Monkey Business - vom Dschungel in den Büroalltag

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Monkey Business


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Monkey Business - vom Dschungel in den B端roalltag


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Inhaltsverzeichnis



Vorwort Das Genmaterial des Menschen stimmt zu 99 Prozent mit dem des Schimpansen überein. Es gibt sogar Schätzungen, nach denen sich die beiden Arten in weniger als 50 Genen unterscheiden, und das bei 25 000 gemeinsamen. Diese Ähnlichkeiten gehen nicht

licher, als wir denken. Primaten legen erstaunliche Verhaltens­ weisen an den Tag, wenn es zum Beispiel um den Umgang mit Geld geht. Sie besitzen sogar grundlegende Rechenfähigkeiten und auch das logische Denken ist ihnen nicht ganz fremd. Vor

spurlos an uns vorbei, sondern haben Auswirkungen auf unser Arbeitsleben. Im Büro verbringen wir schließlich den Großteil unserer wachen Zeit und nicht selten herrschen dort die Gesetze des Dschungels. Büro und Tierreich sind sich nämlich viel ähn-

allem aber in Puncto Soft Skills, sind Primaten gar nicht soweit vom Büro­bewohner entfernt, wie man eigentlich meinen könnte. Herrscht in unserem Büroalltag also immer noch Monkey Business oder sind die vermeintlichen Gemeinsamkeiten doch nur Unfug?

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„Ein grundlegendes mathematisches Verständnis muss schon sehr früh in der Evolution entstanden sein.“

Zwei Psychologinnen von der Duke University in North Carolina sagen, sie hätten „den definitiven Beweis“ dafür erbracht haben, dass Affen rechnen können. Affen beherrschen offenbar Grundzüge der Mathematik. So wollen die beiden Psychologinnen Jessica Cantlon und Elizabeth Brannon von der Duke University in North Carolina „den definitiven Beweis“ dafür erbracht haben, dass Affen rechnen können.


Die Rechner der Kokosnuss

In ihrer Untersuchung lösten die beiden Rhesusaffen-Weibchen Feinstein und Boxer einfache Rechenaufgaben fast so fehlerfrei wie Studenten. Die Menschen fanden in etwa 95 Prozent der Fälle das korrekte Ergebnis, die Affen lösten etwa 75 Prozent der Aufgaben. Beide Gruppen brauchten etwa gleich lang, um ihre Lösung zu finden. Damit sei gezeigt, dass ein grundlegendes mathematisches Verständnis sehr früh in der Evolution entstanden sein muss, schreiben die beiden Psychologinnen in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift PLoS (Bd. 5, e328). „Unsere Daten zeigen, dass nicht nur Menschen eine Vorstellung von Arithmetik haben.“

Die Forscherinnen setzten ihren Versuchsteilnehmern allerdings keine Ziffern vor, sondern zeigten ihnen Symbole auf berührungs­ empfindlichen Bildschirmen. Eine typische Aufgabe sah etwa so aus: Die Probanden bekamen eine halbe Sekunde lang fünf Punkte zu sehen, dann eine halbe Sekunde gar nichts und an­schließend wieder für die gleiche Zeitspanne ein Bild mit drei Punkten. Auf dem nächsten Bild mussten sie sich dann zwischen einem Kästchen mit vier oder einem mit acht Punkten entscheiden und das entsprechende Feld berühren. Insgesamt gab es 40 solcher Additionsaufgaben. Vor der Prüfung lösten die Rhesusaffen 10.000 Aufgaben zur Übung. Bei einer richtigen Lösung bekamen sie Fruchtsaft zur Belohnung. Die Menschen traten ohne vorheriges Üben an und bekamen für die Teilnahme 10 Dollar.

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Sowohl die Affen als auch die zwölf Studenten in der Vergleichsgruppe taten sich umso schwerer, je näher die beiden Lösungsvorschläge beieinander lagen. „Wenn die richtige Summe elf und das Kästchen mit der falschen Lösung zwölf Punkte gezeigt hat, brauchten beide Gruppen länger und machten mehr Fehler“, sagt Jessica Cantlon. Bereits vor einigen Tagen hatten die beiden Primatenforscher Sana Inouea und Tetsuro Matsuzawaa von der Universität Kyoto weitere Belege für die Hypothese geliefert, dass Affen eine Vorstellung von Arithmetik haben. Im Fachjournal Current Biology (Bd. 17, S. R1004) hatten sie über die erstaunlichen Gedächtnisfähigkeiten von Schimpansen berichtet.

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In einem Test, in dem sich Menschen und Affen Zahlenreihen einprägen mussten, schnitten insbesondere die Jungtiere besser ab als die Studenten in der Vergleichsgruppe. Die Forscher hatten sechs Schimpansen darin unterrichtet, die Ziffern 1 bis 9 auf einem Bildschirm in der richtigen Reihenfolge anzutippen. Auch sie wurden belohnt wenn sie die Aufgabe erfolgreich erledigt hatten. Nach dieser Anlernphase wurde der Versuch erschwert, die Ziffern wurden durch weiße Quadrate verdeckt, sobald die Tiere mit dem Tippen begannen.


Und trotzdem waren sie bald in der Lage, sich die ursprünglichen Positionen der zufällig auf dem Bildschirm angeordneten Ziffern zu merken und in der richtigen Reihenfolge anzutippen. Je kürzer die Ziffern sichtbar waren, desto mehr Fehler machten die Menschen und die älteren Tiere. Die Jungtiere scheinen hingegen ein fotografisches Gedächtnis zu haben. Auch Kleinkinder verfügen über ein solches Erinnerungsvermögen, es geht aber mit dem Alter verloren. Womöglich, so die Forscher, sei das Zahlengedächtnis der jungen Schimpansen nur ein Teil ihrer Anpassungsfähigkeit.

Quelle: Hanno Charisius, Süddeutsche Zeitung


Orang Rechnen Da überrascht es kaum noch, dass Orang-Utans ohne größere Probleme addieren und subtrahieren können, wie ein Experiment zeigt, das Josep Call vor einigen Jahren in Atlanta gemacht hat. In einem Versuchsraum stellt der Primatologe zwei durchsichtige Petrischalen vor das erwachsene Orang-Utan-Männchen Chantek. In der einen liegen drei Fruit-Loops - Getreidekringel, denen kein Orang widerstehen kann -, in der anderen vier. Ohne Zögern greift sich Chantek die Schale mit vier Leckerbissen.

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Das zweite Experiment ist schwieriger. Es beginnt wie das erste, nur stülpt Call diesmal einen undurchsichtigen Deckel über die Petrischalen, nachdem er sie vor den Augen des Menschenaffen gefüllt hat. Dann nimmt der Forscher gut sichtbar zwei Fruit-Loops und legt sie in die undurchsichtige Schale mit den dreien, in der sich nun also fünf befinden: ein Fruit-Loop mehr als in der anderen. Chantek muss nicht lange überlegen. Sofort greift er nach der Schale, in der fünf Leckerbissen liegen. Ihm ist offensichtlich klar, dass 3 + 2 mehr ist als 4.





Affen auf Schnäpp­ chenjagd Kapuzineraffen sind ebenso dumm wie Menschen - vor allem, wenn es ums Geld geht. Vor Kapuzineräffchen sind alle M&M gleich. Die bunten Schokoladenbonbons sind ein beliebter Leckerbissen, doch ob die Süßigkeit in gelbe, grüne oder braune Zuckerglasur gehüllt ist, kümmert die Tiere wenig. Zumindest schien es so zu sein, bis die Psychologin Laurie Santos von der Yale University einige der südamerikanischen Affen vor die Wahl stellte: das blaue Bonbon oder das rote? Gierig entschieden sie sich und griffen zu. Dann geschah etwas Sonderbares. Hin und wieder weigerten sich die Tiere, ein Bonbon einer Farbe anzunehmen. Aus Zufall wurde Methode: Die Tiere begannen, das zunächst zufällig zurückgewiesene Stück Schokolade auch in anderen Fällen abzulehnen.

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Wieder und wieder ließen die Forscher die Tiere Schokobonbons aussuchen. Die Neuweltaffen schienen nun von ihrer ursprünglich spontanen Entscheidung überzeugt zu sein. Die einmal verschmähte Süßigkeit genügte ihren Ansprüchen fortan nicht mehr. Und das, obwohl die Affen alle Schokodrops zuvor unterschiedslos verspeisten. Das ist offenbar irrational - und neu bei Primaten. Ein Wunder ist es allerdings nicht. Unvernunft bei Affen war bisher nur kaum ein Thema der Verhaltensforschung, obwohl Ähnliches vom Menschen längst bekannt ist. Stattdessen studierten Primatologen an Affen, was sie an sich selber schätzten: Intelligenz, kommunikative Fähigkeiten oder Werkzeuggebrauch.


„Begehen Affen die gleichen Denkfehler wie Menschen?“ Seit einigen Jahren jedoch untersucht Santos systematisch die Denkschwächen der Primaten. Dabei zeigt sich, dass Kapuzineraffen ebenso dumm wie Menschen sind - vor allem, wenn es ums Geld geht. „Geistige Stärken des Menschen evolutionär zu erklären, fällt leicht. Aber warum wir und Primaten oft die gleichen Fehler machen, ist rätselhaft. Wo liegt denn der Vorteil?“ Beim M&M-Experiment, das Santos‘ Gruppe vor zwei Jahren unternahm, liegt die Antwort nahe. Es ist ein Beispiel für das, was Humanpsychologen „kognitive Dissonanz“ nennen.

Einmal getroffene Entscheidungen interpretiert der Mensch oft so, dass sie rückwirkend sinnvoll erscheinen - selbst, wenn die Gründe dafür erfunden sind. Etwa, wenn der ehemalige US-Präsident George W. Bush nach Jahren behauptet, der Einmarsch in den Irak sei eine gute Idee gewesen, obwohl dort keine Massenvernichtungswaffen zu finden waren. Entsprechend orientieren sich Affen an ihrer einmal zufällig getroffenen Entscheidung. Auf einmal sind blaue Schokolinsen eben nur noch zweite Wahl.

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Die HÜhe des erwarteten Gewinns, die Angst vor Verlust - Primaten verhalten sich ähnlich irrational wie Menschen, wenn sie einen Vorteil vermuten.


Um menschliches Entscheidungsverhalten zu testen, werden keine Naschereien verwendet. Geld dient Psychologen - und neuerdings auch psychologisch bewanderten Ökonomen - dazu, das Kalkül zu betrachten, das unser Handeln leitet. Die meiste Zeit verhält sich der Mensch im Umgang mit Finanzen rational. Doch erscheinen die Folgen unsicher, kommt Unvernunft ins Spiel. Nicht anders ergeht es auch den Kapuzineräffchen. In der freien Wildbahn sorgen sie sich zwar nicht um Kapital; dennoch steckt in ihnen ein Finanzjongleur. In Experimenten begreifen die Primaten rasch den universalen Tauschwert kleiner, runder Metallscheiben. Sie verstehen auch, dass verschiedene Münzen unterschiedliche Kaufkraft haben können.

Die Schimpansen der portugiesischen Anthropologin Claudia Sousa horten ihr Kleingeld sogar. Und andere Affen wiederum versuchen, ihren Pflegern eine Gurkenscheibe als Münzersatz unterzujubeln. Auch Santos‘ Forschungsgruppe testete - gemeinsam mit dem Yale-Ökonomen Keith Chen und dem Psychologen Venkat Lakshminarayanan - zunächst, ob ihre Kapuzineräffchen das ökonomische Prinzip hinter dem Spielgeld verstanden hatten. Sie machten eine Rabattaktion. Kaum hatten die Äffchen bemerkt, dass es Apfelschnitze und Geleewürfelchen bei einem Verkäufer zum halben Preis gab, standen sie dort Schlange. Die von einem zweiten Experimentator regulär angebotene Ware blieb liegen.

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Die Kapuzineräffchen verhielten sich also völlig rational. Dann kamen die Härtetests: Begehen Affen die gleichen Denkfehler wie Menschen? In diesem Fall ging es um wirtschaftliche Entscheidungen, wenn die Konsequenzen einer Wahl nicht auf der Hand lagen. Mensch wie Affe greifen dann auf Strategien zurück, die sich in der Evolutionsgeschichte womöglich bewährt haben mögen, aber kühl betrachtet ziemlich irrational sind. In einem Experiment offerierte ein Mitarbeiter von Santos den Affen stets zwei, ein anderer nur eine Weintraube. Doch als es zur Transaktion kam, behielt der Erste jedes zweite Mal eine Traube zurück, wohingegen der andere ebenso oft eine zweite Traube spendierte.

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Im Durchschnitt bekamen die Affen von beiden letztlich die gleiche Menge - bei wem sie einkauften, wäre deshalb egal gewesen. Doch die Kapuzineraffen zogen rasch den Obsthändler vor, der ihnen regelmäßig einen Bonus gab. Dieses Verhalten ist teilweise mit dem Phänomen des Referenzpunktes zu erklären, an dem sich eine Beurteilung orientiert. In diesem Fall ist die gewählte Richtgröße die Zahl der ursprünglich angebotenen Leckerbissen - sie erlaubt es den Affen erst, die beiden Verkäufer zu unterscheiden. Hinzu kommt, dass sie sich von einer VerlustAversion leiten lassen, wie Verhaltensökonomen mit Blick auf den Menschen sagen - sie ziehen das vermeintliche Plus dem Minus vor.


Die Furcht, zu kurz zu kommen, fördert allerdings auch die Risikobereitschaft der Tiere - nämlich dann, wenn das Angebot mit scheinbar hohen Verlusten einhergeht. Bot ihnen ein Verkäufer ständig drei Weintrauben an und gab ihnen manchmal drei, oft aber nur eine, ließen sich die Äffchen dennoch auf das Risiko ein. Und das, obwohl sie sich stattdessen an einen Verkäufer hätten wenden können, der ihnen statt der angebotenen Drei verlässlich jedes Mal zwei gab. Entsprechend klammern sich viele Aktionäre bei fallenden Kursen an ihre Wertpapiere, in der Hoffnung, erlittene Einbußen bald wieder auszugleichen.


Diese Angst vor Verlust erklärt auch den aus der Ökonomie bekannten Besitztumseffekt, der auch bei Affen beobachtbar ist - Primaten schätzen den Wert einer Sache, die sich in ihrem Besitz befindet, höher ein, als den Wert eines Objekts, das ihnen nicht gehört. Verkaufs- und Kaufpreis fallen auseinander. Für sich genommen ergibt die Asymmetrie keinen Sinn. Aber offenbar wollen Menschen wie Affen ungern aus den Händen geben, was sie einmal besitzen. So steigt der subjektive Wert des Eigentums. Santos und andere Forscher können über die evolutionären Gründe für die Verlust-Aversion und andere Irrwege des Denkens nur spekulieren. Sie reichen vom feinen Sensorium für Betrüger bis zur Notwendigkeit, in Krisenzeiten hohe Risiken einzugehen.


Der Intuitionsforscher Gerd Gigerenzer vom Max-PlanckInstitut für Bildungsforschung in Berlin vermutet, die scheinbar irrationalen Entscheidungsstrategien seien effiziente Wege, rasch Lösungen zu finden. Wie immer die Antwort letztlich ausfallen mag, „sie ist in jedem Falle für Affen wie für Menschen die Gleiche“, ist sich der Verhaltensforscher Frans de Waal sicher, der seit fast zwei Jahrzehnten mit Kapuzineräffchen arbeitet. Unbekannt ist bislang auch, ob die Mechanismen, die dem Denken zu­grunde liegen, genetisch veranlagt sind oder Ergebnis eines Lernprozesses.

Die evolutionsgeschichtlichen Wurzeln des fehlerhaften Denkens reichen jedenfalls tief. Schließlich trennte sich der Stammbaum des Menschen von dem des Kapuzineräffchens bereits vor 35 Millionen Jahren. Risikobereitschaft findet sich ebenfalls bei Ratten, der Besitztumseffekt auch bei Staren. Deshalb ist es wahrscheinlich illusorisch, dass sich die leicht ver­ zerrte Wahrnehmung mancher Entscheidungssituationen jemals leicht korrigieren ließe.

Quelle: Süddeutsche Zeitung online, vom 26.02.2009

„Die evolutionsgeschichtlichen Wurzeln des fehlerhaften Denkens reichen tief.“ 25


Die traditionelle Wirtschaftswissenschaft geht davon aus, dass sich Menschen ökonomisch rational verhalten. Sie wollen, so die These, ihren Nutzen maximieren. Die Behavioral-FinanceForschung geht hingegen vom irrationalen Sparer aus, der Ängsten ausgesetzt ist und unvernünftige Entscheidungen trifft. So hätten Menschen den Hang, sich in Aktien, die sie halten, quasi zu ver­ lieben - und sie viel zu spät verkaufen.

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Mit Daniel Kahneman und Vernon Smith erhielten 2002 zwei Vertreter der Behavioral Finance den Wirtschaftsnobelpreis. Nun erfährt die Welt endlich, warum der penetrante Hang zur ökonomischen Unvernunft so tief verwurzelt ist. Die Wissenschaftlerin Laurie Santos und ihr Kollege Venkat Lakshminaryanan haben in jahrelangen Verhaltenstests mit Kapuzineraffen gezeigt, dass dieses irrationale Verhaltensmuster rund 30 Millionen Jahre zurückreicht, denn die Affen zeigen es auch. Das fiktive Plus hat offenkundig eine ungeheure Sogwirkung, denn auch der Mensch weigert sich, verlustreiche Aktien zu verkaufen, in der Hoffnung, dass die Kurse wieder steigen, wie Experimente belegt haben. Investoren wollen unter allen Umständen vermeiden, ein Verlustgeschäft zu machen, weil so das eigene Versagen endgültig manifestiert wird.


Anleger sind wie Affen Diese Verlustscheu erklärt auch den so genannten „Besitztumseffekt“ (Endowment effect), den die Yale-Wissenschaftler jüngst auch bei den Kapuzineraffen nachgewiesen haben. Dieser besagt, dass der wahrgenommene Wert eines Gutes höher ist, wenn man es besitzt. In den Experimenten forderten die Affen einen höheren Preis für Obst, das sie bereits besaßen. „Ihre Bereitschaft, eine Sache zu verkaufen, ist weniger ausgeprägt als die Bereitschaft, das identische Gut zu kaufen“, sagt Lakshminaryanan.


Nobelpreisträger Kahneman hat ähnliche Erfahrungen mit Menschen gemacht. Er bildete zwei Gruppen. Der ersten gab er Tassen und fragte sie, welchen Preis zwischen neun Dollar und 25 US-Cent sie fordern würden, um die Tasse zu verkaufen. Die Teilnehmer der zweiten Gruppe wurden gefragt, welchen Preis sie zahlen würden, um die Tasse zu erhalten. Der Preis der Verkaufsgruppe lag bei rund sieben Dollar, während die Kaufgruppe nur knapp drei Dollar bot. Affen und Menschen wollen das, was sie einmal besitzen, nur zu einem hohen Preis wieder aus den Händen geben.

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Kauf- und Verkaufspreis eines Hauses oder einer Aktie divergieren somit. Auch das erklärt, warum Menschen an verlustreichen Aktien festhalten, ja nahezu gelähmt wirken, Wertpapiere recht­zeitig zu einem niedrigen, aber immer noch akzeptablen Preis zu veräußern. Die Irrationalität führt zu einem ausgeprägten Herdenverhalten an der Börse. „An einer Straße liegen zwei Restaurants direkt nebeneinander. In dem einen sitzt ein Gast, das andere ist leer. Zwei Passanten überlegen, in welches sie gehen sollen. Sehr wahrscheinlich wählen sie das Lokal mit dem Gast, das dadurch für die nächsten Kunden noch attraktiver wirkt.


Nach diesem Muster funktionieren auch die Aktienmärkte“, sagt Werner de Bondt, Direktor des Richard H. Driehaus Center for Behavioral Finance an der Universität Chicago. Normalerweise greifen Verbraucher zu, wenn die Preise niedrig sind. Nicht so an den Kapitalmärkten. Dort greifen die meisten Investoren erst zu, wenn die Preise schon hoch sind. Sie lassen sich von der Euphorie treiben, obwohl sie es eigentlich besser wissen müssten. Doch offenbar sind die Millionen Jahre alten Ur-Reaktionen in den meisten Fällen zu dominant, als dass man sich diesem Handeln entziehen könnte, wie die Tests mit den Kapuzineraffen nahelegen.

„Unsere Studien zeigen, dass dieses Fehlverhalten wohl ein unumkehrbarer Charakterzug der Menschen ist“, sagt Lakshminaryanan. Der junge Psychologe macht wenig Hoffnung, dass irgendwann doch noch Lernfähigkeit bei den Menschen Einzug hält. „Selbst Bildung verändert diese Grundprinzipien menschlichen Verhaltens nicht“, sagt er. Die nächste Finanzblase und die nächsten Verluste für Profi- und Privatinvestoren an den Börsen sind somit programmiert - es sei denn, und hier macht der Wissenschaftler doch ein wenig Mut, der Mensch zügelt sich. „Wir haben, anders als die Affen, die Möglichkeit, unsere Handlungen besser zu kontrollieren.“ Immerhin ein Fortschritt.

Quelle: Süddeutsche Zeitung online, vom 14.01.2009

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Der erfolgreiche Affe Adam Monk hat Recht. Und das erschreckend oft. Monk, ein Affe von der Art der Weißstirnkapuziner, angestellt bei der Chicago Sun Times , ist Teil eines Experiments, das David Roeder, Wirtschaftskolumnist der Zeitung, seit einigen Jahren unternimmt. Roeder will untersuchen, ob der Princeton-Professor Burton Malkiel richtig lag, als er 1973 in seinem Buch „A Random Walk Down Wall Street“ behauptete, es sei schlauer, einen Affen Dartpfeile auf die Börsenkurse des Tages werfen zu lassen, als einen professionellen Broker mit dieser Arbeit zu beschäftigen.


Der Professor wollte nicht einfach provozieren. In einem effizienten Markt, so seine These, seien alle Informationen über börsennotierte Unternehmen bereits in die Kurse eingeflossen, ebenso alle vorhersagbaren Ereignisse. Jede weitere Prognose sei also reine Spekulation, Erfolg an der Börse letztlich nichts als Glück. Prinzipiell sei eine zufällige Auswahl sogar sicherer als eine einseitige, nur vermeintlich gut begründete Zusammenstellung eines Portfolios durch einen Analysten. Ein Aufschrei ging durch die Finanzwelt. Das „Wall Street Journal“ nahm den Professor als Erstes beim Wort.

In einem ersten Versuch pickten Redakteure mit verbundenen Augen einzelne Werte aus dem Kursteil der Zeitung – und schlugen die angetretenen Fondsmanager nach sechs Monaten deutlich. Andere Zeitungen machten den Test nach. Manchmal gewannen die als Affen auftretenden Journalisten, manchmal ihre hoch bezahlte Vergleichsgruppe. Das „Wall Street Journal“ selbst wiederholte den Versuch insgesamt 142 Mal. In immerhin 40 Prozent aller Fälle siegten die „Affen“. Das Ergebnis bleibt dennoch seltsam diffus.

„Die Tageszeitung »Chicago Sun Times« lässt einen Affen Aktien empfehlen. Er liegt bis zu 37 Prozent über dem Markt und schlägt damit viele Experten.“ 31


Bis Adam Monk eingreift – ein echter Affe, ein mit damals 30 Jahren bereits greiser Weißstirnkapuziner, der sein Leben bis dahin zu weiten Teilen auf einem Leierkasten verbracht hatte. „Wir hatten die Idee für diesen Wettbewerb“, erklärt Roeder. Die Leser der „Sun Times“ sollten zu Jahresbeginn eine Aktie auswählen. Wer am Ende des Jahres am besten abschneiden würde, sollte einen Preis erhalten. Um Börsenanfängern die Hemmungen zu nehmen, holte Roeder Adam Monk ins Boot. Wenn selbst ein Affe Aktien zusammenstellen kann, das war die ganze beabsichtigte Botschaft, dann kannst du das auch! Im ersten Jahr schlägt das Paket aus fünf Aktien, das Adam Monk im Januar markiert hat, die vergleichbaren Marktindizes um 37 Prozent. Im nächsten Jahr wählt Monk fünf neue Aktien. Am Jahresende liegt er 36 Prozent über dem Markt.

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„Ich dachte, ich würde mich irgendwie für die Affennummer rechtfertigen müssen“, erinnert sich Roeder. „Aber wie sollte ich das erklären?“ 2005, das dritte Jahr von Adam Monk, liegt er nur drei Prozent über den Vergleichsindizes, aber 2005, so Roeder, war insgesamt ein schwaches Jahr an den Börsen. Vergangenes Jahr schließt er – gewohnt souverän – wieder mit 36 Prozent plus. Hätte man von Anfang an konsequent in die Aktien des Adam Monk investiert, man hätte seinen Einsatz bereits nach den ersten drei Jahre verdoppelt.


„Untersuchungen zeigen, dass es gar nicht auf die einzelnen Aktien ankommt, sondern eher auf eine möglichst breite Zusammenstellung des Portfolios“, windet Roeder sich heraus. Tatsächlich schnitt laut dem Fondsanbieter „The Vanguard Group“ die Mehrheit aller der Öffentlichkeit zugänglichen Fonds von 1972 bis 1998 schlechter ab als einer der breitest­en Indizes des US-Kapitalmarktes. „Fondsmanager verfehlen regelmäßig ihre selbstgesetzten Ziele, wenn sie ihr eigenes Geld anlegen«, muss auch Roeder zugeben.

Quelle: neon.de, vom 14.09.2007




Zu Beginn sah de Waal das Schimpansenleben wie die meisten seiner Kollegen als endlose Abfolge von Machtkämpfen. Doch bald stellte er fest, dass es nicht immer die Stärksten waren, die als Sieger hervor gingen. Bei der Beobachtung bemerkte er, dass Schimpansen durch gegenseitige Körperpflege, durch Gefälligkeiten, durch Bündnisse mit Familienmitgliedern oder Freunden und andere mehr oder weniger gesunde soziale Verhaltensweisen nach Macht angelten. Wenn sie kämpften, dann versöhnten sie sich oft schon bald wieder, um den Frieden in der Gruppe zu wahren. Ein Alpha wurde nicht nur durch Kraft und Größe zum Alphamännchen, sondern auch durch seine Soft Skills.

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Schimpansenpolitik

Unter den gesellschaftlichen Manövern, die de Waal beobachtete, waren folgende: Hochrangige Schimpansen taten sich manchmal zusammen um einen möglichen Rivalen auszubooten. Oft holten sie andere Affen zu größeren Koalitionen zusammen. Sie pflegten diese Bündnisse, um an die Macht zu kommen und sich gegen Herausforderer zu verteidigen. Untergebene wiederum nutzten diese Koalitionen, um sich die Machthaber wohl gesonnen zu machen. Wenn ein Alphamännchen zu brutal vorging, dann schlossen sich Weibchen zu Bündnissen zusammen und vertrieben es, indem sie einem rivalisierenden Männchen den Vorzug gaben.


„Schimpansen schauspielern, um das Verhalten der anderen zu manipulieren.“

Schimpansen schauspielern, um das Verhalten der anderen zu manipulieren. Nachdem beispielsweise ein Alpha einen anderen Affen in einem Kampf verletzt hatte, humpelte dieser - doch nur, wenn der Alpha in der Nähe war. Es schien als wolle er den Alpha besänftigen oder Schuldgefühle wecken. Die Schimpansen zettelten manchmal innerhalb der eigenen Truppe brutale Kämpfe an. Doch traten andere Mitglieder der Gruppe oft dazwischen, um zu verhindern, dass eine Auseinandersetzung außer Kontrolle geriet. Die Weibchen übernahmen oft wichtige Funktionen als Schlichter und Bündnispartner in Koalitionen. Kurz gesagt, viele der Verhaltensweisen, die man früher als „Büropolitik“ bezeichnet hätte, sind in Wirklichkeit nichts anderes als Primatenpolitik.


De Waal und der Biologe Richard Wrangham von der Havard University sind heute die beiden führenden Wissenschaftler auf dem Gebiet der Primatologie, und sie vertreten zwei extrem unterschiedliche Positionen. Wrangham behauptet in seinem Buch „Demonic Males: Apes and the Origins of Human Violence“ Schimpansen und Menschen seien von Männern dominierte, territoriale Gattungen mit einer Vorliebe für blutige und oftmals tödliche Überfälle auf die Nachbargemeinschaft.

„Schimpansen pflegen Bündnisse und Koalitionen um an die Macht zu kommen und sich gegen Herausforderer zu verteidigen.“


De Waal betont dagegen in den Büchern nach „Wilde Diplomaten“ vor allem die Friedensstrategien der Primaten und ihre angeborene Neigung, sich nach einem Streit wieder zu versöhnen. Wranghams Gesellschaftsrodnung ist viel autoritärer und basiert auf systematischer Grausamkeit gegenüber den Untergebenen. De Waals Gesellschaftsordnung ist zwar ebenfalls gelegentlich grausam, doch sie ist auch egalitär. Koalitionen aus Weibchen können eine wichtige Rolle spielen, und es gibt so etwas wie Kooperation und gemeinsame Werte, die die Gemeinschaft zusammenhalten. Merkwürdigerweise entsprechen diese beiden Sichtweisen zwei grundlegenden Einstellungen zur Führung großer Unternehmen, wie sie manchmal von Managementtheoretikern formuliert werden.

Die „X - Theorie“ basiert auf Angst und Konflikt. Unternehmen, die nach der „Y-Theorie“ geführt werden, fördern dagegen Kooperation und beteiligen die Arbeitnehmer an der Gestaltung des Arbeitplatzes. Doch beide Theorien haben wenigstens zwei Dinge gemeinsam: Ob sie gemein und hinterhältig sind oder nett bis zum Erbrechen, alle Unternehmen und alle Schimpansengruppen durchleben Konflikte. Und gleichgültig, wie egalitär sie sich geben mögen, alle haben sie starke Hierarchien. Konflikt und Hierarchie hängen eng zusammen, wenn auch nicht nach einem einfachen Prinzip von Ursache und Wirkung, wie wir oft annehmen.

Quelle: Richard Conniff, „Was für ein Affentheater“, campus Verlag

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Hierarchien Die Statuskämpfe werden umso heftiger, je mehr wir uns auf dem evolutionären Stammbaum der Primaten dem Menschen nähern. Der Biologe Richard Wrangham, der Schimpansen in Uganda und Tansania studierte, schreibt: „Ein ausgewachsenes Schimpansenmännchen beschäftigt sich fast ausschließlich mit der Frage der Rangordnung. Verschlagen und hartnäckig ver­wendet er den größten Teil seiner Zeit und Energie auf den Versuch, den Alphastatus erst zu erlangen, dann zu erhalten.

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Das hat Auswirkungen darauf, mit wem er unterwegs ist, wen er laust, wohin er blickt, wie oft er sich kratzt, wohin er geht und zu welcher Zeit er morgens aufsteht. (Nervöse Alphamännchen stehen früh auf und wecken die anderen häufig mit übereifrigen Zurschaustellungen ihrer Aggression). In all diesen Verhaltensweisen geht es nicht darum, Gewalt um ihrer selbst Willen auszuüben. Ihr Ursprung sind vielmehr Gefühle, die wir als „Stolz“ oder negativer als „Arroganz“ beschreiben, wenn wir sie bei anderen beobachten.“ Die Tatsache, dass eine Gemeinschaft Ressourcen teilt, macht sie noch lange nicht egalitär. Im Gegenteil, Großzügigkeit ist eine der effektivsten Methoden, um seine Herrschaft zu zementieren, für den Alphaschimpansen genauso wie für den Vorstandsvorsitzenden eines Großkonzerns.


Ntologi, einer der Schimpansen, die Toshisade Nishida in den Mahale Mountains beobachtete, verschenkte regelmäßig Essen, um nützliche Verbündete bei Laune zu halten. Er selbst war ein ausgezeichneter Jäger und nahm manchmal auch anderen erfolgreichen Jägern die Beute ab, um sie mit den Frauen, jüngeren Männchen und einflussreichen Alten zu teilen. Man könnte sein Verhalten als wohltätig und egalitär beschreiben. Doch es war zugleich kluges Führungsverhalten und erlaubte Ntologi, seinen Alphastatus 16 Jahre lang fast ununterbrochen zu behaupten.

„Großzügigkeit ist eine der effektivsten Methoden, um seine Herrschaft zu zementieren.“


Nike-Chef Phil Knight gab sich ähnlich karitativ, als er seiner Alma Mater, der University of Oregon, 30 Millionen US-Dollar für den Ausbau des Football-Stadions in Aussicht stellte. Er zog seine Zusage jedoch zurück, als die Universität einer Gruppe beitrat, die Sweatshops in der Dritten Welt beobachtete, in denen auch Nike seine Sportartikel herstellen ließ. Dave Frohnmayer, der Präsident der Universität, hatte offenbar kein übertriebenes Interesse an der Autonomie und Integrität seiner Universität und ließ die Gruppe der Sweatshop-Kritiker prompt fallen. Die Universität hielt Nike während der nächsten 17 Monate unterwürfig den Hintern hin, solange das Stadionprojekt auf Eis lag, dann kamen Frohnmayer und der Cheftrainer des Football-Teams wieder auf die Beine und sangen erneut das Lied von Knights „Großmut“.


Knight wie Ntologi benutzten die egalitäre Geste des Teilens, um ihre autoritäre Herrschaft zu erhalten. Fälle wie diese – und von denen gibt es viele – fordern uns auf, genau zu überlegen, wann wir das Wort „geben“ verwenden. Philanthropie ist manchmal einfach eine nettere Form des Nehmens. Einer der bekanntesten Aufsteiger in der Geschichte der modernen Organisationsführung ist ein Schimpanse namens Mike aus Tansania. Anfangs hätte man ihm die Karriere auf der Überholspur gar nicht zugetraut. Dann jedoch entdeckte er, welchen Lärm man mit den leeren Benzinkanistern in Jane Goodalls Camp machen konnte.

Mehr noch, er stellte fest, dass er auch Tiere die in der Hierarchie über ihm standen, zu Tode erschrecken konnte, wenn er durch das Unterholz auf sie zurannte und dabei auf einen leeren Kanister einschlug. An Schimpansenmaßstäben gemessen, handelte es sich um einen Fall ritualisierter Aggression allererster Güte. Um seine Rivalen zu vertreiben reichte es, wenn er ein böses Gesicht machte und zwei Kanister gegeneinander schlug. Innerhalb von vier Monaten hatte Mike seine früheren Chefs eingeschüchtert und sich zum Alphamännchen der Truppe aufgeschwungen. Wer lauthals herumkrakeelt, den starken Max markiert und ordentlich auf die Pauke haut, kommt gelegentlich auch am menschlichen Arbeitsplatz voran.

Quelle: Richard Conniff, „Was für ein Affentheater“, campus Verlag

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Ritualisierung Macht bedient sich nur selten körperlicher Gewalt. Frans de Waal beobachtete einst, wie der Alphaschimpanse Nikkie seinen Rivalen Luit durch das Zoogehege jagte. Die anderen Schimpansen brachten sich also in Sicherheit, als die beiden durchs Gehege stoben. Das Geschrei war bis zum anderen Ende des Zoos zu hören. Schließlich saßen Nikkie und Luit in sicherem Abstand voneinander auf den Ästen einer kahlen Eiche und keuchten heftig, während sie sich langsam beruhigten.

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Doch bei allem Staub, den sie aufwirbelten: Sie hatten einander nie auch nur berührt. Auch rivalisierende Paviane vermeiden in der Regel den offenen Kampf. Stattdessen sitzen sie in ihren Bäumen und kreischen sich gegenseitig an, bis der lautere und ausdauerndere Schreier schließlich als Sieger hervorgeht. Sie bekommen, was sie wollen, indem sie den anderen wissen lassen, dass sie richtig wild und gefährlich sein könnten, wenn sie nur wollten. Biologen bezeichnen diese Zurschaustellung aggressiver Absichten als „Ritualisierung“. Dieses Verhalten erlaubte es Tieren, mit festgelegten Zeichen zu kämpfen, statt mit Zähnen und Klauen. Im Laufe der Evolution hatten unleidliche Zeitgenossen, die sich durch gewalttätige Aggression hervortaten, meist ein kurzes und wenig produktives Leben.


Selbst wenn sie es irgendwie schafften, nicht umgebracht zu werden, blieb ihnen zu wenig Energie zum Fressen und zur Paarung, um besonders erfolgreich bei der Weitergabe ihrer Gene zu sein. Tiere, die durch Bluffen, aufplustern und andere Formen der ritualisiert-­ en Aggression vorankamen, lebten dagegen lange. Aus den selben Gründen ist Gewaltherrschaft am Arbeitsplatz ebenfalls rar. Sie ist einfach zu gefährlich. Einen Kollegen auch nur zu schubsen ist der sichere Weg vor das Gericht und zum Arbeits­ amt. Wir sind uns nur zu bewusst, dass Gewalt leicht nach hinten losgeht, und dass sie nicht nur von oben nach unten, sondern auch von unten nach oben funktioniert, wenn die Belegschaft sich zusammentut, um einen unliebsamen Manager loszuwerden. Dazu kommt, dass Gewalt als Mittel der Herrschaft ein Zeichen der Schwäche und nicht der Stärke ist.

Quelle: Richard Conniff, „Was für ein Affentheater“, campus Verlag

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Nachäffen und Lobhudeln

„Die Frage, wer wen laust, ist hochpolitisch.“


Dem Boss auf den Fersen zu bleiben und sein Verhalten zu be­­obachten, macht es nicht nur leichter, ihn in all seiner Alpha­ glorie zu verstehen, sondern auch, ihm zu schmeicheln und ihn zu imitieren. Ganz gleich, wie abfällig man sich über Schmeicheleien äußern mag, für Untergebene sind sie ein unentbehrliches Werkzeug. Andere Pri­­maten knüpfen soziale Bande durch gegenseitige Körperpflege, und die Frage, wer wen laust, ist hoch­politisch. Eine Meerkatze, die eine Beziehung zu einem höherrangigen Weibchen herstellen will, laust diese etwa zehnmal so oft wie umgekehrt. Ist die Unter­gebene besonders gewitzt oder machiavellistisch veranlagt, dann erkennt sie Anzeichen zukünftiger Macht und tut alles, um einen kommenden Star zu lausen.

Biologen in Kenia beobachteten beispielsweise, dass ein relativ niederrangiges Meerkatzenweibchen überdurchschnittlich häufig gelaust wurde. Andere Weibchen schienen zu erkennen, dass ihr aufgrund ihrer Listigkeit und ihrer guten Beziehungen Großes vorbestimmt war. Tatsächlich stieg sie in den folgenden zehn Jahren an die Spitze der Gruppe auf. „Die Tiere verhielten sich, als würden sie mit verteiltem Risiko wetten“, berichteten die Wissenschaftler. „Sie pflegten ihre Beziehungen zu den Mächtigen, aber sie bauten auch Beziehungen zu denen auf, denen sie zutrauten, dass sie in Zukunft die Macht übernehmen könnten.“ Am Arbeitsplatz ist das Lausen außer Mode gekommen. Wir lausen uns stattdessen mit Worten.

Quelle: Richard Conniff, „Was für ein Affentheater“, campus Verlag

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Zum Imitieren geboren

Die Mimik der Menschen in unserer Umgebung nachzuahmen ist ein nützlicher Überlebensmechanismus. Zwischen der Wahrnehmung der Bedrohung und dem Gesichtsausdruck vergehen gerade einmal zwei Zehntelsekunden, unser Bewusstsein hingegen benötigt rund eine halbe Sekunde um eine Bedrohung zu erkennen. Diese unbewusste Form der Verständigung beschränkt sich jedoch nicht auf das Gefühl der Angst. Diese schnellen Reaktionen, auch bekannt als emotionale Ansteckung, sind einer der Gründe, warum wir als soziale Gattung so erfolgreich sind. Mit dieser Fähigkeit sind wir jedoch keineswegs allein.

In einer Studie lernte ein Rhesusaffe, ein visuelles Signal als Warnung zu erkennen, dass er gleich einen Stromstoß bekommen sollte. Der Affe konnte den Stromstoß jedoch abwenden, wenn er rechtzeitig einen Hebel herunterdrückte. Ein zweiter Affe in einem Nachbarkäfig konnte das Signal nicht sehen, wohl aber eine schwarz-weiße Videoaufnahme des Gesichts des ersten Affen. Wenn der erste Affe vor Schreck die Augen aufriss, rannte der zweite Affe los und drückte seinen Hebel, um den Stromstoß zu verhindern. Merkwürdigerweise hatten die Tiere diesen Instinkt nicht, wenn sie in Isolation aufgewachsen waren. Primaten wie wir scheinen eine Sozialisierung in der Gruppe zu benötigen, um zu lernen, wie unsere angeborenen Gesichtsausdrücke uns den Hals retten können.

Quelle: Richard Conniff, „Was für ein Affentheater“, campus Verlag

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Die Macht der Masse

Wenn Respekt, Schmeicheleien und andere Formen der Unterwerfung nicht ausreichen, um das Verhalten des Chefs in die gewünschte Richtung zu lenken, dann tun sich Angestellte zusammen und schlagen mit der geballten Macht der Masse zu. Manchmal warten alle, dass einer den Mut aufbringt, das zu sagen, was alle denken. Wenn aber erst einmal einer den Mund aufgemacht hat, dann schreien plötzlich alle los. Sie verhalten sich wie ein Fischschwarm, es ist von eminenter Wichtigkeit, dass die Gruppe dicht zusammenbleibt, damit man nicht als einzelner herausgeangelt und abgestraft werden kann. Schimpansen gehen nicht anders vor. Benimmt sich der Alphaaffe wie ein Schläger, fängt ein Weibchen an, laut „Waaa!“ zu protestieren. Prompt kreischen alle laut „Waaa!“, bis die ganze Truppe empört durcheinander brüllt und das Alphamännchen niederschreit.

Quelle: Richard Conniff, „Was für ein Affentheater“, campus Verlag


„Affen sind glücklicher, wenn die Familie versorgt ist.“

Familienversorgung

Zusammen isst es sich besser: Kapuzineraffen wollen nicht nur sich selbst, sondern auch Freunde und Familie gut verpflegt wissen - und zeigen auf diese Weise soziales Verhalten. Zu fremden Artgenossen sind sie weit weniger nett. Geben ist für die Kapuzineraffen zwar nicht seliger als nehmen, aber fast. Denn offenbar geht es Tieren dieser Art besser, wenn nicht nur sie etwas zu fressen be­kommen, sondern auch Familienmitglieder und Freunde mit versorgt werden. Das haben Forscher um Frans de Waal von der Emory University in Atlanta im US-Bundesstaat Georgia herausgefunden, die bereits zahlreiche Experimente zum Sozialverhalten von Primaten durchgeführt haben.


Diesmal hatten sie Versuchstiere vor die Entscheidung gestellt, ob sie eine Futterprämie allein erhalten wollten oder ob auch ein zweiter Affe mit versorgt werden sollte. Wenn Familienmitglieder oder anderweitig nahestehende Tiere anwesend waren, hätten sich die getesteten Affen überdurchschnittlich oft für die „prosoziale“ Verteilung entschieden, die auch dem anderen Affen Futter bescherte, berichten die Wissenschaftler im Magazin „Proceedings of the National Academy of Sciences“. Die Forscher hatten acht Kapuzineraffenweibchen mit zwei Arten von Spielchips ausgestattet. Den einen Typ davon konnten sie gegen eine Apfelspalte für sich selbst eintauschen, für den anderen Typ erhielt auch ein zweiter Affe im Raum ein Leckerli. Den Forschern fiel auf, dass die Affen bei Anwesenheit von nahestehenden Tieren meistens die soziale Option wählten.

„Der Umstand, dass die Kapuzineraffen überwiegend die prosoziale Option gewählt haben, muss bedeuten, dass es sie glücklich macht und befriedigt, wenn auch ein anderer Affe etwas zu fressen bekommt“, sagte de Waal. Eine Erklärung dafür könne sein, dass die Affen die Fähigkeit zur Empathie, also zum Mitfühlen mit sozial nahestehenden Individuen, haben. Möglicherweise sähen die Tiere ihren Freunden und ihrer Familie aber auch nur einfach gern beim Essen zu. Bei unbekannten Affen setzten die Tiere jedenfalls auf eine komplett egoistische Strategie: Für die Fremden blieb der Futtertrog leer.

Quelle: Spiegel online


Ganz besonders nette Affen

Schimpansen denken nicht nur an sich oder ihre Sippe: Manchmal helfen sie sogar Menschen - noch dazu ohne Belohnung. Eine solche Form von Altruismus war bislang nur vom Homo sapiens bekannt. Schimpansen sind nicht gerade für ihre Wohltätigkeit berühmt. Deutsche Forscher haben nun aber einen Beleg für uneigennütziges Handeln der Affen sogar gegenüber nicht verwandten, fremden Tieren gefunden.

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Wie Felix Warneken und seine Kollegen vom Leipziger MaxPlanck-Institut für Evolutionäre Anthropologie im Fachjournal PLoS Biology berichten, konnten sie wiederholt beobachten, wie Schimpansen sowohl Artgenossen als auch Menschen dabei halfen, einen entfernt liegenden Gegenstand zu erreichen. Und zwar, ohne selbst dafür belohnt zu werden. Solch altruistisches Verhalten von Schimpansen widerspreche der gängigen Lehrmeinung, schreibt Warneken. Zwar könne Selbstlosigkeit bei Verwandten mit gemeinsamen Genen erklärt werden. Die Tiere halfen in dem Versuch aber auch Menschen - also Primaten, die ihnen nicht nur völlig fremd waren, sondern noch nicht einmal ihrer eigenen Art angehörten. Bislang hielten es Verhaltensbiologen für einen rein menschlichen Zug, zum Nutzen Fremder zu handeln, wenn man sich dafür anstrengen muss.


Doch die Leipziger Forscher fanden genau solches Verhalten nicht nur bei 18 Monate alten Babys, sondern ebenso häufig bei Schimpansen. Die evolutionären Wurzeln des menschlichen Altruismus könnten also weiter zurückreichen als bislang bekannt, so die Wissenschaftler. In einer im Jahr 2006 veröffentlichten Studie hatten die Leipziger Forscher um Michael Tomasello schon einmal Versuche mit Schimpansen gemacht - in dieser Studie war es den Forschern bereits gelungen, nachzuweisen, dass Kleinkinder und Affen anderen helfen, ihre Ziele zu erreichen. Bei den Schimpansen trat das Verhalten aber eher willkürlich auf. In der neuen Studie änderten die Forscher ihre Versuchsanordnung. Dieses Mal halfen die Schimpansen in fast 80 Prozent der Fälle, obwohl sie selbst nichts davon hatten.

Quelle: Süddeutsche Zeitung, online

„Schimpansen können auch fremden gegenüber selbstlos handeln.“


Nicht nur Menschen haben einen Sinn für Gerechtigkeit. Auch ihre entfernten Verwandten, die Kapuzineraffen, legen Wert auf Gleichbehandlung. Werden sie im Vergleich zu Artgenossen ungerecht behandelt, reagieren sie trotzig. Das Gerechtigkeitsgefühl der Affen beobachteten US-Forscher in einer Verhaltenstudie. Ihre Ergebnisse deuten darauf hin, dass nicht nur Menschen, sondern auch andere soziale Primaten Ungerechtigkeiten ablehnen, schreiben amerikanische Wissenschaftler im britischen Fachblatt Nature.

„Kapuzineraffen möchten gerecht behandelt werden: Kriegt der eine eine Weintraube, ist der zweite mit einer Gurke nicht zufrieden!“


Gerechter Affenzorn Für ihre Versuche trainierten Sarah Brosnan und Frans de Waal von der Emory Universität in Atlanta zunächst Kapuzineraffen darauf, Spielsteine gegen ein Stückchen Gurke einzutauschen. Um den Gerechtigkeitssinn der Affen auf die Probe zu stellen, erhielt einer von zwei Affen dann für einen Spielstein statt der Gurke eine viel begehrtere Weintraube. Beobachtete der andere Affe diese ungerechte Behandlung, weigerte er sich danach, seinen eigenen Spielstein einzutauschen oder verschmähte nach dem Tausch trotzig die die kulinarische Belohnung.

Diese „Verweigerungshaltung“ wurde noch ausgeprägter, wenn der Versuchsleiter dem einen Affen eine Weintraube gab, ohne dass dieser irgendetwas dafür tun musste. Die Empörung der be­nachteiligten Affen ging soweit, dass sie gelegentlich sogar den Spielstein oder die Belohnung aus der Versuchskammer schmissen.Besonders erstaunlich sei, dass die Tiere freiwillig auf eine Leckerei verzichteten, die sie sonst unter fast allen denkbaren Umständen ohne Zögern akzeptierten, schreiben die Wissenschaftler. So verlief der Tauschhandel meist ohne Probleme, wenn die Forscher einem Affen ein Stück Gurke statt einer ebenfalls sichtbaren Weintraube anboten, während kein weiterer Affe in der Versuchskammer anwesend war. Dies zeige, dass die Tiere ihre eigene Belohnung mit der anderer verglichen.

Quelle: Süddeutsche Zeitung, online

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Entscheidungsfindung Es war ein ganz ungewöhnlicher Tag auf einer staubigen Insel im weiten, überfluteten Okawango-Delta. Eine Truppe von Pavianen hatte sich den ganzen Morgen unschlüssig in Richtung Flussufer bewegt und dabei die Augen nach den üblichen Gefahren, den Wasserbüffeln, Elefanten und Löwen, offen gehalten. Die Paviane versammelten sich allmählich am Ufer, sprangen ziellos umher und murmelten „hunh, hunh“ als würden sie sich über diese wenig erfreulichen Szenarien Gedanken machen und debattieren, ob sie den Fluss überqueren oder doch lieber umkehren sollten. Vor einiger Zeit hatten sie mit ansehen müssen, wie ein Löwe ein Mitglied aus ihrer Gruppe an genau dieser Furt gerissen hatte, und die Erinnerung daran klingelte ihnen noch in den Ohren.


„Unser Gehirn hat nach wie vor eine Vorliebe für alles Negative.“ Ein Vorstandsvorsitzender einer PavianAG hätte vielleicht von einem „Wendepunkt“ gesprochen, einem kritischen Moment der Entscheidungsfindung in einem sich rasch verändernden Markt. Gehen wir vorwärts ins Unbe­kannte? Riskieren wir es, einem hungrigen Räuber zu begegnen? Oder ziehen wir uns besser zurück? Doch was die Paviane an jenem Morgen am Flussufer durchlebten, war nicht nur irgendein kritischer Moment der Entscheidungsfindung. Es handelte sich um die Ur-Entscheidung. Ein Moment, der in unserer entfernten Vergangenheit so häufig vorkam, an so vielen vergessenen Wasserlöchern und Furten, und der mit so viel Angst und Blutverlust verbunden war, dass er sich tief in unsere Gehirne eingebrannt hat.

So wie wir uns einst den Wasserlöchern genähert haben, so gehen wir bis heute alle unsere Entscheidungen an. Aus diesem Grund hat unser Gehirn nach wie vor eine Vorliebe für alles Negative, es findet immer 10 gute Gründe, etwas besser bleiben zu lassen. Am Ufer war inzwischen eine ältere Paviandame, die für ihre furchtlosen Attacken auf Leoparden bekannt war, bis zu den Achseln ins Wasser gewatet. Ein Grunzen ging durch die Truppe wie das Murren der Nein­ sager auf den Hinterbänken des Parlaments. Dann trat ein älterer Grandseigneur in die Bugwellen der Dame, und bald folgten andere nach. Jeder zauderte, und jeder dachte: „Mann, die werden mich mit Haut und Haaren fressen.“ Dann stieg einer nach dem anderen hinein in das trübe Wasser.

Quelle: Richard Conniff „Was für ein Affentheater“, campus Verlag

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Primaten mit Plan

Doch die Einzigartigkeit unseres Intellekts bröckelt. Immer mehr Experimente aus der Primatenforschung zeigen, dass viele unserer Fähigkeiten gar kein Privileg sind, sondern dass wir sie mit den Affen teilen.

Wissen Affen, was Zukunft ist? Eine Studie im Wissen­schafts­ magazin „Science“ verblüfft mit neuen Ergebnissen. In ihren Hosentaschen schleppen Menschen un­zähl­ige Dinge mit sich herum. Kugelschreiber, Geldbörse, Kosmetik oder Taschenmesser werden eingesteckt. Vielleicht brauchen sie diese einmal, später irgendwann. Nach demselben Prinzip pack­en sie Koffer oder denken an die Altersvorsorge. Dass Menschen in die Zukunft planen können, ist eine ihrer herausragenden Eigenschaft­ en. Lange Zeit galt sie unbestritten als einzigartig menschlich.

In der aktuellen Ausgabe des amerikanischen Wissen­schafts­ magazins Science zeigen Nicholas Mulcahy und Josep Call vom Leipziger Max Planck Institut für Evolutionäre Anthropologie jetzt sogar, dass Affen in die Zukunft planen. Die Wissenschaftler stellten Orang-Utans und Zwergschimpansen vor ein Problem, dessen Lösung die Tiere ganz offensichtlich zu einem früheren Zeitpunkt vorbereitet hatten. Die Tiere lernten zunächst, dass sie nur mit einem Werkzeug an ihr Futter kommen. Dieses Werkzeug lag nicht immer bereit.

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Die Affen mussten es deshalb nach dem Fressen in den Schlafraum bringen und später - zum Fressen - wieder in den Testraum tragen. Bei den Werkzeugen handelte es sich zum Beispiel um einen Haken an einem langen Stiel, mit dem man eine Schnur heranziehen konnte. An der Schnur hing eine Milchflasche. Die Affen mussten also nicht das Futter horten, wie Hamster, Eichhörnchen und viele andere Tiere; die Affen mussten Gegenstände aufbewahren, die zum Erreichen von Futter dienen – eine besondere Leist­ung, weil sie ein zeitliches Muster voraussetzt. Die Affen taten damit etwas, wofür sie nicht unmittelbar belohnt wurden. Zwischen dem Zeitpunkt, zu dem die Tiere das Werkzeug in Sicherheit brachten und dem nächsten Einsatz des Werkzeugs zur Fütterungs­zeit lagen bei verschiedenen Tieren bis zu 14 Stunden.


Gegen den Zufall spricht, dass die Affen die geeigneten Werkzeuge, sobald sie sie mitgenommen hatten, in rund 70 Prozent der Fälle auch wieder zurück an die Futterstelle brachten. Für Josep Call ein klarer Beweis dafür, dass Affen an ihre Zukunft denken und entsprechend planen. Etwas vorsichtiger aus­ gedrückt hieße das: Auch in der Vorstellung von Affen gibt es etwas, das „später“ bedeutet. In jedem Fall ist es eine „zukünftige Motivation“, welche die Affen antreibt, interpretiert Nicky Clayton, Professorin am Department für Experimentelle Psychologie in Cambridge. Doch geht es hier tatsächlich um Planen? Können die Ergebnisse von Call und Mulcay vielleicht auch durch Konditionierung erklärt werden? Gegen diese Erklärung sprechen die langen Zeiträume zwischen Transport und Futter.


Die traditionelle Konditionierungstheorie geht davon aus, dass die Tiere innerhalb kurzer Zeit nach dem Handeln belohnt werden müssen. Die Affen transportieren jedoch einen Ge­gen­stand, den sie eine Stunde später oder sogar erst am nächsten Tag nutzen. Diese 14 Stunden Pause erfasst die Konditionier­ungs­theorie nicht mehr – sie erklärt nicht einmal eine Stunde Warten auf die Belohnung. Offensichtlich können die Affen etwas, was die mensch­ liche Kategorie des „Planens“ zumindest be­rührt. Wie Affen denken, bleibt zwar trotzdem eine offene Frage. Das Forschungsergebnis bedeutet auch nicht zwingend, dass Affen komplexe Zeitspannen überblicken, wie es der Mensch tut. Doch selbst wenn der Unterschied zwischen Affe und Mensch groß bleibt, die Grenze zwischen Mensch und Tier in ihrer kategorialen Absolutheit wird unschärfer.

Call geht davon aus, dass die Tiere die im Experiment gezeigte Fähigkeit auch in der freien Wildbahn anwenden. Sie sei nur noch nicht nachgewiesen worden. „Wo Affen schlafen, ist zum Beispiel Teil dessen, was sie am nächsten Tag tun“, erzählt Call von seinen Beobachtungen. Anders würde ihre Schlafplatzwahl oft keinen Sinn machen. Die Wissenschaftler schlagen vor, als nächsten Schritt zu über­prüfen, ob die Affen einen für die Ernährung notwendigen Gegenstand auch stehlen, beziehungs­weise gegen Diebstahl verteidigen würden. Da niemand weiß, was sich in den Köpfen der Tiere abspielt, ist dies der einzige Weg: ihr Verhalten testen und dabei versuchen auszuschließen, dass es sich um Konditionierung handelt. So kommt man ihren Fähigkeiten näher.

Quelle: ZEIT Online 23.5.2006


Geplantes Affentheater Der Zoo-Schimpanse Santino bewirft die Besucher gerne mit Steinen. Die sammelt er, Stunden bevor der Tierpark öffnet. Kann er die Zukunft planen? Schimpansen sind uns vermutlich auch kognitiv viel ähnlicher als vermutet: Ein Affe in Schweden be­wies Forschern, dass die Tiere offenbar vorausplanen. Er spielt gerne den Proleten. Dann türmt sich Santino zu seiner vollen Größe auf, und seine Haare sträuben sich. Schließlich schiebt der Schimpanse die Schultern nach vorne und setzt einen fiesen Blick auf. Fertig ist das bedrohliche Schauspiel.

Bis auf eine Kleinigkeit: Der durchtriebene Affe wirft auch noch mit Steinen. Und die sammelt er vorher. Mehr als 50 Munitionslager hat der Affe bereits in seinem Gehege im schwedischen Furuvik eingerichtet. Die befüllt er regelmäßig, bevor die Schaulustigen an die Brüstung drängen. Ein Verhalten, dem gewiefte Planung vorangeht und das wir eigentlich nur von einer Spezies kennen: uns selbst. „Dieses Verhalten setzt ein hochentwickeltes Bewusstsein voraus“, sagt Mathias Osvath von der Universität in Lund. „Schimpansen haben höchstwahrscheinlich eine ‚innere Welt‘ wie wir sie haben, in der sie vergangene Ereignisse rekapitulieren und über künftige nachdenken.“ Bislang dachten Verhaltensforscher und Biologen, dass diese kognitive Fähigkeit dem Menschen vor­behalten ist.


Zwar stochern Affen etwa mit Stöcken in Termitenhaufen, um an die nahrhaften Insekten zu gelangen. Auch versuchen Primaten, mit Steinen Nüsse zu knacken. Allerdings war nie klar, ob diese Methoden wirklich geplant wurden oder die spontane Reaktion auf ein akutes Verlangen waren. Das Steinewerfen des 31-jährigen Schimpansen Santino mache jetzt aber den Unter­schied, schreibt Osvath im Magazin Current Biology. Mehr als zehn Jahre haben Tierpfleger den Rowdy beobachtet und Erstaunliches entdeckt: Santino sammelt die Steine in seinem Gehege nur dann ein, wenn der Zoo geschlossen ist.


Sobald sich morgens Besucher nähern, macht der Schimpanse einen auf gefährlich und wirft seine Munition in die Menge. Während er dabei sehr aufgeregt ist, hat er bei der Suche nach seinen Wurfgeschossen die Ruhe weg. Das konnte eine Tierpflegerin, die sich morgens im Gehege versteckte, genau beobachten. Mehr noch: Santino verteilte gefundene Steine auf mehrere Verstecke. Zugleich bearbeite er größere Gesteinsbrocken so lange, bis sie sich als Wurfmunition eigneten. Dazu schlug und kratzte er Betonstücke aus den Wänden seiner Unterkunft. Die ist durch einen kleinen Wassergraben und eine erhöhte Steinmauer von den Zuschauern getrennt.


Im Sommer wartete Santino stets auf Be­sucher, um sie zu bewerfen. In den Wintermonaten dagegen, als der Zoo geschlossen war, häufte der Primat weder Steine an, noch feilte er an seinem Wurftalent – ein weitere Beleg dafür, dass Santino überlegt vorgeht. „Ich bin mir sicher, dass Affen vielfach ihr tägliches Verhalten im Voraus planen“, sagt Osvath. Eine Tatsache, die in bisherigen Labor-Experimenten niemals so hinreichend beobachtet wurde. Osvath hat alle Tierpfleger von Santino in den vergangenen Jahren genau befragt. Als diese Anfang der neunziger Jahre auf die geplanten Attacken des Affen aufmerksam wurden, entdeckten sie nach und nach die Munitionslager mit drei bis acht Steinen darin. 18 Mal ertappten sie den Wurfspezialisten dabei, wie er versuchte, Betonbrocken zurechtzuschlagen.

„Wilde Schimpansen sind möglicherweise noch weitaus besser im Planen, da ihr tägliches Überleben davon abhängen könnte“, sagt Osvath. In der freien Wildbahn und im Urwald gebe es Gefahren, die im Zoo niemals Leib und Leben der Affen bedrohen würde, wie etwa Futterknappheit. „Planung zahlt sich im ‚wahren Leben‘ sicherlich mehr aus als im Zoo.“

Quelle: Zeit Online 10.03.2009

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Der umsichtige Affe Affen verblüffen die Forscher immer wieder mit ihren geistigen Leistungen. Sogar in ihre Artgenossen können sie sich einfühlen und deren Absichten erkennen. Dennoch ist unklar: Können sie auch rational und logisch denken? Denken, Verstand, Vernunft, Intelligenz, Bewusstsein – für die letztlich nicht fassbaren kognitiven Phänomene haben wir viele Wörter. Ebenso viele wissenschaftliche Deutungsansätze mag es schon dazu gegeben haben, ob Tiere gleiche geistige Fähigkeiten besitzen wie der Mensch.

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Vor weniger als hundert Jahren behaupteten kluge Köpfe, ohne Sprache gäbe es kein Denken. Auch dieser Standpunkt gilt heute dank einer Revolution in den Kognitionswissenschaften als obsolet. In den letzten Jahrzehnten trugen Tierforscher viele erstaunliche Beobachtungen zu den geistigen Leistungen unserer Mitgeschöpfe zusammen. Besonders bei den Primaten fanden sie reichlich Anzeichen für Geisteszustände, die Gedanken oder Vorstellung­en beinhalten. Tiere, die so etwas hervorbringen, machen sich ein Bild von der Welt, das ist unbestreitbar. Aber wie weit reicht ihr Verstand? Lassen sie sich bei Verhaltensentscheidungen von Vernunft leiten, von rationaler Überlegung? Heutige Forscher versuchen zu ergründen, was die Tier- und die Menschenaffen in dieser Hinsicht können.


Die Frage ist, ob das Tier eine Aufgabe anders löst, als indem es schrittweise zum Ziel kommt. Kann sich ein Affe einen Plan zurechtlegen? Vermag er Wirkungen auf Ursachen zurückzuführen? Ist er dazu fähig, einem Artgenossen eine Absicht zu unterstellen? Solche Themen berühren unmittelbar uns selbst, die Natur des Menschen, charakterisierte doch schon Aristoteles den Menschen im Unter­schied zu dessen Mitgeschöpfen als „vernunftbe­ gabtes Tier“, als „Vernunftwesen“. Gilt diese Abgrenzung noch?


Eine Reihe experimenteller Studien hat ergeben, dass einige nicht­menschliche Primaten tatsächlich im Stande sind, logisch zu denken, künftige eigene Bedürfnisse vorherzusehen und Intentionen anderer zu verstehen – allerdings in Grenzen. Kann ein Affe über etwas nachdenken, das er nicht sieht? In Leipzig prüfen dies Forscher des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in Zusammenarbeit mit dem Leipziger Zoo an Menschenaffen. Der Psychologe Josep Call etwa führt unter den Augen der Zoobesucher Experimente mit Schimpansen und Gorillas durch. Beispielsweise zeigt er einem Tier zwei undurchsichtige Behälter, von denen es einen auswählen darf. Das Tier weiß: Nur einer enthält einen Leckerbissen. Dann schüttelt der Forscher eines der beiden Gefäße. Sofern dabei ein Geräusch zu hören ist, wählt der Affe – richtig – dieses Gefäß.

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Bleibt alles still, kommt es zwar auch vor, dass er das geschütt­elte Behältnis haben möchte. Doch meistens entscheidet er sich für das andere. Demnach können diese Menschenaffen aus fehlenden Indizien Schlüsse ziehen – schlussfolgerndes Denken durch Ausschluss. Wenn ein Tier eine Aufgabe löst, ist stets die Frage, ob ihm das durch Versuch und Irrtum gelang – auch indem es aus Fehlern lernte und sie korrigierte –, oder ob es vorher darüber nachgedacht, sich die Sache überlegt hat. Im ersten Fall würde das Tier lediglich zwischen Objekten oder Ereignissen Verbindungen bemerken, Muster, an denen es sein Verhalten ausrichtet.


Es würde etwas aus­ probieren und so dem Ziel in kleinen Schritten näherkommen. Im zweiten Fall hätte es Kategorien oder Eigenschaften erkannt und solche Abstrakta aufeinander bezogen. Es hätte sich eine Vorstellung gemacht und Schlussfolgerungen durch­ geführt. Allgemeiner gesagt: Das Tier bewertet eine Information als gültig, weil sie mit einer anderen verknüpft ist, von deren Wahrheitsgehalt oder Stimmigkeit es schon vorher überzeugt war. Wie Affen damit umgehen, versuchen Forscher anhand künstlicher Situationen zu ergründen, in denen ein entscheidendes Element gerade nicht vorhanden ist, das zur Lösung der Situation aber benötigt würde.

Mit solchen Versuchsaufbauten lässt sich erproben, ob ein Affe das Ausschlussverfahren anwendet, ob er sich die Position eines versteckten Gegenstands vorstellt oder auch, ob er die Transitivitätsregel benutzt (das Prinzip: Wenn B aus A folgt und C aus B, dann folgt C aus A). Wenn Menschenaffen – oder auch andere Affen – vorausschauend denken, müsste das zumindest bedeuten, dass sie Ereignisketten erfassen. Aber erkennen sie auch Ursache-Wirkungs-Beziehungen? Eine Forscher­ gruppe um Marc Hauser von der Harvard-Universität in Cambridge (Massachusetts) hat dies an den halb frei lebenden Rhesusaffen auf der kleinen Karibikinsel Cayo Santiago untersucht.

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Die Frage war, ob diese Makaken die Kausalwirkung eines Werkzeugs begreifen, zum Beispiel die eines Messers. Also zeigte der Experimentator dem Affen erst einen Apfel und versteckte ihn dann hinter einer Abschirmung. Kurz darauf nahm er den Schirm weg – jetzt lagen da zwei Apfelhälften. Und schließlich ergriff er ein Messer, das auch hinter der Wand gelegen hatte, um es dem Versuchstier vorzuweisen. Der Aufbau passte zur Reihenfolge eines möglichen Geschehens: Der Apfel könnte mit dem Messer geteilt worden sein. Doch in anderen Fällen demonstrierte der Experimentator Dinge, die in dieser Weise nicht vereinbar sind: etwa statt eines Messers ein Glas Wasser. Oder er zeigte zuerst zwei halbe Äpfel und im zweiten Schritt einen ganzen Apfel. Die Forscher maßen, wie lange der Affe die Situation betrachtete.

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Die Tiere guckten denn auch länger hin, wenn das Ganze nicht zueinanderpasste. Hauser deutet dies als Zeichen von Irritation – als rationale Reaktion auf die Diskrepanz zwischen Erwartung und Beobachtung. Ähnliche Tests hatte der amerikanische Forscher David Premack Mitte der 1970er Jahre mit einem Schimpansen durchgeführt. Auch der zeigte sich von unlogischen Ver­suchsaufbauten offensichtlich irritiert. Bemerkenswert ist die Reaktion der Rhesusaffen aber vor allem deswegen, weil diese Primaten von sich aus normalerweise keine Werkzeuge benutzen, während Schimpansen das selbst im Freiland tun. Zwar können die Makaken auf Cayo Santiago manchmal Menschen mit einem Messer hantieren sehen. Doch keiner von ihnen hat jemals selbst eines verwendet, genauso wenig wie irgendein anderes Werkzeug.


„Kausalwirkung eines Messers“ Was bedeutet es, dass sie anscheinend erkennen, dass man mit diesem Gerät einen Apfel teilen kann? Inwieweit spricht das für ein Verständnis eines Kausalzusammenhangs? Der schottische Philosoph David Hume (1711–1776) hielt es für sinnlos, nach einem letzten Beweis für Kausalität zu suchen. Unsere Wahrnehmung würde uns nur vermitteln, dass Ereignisse zusammentreffen. Unterstellt man eine Ursache, zieht man einen Schluss. Dabei entwirft man eine – richtige oder falsche – Hypothese über den Mechanismus, der die Ereignisse miteinander verknüpft. Mit diesem Kausalverständnis gewinnt man mehr Einfluss auf die Realität.


Damit lassen sich schließlich unter den unzähligen möglichen Verknüpfungen selbst noch Zusammenhänge aufdecken, die räumlich oder zeitlich weit auseinanderliegen. Dies wäre ein starkes Kausalitätsverständnis. Ein Begriff von etwas grundsätzlich nicht Sichtbarem. Nun mag ein Rhesusaffe durchaus erfassen, dass ein Messer beim Zerlegen eines Apfels beteiligt sein kann. Selbst wenn er den Vorgang gar nicht beobachtet, könnte er das Ergebnis vorhersehen. Von einem schwachen Kausalitätsverständnis würde man sprechen, wenn er sich dabei vom Mechanismus des Zerlegens keine genaue Vorstellung macht. Trifft das vielleicht auf nichtmenschliche Primaten zu?

„ein Begriff von etwas grundsätzlich nicht Sichtbarem“


Können sie Zusammenhänge nur vorhersehen oder sie auch erklären? Darüber streiten sich die Gelehrten noch. Laut Call und Hauser spricht es für ein (starkes) Kausalitätsverständnis, wenn ein Affe versteht, was ein Geräusch bedeutet oder was ein Messer bewirkt. Dagegen deutet Daniel Povinelli von der Universität von Louisiana in Lafayette solche Beobachtungen kritisch. Er hat mit Schimpansen eine Serie von Experimenten durchgeführt, in denen er deren Vorstellungen von physikalischen Gesetzmäßigkeiten überprüfte. Bei Aufgaben, die ein Verständnis beispielsweise von Schwere, Festigkeit oder Kraftübertragung verlangten, versagten die Affen.

So unterschieden sie nicht, ob ein Objekt – etwa ein Rechen – ein funktionsfähiges Gerät darstellte, dessen Teile fest zusammenhingen, oder ob die Einzelteile nur lose beieinanderlagen. Sie stießen sich auch nicht daran, wenn ein Apfel nicht auf einem Tuch lag, sondern dicht daneben, sodass er gerade die Kante be­rührte. Sie versuchten trotzdem, die Frucht mit dem Tuch zu sich zu ziehen – nicht anders als dann, wenn der Apfel darauf lag.

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Povinelli zufolge handelt es sich um zwei völlig verschiedene gedankliche Ebenen, ob ein Affe sich etwas vorstellt, das er momentan wegen der äußeren Umstände nicht sieht – etwa die Flasche Saft im anderen Raum –, oder ob er sich von etwas grundsätzlich nicht Sichtbarem einen Begriff macht – wie, dass bei einem Gerät die Teile fest zusammenhaften müssen. Vermag das Tier an reale Dinge zu denken, die es gerade nicht vor Augen hat, bedeutet das noch lange nicht, dass es etwa physikalische Kräfte, also letztlich Kausalzusammenhänge begreift. Sich einen generellen Mechanismus vorzustellen, dazu ist mehr erforderlich als dafür, sich Sachen auszumalen, die augenblicklich nicht da sind.

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Ähnlich schwer lässt sich mit Experimenten beantworten, ob Affen ihren Artgenossen Absichten und Wünsche, Gedanken und Vorstellungen zuschreiben. Genau das fragte Premack: Verwenden manche Tiere eine „Theorie“ vom Ver­ stand? Können sie das Verhalten anderer vorhersehen oder es sich erklären – indem sie anderen bestimmte Gedanken unterstellen? Verhalten von Artgenossen zu antizipieren, gelingt vielen Tieraffen. Doch sie scheitern, wenn sie deren psychischen Zustand erfassen müssten. Beispielsweise unterscheiden die Tiere nicht zwischen einem Individuum, das den Ort einer versteckten Be­ lohnung kennt, und einem ahnungslosen Kumpan.


„begrenztes Einfühlungsvermögen“ Sie bringen es auch nicht fertig, eine Aufgabe gemeinsam zu lösen, wenn dazu nötig ist, die Ziele oder Wünsche von Gefährten zu begreifen. Sie richten sich offenbar allein nach den Handlungen von anderen, nicht aber danach, was diese denken mögen. Rhesus- und Kapuzineraffen begreifen, dass ein bestimmtes Geräusch einen Menschen erschreckt und auch, dass unser Blick auf eine wichtige Stelle weisen kann. Aber sie verstehen sich nicht darauf, sich unserem Blick zu entziehen, indem sie hinter einer Wand verschwinden. Offenbar können sie sich nicht danach richten, was ein anderer vielleicht denkt.

Für die großen Menschenaffen scheint das so nicht zu gelten. Am Leipziger Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie untersuchten Michael Tomasello, Josep Call und ihre Kollegen, wie gut Schimpansen Handlungsabsichten erkennen. In einem der Versuche tat ein Mensch so, als wollte er dem Tier einen Leckerbissen geben. Doch dann ließ er den entweder „versehentlich“ fallen, oder er nahm ihn einfach wieder weg. Fiel das Obst auf den Boden, beobachtete der Schimpanse nur ruhig und aufmerksam, was geschah. Im anderen Fall wurde er unruhig, schlug zum Beispiel mit der Faust gegen das Gitter – und verzog sich in den Nebenraum. Sein Verhalten wirkte, als hätte er jeweils verstanden, ob der Mensch etwas mit Absicht tat oder nicht.

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Bei einem anderen Test machten gleichzeitig zwei Schimpansen mit, die in einem klaren Rangverhältnis zueinander standen. Sie hockten zunächst in getrennten Käfigen an gegenüberliegenden Seiten eines Mittelraums und konnten jeder durch eine halboffene Tür zusehen, wie jemand in diesem Raum ein Futterstück hinter einer der darin aufgestellten Sichtbarrieren so versteckte, dass es nur der rangniedrige im Blick hatte. Die Affen konnten sich auch gegenseitig beobachten. Dann durfte der unterlegene Affe in den Raum. Doch er kümmerte sich um den Leckerbissen nicht – wenn der andere die ganze Zeit zugeschaut hatte.

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Hatte der überlegene aber den Vorgang des Versteckens nicht gesehen, weil seine Tür zu gewesen war oder weil er dem Raum den Rücken zugekehrt hatte, dann beeilte sich der unterlegene, die Frucht rasch hinter dem Sichtschutz zu fressen. Die Deutung: Der unterlegene Affe schien damit zu rechnen, dass der überlegene ihn beim nächsten Zu­sammentreffen bestrafen würde, wenn er den Leckerbissen wegnahm. Er konnte offenbar einkalkulieren, ob der andere überhaupt etwas von dem Futter wusste. Demnach scheinen Schimpansen zu erkennen, was andere wollen oder wissen.


Was passiert, wenn sie es gemeinsam mit physikalischen Gesetzmäßigkeiten, also mit nicht sichtbaren Sachen, zu tun haben? Schimpansen gelingt Kooperation, etwa um einen schweren Ge­genstand zu bewegen. Doch dabei sieht man sie sich nie über ihre Absichten austauschen. Hieraus folgt: Um ihre geistige Kapazität und deren Grenzen einzuordnen, dürfen wir es uns nicht zu einfach machen und eine simple Zweiteilung annehmen. Denn offenbar gibt es nicht entweder eine Deutung der Welt, die allein auf Beobachtung beruht – oder andererseits eine der unseren ähnliche, zu der auch Vorstellungen vom geistig-gedanklichen Leben gehören.


Möglicherweise können die großen Menschenaffen anderen durchaus Absichten zuschreiben, ohne zugleich unser vielschichtiges psychologisches Verständnis zu besitzen. Vielleicht unterscheiden sie nicht so genau dazwischen, ob ein Tier etwas denkt, glaubt oder will. Träfe das zu, könnten sie nicht erfassen, dass die gleiche Handlung ganz verschiedene, auch mehrere Motivationen haben kann. Menschenkinder fangen im 2. Lebensjahr an, mit dem Finger auf Dinge zu zeigen, und wollen damit die Aufmerksamkeit anderer. Dagegen verleihen Menschenaffen ihren Intentionen offenbar nicht gewollt Ausdruck. Von allein zeigen sie nie mit dem Finger. Laut Tomasello können vom Menschen aufgezogene Schimpansen das aber lernen.

„Erkenntnis von Irrtümern“ 80

Doch sie benutzen das als Aufforderung, etwa wenn sie etwas haben wollen. Anderen einfach etwas mitzuteil­en, eine Informationsabsicht, scheint ihnen nicht eigen zu sein. Diese Intention gehört aber zur mensch­lichen Sprache. Demnach wäre es eine spezielle Eigentümlichkeit des Menschen, hinter Beobachtungen die nicht sichtbaren Gründe zu suchen. Genau solches Streben bildet auch den bevorzugten Tummelplatz von Wissenschaftlern. Eben deswegen müssen wir aufpassen, dass wir anderen Primaten nicht eine Vernunft unterstellen, die unserer Einbildungskraft entspringt.


Zum Beispiel wäre für die Rhesusaffen von Hausers Studie erst noch mit weiteren Arbeiten zu belegen, dass die Affen das Trinkglas deswegen länger anschauten als das Messer, weil sie verblüfft dachten, dass man mit einem Wasserglas doch keinen Apfel zerschneiden kann. Wir Menschen hätten wohl so überlegt – aber ein Rhesusaffe? Bei diesen Fragen wird man letztlich nicht weiterkommen, indem man sich nur möglichst viele verschiedenartige Experimente dazu ausdenkt. Vernunft wird seit Hume verstanden als Fähigkeit, zur Erreichung eines Ziels die passenden Mittel zu wählen. Das setzt voraus, dass der Handelnde auch seine Irrtümer erkennt.

Um nun herauszufinden, ob Tiere logisch denken, bringen wir sie allzu gern in Situationen, die sie veranlassen, die Umstände möglichst gut zu nutzen, das heißt für sich selbst möglichst viel dabei herauszuschlagen. Doch woher wollen wir wissen, ob sie sich nach Regeln der Logik richten, ob sie Widersprüche er­kennen, ob sie ihre Annahmen überprüfen? Möchten wir die Verhaltensentscheidungen dieser Primaten deuten, dann bleibt uns gar nichts anderes, als von vornherein Rationalität vorauszusetzen, falls ihnen eine Lösung gelingt. Wir schreiben ihnen dann Absichten zu und geben doch nur unserer eigenen Denkungsart durch die Hintertür wieder Zutritt. So wertvoll unsere anthropozentrische Herangehensweise für Erkenntnisse oft ist – den Verstand von Tieren stufen wir hiermit doch nur als unvollständige Version des unsrigen ein.

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Um solchen Anthropozentrismus zu vermeiden, kann man allerdings auch einen alternativen Weg wählen und nach der Evolution der Phänomene fragen. Denn vieles am Verhalten von Arten erklärt sich aus ihrer Entwicklungsgeschichte, insofern es sich auf das Überleben und dadurch letztlich auf den Fortpflanzungserfolg, die Fitness, der Tiere auswirkt. Aus dieser darwinistischen Perspektive fragen Forscher nach der Zweckmäßigkeit von Verhalten, und zwar ganz ähnlich wie Ökonomen Profitmaximierung untersuchen. Betrifft der anthropozentrische Ansatz unsichtbare psychische Entscheidungsmechanismen, so interessieren beim Evolutionsansatz deren beobachtbare Ergebnisse: Diese Wissenschaftler berechnen, wie gut sich jemand relativ zu anderen fortpflanzt.


Als rational in diesem Sinn gelten Verhaltensentscheidungen, die einem Tier letztlich verhältnismäßig viele Nachkommen bringen. Nehmen wir als Beispiel die Futtersuche von Früchte fressenden Affen. Früchte reifen im Lebensraum jener Primaten höchst unregelmäßig – an weit verteilten Orten und überdies schwer vorhersehbar zu ganz verschiedenen Zeiten. Nicht selten stellt ein Frucht tragender Baum weit und breit die einzige Nahrungsinsel dar. Ist sie nach kurzer Zeit leer gefressen, mögen andere Inseln auftauchen, die auch nicht lange Bestand haben. Manche dieser Bäume halten sich an Jahreszeiten, andere nicht. Unter solchen Bedingungen wäre es nicht sehr geschickt, würden die Affen zur Nahrungssuche planlos umherziehen.

Doch es dauerte, bis Primatologen erkannten, dass diese Primaten nicht einfach stets die nächstgelegene Ressource plündern, die sie zufällig entdecken. Vielmehr verwenden sie offenbar ausgefeilte Erkundungsstrategien. Sie haben vermutlich Wegenetze, Kreuzungen und Geländemerkmale im Kopf. Bei ihren Streifzügen dürften sie das Gebiet in Abschnitte unterteilen, die sie wahlweise absuchen oder passieren. Einige von den vielen Entscheidungen, die sie dabei offensichtlich treffen, nennen Elena Cunningham und Charles Janson von der New-York-Universität beziehungsweise der Staatsuniversität von New York in Stony Brook hinsichtlich einer neuen Primatenstudie in Südamerika.

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Demnach wägen Affen ab, ob sie besser zu einem reichhaltigen, aber fern gelegenen Ort ziehen oder sich mit einer nahen, kleineren Futterquelle begnügen; ob sich auf dem Weg zu einem guten Angebot ein Umweg zu einer Stelle lohnt, wo es nur ein paar Hand voll zu holen gibt; auf welcher Route die Tiere einer konkurrierenden Affengruppe am besten ausweichen können; ob sie sich besser allein auf den Weg machen oder sich anderen anschließen. Auch muss ein Affe wissen, wie er die anderen nach einer Trennung wiederfindet. Vor allem aber kommt es darauf an, ob sich der Weg überhaupt lohnt – ob der angestrebte Ort inzwischen wieder gutes, reifes Futter bietet.

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Sind Tiere im Stande, dergleichen Aspekte einzukalkulieren, dann lohnen sich ihre Streifzüge mehr. So zeigten Freilandversuche, dass Japanmakaken aufmerksam werden, wenn sie irgendwo auf eine reife Frucht stoßen. Selbst wenn die Jahreszeit eigentlich nicht passt, suchen sie nun die entsprechenden Bäume oder Sträucher auf. Forscher von der Universität St Andrews um Karline Janmaat beobachteten in Uganda, nach welchem Prinzip Mantelmangaben – die gern Feigen fressen – Bäume voller Früchte finden. Offensichtlich müssen sie die reifen Feigen nicht erst sehen oder riechen. Vielmehr scheinen sie es sich gut zu merken, wenn ein Baum, an dem sie gerade vorbeikommen, viele Früchte angesetzt hat.


Besonders erstaunte die Forscher, dass es die Affen von den Wetterbedingungen der letzten Zeit abhängig machen, ob sie zur Kontrolle wiederkommen. Es ist nicht anzunehmen, dass sie den Einfluss von Sonne und Wärme auf die Reifung von Früchten begreifen. Aber vielleicht haben sie gelernt, dass bei gutem Wetter bald wieder leckere Nahrung zu finden ist. Nicht zwangsläufig sind Handlungen, die sich unter der natürlichen Selektion bewähren, auch logisch-rational. So mag es unvernünftig wirken, wenn Tiere beim geringsten Anlass die Flucht ergreifen, auch wenn weit und breit kein Räuber lauert. Doch Gefahren zu überschätzen ist immer noch besser als sie zu spät zu bemerken. Evolutionär gesehen hat Risikovermeidung eben oft Vorrang


Doch auch wenn wir für unsere Fragestellung Rationalität so eingrenzen, dass wir uns mit Erscheinungen evolutionärer Anpassungen zufriedengeben, müssen wir aufpassen, nicht unsere eigenen Maßstäbe zu setzen. So zählt für jene Modelle weniger, dass Affen ihren Futterplan nach dem Wetter ausrichten. Von Belang ist vielmehr, dass sie möglichst viele Feigen mit möglichst wenig energetischem und Zeitaufwand zu ergattern verstehen, somit den Aufwand minimieren und den Ertrag optimieren – wie auch immer ihnen das gelingt. Denn um komplexe Probleme zu lösen, genügt es manchmal, einfache Regelmäßigkeiten zu nutzen.

„nicht die eigenen Maßstäbe ansetzen“


Schon die Annahme, infolge natürlicher Auslese würde die beste Lösung begünstigt und es gäbe gute und schlechte Entscheidungen, ist im Grunde ein Gebilde unseres eigenen Denkens. Eine Forschungsgruppe auf der Insel Celebes beobachtet Tonkeana-Makaken in einem großen Freigehege des Primatenzentrums der Universität Straßburg, wo sie seit Langem leben. Unter anderem wurde Futter so versteckt, dass nur einzelne der Tiere dies bemerkten. Und obwohl die anderen davon nichts wussten, fanden alle zusammen das Versteck zügig. Dabei denken sie nicht etwa, dass einer von ihnen den Ort kennt. Aber sie verrechnen, wie wir erkannten, bei ihrer Gruppenentscheidung über die gemeinsame Marschrichtung das Verhalten aller Anwesenden. Jeder von ihnen drückt die von ihm bevorzugte Richtung durch Haltung, Blicke oder auch einige Schritte dahin aus.

Am Ende folgen dann alle dem offenbar entschlossensten Affen, wobei es allerdings auch auf die einzelnen persönlichen Beziehungen, auf frühere Erfahrungen und auf Stimmungen ankommt. Bei der Entscheidung wirken also soziale wie kognitive Prozesse mit. Die Futtersuche wird so zu einer Gemeinschaftsleistung, auf die das Schlagwort einer „verteilten Intelligenz“ ganz gut passt. Vieles haben wir gerade in den letzten Jahren über den Verstand unserer Primat­envettern gelernt. Doch im Grunde haben wir in diesem Riesen­ gebiet erst ein paar kleine Lichtungen geschlagen. Die verschlungenen Handlungen und Absichten von Affen werden wir uns wohl nur ganz langsam erschließen können. Da dürfte noch so manche Überraschung warten.

Quelle: Spektrum der Wissenschaft, März 2008

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Not macht schlau

Affen zeigen, wie aus Knappheit kulturelle Leistung entsteht - und wie man die Natur austricksen kann. Denn wer Hunger hat, muss sich etwas einfallen lassen.Vor drei Millionen Jahren saß der Hominide auf seinem Baum, kratzte sein Fell und träumte von Bananen. Heute geht der Mensch ins Restaurant und denkt über die Quantenfeldtheorie nach. Eine Entwicklung, über deren Motor Evolutionsforscher gern streiten.

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Begann ein automatischer Siegeszug der Intelligenz, nachdem einst zufällig ein Gehirn besonders groß geraten war? Offenbar nicht. Es scheint vielmehr so, als habe die pure Not die Kreativität der Kreatur gefordert und eine Entwicklungslinie zur Gattung Homo ermöglicht. Die Belege dafür mehren sich: Not macht schlau. „Man kann diese große Entwicklung auch in kleinster Form bei heutigen Primaten nachvollziehen“, sagt Peter deMenocal, Umweltforscher an der New Yorker Columbia-Universität. Das jüngste Beispiel dafür liefern jetzt die Cambridge-Biologen Antonio de Moura und Phyllis Lee.


Im Jahr 2001 hatten sie beobachtet, was Kapuzineraffen im Nordosten Brasiliens anstellen, wenn die Caatinga genannte Trockenwald- und Kakteenlandschaft in der Dürrezeit zwischen Mai und Oktober verdorrt: In dieser Notsituation, und nur dann, schnappen sich die kleinen Primaten Steine und graben damit nach Knollengewächsen – eine Art von Werkzeug-Gebrauch, „die noch für keinen nichtmenschlichen Primaten beschrieben worden ist“, erklären die Biologen im Magazin Science. Üblicherweise sieht man Affen mit Steinen harte Fruchtschalen knacken oder mit Stöckchen Termiten aus der Erde fischen.

„Runter von den Bäumen!“


Rückblende in die Evolutionsgeschichte – in eine vergleichbare Situation: zu den Hominiden Afrikas vor 2,8 Millionen Jahren. Auch sie entwickelten neue Gebräuche und schauten sich bereits den Gebrauch von Werkzeugen bei ihren Eltern ab. Kulturelles Verhalten nennen die Forscher das. Als sich das Klima vor 2,8 Millionen Jahren zu wandeln begann und Afrika kühler und trockener wurde, was Physiker wie Gunther Korschinek von der TU München heute mit einem Anstieg kosmischer Strahlung nach einer nahen Supernova erklären, „da mussten die Primaten, salopp gesagt, runter von den Bäumen, sich an­passen und Wurzeln ausgraben“, meint Korschinek.


Der New Yorker Umweltforscher deMenocal gibt ihm Recht: „Etwa zu jener Zeit tauchten die ersten einfachsten Werkzeuge auf, Hack- und Schabe-Steine“, sagt er. Während die biologische Evolution den so genannten Nussknackermenschen der Gattung Paranthropus den Vorzug gab, die mit gewaltigem Gebiss hartschalige Trockenpflanzen zermalmten, ließ die kulturelle Evolution Hominiden überleben, die sich kreativ mit Hilfe spitzer Steine an die veränderten Umweltbedingungen anpassten und diese Techniken durch Nachahmung, also nicht-genetisch vererbten.

„Spielerisch Probleme lösen“

„Der Unterschied zwischen der Situation der heutigen Kapuzineraffen und jener der damaligen Hominiden besteht allein darin, dass es sich heute um kurzzeitige, wiederkehrende Dürren handelt, sich damals die Umwelt aber für mehrere hunderttausend Jahre verändert hatte. Das ermöglichte die Entstehung neuer Arten“, sagt deMenocal. Bei den Werkzeugmachern, die vermutlich der Gattung Homo zuzurechnen waren, begannen sich Exemplare mit immer größeren Gehirnen biologisch durchzusetzen. Die Nussknackermenschen dagegen starben nach etwa einer Million Jahre aus.

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„Doch nicht nur im Hominiden-Zweig, sondern in allen möglichen Zweigen des Lebensbaums hat die Evolution mit ähnlichen Lös­ ungen aufgewartet, wenn sich Selektionsdrücke zeigten“, sagt der Bochumer Biopsychologe Onur Güntürkün. Die Biologin Yasmin Möbius vom Leipziger Max-Planck-Institut für Evolutionäre Anthropologie bringt andere Beispiele: Auch durch Zufall, beim Spielen aus Langeweile könnten Tiere wichtige Entdeck­ungen machen. So sei von Gorillas bekannt, dass sie nur in Gefang­ enschaft, wo sie viel nutzlose Zeit verbringen, Werkzeuge zu benutzen.

„Kreative überleben“ 92

Onur Güntürkün aber widerspricht: Spiel sei immer eine Übung von Problemlösungen, die künftig nötig werden. „Es hätte auch wenig Sinn, in so etwas wie das Spielen zu investieren, wenn nicht ein langfristiger Benefit dabei herausspringt“, sagt er. „Und weil sich die Umwelt ständig verändert, gibt es immer die Notwendigkeit von Innovation.“


Die Innovation der brasilianischen Kapuzineraffen er­scheint vor diesem Hintergrund schlicht: Mit einem Stein hacke das Tier bis zu sechs mal schnell hintereinander in die harte Kruste der Caatinga, berichten die Cambridge-Biologen, während es mit der freien Hand die hervorgehackten Erdbrocken forträume. Sobald weicherer Untergrund er­reicht sei, grabe der Affe mit den Händen weiter. Sein Speiseplan habe sich so um mindestens drei Pflanzen erweitert.

Quelle: Süddeutsche Zeitung vom 10.12.2004



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