substanz FHS St.Gallen - Nr.2/2018

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Erkenntnis – Nachtarbeit in der Pflege

Nachtstille,

erstillende Nächte

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10 Stunden in 51 Nächten hat Pflegewissenschaftler Thomas Beer während seines Forschungssemesters in einem deutschen Pflegeheim absolviert. Ein Erfahrungsbericht. The same procedure as every night: 51-mal bin ich gegen 20:57 Uhr mit der Buslinie 27 zum Pflegeheim gefahren. Ich bin in die Funktion eines berufli­ chen Nachtdienstlers, einer sogenann­ ten Dauernachtwache, geschlüpft. Da­ bei wollte ich die pflegerischen und somit auch kommunikativen Hand­ lungsweisen bzw. Handlungsstrate­ gien im nächtlichen Umgang mit Per­ sonen mit Demenz in der stationären Langzeitpflege erschliessen. *** Ich bin Krankenpfleger und in meiner Ausbildungs- und Studienzeit leistete ich bereits Nachtdienste im Akutspital. Somit hatte ich direkte Erfahrungen mit charakteristischen Antagonismen meines derzeitigen Forschungsfeldes. Dennoch verfüge ich nur über ein be­ grenztes Bekanntheitswissen, was im Nachtdienst passiert, passieren sollte – oder eben nicht. Deshalb möchte ich Vertrautheit mit dem «spezialisierten Sonderwissen» (Sprondel 1979) und

mit den Arbeitspraktiken von beruf­ lichen Nachtdienstlern und Personen mit Demenz erhalten. Und genau deswegen nehme ich an ihrer berufli­ chen Praxis teil, indem ich versuche, ein Mitglied dieser «nächtlichen Ge­ meinschaft» zu werden. *** Ich muss mich also in dieser Nacht­ welt einleben und meine «eigenen Relevanzen an der Garderobe abge­ ben» (Hitzler 2002). Dieses Einschlüp­ fen bzw. Passagieren vom nächtlichen Dabeisein, Teilnehmen, Dazugehö­ ren zum Akzeptiert- und Anerkannt­ werden – also die Entwicklung vom «Möchtegernmitglied» zum «Mit­ glied» (Hitzler & Eisewicht 2016) – erfolgt in Anlehnung an den von Anne Honer (1993) entwickelten For­ schungsansatz der lebensweltanalyti­ schen Ethnographie. Mein «existentielles Engagement» (Honer 1993) trägt dazu bei, dass ich mein eigenes nächtliches Erleben, meine eigenen nächtlichen Erfahrun­ gen mit mir und meinem Körper so­ wie mit Personen mit Demenz (auch) als evidentes Datum reflektiere. Die erlebte und erfahrene Nachtstille und die beobachteten erstillenden Prakti­ ken, jene Praktiken, die innere Ruhe bei den Nachtdienstlern und Unruhe

bei den Personen mit Demenz evozie­ ren, stehen nun im Fokus meiner ers­ ten Anmerkungen. *** Wie immer bin ich mit einer Unlust zum Nachtdienst gefahren. Was ge­ nau meine Unlust, meine Lustlo­ sigkeit auslöste, schien – für mich – seinerzeit evident zu sein. Es waren jedenfalls nicht die Bewohnenden und auch nicht meine Kolleginnen und Kollegen, denn ich freute mich immer, sie zu sehen. Ich fühlte mich bereits nach der ersten gemeinsamen Nacht dazugehörend. Das (gem)ein­ same (Be)Wachen, scheint – trotz des Einzelkämpferdaseins – den Sinn für Vergemeinschaftung zu fördern. Ich nahm eine grosse Aufgeschlossen­ heit und Offenheit gegenüber meiner Person und meinem Vorhaben wahr, ebenso ein ausgeprägtes Wir-Gefühl innerhalb der nächtlichen Lebensund Arbeitsgemeinschaft, das sich in einer ehrlich und authentisch wirken­ den kollegialen Sorge- und Kommu­ nikationskultur abbildete. Mir schien, als wäre ich in einer geschlossenen, verschworenen «Teil-Zeit-Welt» an­ gekommen, die Benita Luckmann (1978) als «kleine Lebens-Welt» be­ zeichnen würde. Diese Lebens­ welt be-leben ein ­ interkulturelles

>> Prof. Dr. Thomas Beer ist Dozent für Pflege und Pflegewissenschaft und forscht im Bereich Dementia Care.

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