Brennpunkt – #4.0
Digitale Inklusion
oder Exklusion? Marion Loher
D
ie Digitalisierung und insbesondere virtuelle Sprachassistenten können für Menschen mit kognitiven Beeinträchtigungen eine Chance für gesellschaftliche Inklusion sein. «Siri, wie spät ist es?», «Alexa, schalte das Radio ein!», «Cortana, wie wird das Wetter heute?» – digitale Sprach assistenten können Menschen mit Be einträchtigung im Alltag helfen. So müssen sich beispielsweise Personen mit körperlichen Einschränkungen nicht mehr über kleine On-ScreenButtons ärgern oder können das Licht zu Hause per Sprachbefehl ein- und ausschalten.
Versiert im Umgang Wie aber sieht das Potenzial dieser virtuellen Sprachassistenten für Men schen mit kognitiven Beeinträchtigun gen aus? Zusammen mit einem Stu dierendenteam haben Experten des Instituts für Informations- und Pro zessmanagement IPM-FHS und des Fachbereichs Soziale Arbeit die Chan cen von «Voice Assistants» untersucht. Vier Studierende des Masterstudien gangs Wirtschaftsinformatik führten Interviews mit fünf Betroffenen von «mensch-zuerst», der Selbstvertreter organisation für Menschen mit Lern
schwierigkeiten in Rorschach durch. «Alle Befragten besitzen ein Smart phone und bezeichneten sich selbst als ‹versiert im Umgang mit dem mobilen Gerät›», sagt Matthias Baldauf, Studi enleiter und Dozent für Wirtschafts informatik. «Zwei von fünf kannten aber den sprachbasierten Assistenten auf ihrem Smartphone nicht.» Nach einer Demonstration von Siri seien alle Studienteilnehmenden von de ren Fähigkeiten begeistert gewesen. Eine Erkenntnis der Untersuchung ist: «Die Betroffenen sehen die digitalen Sprachassistenten als grosse Chance für eine verstärkte gesellschaftliche Teilhabe», so Baldauf. «Da die münd liche Ausdrucksfähigkeit bei Men schen mit kognitiven Beeinträchtigun gen meistens besser entwickelt ist als die schriftliche, versprechen sie sich durch den ‹Vocal Assistant› eine ver besserte Kommunikation mit anderen Personen.» Der Assistent soll undeut liche Aussagen der oder des Sprechen den korrigieren respektive übersetzen. Dies allerdings stellt die Technologie vor grosse Herausforderungen. «Men schen mit Beeinträchtigung sind sich wenig gewohnt, Hochdeutsch zu spre chen», sagt der Studienleiter. «Mit Dialekten und unklaren Äusserun gen tun sich die heute verfügbaren Sprachassistenten der grossen Anbie ter aber noch schwer.» Abhilfe könn ten hier regionale Start-ups schaffen, die Spracherkennung für Schweizer
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SUBSTANZ
deutsch anbieten oder an personali sierter Spracherkennung arbeiten, die auf Eigenheiten des Sprechenden trai niert ist.
Partizipativ entwickeln Ein Problem für Menschen mit ei ner kognitiven Beeinträchtigung ist, bei der rasanten technologischen Ent wicklung auf dem Laufenden zu blei ben. «Einerseits wird das eigenstän dige Informieren durch viele nicht barrierefreie Websites erschwert, an dererseits sind technikbezogene Schu lungen für diese Gruppe rar», sagt Mathias Baldauf. Austausch und Wis sensvermittlung in technischen Belan gen scheinen deshalb dringend nötig. «Peer-to-Peer-Modelle können hier vielversprechend sein.» Dabei schu len sich die Mitglieder der Gruppe gegenseitig. Gleichzeitig sollten die Betroffenen in die Entwicklung und Optimierung digitaler Hilfsmittel miteinbezogen werden. Die Studie mit Betroffenen von «mensch-zuerst» war für das IPM-FHS der erste Schritt in diese Richtung. «Im Rahmen von ‹Participatory-Design›-Workshops pla nen wir mit der Zielgruppe eine ko operative Gestaltung und Entwick lung sprachbasierter Dienste», verrät Matthias Baldauf. WEITERE INFORMATIONEN: www.fhsg.ch/substanz