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Zukunftspläne für mehr sprachiges Lernen von Barbara

Zukunftspläne für mehrsprachiges Lernen

Das Projekt «Sprachen inklusiv» der PH FHNW will mehrsprachigen Kindern mit besonderem Bildungsbedarf das Lernen im multilingualen Modus eröffnen.

Von Barbara Ateras, Sandra Bucheli, Sandra Däppen und Simone Kannengieser

Auf dem Bildschirm in der Eingangshalle einer Heilpädagogischen Schule stellt ein*e Schüler*in die Gebärde des Monats vor. Bislang werden die Gebärden in deutscher Sprache untertitelt – bei 18 Sprachen, die in der Schule gesprochen werden. Dieses Beispiel zeigt: Kinder und Jugendliche mit sogenanntem besonderem Bildungsbedarf haben ein hohes Risiko, mit reduzierten Bildungsangeboten an der Entfaltung ihrer Potenziale gehindert zu werden. Während Mehrsprachigkeit für sie oft als überfordernd angesehen wird, gibt es Hinweise aus der Forschung, die in die Gegenrichtung weisen: Frühe Mehrsprachigkeit erleichtert das Lernen weiterer Sprachen; Fähigkeiten, die als Future Skills par excellence gelten, wie kognitive Flexibilität und Perspektivenwechsel, werden durch Mehrsprachigkeit gefördert.

Wenn die Fachperson für Unterstützte Kommunikation mit den Schüler*innen die Gebärde des Monats ab sofort auch in deren jeweiliger Erstsprache untertitelt, wird die Vielsprachigkeit nicht nur symbolisch wertgeschätzt, sondern es wird sichtbar, dass Mehrsprachigkeit schulisches Lernen unterstützt und die Sprachen der Schüler*innen in den Schulalltag inkludiert werden. Die Regel in Schulhäusern, nur Deutsch zu sprechen, aufzugeben, ist das eine. Das andere ist es, die verfügbaren Sprachen im Unterricht zu nutzen. Aus der Regel «In meiner Schule spreche ich Deutsch» wird das Motto «An unserer Schule sprechen wir alle Sprachen, die wir können».

Mehrsprachige Lernportale und Vorleserunden Diesen Paradigmenwechsel strebt auch eine Klassenlehrperson an einer Sprachheilschule an. Sie bereitet den Mathematikunterricht nach den Sommerferien vor. Mithilfe eines Übersetzungsprogramms hat sie eine Wörterliste in alle in der Klasse vorkommenden Sprachen übertragen: zählen, vorwärts, rückwärts, kommt vor/nach, wegnehmen, ist/wird mehr/weniger, zwischen, zusammen, zerlegen, Nachfolger, Unterschied usw. Das Kompetenzziel, die Begriffe zu verstehen und zu verwenden, wird unterstützt und angereichert: Der alternative sprachliche Zugang kann beim Verständnis helfen und das mehrsprachige Durchdringen des jeweiligen Konzeptes schafft ein Mehr an Bezügen und Anwendung. Ohne diese Initiative der Lehrperson blieben die Stellen für Zehnerfeld, Zahlenreihe usw. in den arabischen, portugiesischen oder slowakischen

«Frühe Mehrsprachigkeit erleichtert das Lernen weiterer Sprachen; Fähigkeiten, die als Future Skills par excellence gelten, wie kognitive Flexibilität und Perspektivenwechsel, werden durch Mehrsprachigkeit gefördert.»

Wortschätzen vielleicht leer. Zudem erhalten die Schüler*innen den Anstoss, generell bei den Rechenvorgängen und Aufgaben weitere Sprachen heranzuziehen. Daran kann sich beispielsweise die Erarbeitung von Themen aus dem Bereich «Natur, Mensch, Gesellschaft» mithilfe von Erklärvideos in einem mehrsprachigen Lernportal wie zum Beispiel «Binogi» anschliessen.

Während sich in solchen Angeboten individualisiertes selbsttätiges Lernen manifestiert, bahnt eine Schulische Heilpädagogin in einer Regelklasse kooperatives Arbeiten an: Im Rahmen der Leseförderung inszeniert sie zweisprachige Lesungen, bei denen etwa Graphic Novels von zwei Personen in zwei Sprachen präsentiert oder Texte mit Sprachenwechseln vorgetragen werden. Beide didaktischen Vorgehensweisen erlauben die Einbeziehung von Sprachen, welche die Lehrpersonen nicht beherrschen.

Aber auch die Sprachendiversität in den Schulteams kann genutzt werden. An einer Primarschule fördert die Logopädin einen serbisch-deutsch-sprachigen Jungen. Ihm fällt das Sprachverstehen schwer – in beiden Sprachen gleichermassen. Zufällig kann die Klassenassistenz Serbisch und wird in die Verwendung von Piktogrammen eingewiesen, sodass sich deutsche und serbische Versprachlichungen für das Kind mit den Verstehensbrücken verbinden.

Alle im Text genannten Beispiele stammen aus dem Projekt «Sprachen inklusiv», durchgeführt vom Institut Spezielle Pädagogik und Psychologie der PH FHNW und unterstützt vom Bundesamt für Kultur. Das Projekt will mehrsprachigen Kindern mit besonderem Bildungsbedarf das Lernen im multilingualen Modus eröffnen. Alle Beispiele sind erste Schritte der Umsetzung. Die bereits zusammengetragenen digitalen Medien, Materialien und Ideen für Therapie, Förderung, Unterrichtsgestaltung und Projektarbeit erfüllen noch nicht alle Wünsche für alle Sprachen und Bedarfe – aber sie ermöglichen Lehr- und Fachpersonen, einfach mal anzufangen. Mit einem im Projekt entstehenden Leitfaden erhalten sie eine Grundlage für die Integration von Mehrsprachigkeitsförderung in die Förderplanung.

www.fhnw.ch/ph/sprachen-inklusiv

Die vier Autorinnen arbeiten am Institut Spezielle Pädagogik und Psychologie der PH FHNW und bilden das Projektteam von «Sprachen inklusiv». SIMONE KANNENGIESER leitet die Professur Berufspraktische Studien und Professionalisierung. BARBARA ATERAS ist ebenda Dozentin. SANDRA DÄPPEN ist Dozentin an der Professur für Inklusive Didaktik und Heterogenität. SANDRA BUCHELI ist Dozentin an der Professur für Kommunikationspartizipation und Sprachtherapie.

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