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WAS HÄNSCHEN NICHT WISSEN KONNTE
Die Arbeitswelt verändert sich immer rascher. Auf welche Future Work Skills soll man sich heute vorbereiten, und wie können Hochschulen sie vermitteln? Eine Suche nach den gefragtesten Fähigkeiten der Zukunft.
VON MARK HAMMER
In kürzester Zeit hat die Coronakrise unsere Arbeitswelt komplett auf den Kopf gestellt: Hochschulen verlagern von heute auf morgen den Großteil der Lehre auf digitale Formate. Homeoffice wird nicht nur salonfähig, sondern zum Gebot der Stunde. Besprechungen mit Kolleg*innen finden auf Online-Plattformen statt, Workflows und Informationsflüsse werden angepasst. Zumindest gilt dies für jene Berufe und Arbeiten, die sich online durchführen lassen. Natürlich gibt es auch Arbeitsbereiche, für die der direkte persönliche Kontakt unverzichtbar ist – wie Handel, Gesundheitsversorgung oder Infrastruktur. Und auch die 100-prozentige Fernlehre wird nicht von ewiger Dauer sein. Die Coronakrise hat zudem die Diskussion angefacht, welche Jobs für die Gesellschaft am notwendigsten sind, um zumindest auf Sparflamme zu funktionieren. Diese Diskussion wird wohl auch nach der Krise fortgeführt werden.
Auch ohne Krise verändert sich die Arbeitswelt. Neue Technik, neue (Online-)Geschäftsmodelle und vieles mehr erfordern von Mitarbeiter*innen neue Fähigkeiten. Das Sprichwort „Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr“ ist in gewisser Weise noch gültig, wirkt aber in
Zeiten des lebenslangen Lernens ein wenig überholt.
Erwachsene Arbeitnehmer*innen sind heute gefordert, sich ständig weiterzuentwickeln. Durch die sich rasch wandelnde Welt – Stichwort Digitalisierung – braucht Hans heute Fähigkeiten, von denen Hänschen, seine Lehrer*innen, Uniprofessor*innen und Mentor*innen vor Jahrzehnten und sogar vor wenigen Jahren noch keine Ahnung hatten. Menschen mittleren Alters können sich noch daran erinnern, wann sie ihr erstes Mail geschrieben oder ihr erstes Handy benutzt haben. Das Faxgerät ist aus fast allen Büros verschwunden, dafür sollte man wissen, was ein Boomerang auf Instagram kann.
ZUKÜNFTIGE FÄHIGKEITEN FÜR ZUKUNFTSFÄHIGKEIT
Fachwissen bleibt wichtig. Das steht nicht zur Diskussion. Als Work Skills der Zukunft, ohne die es im Job nicht geht, gelten aber kritisches Denken, Kreativität, Problemlösungskompetenz, Selbstmanagement, emotionale Intelligenz, Kommunikationsfähigkeit sowie das Fortsetzung auf Seite 16
15% aller Xing-Mitglieder arbeiten in Berufen, die erst nach dem Jahr 2003 entstanden sind. Xing-Umfrage, zitiert in www.derbrutkasten.com/new-work-trends
Um +27% stieg die Anzahl der Jobs im Dienstleistungssektor weltweit zwischen 1995 und 2015. Die Anzahl der Jobs im produzierenden Bereich ging im gleichen Zeitraum um -20% zurück. www.oecd.org/future-of-work
57% aller Xing-Mitglieder fühlen sich durch Trainings und Weiterbildungen, die aktuell im eigenen Unternehmen angeboten werden, nicht ausreichend auf die fortschreitende Digitalisierung vorbereitet. Xing-Umfrage, zitiert in www.derbrutkasten.com/new-work-trends
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Erwachsenen verfügen nicht über die notwendigen Fähigkeiten in Computerund Kommunikationstechnologien (IKT) für zukünftige Jobs. www.oecd.org/future-of-work
erfolgreiche Arbeiten in interdisziplinären und internationalen Teams. Die Studiengänge der FH St. Pölten fördern all diese Fähigkeiten mit vielen Projekten (mehr dazu auf Seite 20). Laut Monika Vyslouzil, der Leiterin des Kollegiums der FH St. Pölten, lässt sich die Frage nach den Future Work Skills nicht auf den Ausbildungsbereich oder gar die Welt der Fachhochschulen beschränken. Die Studiengänge der FH bewegen sich per se sehr nah an den Erfordernissen der Praxis und Bedürfnissen der Arbeitswelt, was Vyslouzil zufolge ein generelles Qualitätsmerkmal des Studiums an einer Fachhochschule ist. Indem sie die Lehre mit anwendungsorientierter Forschung verbindet, stattet die FH St. Pölten ihre Studierenden mit den besten Fähigkeiten für die Zukunft aus.
Entscheidend ist laut Vyslouzil im Kontext der Future Work Skills auch die Fähigkeit, flexibel auf Umbrüche zu reagieren, sei es Digitalisierung oder Klimawandel oder – ganz aktuell – eine unvorhersehbare gesundheitliche Krisensituation. Und auch die interdisziplinäre Zusammenarbeit beim Lösen von Problemen gilt in solchen Situationen als Future Work Skill. „Interdisziplinarität wird bei uns großgeschrieben. Durch die unterschiedlichen Departments ergeben sich optimale Möglichkeiten übergreifender Lehrveranstaltungen und Projekte, die das Lernen über den eigenen Horizont hinaus ermöglichen und damit eine wertvolle Grundlage für die Offenheit in der interdisziplinären Zusammenarbeit im Beruf legen“, erklärt Vyslouzil. Um die großen Aufgaben der Gesellschaft zu lösen, brauche es kritische Geister, die sich an den Vorgaben der Vereinten Nationen orientierten, um nachhaltige Entwicklungsziele
Vernetztes Denken, Kommunikationsfähigkeit und Kreativität: 3 Soft Skills, die in der Arbeitswelt der Zukunft immer wichtiger werden.
FH-Prof. Mag. Dr. Monika Vyslouzil, Leiterin des FH-Kollegiums
Beim projektorientierten Lernen erkennen Studierende, dass ihr Lernerfolg mit der Fähigkeit zu Eigeninitiative, Eigenmotivation, Teamarbeit und Kooperationsbereitschaft zusammenhängt. Mag. Dr. Josef Weißenböck, Leiter des Service- und Kompetenzzentrums für Innovatives Lehren und Lernen (SKILL) der FH St. Pölten
zu erreichen, und dabei im Lernen und Handeln flexibel blieben. „Wir haben in unseren Genehmigungsleitfaden zur Entwicklung neuer und Überarbeitung bestehender Studienprogramme viele Hinweise aus internationalen Unterlagen sowie eigenen Erfahrungen eingearbeitet“, so Vyslouzil.
LERNEN AUS DER KRISE
Der Wandel der Lebens- und Arbeitswelt wird angetrieben von globalen gesellschaftlichen, ökonomischen und technologischen Entwicklungen. „Dieser Wandel durch die Digitalisierung erfolgt nicht kontinuierlich und fließend, sondern bringt disruptive Veränderungen mit sich, er umfasst die gesamte Wertschöpfungskette“, sagt Wilhelm Brandstätter von der Sektion für Universitäten und Fachhochschulen im Bundesministerium für Bildung, Wissenschaft und Forschung. Dies bedeute nicht nur neue und höhere Anforderungen an die technologischen und digitalen Fähigkeiten der Beschäftigten, sondern auch hinsichtlich der geforderten Soft Skills. Die wachsende Komplexität und Vernetztheit erfordere nicht nur höhere fachliche Qualifikationen, sondern Mitarbeiter*innen müssten in Zukunft noch anpassungsfähiger, flexibler, kreativer und teamfähiger sein als bisher. Zudem sollten sie vernetzt denken können und interkulturelle Kompetenz mitbringen.
„Durch die weltweite Covid-19-Pandemie wird deutlich, wie sehr Wirtschaft und Gesellschaft global vernetzt sind, welche ungeheure Bedeutung die Digitalisierung für das Funktionieren der Gesellschaft und die Entwicklung von Lösungsstrategien hat, Stichwort Data Science. Lösungsstrategien, auch das wird in der Krise besonders sichtbar, erfordern Kooperation, auch über nationale und kulturelle Grenzen hinweg“, sagt Brandstätter.
DAS LEHREN, WAS MORGEN ZÄHLT
Damit sich (Fach-)Hochschulen auf diese Situation einstellen und entsprechend ausbilden können, brauchen sie laut Brandstätter neben der Präsenzlehre neue Lernorte, virtuell und physisch. „Die zunehmende Diversifizierung der Studierenden erfordert vielfältige Angebote, aber auch flexible Programme und die Entwicklung neuer Lehr- und Lernformate,
Preisgekröntes Wahlmodul
Interdisziplinär und international – das iLab der FH St. Pölten
Seit dem Wintersemester 2018/19 bietet die FH St. Pölten als innovatives Wahlmodul das Interdisciplinary Lab (iLab) an. Im iLab setzen sich Studierende in interdisziplinären und internationalen Teams ein Semester lang intensiv mit einem praxisrelevanten Projekt auseinander – von der Idee bis zur Umsetzung. Sie beschäftigen sich mit gegenwärtigen gesellschaftlichen Herausforderungen und erlangen einen erweiterten Blick auf die Fachdisziplin, die ihrem Studium zugrunde liegt. Bei der Umsetzung der konkreten Projekte können die Teilnehmer*innen zugleich auch ihre fachlichen und überfachlichen Kompetenzen schärfen.
„Unsere täglichen Lebensbereiche sind in noch nie dagewesener Weise von digitalen Technologien und wissenschaftlichen Erkenntnissen durchdrungen. Diese sollen es uns ermöglichen, die vielfältigen Herausforderungen des 21. Jahrhunderts zu bewältigen, stellen uns aber auch vor neue, oft unvorhergesehene Probleme. Im iLab wenden Studierende Fachwissen in Teams und in der Praxis an. Die Projekte fördern Eigenständigkeit und Selbstmanagement. Damit schärfen und vertiefen sie Fähigkeiten, die in Zukunft am Arbeitsmarkt sehr gefragt sein werden“, erklärt Alois Frotschnig, Leiter des Departments Medien und Digitale Technologien der FH St. Pölten und Initiator des iLabs.
2019 wurde das iLab mit dem „Ars Docendi“- Staatspreis für exzellente Lehre in der Kategorie „Kooperative Lehr- und Arbeitsformen“ ausgezeichnet.
fhstp.ac.at/ilab
die den unterschiedlichen Bedürfnissen und Lebensrealitäten der Studierenden angepasst sind“, so Brandstätter.
Der österreichische Hochschulsektor, und gerade auch der Fachhochschulsektor, hätten hier viele Best-Practice-Beispiele vorzuweisen, sei es in der Entwicklung innovativer Studienmodelle wie etwa der dualen Studienprogramme, in denen ein Ausbildungsbetrieb als zusätzlicher Lernort in die Ausbildungspartnerschaft quasi „hereingeholt wird“, oder durch innovative Lehr- und Lernformen, bei denen Fortsetzung auf Seite 18
projektbasiertes Lernen in internationalen Teams erfolgt und so reale Bedingungen der Arbeitswelt im Studium erprobt und erlernt werden. Auch die Förderung unternehmerischen Denkens und die Unterstützung von Start-ups zählen für Brandstätter dazu.
In allen diesen Bereichen gehört die FH St. Pölten zu den Vorreiter*innen unter den Bildungsinstitutionen, etwa durch das eigene Start-upProgramm „Creative Pre-Incubator“, das Interdisciplinary Lab (iLab, siehe Seite 17) und den Einsatz innovativer Lehrmethoden. Das Service- und Kompetenzzentrum für Innovatives Lehren und Lernen (SKILL) der FH St. Pölten unterstützt Lehrende dabei, innovative Lehrmethoden zu erproben. Ein Ansatz ist das projektorientierte Lernen. „Es schafft einen optimalen Rahmen, in dem zweierlei möglich wird: Studierende profitieren in der Teamarbeit von der Vielfalt der Gruppe und können individuelle Fähigkeiten einbringen, im Team lernen und an den eigenen Kompetenzen arbeiten. Und sie erkennen, dass ihr Lernerfolg mit der Fähigkeit zu Eigeninitiative, Eigenmotivation, Teamarbeit und Kooperationsbereitschaft zusammenhängt“, sagt SKILL-Leiter Josef Weißenböck.
Linktipps
Studie Future Works Skills 2020 des Institute for the Future (IFTF) www.iftf.org/futureworkskills
„The Future of Work“: Themenseite der OECD www.oecd.org/future-of-work
Mehrere Berichte des World Economic Forum befassen sich mit dem Thema „Future of Jobs“ www.weforum.org/reports
STUDIENGÄNGE ENTWICKELN – MIT BLICK NACH VORNE
Die Entwicklungsteams für neue Studiengänge und die Studiengangsleitungen bestehender Studiengänge an der FH St. Pölten legen großen Wert darauf, diese sogenannten Future Work Skills zu vermitteln und in den Studienprogrammen und Unterrichtsmethoden zu berücksichtigen. Unterstützt werden sie dabei vom FH-Service Hochschulentwicklung. „Wir fragen Unternehmen und Praktikumsanbieter*innen nach dem Bedarf an Kompetenzen außerhalb des konkreten Fachs und bitten um einen Ausblick in die Zukunft. Die Future Work Skills passen zum Konzept der Kompetenzorientierung, das wir verfolgen: Alle Curricula der
Mag. Dr. Katalin Szondy, Leiterin des FH-Service Hochschulentwicklung
Studiengänge sollen in ihren Lehrveranstaltungen und Modulen 4 Kompetenzen vermitteln, die letztendlich die Handlungskompetenz der Absolventinnen und Absolventen stärken“, sagt Katalin Szondy, Leiterin des FH-Service Hochschulentwicklung der FH St. Pölten. Zu diesen Kompetenzen gehören neben der Fachkompetenz (Fachwissen) auch die Methodenkompetenz (etwa darüber, wie man Wissen erwirbt) sowie die Sozialkompetenz und Selbstkompetenz. Letztere umfasst neben Einstellungen, Motiven und Wertehaltungen etwa Selbstwahrnehmung und Selbstorganisation. Laut Szondy erweisen sich vor allem duale Studiengänge als besonders gut geeignet für die Vermittlung der Future Work Skills. Studierende dieser Studiengänge profitieren davon, dass hier
Theorie und Praxis besonders eng verzahnt sind und
Unternehmen als zweite
Lernorte eingebunden werden.
Duale Studiengänge kombinieren
Theorie und Praxis – und vermitteln die Future Work Skills besonders gut.