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DAS FAHRRAD

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Der Funktionscheck

Der Funktionscheck

KULTOBJEKT – DESIGNOBJEKT

Die Münchner Pinakothek der Moderne zeigt in der Neuen Sammlung bis zum 22. September 2024 eine nicht nur für Fahrradenthusiasten sehenswerte Ausstellung. Erstmals nimmt ein renommiertes Museum der bildenden und angewandten Künste das Fahrrad und seine Gestaltung in den Fokus. von Christoph Bublak

Beim Arvak aus dem Jahr 2014 haben die französische Designerin Paule Guérin und der deutsche Tischler Till Breitfuss das Potenzial des Naturmaterials Holz optimal genutzt. Die geschickte Kombination mit Karbon machen eine völlig neue Anmutungsqualität möglich.

Endlich, möchte man sagen, ist doch das Fahrrad mit seiner 200-jährigen Entwicklung mehr als ein Fortbewegungs- oder Transportvehikel. Es faszinierte im Verlauf seiner Geschichte immer wieder mit ungewöhnlichen ingenieurtechnischen, aber auch mit ästhetischen Innovationen. So wie sich Materialien, Konstruk tionsprinzipien und Technologien entwickelten, veränderte sich auch das Aussehen des Velocipeds. Zweiräder hatten bzw. haben emanzipatorisches Potenzial, wurden schnell zu angesagten Sport- oder Freizeitgeräten und in ihrer zunehmenden Verbreitung auch zum Ausdruck von Haltungen, aber auch des individuellen Lebensgefühls. Oft wurden einzelne Entwicklungsschritte in der Fahrradhistorie als futuristisch-exotische Spinnereien abgetan, um bald als angenehme Realität geschätzt zu werden. Auch aktuell versprechen die Zweiräder ganz praktische Lösungen für die existenten Verkehrs-, Mobilitäts- und Umweltprobleme.

Das Fahrrad als Designobjekt

Als Fahrrad wird heute meist ein mindestens zweirädriges, für gewöhnlich einspuriges, durch menschliche Muskelkraft angetriebenes Landfahrzeug beschrieben. Dank ihm konnten die Menschen ihre Reichweite beträchtlich erweitern, ohne auf fremde Kraft angewiesen zu sein. So ist es zum weltweit meist verbreiteten Verkehrsmittel und selbstverständlichen Kulturgut geworden – mit unterschiedlichen Konstruktionsprinzipien, Rahmenformen, Einsatzzwecken, Materialien, technischen Lösungen und Aus- stattungsvarianten. In München werden 70 Fahrräder gezeigt, die zu den ungewöhnlichsten und spannendsten der Designge schichte gehören. Dabei spannt sich der Bogen von der Drais´schen Laufmaschine von 1817 bis zu einem modernen Bike aus dem 3D-Drucker. Handwerklich gefertigte Hoch- oder Sicherheitsniederräder sind genauso zu entdecken wie industriell produzierte Fahrräder mit Tretkurbel- oder Kettenantrieben und Rahmen in Halbmond-, Fachwerk-, Kreuz- bzw. Diamantkonstruktion.

Das Straßenrennrand Togashi 337B erregte schon 1989 viel Aufsehen mit seinem futuristischen Karbonrahmen. Es wurde in aufwändiger Handarbeit gefertigt.

Angenehm zurückhaltend ist die Präsentation der 70 z. T. spektakulären Fahrräder. Im Vordergrund zu sehen ist das „Ur-Fahrrad“, die Laufmaschine von Karl Drais aus dem Jahr 1817.

Herstellungstechnologien prägen das Aussehen eines Bikes ebenso wie die verwendeten Materialien, der Verwendungszweck, aktuelle Moden oder die Ansprüche der Radfahrenden. Sie bestehen aus Holz, Eisen, Stahl, Aluminium, Magnesium, Titan, Kunststoff oder Karbon und werden aus Vollmaterial, Profilen oder Rohren geschweißt, gelötet, geschraubt, gesteckt, verklebt, gegossen, gepresst oder im 3D-Drucker produziert. Es gibt sie für die Stadt oder für anspruchsvolles Gelände, für kurze Trips oder lange Reisen, als reines Verkehrsmittel oder als Sportgerät, in robuster Konstruktion oder eher eleganter Ausführung, klassisch oder vollgefedert, für Kinder oder Erwachsene, Frauen oder Männer.

Dem Design als Gestaltung von industriell gefertigten Produkten kommt dabei eine Vermittlungsfunktion zu. Konstruktion, technische Ausstattung, ergonomische Notwendigkeiten, Produktionsverfahren, Vermarktung und spätere Nutzung werden im Idealfall in mehrfacher Hinsicht harmonisch aufeinander abgestimmt.

Das Pedersen-Fahrrad wurde 1893 von Mikael Pedersen konstruiert. Das ungewöhnliche Rahmendesign und der hängemattenartig befestigte Sattel machen es leicht und bequem. So hat es auch heute noch seine Fans und wird produziert.

Das ist bei allen gezeigten Exponaten bei aller Unterschiedlichkeit herausragend gelungen.

In der Ausstellung wird eindrucksvoll belegt, dass Fahrraddesign nicht nur Handwerks- oder Rahmenbaukunst und nicht nur das Werk von genialen Erfindern, Tüftlern, Besessenen und Enthusiasten ist. Das zeigen die zahlreichen Entwürfe von Flugzeug- und Automobilingenieuren wie Paul Jaray, Hermann Klaue oder Alex Moulton sowie von Industriedesignern wie Luigi Colani, Richard Sapper, Michael Conrad, Giorgetto Giugiaro, Marc Newson, Christian Zanzotti oder Ross Lovegrove. Das sind meist Persönlichkeiten, die weit über den Tellerrand ihrer eigentlichen Profession schauen konnten und das Zusammenspiel von Fahrrad und Radfahrenden optimal gestalten wollten.

Kultobjekt Fahrrad

Inwiefern Fahrräder als Kultobjekte taugen, lässt die Ausstellung offen. Dazu müssten sie laut Definition von einer einen Kult ausführenden Gruppe für rituelle Handlungen genutzt werden. Wie dem auch sei: Einen Kultstatus besitzt das Fahrrad an sich bzw. einzelne Vertreter dieser Gattung auf alle Fälle! Es wird von einer breiten Anhängerschaft verehrt, genießt Bewunderung und hohes Ansehen. Über den eigentlichen

Gebrauchswert hinaus stiftet es Identität und wird zum Symbol – für Konsumkritik, Umweltbewusstsein, Jugendlichkeit, Sportivität oder Lebensfreude. Stellvertretend seien hier das Pedersen-Fahrrad oder das Bonanzarad genannt. Beide haben auch heute noch ihre Fans.

Fazit

Die Ausstellung lässt die Exponate angenehm zurückhaltend für sich sprechen. In der chronologisch geordneten Zusammenschau ist erstmals der unmittelbare Vergleich von Fahrrädern unterschiedlicher Epochen, technischer Lösungen und Designauffassungen möglich. Allerdings wäre die Klärung der Begriffe Kult- bzw. Designobjekt wünschenswert. Auch der zur Ausstellung erschienene zweisprachige Katalog leistet das nur bedingt. Dennoch ist diese Publikation eine sinnvolle Ergänzung des Besuches, da in ihm ausgewählte Klassiker detailliert erklärt und alle 70 Exponate solide dokumentiert werden.

Für den radgeber ist die Ausstellung „Das Fahrrad. Kultobjekt – Designobjekt“ eine klare Empfehlung! Sie ist bis 22. September 2024 in der Pinakothek der Moderne in München zu sehen.

Ausstellungskatalog

DAS FAHRRAD. KULTOBJEKT –DESIGNOBJEKT

The Design Museum, Pinakothek der Moderne Fachbuch. Softcover

Erscheinungsdatum: 18.11.2022

Herausgeberin: Angelika Nollert

Verlag: König, Walther

Umfang: 352 Seiten

Sprache: Deutsch, Englisch

ISBN: 978-3-7533-0360-4

34,90 Euro

Das Schwinn Fastback Sting-Ray von 1967 ist ein klassisches Bonanzarad. Mit dem markanten Lenker und Bananensattel kopiert es die Chopper-Motorräder.

Es ist ein Uhr mittags und die Außentemperaturen haben sich für heute auf ein erträgliches Maß um den Gefrierpunkt eingependelt. Ich bin mit Uli und Jale verabredet.

Die beiden sind Team „Bomobile“, ein Bochumer Fahrradkurier-Unternehmen, das es mittlerweile seit mehr als 15 Jahren gibt. Beide sind richtig dick eingepackt. Uli hat eine warme Wollmütze auf und seinen Buff über Mund und Nase gezogen. Jale trägt einen Helm, aber auch mit Mütze darunter. Die riesigen Kuriertaschen sind mittlerweile leer – Feierabend!

„Heute morgen hatte es noch arschkalte minus zehn Grad“, meint Uli. Als Gründer des Unternehmens fährt er nun schon mehr als 30 Jahre als Radkurier. Bevor er sich selbständig machte, fuhr er für den „Heißen Reifen“. Er kennt das Geschäft in- und auswendig. „Da wird man nicht reich mit“, meint er. „Weder als Fahrer noch als Unternehmer.“ Aber die Arbeit macht ihm Spaß, sonst wäre er wohl nicht so lange im Business. In der straffen Dezemberkälte kommen die beiden Pedalhelden schon mal an ihre Grenzen. „An so kalten Tagen kleide ich meine Schuhe von innen mit Alufolie aus, damit vermeide ich taubgefrorene Zehen“, sagt Uli. Und Jale ergänzt: „Ich packe mir morgens eine Wärmflasche zwischen die Post und meinen Rücken.“ Not macht auch Kuriere erfinderisch.

„Was motiviert Dich, warum machst Du den Job?“, frage ich Uli. Er lacht: „Wegen der Kohle!“ Ja, klar, zuallererst ist es natürlich ein Job. Aber auch der ökologische Gedanke trägt ihn. Er verzichtet bewusst auf ein Auto, auch privat. „Wenn Du Dich auf den Straßen umschaust, dann weißt Du, was los ist. Die meisten sitzen alleine in ihren

Autos“, sagt er. „Im Winter kann ich das schon gar nicht verstehen: Morgens Scheiben kratzen, im Stau stehen, Parkplatz suchen … In der Zeit hätten die doch ganz bequem mit der Bahn fahren können. Selbst wenn die wieder mal Verspätung hat, wären sie immer noch schneller unterwegs als mit dem PKW.“ Das ist Ulis Beitrag zur Verkehrswende: Alles mit dem Rad machen und wenn der Weg zu weit ist, nimmt er einfach die Bahn. Warum machen es denn nicht mehr Menschen so wie Uli? „Na ja, Bochum ist halt `ne richtige Autostadt. Die Radwege sorgen nicht gerade dafür, dass die radelnden Menschen schneller und sicherer vorankommen. Sie verdrängen vielmehr die Fahrräder von der Straße, sorgen für mehr Freiheit des Autoverkehrs.“ Stimmt, denke ich.

Die meisten Radwege gibt es in Bochum dort, wo eigentlich keine nötig wären: auf Straßen, die eh breit genug sind.

Aber dort, wo man sie wirklich braucht, auf großen Kreuzungen oder vielbefahrenen Einmündungen, wird man als radelnder Mensch eher auf die Fußgängerampel gezwungen oder ins Haltestellenhäuschen. Zweimal bei Rot warten, statt mit dem fließenden Verkehr auf der Linksabbiegerspur zügig mitfahren zu dürfen, so ist Bochum. „Heute ist aber auch echt mehr los auf den Straßen als früher“, meint Uli. „Ich fahre jetzt schon seit 50 Jahren Rad, hab da echt viel Routine. Für mich ist das schon stressig genug. Wie soll man klar kommen, wenn man nicht so geübt ist?“

16 Fahrradkuriere

„Verkehrswende geht anders“, meint auch Jale. „Die Trassen sind ja ganz okay, aber wenn Du die Leute im Alltag aufs Rad bringen willst, musst Du auch an die Ausfallstraßen dran. Die reden seit Jahren von der Verkehrswende und dann vergessen die mal eben bei der Planung den Radverkehr auf der Hattinger und der Wittener Straße.“ Das sind zwei wichtige Bochumer Achsen in die Innenstadt.

Radkuriere als Antwort auf die innerstädtischen Verkehrsprobleme?

Wir jedenfalls liefern zuverlässig und ressourcenschonend, trotz Stau …

„Wer sind eure KundInnen?“, frage ich. Alle möglichen, meist private Unternehmen, die eilige oder vertrauliche Dokumente lieber nicht mit der Post verschicken wollen. Labore, die Proben oder Medikamente auf sicherem Weg transportieren wollen. Es gibt auch sogenannte „proofs“, das sind Musterexemplare für Werbekampagnen. „Wir fahren aber nicht nur innerhalb der Stadt, wir sind im ganzen Ruhrgebiet unterwegs“, erzählt Jale. „Manchmal sogar bis zur holländischen Grenze.“ Rad und Bahn machen‘s möglich: Auch für weitere Strecken wird keine Benzinkutsche benutzt. Uli meint: „Wenn das alle (Kuriere) machen würden, hätten wir ein echtes Problem: Die Bahn in NRW ist da gar nicht drauf vorbereitet.“ „In anderen Bundesländern ist das echt besser“, ergänzt Jale. „In Hessen zum Beispiel gibt‘s richtig viel Platz für Fahrräder in den Bahnen und Du brauchst nicht mal ein Extraticket für Dein Rad. Wär echt schön, wenn das hier auch so wäre.“

„Warum machst Du den Job? Was ist das Schönste für Dich beim Kurierfahren?“, frage ich Jale. „Im Sommer, wenn Du früh morgens startest. Dann ist es schon früh hell, aber die

Temperaturen sind noch angenehm.“ „Und was ist das Schlimmste?“ „Die megatiefen Schlaglöcher“, sagt Jale. „Bei Sturm und Regen fahren“, meint Uli sofort. „Nein, gerade nicht“, entgegnet Jale. „Wenn Du bei so einem Schietwetter unterwegs bist, dann bekommst Du richtig viel Respekt, auch von den AutofahrerInnen. Die zeigen Dir dann schon mal den Daumen hoch und das macht mich echt stolz.“

FAHRRADKURIER BOMOBILE

Nehrinskamp 6

44879 Bochum

Mobil: 0163 4704709

E-Mail: info@bomobile.de www.bomobile.de

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