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«Ziel muss es sein, dass die Schüler*innen Handlungsfähigkeit erlangen» Gespräch mit Dorit Assaf, Monika Waldis und Roger
«Ziel muss es sein, dass die Schüler*innen Handlungsfähigkeit erlangen»
Ein Gespräch mit Expert*innen über Fähigkeiten, die wir in Zukunft brauchen werden, über die Rolle der Schulen bei der Vermittlung dieser Future Skills – und über mögliche Grenzen
Von Marc Fischer (Text) und Christian Irgl (Fotos)
Welche Fähigkeiten brauchen wir in der Zukunft? Wie können Schulen die Schüler*innen auf das (Berufs-)Leben vorbereiten? Welche Rolle spielt die Digitalisierung und welche Kompetenzen sind diesbezüglich gefragt? Sind die oft postulierten Future Skills eigentlich «Jetzt Skills»? Über diese und andere Fragen diskutierten Expert*innen mit unterschiedlichen Backgrounds und Fachgebieten. Dorit Assaf hat im November 2021 die Leitung der neu geschaffenen Professur Didaktik der Informatik und Medienbildung am Institut Sekundarstufe I und II der PH FHNW übernommen. Monika Waldis ist Leiterin des Zentrums Politische Bildung und Geschichtsdidaktik der PH FHNW und Direktionsvorsitzende des Zentrums für Demokratie Aarau. Und Roger Spindler ist Leiter der Höheren Berufsbildung und Weiterbildung an der Schule für Gestaltung Bern und Biel, sowie Referent für das Zukunftsinstitut in Frankfurt am Main mit dem Fokus auf Bildung und digitale Medien. Das Gespräch fand in einem hybriden Setting statt – Dorit Assaf und Roger Spindler befanden sich im gleichen Raum, Monika Waldis war per Video zugeschaltet.
Future Skills sind heute in aller Munde. Doch was ist mit diesem Begriff überhaupt gemeint? Dorit Assaf: Ich kenne den Begriff Future Skills unter vielen verschiedenen Bezeichnungen: 21st Century Skills, Top Ten Skills oder Schlüsselkompetenzen, um nur ein paar zu nennen. Aber eigentlich ist die Bezeichnung gar nicht so wichtig. Es geht generell darum, welche Kompetenzen wir in Zukunft vermehrt brauchen werden. Die verschiedenen Modelle führen jeweils etwas unterschiedliche Fähigkeiten auf. Die einen stellen das lebenslange Lernen in den Fokus, andere Kooperationsfähigkeit, Kreativität, Entrepreneurship, ethisches Denken oder Problemlösefähigkeiten. Ich finde, dass das 4-K-Modell eine gute Zusammenfassung der Future Skills ist: Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken. Die Idee dahinter ist, dass man diejenigen Kompetenzen identifiziert, die momentan schwer automatisierbar sind. In unserem Studiengang spielt unter anderem «Computational Thinking» eine grosse Rolle, das ist die Problemlösekompetenz in der Informatik.
Roger Spindler: Ich finde es immer spannend, wenn wir Definitionen von Future Skills hören oder lesen. Je nach Absender variieren diese immer leicht. Sind die vier K wirklich Future Skills? Aus meiner Sicht sind das nicht Future Skills, sondern «Jetzt Skills». Wir brauchen sie jetzt und wir wollen sie jetzt. Beim Zukunftsinstitut haben wir die Megatrend-Map erarbeitet und dabei überlegt, ob der Begriff Future Skills überhaupt richtig ist.
Dorit Assaf: Wir hinken sicherlich stets etwas hinterher. Ich denke auch nicht, dass für das gesamte 21. Jahrhundert die gleichen Fähigkeiten gebraucht werden.
Wir beziehen verschiedene Überlegungen mit ein und suchen Antworten auf die Frage, in welche Richtung es gehen soll. Und natürlich: Wenn wir uns heute etwas überlegen und die Bedürfnisse in der schulischen Bildung umsetzen, dann sind wir automatisch einige Jahre im Rückstand. Aktuell ist es so, dass die digitalen Kompetenzen stark im Zentrum stehen und im Unterricht implementiert werden. Allerdings hätte das schon viel früher geschehen müssen. Man hinkt oftmals hinterher, andererseits möchte man auch nicht gleich jedem Trend nachrennen.
Monika Waldis: Es besteht doch auch eine bildungstheoretische Diskussion zur Frage, welche Problemstellungen sich künftig auf gesellschaftlicher und individueller Ebene zeigen könnten. Im Moment stehen wir im Krisenmodus. Der Pandemie sind der Ukrainekrieg und eine Verknappung der Ressourcen (Strom, Energie) gefolgt. Der heisse Sommer hat erneut den Klimawandel ins Bewusstsein gebracht. Im Moment ist Problemlösefähigkeit gefragt – aber nicht nur. Es geht auch um Diskursfähigkeit und Urteilskompetenz und die Frage, wie Gemeinschaften oder Gesellschaften zu mehrheitsfähigen Entscheiden und Lösungen gelangen können. Auf individueller Seite sind Wissen, Können und Wollen gefordert. Es geht um Motive, Einstellungen und allenfalls auch um den Willen, unsere Werte neu zu verhandeln.
Roger Spindler: Wir müssen aufpassen, dass die Begriffe nicht reine Schlagworte bleiben. Gerade wenn es um Problemlösefähigkeit im Zusammenhang mit Krisen geht. Wenn eine Krise vor der Tür oder gar bereits im Zimmer steht, heisst es sehr schnell: «Jetzt muss man kreative Lösungen entwickeln.» Für mich, der aus dem Bereich der Gestaltung kommt, ist es heikel, wenn Kreativität erst dann ins Spiel kommt, wenn alle anderen Instrumente versagen. Das ist eigentlich eine Bankrotterklärung und dann geht man auch nicht ehrlich mit diesen Begriffen um. Für mich ist es elementar, dass alle K-Themen stets ehrlich, passend und stimmig eingesetzt werden. Das ist allerdings eine enorme Herausforderung, vor allem auch in der Lehrpersonenbildung.
Monika Waldis, Leiterin des Zentrums Politische Bildung und Geschichtsdidaktik der PH FHNW und Direktionsvorsitzende des Zentrums für Demokratie Aarau: «Die Rolle der Lehrperson ist es unter anderem, Neugierde weiterzugeben und als Modell dafür zu dienen, dass man auf einem Weg ist, auf dem es Fragen und Unwägbarkeiten gibt.»
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Dorit Assaf, Leiterin der neu geschaffenen Professur Didaktik der Informatik und Medienbildung am Institut Sekundarstufe I und II der PH FHNW: «Bei den vier K liegt der Fokus auf der Förderung der persönlichen Aktionsfähigkeit der Schüler*innen, das schliesst die traditionellen Fertigkeiten mit ein, jedoch neben vielen neuen.»
Wir kommen gerade aus der Corona-Krise. Welche Lehren können wir daraus ziehen im Hinblick auf die Future Skills?
Monika Waldis: Die Corona-Krise hat aus meiner Sicht gezeigt, dass wir mit den bestehenden Problemlösefähigkeiten und Routinen und auch mit den Möglichkeiten, ein Problem überhaupt zu erfassen, zuerst überfordert waren. Es standen viele Entscheidungen an, die wir nicht routinemässig abarbeiten konnten. Unser Handeln war von Unsicherheit geprägt: Händewaschen, Masken, Distanzregeln – wirkt das wirklich? Aber wir haben gemeinsam gelernt in der schwierigen Situation. Fast alle können nun mit Videotelefonie-Tools umgehen. Allerdings können wir jetzt nicht zurück in den Zustand vor der Krise, neue Herausforderungen stehen an.
Roger Spindler: In diesem Zusammenhang haben wir am Zukunftsinstitut den Begriff der Tiefenkrise geprägt. Wir hatten zwar in den letzten zwei, drei Jahrzehnten immer wieder Krisen. Die Finanzkrise etwa, die aber schnell wieder abgefedert wurde. Greta Thunberg hat auf die Umweltkrise aufmerksam gemacht, doch man ist dann doch schnell wieder ins Flugzeug gestiegen. Doch jetzt sind wir in einer Phase, in der die Krisen durch alle Ebenen der Gesellschaft gehen und die Menschen in Mark und Bein treffen – und wir haben noch keine Antworten darauf. Das fordert einen heraus. Gerade auch im schulischen Kontext.
Wenden wir uns doch diesem schulischen Kontext zu. Wenn wir die erwähnten vier K im Blick behalten, was braucht es dann in den Schulen heute?
Dorit Assaf: Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken sind nicht unbedingt Begriffe, die man als erstes im Zusammenhang mit Schule nennt. Es geht bei den vier K in erster Linie nicht mehr ausschliesslich um die Vermittlung grundlegender Fertigkeiten wie Lesen, Schreiben oder Rechnen und das Aneignen von
möglichst viel Wissen. Der Fokus liegt auf der Förderung der persönlichen Aktionsfähigkeit der Schüler*innen, das schliesst die traditionellen Fertigkeiten mit ein, jedoch neben vielen neuen. Der Lehrplan 21 mit seiner Kompetenzorientierung geht bereits ansatzweise in diese Richtung, hat jedoch oftmals einen schwierigen Stand in der Akzeptanz der Bevölkerung. Die Future Skills führen auch zu Widersprüchen im Schulkontext. Kooperationsfähigkeit etwa steht im Widerspruch zur Einzelbeurteilung der Schüler*innen.
Monika Waldis: Die vier K sind hochrelevant und man müsste sie in Bildungssettings fördern können. Das fordert uns als Bildungsverantwortliche und in meinem Fall, mich als Fachdidaktikerin Geschichte und Politische Bildung und Bildungswissenschaftlerin heraus. Es geht darum, Bildungssettings zu finden, die Schüler*innen einen Zugewinn erlauben. Sie sollen Wissen erwerben, das ihnen die Orientierung in der Welt ermöglicht. Darüber hinaus aber auch ihre Kommunikations- und Kooperationsfähigkeiten erweitern, sodass sie sich austauschen und eine eigene Meinung vertreten können, dass sie Argumente erkennen, akzeptieren und gemeinsam zu einer Problemlösung gelangen können. Diese Settings führen weg vom klassischen Bild der Solo-Lerner*innen, welches die Schüler*innen allein an einem Pult sitzend und sich mit einem Arbeitsblatt oder einer vorbereiteten Übung beschäftigend zeigt. Die Schulen in der Schweiz sind schon lange auf diesem Weg. Sie müssen gestützt werden in ihrem Tun.
Roger Spindler: Egal, wie die Fähigkeiten heissen und ob es 4, 5, 17 oder 21 sind: Das Ziel muss es sein, dass die Schüler*innen Handlungsfähigkeit erlangen, sodass sie sich dann in der Arbeitswelt von Heute und Morgen bewegen können. Das ist aus meiner Sicht nach wie vor eine der wichtigsten Aufgaben, die wir an Schulen haben. Die Arbeitswelt, für die wir Schüler*innen heute befähigen, sieht anders aus als noch vor zehn, fünfzehn Jahren. Sie ist auch eine andere, als die Eltern der Schüler*innen sie von ihrem Berufseinstieg her kennen.
Und was hat sich in der Schule selbst geändert?
Roger Spindler: Die wichtigste und grossflächigste Änderung sind die Tools, die in den Schulen Einzug gehalten haben – und teilweise auch schnell wieder verschwunden sind. Einst gab es das Sprachlabor, dann den Hellraumprojektor, dann das Smartboard. Die Tools sollten und sollen das Lernen einfacher machen. Was aus meiner Sicht die Schule aber erst richtig verändert hat, war der Moment, als alle Schüler*innen ein Smartphone in der Hosentasche hatten. Wenn es vibriert, ist die Aufmerksamkeit definitiv nicht mehr bei der Lehrperson oder der Gruppenarbeit, sondern beim Handy und der Frage: «Was habe ich jetzt verpasst?» Hinzu kommt: Das Smartphone ermöglicht, dass die Schüler*innen unmittelbar überprüfen können, ob das, was ich als Lehrperson eben gesagt habe, auch wirklich stimmt. Und damit hat sich die Schule für mich wirklich verändert.
Monika Waldis: Eine Frage ist natürlich zunächst einmal, ob das Handy im Schulzimmer überhaupt zugelassen ist. Ich kenne sehr viele Schulen, in denen Handys nicht erlaubt sind. Für mich ist zudem klar, dass Wikipedia-Artikel noch kein Wissen darstellen. Die Schule ist dafür zuständig, in eine Tradition der Wissensvermittlung einzuführen, die zugleich auch thematisiert, wie dieses Wissen entstanden ist oder gerade entsteht. Es geht also auch um die Einführung in epistemologische Prinzipien, in Fragen, wann wir einen bestimmten Grad an Gewissheit haben können, dass Informationen richtig sind und Wissen für unser Weltverstehen und als Handlungsgrundlage geeignet ist. Diese Fragen muss man diskutieren und dann kommt man zu Erkenntnissen, die weit über das Internet-Kurzfutter hinausgehen. Es geht dann darum, welche Fragestellungen relevant sind, wie man zu vertrauenswürdigen Informationen kommt, wie man Informationen prüfen oder kombinieren kann, welche Perspektiven unterbelichtet sind, wie man eine Auslegeordnung für ein komplexes Problem machen kann. Das sind Strategien, die enorm an Bedeutung gewinnen – und die überhaupt nicht konkurrenziert sind durch Smartphones.
Roger Spindler: Das heisst aber auch, dass man in der Schule mit diesen Geräten und Inhalten arbeiten muss. Smartphones, Tablets oder PCs müssen Teil des Unterrichts sein.
Monika Waldis: Ich würde es etwas abschwächen. In gewissen Teilen sind diese Devices sicher ein wichtiger Teil des Unterrichts. Verbunden mit einer Distanz, die Lehrpersonen immer wieder vermitteln sollten, indem sie die Einordnung von Wissen anleiten, Fragen stellen und Argumente oder Problemlösungen von Schüler*innen selbst darauf hin prüfen lassen, ob sie schlüssig und überzeugend sind. Andererseits glaube ich, dass man beim Lernen durchaus auch digitalfreie Zonen schaffen darf und soll. Wir sind nicht nur digitale Wesen. Auch wenn es Zukunftsszenarien gibt, in denen eine Körper-Maschinen-Verschmelzung angedacht wird und es hier auch geschäftliche Interessen gibt, diese voranzubringen.
Dorit Assaf: Die eben erwähnten digitalen Kompetenzen sind im Modul Medien und Informatik ja Teil des Lehrplans 21. In der Lehrer*innenbildung geht es zudem auch um mediendidaktische Fragen, also darum mit Medien zu lehren und zu lernen. In unseren Modulen ist eine
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Roger Spindler, Leiter der Höheren Berufsbildung und Weiterbildung an der Schule für Gestaltung Bern und Biel, sowie Referent für das Zukunftsinstitut in Frankfurt am Main: «Ich würde mir wünschen, dass es zur Selbstverständlichkeit wird, dass man ein digitales Hilfsmittel genau gleich bewusst einsetzt wie ein Buch, ein Bild oder ein Blatt Papier.»
grosse Themenvielfalt enthalten: Medienbildungsthemen wie Medien und Gesellschaft, Quellenkritik, Mediennutzung, Urheberrecht, Datenschutz, Netiquette, sowie Informatik-Fachwissen und Computational Thinking. Das sind alles Kompetenzen, die man dann auch in der Berufswelt braucht.
Roger Spindler: Ich finde das Stichwort «digitalfreie Zonen» interessant. Da bin ich hundertprozentig einverstanden und würde mir wünschen, dass es zur Selbstverständlichkeit wird, dass man ein digitales Hilfsmittel genau gleich bewusst einsetzt wie ein Buch, ein Bild oder ein Blatt Papier. Lehrpersonen und mit der Zeit auch Schüler*innen sollten abschätzen können, welches Werkzeug – egal ob analog oder digital – wann richtig eingesetzt ist. Das wäre dann auch wieder Handlungsfähigkeit.
Dorit Assaf: Wichtig ist, die digitalen Tools nicht zu verbannen, sondern gezielt einzusetzen, wo sie Sinn machen. Oftmals denkt man, dass bei kompetenzorientiertem Unterricht das Wissen keine Rolle mehr spiele, da man jetzt lernt eine Suchmaschine zu bedienen. Das stimmt nicht. Wissen ist und bleibt ein wichtiger Punkt. In der Ausbildung zur Lehrperson gibt es deshalb fachwissenschaftliche und fachdidaktische Themen. Es ist wichtig, dass die Lehrpersonen ein fundiertes Fachwissen mitbringen.
Monika Waldis: Da kann ich nur nachdoppeln. Fachwissen und fachdidaktisches Wissen sind wichtig. Ein solides Fachwissen ist der Kern der Lehrer*innenbildung. Danach kann man den eigenen Interessen nachgehen und die eigenen Kompetenzen in alle Richtungen erweitern. Lehrer*innenbildung hört nicht bei der Grundausbildung auf. Es ist ein berufsbegleitender Prozess.
Welchen Wissenstand in puncto digitaler Tools bringen die Kinder in den Schulen schon mit? Was können sie bereits? Und was müssen sie in der Schule lernen?
Monika Waldis
Dorit Assaf: Oftmals wird ein unbekümmerter, souveräner Umgang mit digitalen Tools mit einem kompetenten Umgang verwechselt. Da muss man sicher gut aufpassen. Es ist sehr wichtig, dass den Schüler*innen digitale Kompetenzen und Medienkompetenz vermittelt werden. Medienpädagogische Themen wie Cybermobbing, Urheberrecht, Datenschutz etc. sind auch als Prävention wichtig.
Roger Spindler: Wenn ich 16-Jährige sehe, die bei uns in die Schule kommen, dann ist zwar ein souveräner Umgang mit Apps wie Instagram oder TikTok vorhanden, aber sinnvoll ein Textverarbeitungsprogramm zu bedienen, klappt nicht wirklich. Dafür beobachte ich eine extrem hohe Kompetenz, wenn es darum geht, welche persönlichen Daten im Netz sichtbar sind und wie man sich schützen kann. Hier ist vielfach ein hohes Bewusstsein vorhanden – vielleicht auch abhängig vom Elternhaus.
Dorit Assaf: Es geht in erster Linie um einen bewussten Umgang. Datenschutz heisst nicht, alle Daten wegzusperren, sondern sich darüber bewusst zu sein, was mit ihnen passiert und mit wem man sie teilt. Sich also auch bewusst zu entscheiden, diese oder jene Daten freizugeben.
Monika Waldis: Ich sehe in der digitalen Bildung das Problem, dass sie teilweise noch etwas bruchstückhaft ist. Da gibt es einen Block Computational Thinking und der Umgang mit den eigenen Daten und Gefahren im Netz wird thematisiert. Ich frage mich aber, inwiefern die Schüler*innen das Erlernte auch im Alltag anwenden können beziehungsweise wollen, oder ob dann einfach TikTok übernimmt. Zu gesellschaftlichen Implikationen, also der Frage, wie Medien unsere Kommunikation verändern und sich dieser Wandel auf Öffentlichkeit und Gesellschaft auswirkt, sehe ich noch Entwicklungsbedarf. Diesbezüglich wünschte ich mir eine verstärkte interdisziplinäre Herangehensweise, etwa zwischen Fachdidaktiken und Medienbildung, die möglicherweise auch bei den Lernprodukten und -outcomes komplexere Resultate zur Folge hätte; – ein Filmfestival zum Schuljahresende beispielsweise zu einer selbstgewählten Fragestellung, ein eigener Erklärfilm, etc.
Dorit Assaf: Auch mir ist es ein Anliegen, dass man interdisziplinär arbeitet, und ich versuche das in meinen Kursen auch zu vermitteln und umzusetzen. Gerade das Thema Making, das ja einer meiner Schwerpunkte ist, bietet hierzu grosse Chancen.
Was versteht man unter Making?
Dorit Assaf: Ich verwende Making als didaktischen Ansatz für den Informatikunterricht. Er ist projektorientiert und die Schüler*innen durchlaufen einen kompletten Problemlösungsprozess. Dieser geht von der Problem-
definition über die Ideenfindung zur Implementierung in Prototypen, dann werden die Prototypen getestet und überarbeitet und schliesslich auch präsentiert. Die Aufgabenstellungen sind dabei möglichst ergebnisoffen. Das heisst es gibt keine standardisierten Musterlösungen, sondern die Schüler*innen sollen befähigt werden, mittels technischer Tools ihre eigenen Ideen zum Leben zu erwecken. Ich arbeite oft mit programmierbaren Mikrocontrollern sowie Sensoren und Aktoren. Dieser Making-Unterricht ist sehr interdisziplinär.
… und er schult gleichzeitig das Denken und hilft so dann auch bei anderen Problemen?
Dorit Assaf: Genau. Und so haben wir wieder die Brücke geschlagen zu den vier K. Oft wird bei Making-Projekten auch in Gruppen gearbeitet, was wiederum die kooperativen Kompetenzen fördert.
Monika Waldis: Das bringt mich zu einem weiteren Gedanken: Interdisziplinarität heisst ja auch, dass vielleicht zwei oder mehr Personen als Ansprechpartner*innen für die Schüler*innen zur Verfügung stehen könnten und so Vorbilder sein könnten für die Jugendlichen, was kooperative Problemlösungsprozesse anbelangt. Wir sollten also vielleicht mehr mit kooperativen Lehrpersonenteams arbeiten.
Roger Spindler: Gerade beim angesprochenen Making, welches das Zusammenkommen unterschiedlicher Disziplinen beinhaltet, bieten sich Chancen. Der kreative Prozess soll nicht einfach linear ablaufen. Sondern man soll auch immer wieder einen Schritt zurücktreten, um zu überprüfen, ob die eigene Fragestellung noch zutreffend ist. Denn man muss die richtigen Fragen stellen, um Probleme lösen zu können. Wenn wir dieses Denken bei Schüler*innen initiieren können, ist schon sehr viel erreicht. Wenn sie dann noch den eigenen Lernprozess reflektieren, ist ein weiteres Ziel erreicht. Es geht ja nicht nur darum, eine coole Präsentation zu erstellen, sondern darum zu erkennen, wie man gearbeitet hat und wo man allenfalls Schritte unternommen hat, die nicht zielführend waren.
Was bedeutet das für die Rolle der Lehrpersonen?
Monika Waldis: Ich würde stark dafür plädieren, dass sich Lehrpersonen nicht mehr als One-Man-Show oder One-Woman-Show verstehen. Sie sollten sich stärker als Teamplayer*innen verstehen, im Team agieren und sich als Problemlöser*innen sehen, die auch interdisziplinär nach Lösungen suchen. Das ist ein Schritt, den man auch an den Pädagogischen Hochschulen noch stärker fördern sollte. Im Studienalltag wird das Zusammenarbeiten leider teilweise als lästig empfunden und es gibt auch Kooperationsfallen, etwa wenn sich in einer Gruppe alle darauf verlassen, dass jemand anderes etwas vorbereitet oder wenn jemand gleich eine rasche Lösung präsentiert, um eine Entscheidungsfindungsphase zu umgehen und Zeit zu sparen. An der PH müssten wir vielleicht noch stärker darüber nachdenken, wie wir Skills für Kooperation und Problemlösefähigkeit noch besser anregen könnten. Im Moment ist es noch so, dass die Arbeiten der Studierenden meist individuell bewertet werden.
Roger Spindler: Ich möchte noch einen anderen Punkt ergänzen. Ich wünsche mir keine klinisch sauberen Schulzimmer, in denen man das Gefühl hat, es passiere gar nichts. Während der Corona-Pandemie haben wir uns sehr Mühe gegeben, Lernplattformen und Lehrumgebungen attraktiv zu gestalten – und als wir in die Schulen zurückkehrten, haben wir in meinen Augen die Schulzimmer vergessen. Lehrpersonen müssen ihre Lehrräume sorgfältig und inspirierend gestalten – egal ob diese digital oder analog sind.
Monika Waldis: Das unterstütze ich sehr. Es braucht Lernräume und Lernanlässe. Und wenn diese gut gewählt sind und eine kognitive und emotionale Auseinandersetzung mit dem Lernstoff anregen, dann sind wir auf einem guten Weg. Aber wir müssen diesen Punkt erreichen, an dem eine Auseinandersetzung stattfindet. Es darf nicht nur ein Abarbeiten sein. Das gilt sowohl für Schulen als auch für Hochschulen.
Und diese Lernräume können überall sein – im Schulzimmer, draussen oder im virtuellen Raum.
Roger Spindler: Ja genau. Und wir müssen auch die Neugierde behalten als Lehrpersonen und beispielsweise die Entwicklungen wie das Metaverse im Auge behalten. Wir müssen beobachten, was passiert, und nicht die Augen verschliessen, nur weil beispielsweise Facebook dahintersteht. Gleichzeitig verlangt das nach einer gesunden Diskussion darüber.
Monika Waldis: Genau, die Rolle der Lehrperson ist es unter anderem, Neugierde weiterzugeben und als Modell dafür zu dienen, dass man auf einem Weg ist, auf dem es Fragen und Unwägbarkeiten gibt.