Glotz nicht so: Über den Umgang mit dem Medium Fernsehen

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ecosign/Akademie fĂźr Gestaltung Felix Beirau, WISE 12/13, Nachhaltiges Design III

glotz nicht so: Ăœber den Umgang mit dem Medium Fernsehen 1



Inhalt

I.

Einleitung

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2. 3. 4. 5. 6.

Ich sehe was, was du nicht siehst News aus aller Welt Wie man angelt Narkose gef채llig? Vorbild: Das Bild vor mir

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7. 8.

Stellungnahme Literaturverzeichnis

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1. Einleitung »Wer siebzig Jahre alt wird, hat statistisch sieben Lebensjahre rund um die Uhr ferngesehen.« hieß es in einem Artikel in Die Zeit am 08. August 1997 von Richard David Precht. Doch was geschieht mit uns, wenn wir so lange vor dem Fernseher hocken und scheinbar die Welt vom Wohnzimmer aus entdecken? Welche Funktionen und teilweise absurden Formen das Fernsehen heute angenommen hat, möchte ich in der folgenden Arbeit behandeln. Betrachtet wurde die Fernsehlandschaft hierbei aus der Sicht von Neil Postman und seinem Werk Wir amüsieren uns zu Tode, von Dieter Stolte und seiner Publikation Wie das Fernsehen das Menschenbild verändert, sowie von diversen journalistischen Beiträgen zum Thema. 2. Ich sehe was, was du nicht siehst Schon als das Schreiben eine neue Form der Kommunikation wurde, »übernahm [das Auge] als Organ der Sprachverarbeitung die Rolle des Ohrs.« (vgl. Neil Postman 1999, S. 22). Der Ausdruck und Wunsch des universellen Erkennens ohne Worte spitzte sich in der Menschheitsgeschichte zunehmend zu. Ernst Cassirer sprach

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in diesem Zusammenhang auch vom Symbol-Denken und Handeln des Menschen: »Die unberührte Wirklichkeit scheint in dem Maße, in dem das Symbol-Denken und -Handeln des Menschen reifer wird, sich ihm zu entziehen. Statt mit den Dingen selbst umzugehen, unterhält sich der Mensch in gewissem Sinne dauernd mit sich selbst. Er lebt so sehr in sprachlichen Formen, in Kunstwerken, in mythischen Symbolen oder religiösen Riten, dass er nichts erfahren oder erblicken kann, außer durch Zwischenschaltung dieser künstlichen Medien.« (vgl. Neil Postman 1999, S. 20), und könnte meinen, dass das Fernsehen ein Spiegel ist, mit dem man sich selbst unterhält. Doch verlassen wir uns wirklich so auf das Gesehene, dass wir es als real anerkennen? Haben unsere Augen nicht jedem schon einmal einen Streich gespielt? »Das Auge kann den Menschen nicht nur in ›optischen Täuschungen‹ trügen, sondern kann auch im konkreten Augen-blick sinnlich so gefangen nehmen, dass es emotional verführt.« (vgl. Dieter Stolte 2004, S. 44). Nun könnte man den Gedanken etwas weiter formulieren, wie auch die optischen Täuschungen weiter formuliert wurden, und anbringen, dass »Das Verführungspotential des elektronischen Anschauungsmaterials [..] heute praktisch ins Grenzenlose gestiegen [ist].«,


sowie es auch Dieter Stolte ausbaut und somit formuliert. Ein nicht außer Acht zu lassender Punkt ist die Tatsache, dass zum Beispiel ein Film, der eine Komposition aus Bild und Ton ist, in eine vorgegebene Fantasiewelt zieht, welche beim Lesen hingegen selbst befüllt und kreativ ausgeschmückt werden kann. Gotthold Ephraim Lessing formulierte hierzu die Vorstellung, dass diese bildliche Vorgabe mit Themen die Phantasie kastriert: »Dem Auge das Äußerste zeigen, heißt, der Phantasie die Flügel binden.« (vgl. Dieter Stolte 2004, S. 59). Und je ausgeprägter diese Kastration stattfindet, also je stärker die bildliche Darstellung in den Vordergrund rückt, desto »nachahmenswert[er wird] das Wahrgenommene vom Betrachter empfunden [..]« (vgl. Dieter Stolte 2004, S. 59), wobei hier die bildliche Aussage bestimmend ist, nicht das Ausmaß der Darstellung selbst. Im Jahre 1838 erläuterte der Franzose Louis Jacques Mandé Daguerre ein Verfahren, um die Natur abzubilden, wie sie wirklich ist: »Die Daguerreotypie [bzw. Fotografie] ist nicht nur ein Instrument zum Nachzeichnen der Natur, [...] sie verleiht ihr die Fähigkeit, sich selbst zu reproduzieren.« (vgl. Neil Postman 1999, S. 91). Postman interpretiert die Ankündigung Daguerre’s als »das erste Verfahren zum ›Klonen‹ der Realität« (1999, S.

92). Es entsteht somit eine Situation, in der die Wirklichkeit mit der Phantasie konkurriert oder sogar zu einer Wirklichkeitsphantasie führen könnte. Einen weiteren Unterschied zwischen gesprochenen Wort und gesehenem Bild formulierte Gavriel Salomon, indem er sagte, dass man »Bilder [...] erkennen [muss], Wörter [...] verstehen.« (vgl. Neil Postman 1999, S. 93). Das einzelne Bild klont die Realität nicht, sondern zerstückelt sie, weil es lediglich einen Ausschnitt, einen Moment der Realität zeigt, und nur diesen. Die zuvor erwähnte Konkurrenz von Wirklichkeit und Phantasie, von Bild und Wort, bekommt durch die Fotografie einen immensen Katalysator zugesprochen. Zuvor dachte man über das Gesehene nach, weil man es mit eigenen Augen sieht und zu verstehen versucht. Nun wird durch ein fremdes (noch nicht einmal) Auge gesehen und die Wahrnehmung stark dekontextualisiert. Neil Postman schreibt, »alles Begreifen fängt damit an, dass wir die Welt nicht so hinnehmen, wie sie uns erscheint.« (1999, S. 94). In der heutigen Zeit dürfte man mit den Schlagwörtern Fotomanipulation und Animation vertraut sein, was die Glaubwürdigkeit der Bilder in dieser Debatte etwas ausbremst. Wird nun der Kommunikationsgehalt des Fernsehens untersucht, so zeigt sich, dass das Fernsehen vorrangig einen visuellen Kommunikationsaus-

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tausch liefert, keinen verbalen. »Das Bild eines schwerfälligen ZweieinhalbZentner-Mannes, auch eines redenden, würde die Feinheiten jeder sprachlich vermittelten Argumentation alsbald erdrücken.« (vgl. Neil Postman 1999, S. 16). Um einen Leerlauf der visuellen Flut zu vermeiden, beträgt »Die durschschnittliche Länge einer Kameraeinstellung [...] nur 3,5 Sekunden, so dass das Auge nie zur Ruhe kommt« (vgl. Neil Postman 1999, S. 109). Robert MacNeil beschreibt diesen Vorgang, in Bezug auf die Fernsehnachrichten folgendermaßen: »Die Komposition [...] folgt dem Grundsatz, [...] dass visuelle Stimulierung ein Ersatz für Denken [...] ist.« (vgl. Neil Postman 1999, S. 131). 3. News aus aller Welt Bis 1837 gab es keine allumfassende Komunikation, welche sich – auf Amerika bezogen – über den gesamten Kontinent erstrecken konnte. Genau diese Art von Kommunikationsnetz schuf der Amerikaner Samuel Finley Breese Morse mit seinem Schreibtelegraphen. Der Kontinent schien in sich verbunden und eine Vorstufe der heutigen globalen Vernetzung zu sein. Henry David Thoreau schrieb dazu in seinem Buch Walden: »Wir beeilen uns sehr, einen magnetischen Tele-

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graphen zwischen Maine und Texas zu konstruieren, aber Maine und Texas haben möglicherweise gar nichts Wichtiges miteinander zu besprechen. [...] Wir beeilen uns, den Atlantischen Ozean zu durchkabeln, um die Alte Welt der Neuen ein paar Wochen näher zu rücken; vielleicht lautet aber die erste Nachricht, die in das große amerikanische Schlappohr hineinrinnt: Prinzessin Adelheid hat den Keuchhusten.« (vgl. Neil Postman 1999, S. 84). An dieser Stelle kam ich nicht um die Verbindung mit den Schlagzeilen herum, welche die heutigen Informationsmedien zieren. Diese neue Form der Information, des territorial ausgedehnten Nachbarschaftsklatsches legitimierte seinen nicht vorhandenen Zusammenhang, seinen Dekontext, indem sich die Form selbst als »neu, interessant und merkwürdig« erweist (vgl. Neil Postman 1999, S. 85). Zeitungen, die eine zügige Informationsübermittlung garantieren wollen, mussten sich der neuen Informationsform des Telegraphen anpassen und druckten alsbald keine Meldungen mehr, die »von der Qualität oder Nützlichkeit [wichtig waren], sondern davon, wie viele Informationen sie aus welchen Entfernungen in welchem Tempo herbeischaffen konnten.« (vgl. Neil Postman 1999, S. 87). Hier scheint das eigentliche Dilemma zu beginnen, da der Überfluss an Informationen dazu führt, dass über die


einzelne Meldung kaum länger nachgedacht wird, bis dass man die nächste vernimmt. Neil Postman erkennt, dass der Telegraph »eine Fülle irrelevanter Informationen hervorbrachte, [und somit] das proportionale Verhältnis zwischen Information und Aktion drastisch verändert [hat].« (1999, S. 88), da die Informationen aus den täglichen Nachrichten zwar als Redestoff gut geeignet scheinen, nicht jedoch, um eine sinnvolle Handlung in Gang zu setzen. Wie bereits erwähnt, muss das Wort verstanden werden, was bei einem wahren Platzregen von Wörtern jedoch sehr schwierig, bis gar unmöglich ist. Die Menge der Informationen, seien sie gehaltvoll oder nicht, lässt an dieser Stelle also kaum Platz, um verarbeitet zu werden, da bereits die nächste Botschaft gelesen werden will. Dass diese Form der Kommunikation unnatürlich und aus dem Medium selbst entstanden ist, unterstreicht Neil Postman mit folgender Aussage: »Die ›Tagesnachrichten‹ sind ein Produkt unserer technischen Phantasie; sie sind im wahrsten Sinne des Wortes ein Medienereignis. Wir beschäftigen uns mit Bruchstücken aus aller Welt, weil wir über eine Vielzahl von medien verfügen, die sich ihrer Form nach zum Austausch bruchstückhafter Botschaften eignen. Kulturen ohne lichtgeschwinde Medien – Kulturen etwa, in denen Rauchzeichen das effizienteste

Mittel zur Überwindung von Entfernung sind – kennen keine ›Tagesnachrichten‹. Das ›Neue vom Tage‹ gibt es nicht ohne ein Medium, das seine Form schafft.« (1999, S. 17). Wenn nun die Tagesnachrichten betrachtet werden, muss auch die wohl berühmteste Themeinleitung in dessen Geschichte angesprochen werden: die Worte Und jetzt. Es erhebt das darauffolgende Thema augenblicklich in eine gesteigerte Erwartungshaltung beim Zuschauer, die das vorherige Thema auf eine lächerliche Relevanz scheintot prügelt. Mehr als eine komatöse Wahrnehmung der Themen bleibt in ihrer übertriebenen Darstellung und unerfassbaren Menge und Vielfalt auch kaum möglich. Hier greift ein fragliches Prinzip der Symbiose aus dem Telegraphen und der Fotografie. Die optische Revolution sorgte dafür, »dass das Bild in den Mittelpunkt des Interesse trat, [und] die überkommenen Definitionen der Information, der Nachricht und in erheblichem Umfang der Realität selbst untergraben [wurde].« (vgl. Neil Postman 1999, S. 95). Vor dieser ganzen Informationsflut suchte man nach Informationen, um den gegebenen und bekannten Kontext besser verstehen zu können. Nun sucht man eher letzteren um die Informationen zu legitimieren. Richard David Precht imaginiert sich dazu in seinem Artikel Die Invasion der Bilder

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, erschienen in Die Zeit, vom 08. August 1997 ein Bild des Zuschauers: »Ein Grund dafür könnte sein, daß er die Illusion der Informiertheit liebt und irgendwie psychisch befriedigt ist, wenn tagtäglich, pünktlich um acht, die Küche der Weltpolitik in fünfzehn Minuten durchgefegt wird.« 4. Wie man angelt Eine Grundregel beim Angeln lautet »Der Wurm muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.« und ist zugleich ein berühmtes Zitat des Ex-RTL-Chef ’s Helmut Thoma. In der Rolle des Wurmes steckt das Fernsehen, in der des Fisches der Zuschauer. Angler selbst ist der Programmmacher, der alles unternimmt, damit der Wurm dem Fisch mundet. »Erlaubt ist, was Quote bringt. Wenn die Quote stimmt, stimmt alles.« (vgl. Dieter Stolte 2004, S. 13). Die Quote entpuppt sich als ein wirtschaftlicher Fokus. Jeder kennt die Werbung, die zu manchen Sendezeiten häufiger aufzutauchen scheint, als zu anderen. Das hängt ganz davon ab, wieviele Zuschauer eine Sendung schauen, also welche Quote diese hat. Hohen Quoten bedeuten höhere Erträge aus der Werbewirtschaft, und »Die Messung der Quoten bildet dabei die planerische Basis für kommerzielles Handeln.« (vgl. Dieter Stolte 2004, S. 12).

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Da das experimentelle Feld des Fernsehens nahezu unerschöpflich scheint, tüfteln kluge Köpfe ständig an neuen Formaten. Alles wird versucht, damit der Wurm schmeckt. Die Qualität einer Sendung kommt bei einem vorhandenen Quotenfetisch jedoch erst viel später zur Sprache, zulasten der Kultur. Laut Stolte verliert man bei dieser romantischen Liebe zur Quote »auch ein beträchtliches Stück menschlicher Kultur in der breiten Außenwirkung seines Programms.« (2004, S. 21). In welchem Verhältnis Quote zur Qualität stehen kann, zeigt auch der folgende Vergleich: Am 8. März 2003 wurden zwei Sendungen ausgestrahlt, die in völlig anderen Qualitätsklassen spielen. Die Sendung mit den meisten Einschaltquoten belief sich auf 12,31 Millionen Zuschauer. Die zweite auf 190 000. Bei einer der beiden Sendungen handelt es sich um die Aufführung von Mozart’s Zauberflöte bei den Schwetzinger Festspielen 2002, bei der anderen um das Finale des Laienwettbewerbes Deutschland sucht den Superstar (vgl. Dieter Stolte 2004, S. 20). Quote gut, alles gut. Und falls der Wurm dem Fisch nicht länger schmeckt, gibt es dafür auch eine Lösung: »Fällt die Quote, wechselt das Format. Das Format ist Mittel zum Zweck, das Programm wird zur Ware und der Zuschauer – erhofftermaßen – zum Konsumenten.« (vgl.


Dieter Stolte 2004, S. 15). Weiterhin fügt er an, dass auch die Akteure vor der Kamera zur Konsumware deklariert werden, wenn das Programm als solches gesehen wird (vgl. 2004, S. 16). Ein Beispiel sind die diversen Castingshows. Im Normalfall werden hierbei riesige Talente gesucht, die wiederum im Idealfall dieses eine spezielle besitzen: Unterhaltungswert. Ein bekannter Vertreter mit dieser Hofnarrenästhetik ist der drittplatzierte DSDS-Kandidat aus dem Jahr 2003, Daniel Dominik Küblböck. Nach einer steilen Gesangskarriere landete er 2004 in der Dschungel-Show Ich bin ein Star – Holt mich hier raus. In dieser Sendung musste beispielsweise die Kabarettistin Lisa Fitz einen lebendigen Wurm verspeisen (vgl. Dieter Stolte 2004, S. 16). Ob das dem Fisch noch schmeckt? Und spätestens nach dem Format Big Brother scheint klar zu sein, dass die normalsten Akteure zur Konsumware geformt werden. »Schablonen, Raster und Surrogate besetzen das große Loch, das man Selbstbewußtsein nennt. Statt Fernsehen wie im wirklichen Leben gibt es Leben wie im wirklichen Fernsehen.« meint Richard David Precht in seinem Artikel Die Invasion der Bilder vom 08. August 1997 aus Die Zeit. Ob als Quote oder Ware, der Mensch wohnt im Luftschloß Fernsehen. An dieser Stelle mahnt Neil Postman je-

doch: »Das Fernsehen hat den Status eines ›Meta-Mediums‹ erlangt – es ist zu einem Instrument geworden, das nicht nur unser Wissen über die Welt bestimmt, sonder auch unser Wissen darüber, wie man Wissen erlangt.« (vgl. 1999, S. 100) und, »dass uns die vom Fernsehen vermittelte Welt natürlich erscheint und nicht bizarr.« (vgl. 1999, S. 101). Dies, so meint Postman, ist ein Zeichen von Anpassung der Menschen und ihrer Kultur an das Fernsehen (vgl. 1999, S. 102). Richard David Precht schlägt hierbei einen Bogen, und beschreibt das Medium Fernshen wie folgt: »Abgesehen davon, daß die sogenannten ›neuen Medien‹ nicht völlig neu sind und immer älter werden, sind sie im Fall des Fernsehens beim besten Willen eben keine Medien, also ›Mittler‹ beziehungsweise ›Austauscher‹. Die Gegenrede des Fernsehzuschauers wird die Rede der Fernsehmoderatorin auf dem Bildschirm in keiner Weise beeinflussen. Warum also von Kommunikation, das heißt ›Verständigung‹ reden, wenn man sich gar nicht miteinander verständigt?« (vgl. Die Zeit 1997). Der Fernsehzuschauer unterhält sich also nicht, sondern lässt sich unterhalten (oder treiben, bis der nächste Wurm am Haken hängt).

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5. Narkose gefällig? »Problematisch am Fernsehen ist nicht, dass es uns unterhaltsame Themen präsentiert, problematisch ist, dass es jedes Thema als Unterhaltung präsentiert.« (vgl. Neil Postman 1999, S. 110). Postman beschreibt die Situation eines Fluges der United Airlines von Chicago nach Vancouver, bei der der Passagier mit den meisten Kreditkarten eine Flasche Sekt gewinnt. In der zweiten Runde wird geschätzt, wie alt das Begleitpersonal zusammen genommen ist, und eine Flasche Wein verlost. Während der zweiten Runde gerät das Flugzeug in Turbulenzen und die Anschnallzeichen leuchten auf, was jedoch kaum jemand bemerkt, nicht einmal die Stewardessen (vgl. Neil Postman 1999, S. 118). Kann Unterhaltung also dermaßen narkotisierend wirken? Dafür spricht, dass zum Beispiel die Fernsehnachrichten darauf komponiert sind, den Zuschauer mit möglichst leichter und unterhaltsamer Kost in einen solchen Zustand zu versetzen. »[Sie folgen] dem Grundsatz, ›dass der Happen die richtige Größe hat, dass Komplexität vermieden werden muss, dass man auf Nuancen verzichten kann, [...] dass visuelle Stimulierung ein Ersatz für Denken und dass sprachliche Genauigkeit ein Anachronismus ist‹.« (vgl. Neil Postman 1999, S. 131). Selbst Kinder bleiben von dieser Methode

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nicht verschont, sondern werden bereits mit Sendungen wie der Sesam Strasse (welche unter bestimmten Rahmenbedingungen durchaus pädagogischen Nutzen hat) zu eine vergnügungslustigen Kultur erzogen. Doch ist wirklich die Narkose das Problem, oder wie wir sie uns selbst verabreichen? »[...] das Fernsehen [ist] für uns dort am nützlichsten, wo es uns mit ›dummem Zeug‹ unterhält – und am schädlichsten ist es dort, wo es sich ernsthafte Diskursmodi [...] einverleibt und sie zu Unterhaltungsstrategien bündelt. [...] Das Problem besteht jedenfalls nicht darin, was die Leute sehen. Es besteht darin, dass wir sehen. Und die Lösung müssen wir darin suchen, wie wir sehen.« (vgl. Neil Postman 1999, S. 194). Was wäre also ein Argument dafür, wie bzw. warum wir fernsehen? »Um uns von unseren Alltagsproblemen abzulenken« könnte hierbei eine Antwort sein. »Daraus resultiert der größere Zulauf zu kommerziellen Programmen, die auf diesen Verhaltensmechanismus setzen.« schreibt Dieter Stolte 2004 in Wie das Fernsehen das Menschenbild verändert (S. 19). Für das Argument der Ablenkung spricht ebenfalls die Tatsache, dass man gerade in Krisenzeiten volle Bühnenhäuser beobachten kann (vgl. Dieter Stolte 2004, S. 22). Unterhaltung in Bühnenhäusern gab es schon bei den Griechen, von denen auch das


Genre der Comedy stammt. Hierbei wurde jedoch noch auf einen Rahmen Wert gelegt, der zwischen Spaß und Ernst richtig relativiert hat (vgl. Dieter Stolte 2004, S. 31). Im alten Rom verschob sich dann diese Relation mit »Brot und Spielen« zunehmend zum Spaß und veränderte das Menschenbild durch Massenunterhaltung. »Wenn die physischen und psychischen Bedürfnisse der großen Masse befriedigt waren, konnten die Herrschenden [...] relativ frei schalten und walten.« (vgl. Dieter Stolte 2004, S. 32). 6. Vorbild: Das Bild vor mir Wie man in den vorangegangenen Kapiteln gesehen hat, ist das Fernsehen ein mächtiges Massenmedium, »[...] daher kann [es] sich [..] auch nicht lossagen von seiner Verantwortung für sich und für alle.« (vgl. Dieter Stolte 2004, S. 10). Die ehemalige Bundesfamilienministerin Reante Schmidt nannte es eine »Körperverletzung«, wenn man Kinder mit einem Fernsehapparat alleine lässt (vgl. Dieter Stolte 2004, S. 56). Die Verantwortung scheint also nicht nur beim Fernsehen zu liegen, sondern auch bei den Sehenden selbst. Verleitet Gesehenes also zur Nachahmung und setzt für dessen Konsum ein gewisses geistiges Niveau voraus? In der antiken Tragödie sollte

das Mitleid »keine Affekte auslösen, sondern – nach Aristoteles – von ebendiesen Affekten der ›Furcht‹ und des ›Mitleids‹ im Sinne einer ›Karthasis‹ reinigen.« (vgl. Dieter Stolte 2004, S. 57). Es ist somit von jedem Subjekt abhängig, wie es das Gesehene verarbeitet. Im Normalfall verleitet das Fernsehen jedoch kaum zur Nachahmung des Gesehenen. »[Der Zuschauer] ist, wo man ihn ernst nimmt, sein je eigenes Original mit eigenem Kopf.« (vgl. Dieter Stolte 2004, S. 57). Der Journalist und Aphoristiker Johannes Gross formulierte einst provokativ überspitzt: »Die Entwicklung des Fernsehens vollzieht sich in drei Phasen: 1. Kluge Leute machen Programme für kluge Leute. 2. Kluge machen Programme für Dumme. 3. Dumme machen Programme für Dumme. – Wir befinden uns im Übergang von der zweiten zur dritten Phase.« (vgl. Dieter Stolte 2004, S. 88). 7. Stellungnahme Wie man gesehen hat, sind die Regeln und Formen des Fernsehens nahezu aus sich selbst entstanden, indem ein wirklicher Sinn, bzw. Kontext für die zur Schau gestellten Kamerahighlights erst gefunden werden musste. Im Fernsehen dominiert das Bild, und somit auch ein großer Aspekt der Verführung

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und Emotionalisierung des Zuschauers. Durch seine schnelle und unterhaltsame Art, lässt es Reflexionen kaum zu und schickt ihren schnittigen Sportwagen in eine Einbahnstraße namens Unterhaltung. Ob am Ende dieser Straße eine Seitenstraße folgt, oder lediglich eine Mauer wartet, bleibt fraglich. Bei dieser aufregenden Fahrt dürfen wir jedenfalls nicht vergessen, dass unsere Umwelt, vielleicht sogar unsere Natur verzerrt oder eingeschränkt wird. Auch in einem Sportwagen nehmen wir zuerst das innere Umfeld jenes wahr, danach die Richtung (Im besten Falle kennt man natürlich die Richtung). Beim Fernsehen geschieht ähnliches, nur dass wir hierbei kein Ziel als das Fernsehen selbst zu haben scheinen (und »kennt« jeder das Fernsehen der fernsieht?). Mit dem Verständnis, wie das Fernsehen »funktioniert« und auf was es seinen Fokus legt, sollte man zu der Frage kommen, ob man selbst nur anschaltet um abzuschalten, also glotzt, oder ob man mehr aus dem Medium Fernsehen gewinnen kann als Quotenfetischismus legitimiert und Zwangsbespaßung in jedem Themenbereich futtert.

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8. Literaturverzeichnis (verlinkt) Neil Postman (1999): Wir am체sieren uns zu Tode: Urteilsbildung im Zeitalter der Unterhaltungsindustrie. Fischer-Verlag: Frankfurt am Main. Dieter Stolte (2004): Wie das Fernsehen das Menschenbild ver채ndert. Verlag C. H. Beck: M체nchen. Richard David Precht (1997): Die Invasion der Bilder oder: Niemand stellt Fragen, das Digitalfernsehen antwortet. Die Zeit: Hamburg. & das Fernsehen als Impuls.

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»Das Fernsehen unterhält die Leute, indem es verhindert, dass sie sich miteinander unterhalten.«

Siegmund Graff


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