieb Differenzkräfte an der Fahrzeugkupplung auszuschließen. Hierzu bietet VGF im Auftragsfall Referenzmessungen an einem „U4“-Fahrzeug an. Zusätzlich war zu berücksichtigen: – Die Funktionalität des „U4“-Fahrzeugs darf nicht verändert werden, der „U5“ musste im gekuppelten Zustand seine Funktionalitäten dem Altfahrzeug anpassen. – Im reinen „U5“-Betrieb müssen die Vorteile der neuen Leittechnik und erweiterte Funktionalitäten (Diagnosemeldungen, Ausfallbetriebe, etc.) ausgenützt werden. – Der Zugverband muss selbständig seine Zugkonfiguration erkennen und sich entsprechend initialisieren. – Das „U5“-Fahrzeug muss auf neuesten Sicherheitsstandards basieren und das gültige bzw. aktuelle Sicherheitskonzept erfüllen.
2. Herausforderungen Der Zuschlag für die Lieferung von zunächst 174 25-Meter-Einheiten, bezeichnet als Typ „U5-25“, ging an Bombardier Transportation (BT), wo auch die schon erwähnten „S“-Straßenbahnwagen produziert wurden. 80
Die im Vertrag zur Lieferung der neuen „U5“-Fahrzeuge verankerte Forderung nach betrieblicher Kuppelbarkeit mit unveränderten „U4“-Fahrzeugen stellte BT vor eine schwierige Aufgabe. Die Bestandsfahrzeuge mussten nicht nur in der Lage sein, von einem neuen „U5“-Wagen geführt zu werden, sondern in beliebiger Konstellation der „U5-25“-, „U5-50“- und „U4“-Fahrzeuge eine voll funktionsfähige Mischtraktion zu bilden. Die maximale Zuglänge ist auf vier Fahrzeuge – rund 100 Meter Länge – festgelegt. Diese Problematik wurde zusätzlich durch das Fehlen einer detaillierten Dokumentation der „U4“-Fahrzeuge – insbesondere durch die unzureichend beschriebene Funktionalität der Signale an der Kupplung – verstärkt. Um das auszugleichen, musste im ersten Schritt in Zusammenarbeit zwischen VGF und BT die Funktionalität der Fahrzeugsteuerung und der Diagnose sowie das Bedienkonzept der „U4“-Wagen ausführlich nachdokumentiert werden. Abschließend folgten gemeinsame Messungen der elektrischen Parameter sowie der zeitlichen Verläufe der Signale an einem „U4“. Mit den so gewonnenen Informationen konnten die funktionalen Anforderungen an die Kuppelbarkeit der beiden verschiedenen Typen festgelegt werden. Neben der funktionalen musste auch die physikalische Kommunikationsebene angepasst werden. Eine große Herausforderung stellten dabei die unterschiedlichen Bussysteme dar: Der „U4“ hatte als Zugbus den proprietären, für die erste Hälfte der 90er Jahre typischen, DIN-Zugbus. Die „U5“-Fahrzeuge sollten alle Vorteile des nach IEC 61375 genormten Train Communication Networks mit dem Wired Train Bus (WTB) als Zugbus ausnutzen. Die Inkompatibilität der beiden Bus-Generationen musste durch eine dezidierte Hardware und Software ausgeglichen werden. Ein weiteres Problem stellte die Angleichung der Fahr- und Bremsdynamik der Fahrzeuge dar. Hierzu sollten in der Mischtraktion die unterschiedlichen Antriebs- und Brems-Charakteristiken des „U5“-Fahrzeugs den aufgenommenen „U4“-Kennlinien angeglichen werden. Im reinen „U5“-Betrieb sollte jedoch die volle Leistungsfähigkeit der modernen Antriebe ausgenutzt werden. Auch die Anzeigen der Betriebs- und Diagnosemeldungen am Fahrerdisplay im Mischbetrieb mussten eingehend betrachtet werden. Ein großer Teil der Meldungen konnte zwar im „U5“
identisch projektiert und damit auch in beiden Fahrzeugtypen in gleicher Weise angezeigt werden. Eine besondere Lösung war jedoch für die Anzeige der Meldungen zu den nur im „U5“ verfügbaren Systemen und Zuständen in einem besetzten „U4“-Fahrerstand notwendig. Als Beispiel sei hier die nur in den neuen Fahrzeugen vorhandene Klimaanlage genannt: Wie sollen die Meldungen zur Klimatisierung im Führerstand des „U4“ angezeigt werden, wo dieses Fahrzeug doch über keine entsprechenden Anlagen verfügt? Eine Herausforderung ganz anderer Art wurde bei der Betrachtung der Sicherheitsniveaus der Fahrzeuge deutlich. Die Bestandfahrzeuge erfüllen sowohl einzeln als auch in der Traktion die zum Zeitpunkt ihrer Zulassung gültigen Normen. Der „U5“ musste aber die bei seiner Zulassung geltenden, weiter entwickelten Normen vollständig erfüllen. Welche Normen muss nun die aus „U4“ und „U5“ bestehende Mischtraktion erfüllen? Eine eindeutige Regelung gab es nicht.
3. Technische Umsetzung Jede neue Fahrzeuggeneration wird mit einer modernen Leittechnikstruktur nach neuestem Stand ausgeführt. Die erste Herausforderung beim Herstellen eines Zugverbands aus unterschiedlichen Generationen stellt somit die Kopplung der unterschiedlichen zugweiten Kommunikationsnetzwerke dar. Wie erwähnt ist der „U4“ mit einem DIN-Zugbus zur zugweiten Kommunikation ausgerüstet, wogegen beim „U5“ auf den modernen und genormten WTB (IEC61375) als Zugkommunikationsnetzwerk gesetzt wurde. Zwei Netzwerke unterschiedlicher Bustechnik und Generation. Die Lösung ist einfach und maßgeschneidert: Bombardier entschied sich, zwei Steuergeräte (VTCU) in die Fahrzeuge einzubauen. Eines davon mit WTB-, das andere mit DIN-Zugbuskoppler. Das Hauptproblem der unterschiedlichen Kommunikationstechnik war damit gelöst. Im reinen „U5“-Betrieb ist dabei immer die VTCU1 in Funktion, die zweite VTCU ist abgeschaltet. Beim Ankoppeln eines „U4“ wird mittels HW-Kontakt in der Kupplung („U4-U5“-Erkennung) auf die VTCU2 umgeschaltet. Die Fahrzeugfunktionen sind in beiden VTCUs identisch programmiert, da beide auf dieselbe HW im „U5“ einwirken. Das hat einen nützlichen Nebeneffekt: Die zweite VTCU dient dabei als Rückfallebene Verkehr und Technik 2016 Heft 3
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für den seltenen Fall eines Steuergeräteausfalls. Weitere Auswirkungen hatte die Kupplung „U4-U5“ auf die zu realisierenden Fahrzeugfunktionen. Die im „U5“ gewählten Realisierungslösungen wurden dabei stets auf die Kompatibilität mit den im „U4“ vorhandenen Funktionen überprüft. Dadurch wurden sowohl Software- als auch Hardwareschaltungen so angepasst, dass diese mit den „U4“-Realisierungen nicht kollidieren. Alle Funktionen und Schaltungen im „U5“ wurden so designed, dass sie im reinen „U5“- als auch im „U4“-Modus optimal ausgelegt sind. Zusammen mit der Erfüllung neuester Sicherheitsanforderungen und moderner Schaltungen bildete dieser Designabschnitt die größte Herausforderung. Die Zugbussignale im „U4“-Modus (DIN-Zugbus) mussten ebenfalls auf „U4“-Stand ausgelegt werden. Im reinen „U5“-Modus (WTB) hingegen wurde die Zugkommunikation auf die modernen Gegebenheiten und den Möglichkeiten des WTB ausgelegt. Auch hier wurden alle nachgeschalteten Software- und Hardwarefunktionen so designed, dass sie sowohl mit den „U5“-Zugsignalen als auch mit denen des „U4“ auskommen. Anders verhält es sich mit den Fahreranzeigen (Betriebsdiagnose) und der Werkstattdiagnose. Moderne Leittechniksysteme sind darauf ausgelegt, umfangreiche Diagnosefähigkeiten und Anzeigen zu ermöglichen. Der „U5“ bietet so gegenüber dem älteren „U4“ einen deutlich größeren Anzeige- und Diagnoseumfang. Eine weitere wichtige Randbedingung bzgl. Anzeige- und Diagnosekonzept ist die Tatsache, dass in beiden Fahrzeuggenerationen unterschiedliche Systeme mit teilweise unterschiedlicher Funktionalität eingebaut sind. Deshalb entschieden sich VGF und BT in diesem Punkt, die beiden Fahrzeugmodi getrennt zu betrachten und auszuführen. Das heißt: Im reinen „U5“-Modus ist der volle Anzeige- und Diagnoseumfang ohne Einschränkung vorhanden; im „U4“-Modus wiederum wird im führenden Fahrerraum – unabhängig davon, ob dies ein „U4“ oder „U5“ ist – der Funktionsumfang und die Anzeigen des „U4“ auf dem Fahrerdisplay angezeigt. Die Ablage der Daten für die Werkstattdiagnose erfolgt fahrzeugspezifisch im jeweiligen Steuergerät. Werden zusätzliche Anzeigen und Meldungen aus der „U5“-Funktionalität im „U4“-Modus benötigt, wird eine Reservemeldung auf dem Display ausgewählt und angezeigt. Aufgrund der Vorgabe, dass keine ÄndeVerkehr und Technik 2016 Heft 3
rungen am „U4“ vorgenommen werden, wird auch der im „U4“ hinterlegte Text der Reservemeldung angezeigt. Die Fahrer werden geschult, diese Reservemeldung als „U5“-Fahrzeugspezifische Meldung zu erkennen. Um dem Fahrpersonal dennoch die Möglichkeiten der umfangreichen Betriebs diagnose des modernen „U5“ zur Verfügung zu stellen, wurde ein weiteres Feature in die „U5“-Fahrzeugsteuerung implementiert. Erhält der Fahrer im „U4“-Modus eine entsprechende Meldung, kann er sich im gestörten Fahrzeug (unabhängig der Position im Zugverband) über eine Tastenkombination das (im geführten Fahrzeug dunkel geschaltete) Fahrerdisplay im „U5“-Anzeigemodus einschalten und dort die fahrzeugspezifischen „U5“-Meldungen abrufen. Weiteres Augenmerk legten VGF und BT auf die Realisierung der Fahrgastinformationssysteme. Aufgrund der frühen Ausrichtung auf die Kuppelbarkeit und damit auf die Kompatibilität der Systeme bzgl. deren Kommunikation und Signalgebung im Zugverband, konnte auch hier eine Lösung gefunden werden. Dies ist möglich, da die
Kommunikation im Wesentlichen mittels NF-Zugbus und IBIS-Zugbus erfolgt. Je weiter die beiden Technologien auseinanderliegen, z. B. bei Nutzung von IP-Zugnetzwerken in neueren Fahrzeugen anstatt IBIS- bzw. NF-Zugbus, desto schwieriger wird im Bereich der Fahrgastinformation eine Kupplung. Zuletzt sei an dieser Stelle noch die Fahrdynamik erwähnt. Auch wenn auf den ersten Blick zwei unterschiedliche Traktionssysteme und Bremssysteme im „U4“ und „U5“ zur Anwendung kommen und unterschiedliche Charakteristiken im jeweiligen reinen Fahrbetrieb erkennbar werden, so wurde bei der Fahrzeugrealisierung stark darauf geachtet, im „U4“-Modus die Fahrkennlinien des „U4“ nachzuempfinden. Hierzu wurden ausführliche Messungen der Fahrdynamik des „U4“ durchgeführt. Eine unterschiedliche Fahrdynamik hätte u. a. negative Auswirkungen auf die Kupplungsbelastung und die Aufteilung der Beiträge der einzelnen Fahrzeuge zur Gesamt-Fahrzeugbeschleunigung. Es muss vermieden werden, dass ein Fahrzeug stärker beschleunigt als das andere und damit das andere Fahrzeug
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„mitzieht“ bzw. „mitbremst“. Deshalb sind in der zentralen Fahrzeugsteuerung in den beiden Steuergeräten unterschiedliche Kennlinien für den reinen „U5“-Betrieb und den „U4“-Fahrbetrieb hinterlegt. Im „U5“-Modus ist ein wesentlicher Aspekt die Einhaltung der geforderten Bremswege nach neuesten Normen. Im „U4“-Modus lag der Fokus auf Angleichung der Fahrdynamiken.
4. Zulassung Die Zulassung der gemischten Zugverbände erfolgte in enger Abstimmung mit der zuständigen Technischen Aufsichtsbehörde (TAB) und basierte auf den schon erfolgten Zulassungen der „U5-25“- und „U5-50“Fahrzeuge. Der VGF war es dabei wichtig, dass die „U4-/U5“-Traktions-Software auf ein stabiles und erprobtes „Grundsoftwarerelease“ aufbauen konnte. Das machte Software-Anpassungen nötig, was wiederum die Umsetzung verzögerte – mit Hinblick auf die Qualität hat die VGF das in Kauf genommen. Da VGF und BT mit der Traktion von Fahrzeugen unterschiedlicher Generationen (Bild 2) technisches Neuland betraten, wurde nach Abstimmung zwischen TAB und VGF schon in der Projektierungsphase ein externer Gutachter zur Verifizierung der technischen Lösung eingebunden. Beim Abnahme- und Zulassungsprozess erwies sich die seit 2001 bestehende Geschäftsbeziehung zwischen VGF und BT und die auf der Projektebene entstandenen Kontakte als hilfreich.
Die Software wurde in der Entstehung in intensiven Leittechnik-Gesprächen zwischen den Experten der VGF und BT erörtert, die Einbeziehung des VGF-Fahrdiensts erfolgte schon bei den ersten „Kuppeltests“ im BT-Werk Bautzen in Person eines VGF-Fahrlehrers, der die Thematik aus Fahrersicht auch im weiteren Verlauf des Projekts betreute. Grundsätzlich wurden unter Einbeziehung des externen Gutachters folgende Zulassungsmeilensteine vereinbart: – Statischer/dynamischer Funktionstest im BT-Werk Bautzen unter Einbeziehung der VGF – Typprüfung bei VGF – Probebetrieb ohne Fahrgäste im Fahrschulbetrieb Danach erfolgte die Abnahme gemäß BOStrab § 57 durch die TAB.
5. Betriebliche Auswirkungen Dem Betrieb von Traktionen unterschiedlicher Fahrzeuge drohen Störungen immer dann, wenn der Funktionsumfang oder die Fahrdynamik der jeweiligen FahrzeugGenerationen Unterschiede aufweisen. Unter der Prämisse, dass das Bestandsfahrzeug nicht geändert wird, muss folglich immer das Neufahrzeug adaptiert werden. Zum Betrieb der gemischten Zugverbände wurden alle damals 730 Fahrbediensteten der VGF im Rahmen des regelmäßigen Dienstunterrichts im Zeitraum von knapp einem Jahr nachgeschult. Grundvoraussetzung war, dass der „U4-/
U5“-Verband betrieblich wie ein reiner „U4“-Verband behandelt wird, d. h. dass tiefergehende Diagnosemöglichkeiten des „U5“-Fahrzeugs im Betrieb nicht unmittelbar genutzt werden. Inhalte der Schulung waren die technische Umsetzung, insbesondere das Handling des Zugverbands. Besonderes Augenmerk lag dabei auf den Unterschieden in Bedienung und Funktionsumfang im „U4“-Modus, wenn der Zugverband von aus einem führenden „U5“ bedient wird. Denn: nicht alle im „U5“ erwarteten Funktionen sind dabei verfügbar. So sind über den Funktionsumfang des U4 hinausgehende Features des „U5“ – z. B. ein Tempomat – im „U4“-Modus nicht anwählbar. Auch die Möglichkeit, Netzstrombegrenzung manuell durch das Fahrpersonal am Fahrerdisplay einzugeben, ist im „U4“-Modus nicht möglich, da der ältere Wagen diese Funktion nicht unterstützt. Ebenso muss der Fahrer die Reduzierung auf die Anzeigen und Betriebsdiagnosemeldungen des „U4“ beachten. Das Umschalten des Displaymodus im „U5“ auf den „U5“-Displaymodus (siehe Abschn. 3) wurde ausführlich geschult. Bzgl. des Linieneinsatzes konnte das von Anfang an verfolgte Ziel der freien Einsatzbarkeit erreicht werden, wobei sich der Ersteinsatz an der „A-Strecke“ – dem ältesten und am stärksten frequentierten U-Bahnabschnitt, auf dem heute die Linien U1, U2, U3 und U8 verlaufen – und dem Standort der „U4“-Fahrzeug in der Betriebswerkstatt Heddernheim orientierte. Damit wurde die Mischtraktion von Anfang an den schärfsten Einsatzbedingungen im Frankfurter U-Bahnnetz unterzogen, da hier die Züge in der Hauptverkehrszeit (HVZ) im 2,5-Minutentakt verkehren.
6. Erfahrungen aus dem Betrieb
Bild 2: Zusammengekuppelte Wagen unterschiedlicher Fahrzeug-Generationen und -Hersteller: links ein „U5“ von Bombardier, rechts ein Siemens-“U4“. Bei diesem Fahrzeug handelt es sich um einen Wagen, der das VGF-interne „Refurbishment“ durchlaufen hat, zu erkennen an dem kleinen „Dachspoiler“ und der dahinter nachgerüsteten Klimaanlage für den Fahrerstand.
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Auf der „A-Strecke“ begann der Fahrgast einsatz mit vorliegender BOStrab-Abnahme. Es erfolgte eine sukzessive Steigerung der technischen Komplexität der Zugverbände: – zuerst nur am Wochenende bei längerem Takt – zwei Wochen hintereinander nur Zweiwagen-Zugverbände – Steigerung auf Drei- und Vierwagenzüge In der Startphase der Betriebsaufnahme wurde die Mischtraktion von besonders interessierten Fahrdienstmitarbeitern geVerkehr und Technik 2016 Heft 3
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fahren, nach kurzer Zeit wurde die Traktion frei eingeplant, lediglich ein optimierter Störmeldebogen blieb als Besonderheit im Betriebsablauf zurück. Die Erfahrungen waren so positiv, dass schnell der Einsatz eines Dreiwagenzuges aus zwei „U5“- und einem „U4“-Fahrzeug wochentags in der HVZ verwirklicht wurde. Hier gab es einen Rückschlag, da der Zugverband mehrmals kurz nach dem Einschieben mit Störung wieder ausgewechselt werden musste. Wichtig: der Zugverband verhielt sich sicherheitsrelevant ordnungsgemäß, konnte aber offensichtlich seine geforderte Verfügbarkeit nicht einhalten. Da keine nachvollziehbaren Hard- oder Softwareprobleme sichtbar waren, wurde die Mischtraktion in Abstimmung mit BT vorerst wieder aus dem Betrieb genommen und einem intensiven Mess- und Testprogramm unterzogen. Naturgemäß traten nach Ausrüstung eines Zugverbandes mit MVB-Bus-Datenlogger zuerst wochenlang keine Auffälligkeiten auf, bis zum ersten Mal verwertbare Vorfälle vorlagen. Ergebnis der Untersuchungen: Beim ersten Betriebseinsatz – und insbesondere beim Übergang vom Wochenend- auf den Wochentagseinsatz – war zu wenig Augenmerk auf die Überprüfung einer ordnungsgemäßen Zugtaufe gelegt worden. D. h.: Die betroffenen Züge waren kurz vor dem Betriebseinsatz zusammengestellt worden und gingen unmittelbar danach auf die Linie. Nach einer korrekt durchlaufenen Zugtaufe traten hingegen keine Probleme auf. Aus diesem Grund wurden die Zugbildung der gemischten Verbände und deren Überprüfung in Form einer Arbeitsanweisung durch die VGF neu definiert und darauf basierend die Zugverbände wieder in Betrieb genommen. Mit dem gewünschten Erfolg: die gemischten Zugverbände fahren seitdem ohne Beanstandungen. Ihr Fahrverhalten ist grundsätzlich unauffällig und nicht von typenreinen Zugverbänden zu unterscheiden. Davon abgesehen ist das Handling des gemischten Zugverbands einfach. Die bewusst in Kauf genommenen systembedingten Nachteile wie – geringere Betriebsdiagnose-Möglichkeiten als beim „U5“-Fahrzeug, – Zugverbandsbetrieb mit voll- und nicht klimatisierten Fahrzeugen, – Wegfall der Möglichkeit der manuellen Netzstrombegrenzung durch den Fahrer wie beim „U5“-Fahrzeug sind bisher im Betrieb nur in einem Punkt aufgefallen: Im Sommer 2015 häuften
sich Beschwerden über defekte Klimaanlagen, weil Fahrgäste nicht zwischen älteren und neuen Fahrzeugen im Verband unterscheiden können. Zumal das Innere der „U4“-Wagen im Rahmen einer gerade laufenden Grundüberholung an die „U5“-Fahrzeuge angepasst wird.
7. Chancen und Risiken der Herstellung der Kuppelfähigkeit Das bisher erzielte Ergebnis erfüllt die Lastenheftforderungen der VGF, war aber nur durch eine offene und konstruktive Beteiligung von Hersteller, Zulassungsbehörde, externem Gutachter und Betreiber an der Projektierung erreichbar. Der notwendige Verzicht auf bestimmte Funktionen oder die Definition ergänzender Verfahren erforderte im Projektverlauf immer wieder die Kompromissfähigkeit aller Beteiligten. Das Hauptrisiko für BT und VGF bildete die unzureichende technische Dokumentation der Bestandsfahrzeuge. Dieses Risiko konnte nur durch aufwändige Messungen, Tests sowie intensiven Austausch zu betrieblichen Erfahrungen minimiert werden. Das verbleibende Restrisiko konnte erst durch ausführliche Tests der Mischtraktion in der Endphase des Projekts ausgeschlossen werden. Dieser Prozess beinhaltete einen nur schwer kalkulierbaren, hohen zeitlichen und personellen Aufwand. Dies musste die VGF mit der Anzahl der betroffenen Bestandfahrzeuge und der Restdauer ihres betrieblichen Einsatzes vergleichen. Einer der wichtigsten Schritte zur Risikominimierung bei Kuppelbarkeit von Fahrzeugen verschiedener Hersteller und Generationen kann die konsequente Verwendung von genormten Bussystemen sein. Die zukünftige Normung muss dabei sowohl die physikalische als auch funktionale Ebene abdecken. Sollten dabei herstellerspezifische Abweichungen notwendig sein, sollten diese ausführlich in der überreichten Dokumentation erläutert werden. Auch die häufig auftretenden Schwierigkeiten beim Aufbau von einheitlicher Diagnose über einen aus verschiedenen Fahrzeugen aufgebauten Verband könnten durch Einsatz von modernen, gemäß der UIC557 aufgebauten Diagnosekonzepten in allen zu kuppelnden Fahrzeugen vermieden werden. Ein weder vom Hersteller noch vom Betreiber vollständig beherrschbares Risiko ist die rechtliche Unsicherheit bei der Zulassung von Mischtraktion. Ohne Ände-
rungen an Bestandsfahrzeugen kann die Mischtraktion nur die Funktionalität und das Sicherheitsniveau der bestehenden Fahrzeuge erreichen. Das seitens der Gutachter und Zulassungsbehörde zu akzeptieren, ist eine notwendige Voraussetzung für den Erfolg. Das Ziel konnte nur mit einem Aufwand erreicht werden, der größer als erwartet war. Die sich daraus ergebende Frage: Übersteigt der Nutzen der technischen Innovation den Aufwand ihrer Entwicklung? Die VGF sagt: ja! Denn mit der jetzigen Lösung ist es erstmals möglich, eine Flotte von 361 Fahrzeugen zweier Hersteller und unterschiedlicher Fahrzeug-Generationen frei zu kuppeln und auf allen Linien beliebig einzusetzen. Damit werden – wie erwartet – die Fahrzeugreserve reduziert und gleichzeitig die Zuverlässigkeit der Kursbelegung erhöht, was letztlich in einem höheren Kundennutzen und geringerem Investitionsbedarf mündet. Somit haben sich die Anstrengungen gelohnt. Die Initiierung vergleichbarer Vorhaben sowohl bei der BVG als auch bei Rheinbahn/KVB, die auf den Erfahrungen der VGF aufbauen, stützen diese These.
8. Ausblick Aus den Frankfurter Erfahrungen lassen sich für künftige Projekte dieser Art eine Reihe von Schlussfolgerungen ziehen: – Eine enge und vertrauensvolle Zusammenarbeit zwischen Hersteller und Betreiber in der Entwicklungsphase ist notwendig. – Die Einbindung der Zulassungsbehörde und die Definition des Abnahmeprozesses sind essentiell und müssen zu Projektbeginn erfolgen. – Betreiber und TAB müssen das Prinzip „Das schwächste (= älteste) Glied bestimmt die Funktionalität und Sicherheit der Mischtraktion“ ohne Einschränkungen akzeptieren. Ist das nicht der Fall, muss mit einem Umbau und erneuter Zulassung der Bestandsfahrzeuge gerechnet werden. – Die technischen Anforderungen und Möglichkeiten der zu kuppelnden Fahrzeugtypen müssen genau definiert und bewertet werden. Es muss im Vorfeld klar sein, welche Zugfunktionen erreicht werden können, um eine Nutzenbzw. Aufwandsabschätzung vornehmen zu können. Der Aufwand, Kuppelfähigkeit herzustellen, wird nicht immer den Nutzen rechtfertigen; hier muss
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